SE MODALLOGIK UND ANDERE PHILOSOPHISCH RELEVANTE LOGIKEN WS 2015/16 — ESTHER RAMHARTER & GÜNTHER EDER DER INTUITIONISMUS • Ähnlich wie in der mehrwertigen Logik wird von Intuitionisten sowohl das Bivalenzprinzip als auch das Gesetz vom Ausgeschlossenen Dritten abgelehnt. Intuitionisten haben dafür aber eine vollkommen andere Motivation! • Der Intuitionismus hat seine Wurzeln in der sogenannten Grundlagenkrise der Mathematik (Anfang 20. Jh.), vertreten vor allem von Luitzen Egbertus Jan Brouwer und richtet sich hauptsächlich gegen den mathematischen Platonismus / Realismus und dessen korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff: (Korrespondenztheorie) Ein Satz ist wahr genau dann wenn die Tatsachen so liegen wie der Satz sagt, dass sie liegen, bzw. wenn es eine Tatsache gibt, die den Satz wahr macht • Für Intuitionisten macht dieser klassische Wahrheitsbegriff zumindest für die Mathematik keinen Sinn, weil er eine mystische „Hinterwelt“ von mathematischen Objekten (Zahlen, Mengen, etc.) postuliert DER INTUITIONISMUS • Für Intuitionisten ist Mathematik und sind die Sätze und Objekte der Mathematik zunächst einmal eine Schöpfung des freien Verstandes eines schöpferischen Subjekts ist. • Für Intuitionisten ist der zentrale Begriff auch nicht der der (korrespondenztheoretisch aufgefassten, „transzendenten“) Wahrheit, sondern der des Beweises (Verifikation / Rechtfertigung). • Der Intuitionismus ist eine Spielart des Konstruktivismus und geht davon aus, dass wir, um einen mathematischen Satz als „wahr“ betrachten zu können, eine effektive Prozedur / Konstruktion benötigen, die diesen Satz als wahr etabliert. • Was die intuitionistische Logik betrifft, führt das zu einer ganz eigenwilligen Semantik der logischen Junktoren und der Quantoren. BHK-SEMANTIK FÜR DIE LOGISCHEN KONSTANTEN • • Die Tatsache, dass nicht mehr Wahrheit der zentrale Begriff ist, sondern der Begriff des Beweises hat zur Folge, dass für die logischen Junktoren und Quantoren nicht mehr Wahrheits- (bzw. Erfüllungs-) bedingungen angegeben werden, sondern (zunächst informelle) Beweisbedingungen • Ein Beweis von (P ∧ Q) ist gegeben durch einen Beweis von P und einen Beweis von Q. • Ein Beweis von (P ∨ Q) ist gegeben durch einen Beweis von P oder einen Beweis von Q. • Ein Beweis von (P ⟶ Q) ist gegeben durch eine Konstruktion, die jeden Beweis von P in einen Beweis von Q transformiert. • Es gibt keinen Beweis von ⊥. • Ein Beweis von ∀xα ist gegeben durch eine Konstruktion, die, angewendet auf ein beliebiges Objekt a ∈ D einen Beweis von α(x/a) erzeugt. • Ein Beweis von ∃xα ist gegeben durch Konstruktion eines Objekts a und einen Beweis dass α(x/a). In der intuitionistischen Logik ist die Negation üblicherweise über das Konditional ⟶ und das Falsum ⊥ (das für irgendeine beweisbar falsche Aussage, etwa 0=1, steht) definiert: ¬α := α ⟶ ⊥. INTUITIONISTISCH GÜLTIG… Viele Gesetze der klassischen Logik sind auch unter der intuitionistischen Lesart noch gültig: • Modus Ponens ist intuitionistisch gültig. Angenommen wir haben einen Beweis von P und einen Beweis von P ⟶ Q, d.h. eine Konstruktion, die jeden Beweis von P in einen Beweis von Q transformiert. Dann bekommen wir offenbar sofort auch einen Beweis von Q, indem wir einfach die als gegeben angenommene Konstruktion auf P anwenden! • P ⟶ (Q ⟶ P) ist intuitionistisch gültig. Ein Beweis von P ⟶ (Q ⟶ P) besteht in einer Konstruktion, die, gegeben einen Beweis von P, einen Beweis von Q in einen Beweis von P transformiert. Die nötige Konstruktion ist aber denkbar einfach. Wir hängen einfach den gegebenen Beweis von P an den Beweis von Q an! • (P ∧ ¬P) ⟶ Q ist intuitionistisch gültig. Angenommen wir hätten einen Beweis von (P ∧ ¬P), d.h. einen Beweis von P und einen Beweis, dass P zu einer Absurdität ⊥ führt. Dann hätten wir auch einen Beweis von ⊥. Es gibt aber keinen Beweis von ⊥! Jede Konstruktion könnte also verwendet werden um einen Beweis von P ∧ ¬P zu einem Beweis von Q zu transformieren. (Konstruktion als „Versprechen“, das niemals eingelöst werden muss.) Achtung: Die Sätze der intuitionistischen Logik sehen gleich aus wie die der klassischen AL, haben aber eine vollkommen andere Bedeutung! (Man sollte deshalb eigentlich gleich andere Zeichen für die Junktoren verwenden) … INTUITIONISTISCH UNGÜLTIG Andere klassisch gültige Gesetze sind aber in der intuitionistischen Logik nicht mehr gültig: • P ∨ ¬P ist intuitionistisch nicht gültig. Laut BHK-Semantik würde ein Beweis von P ∨ ¬P in einem Beweis von P bestehen oder einem Beweis, dass P zu einer Absurdität ⊥ führt. Für viele Sätze der Mathematik haben wir aber weder das eine noch das andere! (Primzahlzwillingsvermutung, Goldbach’sche Vermutung, etc.) • ¬¬P ⟶ P ist intuitionistisch nicht gültig. Ein Beweis von ¬¬P, d.h. (P ⟶ ⊥) ⟶ ⊥, ist eine Konstruktion, die jeden Beweis von P ⟶ ⊥ in einen Beweis von ⊥ transformiert. D.h. ein Beweis von ¬¬P garantiert uns nur, dass wir niemals einen Beweis dafür haben werden, dass P zu einer Absurdität ⊥ führt, aber das ist noch kein Beweis für P selbst! • Auch die intuitionischtische Prädikatenlogik unterscheidet sich wesentlich von der klassischen: um z.B. eine Existenzaussage ∃xα zu beweisen, brauchen wir eine effektive Methode, um ein Objekt mit der Eigenschaft α auch zu konstruieren. Intuitionisten lehnen also nicht-konstruktive Existenzbeweise (Existenzbeweise, bei denen aus der Negation von ∃xα einen Widerspruch abgeleitet wird) ab! INTUITIONISTISCHE MATHEMATIK • Dass das Gesetz vom Ausgeschlossenen Dritten im Allgemeinen nicht mehr verwendet werden darf, hat zur Folge, dass viele Theoreme der klassischen Mathematik vom intuitionistischen Standpunkt nicht mehr als zweifelsfrei erwiesen gelten. Intuitionisten haben schärfere Standards an „gilt als bewiesen“! • Viele Beweise für Theoreme der klassischen Mathematik können zwar intuitionistisch akzeptabel gemacht werden, aber… • … trotzdem bleibt die Tatsache, dass intuitionistische Mathematik in vielen Hinsichten (nicht nur was die Logik im engeren Sinn betrifft) sehr verschieden von der klassischen Mathematik ist! INTUITIONISTISCHE MATHEMATIK: EIN BEISPIEL Theorem. Es gibt irrationale Zahlen a, b sodass ab rational ist. Beweis. √2 ist eine irrational Zahl. Wir überlegen uns: √2√2 ist rational oder irrational. Falls √2√2 rational ist, sind wir fertig und haben zwei irrationale Zahlen gefunden, sodass deren Potenz rational ist. Falls √2√2 irrational ist, dann ist aber (√2√2)√2 rational, denn (√2√2)√2 = √2√2×√2 = √22 = 2 und 2 ist rational. Wir haben also, gemäß Annahme, dass √2√2 irrational ist, ebenfalls zwei Zahlen gefunden, sodass deren Potenz rational ist. Q.E.D. • Aber was sind jetzt die beiden Zahlen a, b sodass ab rational ist? Sind es a=√2 und b=√2 oder sind es a=√2√2 und b=√2? Wir konnten im Beweis keine konkreten irrationalen Zahlen angeben, deren Potenz rational ist! INTUITIONISTISCHE MATHEMATIK: EIN BEISPIEL Theorem. Es gibt irrationale Zahlen a, b sodass ab rational ist. Beweis. √2 ist eine irrational Zahl. Wir überlegen uns: √2√2 ist rational oder irrational. Falls √2√2 rational ist, sind wir fertig und haben zwei irrationale Zahlen gefunden, sodass deren Potenz rational ist. Falls √2√2 irrational ist, dann ist aber (√2√2)√2 rational, denn (√2√2)√2 = √2√2×√2 = √22 = 2 und 2 ist rational. Wir haben also, gemäß Annahme, dass √2√2 irrational ist, ebenfalls zwei Zahlen gefunden, sodass deren Potenz rational ist. Q.E.D. • Aber was sind jetzt die beiden Zahlen a, b sodass ab rational ist? Sind es a=√2 und b=√2 oder sind es a=√2√2 und b=√2? Wir konnten im Beweis keine konkreten irrationalen Zahlen angeben, deren Potenz rational ist! • Intuitionisten wenden gegen obigen Beweis ein, dass das das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten verwendet wurde und betrachten das Theorem so lange als unbewiesen als nicht zwei konkrete derartige Zahlen angegeben werden können! INTUITIONISTISCHE LOGIK • Die BHK-Semantik von vorhin (für Brouwer, Heyting, Kolmogorov) ist eine informelle Semantik (Was wird hier unter einem „Beweis“ verstanden? Was unter einer „Konstruktion“?) • Lange Zeit war es ein großes Problem, formale Semantiken zu finden, die genau die Klasse der intuitionistisch gültigen Formeln erzeugen. • Intuitionistische Logik deshalb lange Zeit syntaktisch orientiert. Die erste Axiomatisierung der intuitionistischen Logik stammt von Arendt Heyting (einem Schüler Brouwers und dem eigentlichen Entwickler der intuitionistischen Logik). • (Mittlerweile gibt es verschiedenste Semantiken, die das leisten (Topologische Semantik, Heyting-Algebren, Beweistheoretische Semantiken, MWSemantiken…), aber es gibt immer noch verschiedene Meinungen dazu, was die „richtige, intendierte Semantik“ der intuitionistischen Junktoren ist.) HEYTINGS AXIOMATISIERUNG H DER INTUITIONISTISCHEN LOGIK (1930) (1) α ⟶ (α ∧ α) (2) (α ∧ β) ⟶ (β ∧ α) (3) (α ⟶ β) ⟶ ((α ∧ γ) ⟶ (β ∧ γ)) (4) ((α ⟶ β) ∧ (β ⟶ γ)) ⟶ (α ⟶ γ) (5) α ⟶ (β ⟶ α) (6) (α ∧ (α ⟶ β)) ⟶ β (7) α ⟶ (α ∨ β) (8) (α ∨ β) ⟶ (β ∨ α) (9) ((α ⟶ γ) ∧ (β ⟶ γ)) ⟶ ((α ∨ β) ⟶ γ)) (10) ¬α ⟶ (α ⟶ β) (11) (α ⟶ β) ⟶ ((α ⟶ ¬β) ⟶ ¬α) Einzige Schlussregel: Modus Ponens HILBERTS AXIOMATISIERUNG DER KLASSISCHEN LOGIK… (1) α ⟶ (β ⟶ α) (2) (α ⟶ β) ⟶ ((α ⟶ (β ⟶ γ)) ⟶ (α ⟶ γ)) (3) α ⟶ (β ⟶ (α ∧ β)) ∧ Einführung (4) (α ∧ β) ⟶ α ∧ Beseitigung (5) (α ∧ β) ⟶ β ∧ Beseitigung (6) α ⟶ (α ∨ β) ∨ Einführung (7) β ⟶ (α ∨ β) ∨ Einführung (8) (α ⟶ γ) ⟶ ((β ⟶ γ) ⟶ ((α ∨ β) ⟶ γ)) ∨ Beseitigung (9) (α ⟶ β) ⟶ ((α ⟶ ¬β) ⟶ ¬α) ¬ Einführung (10) ¬α ⟶ (α ⟶ β) „¬ Beseitigung“ (11) α ∨ ¬α Tertium non Datur Einzige Schlussregel: Modus Ponens … UND DAS INTUITIONISTISCHE PENDANT (1) α ⟶ (β ⟶ α) (2) (α ⟶ β) ⟶ ((α ⟶ (β ⟶ γ)) ⟶ (α ⟶ γ)) (3) α ⟶ (β ⟶ (α ∧ β)) ∧ Einführung (4) (α ∧ β) ⟶ α ∧ Beseitigung (5) (α ∧ β) ⟶ β ∧ Beseitigung (6) α ⟶ (α ∨ β) ∨ Einführung (7) β ⟶ (α ∨ β) ∨ Einführung (8) (α ⟶ γ) ⟶ ((β ⟶ γ) ⟶ ((α ∨ β) ⟶ γ)) ∨ Beseitigung (9) (α ⟶ β) ⟶ ((α ⟶ ¬β) ⟶ ¬α) ¬ Einführung (10) ¬α ⟶ (α ⟶ β) „¬ Beseitigung“ (11) α ∨ ¬α Tertium non Datur Einzige Schlussregel: Modus Ponens SUCHE NACH EINER FORMALEN SEMANTIK FÜR DIE INTUITIONISTISCHE LOGIK H • Das System H legt also axiomatisch fest wann ein Satz intuitionistisch gültig ist, nämlich dann wenn er aus den Axiomen von H ableitbar ist und ein Satz ist intuitionistisch nicht gültig, wenn er nicht ableitbar ist. • Problem: wie zeigt man von einem bestimmten, problematischen Satz α, dass er nicht ableitbar ist? Wir können nicht alle „möglichen Ableitungen“ durchchecken und „nachsehen“, ob / dass keine dieser „möglichen Ableitungen“ tatsächlich eine Ableitung von α ist. • Wir hätten gerne, analog zur klassischen AL, eine Semantik die uns ein Kriterium an die Hand gibt, wann/ob ein gegebener Satz ungültig ist. Die BHK-Semantik lässt hier zu viel Spielraum und ist zu unpräzise! • Ziel also: Finde eine formale Semantik S, die wesentliche intuitionistische Intuitionen erfasst und deren logische Wahrheiten genau die Theoreme des intuitionistischen Kalküls H sind, d.h. ⊨S α gdw. ⊢H α MEHRWERTIGE SEMANTIK FOR THE RESCUE? • Eine erste Idee, die sehr früh auftauchte, bestand darin mehrwertige Semantiken S herzunehmen. • Die grundlegende Idee ist einfach und natürlich: Mehrwertige Logiken wurden, unter anderem, entwickelt um Sätze miteinzubeziehen, die Wahrheitswertlücken haben, d.h. Sätze die weder definitiv wahr sind noch definitiv falsch. • Intuitionismus lehnt das Gesetz vom Ausgeschlossenen Dritten A ∨ ¬A ab, weil es Sätze A gibt, die (zum gegenwärtigen Zeitpunkt und intuitionistishch akzeptabel) weder bewiesen noch widerlegt sind, bzw. weil wir im allgemeinen keine Möglichkeit haben, zu entscheiden welches der beiden Disjunkte in A ∨ ¬A „wahr“ ist (siehe √2-Beispiel). • Was also wenn wir einfach das intuitionistische „ist bewiesen“ als „wahr“ und das intuitionistische „ist widerlegt“ als „falsch“ auffassen und für das intuitionistische „weder noch“ einen dritten Wahrheitswert einführen? Wir hätten dann, formal gesehen, eine dreiwertige Logik und könnten intuitionistische Logik als eine spezielle drei-wertige Logik auffassen! MEHRWERTIGE SEMANTIK FOR THE RESCUE? • Die Hoffnung eine drei- (oder zumindest endlich-) wertige Logik zu finden die die intuitionistische Logik vollständig erfasst musste schon sehr früh zu Grabe getragen werden. • In einem (einseitigen) Artikel von 1932 zeigte Gödel folgendes Theorem. Es gibt keine endlich-wertige Logik, sodass die allgemeingültigen Sätze dieser Logik genau die Theoreme der intuitionistischen Logik H sind • G. Gentzen deshalb in einem Brief and Gödel: „It is as if you had a malicious pleasure in showing the purposelessness of others’ investigations …“ • (Es gibt aber unendlich-wertige Logiken, die vollständig und korrekt für intuitionistische Logik sind (S. Jaskowski).) ÜBERSETZUNGEN • Um intuitionistische Logik in irgendeiner Form mit klassischer Logik in Verbindung zu setzen, gab es sehr früh schon verschiedene Übersetzungen in bekannte (klassische oder klassisch-erweiterte) Systeme. • Unter einer Übersetzung verstehen wir hier eine Funktion t, die Formeln der einen Sprache (etwa der Sprache der intuitionistischen Logik) in Formeln einer anderen Sprache (etwa der Sprache der klassischen Logik) abbildet („übersetzt“). • Mittels solcher Übersetzungen kann man dann intuitionistische Logik in bekannte Logiken einbetten, indem man zeigt, dass die Übersetzung eines Satzes der intuitionistischen Logik gültig in der bekannten Logik ist gdw. der ursprüngliche Satz intuitionistisch gültig ist. • (Um die Sprache der intuitionistischen Logik von der Sprache der klassischen Logik zu unterscheiden sollte man eigentlich verschiedene Zeichen für die Junktoren verwenden, da die Junktoren ja verschieden verstanden werden.) ÜBERSETZUNGEN • • Eine der ersten Übersetzungen dieser Art stammt ebenfalls von Gödel und stellt einen Link zur Modallogik her: t(p) := ☐p t(α ∧ β) := t(α) ∧ t(β) t(α ∨ β) := t(α) ∨ t(β) t(α ⟶ β) := ☐(t(α) ⟶ t(β)) t(⊥) := ⊥ für p atomar Wie sich zeigen lässt gilt dann folgendes Theorem. Für jeden Satz α gilt: ⊢H α gdw. ⊢S4 t(α) • Das Theorem zeigt also, dass wir intuitionistische Logik als verkappte klassische Modallogik auffassen können (Idee dahinter: deute ☐α als „α ist beweisbar“) MW-SEMANTIK FÜR INTUITIONISTISCHE LOGIK • Eine direktere Art, eine Semantik für die intuitionistisch verstandenen Junktoren anzugeben, liefert Kripkes MW-Semantik. • Die motivierende Idee hinter dieser Semantik besteht darin mögliche Welten als Informationszustände eines (idealisierten) Mathematikers (des „kreativen Subjekts“) zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzufassen. • Dieser idealisierte Mathematiker hat zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmte Sätze verifiziert / bewiesen (diese werden im folgenden den Wert w bekommen), andere Sätze hat er noch nicht verifiziert (diese sollen im folgenden den Wert f bekommen). • Da wir die Welten als Informationszustände in der Zeit deuten, ist es plausibel, dass die Zugänglichkeitsrelation R eine Ordnungsrelation ist und wir schreiben deshalb suggestiver w ≤ w’ statt Rww’, sprich: w’ kommt nach w (w’ kommt nach oder ist gleich w). MW-SEMANTIK FÜR INTUITIONISTISCHE LOGIK • Ein MW-Frame für unsere intuitionistisch verstandene Sprache der AL ist dann so festgelegt: Definition: Ein I-Frame ist ein Paar ⟨W, ≤⟩ wobei W eine nicht-leere Menge von möglichen Welten ist und ≤ eine auf W definierte partielle Ordnung • Eine partielle Ordnung (Halbordnung) ist eine Relation ≤ für die gilt: (P1) ∀w w ≤ w Reflexivität (P2) ∀w∀u (w ≤ u ∧ u ≤ w → w = u) Antisymmetrie (P3) ∀w∀u∀v (w ≤ u ∧ u ≤ v → w ≤ v) Transitivität Definition: Ein I-Modell ist ein Tripel ⟨W, ≤, I⟩ wobei ⟨W, ≤⟩ ein I-Frame ist und I eine Familie von klassischen Interpretationen für die atomaren Sätze p, q, r…, wobei wir von atomaren Sätzen p fordern, dass gilt: wenn Iw(p)=w und w ≤ w’, dann Iw’(p)=w BEISPIELE FÜR I-FRAMES Hier ein I-Frame mit W = {w1, w2, w3, w4, w5, w6} und ≤ = {⟨w1, w2⟩, ⟨w1, w3⟩, ⟨w1, w4⟩, ⟨w3, w4⟩, ⟨w1, w4⟩, ⟨w3, w5⟩, ⟨w3, w6⟩, ⟨w1, w6⟩} zusammen mit allen Paaren der Form ⟨wi, wi⟩ w6 w2 Hier ein I-Frame mit W = {w1, w2, w3, w4, w5, w6, w8, w8} und ≤ = {⟨w1, w2⟩, ⟨w1, w3⟩, ⟨w1, w4⟩, ⟨w1, w5⟩, ⟨w1, w6⟩, ⟨w1, w7⟩, ⟨w1, w8⟩, ⟨w2, w5⟩, ⟨w2, w8⟩, ⟨w2, w6⟩, ⟨w2, w8⟩, ⟨w3, w5⟩, ⟨w3, w8⟩, ⟨w3, w7⟩, ⟨w3, w8⟩, ⟨w4, w6⟩, ⟨w8, w8⟩, ⟨w4, w7⟩, ⟨w5, w8⟩, ⟨w6, w8⟩, ⟨w7, w8⟩} wieder zusammen mit allen Paaren der Form ⟨wi, wi⟩ w4 w5 w8 w5 w6 w7 w2 w3 w4 w3 w1 w1 BEISPIELE FÜR I-MODELLE p und q sollen hier wieder andeuten, in welchen Welten p bzw. q schon verifiziert sind. Das Fehlen von p bzw. q deutet an, dass p bzw. q in der jeweiligen Welt noch nicht verifiziert wurden. w6 w5 w4 p p p, q w8 p, q w5 p, q p w6 p w7 w2 p w3 p w4 p w3 w2 q w1 w1 „WAHRHEIT“ IN EINER WELT EINES I-MODELLS Wahrheit/Verifiziertheit in einer Welt w eines I-Modells M (kurz: M, w ⊩ α; gesprochen auch „w forciert α“) ist wie üblich rekursiv definiert: (i) Klausel für atomare Sätze: M, w ⊩ p gdw. Iw(p) = w (ii) Klauseln für Junktoren: M, w ⊮ ⊥ M, w ⊩ (α ∧ β) gdw. M, w ⊩ α und M, w ⊩ β M, w ⊩ (α ∨ β) gdw. M, w ⊩ α oder M, w ⊩ β (oder beides) M, w ⊩ (α ⟶ β) gdw. ∀w’, für die w ≤ w’ gilt: wenn M, w’ ⊩ α, dann M, w’ ⊩ β INTUITIONISTISCHE NEGATION • Da wir die Negation ¬α durch das Konditional und das Falsum ⊥ definiert haben, nämlich durch α ⟶ ⊥, können wir die Wahrheitsbedingung für die intuitionistische Negation folgendermaßen charakterisieren: M, w ⊩ ¬α • gdw. ∀w’ ≥ w gilt: wenn M, w’ ⊩ α, dann M, w’ ⊩ ⊥ Man kann sich leicht überlegen, dass diese Bedingung äquivalent ist zu folgender Formulierung: M, w ⊩ ¬α gdw. ∀w’ ≥ w gilt: M, w’ ⊮ α • D.h. eine negierte Aussage ¬α gilt in w als verifiziert, wenn α zu keinem späteren Zeitpunkt verifiziert werden wird, d.h. wenn niemals mehr eine Verifikation von α möglich sein wird, d.h. wenn α widerlegt ist • Wichtig ist auch folgendes Faktum über doppelt negierte Formeln: M, w ⊩ ¬¬α gdw. ∀w’ ≥ w ∃w’’ ≥ w’ sodass w’’ ⊩ α BEMERKUNGEN • Die entscheidende Klausel ist die für das Konditional und besagt, dass ein Konditional α ⟶ β zu einem Zeitpunkt als verifiziert gilt, wenn zu jedem späteren Zeitpunkt, zu dem α verifiziert wird, β immer automatisch verifiziert ist • Die Klausel für das Falsum ⊥ sagt einfach, dass ⊥ zu keinem Zeitpunkt verifiziert ist • Folgende Fakten folgen unmittelbar aus den Wahrheitsbedingungen Konsistenz. Es gibt keinen Satz α, kein Modell M und keine Welt w dieses Modells, sodass M, w ⊩ α und M, w ⊩ ¬α Monotonie. Wenn M, w ⊩ α und w ≤ w’, dann M, w’ ⊩ α INTUITIONISTISCHE GÜLTIGKEIT • Intuitionistische Gültigkeit wird dann ähnlich wie im Fall der Modallogik definiert: Definition. Ein Satz ist gültig in einem I-Modell M, kurz M ⊨ α, wenn α in jeder Welt des I-Modells verifiziert ist. Definition. Ein Satz ist gültig in einem I-Frame F, kurz F ⊨ α, wenn α in jedem Modell gültig ist, das auf F basiert. Definition. Ein Satz ist intuitionistisch gültig, kurz ⊨I α, wenn α in jedem I-Frame gültig ist. • Das entscheidende Faktum bzgl. dieser Semantik ist folgendes Theorem. (Kripke) ⊨I α gdw. ⊢H α BEISPIEL I: DAS GESETZ VOM AUSGESCHLOSSENEN DRITTEN Hier ein I-Modell, das zeigt, dass das Tertium non datur intuitionistisch ungültig ist Es gilt einerseits: w2 w1 M, w1 ⊮ p p denn Iw1(p) = f. Es gibt aber einen späteren Zeitpunkt, zu dem p verifiziert ist (M, w2 ⊩ p), d.h. es gilt auch M, w1 ⊮ ¬p Insgesamt gilt also M, w1 ⊮ p ∨ ¬p BEISPIEL II: DAS GESETZ DER DOPPELTEN NEGATION Dasselbe Modell zeigt auch, dass das Gesetz der Doppelten Negation ¬¬α ⟶ α intuitionistisch ungültig ist Es gilt einerseits: w2 w1 p M, w1 ⊩ ¬¬p denn für jeden späteren Zeitpunkt gibt es einen noch späteren Zeitpunkt wo p verifiziert ist (für w1 ist das w2; für w2 ist das w2 selbst). Offenbar ist aber p selbst zum Zeitpunkt w1 noch nicht verifiziert, d.h. M, w1 ⊮ p Da p nicht zu jedem späteren Zeitpunkt verifiziert ist, zu dem auch ¬¬p verifiziert ist, gilt: M, w1 ⊮ ¬¬p ⟶ p BEISPIEL III: UMKEHRUNG VOM GESETZ DER DOPPELTEN NEGATION • Man kann sich andererseits leicht überlegen, dass die Umkehrung des Gesetzes der doppelten Negation, d.h. α ⟶ ¬¬α, intuitionistisch gültig ist • Sei M ein beliebiges I-Modell und w eine beliebige mögliche Welt des Modells, für die gilt M, w ⊩ α. Aufgrund der MonotonieEigenschaft muss dann für jede Welt w’≥w ebenfalls M, w’ ⊩ α gelten. Daraus folgt (trivialerweise) dass es für jede Welt w’≥w eine Welt w’’≥w’ gibt, sodass M, w’ ⊩ α • Wenn α schon verifiziert ist, dann ist es unmöglich zu verifizieren dass α niemals mehr verifiziert wird.