Forschung + Analyse Deutschlandbild in den USA Amerika entdeckt die deutsche Strenge US-Marketer haben die Faszination des „Deutschen“ für sich entdeckt. So jedenfalls hat es das Marktforschungsinstitut Rheingold beobachtet. Im Interview spricht W&V Media mit zwei Rheingold-Forschern über die Vorteile und auch Hürden des neuen Deutschlandbilds. W&V Media Hat sich auch Deutschland, haben sich die Deutschen geändert? Stephan Urlings Die WM in Deutschland 2006 war eine nationale Lockerungsübung: Sie hat das Selbstwertgefühl der Nation verändert. Vor der WM hatten die Deutschen noch Angst, dass mit patriotischen Gefühlen auch die finsteren Seiten des Deutschseins hervorkommen könnten. Doch dann waren alle ungeheuer erleichtert, dass man den Spagat hinbekommen hat, patriotisch und gleichzeitig ein charmanter Gastgeber zu sein. Die Welt hat uns damals zu diesem Kunststück gratuliert, und das hat uns stolz gemacht. Die Deutschen sind mit sich im Reinen. Und sie können wie bei der WM in Südafrika mit jugendlichem Überschwang, Teamgeist und Kreativität die Welt bezaubern. W&V Media Nach Ihren Untersuchungen entdeckt das amerikanische Marketing derzeit die Faszination des Deutschen neu. Was müssen wir uns darunter vorstellen? Sauerbrey Colton Die Faszination des Deutschen zeigt sich schon lange, doch mehr und mehr wird diese auch strategisch genutzt, z.B. wenn VW in den USA mit „das Auto“ wirbt oder die Jägermeister-Flasche ein „Imported“ ziert und dabei auf idyllisches „Berg- und Almflair“ mit deutscher Perfektion setzt. Hier zeigt sich durchaus ein Wandel: Noch vor einigen Jahren witterte der Amerikaner bei der Darstellung von Deutschem immer auch NS-Symbolik, mittlerweile begreift man Deutsches mehr und mehr in einem tugendhaften Zusammenhang: Die Deutschen gelten als zuverlässig. Mit ihnen verbindet man auch einen anderen Lebensstil, der weniger oberflächlich, sondern verantwortungsbewusst und nachhaltig ist. Gerade in der Krise hat das für einige Amerikaner Vorbildcharakter. Urlings Vor allem in der Unterscheidung zu amerikanischen Werten zeigt sich die Faszination des Deutschen. Der Amerikaner ist vom Deutschen oft genau dann besonders fasziniert, wenn es ihm etwas Neues zeigt, etwas anders macht. So vermitteln zum Beispiel die deutsche Kontrolliertheit und eine gewisse Strenge in den USA Glaubwürdigkeit in Sachen Umweltkompetenz und Gesundheit. Wir gelten Fotos:Robson – Fotolia.com, Unternehmen W&V Media Sie haben in Ihren Forschungen in den USA ein neues Deutschlandbild ausgemacht. Was ist „typisch deutsch“ und wie positiv ist dieses Bild? Patricia Sauerbrey Colton Hier zeigt sich, dass Begriffe wie „Lockerheit“ und „Kreativität“ nicht unbedingt zuerst genannt werden, wenn es um das Deutsche geht. Den Wandel in Image und Selbstbild hat in den USA kaum jemand registriert. Wenn wir Amerikanern die Frage nach typischen Deutschen stellen, nennen sie die wenigen, die sie überhaupt kennen: Heidi Klum, Boris Becker, Angela Merkel. Doch meist erweisen sich diese bekannten Deutschen nicht als diejenigen, die in ihrer Person „Deutschsein“ repräsentieren. Amerikaner beschreiben Deutsche häufig als sehr direkt, nüchtern bis stur, kontrolliert und perfektionistisch – und natürlich als „Meister des Fahrzeugbaus“. Die Deutschen, glaubt man, sind sehr überlegt in dem, was sie tun, weichen aber auch von diesem einen Weg nicht so leicht ab. Aber nach wie vor bleiben auch die typischen Klischeebilder von der Nazi-Vergangenheit, Oktoberfest, Bier und Wurst präsent. 8/2010 Med_08_2010_42-43_Intervie.indd 42 23.07.2010 12:04:45 aber in den USA nicht unbedingt als die Spaßexperten. Es kommt also immer darauf an, in welchem Kontext das „Deutsche“ genutzt werden will. W&V Media Ausgerechnet die freiheitsliebenden Amerikaner sind also fasziniert von deutscher Strenge? Sauerbrey Colton Das hat mit der Krise zu tun. Dort hätten sich die Amerikaner ein bisschen deutsche Strenge gewünscht; jemanden, der kontrolliert und überprüft, der nicht so anfällig für Augenwischerei ist, jemanden, der länger überlegt und abwägt, bevor er etwas tut. Die Krise hat den Amerikanern ein paar Schwächen ihres scheinbar mühelosen Maximierungsdenkens vor Augen geführt. Da versprüht Deutsches einen gewissen Reiz. So geht man zum Beispiel davon aus, dass deutsche Produkte weiter entwickelt sind und auch besser geprüft werden. Die Amerikaner gelten eher als Macher, die einfach etwas versuchen und erst mit der Zeit sehen, welche Nachteile daraus erwachsen. W&V Media Was muss man beachten, wenn man mit deutschen Produkten die Konsumenten in den USA erobern will? Sauerbrey Colton Entscheidend ist, dass es kein Patentrezept gibt. Es ist also absolut wichtig zu verstehen, wie das Produkt im Zusammenhang mit seiner deutschen Herkunft auf die Amerikaner wirkt. Man muss mit ihnen sprechen, Forschung betreiben, das „Produktwirkungsfeld“, wie wir sagen würden, explorieren. Und dabei gilt es, ganz gezielt psychologisch herauszuarbeiten, an welchen Stellen die deutsche Herkunft hemmt oder fördert. Und das ist im Moment sogar noch herausfordernder. Denn die Krise hat auch die Amerikaner sensibilisiert und sie lassen sich nicht mehr alles verkaufen. Gesundheit und Natur als fühlbare, „wahre“ Werte haben für die Amerikaner in der Krise an Bedeutung gewonnen. Hier liegen Produktbereiche, in denen Amerika Deutschland für äußerst kompetent hält. Aber auch hier gilt: Die deutsche Herkunft kann von Vorteil sein, sie muss es aber nicht. Wenn etwa die Gesundheitsorientierung zu weit getrieben wird und der Amerikaner von deutscher Strenge erdrückt wird, fehlt ihm der Raum zum spontanen Aus- 8/2010 5/2010 Med_08_2010_42-43_Intervie.indd 43 probieren oder zum schwelgerischen Genuss. Die Marke wirkt dann als Spaßbremse, die den US-Konsumenten bevormundet. Grundsätzlich sind die Erwartungen an deutsche Produkte sehr hoch. Kann das Produkt dann aber nicht halten, was das imaginäre Deutschlandbild verspricht, ist die Enttäuschung umso größer, und der Amerikaner verlässt sich lieber auf das „unkomplizierte“ US-Produkt. W&V Media Welche Bereiche könnten künftig noch profitieren? Urlings Ganz offensichtlich sind es Bereiche, auf die die deutschen Fähigkeiten und Tugenden direkt „einzahlen“ – hierzu gehören etwa Lebensmittel mit der Kontrolliertheit, Software und die dazu gehörige Organisation oder erneuerbare Energien, die für Risikominimierung stehen. Aber auch ganz andere Produkte können mit einer geschickten Vermarktung Erfolg haben: Nehmen Sie den traditionellen Montblanc Füllfederhalter. „Schreiben in der Tradition der Kulturnation der Dichter und Denker“ wertet bestimmte Schreibverfassungen auf. Die Füller mit der weißen Krone sind nicht nur Statussymbol, sondern willkommener Ausweis der eigenen Kultiviertheit. W&V Media Wird die Faszination des Deutschen noch stärker werden, einhergehend etwa mit dem jugendlichen Elan à la Fußball-WM-Elf oder unserer neuen jungen First Lady? Sauerbrey Colton Klar, das deutsche WMTeam hat ein lockereres Deutschland gezeigt. Es steht für die Wandlungsfähigkeit: Germany kann auch jung, locker, sogar schön anzusehen sein. Aber, so ungern wir das auch hören, dies sind nur Nuancen im großen Deutschlandbild der Amerikaner. Nach Football und Baseball kommt erstmal eine ganze Weile gar nichts und dann vielleicht die WM. Den Lena-Hype hat man in den USA nicht mitbekommen, und bis das Bild der First Lady zum Durchschnittsamerikaner durchdringt, ist Wulf wahrscheinlich schon nicht mehr im Amt. Der schrittweise Wandel des Deutschlandbildes vollzieht sich eher im Alltag, im Umgang mit Deutschen, im Gebrauch deutscher Produkte. Dadurch wird Deutschland wirklich anfass- und erlebbar. Stephan Urlings Rheingold Geschäftsführer, Köln Patricia Sauerbrey Colton Rheingold Research Director USA Seit Januar unterhält Rheingold eine Dependance in den USA. Die Multikulti-Stadt San Francisco sei, so die Forscher, „ideal, um die Methode der morphologischen Psychologie in der qualitativen Marktforschung international noch stärker zu etablieren“. W&V Media Wie gehen die Deutschen, bzw. die deutschen Unternehmen mit diesem neuen Image um? Urlings Deutsche Unternehmen haben großen Respekt vor dem amerikanischen Markt, da ihre Produkte nicht unbeworben Selbstläufer sind. Deutsche Produkte haben meist eine gewisse Komplexität und wecken Erklärungsbedarf. Diesen gilt es gekonnt, und zwar nach amerikanischem Verständnis, zu decken. Oft wird von deutschen Unternehmen befürchtet, dass in einem gewaltigen Markt wie dem amerikanischen ein hoher Vermarktungsdruck nötig sei. Das ist schade, da man in vielen Produktbereichen auch mit kleinen Budgets oft wirklich gute und differenzierende Ansätze entwickeln kann, ein Produkt als deutsches Produkt zu vermarkten. W&V Media Wie kann sich das Marketing hierzulande diese Entwicklung zunutze machen? Sauerbrey Colton Mit unseren Kunden entwickeln wir kreative Lösungen, die es ermöglichen, auch mit einem Budget, das im amerikanischen Markt eigentlich nicht konkurrenzfähig ist, bei den Amerikanern bleibende Eindrücke zu hinterlassen. So lassen sich Marken oft von einer nischenartigen Geheimtipp-Positionierung weiterentwickeln. Deutschsein ist und bleibt aber in vielen Fällen Klasse, nicht Masse. Christiane Treckmann [email protected] 43 23.07.2010 12:04:47