Schleswig-Holstein Festival Orchester 2009 I m p r e ss u m Sächsische Staatsoper Dresden Intendant Prof. Gerd Uecker Generalmusikdirektor Fabio Luisi Spielzeit 2009|2010 Herausgegeben von der Intendanz © August 2009 Redak tion Tobias Niederschlag G e s ta lt u n g u n d s at z schech.net | www.schech.net Dr u c k Union Druckerei Dresden GmbH w w w . s ta at s k a p e l l e - d r e s d e n . d e Bilder Christoph von Dohnányi: Terry O’Neill / Decca; Marie Luise Neunecker: Künstlersekretariat Schoerke; Schleswig-Holstein Festival Orchester: Axel Nickolaus Texte Die Einführungstexte von Christiane Schubert sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. Marie Luise Neunecker HORN Marie Luise Neunecker ist eine der gefrag­testen Hornistinnen der Gegenwart. Nach Solopositionen bei den Bamberger Symphonikern und beim heutigen hr-Sinfonieorches­ter Frankfurt gewann sie 1982 den Deutschen Musik­ wettbewerb, im Jahr darauf den Interna­ tio­nalen ARD-Wettbewerb und 1986 den Ersten Preis bei der Concert Artists Guild International Competition in New York. Heute führt sie ihre Konzerttätigkeit neben Tourneen durch alle europäischen Länder auch in die großen Konzertsäle der USA und Japans. Nach ihrer langjährigen Professur an der Frankfurter Musikhochschule übernahm Marie Luise Neunecker 2004 den Lehrstuhl für Horn an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Julie Moulin Flöte Julie Moulin studiert seit drei Jahren am Conservatoire National Supérieur de Musique (CNSM) in Lyon. Regelmäßig spielt sie als Aushilfe im Orchester der Opéra de Lyon, im Orchestre Philharmonique de Strasbourg und in der Sinfonia Warsawia. Sie ist bereits Widmungsträgerin mehrerer zeitgenössischer Werke und seit 2008 Mitglied des SchleswigHolstein Festival Orchesters. Johannes Grosso Ob o e Johannes Grosso studiert seit 2007 am Conservatoire in Lyon und besuchte Meisterkurse u.a. bei Stefan Schilli, Maurice Bourgue und Heinz Holliger. Er war 1. Preisträger bei Wettbewerben in Paris und Brüssel und ist sehr engagiert im Bereich der zeitgenössischen Musik. 2007 war er Solooboist im Gustav Mahler Jugendorchester, seit 2008 ist er Mitglied des Schleswig-Holstein Festival Orchesters. Schleswig-Holstein Festival Orchester Leonard Bernstein war der künstlerische Schirmherr und Ideengeber, dem es zu verdanken ist, dass 1987 im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) eine Orchesterakademie entstand, wie sie bis dahin in Europa ohne Beispiel war. Nach dem Vorbild des amerikanischen Tanglewood Festival schuf Bernstein in Deutschland eine Ausbildungsstätte für junge Orchestermusiker auf allerhöchstem Niveau. Sitz der Orches­terakademie des SHMF wurde das Landeskulturzentrum Schloss Salzau, dessen kreative Atmosphäre und ländliche Abgeschiedenheit ideale Bedingungen für intensive musikalische Arbeit bieten. Für die Orchesterakademie wird jeden Sommer das Festivalorchester mit über 100 jungen Musikern aus aller Welt zusammengestellt. Nahezu alle großen Dirigenten haben seither mit dem Festivalorchester des SHMF zusammengearbeitet. Derzeitiger Principal Conductor des Orchesters ist Christoph Eschenbach, der diese Position 2004 übernahm und auch bei der Sächsischen Staatskapelle ein regelmäßiger Gast ist. Schleswig-Holstein Festival Orchester Violinen Violoncello Fagot t Anne Battegay, Schweiz Audrey Gray, USA Boglarka Jobbagy, Ungarn Chloe Fedor, USA Chuanru He, China Ding Duo, China Emilia Burlingham, USA Grigory Tatdaev, Russland He-Ri Kang, Südkorea James Choi, USA Ji Eun Lee, Südkorea Julia Noone, USA Kayla Moffett, USA Laura D’Angelo, Kanada Malika Aziz, Türkei Mara Oosterbaan, Niederlande Marcus Scholtes, Kanada Mari Hirai, China Minnie Lee, Deutschland Nicolai Bernstein, Deutschland Rachel Patrick, USA (Konzertmeister) Ryutaro Omura, Japan Sheila Jaffé, Kanada (Stimmführer 2. Vl.) Shoshana Kay, USA Sofia Cativa, Argentinien Tallie Brunfelt, USA Won-Hee Lee, Kanada Xavier de Felipe, Spanien David Meyer, USA Evaristo Urracca, Spanien Joy Stevens, USA (Stimmführer) Katja Lorenz, Deutschland Kevin Kunkel, USA Marina Warsaw-Fan, USA Matyas Mayor, Ungarn Natalia Diaz, Spanien Phoebe Lin, Taiwan Samuel Fletcher, USA Daniel Mohrmann, Deutschland Dominik Schnell, Deutschland Ignacio Soler Perez, Spanien Matthew McDonald, USA K o n t r a b a ss Tr o m p e t e Alex Tarbert, USA (Stimmführer) Andrew Trombley, USA David Freudenberger, Deutschland Diego Caruso, Brasilien Mark Gilenson, Israel Micah Schub, USA Nathaniel Chase, USA Simon Polezhayev, USA Clayton Chastain, USA Colin Sieg, USA Horn Adrian Diaz Martinez, Spanien Benoit Gausse, Frankreich Claude Tremuth, Frankreich Maciej Baranowski, Polen Posaune Brian Santero, USA Whitney Clair, USA Nuno Martins, Portugal p e r c u ss i o n Flöte Claudia Tiller, Deutschland Ester Caballero, Spanien Leonie Wolters, Niederlande Diego Aldonza Crespo, Spanien Michael Roberts, USA Takehiko Mochizuki, Japan H a rf e Solo Ligeti: Julie Moulin, Frankreich Joanna Liberatzka, Polen C e l e s ta Viola Ob o e Adrienne Hochman, USA Ana Mba, Spanien Anna Pommerening, Deutschland Anthony Parce, USA Cong Wu, China (Stimmführer) Emilie Grimes, Kanada Ivan Ugorich, Russland Leah Kovach, USA Lorena Herraiz, Spanien Shui Miao Fu, China Sylvain Seailles, Kanada Tze-Ying Wu, Taiwan Juan Manuel García-Cano, Spanien Luis Blanco, Spanien Suzanne Bastian, Frankreich NORDMETALL-Stiftung – Partner der Orchesterakademie Andreas Merk, Deutschland Solo Ligeti: Johannes Grosso, Frankreich Klarinette David Marin Vargas, Spanien Marco Giani, Italien Miguel Expósito, Spanien Ralph Lane, Großbritannien Das Schleswig-Holstein Musik Festival dankt den Tourneesponsoren arko Kaffee & Confiserie, ESN EnergieSystemeNord GmbH und UTS Max Jacobi Spedition GmbH für die Unterstützung der Orchesterakademie. Sonderkonzert Schleswig-Holstein Festival Orchester auf E i n l a du n g d e r S äc hs i s c h e n S ta at s k a p e l l e D r esd e n Schleswig-Holstein Festival Orchester D i en s tag 25.8.09 2 0 U h r · s e m p ero p er Dirigent Christoph von Dohnányi Horn Marie Luise Neunecker flöte Julie Moulin oboe Johannes Grosso György Ligeti (1923-2006) Doppelkonzert für Flöte, Oboe und Orchester 1. Calmo, con tenerezza 2. Allegro corrente – Poco rubato – Presto capriccioso Richard Strauss (1864-1949) Hornkonzert Nr. 2 Es-Dur 1. Allegro 2. Andante con moto 3. Rondo: Allegro molto pause Robert Schumann (1810-1856) Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 1. Sostenuto assai – Allegro, ma non troppo 2. Scherzo: Allegro vivace 3. Adagio espressivo 4. Allegro molto vivace Jugendlicher Saisonauftakt Wie in den vergangenen Jahren wird auch die Konzertsaison 2009|2010 auf Einladung von Fabio Luisi und der Sächsischen Staatskapelle mit einem hochkarätigen Jugendorchester eröffnet. In dieser Saison ist es das Schleswig-Holstein Festival Orchester, das unter Christoph von Dohnányi in der Semperoper gastiert. Neben dem Doppelkonzert von György Ligeti, dessen Uraufführung Dohnányi 1972 in Berlin leitete, erweist das Orchester der Musikstadt Dresden seine Referenz: mit dem zweiten Hornkonzert von Richard Strauss und der in Dresden entstandenen zweiten Sinfonie des 2010-Jubilars Robert Schumann. György Ligeti Doppelkonzert für Flöte, Oboe und Orchester Richard Strauss György Ligeti ist einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Geboren 1923 in Siebenbürgen, wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft vom Physikstudium ausgeschlossen und begann 1941 stattdessen mit einem Musikstudium am Konservatorium in Kolozsvár (Klausenburg). Lehrer wie Sándor Veress, Ferenc Farkas oder Janos Bárdányi übten einen großen Einfluss auf ihn aus. Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 flüchtete er in den Westen. Als Mitarbeiter im Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln und später als Professor für Komposition an der Hamburger Musikhochschule war er eine prägende Figur des westdeutschen Musiklebens. Ligeti starb am 12. Juni 2006 in Wien. Das Doppelkonzert für Flöte, Oboe und Orchester ist das Ergebnis einer Suche nach einer andersartigen Ästhetik und Harmonik. Während Ligeti heute vor allem für seine Klangflächenkompositionen und Cluster­technik bekannt ist, hört man hier eine Harmonik der zarten Zwischentöne – weich getönte, schillernde Harmonien im Zwischenreich mikrotonaler Verfärbun­ gen. Die beiden Soloinstrumente ordnen sich im ersten Satz weitgehend unter, ihr Klang verschmilzt mit dem des Orchesters. Im zweiten Satz stehen sie mehr im Vordergrund und präsentieren sich in gesteigerter Virtuosität. Ligetis Doppelkonzert wurde im September 1972 mit den Solisten Karlheinz Zöller (Flöte) und Lothar Koch (Oboe) in Berlin uraufgeführt. Dirigent war, wie am heutigen Abend, Christoph von Dohnányi, der die Berliner Philharmoniker leitete. Das Horn hatte für Richard Strauss eine besondere Bedeutung: Sein Vater war 1. Hornist an der Münchner Hofoper, Strauss wuchs also mit diesem Instrument auf. Später komponierte er zwei Hornkonzerte, die eine Zeitspanne von insgesamt sechs Jahrzehnten umfassen: Das erste entstand 1882/83 und ist Oscar Franz, dem damaligen Solohornisten der Dresdner Hofkapelle, gewidmet, das zweite dann im Jahr 1942 während des Zweiten Weltkrieges. Beide Konzerte stehen in der «Horntonart» Es-Dur und gehören heute zum Standardrepertoire für dieses Instrument. Das zweite Hornkonzert ist ein typisches Spätwerk von Strauss. Neben der schillernden und expressiven Harmonik beeindruckt es durch seine geradezu klassische Form. Der erste Satz beginnt mit einer fanfarenartigen Kadenz des Solisten und geht später in einen lebendigen Dialog zwischen Soloinstrument und Holzbläsern über. Von idyllischem Holzbläserklang geprägt ist der lyrische zweite Satz. Strauss selber bezeichnete den Finalsatz, sicher mit einem Augenzwinkern, als «ganz nett ausgefallen». Das übermütige Rondo schließt mit einem furio­sen Zitat des Hauptthemas in den drei Orchesterhörnern. Die Uraufführung des Konzertes fand am 11. August 1943 bei den Salzburger Festspielen statt. Karl Böhm, zuvor Generalmusikdirektor der Staatsoper in Dresden, dirigierte die Wiener Philharmoniker. Der Solist war Gottfried von Freiberg. Hornkonzert Nr. 2 Es-Dur Robert Schumann Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 «Mich erwärmt und begeistert dies Werk ganz besonders, weil ein kühner Schwung, eine tiefe Leidenschaft darin ist, wie in keinem anderen von Roberts Werken.» Dies schrieb Clara Schumann 1847 anlässlich einer Aufführung der zweiten Sinfonie, die eigentlich Schumanns Dritte ist: Er komponierte sie nach der Erstfassung der vierten Sinfonie. Das Werk entstand 1845/46 in einer Zeit, in der Schumanns Gesundheitszustand einen Tiefpunkt erreicht hatte. Schumann litt an Depressionen und Schwindelanfällen, von denen er sich mit der Arbeit an der neuen Sinfonie zu befreien versuchte. «Ich skizzierte sie, als ich physisch noch sehr leidend war, ja ich kann wohl sagen, es war gleichsam der Widerstand des Geistes, der hier sichtbar influiert hat und durch den ich meinen Zustand zu bekämpfen suchte.» Die Arbeit ging nur langsam voran, und erst nach einem Kuraufenthalt auf der Insel Norderney konnte Schumann das Werk 1846 beenden. Die Uraufführung der Sinfonie fand am 5. November 1846 unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy im Leipziger Gewandhaus statt. Schon 1844 war Schumann – in der Hoffnung auf Besserung seiner Gesundheit – von Leipzig nach Dresden gezogen, wo er mit dem Dirigenten Ferdinand Hiller und dem Maler Eduard Bendemann auf alte Künstlerfreunde traf. Auch Richard Wagner, damals Hofkapellmeister in Dresden, stieß gelegentlich zu diesem Kreis. Auch wenn Schumann in Dresden nicht dauerhaft Fuß fassen konnte, entstand hier bis 1850 doch mehr als ein Drittel seines Gesamtwerkes. In der C-Dur-Sinfonie op. 61 strebte Schumann noch mehr als in anderen Werken eine Verbindung von klassischer Form und romantischem Inhalt an. So ist an verschiedenen Stellen des Werkes die Auseinandersetzung mit dem verehrten Vorbild Johann Sebastian Bach zu erkennen. Auch Schumanns gesundheitliche Situation spiegelt sich in der Musik wider. Dem Hamburger Musikdirektor Georg Friedrich Otten gestand er: «Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch krank; mir ist’s, als müßte man ihr dies anhören. Erst im letzten Satz fing ich an mich wieder zu fühlen; wirklich wurde ich auch nach Beendigung des ganzen Werkes wieder wohler.» Von ruhigen Vierteln begleitet, stimmen die Blechbläser in der langsamen Einleitung ein bedeutsames Fanfarenmotiv an: Das Motiv kehrt in allen vier Sätzen wieder und ist so etwas wie das «Motto» der ganzen Sinfonie. Die Impulse, die nach der Einleitung vom punktierten Hauptthema des Kopfsatzes ausgehen, treiben das ganze «Allegro, man non troppo» voran. An zweiter Stelle folgt ein vorgezogenes Scherzo, das fünfteilig angelegt ist. Dem nervös voraneilenden Hauptteil stehen zwei ruhigere Scherzo-Episoden gegenüber. Das lyrische «Adagio espressivo» ist das emotionale Zentrum des Werkes und einer der innigsten Sätze in Schumanns gesamtem Schaffen. Sein Hauptthema wird im Verlauf des überschwänglichen Finalsatzes noch einmal aufgegriffen – in variierter Form und in schnellem Tempo. Später verstummt das Spiel in drei Generalpausen. Die Violinen stimmen ein völlig neues Thema an, ein Zitat aus Beethovens Liederzyklus «An die ferne Geliebte» («Nimm sie hin denn, diese Lieder»), mit dem die Sinfonie ein strahlendes Ende findet. Ch r i s t i a n e S c hu b e r t Christoph von Dohnányi DI R I G ENT Christoph von Dohnányi ist seit 2004 Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters Hamburg. Geboren in Berlin, studierte er in München Klavier, Komposition und Dirigieren und anschließend bei seinem Großvater, dem Komponisten Ernst von Dohnányi, an der Florida State University. Mit 27 Jahren wurde er in Lübeck jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands. Es folgten Chefpositionen beim WDR Sinfonieorchester Köln sowie an den Opernhäusern in Frankfurt und Hamburg, wo er mit einer innovativen Spielplangestaltung nachhaltige Akzente setzte. Seine Zeit als Music Director des Cleveland Orchestra von 1984 bis 2002 wird in der Geschichte des Orchesters immer einen herausragenden Platz einnehmen. Dem Cleveland Orchestra wie auch dem Philharmonia Orchestra London, an dessen Spitze er seit 1997 stand, ist Christoph von Dohnányi heute als Ehrendirigent verbunden.