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Österreichisches Institut für Internationale Politik - oiip
Libanon - Brüchige Stabilität inmitten einer unruhigen Region?
Ländersymposion Libanon
26/3/2015
DiskutantInnen:
Thomas Scheffler (Orient-Institut, Beirut)
Mara Albrecht (Institut für Geschichte, Universität Erfurt)
Gudrun Harrer (Der Standard)
Walter Posch (BMLVS)
Moderation:
Cengiz Günay (oiip)
Adresse:
Diplomatische Akademie, Favoritenstraße 15a, 1040 Wien
Zusammenfassung: Fiona Köllner
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Zusammenfassung
In den Middle East Studies gilt der Libanon als Modell für einen schwachen, instabilen Staat.
Mehrfach konstatierten Beobachter, dass die Lage im Land am Kippen ist. Und dennoch, trotz
einer äußerst instabilen Umgebung und mehr als 1,5 Millionen Flüchtlingen erweist sich der
Libanon stabiler und sein System resilienter als gedacht. Darüber wie dieses Land beschaffen
ist, welche Rolle interne und externe Kräfte spielen und welche Gefahren am Horizont
ausgemacht werden können, diskutierten in der Diplomatischen Akademie in Wien am
26.03.2015 im Rahmen des Libanon Symposions Thomas Scheffler vom Orient-Institut Beirut,
Mara Albrecht von der Universität Erfurt, Gudrun Harrer von der Tageszeitung Der Standard
sowie Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der
Landesverteidigungsakademie in Wien. Moderiert wurde die Veranstaltung durch Cengiz
Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik.
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Ein fragiles Gefüge: Religiöse Akteure, staatliche Ordnung und „externe“ Interventionen im
Libanon
Thomas Scheffler erwähnte in seinem Vortrag drei wichtige kollektive Identifikationspole, die
im Falle des Libanon in Bezug auf Politik hervorstechen: Familie, Religion und Partei. Scheffler
ging im Speziellen auf die Rolle von Religionsgemeinschaften bzw. religiösen Akteuren ein, da
diese im Vergleich zu Familien oder Parteien durch hohe externe Vernetzungen einen
Wettbewerbsvorteil haben. Die Rolle der Religion wird in mehreren Artikeln der Verfassung
von 1926 angesprochen. Artikel 95 setzt sich beispielsweise mit dem Proporz in öffentlichen
Ämtern, der Regierung und dem Parlament auseinander.
Religionsinstitutionen kumulieren nicht nur großen Reichtum, sondern spielen auch eine
bedeutende Rolle in der Ausverhandlung sozialer Beziehungen. Dadurch haben konfessionelle
Einrichtungen eine große Macht. So ist es z.B. bis heute nicht möglich eine standesamtliche
Zivilehe einzugehen. Dadurch gestalten sich z.B. auch inter-konfessionelle Eheschließungen
als äußerst schwierig und sind deshalb bis heute eher die Ausnahme. Scheffler konzentrierte
sich in seinen Ausführungen auf die drei großen Religionsgruppen des Libanon, die zusammen
etwa 75% der libanesischen Bevölkerung ausmachen, nämlich Maroniten, Sunniten und
Schiiten.
Maroniten, die in kompakten Siedlungsgebieten leben, gelten als religiös stark zentralisiert,
politisch aber als fragmentiert. Die religiösen Führer der Maroniten haben eine starke
politische Rolle. Gesponsert wird die maronitische Glaubensgemeinschaft vom Vatikan sowie
von Frankreich. Im Gegenzug nehmen die Maroniten beispielsweise Rücksicht auf die NahostPolitik des Vatikans. Sunniten sind sowohl politisch als auch religiös schwach zentralisiert. Sie
leben in keinem kompakten Siedlungsgebiet und sind sozial zersplittert. Der Klerus ist wenig
an der Basis verwurzelt bzw. gilt als staatsnah, hat aber eine schwache politische Rolle. Die
externen Unterstützer der Sunniten im Libanon wechselten im Laufe der Zeit, waren aber
immer arabische Akteure aus der Region. Schiiten leben zwar in kompakten Siedlungsgebieten,
stellen aber eine sozial heterogene Gruppe dar. Politisch sind sie stark zentralisiert. Es gibt
zwei Parteien, von denen die Hisbollah dominiert. Die religiösen Führer haben eine starke
Rolle, auch im politischen Bereich. Der Iran ist als wichtigster Sponsor der libanesischen
Schiiten zu nennen.
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Scheffler fasste zusammen, dass Allianzen der lokalen Gruppen mit „externen“ Akteuren, de
facto Teil der „inneren“ politischen Ordnung im Libanon seien. Die externen Verbindungen
seien demnach Bestandteil des politischen Verhandlungsprozesses im Land. Der Staat Libanon
sei ohne externe Interventionen in diesem Sinne gar nicht denkbar. Trotz der tiefen
konfessionellen und politischen Spaltung der Gesellschaft werde das Land aber durch das
Gefühl der Abhängigkeit voneinander zusammengehalten. Scheffler erwähnte in diesem
Zusammenhang, dass selbst in den Jahren des Bürgerkriegs ein gemeinsames Strom- und
Wassernetz fortbestanden habe.
Politische Kultur im Libanon: Zwischen Kriegsnostalgie, Nationalpatriotismus und
Revolutionsromantik
Mara Albrecht ging in ihrem Vortrag auf die politischen Parteien im Libanon ein. Im Libanon
gibt es über 100 aktive, offizielle politische Parteien sowie eine Vielzahl nicht-registrierter,
inoffizieller Parteien, wie beispielsweise die Hisbollah, die allerdings zum Teil trotzdem im
Parlament vertreten sind. Parteien sind im Libanon entlang konfessioneller Linien organisiert,
sind aber meist hybrid, sprich schließen etwa einen religiösen oder militärischen Aspekt ein.
Allerdings verdeutlichte Albrecht, dass nicht alle Parteien religiös motiviert sind.
Grob lassen sich die Parteien in zwei Lager einteilen, jenes des 8. März sowie jenes des 14.
März, welche nach wichtigen Daten der Zedernrevolution 2005 benannt sind. Die Allianz des
8. März lässt sich als anti-westliche, pro-syrische Koalition bezeichnen, der unter anderem die
Hisbollah angehört. Die Allianz des 14. März ist ein pro-westliches Bündnis, das 2005 den
syrischen Einfluss im Libanon kritisierte. Parteigründungen fanden vor allem in den 1970er
Jahren statt, während ein Jahrzehnt später der politische Islam auf Kosten des arabischen
Nationalismus an Stärke gewann. Nach dem Tod des syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad im
Jahr 2000 spaltete sich die Parteienlandschaft in ein pro- bzw. anti-syrisches Lager auf, was
auch die Bedeutung Syriens für die Innenpolitik des Libanon verdeutlicht.
Sowohl der Bürgerkrieg von 1975-1990 als auch die Zedernrevolution 2005 sind prägend für
die politische Kultur des Libanon. Albrecht deutete in diesem Zusammenhang auf die
Selbstinszenierung von Parteien hin. Verstorbene Parteiführer bzw. die Kommandanten der
jeweiligen Milizen werden als Helden verehrt. Videos, Plakate, Parteifahnen, pathetische
Gedichte und Lieder spielen eine wichtige Rolle in den Narrativen zum Bürgerkrieg. Die
Kriegsnostalgie wird besonders von jungen Parteigängern, die selbst gar nicht am Krieg
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teilgenommen
haben,
getragen.
Dabei
spielt
eine
romantische
Soldaten-
und
Märtyrerverehrung eine wichtige Rolle in der Mobilisierung.
Zwischen Gerechtigkeit und Politik: Das Sondergericht für den Libanon
Gudrun Harrer widmete ihren Vortrag dem Sondergericht für den Libanon und fasste die
Entstehungsgeschichte dieses Gerichtshofes zusammen. Das Special Tribunal for Lebanon (STL)
befasst sich mit der Ermordung von Premierminister Rafik Hariri am 14.2.2005. In Folge des
Attentats beschloss der UN - Sicherheitsrat eine fact finding mission ins Leben zu rufen, welche
die Ursachen, Umstände und Konsequenzen des Attentats untersuchen sollte. Im April 2005
wurde die UN International Independent Investigation Commission (UNIIIC) gegründet, deren
Mandat, da weitere politische Morde stattfanden, auch auf Ermordungen vor bzw. nach dem
Attentat auf Hariri ausgeweitet wurde. Im Dezember 2005 verlangte die libanesische
Regierung die Errichtung eines Gerichtshofes mit internationalem Charakter. Das STL wurde
schließlich im Mai 2007 durch die Resolution 1757 eingerichtet und nahm im März 2009 seine
Tätigkeit als unabhängiger Gerichtshof – kein UN-Gerichtshof – auf. Eine der ersten
Handlungen des neu geschaffenen Tribunals war die Freilassung von vier libanesischen
Generälen aus Mangel an Beweisen. Heute sind fünf Hisbollah-Mitglieder – nicht die
Organisation per se – in absentia angeklagt. Der Prozess begann im Juni 2014. Seit November
2014 werden Zeugen befragt, unter anderem zum politischen Klima vor dem Hariri-Mord.
Harrer strich hervor, dass das Sondergericht für den Libanon im internationalen Kontext einen
Sonderfall darstellt. Zum einen ist die Schaffung des STL ein Novum – begonnen mit dem
Ansuchen eines Staates und geschaffen durch den UN - Sicherheitsrat – sowie auch worüber
verhandelt wird. Normalerweise verhandelt ein internationaler Gerichtshof über Verbrechen
wie Genozid oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dies ist beim STL nicht der Fall.
Der Libanon im Rahmen der iranischen Regionalpolitik
Walter Posch ging auf die Beziehungen zwischen dem Libanon und dem Iran ein, welche bis
ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Der Iran spielte bei der Schiitisierung des Zedernstaates
eine tragende Rolle. Daraus lässt sich quasi eine historische Verantwortung ableiten, die das
Engagement des Iran für den Libanon bzw. eine libanesische Organisation wie die Hisbollah
legitimieren soll.
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Die Beziehungen des iranischen Islamismus zum Libanon gehen auf die 1930er Jahre zurück.
In den 1960er Jahren gingen Anti-Imperialisten bzw. Anti-Kolonialisten aller Couleur in den
Libanon, um in palästinensischen Lagern eine militärische Ausbildung zu absolvieren. Dies
blieb auch dem iranischen Kaiserhaus nicht verborgen, wodurch es seine militärischen
Nachrichtendienste im Libanon ausweitete.
Neben der Hisbollah im Libanon gab es zahlreiche Ableger in anderen Ländern der Region. Das
Konzept der Hisbollah ging allerdings nur im Libanon auf und war stark um eine Person
zentriert, welche die Organisation von einer Terrororganisation in eine Miliz umgewandelt hat.
Die Hisbollah im Libanon ist heute aufgrund der Beziehungen zum Iran jedoch stark isoliert.
Nach dem Tod Ayatollah Khomeinis schlug der Iran, welcher ständig in Konkurrenz zu SaudiArabien steht, eine neue Außen- und Sicherheitspolitik ein. Dem Islam kommt dabei große
Bedeutung zu. In der Region stellt der Iran einen islamistisch legitimierten Führungsanspruch,
verhält sich auf internationaler Ebene oftmals jedoch wie ein Dritte Welt Land. Die Mischung
aus islamistischer und nationalistischer Politik beruht auf der Idee einer anti-imperialistischen
Widerstandsachse. Die Kooperation zwischen Iran, Syrien, Hamas und Hisbollah wird mit der
islamistischen Interpretation der Palästinenserfrage und mit dem Widerstand gegen Israel
legitimiert. Diese Achse, die auf Propaganda und Nachrichtendiensten beruht, ist jedoch
brüchig. Posch fasste zusammen, dass der Iran tief in die Konflikte der Region, vor allem in
Syrien, verwickelt ist.
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