Überwindung von zellulären Mechanismen der

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Überwindung von zellulären Mechanismen der Pharmakoresistenz
bei chronischer Epilepsie
Zusammenfassung der Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der
Hohen Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
von Anna Maria Döser
Einleitung
Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Sie ist durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet, die erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität der
Betroffenen haben. Die zelluläre Grundlage dieser Anfälle sind hochfrequente,
synchrone Entladungen von Nervenzellverbänden. Ziel einer antiepileptischen
Therapie ist es, diese Entladungen und damit das Auftreten von Anfällen durch
Hemmung erregender Prozesse oder durch die Stärkung hemmender Modulation zu
unterdrücken. Trotz sorgfältiger medikamentöser Therapie bleibt ein substantieller
Anteil der Patienten (~ 30 %) therapieresistent. Ein besseres Verständnis der
zellulären
Prozesse
bei
epileptischen
Anfällen,
deren
Beeinflussung
durch
antiepileptische Medikamente, sowie die Mechanismen des Wirkverlusts dieser
Medikamente
sind
daher
wesentliche
Schwerpunkte
der
epileptologischen
Grundlagenforschung.
Eine
große
Gruppe
von
Antiepileptika
wirkt
über
eine
Hemmung
spannungsabhängiger Natriumkanäle von Nervenzellen. Diese bestehen strukturell
aus einer porenbildenden α Untereinheit und akzessorischen β Untereinheiten, die
eine wichtige Funktion als Zelladhäsionsmoleküle u.a. bei der Regulierung der
Zellmigration und Transkription der α Untereinheiten ausüben (Brackenbury und Isom,
2008) und darüber hinaus die Spannungsabhängigkeit der Kanalöffnung beeinflussen
(Isom et al., 1994). Öffnen sich Natriumkanäle, entsteht ein Natriumstrom. Während
der schnelle Natriumstrom (INaT) vor allem bei der Generierung von Aktionspotenzialen
eine entscheidende Rolle spielt, findet sich daneben noch eine kleine, nicht
inaktivierende Komponente des Natriumstroms, der persistierende Natriumstrom
(INaP). Dieser wird schon in negativeren Spannungsbereichen als INaT aktiviert, so dass
ihm eine wichtige Rolle bei der Modulation unterschwelliger Membranerregung
eingeräumt wird (Magistretti und Alonso, 1999). So ist INaP unter anderem dazu in der
Lage, die neuronale Reaktion auf afferente Signale zu amplifizieren und so repetitive
Entladungen in Neuronen zu verstärken (Stafstrom, 2007). Aufgrund der Tatsache,
dass schon ein marginaler Anstieg des Natriumstroms zu einer dramatischen
Veränderung des Feuerverhaltens führen kann, gerät INaP neben INaT in den Fokus der
Epilepsieforschung.
Die Wirkmechanismen von natriumkanalwirksamen Antiepileptika auf INaT sind in der
Literatur recht gut beschrieben. Als einer der wesentlichen Mechanismen wird die Erholungsverzögerung aus der Kanalinaktivierung durch klassische Substanzen wie
beispielsweise Carbamazepin (CBZ) betrachtet. CBZ bindet vorzugsweise an
Kanäle, die durch Depolarisation in ein inaktiviertes Stadium überführt wurden. Dies
führt dazu, dass insbesondere hochfrequente Entladungen, wie sie bei epileptischen
Anfällen
zu
beobachten
sind,
unterdrückt
werden.
Vorarbeiten
unserer
Arbeitsgruppen haben gezeigt, dass gerade dieser Effekt auf die Erholung aus der
Inaktivierung bei vielen Patienten mit therapieresistenter Epilepsie, ebenso wie im
Tiermodell für Epilepsie, aufgehoben oder vermindert ist (Remy et al., 2003a, 2003b).
Jüngere Arbeiten zeigen darüber hinaus eine starke durch CBZ induzierte Reduktion
des INaP. In Tieren, denen eine akzessorische Untereinheit des Natriumkanals, die β 1
Untereinheit (SCN1B), fehlt, ist dieser Effekt paradoxerweise umgekehrt. Die daraus
resultierende erhöhte Natriumleitfähigkeit im unterschwelligen Bereich und somit
erregungsfördernde Wirkung von CBZ führt dazu, dass repetitive Entladungsserien
nicht mehr blockiert werden können (Uebachs et al., 2010). Dies ist besonders
interessant, da eine verminderte Expression dieser Untereinheit in Tiermodellen für
Epilepsie
beobachtet
wird
(Ellerkmann
et
al.,
2003).
Mutationen
der
β1
Untereinheiten wurden auch in Patienten mit genetischen Epilepsiesyndromen, wie
dem GEFS+ (generalized epilepsy syndrome with febrile seizures plus; Wallace et
al., 1998) und dem SMEI (severe myoclonic epilepsy of infancy), auch als Dravet’s
Syndrom bekannt, beobachtet (Patino et al., 2009). Darüber hinaus wurde im in-vitro
Versuch beschrieben, dass eine SCN1B Mutation zu einem Wirkverlust von
Phenytoin, einem weiteren klassischen natriumkanalwirksamen Antiepileptikum, führt
(Lucas et al., 2005). In der Bilanz erscheint die β1 Untereinheit als ein
vielversprechender Kandidat
für
die
Suche
nach
Faktoren,
die
zu
einer
Pharmakoresistenz bei einigen Patienten führen.
Zur Überwindung von Resistenzen werden neue Substanzen als Therapieoptionen für
Patienten erprobt, bei denen bislang keine befriedigende Anfallskontrolle erzielt
werden konnte. Diese sind häufig Derivate etablierter Antiepileptika (Bialer und White,
2010). Eslicarbazepinacetat (ESL) ist eine solche Substanz, die seit 2009 für die
Kombinationstherapie für Erwachsene bei Epilepsien mit fokalen und sekundär
generalisierten Anfällen auf dem europäischen Markt zugelassen ist. ESL wird
weitgehend zum aktiven Metaboliten Eslicarbazepin (S-Lic) umgewandelt (Bialer und
Soares-da-Silva,
2012).
Es
handelt
sich
hierbei
wie
bei
CBZ
um
einen
Natriumkanalblocker. In der ersten Studie haben wir untersucht, ob S-Lic in SCN1B
defizienten Mäusen ähnlich wie CBZ über einen paradoxen Effekt auf den
persistierenden Natriumstrom einen Wirkungsverlust auf das Feuerverhalten aufweist
oder diesen putativen Resistenzmechanismus überwinden kann.
In der zweiten Studie haben wir systematisch die Wirkung von CBZ und S-Lic auf
Natriumkanäle sowohl in operativ entnommenem hippokampalem Gewebe von
Patienten,
die
klinisch
einer
antiepileptischen
Behandlung
gegenüber
pharmakoresistent sind, als auch in einem Tiermodell für chronische Epilepsie
untersucht.
Substanzen, die das Fortschreiten einer Epilepsie verhindern, d.h. antiepileptogen wirken, gewinnen neben antiepileptischen Therapien immer mehr an Bedeutung in der
Epilepsieforschung (Pitkänen, 2010). In in-vivo und in-vitro Experimenten im Rahmen
der zweiten Studie haben wir die antiepileptogene Eigenschaften von ESL untersucht.
Methoden
Wir
untersuchten
die
Effekte
von
S-Lic
mittels
Patch-Clamp-Technik
an
hippocampalen CA1 Neuronen und Körnerzellen des Gyrus dentatus. Für die erste
Studie generierten wir Knockout-Mäuse, die entweder keine β1 oder β2 Untereinheiten
des Natriumkanals exprimieren und eine Wildtyp-Kontrollgruppe. Die Experimente der
zweiten Studie wurden an operativ gewonnenem, menschlichem Gewebe sowie im
Tiermodell für Epilepsie an Mäusen und Ratten durchgeführt. INaP und INaT wurden in
akut isolierten Neuronen mit langsamen Spannungsrampen im Voltage-Clamp-Modus
ausgelöst. Repetitive Entladungsserien wurden im Current-Clamp-Modus im intakten
Hirnschnitt gemessen. Wir applizierten lange Strominjektionen (500 ms) zur
Untersuchung von repetitiven Entladungen und einzelnen Aktionspotenzialen und
kleine Strominjektionen zur Untersuchung unterschwelliger Depolarisation und
passiver Membraneigenschaften. Alle Messungen führten wir sowohl vor und während
der Applikation von Eslicarbazepin, als auch nach Auswaschen der Substanz durch.
Um die antiepileptogenen Eigenschaften von ESL zu untersuchen, wurden Mäuse
nach der Induktion von Epilepsie zeitweise mit ESL per os therapiert. Der Effekt von
ESL auf die Entwicklung einer chronischen Epilepsie wurde mittels EEG Monitoring,
Verhaltenstests und neuropathologischen Färbungen eruiert.
Ergebnisse
In β1- oder β2- Mäusen sowie Wildtyp-Mäusen verminderte Eslicarbazepin signifikant
die Leitfähigkeit des INaP. Einen paradoxen Effekt und somit eine erhöhte
Natriumleitfähigkeit im unterschwelligen Bereich in β-Knockout-Mäusen, wie wir ihn
für CBZ (Uebachs et al., 2010) beobachtet hatten, konnten wir ausschließen. Ebenso
verringerte Eslicarbazepin signifikant das Entladungsverhalten hippocampaler CA1
Neurone und die Aktionspotentialfrequenz sowohl im Wildtyp-, als auch im KnockoutTiermodell. Im humanen Gewebe und experimentellen Tiermodell zeigte S-Lic
konstante Effekte auf die Erholungsverzögerung aus der Inaktivierung mit
signifikanten zusätzlichen Effekten zu CBZ. Interessanterweise erwies sich ESL als
Substanz mit starken antiepileptogenen Effekten. Die EEG-Aufzeichnungen der
epileptischen Mäuse zeigten einen Rückgang der Anfallsaktivität in der chronischen
Phase.
Neuropathologisch
zeigten
sich
mikroskopisch
ein
Rückgang
der
Moosfaserproliferation und ein verminderter Neuronenverlust als morphologisches
Korrelat.
Diskussion
In unseren Studien haben wir systematisch die Wirkung des neuen antikonvulsiven
Medikaments Eslicarbazepin auf zellulärer Ebene sowohl im chronisch epileptischen
Tiermodell der Maus und der Ratte, als auch in Hirngewebe von Patienten mit therapieresistenter Epilepsie untersucht. Während das klassische Antikonvulsivum Carbamazepin in chronisch epileptischem neuronalen Gewebe einen Wirkverlust auf die
Erholungsverlängerung aus der Inaktivierung und auf das repetitive Feuerverhalten
erfährt, konnten wir zeigen, dass Eslicarbazepin in der Lage ist, diese zellulären Mechanismen der Pharmakoresistenz zu überwinden. Eslicarbazepin zeigte bei gemeinsamer Applikation mit CBZ sogar einen zusätzlichen Effekt.
Der Wirkverlust von CBZ in chronisch epileptischem Gewebe mag unter anderem
durch eine Modifizierung der Natriumkanäle erklärbar sein. So wurde z. B. eine
verminderte
Expression
der
akzessorischen
Natriumkanaluntereinheiten
im
Tiermodell der chronischen Epilepsie gezeigt (Ellerkmann et al., 2003). In vorherigen
Studien konnte demonstriert werden, dass das Fehlen der β 1 Untereinheit zu einem
paradoxen Effekt CBZs auf INaP führt, so dass über eine erhöhte Leitfähigkeit bei
negativeren Membranpotentialen ein kompletter Verlust der Effektivität von CBZ auf
das Feuerverhalten von Neuronen resultiert (Uebachs et al., 2010). Wir konnten in
unserer Untersuchung zeigen, dass Eslicarbazepin dagegen auch in Tieren mit
fehlender β1 Untereinheit keinen Wirkverlust aufweist. Ist es möglich, dass
Eslicarbazepin
einen
anderen
Wirkmechanismus
und
Angriffspunkt
als
Carbamazepin nutzt, und so in der Lage ist, diesen putativen Mechanismus der
Pharmakoresistenz zu umgehen? Was könnte molekular für diese Diskrepanzen
zwischen der Wirkung von CBZ und Eslicarbazepin ausschlaggebend sein?
Hinsichtlich der genauen Bindungsstelle dieser beiden Substanzen gibt die Literatur
wenig Aufschluss. Eine Studie postuliert, dass sich sowohl CBZ als auch
Eslicarbazepin an den Neurotoxinrezeptor des Natriumkanals binden (Bonifácio et
al., 2001). Jedoch kann auch dies nicht erklären, welche exakte Rolle z.B. β
Untereinheiten bei der Diskrepanz der pharmakologischen Effekte dieser beiden
Substanzen spielen. Unabhängig von dem Mechanismus, der sich dahinter verbirgt,
weisen die Ergebnisse unserer Studie darauf hin, dass der Effekt von Eslicarbazepin
weder durch das Fehlen von β Untereinheiten, noch durch chronische Epilepsie
beeinflusst wird. Wie lässt sich dies auf die Klinik anwenden? Bislang suggerieren
einige klinische Studien eine Wirksamkeit von Eslicarbazepin bei Patienten, die nicht
auf CBZ ansprechen (Ben-Menachem et al., 2010; Elger et al., 2009).
Zusammenfassend zeigt sich Eslicarbazepin als eine Substanz mit einem breiteren
molekularen Wirkspektrum als CBZ, weil es weder durch ein Fehlen der β
Untereinheiten, noch durch Änderungen der Kanaleigenschaften bei chronischer
Epilepsie behindert wird. Mit der Fähigkeit, einen Kandidatenmechanismus für
Pharmakoresistenz zu überwinden, ergänzt Eslicarbazepin das Spektrum der
antiepileptischen Substanzen insbesondere für Patienten, die nicht auf herkömmliche
Antikonvulsiva ansprechen und konstituiert zur gleichen Zeit eine potente
antiepileptogene Substanz.
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