11 Nr. 2/2012 Mirtazapin – das etwas andere Antidepressivum Systematischer Review der Cochrane Collaboration Mirtazapin erweist sich auch in einem systematischen Review als Antidepressivum mit Sonderstellung hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkungen. Das Antidepressivum Mirtazapin nimmt für sich eine Reihe besonderer Eigenschaften in Anspruch. Die Substanz blockiert zentrale präsynaptische a2-Rezeptoren und führt so zur Hemmung verschiedener Koppelungs- und negativer Feedbackmechanismen, die normalerweise die Freisetzung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin hemmen. Gemäss Tierversuchen bewirkt Mirtazapin eine gesteigerte zentrale Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin. Daneben hemmt der Wirkstoff die Serotoninrezeptoren vom Typ 5-HT2 und 5-HT3, nicht aber jene vom Typ 5-HT1. Dadurch verstärkt sich die Serotoninwirkung am Rezeptor Typ 5-HT1, weshalb Mirtazapin als «spezifisch serotonerg» gilt. Klinisch äussert sich die starke Hemmwirkung auf den Histamin-1-(H1-)Rezeptor in deutlich sedierenden Eigenschaften. Da Mirtazapin im Gegensatz zu manchen anderen Antidepressiva nur eine geringe Affinität zu cholinergen Neuronen aufweist, sind entsprechende spezifische (Mund- trockenheit, Akkommodationsstörungen, Harnverhalt) respektive kardiovaskuläre Nebenwirkungen gering. Der vorliegende Cochrane-Review wollte die Evidenz für die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Mirtazapin im Vergleich zu anderen Antidepressiva untersuchen. Die Autoren suchten in ihren eigenen (Cochrane Collaboration Depression, Anxiety and Neurosis Review Group’s Specialised Register [CCDANCTR]) und den üblichen Quellen nach relevanten Publikationen und beschränkten ihre Suche nicht nur auf englischsprachige Artikel. Berücksichtigt wurden randomisierte kontrollierte Studien (RCT), in denen Patienten mit Major Depression entweder Mirtazapin oder irgendein anderes Antidepressivum erhalten hatten. Primärer Endpunkt war das Ansprechen auf die Behandlung, sekundäre Endpunkte umfassten Drop-outs und individuelle unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Für die Metaanalysen verwendeten die Autoren ein Random-effects-Modell. Ergebnisse Insgesamt wurden 29 RCT mit 4974 Patienten eingeschlossen. In den Studien waren die Teilnehmerinnen und Teilneh- mer an ambulanten Einrichtungen meistens für 6 Wochen beobachtet worden und oft war die Berichterstattung über Bias-Risiken inadäquat, wie die Autoren bemängeln. In 10 Studien mit 1533 Patienten ergab der Vergleich von Mirtazapin mit trizyklischen Antidepressiva keine robuste Evidenz für einen Unterschied im klinischen Ansprechen auf die Therapie nach 2 Wochen (Odds Ratio [OR] 0,85, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,64–1,13) respektive am Ende der Akutphasenbehandlung nach 6 bis 12 Wochen (OR 0,89, 95%-KI 0,72–1,10). Im Vergleich zu selektiven Serotoninwiederaufnahme-Hemmern (SSRI) hingegen war Mirtazapin in 12 Studien mit 2626 Patienten signifikant effektiver sowohl nach 2 Wochen (OR 1,57, 95%-KI 1,30–1,88) wie auch zu Behandlungsende (OR 1,19, 95-KI 1,01–1,39). Mirtazapin war in 2 Studien mit 415 Patienten auch signifikant effektiver als der Seronotinin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNI) Venlafaxin, dies ebenso nach 2 Therapiewochen (OR 2,29, 95%-KI 1,45–3,59) wie am Ende der akuten Behandlungsphase (OR 1,53, 95%-KI 1,03–2,25). Hinsichtlich des Ausscheidens aus den Behandlungsstudien ergab sich keine ro- buste Evidenz für Unterschiede zwischen Mirtazapin und anderen Antidepressiva. Mirtazapin verursachte eher eine Gewichts- beziehungsweise Appetitzunahme oder Somnolenz als SSRI, war aber weniger häufig Ursache für Nausea, Erbrechen oder sexuelle Funktionsstörungen. Schlussfolgerungen «Zwischen Mirtazapin und anderen Antidepressiva fanden wir in der Akutphasenbehandlung der Major Depression einige statistisch signifikante und möglicherweise klinisch bedeutsame Unterschiede», resümieren die Autoren. Mirtazapin besitzt eine grössere Wahrscheinlichkeit für einen gegenüber SSRI rascheren Wirkungseintritt. Drop-outs kommen unter Mirtazapin ähnlich häufig vor wie unter anderen Antidepressiva. Das Nebenwirkungsprofil dieser Substanz ist hingegen einzigartig. ◆ Halid Bas Watanabe N. et al.: Mirtazapine versus other antidepressive agents for depression. Cochrane Datase of Sytematic Reviews 2011, Issue 12. Art. No.: CD006528. DOI: 10.1002/4651858. CD006528.pub2. Interessenkonflikte: keine