b 20 w w w. b i o s c i e n t i a . d e Labor bericht Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose Stand: M a i 2 013 Die Lyme-Borreliose ist eine infektiöse Multisystemerkrankung, die sich am häufigsten an Haut, Gelenken und Nervensystem manifestiert. Erreger sind Schraubenbakterien der Gattung Borrelia, die durch Schildzecken übertragen werden. Erreger und Infektionsweg Klinik Der Begriff der Lyme-Borreliose geht auf die Stadt Lyme in Connecticut/USA zurück, in der Mitte der 70er Jahre gehäuft Kinder mit rheu­matischen Beschwerden beobachtet wurden. Der Schweizer Zeckenforscher Willy Burgdorfer entdeckte als auslösendes Agens 1982 eine Borrelienspezies, die ihm zu Ehren als Borrelia burgdorferi bezeichnet wurde. Der natürliche Verlauf der Lyme-Borreliose (d. h. ohne antibiotische Therapie) kann sehr variabel sein. Die klinischen Bilder werden in Früh- (Stadium 1 und 2) sowie Spätmanifestationen (Stadium 3) eingeteilt. Die Lyme-Borreliose kann in jedem Stadium erstmalig symptomatisch werden und muss nicht zwangsläufig alle Folgestadien durchlaufen. Borrelien sind Gram-negative, etwa 10–30 µm lange, 0,2–0,25 µm breite, gewundene und bewegliche Bakterien, die wie die Erreger der Syphilis und der Leptospirose zu den Spirochäten gezählt werden. Grundsätzlich kann jedes der klinischen Bilder isoliert, aber auch in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. In den meisten Fällen ist die Infektion selbstlimitierend. Auf der anderen Seiten hat B. burgdorferi sensu lato eine ausgeprägte Fähigkeit – selbst nach antibiotischer Therapie – im Gewebe zu persistieren, wobei klinische Symptome fehlen können. Die Lyme-Borreliose ist eine entzündliche Multisystemerkrankung, die durch eine Infektion mit verschiedenen Spezies des Genus Borrelia verursacht wird, die zum Komplex B. burgdorferi sensu lato gehören. Die Erkrankung ist in den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel endemisch verbreitet und tritt in Höhenlagen unter 1000 m in Europa flächendeckend auf. In Nordamerika wird die Lyme-Borreliose nur durch die Spezies B. burgdorferi sensu stricto ausgelöst, während in Europa die mit Hautmanifestationen bzw. neurologischer Symptomatik assoziierten Spezies B. afzelii und B. garinii, seltener B. burgdorferi sensu stricto sowie in Einzelfällen B. spielmannii, B. valaisiana, B. lusitaniae und B. bisetti gefunden werden. Die Übertragung der Lyme-Borreliose erfolgt in der Regel durch den Stich einer Zecke (in Deutschland durch den „Holzbock“, Ixodes ricinus), sehr selten durch den Stich fliegender Insekten wie Stechmücken oder Bremsen. Das Infektionsrisiko für den Menschen steigt mit zu­ nehmender Saugdauer der Zecke; bei nur kurzzeitigem Anhaften (< 8 h) ist die Gefahr einer Borrelieninfektion gering. Die Zecke muss in der Regel 16–24 Stunden Blut saugen, um Borrelien zu übertragen. 1 Zecken sind gebietsabhängig zu 5–35 % infiziert, wobei adulte Zecken im Durchschnitt zu 20 %, Nymphen zu 10 % und Larven nur zu etwa 1 % Borrelien aufweisen. Nach dem Stich einer Borrelien-infizierten Zecke ist in 0,3–1,4 % mit einer klinischen Manifestation zu rechnen, während in 2,6–5,6 % eine Serokonversion (inapparente Infektion) auftritt. Borrelienspezifische Antikörper finden sich je nach Region und Altersgruppe in Deutschland bei 5–25 % der gesunden Personen. Frühmanifestationen finden sich gehäuft von Frühsommer bis Herbst, Spätmanifestationen treten dagegen ganzjährig auf. Die häufigste Frühmanifestation und Leitsymptom der Lyme-Borreliose ist das Erythema (chronicum) migrans (Stadium 1). Gelegentlich kommt es wenige Tage bis Wochen nach der Borrelieninfektion zu Allgemeinsymptomen wie Abgeschlagenheit, Muskel- und Gliederschmerzen, subfebrilen Temperaturen oder Nachtschweiß. Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich (das Erythema migrans tritt nur in etwa 50 % der akuten Neuroborreliosefälle auf) kann eine Ausbreitung der Borrelien in andere Organe, am häufigsten in das ZNS, die Gelenke oder den Herzmuskel, folgen (Stadium 2). In seltenen Fällen kommt es nach Monaten bis Jahren zu einer späten bzw. chronischen Manifestation mit Beteiligung der Haut, des Nervensystems und der Gelenke (Stadium 3). Seltener sind andere Organe betroffene wie z. B. die Augen (Uveitis, Panophthalmitis, retinale Blutungen, Keratitis), die Muskulatur (Myositis, Enthesopathie) oder die Leber (Hepatitis). Die Entität eines „Post-Lyme-Disease-Syndroms“ mit unspezifischen Beschwerden ist nicht belegt. Aufgrund der hohen Prävalenz positiver Borrelienserologien in Endemiegebieten und der Häufigkeit unspezifischer Symptome ist eine entsprechende Koinzidenz vorgezeichnet. Gegen einen kausalen Zusammenhang sprechen sowohl klinische Verlaufsuntersuchungen als auch epidemiologische Studien, die darauf hinweisen, dass unspezifische Beschwerden nach einer Lyme-Borreliose nicht häufiger auftreten als bei Kontrollpersonen bzw. nach anderen Erkrankungen. Manifestationen Notwendige Hauptkriterien Unterstützende Kriterien Erythema (chronicum) migrans Sich vergrößernder, rötlicher oder bläulich-roter Fleck, häufig mit zentraler Abblassung; Rand deutlich abgesetzt, intensiver gefärbt aber nicht merklich erhaben; um die Inokulationsstelle lokalisiert oder (selten) disseminiert Zeckenstich in der Regel an gleicher Stelle vorausgehend BorrelienLymphozytom (seltene Manifestation) Schmerzlose bläulich-rote Knoten oder Plaques, gewöhnlich an Ohrläppchen, Ohrmuschel, Brustwarze oder Skrotum lokalisiert (häufiger bei Kindern – insbesondere am Ohr – als bei Erwachsenen Gleichzeitig bestehendes oder vorangegangenes Erythema (chronicum) migrans Acrodermatitis chronica atrophicans Lange bestehende rote oder bläulich-rote Hautveränderung, gewöhnlich an den Streckseiten von Extremitäten. Anfänglich teigige Hautschwellungen, die später atrophieren. Über Knochenvorsprüngen Hautindurationen möglich. Lyme-Karditis Akut einsetzender AV-Block (II.–III. Grades), Rhythmusstörungen, manchmal Myokarditis oder Pankarditis. (Eine Zeckenexposition wird vorausgesetzt unabhängig davon ob ein Zeckenstich nachweislich vorausgegangen ist) Frühe Neuroborreliose Gleichzeitig bestehendes oder vorangegangenes Erythema (chronicum) migrans Schmerzhafte Meningo-Radikuloneuritis mit oder ohne Fazialislähmung oder Lähmung anderer Hirnnerven (Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom). Bei Kindern meist Meningitis, isolierte einseitige (manchmal beidseitige) Fazialis-Lähmung oder Lähmung anderer Hirnnerven Chronische Neuroborreliose (sehr selten) Lange bestehende Enzephalitis, Meningoenzephalitis, Enzephalomyelitis, Radikulomyelitis Lyme-Arthritis 1. Wiederkehrende, kurze Attacken von objektiver Gelenkschwellung in einem oder wenigen großen Gelenken, gelegentlich zu chronischer Arthritis führend und Vorgeschichte einer anderen Manifestation der Lyme-Borreliose während des vorausgegangenen Jahres und Ausschluss anderer Ursachen der klinischen Symptomatik oder 2. Wiederkehrende, kurze Attacken von objektiver Gelenkschwellung in einem oder wenigen großen Gelenken, gelegentlich zu chronischer Arthritis führend ohne Vorgeschichte einer gesicherten klinischen Manifestation der Lyme-Borreliose Tab.1 Klinische Kriterien für die Diagnose der Lyme-Borreliose unter Berücksichtigung der „EUCALB clinical case definitions for Lyme borreliosis“ 2 Außerdem hat die Lyme-Borreliose, abgesehen von wenigen Ausnahmen, eine günstige Prognose. Entsprechend konnte gezeigt werden, dass diese unspezifischen Beschwerden nach behandelter akuter Lyme-Borreliose nicht auf eine erneute Antibiotikabehandlung ansprechen. Manifestationen Bei einem vermeintlichen „Post-Lyme-Disease-Syndrome“ oder bei Verdacht auf eine chronische LymeBorreliose mit unspezifischen Beschwerden sollte in erster Linie eine ausführliche Differenzialdiagnostik erfolgen (DD depressive Störung, Autoimmunerkrankung, chronische Infektion anderer Ätiologie, andere internistische chronische Erkrankung, Alkohol- oder Drogenabusus). Notwendige Hauptkriterien Unterstützende Kriterien Erythema (chronicum) migrans Keine Kultureller oder Nuklein­säureNachweis von B. burgdorferi aus einer Hautbiopsie, signifikanter Anstieg spezifischer Antikörper oder Nachweis spezifischer IgM-Antikörper BorrelienLymphozytom (seltene Manifestation) Nachweis von Antikörpern gegen B. burgdorferi im Serum (IgG- und/oder IgM) oder signifikanter Anstieg des IgG-Antikörpertiters gegen B. burgdorferi Histologischer Nachweis eines B-Zell-Pseudolymphoms Acrodermatitis chronica atrophicans Hohe Konzentration spezifischer IgG-Antikörper im Serum oder charakteristischer histologischer Befund und kultureller oder Nukleinsäure-Nachweis von B. burgdorferi aus einer Hautbiopsie Lyme-Karditis Nachweis von IgG- und IgM-Antikörpern gegen B. burgdorferi im Serum oder signifikanter Anstieg des IgG-Antikörpertiters gegen B. burgdorferi oder kultureller oder Nukleinsäure-Nachweis von B. burgdorferi aus einer Herzbiopsie Frühe Neuroborreliose Lymphozytäre Pleozytose im Liquor plus entweder Nachweis intrathekal gebildeter spezifischer Antikörper oder kultureller oder Nukleinsäure-Nachweis von B. burgdorferi aus Liquor Spezifische oligoklonale Banden im Liquor, signifikanter Anstieg spezifischer Antikörper im Serum Chronische Neuroborreliose (sehr selten) Lymphozytäre Pleozytose im Liquor und Nachweis intrathekal gebildeter sowie peripherer B. burgdorferi spezifischer Antikörper Spezifische oligoklonale Banden im Liquor Lyme-Arthritis 1. Hohe Konzentration spezifischer IgG-Antikörper im Serum oder nur zusammen mit dem klinischen Hauptkriterium 2: 2. Hohe Konzentration spezifischer IgG-Antikörper im Serum und kultureller oder Nukleinsäure-Nachweis von B. burgdorferi aus Synovialflüssigkeit und/oder Synovia Tab.2 Labordiagnostische Kriterien für die Diagnose der Lyme-Borreliose unter Berücksichtigung der „EUCALB clinical case definitions for Lyme borreliosis“ 3 Diagnostik Die Lyme-Borreliose ist eine klinische Diagnose. Die Labordiagnostik ist indiziert bei allen klinischen Verdachtsbefunden, d. h. bei Vorliegen von Symptomen, die mit einer Borreliose assoziiert sein können. Je unspezifischer die Symptomatik ist, desto geringer ist der prädiktive Wert der labordiagnostischen Verfahren. Die Veranlassung einer Borrelien-Serologie bei (noch) asymptomatischen Patienten kann z. B. bei einem Zeckenstich im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit oder bei einer aus der Anamnese bekannten Borrelien-Infektion zur Bestimmung der Ausgangssituation zum Vergleich mit einer nach 4 Wochen durchgeführten Verlaufskontrolle erwogen werden. Der Kontakt mit Borrelien wird üblicherweise indirekt durch den Nachweis spezifischer IgG- und IgM-Anti­ körper im Patientenserum bestätigt. Im Rahmen einer vom Robert Koch-Institut, der Deutschen Gesellschaft für Mikrobiologie und Hygiene und dem Center of Disease Control empfohlenen Zweistufenstrategie wird als Suchtest zunächst ein Enzymimmunoassay mit hoher Sensitivität eingesetzt. Positive und grenzwertige Reaktionen sollten mittels Immunoblot (hohe Spezifität) bestätigt werden. Durch die Verwendung immundominanter, rekombinanter Antigene wie dem VLsE-Antigen und DbpA wurde die Sensitivität und Spezifität des Antikörpernachweises in den letzten Jahren deutlich verbessert. In den ersten 2 Wochen nach Infektion fällt der Nachweis spezifischer Antikörper trotz möglicherweise schon bestehender Symptomatik im Allgemeinen negativ aus. Stadium 1: 20–50 % Stadium 2: 70–90 % Stadium 3: 90–100 % In den Stadien 1 und 2 sind bei kurzer Krankheitsdauer zunächst Antikörper der Klasse IgM, bei längerer Krankheitsdauer Antikörper der Klasse IgG vor­herrschend. Im Stadium 3 findet man in der Regel nur noch Borrelien-spezifische IgG-Antikörper, ein zusätzlicher Nachweis von IgM-spezifischen Antikörpern schließt das Sta­dium 3 jedoch nicht aus. Ein isolierter IgM-Befund spricht gegen das Stadium 3. Bei Reinfektionen dominiert die IgG-Antwort während die IgM-Antwort sehr variabel ist. Die Höhe der Antikörpertiter korreliert weder mit der Schwere noch mit der Dauer der Erkrankung! Falsch-positive IgM-Antikörperbefunde sind im Rahmen einer polyklonalen Stimulation z. B. im Rahmen einer aktiven EBV-, CMV-, oder HSV-Infektion zu beobachten. Auch Antikörper gegen Treponemen können zu einer falsch-positiven Borrelienserologie führen. Im Immunoblot finden sich als Ausdruck der zunächst oligoklonalen Immunantwort initial nur wenige Banden, in fortgeschrittenen Stadien dann ein breitgefächertes Bandenmuster. Für die Auswertung wurden Interpretationskriterien für GanzzellLysat-Immunoblots wie für Immunoblots mit rekombinanten Antigenen von der DIN und der Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie festgelegt. Bei früh einsetzender Therapie kann die Bildung von spezifischen Antikörpern vollständig unterdrückt werden. Andererseits können bereits gebildete Antikörper (auch IgM-Antikörper) nach sanierender antibiotischer Therapie zum Teil über Jahre persistieren. Da zudem die individuellen Titerverläufe beträchtlichen Schwankungen unterliegen, kann der Erfolg einer antibiotischen Therapie nur klinisch, nie serologisch beurteilt werden. Bei diagnostisch unklaren Fällen (z. B. bei Immundefizienz, in atypische Hautläsionen, im Liquor bei Ver­ dacht auf Neuroborreliose ohne Nachweis intrathekaler Antikörper oder im Gelenkpunktat bei Verdacht auf Lyme-Arthritis) kann jedoch auch der aufwändigere direkte Erregernachweis mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder Anzucht erfolgen. Folgende Punkte sind bei der Interpretation von Enzymimmunoassay und Immunoblot zu beachten: Die Sensitivität eines positiven Antikörpernachweises steigt abhängig vom klinischen Erkrankungsstadium an: 4 1. Stufe Suchtest: IgG- und IgM-ELISA (Verdacht auf Neuroborreliose: Tagesgleich entnommenes Liquor/Serum-Paar zur Beurteilung von IgG- und IgM-Antikörperspezifitätsindizes, Blut/Liquorschrankenstörung und Pleozytose) positiv grenzwertig negativ 2. Stufe Bestätigungstest: IgG- und IgM-Immunoblot positiv grenzwertig negativ positiver serologischer Befund grenzwertiger serologischer Befund negativer serologischer Befund Hauptkriterium Labor erfüllt Abb. 1 Stufendiagnostik Borreliose 5 Negativer serologischer Befund Bei weiter bestehendem klinischen Verdacht: serologische Verlaufskontrolle zusätzliche serologische Verfahren Bei kurzer Krankheitsdauer serologische Verlaufskontrolle Neuroborreliose Borrelien-DNA-Nachweis in Zecken Der Verdacht auf eine Neuroborreliose wird durch das Vorliegen typischer klinischer Symptome gestellt und sollte durch die serologische Untersuchung eines tagesgleich entnommenen Liquor-/Serum-Paares und klinisch-chemische Laboruntersuchungen zum Nachweis einer Pleozytose und/oder einer Schrankenstörung untermauert werden. Zur Prävention einer Borreliose gehört auch die abendliche Inspektion der Haut nach Aufenthalt in einem Endemiegebiet für Zecken. Die mit Pinzette, einer Zeckenschlinge oder -karte entfernten Zecken lassen sich mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) auf ihren Borrelien-DNA-Gehalt untersuchen. Entzündliche Liquorveränderungen sind bei jeder Neuroborreliose zu erwarten, wobei die Detektionsrate der intrathekalen Immunantwort ansteigend mit zunehmender Krankheitsdauer bei 80–90 % liegt. In Ausnahmefällen (z. B. immunsupprimierte Patienten) kann die Infektion durch den kulturellen oder molekularen (PCR) Nachweis der Borrelien gesichert werden, wobei die Sensitivität dieser Verfahren bei der akuten Neuroborreliose nur bei 10–30 % liegt. Bei kurzer Krankheitsdauer (oft noch seronegative Patienten) ist von einer höheren Sensitivität des Erregernachweises auszugehen als bei langer Krankheitsdauer. Die Sicherung der spezifischen intrathekalen Antikörpersynthese erfolgt durch Ermittlung des so genannten Antikörper-Spezi­fitäts-Index (ASI), der den erregerspezifischen Immunglobulinanteil am Gesamtimmunglobu­lin in Liquor und Serum vergleicht. Dafür werden tagesgleich entnommene Liquor- und Serumproben benötigt. Die Konstellation einer positiven Borrelien-spezifischen intrathekalen Antikörperproduktion ohne Liquorpleozytose oder Blut-/Liquor-Schrankenstörung spricht für eine früher durchgemachte Neuroborreliose ohne aktuelle Krankheitsaktivität. Bei kurzer Krankheitsdauer oder isolierter Fazialisparese kann die intrathekale Immunantwort fehlen. Umgekehrt sind jedoch auch Fälle mit intrathekaler IgMSynthese ohne systemische Antikörperproduktion beschrieben. Ein negativer Serumbefund schließt also eine Neuroborreliose nicht aus. Durch diese Untersuchung kann bereits direkt nach dem Zeckenstich das Risiko einer möglichen Infektion durch die fragliche Zecke abgeschätzt werden. Bei einem negativen Untersuchungsergebnis sollte man jedoch daran denken, dass bei bestehendem Verdacht einer Borrelieninfektion die sorgfältige klinische Beobachtung erforderlich ist, denn es können weitere unbemerkte Stiche durch andere Zecken stattgefunden haben. Insbesondere sollte bei einem positiven Testergebnis auf klinische Manifestationen in den kommenden Wochen geachtet werden. Eine Übertragung von Borrelien und die immunologische Auseinandersetzung des Körpers kann in der Regel nach 4 Wochen durch eine Verlaufskontrolle anhand einer Serokonversion festgestellt werden. In Hochendemiegebieten in den USA reduzierte eine Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin (1 x 200 mg oral innerhalb von 72 Stunden nach Zeckenstich) die Inzidenz des Erythema (chronicum) migrans. Weitere Verfahren Der Antigennachweis aus Körperflüssigkeiten, die PCR aus Serum oder Urin, die komplementbindungsreaktion (mangelnde Sensitivität), der Lymphozytentransformationstest (LTT) oder der „Visual Contrast Sensitivity Test“ (VCS-Test) werden weder von der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie noch von der Expertenkommission Neuroborreliose befürwortet. Beim LTT wird die Stimulierbarkeit von Lymphozyten durch Borrelienantigene gemessen, wobei insbesondere Bedenken bezüglich der Spezifität dieses Tests (falsch-positive Befunde) bestehen. Im VCS-Test soll durch die Messung des Erkennens von Grautönen indirekt ein lipophiles Neurotoxin von Borrelien nachgewiesen werden. Weder eine Rationale noch ein Nutzen des VCS sind belegt. 6 Therapie Jede klinische Manifestation der Lyme-Borreliose sollte antibiotisch behandelt werden. Je früher die Therapie erfolgt, desto wahrscheinlicher werden Spätmanifestationen verhindert. Der klinische Therapieerfolg fällt in den frühen Stadien am deutlichsten aus, auch die Antikörpertiter sinken – nach erfolgreicher Therapie – bei Frühmanifestationen üblicherweise rascher als bei Spätmanifestationen. Tetrazykline sind bei Kindern unter 10 Jahren, sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert. Ceftriaxon und Cefuroxim sollten mit Vorsicht im ersten Schwangerschaftsdrittel verabreicht werden. Mittel der Wahl sind hier Amoxicillin und Penicillin. Die Dosierung sollte generell gewichtsadaptiert erfolgen. Wenn möglich sollte Doxycyclin eingesetzt werden (Ausnahmen: Kinder unter 8 Jahren und Schwangere). Bei Vorliegen einer Allergie gegen Doxycyclin und Amoxicillin ist Cefuroximaxetil als Mittel der 3. Wahl und Erythromycin oder andere Makrolide als Mittel der 4. Wahl anzusehen. Frühe Manifestationen bei Kindern unter 8 Jahren z. B. Erythema (chronicum) migrans Medikament Amoxicillin Langzeit- und Dauerbehandlungen mit Antibiotika sind nicht zu empfehlen. Dosierung [mg] 3 x 250 oder 50 pro kg in 3 Dosen Gabe Dauer oral 14–21 Tage Bei Allergie gegen Amoxicillin: Frühe Manifestationen z. B. Erythema (chronicum) migrans (AV-Block Grad 1, P-R-Intervall > 0,3 Sekunden) Medikament Doxycyclin Amoxicillin Dosierung [mg] 2 x 100 3 x 500 Gabe oral oral Dauer 2 x 125 oral 14–21 Tage Erythromycin 3 x 250 oder 30 pro kg in 3 Dosen oral 14–21 Tage 14–21 Tage 14–21 Tage Bei Allergie gegen Doxycyclin oder Amoxicillin: 7 Cefuroximaxetil Cefuroxi­maxetil 2 x 500 oral 14–21 Tage Erythromycin 4 x 250 oral 14–21 Tage Bei Vorliegen einer Allergie gegen Amoxicillin ist Cefuroximaxetil als Mittel der 2. Wahl und Erythromycin oder andere Makrolide als Mittel der 3. Wahl anzusehen. Neurologische Manifestationen (Früh- und Spätsymptomatik) Arthritis Lyme-Karditis, höhergradiger AV-Block Acrodermatitis chronica atrophicans Medikament Dosierung [mg]/d Gabe Dauer Medikament Dosierung [mg]/d Gabe Dauer Ceftriaxon 1 x 2000 i. V. 14–28 Tage Doxycyclin 2 x 100 oral 30–60 Tage Cefotaxim 3 x 2000 i. V. 14–28 Tage Amoxicillin 3 x 500 oral 30–60 Tage Penicillin G 4 x 5 Mio E i. V. 14–28 Tage Ceftriaxon 1 x 2000 i. V. 14–28 Tage Cefotaxim 3 x 2000 i. V. 14–28 Tage Penicillin G 4 x 5 Mio E i. V. 14–28 Tage Bei Allergie gegen Cephalsporine oder gegen Penicillin: Doxycyclin 3 x 100 oral Chronische Neuroborreliose: Dauer der i. V. Therapie 28 Tage Neurologische Manifestationen: Optimale Therapiedauer oder Dosierung für Doxycyclin unklar Höhergradiger AV-Block: Dauer der i. V. Therapie 28 Tage keine Therapie mit Doxycyclin 14–28 Tage Prophylaxe Vermeidung von Zeckenstichen durch geeignete Kleidung. Nach Aufenthalt in Endemiegebieten Absuchen des Körpers nach Zecken und ggf. rasches Entfernen der Zecken. In Deutschland keine routinemäßige Antibiotikaprophylaxe bei asymptomatischen Patienten nach Zeckenstich. (Für Einzelfälle kann eine Doxycyclingabe erwogen werden, z. B. bei multiplen Zeckenstichen, sehr ängstlichen Menschen oder nach Zeckenstich in Hochendemiegebieten). Beobachtung der Stichstelle auf Hautveränderungen über mehrere Wochen. 8 Literatur 1. DIN 58969–44:2005–07. (2005) Medizinische Mikrobiologie – Serologische und molekularbiologische Diagnostik von Infektionskrankheiten – Teil 44: Immunoblot (IB); Spezielle Anforderungen für den Nachweis von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi 2. Dotevall, L., L. Hagberg: Successful oral doxycycline treatment of Lyme disease-associated facial palsy and meningitis. Clin Infect Dis. (1999) Mar;28 (3):569–74. 3. Gerber, M. A., L. S. Zemel, E. D. Shapiro (1998): Lyme arthritis in children: clinical epidemiology and long-term outcomes. Pediatrics 102, 905–908. 4. Hammers-Berggren, S., K. Hansen, A. M. Lebech, M. Karlsson (1993): Borrelia burgdorferi-specific intrathecal antibody production in neuroborreliosis: a follow-up study. Neurology 43, 169–175. 5. Hansen, K., A. M. 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Markus Nauck Autoren Dr. med. Matthias A.Horstkotte Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Facharzt für Laboratoriumsmedizin Dr. von Froreich - Bioscientia Medizinisches Labor, Hamburg PD Dr. med. Lütje J. Behnken Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Laboratoriumsmedizin Redaktion Nadja Franzen www.bioscientia.de