Michał Nesterowicz Veronika Eberle Donnerstag, 5. März 2015, 20 Uhr Sonntag, 8. März 2015, 11 Uhr ERLEBEN SIE DAS FRIDRICH ZEITGEFÜHL! Edelstahlgehäuse, Shell Cordovan Band, vergoldete Glashütter Dreiviertelplatine, vergoldete Zeiger, Sonderbodengravur Noch sind einige wenige Exemplare unserer NOMOS-Sonderedition aus unserem Jubiläumsjahr 2014 zu Jubiläumspreisen erhältlich: TANGENTE 33 und TANGENTE 38 Limitierte Auflage von jeweils 150 Stück TANGENTE 33: € 1.210,– statt € 1.360,– TANGENTE 38: € 1.450,– statt € 1.600,– T R AU R I N G H AU S · SC H M U C K · J U W E L E N · U H R E N · M E I ST E RW E R KST Ä T T E N J. B. FRIDRICH GMBH & CO. KG · SENDLINGER STR ASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE M i e c z y s ł a w S a m u i l o w i c z We i n b e r g „Das goldene Schlüsselchen“ Suite Nr. 4 op. 55d 1. Burattinos Tanz mit dem Schlüsselchen: Allegretto – Presto – Allegro 2. Elegie für die Puppe Malwina: Andante tranquillo | 3. Tanz des Pudels Artemon: Allegretto 4. Tanz der sprechenden Grille: Moderato | 5. Tanz des Katers Basilio mit der F­ üchsin A ­ lice: Allegro moderato | 6. Tanz der Ratte Schuschera: Allegretto 7. Die Schulstunde: Allegretto – Allegro | 8. Die Verfolgungsjagd: Allegro – Presto – Prestissimo Alban Berg Konzer t für Violine und Orchester „Dem Andenken eines Engels“ 1. Andante – Allegretto | 2. Allegro – Adagio Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“ 1. Allegro con brio | 2. Marcia funebre: Adagio assai 3. Scherzo: Allegro vivace | 4. Finale: Allegro molto Michał Nesterowicz, Dirigent Veronika Eberle, Violine Donnerstag, 5. März 2015, 20 Uhr 4. Abonnementkonzer t e5 Sonntag, 8. März 2015, 11 Uhr 6. Abonnementkonzer t m Spielzeit 2014/2015 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant 2 Mieczysław Samuilowicz Weinberg: „Das goldene Schlüsselchen“ Russischer Pinocchio Martin Demmler Mieczysław Samuilowicz Weinberg Lebensdaten des Komponisten (1919–1996) Geboren am 8. Dezember 1919 in Warschau; gestorben am 26. Februar 1996 in Moskau. „Das goldene Schlüsselchen“ Ballett in 6 Bildern mit Prolog und Epilog nach Aleksej Nikolajewitsch Tolstoi op. 55 Suite Nr. 4 op. 55d: 1. B urattinos Tanz mit dem Schlüsselchen: ­A llegretto – Presto – Allegro 2. E legie für die Puppe Malwina: Andante tranquillo 3.Tanz des Pudels Artemon: Allegretto 4. Tanz der sprechenden Grille: Moderato 5. T anz des Katers Basilio mit der Füchsin Alice: Allegro moderato 6. T anz der Ratte Schuschera: Allegretto 7. Die Schulstunde: Allegretto – Allegro 8. Die Verfolgungsjagd: Allegro – Presto – ­ Prestissimo Entstehung Weinberg komponierte sein mit Alexej Tschajamow entworfenes Ballett „Das goldene Schlüsselchen“ in den Jahren 1954/55. Als Vorlage diente ihm die erste russische Version von Carlo Collodis „Pinocchio“ (1883), die der Dichter Aleksej Nikolajewitsch Tolstoi (1883–1945) unter dem Titel „Burattino“ 1936 publiziert hatte. 1962 wurde die Partitur für die bevorstehende Uraufführung gründlich überarbeitet; aus dieser Fassung stellte Weinberg 1964 vier Orchestersuiten zusammen. Uraufführung Ballettfassung: Am 10. Juni 1962 in Moskau im Stanislawski- und Nemirowitsch-DantschenkoMusiktheater (Corps de Ballet und Orchester des Staatlichen Stanislawski- und NemirowitschDantschenko-Musiktheaters). 3 Mieczysław Samuilowicz Weinberg (1983) 4 Mieczysław Samuilowicz Weinberg: „Das goldene Schlüsselchen“ Zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus Wenige Biographien sind so eng mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts verbunden wie die Mieczysław Weinbergs. 1919 in Warschau ­g eboren und jüdischen Glaubens, floh er während des Zweiten Weltkrieges vor den national­ sozialistischen Besatzern zunächst nach Weißrussland und später über Usbekistan nach Moskau, wo er mitten in den Kriegswirren eintraf und die restlichen 53 Jahre seines Lebens verbrachte. Viele seiner jüdischen Verwandten wurden von den Nationalsozialisten ermordet, aber auch nicht wenige Familienmitglieder fielen dem ­s talinistischen Terror zum Opfer. Denn mit dem siegreichen Ende des Krieges wandelte sich das soziale und kulturelle Leben in der Sowjetunion massiv. Weinberg blieb von den mörderischen Repressionen gegenüber Künstlern während der Stalin-Zeit nicht verschont. Immer wieder wurden seine Werke in Reden und Artikeln der Kulturadministration gemaßregelt und scharf kritisiert. So urteilte Grigorij Bernandt 1948: „Das Streben nach Originalität um jeden Preis, die Neigung zu trockener Linearität, zu harmonischer Schroffheit, zum Aufbrechen der Melodie stranguliert tiefe Gedanken und Gefühle fast überall, wo sie in seiner Musik zum Vorschein kommen.“ Filmmusik und Folklorismus Obwohl sich Weinberg weitgehend an die ­ä sthetischen Vorgaben einer möglichst folkloristisch geprägten „Musik für das Volk“ hielt, landeten einige seiner Werke 1948 auf dem Index und durften nicht gespielt werden. Fünf Jahre später wurde der Komponist sogar verhaftet. Doch selbst diese Schikanen konnten sein Bekenntnis zur Sowjetunion nicht zerstören. Der nationalsozialistische Terror hatte Weinberg so stark geprägt, dass er das sowjetische Regime als das kleinere Übel betrachtete – auch wenn das System ihm keineswegs wohl gesonnen war. Weinberg hielt sich in diesen schwierigen Jahren vor allem mit dem Komponieren von Gebrauchsmusik über Wasser. Es entstanden zahlreiche Film- und Theater­musiken, darunter auch die Musik zu Michail Kalatozows cineastischem Meisterwerk „Wenn die K­ raniche ziehen“, das 1958 beim Festival in Cannes die „Goldene Palme“ gewann. Beliebte Märchengeschichte Mieczysław Weinbergs Film- und Theater­ musiken erfreuten sich in den 1950er Jahren großer Beliebtheit. Heute sind die meisten von ihnen in Vergessenheit geraten. Lediglich ­s eine in den Jahren 1954/55 entstandene Ballett­ musik „Das goldene Schlüsselchen“ nach einem Volksmärchen des populären sowjetischen ­A utors Aleksej Tolstoi findet sich auch heute noch gelegentlich auf Spielplänen und Konzertprogrammen. Tolstoi, ein entfernter Verwandter des berühmten Schriftstellers Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828–1910), floh nach der ­O ktoberrevolution ins Berliner Exil, von wo er 1923 in die Sowjetunion zurückkehrte. Seine 1936 publizierte Erzählung über die Abenteuer des Burattino ist eine Neubearbeitung des ­b eliebten Pinocchio-Themas, die auch andere Komponisten zur Vertonung reizte. So verhandelte etwa Dmitrij Schostakowitsch mit dem Autor über eine Ballettmusik, zu der es ­allerdings Mieczysław Samuilowicz Weinberg: „Das goldene Schlüsselchen“ nicht kam, weil der Komponist schwer erkrankte. 1952 komponierte Aleksej Nikolajew eine Fassung dieses Stücks, die sich allerdings im Repertoire nicht durchsetzen konnte. Auch die Bearbeitung Weinbergs hatte zunächst einen schweren Stand. So dauerte es noch sieben Jahre, bis das Stück in erheblich revidierter Form und unter dem neuen Titel „Das goldene Schlüsselchen“ 1962 in Moskau uraufgeführt werden konnte. Der Erfolg der Premiere motivierte Weinberg schließlich zwei Jahre später, eine Reihe von vier Orchestersuiten aus der ­B allettmusik auszukoppeln. Die Abenteuer des Burattino Im Zentrum des Märchens steht Burattino, eine spitznasige Puppe, die Papa Carlo aus einem sprechenden Holzstück geschnitzt hat. Kaum ist dieses Kerlchen aus Papa Carlos Händen gehüpft, gerät es auch schon in Schwierigkeiten. Burattino wird von einem bösartigen Puppentheaterdirektor gefangen, der seine Puppen zwingt, Stücke zu spielen, die sie nicht mögen. Er verliebt sich in das Puppenmädchen Malwina und zettelt mit ihr eine Art Aufstand gegen den Direktor an. Immer wieder bevölkern verschiedene Tiergestalten die Szenerie: ein Pudel, eine sprechende Grille oder auch eine wendige Ratte. Sie alle treten mit tanzartigen Weisen hervor und beleben dadurch das Bühnengeschehen. Vor allem zur Persönlichkeitsentwicklung des ­B urattino tragen sie bei, um die es in der Handlung des Balletts in erster Linie geht. 5 Zwischen Schostakowitsch und Hindemith Der Musik Mieczysław Weinbergs hört man deutlich an, dass er sich zur Entstehungszeit des Werkes vornehmlich mit angewandter ­M usik für den Film und das Theater beschäftigte. ­V ieles in den oft heiteren, unkomplizierten ­Tanzweisen erinnert an entsprechende Werke Dmitrij Schostakowitschs. Aber auch die ­H armonik des frühen Paul Hindemith hat ihre Spuren in der Musik Weinbergs hinterlassen. Melancholische Holzbläserklänge bestimmen etwa die Elegie für die Puppe Malwina. Den Tanz des Katers Basilio mit der Füchsin Alice gestaltet Weinberg als beschwingten Ländler im Dreivierteltakt. Und dunkel-bedrohliche Klänge bestimmen den Tanz der Ratte Schuschera. Die stürmische Verfolgungsjagd, mit der die ­O rchestersuite schließt, entstammt übrigens nicht dem Finale der Ballettmusik, sondern aus dem dritten Akt, in dem der Puppentheater­ direktor und die Polizei die rebellierenden ­P uppen verfolgen. Die Partitur wird bestimmt durch ­eine souveräne, aber stets klare Instrumentation, die nicht selten auch extreme Register bemüht. Es ist eine frische, oft beschwingte und motorisch betonte Tonsprache, die auch klassizistische Anklänge zeigt. 6 Alban Berg: Violinkonzert „Persönliches Bekenntnis zur Welt – zum Tod – zu Gott“ Tobias Niederschlag Alban Berg Entstehung (1885–1935) Im Februar 1935 erteilte der amerikanische ­G eiger Louis Krasner (1903–1995) Alban Berg den Auftrag zur Komposition eines Violin­konzerts, dessen alleinige Aufführungsrechte er sich e­ inige Zeit vorbehalten wollte. Durch den Tod der dem Komponisten nahestehenden Manon Gropius (1916–1935), der sich nur zwei Monate später ereignete, fühlte sich Berg veranlasst, sein ­K onzert zu einem „Requiem für Manon“ umzugestalten und bis zum 11. August 1935 zu vollenden. Konzert für Violine und Orchester „Dem Andenken eines Engels“ 1. Andante – Allegretto 2. Allegro – Adagio Widmung Dem Auftraggeber und Solisten der U ­ raufführung Louis Krasner; darüber hinaus bildet der Untertitel „Dem Andenken eines Engels“ eine posthume Widmung an die am 22. April 1935 an spinaler Kinderlähmung verstorbene 18-jährige Manon Gropius, die Tochter Alma Maria M ­ ahlers aus einer ihrer kurzen Liaisons, diesmal mit dem Architekten Walter Gropius. Uraufführung Lebensdaten des Komponisten Geboren am 9. Februar 1885 in Wien; gestorben am 24. Dezember 1935 in Wien – Berichten der Familie zufolge jedoch bereits am 23. Dezember kurz vor Mitternacht. Am 19. April 1936 in Barcelona im Rahmen ­eines Musikfests der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ (Orchester unter Leitung von Hermann Scherchen; Solist: Louis Krasner); Hermann Scherchen sprang für den krankheitshalber verhinderten Anton Webern ein. Alban Berg: Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ „Gestern hab’ ich das Violinkonzert beendet, hab’ zu der ganzen Arbeit (incl. Part.) also nur drei Monate gebraucht“, schrieb Alban Berg am 13. August 1935 an Rudolf Kolisch. Tatsächlich war die Komposition des Werkes – ­untypisch für Berg – erstaunlich schnell vonstatten gegangen, sie hatte lediglich von April bis August 1935 gedauert. Dies war keineswegs abzu­s ehen, gestaltete sie sich doch zunächst als sehr s­ chwierig: Bereits im Februar hatte Berg von dem amerika­ nischen Geiger Louis Krasner den Auftrag für ein Violinkonzert erhalten. Eigentlich wollte er ablehnen, er befand sich mitten in der Arbeit an seiner Oper „Lulu“. Aus finanziellen Gründen ­w illigte er schließlich doch ein: Seitdem die Aufführung seiner ersten Oper „Wozzeck“ in NaziDeutschland verboten war, die Tantiemen folglich ausblieben, kamen ihm die in Aussicht gestellten 1500 Dollar mehr als gelegen. Das Geld alleine wollte Alban Berg allerdings nicht recht inspirieren. Zwar beschäftigte er sich mit geigerischen Spieltechniken, war sich jedoch lange unklar über die Form des neuen Werkes. Schon wenig später beklagte er: „Nach zweijähriger ununterbrochen bis zur Erschöpfung von Nerven und Hirn erfolgter Arbeitsleistung an ‚Lulu‘ nun diese Viechsarbeit an einem ganzen Violinkonzert, das im Herbst vollendet sein muss !“ Erst ein erschütterndes Ereignis schuf ihm einen Zugang zu der Auftragsarbeit: Am Ostermontag, dem 22. April 1935, starb die 18-jährige Manon Gropius, genannt „Mutzi“, die Tochter Alma Mahlers aus der Ehe mit dem ­A rchitekten Walter Gropius. Das Mädchen litt an Kinderlähmung, eine kurzfristige, schwere 7 Erkrankung führte zu ihrem plötzlichen Tod. In einem Kondolenzschreiben brachte Helene Berg, die Ehefrau des Komponisten, ihre enge Verbundenheit – und sicherlich auch die ihres ­M annes – zum Ausdruck: „Mutzi war nicht nur euer Kind – sie war auch meines. Wir wollen nicht klagen, daß Gott sie zu sich gerufen hat, denn sie war ein Engel.“ Als „Engel“ wurde das Mädchen auch von anderen Augenzeugen, darunter Bruno Walter, bezeichnet. Berg fasste den Entschluss, das geplante Violinkonzert der Verstorbenen zu widmen – und gab ihm den Titel „Dem Andenken eines Engels“. Damit wurde der Schaffensimpuls ausgelöst, in „fieberhaftem Tempo“ (Helene Berg) schritt die Arbeit nun voran. Am 12. August lag die Partitur – wie eingangs erwähnt – vollständig vor. Der Musikwissenschaftler Constantin Floros wies darauf hin, dass sich Berg bei der Komposition selber unter großen Zeitdruck setzte: Er hatte sich vorgenommen, das Werk – neben Manon – auch Alma Mahler zu widmen und es bis zu ihrem 56. Geburtstag am 31. August 1935 fertig zu stellen (offizieller Widmungsträger war allerdings Louis Krasner). Auf diese Weise wollte er Alma sein Mitgefühl bekunden, die einige Jahre zuvor den Druck seiner „Wozzeck“Partitur ermöglicht und ihm damit indirekt zum Durchbruch verholfen hatte. Neben der „Geburtstagshuldigung“ wurde die Komposition sicherlich auch dadurch beschleunigt, dass Berg die Arbeit an der Oper „Lulu“ so schnell wie möglich wieder aufnehmen wollte. Aber hat er – wie häufig vermutet – möglicherweise auch gespürt, dass seine „eigene Zeit“ bald ablaufen würde ? Fünf Monate nach Voll- 8 Alban Berg: Violinkonzert endung des Konzerts, am 24. Dezember 1935, erlag er selber, gerade einmal 50-jährig, einer Blutvergiftung. Mit dem Violinkonzert, seiner letzten abgeschlossenen Komposition (die „Lulu“ konnte er nicht mehr vollenden), hatte er also quasi auch sein eigenes „Requiem“ komponiert. Entsprechend geheimnisumwittert ist die Aura, die das Werk von jeher umgibt. „Rein musikalische Vision“ Alban Bergs Violinkonzert ist das erste Solo­ konzert in strenger Zwölftontechnik. Berg f­ olgte hier, wie in vielen anderen Werken, der ­M ethode seines Lehrers Arnold Schönberg, „mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ zu komponieren. Allerdings macht schon die verwendete Zwölftonreihe an sich den Unterschied zum Lehrer deutlich: Bergs Reihe basiert weitgehend auf einer Folge von Moll- und Dur-Dreiklängen – was Schönberg in seinen Werken strikt vermied; die Dreiklänge von g-Moll (g-b-d), D-Dur (d-fisa), a-Moll (a-c-e) und E-Dur (e-gis-h) ­f olgen aufeinander, den Abschluss bilden drei Ganztonschritte (cis-dis-f). Darüber hinaus ­s timmen die Grundtöne der Dreiklänge mit den leeren Saiten der Violine überein, deren Quinten q­ uasi mit Terzen „aufgefüllt“ werden. Durch die vielen Terzen weist die an sich atonale Reihe einen hohen Grad an Tonalität auf. Der Berg-Schüler Theodor W. Adorno sprach daher in ­B ezug auf das Violinkonzert vom „Doppelsinn des M ­ aterials“. Verstärkt wird der Eindruck von Tonalität überdies durch die Verwendung tonaler Zitate: In einer Art Montage fügte Berg in das Violin­ konzert eine „Kärntner Volksweise“ – das Lied „Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“ – sowie den 1723 komponierten Sterbechoral „Es ist genug“ aus der Kantate „O Ewigkeit, Du Donner­ wort“ BWV 60 von Johann Sebastian Bach ein. Beide Zitate, und das ist bemerkenswert, w ­ eisen einen engen Bezug zur Reihe auf. Sie werden mit Hilfe von Bergs häufig gerühmtem „Struktur­ prinzip des kleinsten Übergangs“ nahtlos in das atonale Umfeld integriert. Hinsichtlich der Form entschied sich Berg letztlich für zwei große Abteilungen, die jeweils aus zwei Sätzen bestehen (Andante – Allegretto und Allegro – Adagio). Die Temporelationen (langsam – schnell und schnell – langsam) ­w eisen in ihrer Gegenläufigkeit eine symmetrische ­A nlage auf. Willi Reich, ein anderer Schüler Bergs, erklärte noch zu Lebzeiten seines ­L ehrers, dass Berg beabsichtigt habe, in den Sätzen „die Tragödie jenes wunderbaren W ­ esens [gemeint ist Manon Gropius] als rein musika­ lische ­V ision“ zu gestalten. Handelt es sich a­ lso um Programmmusik ? Laut Reich gehöre das Werk in gleicher Weise der „absoluten ­M usik“ wie der „symphonischen Dichtung“ an. Im e­ rsten Teil habe Berg versucht, die „Wesenszüge des jungen Mädchens in musikalische ­C haraktere“ umzusetzen; der zweite Teil lasse sich dagegen in „Katastrophe und Lösung“ ­g liedern. Durch den nachweislich engen Austausch zwischen Reich und Berg können diese Aussagen in gewisser ­Weise als vom Komponisten „autorisiert“ gelten. 9 Die letzte Aufnahme Alban Bergs, die 1935 kurz vor seinem Tod entstand 10 Alban Berg: Violinkonzert „Manons Wesenszüge“: Andante – Allegretto In der Tat scheint der erste Teil, mit seinen vom Charakter her so unterschiedlichen Sätzen, zwei Seiten der Persönlichkeit Manons zu symbo­ lisieren. Das Andante zeigt eine eher ernste Seite ihres Wesens, in der Partitur veranschaulicht durch Angaben wie „espressivo“, „delicato“ und „grazioso“. Der Satz hebt mit einer berühmt gewordenen Einleitung an: Scheinbar improvisierend fährt der Solist über die leeren Saiten der Violine, fünfmal werden die fahlen Quinten – zugleich das Grundgerüst der Reihe – auf verschiedenen Tonhöhen wiederholt. Adorno bezog dieses „unbeseelte Ausprobieren der leeren Saiten“ auf die Entstehung des Werkes: Ähnlich wie der Solist habe auch Berg sich erst auf den Kompositionsauftrag „einstimmen“ müssen. Der eigentliche Satz beginnt in Takt 11, wo die Solovioline im pianissimo „ma espressivo“ die Zwölftonreihe vorstellt. Nach einem bewegteren Mittelteil kehrt der dreiteilige Satz (A-B-A) am Schluss zur Ausgangsstimmung zurück. Ohne Pause schließt das Allegretto an, mit ­einer beschwingten Ländlermelodie in Klarinetten und Solovioline. Dieser Satz ist als Scherzo angelegt – möglicherweise ein Spiegelbild von Manons unbeschwerter Jugend. Der Part des Soloinstruments zeichnet sich durch Doppel­g riffe und lebhafte Intervallsprünge aus. Die fünf­t eilige Form ist erneut symmetrisch (Scherzo – Trio I – Trio II – Trio I’ – Scherzo’), wobei die einzelnen Abschnitte durch starke Kontraste voneinander getrennt sind. Gegen Ende zitiert Berg überraschend die erwähnte Kärntner Volksweise („Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“) in Horn und Trompete, sanft umspielt von der Violine – eine nachdenkliche Chiffre für das Irdische, Diesseitige im Gegensatz zum jenseitigen Choral. Mit Ausdrucksbezeichnungen wie „scherzando“, „wienerisch“ und „rustico“ überwiegt in ­diesem Satz ein heiterer Charakter; nicht s­ elten aber scheinen sich die Walzer- und Ländler­a nklänge „am Rande des Abgrunds“ zu ­b ewegen. Aufgrund dieser Wesensverwandtschaft ­e mpfand Adorno das Allegretto als den „mahlerischsten Satz“ des Werkes. „Katastrophe und Lösung“: Allegro – Adagio Ganz anders dann der Beginn des zweiten Satzpaars: Das Allegro wird durch eine dramatische Türmung von Dissonanzen eröffnet. Die Kulmination erinnert an den „Todesschrei“ aus der Oper „Lulu“; hier wie dort bringt die Musik ­eine „Katastrophe“ zum Ausdruck. Der Satz gestaltet sich zunächst als virtuose Kadenz für ­V ioline und Orchester. Ab Takt 23 – der Schicksalszahl Bergs ! – tritt ein unerbittlicher Rhythmus in den Vordergrund („molto ritmico“), er ist in a­ llen Stimmen präsent. Einen Gegensatz bildet der „ruhige“ Mittelteil, dessen zarte Klanglichkeit an das Allegretto erinnert: „Der Rückgriff auf das ‚Allegretto‘ an dieser Stelle hat den Charakter einer Reminiszenz, wirkt im Angesicht des Todes wie eine Vision des vergangenen ­L ebens“ (Floros). Nach einer Solokadenz kommt es zu einer variierten Reprise des dramatischen Satzbeginns. Die Musik gipfelt – mit dem schicksal­h aften Rhythmus – in einem so bezeichneten „Höhepunkt“. Insgesamt liegt auch diesem Satz eine Bogenform (A-B-A’) zugrunde. Alban Berg: Violinkonzert Der Klang schwillt allmählich ab, bis mit dem Adagio die „Lösung“, vielmehr die „Erlösung“, einsetzt: Die Solovioline intoniert den BachChoral „Es ist genug“, der „den Sterblichen durch ein Tor ins Dunkel geleitet, so dicht, als müsste das endliche Licht darin sich entzünden“ (Adorno). Tröstlich beantwortet wird die Violinstimme von den Klarinetten, welche die Vorlage „in der Bach’schen Harmonisierung“ anstimmen. Im Vergleich zum Original ist der Choral hier von 20 auf 22 Takte erweitert: Manon starb am 22. April, sicherlich kein Zufall ! Die Übereinstimmung des Choralbeginns mit dem Ende von Bergs Zwölftonreihe allerdings (in beiden Fällen eine aufsteigende Ganzton­folge) ist ein Zufall: Wie Reich nachwies, hatte Berg ursprünglich geplant, einen eigens für diesen Zweck komponierten Choral zu verwenden. In einer Choralsammlung stieß er während der Komposition dann auf den Bach-Choral, der sich – neben der identischen Melodiefolge – auch vom textlichen Gehalt her perfekt in das bisher Komponierte einfügte. Eine schicksalhafte ­F ügung ? Im weiteren Verlauf des Adagios wird die Bach’sche Vorlage in drei Choralvariationen zwölftönig „verarbeitet“. In der Solovioline ­e rklingt eine „espressive“ Linie, von Reich als „Klagegesang“ bezeichnet, die nach und nach auf die übrigen Streicher übergreift und sich zu einem weiteren „Höhepunkt“ steigert. Nach der zweiten Variation taucht dann noch einmal – „wie aus der Ferne“ – die Kärntner ­Volksweise auf, diesmal bitonal verfremdet. Als dritte Choral­ variation verbindet die Coda anschließend den „Klagegesang“ der Violine mit einem filigranen Netz von Choralfragmenten im Orchester. Am 11 Ende verliert sich die Solovioline mit den Reihen­ tönen in höchster Höhe, dazu ein polytonaler Mischklang in Bläsern und Harfe, schließlich ein letztes Aufflackern der leeren Quinten in den Violinen. „Abschied Alban Bergs von dieser Welt“ Die posthume Uraufführung des Violinkonzerts am 19. April 1936 bei einem Musikfest der Inter­ nationalen Gesellschaft für Neue Musik in Barce­ lona war ein großer Erfolg. Seitdem konnte sich das Konzert als Bergs meistgespielte Kompo­ sition im Repertoire etablieren. Mehr noch: Es gilt heute als die womöglich „populärste“ Zwölftonkomposition überhaupt. Ist es die Idee eines programmatischen „Requiems für Manon“ (Reich), mit der Solovioline als „Engel“, die das P­ ublikum immer wieder fasziniert ? Oder sind es die ­e rstaunlich tonalen, romantisierenden Züge des Werkes ? Sicher trug auch der autobiographische und in dieser Hinsicht „wahrhaftige“ Charakter der Komposition einen entscheidenden Teil bei. Die Bezüge zu Bergs eigener Biographie wurden von Helene Berg gestützt, die am 12. August 1958 (auf den Tag genau 23 Jahre nach Abschluss des Konzerts) erklärte: „Das Violinkonzert ist ja der Abschied Alban Bergs von dieser Welt, eine schmerzvoll-wehmütig-ergebene Sprache (die letzte), zu allem, was ihm hier lieb war, ein rein persönliches Bekenntnis seiner Beziehung zur Welt – zum Tod – zu Gott.“ 12 Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur „Sinfonia eroica“ Thomas Leibnitz Ludwig van Beethoven (1770–1827) Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“ 1. Allegro con brio 2. Marcia funebre: Adagio assai 3. Scherzo: Allegro vivace 4. Finale: Allegro molto Lebensdaten des Komponisten Geburtsdatum unbekannt: geboren am 15. oder 16. Dezember 1770 in Bonn, dort Eintragung ins Taufregister am 17. Dezember 1770; gestorben am 26. März 1827 in Wien. Entstehung Erste Anregungen zu einer Symphonie auf Napoléon Bonaparte empfing Beethoven möglicherweise schon 1798 von Général Bernadotte, dem französischen Gesandten in Wien; einzelne Skizzen gehen zwar auf die Jahre 1801/02 zurück, aber der größte Teil der Partitur entstand von Juni bis Oktober 1803 in Baden und Oberdöbling bei Wien; Anfang 1804 beendete Beethoven in Wien die Partiturerstschrift, die angeblich den später wieder zurückgenommenen Titel „Sinfonia grande, intitolata Bonaparte“ trug. Widmung Als Beethoven das wohl ursprünglich ­N apoléon Bonaparte zugedachte Werk nach Paris senden wollte, traf ihn die Nachricht, dass Napoléon am 18. Mai 1804 sich selbst zum Kaiser gekrönt hatte – worauf Beethoven nach nicht authentischen Augenzeugen-Berichten die angeblich bereits feststehende Widmung aus der Partitur tilgte; für die Drucklegung im März 1806 im Wiener Verlag „Bureau des Arts et d’Industrie“ (= Kunst- und Industrie-Comptoir) wählte er ­jedenfalls den neuen Titel „Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire d’un grand‘ uomo“ (= Heroische Symphonie, k­o mponiert um das Andenken eines großen Mannes zu ­feiern); konkreter Widmungsträger wurde nun Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz (1772– 1816), einer der reichsten und großzügigsten Förderer Beethovens: „A sua altezza serenissima il principe di Lobkowitz“. Uraufführung Erste öffentliche Aufführung: Am 7. April 1805 in Wien im Rahmen einer „Musikalischen Akademie“ des Geigers Franz Clement, nachmaliger Widmungsträger von Beethovens V­ iolinkonzert, im „Theater an der Wien“ (­O rchester des „Theaters an der Wien“ unter Leitung von Ludwig van Beethoven). Interne V­ oraufführungen: Am 20. Januar 1804 in Wien in einem „Sonntag-­ Vormittags-Konzert“ der Bankiers Würth und Fellner sowie am 9. Juni 1804 in Wien in einem sog. „Subskriptionskonzert“ des Fürsten Lobko­ witz in dessen Palais (jeweils unter Leitung von Ludwig van Beethoven). 13 Joseph Willibrod Mähler: Portrait Ludwig van Beethovens als Orpheus in arkadischer Landschaft (um 1805) 14 Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur „Il sovvenire d’un grand’ uomo“ Für viele Musikfreunde ist sie „die“ BeethovenSymphonie schlechthin, und auch jene, die ihr diesen absoluten Sonderstatus nicht zubilligen, sehen sie als ein Schlüsselwerk, sowohl im Schaffen Beethovens als auch in der Gesamtgeschichte der Symphonie: die „Eroica“. Wem sie heute allerdings als der Inbegriff des Klassischen gilt, der wird erstaunt feststellen, dass die Zeitgenossen des Komponisten keineswegs diese Auffassung vertraten, sondern eher ratlos vor einem Werk standen, das rücksichtslos die bisher gültigen Normen sprengte. Und zwar nicht nur die rein formalen Gattungstraditionen, sondern auch die Dimension des musikalischen Sprachcharakters: Hier erklingt nicht mehr bloß Musik im Rahmen ihrer Eigengesetzlichkeit, sondern hier spricht ein Mensch auf radikal persönliche und suggestive Weise. Dem „Andenken eines großen Mannes” ist die 3. Symphonie gewidmet, und wenn jemand über die „Eroica“ auch so gut wie nichts weiß, dann doch dies: Ursprünglich sei sie Napoléon zugedacht gewesen, doch hätte Beethoven bei der Nachricht von Napoléons Kaiserkrönung wutentbrannt „das Titelblatt zerrissen“. Dies geht auf eine Schilderung des Beethoven-Schülers Ferdinand Ries zurück, der die Szene – allerdings erst 34 Jahre später – in folgender Weise darstellte: „Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Bonaparte hätte sich zum Kaiser e­ rklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: ‚Ist der auch nichts anders wie ein gewöhnlicher Mensch ! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen; er wird sich nun höher wie alle Andern stellen, ein Tyrann werden !’ Beethoven ging an den Tisch, faßte das Titelblatt oben an, riß es ganz durch und warf es auf die Erde. Die erste Seite wurde neu geschrieben, und nun erst erhielt die Symphonie den Titel ‚Sinfonia eroica’“. ­Dieses Autograph ist nicht erhalten; dem Titelblatt von Beethovens Arbeitskopie – sie befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien – ist nur zu entnehmen, dass Beethoven darauf einen Eintrag ausradierte, dies allerdings so heftig, dass an der Stelle ein Loch im Papier entstand. Es wird wohl der Name „Bonaparte“ gewesen sein. Prototyp des „Heldischen“ in der Musik Da nun Napoléon als ideeller Widmungsträger ausfiel und nur noch ein anonymer, nicht näher charakterisierter „grand’ uomo“ übrig blieb, blühten die Spekulationen, wer hier gemeint sein könnte. Der große, heldische Mensch an sich als Idealtypus, oder doch ein Zeitgenosse, den Beethoven bloß nicht nennen wollte ? Oder gar – und dies schien vielen plausibel – Beethoven selbst, der 1802, bereits in der Komposi­ tionsphase der „Eroica“, in seinem „Heiligenstädter Testament“ eine erschütternde Offenbarung seiner persönlichen Auseinandersetzung mit seiner Ertaubung gegeben hatte ? In jedem Fall lag das „Heldische“ geradezu in der Luft, man befand sich in einem Zeitalter von Revolution, Krieg und Umsturz, und auch Beethovens persönlicher Habitus war mehr auf Konfrontation denn auf harmonische Einordnung in die gesellschaftlichen Verhältnisse angelegt. Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur Das „Heldische“ der „Eroica“ gewann im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr an Eigen­l eben, und wurde von der deutschen Nationalbewegung okkupiert, die im „Freiheitskampf“ gegen Napoléon ihren Anfang genommen hatte. Solche Indienstnahme des Werkes für nationales Pathos erlebte ihren negativen Höhepunkt, als 1892 Hans von Bülow das zweite Finalthema mit einem Huldigungstext an Otto von Bismarck versah: „Des Volkes Hort, Heil Dir, o Held. Es schuf Dein Wort die neue deutsche Welt !“ 1927 stellte der nationalsozialistische „Chefideologe“ A ­ lfred Rosenberg pathetisch fest: „Wir leben heute in der ‚Eroica’ des deutschen Volkes.“ Im Vergleich mit solchen Aussagen mutet die Meinung des ebenfalls höchst „national“ denkenden Richard Wagner über den Charakter der „Eroica“ ­g eradezu zurückhaltend-objektiv an: „Denn – nochmals – die absolute Musik kann nur Gefühle, Leidenschaften und Stimmungen in ihren Gegensätzen und Steigerungen, nicht aber Verhältnisse ­irgend welcher socialen oder politischen Natur ausdrücken. Beethoven hat hiefür einen herrlichen Instinct gehabt…“ 1. Satz: Allegro con brio In ihren Dimensionen sprengt die „Eroica“ die Maße des Alt-Hergebrachten; sie steht am ­B eginn einer Entwicklung, die die Symphonie zur Königsdisziplin der Komponisten machte, zum Forum höchst persönlicher Auseinandersetzung, wobei der Bezugspunkt Beethoven auch in der Folgezeit immer maßgeblich blieb. Zwei w ­ uchtige Orchesterschläge in der Grundtonart Es-Dur ­e röffnen das Werk: Der Charakter des ­L apidaren, Kämpferischen ist damit 15 bereits in den ersten Takten gegeben. Unmittelbar daran schließt sich das Hauptthema an, das im Es-Dur-Dreiklang auf- und absteigt, aber nicht zu einem eindeutigen Abschluss gelangt, sondern durch den überraschenden Abstieg in das Cis eine vorwärtsdrängende Entwicklung einleitet. ­B ereitete Beethoven bereits mit dieser ­T hemenbehandlung seinen Zeitgenossen Schwierigkeiten, so machte er es ihnen – was die nachvollziehbare formale Disposition des Satzes betrifft – auch im Folgenden nicht ­leichter, denn die Funktion des Seitenthemas, des dialektischen Gegenpols zum Hauptthema, wird hier von einer ganzen Themengruppe übernommen, die in den unterschiedlichsten F­ ärbungen erscheint. Zunächst tritt ein einfaches, absteigen­ des Dreitonmotiv (g-f-e) hervor, durchwandert die Instrumente und wird von einem zweiten thematischen Komplex abgelöst, einem ­akkordisch pulsierenden Gesang in B-Dur, der dem energe­ tischen Kopfmotiv eine episodische Ruhe­p hase entgegensetzt. In der Durchführung werden diese thema­t ischen Elemente in kühnen rhythmischen Umakzen­ tuierungen gegeneinander gestellt; ohne ­Z weifel findet hier der „Kampf“ statt, den der Held der Symphonie zu bestehen hat. Das Geschehen wird dramatischer und strebt einem eindrucksvollen Höhepunkt entgegen: Im Fortissimo des Orchesters erklingt ein F-Dur-Akkord, dem das scharf dissonante E beigefügt wird. Diesem Aufschrei, dessen emotioneller Wirkung man sich kaum entziehen kann, folgt unmittelbar ein neues, hier erstmals auftretendes Gesangsthema in den Oboen. Es ist, als ob auf den Verzweiflungsschrei eine Friedens- und Trostbotschaft folgte – und gleichzeitig entzieht sich 16 Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur Beethoven damit allen Traditionen der Sonatenform, indem er in der Durchführung ein neues Thema exponiert. Von geradezu provo­k anter Eigenwilligkeit ist auch der Eintritt der Reprise, die Wiederkehr der Eingangsthematik. Vor dem eigentlichen Auftritt des Hauptthemas erfolgt ein Reprisenauftakt, in dem Es-Dur und B-Dur, also Tonika und Dominante des Werkes gleichzeitig erklingen, während das Horn – bereits in der Haupttonart – das Thema vorwegnimmt: eine Kühnheit, die in der Folgezeit auch schlicht als „falsche Stelle“ bezeichnet wurde. 2. Satz: Marcia funebre – Adagio assai Eine andere Welt des „Heldischen“ erschließt der zweite Satz; er ist als Trauermarsch angelegt und folgt damit unmittelbar der thematischen Vorgabe der Symphonie, der „Erinnerung an e­ inen großen Mann“. Gleich einem dumpfen Trommelwirbel bilden die Triolenvorschläge der tiefen Streicher den Unterbau, auf dem sich die Trauer­m arschMelodik der Violinen erhebt. Ein Symphoniesatz als Trauermarsch: Damit leitet ­B eethoven eine große Tradition ein, die über Wagners Trauermusik in der „Götterdämmerung“ und Bruckners Adagio der 7. Symphonie zu M ­ ahlers symphonischen Trauermusiken führt. Der Satz entfaltet sich in klar nachvollziehbarer Dreiteiligkeit, wobei zwei Moll-Teilen in der M ­ itte ein visionärer Dur-Teil gegenübersteht. C-Moll als Tonart der Trauer und Heldenklage, C-Dur als Tonart der Verklärung und Erhöhung – diese A ­ ntithetik wurde später von Wagner und B­ ruckner mit unverkennbarem Bezug auf die „Eroica“ übernommen. Nach fugierten Abschnitten in der ­R eprise des Rahmenteils bringt die Coda, der Schlussteil des Satzes, abermals Neues und Z­ ukunftsweisendes: Das Hauptthema löst sich vor dem Hörer gleichsam in seine Bestandteile auf, es zerrinnt im Nichts. Eindrucksvoller kann „Tod“ in der Musik nicht dargestellt werden. 3. Satz: Scherzo – Allegro vivace Der dritte Satz darf als erstes der für Beethovens Symphonien charakteristischen großen ­S cherzi gelten. Zwar wurde bereits in den ersten b­ eiden Symphonien die Tradition des alten, seine A ­ bkunft vom Tanz nicht verleugnenden „Menuetts“ verlassen, aber noch nicht so deutlich wie hier. Drängende Motorik, geheimnisvolle, geradezu unheimliche Klangfärbung, jähe Stimmungswechsel: Dies sind die Ingredienzien des für Beethoven typischen Scherzos der Folgezeit. Aus einem Streicherstaccato wächst fast unmerklich das Hauptthema heraus, das kurz ­d arauf in ungebärdiger Wildheit vom vollen ­O rchester wiederholt wird. Diesem spukhaften Wechsel von Laut und Leise, größtenteils über den pulsierenden Achteln der Einleitung, wird im Trio eine andere Welt gegenüber gestellt, eine Welt der beschaulichen Naturverbundenheit, symbolisiert durch drei Hörner, die diesen Abschnitt fast allein bestreiten, nur kurz unterbrochen von zurückhaltenden Einwürfen des Orchesters. 4. Satz: Finale – Allegro molto Ungewöhnlich in Form und Struktur ist auch der vierte und letzte Satz des Werkes, ein groß angelegter Variationensatz über zwei Themen, die gelegentlich kombiniert auftreten und durch fugierte Abschnitte erweitert werden. Nach 17 Titelblatt der Originalausgabe der Symphonie Nr. 3. Es-Dur op. 55 „Eroica“ 18 Ludwig van Beethoven: 3. Symphonie Es-Dur kurzer, ungestümer Einleitung wird ein l­ apidares Thema im Pizzicato der Streicher vorgestellt, ein Thema, das im Folgenden seine Eignung als Bassthema kontrapunktischer Gebilde erweist. Als Oberstimmenthema erscheint bald darauf eine Melodie, der man bei Beethoven auch an anderer Stelle begegnet: Es spielt im Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ eine prominente Rolle. In fünf großen V­ ariationskomplexen wird nun diese Doppelthematik durchgeführt, verändert, neu beleuchtet. Einen Ruhepunkt bildet die fünfte Variation, in der sich das Tempo zum „Poco andante“ verlangsamt und die fröh­ lich schwingende Melodik des „Prometheus“Themas zum feierlichen Choral wird. Umso ­e nergetischer wirkt der Presto-Abschluss des Satzes, ein Ende in Jubel und Orchesterglanz. Erste Aufführungen Mit der Widmung der 3. Symphonie an Franz Joseph Maximilian Fürst von Lobkowitz durch Beethoven war auch die Übertragung des ­Rechtes zur privaten Nutzung verbunden – ein Recht, das dem Komponisten durch Honorar a­ bgegolten wurde. Ferdinand Ries berichtet in seinen Erinnerungen von 1838, dass „der Fürst Lobkowitz diese Composition von Beethoven zum ­Gebrauche auf einige Jahre“ erworben habe, „wo sie dann in dessen Palais mehrmals gegeben wurde. Hier geschah es, dass Beethoven, der selbst d­ irigierte, einmal im zweiten Theile des ersten Allegros, wo es so lange durch halbirte Noten gegen den Tact geht, das ganze Orchester so herauswarf, dass wieder von vorn angefangen werden ­m ußte.“ Wann nun wirklich die erste Aufführung der „Eroica“ im Palais Lobkowitz (dem heutigen ­Ö sterreichischen Theatermuseum) statt- fand, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden; es muss um den 9. Juni 1804 gewesen sein, wobei dieses Datum aufgrund zeitgenössischer Rechnungen für Kerzenlieferungen anlässlich einer neuen Symphonie von Beethoven nachweisbar ist. Ebenfalls im Palais Lobkowitz dürften in der Folge noch weitere Aufführungen in privatem Rahmen stattgefunden haben. In einem allgemein zugänglichen Konzert erklang die „Eroica“ erstmals am 7. April 1805, in einer „Akademie“ des Geigers Franz Clement im ­T heater an der Wien. Die Symphonie stand am Beginn des zweiten Teils dieses Konzertes und fand keineswegs ungeteilte Zustimmung. Der Beethoven-Schüler Carl Czerny erinnerte sich an einen Galeriebesucher, der ausgerufen habe: „Ich gäb’ noch einen Kreuzer, wenn ’s nur aufhört.“ Haydns Biograph Griesinger hingegen weiß von „ungemessenem Beyfall“ zu ­b erichten. In der „Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ findet sich eine typische „sowohl-als auch“-Bewertung: „Diese lange, für die Ausführung äußerst schwierige Komposition ist eigentlich eine sehr weit ausgeführte, kühne und wilde Phantasie. Es fehlt ihr gar nicht an frappanten und schönen Stellen, in denen man den energischen, talentvollen Geist ihres Schöpfers erkennen muss: sehr oft aber scheint sie sich ganz ins Regellose zu verlieren.“ Diese ­R ezension hat die Es-Dur-Symphonie sicherlich „verkannt“. Trotzdem: Solange die hier bei ­allem Unverständnis geahnte Kraft des Provokativen erlebbar bleibt, läuft Beethovens Werk nicht Gefahr, im Museum der „Klassik“ seine eigentliche Botschaft zu verlieren. „Bonaparte“ oder „Sinfonia eroica“ ? 19 Beethoven und die Politik Anmerkungen zur „Eroica“ Egon Voss Beethoven gilt als Anhänger der französischen Revolution und damit als Verfechter von R­ epublik und Demokratie. Doch befragt man die überlieferten Dokumente, so stellt man fest, dass Beethoven gerade zu diesen Themen, den ­g roßen politischen Fragen seiner Zeit, nie eindeutig Stellung bezogen hat. In seinen Briefen äußert er sich nur selten zu politischen Ereignissen, und wenn er es tut, dann versteckt er sich hinter einer Maske, die sein wahres Gesicht nicht erkennen lässt. Als das von Wiener Studenten um den Jakobiner Franz Hebenstreit im Juli 1794 geplante Attentat auf Kaiser Franz II. durch die Verhaftung der ­Verschwörer vereitelt wurde, schrieb ­B eethoven an einen Freund: „Man sagt, es hätte eine ­R evolution ausbrechen sollen – aber ich g­ laube, so lange der österreicher noch Braun’s Bier und würstel hat, revoltirt er nicht.“ In diesem Satz kommt zwar eine gehörige Portion Verachtung für das sogenannte „Volk“ zum Ausdruck, doch Beethovens eigene politische Position bleibt unklar. Dass er den Geschehnissen seiner Zeit mit Skepsis begegnete, veranschaulicht die im gleichen Brief verwendete Formulierung von „­u nsern demokratischen Zeiten“, die selbst­ verständlich ironisch gemeint war. Viele noble Geister stimmten im Jahre 1801 in den allgemeinen Jubel über den Frieden von Lunéville ein, so Friedrich Hölderlin mit seiner Hymne „Versöhnender, der du nimmergeglaubt, nun da bist“. Beethoven dagegen stellte diesen Friedensschluss, noch ehe er überhaupt gültig war, durch seine Apostrophierung als „­g oldenen Frieden“ in Frage. Bedeutsam erscheint dies auch deshalb, weil man allgemein Bonaparte, den Ersten Konsul der französischen Republik, als den Bringer dieses Friedens ansah. Bonaparte, nach dem Beethoven seine 3. Symphonie ursprünglich benannte, spielt auch im folgenden Zitat eine interessante Rolle. Im ­J ahre 1802 quittierte Beethoven das an ihn herangetragene Ansinnen, eine Sonate mit Bezug auf die Revolution zu schreiben, mit den häufig ­z itierten Worten: „Reit euch denn der Teufel insgesammt meine Herren ? – mir Vorzuschlagen eine Solche Sonate zu machen – zur Zeit des Revoluzionsfieber’s nun da – wäre das so was gewesen aber jezt, da sich alles wieder in’s alte Gleiß zu schieben sucht, ‚buonaparte‘ mit dem Pabste das ‚Concordat‘ geschlossen – so eine Sonate ? – wär’s noch eine ‚Missa pro sancta maria a tre vocis‘ oder eine ‚Vesper etc‘ – nun da wollt ich gleich den Pinsel in die hand n­ ehmen – und mit großen Pfundnoten ein ‚Credo in ­u num‘ hinschreiben – aber du lieber Gott eine Solche Sonate – zu diesen neuangehenden christlichen Zeiten – hoho – da laßt mich aus – da wird nichts draus“. Was sich hier wiederum mehr als deutlich äußert, ist Beethovens tiefe Skepsis gegenüber den politischen Ereignissen seiner 20 „Bonaparte“ oder „Sinfonia eroica“ ? Zeit und deren Wandel. Einen Blick auf die ­H altung des Schreibers dagegen gewährt der ­g eradezu polternde Sarkasmus nicht. Da die persönlichen Äußerungen Beethovens keinen eindeutig-verbindlichen Schluss auf ­s eine politische Haltung zulassen, ist man versucht, diese von seinen Kompositionen abzulesen. Auch sie aber sind kein zuverlässiges Auskunftsmittel, weil sie nur sehr selten Bezug auf die politischen Ereignisse der Zeit nehmen. Zudem gibt es Widersprüche. Im Jahre 1803, als gerade ein neuer Krieg zwischen England und Frankreich ausgebrochen war, veröffentlichte Beethoven Klaviervariationen über die eng­ lischen Nationallieder „God save the King“ und „Rule Britannia“. Das könnte als Parteinahme für die englische Seite aufgefasst werden. Doch was hat man davon zu halten, wenn nahezu zur gleichen Zeit die 3. Symphonie den Beinamen „Bonaparte“ erhielt bzw. Bonaparte gewidmet werden sollte ? Als junger Mann in Bonn schrieb Beethoven Kantaten auf den Tod Kaiser Josephs II. und zur Inthronisierung von dessen Nachfolger ­L eopold II. In beiden Werken rühmen die Texte die Herrscher als weise und grundgütige Väter des Volkes im Sinne der Aufklärung. Das muss nicht heißen, dass Beethoven die in den Texten geäußerten Überzeugungen vertreten hat. ­I mmerhin aber besteht eine eigenartige Verbindung von der Kantate auf den Tod Josephs II. zum „Fidelio“. Sie lässt daran zweifeln, ob ­dieses oft als „Freiheits“- und „Revolutions“-Oper verstandene Werk so prinzipiell gegen A ­ ristokratie und Absolutismus gerichtet und ein Plädoyer für republikanische und demokratische ­Verhältnisse ist, wie es meist dargestellt wird. Beethoven zitiert im Finale der Oper bei der Stelle „O Gott ! Welch ein Augenblick !“ eine Melodie, auf die in der Bonner Kantate gesungen wird: „Da ­s tiegen die Menschen ans Licht, da drehte sich glücklicher die Erd’ um die Sonne, und die ­S onne wärmte mit Strahlen der Gottheit.“ Das Zitat im „Fidelio“ ruft also den Text der Bonner ­K antate herauf, der unmissverständlich die Aufklärung preist und als deren Repräsentanten Joseph II., einen aristokratischen Herrscher. Im Jahre 1793 schrieb Beethoven in ein Stammbuch die Zeilen: „Wohltuen, wo man kann, Freyheit über alles lieben, Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht, verleugnen.“ Die humanis­ tischen Ideale sind hier offenkundig mit einem Weltbild verbunden, in dem der „Thron“ die höchste Instanz ist, und es ist gewiss nicht zu viel vermutet, wenn man darin nicht nur den jenseitigen Thron Gottes, sondern auch den diesseitigen des weltlichen Herrschers sieht. Er scheint für Beethoven eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein. Konform mit dieser Einstellung geht B­ eethovens lebenslange Nähe zur Aristokratie. Er ­v erkehrte in vielen Wiener Adelshäusern, wohnte zeitweise sogar dort und war mit etlichen Aristokraten befreundet. Fürst Lichnowsky zahlte ihm zeitweise eine Apanage, und von Erzherzog ­R udolph und den Fürsten Lobkowitz und Kinsky erhielt er ab 1809 eine Rente. Aufschlussreich ist nicht zuletzt, dass die überwältigende Mehrheit seiner Kompositionen Adelspersonen ­g ewidmet ist. Wohl nicht zufällig fand sich in Beethovens Nachlass August von Kotzebues Buch „Vom Adel“, eine Abhandlung, die bei „Bonaparte“ oder „Sinfonia eroica“ ? a­ llen kritischen Tönen gegenüber dem Missbrauch ererbter Macht doch ein Loblied auf den Adel darstellt. Dessen Ideale galten Kotzebue als unverzichtbar für eine humane Gesellschaft. Dahinter steht die Idee einer gleichsam evolutionären Verschmelzung von Adel der Geburt mit Adel des Geistes und der Leistung, eine Vorstellung, die um 1800 weit verbreitet war. Dass Beethoven dennoch allgemein als revolutionär gilt, hat seinen Grund wohl darin, dass seine Musik nicht nur kompositorisch neue, ­r evolutionär anmutende Wege ging, sondern zugleich einen Tonfall ausprägte, dessen Elan, dessen Brio, dessen Explosivkraft an Revolution denken lassen. Der Versuch allerdings, diese Qualität auf die Musik der französischen Revolu­ tion zurückzuführen, ist zum Scheitern verurteilt, weil die französische Revolutionsmusik gerade diese Qualität nicht besitzt, sich neben Beethoven vielmehr brav und geradezu bieder ausnimmt. Ähnlich wie mit Beethovens Verhältnis zur franzö­ sischen Revolution verhält es sich mit der Beziehung der „Eroica“ zur Politik. Die berühmte Geschichte nämlich, dass Beethoven ­B onaparte hochgeschätzt habe, solange dieser Konsul der französischen Republik war, dann jedoch, als er von der Erhebung Bonapartes zum Kaiser erfuhr, angeblich das Titelblatt der nach Bonaparte ­b enannten 3. Symphonie zerrissen habe, ist in ihrer politischen Aussage falsch; denn B­ eethoven nannte die 3. Symphonie auch noch „­B onaparte“, als er längst wusste, dass aus dem Konsul ­B onaparte der Kaiser Napoléon geworden war. Der Grund für die Änderung von „Bonaparte“ in „Sinfonia eroica“ war also nicht die ­Verteidigung 21 der konsularischen Republik gegen die Inthroni­ sierung eines Kaisers, das Eintreten für demokratische gegenüber absolutistischen Verhältnissen. Der Grund muss ein anderer gewesen sein, auch wenn man diesen nicht kennt. G ­ ewiss ist aber, dass man den Bericht, so berühmt er ist, nicht als Beleg für Beethovens r­ epublikanische und demokratische Gesinnung nehmen kann. 22 Die Künstler Michał Nesterowicz Dirigent nas Gerais. Er kehrt zudem zum Orquestra Simfònica de Barcelona, zum Sinfonieorchester Basel, zum Orquesta Sinfónica de Galicia, zum Staatsorchester Athen und zum Royal Philharmonic Orchestra zurück. In der letzten Spielzeit feierte er erfolgreiche Debüts mit dem Royal Scottish National Orchestra, dem Orchestre National Bordeaux Aquitaine, dem Orchestra della Svizzera Italia und dem National Taiwan Symphony Orchestra. Er dirigierte zudem das Tonhalle-­O rchester Zürich und das Royal Liverpool Philharmonic O ­ rchestra. In seiner dritten Spielzeit als Künstlerischer Leiter des Orquesta Sinfónica de Tenerife setzt Michał Nesterowicz die Arbeit an den symphonischen ­Z yklen von Mahler, Brahms und Schumann fort. Auch die späten Dvořák-Symphonien und Lutosławskis Konzert für Orchester stehen auf dem Programm. Seit Michał Nesterowicz 2008 den europäischen Dirigentenwettbewerb des Orquestra de Cadaqués gewann, hat er viele der wichtigsten Klangkörper und Ensembles in Spanien, der Schweiz, Italien, Polen und Großbritannien dirigiert. In der Spielzeit 2014/15 debütiert Michał Nesterowicz mit dem WDR Sinfonieorchester, dem NDR Sinfonieorchester Hamburg, dem Orches­ tre Philharmonique du Luxembourg, dem Bilbao Orkestra Sinfonikoa, dem Tampere Philharmonic Orchestra, dem Orchestre Philharmonique de Nice und dem Orchestra Filarmônica de Mi- Michał Nesterowicz studierte bis 1997 an der ­K arol-Lipinski-Musikakademie Breslau bei Marek Pijarowski. Er gehörte zu den Gewinnern des 6. Inter­n ationalen Grzegorz Fitelborg Dirigenten­ wett­b ewerbs in Kattowitz. In der Vergangenheit war er Künst­l erischer Leiter der Baltischen Philharmonie (Danzig) und Chefdirigent des Orquesta Sinfónica de Chile. Die Künstler 23 Veronika Eberle Violine Philharmonic Orchestra, dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem NHK-Symphonieorchester und dem Philharmonischen Orchester Rotterdam. Die junge Geigerin Veronika Eberle, 1988 in ­Donauwörth geboren, wurde als 10-Jährige Jungstudentin bei Olga Voitova am Richard-StraussKonservatorium München. Von 2001 bis 2012 studierte sie an der Musikhochschule München bei Ana Chumachenco. Internationale Aufmerksamkeit erlangte sie 2006 im ausverkauften Festspielhaus der Salzburger Osterfestspiele in einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Simon Rattle, wo sie mit Beethovens Violinkonzert begeisterte. Weitere Glanzlichter ihrer bisherigen Karriere waren Konzerte mit den New Yorker Philharmonikern, dem Los Angeles Erst kürzlich feierte Veronika Eberle Erfolge beim London Symphony Orchestra, wiederum mit Beethovens Violinkonzert unter Simon Rattle, beim Orchestre symphonique de Montréal unter Kent Nagano mit Mendelssohns Violinkonzert und beim Royal Concertgebouw Orchestra unter Heinz ­H olliger mit dem Violinkonzert von Berg. Zu den Höhepunkten ihrer kommenden Konzertenga­ gements zählen das Debüt mit dem Seoul Philharmonic Orchestra sowie Wiedereinladungen zu den Bamberger Symphonikern unter Robin Ticciati und dem Münchener Kammerorchester als Solistin und Dirigentin. Zudem wird sie gemeinsam mit Antoine Tamestit und dem Insula Orchestra unter Leitung von Laurence Equilbey Mozarts „Sinfonia concertante“ auf historischen Instrumenten aufführen. Als begeisterte Kammermusikerin musiziert ­Veronika Eberle u. a. regelmäßig mit Shai ­Wosner, Lars Vogt, Martin Helmchen, Renaud Capuçon und Antoine Tamestit. In der Mozartwoche 2015 in Salzburg stand sie in einem Trio-Projekt ­g emeinsam mit Mitsuko Uchida und Marie-­ Elisabeth Hecker auf der Bühne. Veronika Eberle spielt die im Jahr 1700 gebaute Stradivari „Dragonetti“, eine freundliche Leihgabe der Nippon Music Foundation. 24 Zu Ehren Lorin Maazels „Lorin Maazel war einer der genialsten Musiker, seine dirigentische Brillanz von nahezu einzigartiger Qualität. Er hat mich immer wieder beeindruckt mit einer zutiefst humanen Grundhaltung. Er war überzeugt, dass Musik das menschliche Leben gerade unter extremen Bedingungen verbessert. Dafür hat er seine ganze Leidenschaft und Energie investiert. Darum hat er sich so intensiv für junge Musiker eingesetzt, sie gefördert, für sie ein eigenes Festival auf seiner Farm in Castelton/ Virginia gegründet. Das wird ihn zu einem wichtigen Vorbild für junge Musiker machen. Dass er mit uns zusammen seinen 85. Geburtstag feiern wollte, empfinden wir als große Ehre. Wir wollen daher die Konzerte an diesem Wochenende ihm, unserem verehrten Maestro, widmen. Nicht nur ich, auch die Kolleginnen und Kollegen aus Direktion und Orchester vermissen ihn – als genialen Musiker und großartigen Menschen.“ Paul Müller Intendant der Münchner Philharmoniker „Ich bin seit 1984 im Orchester – und mein allererstes Konzert bei den Philharmonikern war unter der Leitung von Lorin Maazel mit Mozarts Prager Symphonie und der 5. Symphonie von Tschaikowsky. Mit Lorin Maazel verbinde ich seine unglaubliche Präsenz und Präzision. Er hat eine solche Sicherheit und Souveränität ausgestrahlt, die mich immer wieder verblüfft und begeistert hat.“ Stefan Gagelmann Solo-Paukist 25 „Uns Münchner Philharmonikern war es vergönnt, Lorin Maazel als Chefdirigenten so zu genießen, wie es vielleicht kein anderes Orchester zuvor konnte: altersmilde, aber trotzdem unnachgiebig qualitätsfordernd an uns Musiker – und an sich selbst. Am bewegendsten war für mich sein Antrittskonzert im September 2012 mit Mahlers 9. Symphonie, einer „Liebeserklärung an das Leben“, wie im damaligen Programmheft stand. Ich hätte mir sehr gewünscht, noch viel mehr Zeit und Musik mit Lorin Maazel zu erleben.“ Alexandra Gruber, Solo-Klarinettistin „Ich durfte mit Lorin Maazel neben seiner Position als Chef des Orchesters und neben meiner Vorstandsarbeit einige Zeit verbringen. Wir haben zusammen die Oper „La voix humaine“ von Francis Poulenc für sein CastletonFestival umarrangiert und viele Stunden auf dem Sofa nebeneinander sitzend verbracht. Bei unserer gemeinsamen Arbeit an der Partitur durfte ich nicht nur sein unfassbares Können und Wissen bewundern, sondern vielmehr seine Liebe zur Musik, seine warmherzige Ernsthaftigkeit, Sensibilität und seinen so trockenen Humor. Er war ernsthaft an jeder Idee oder musikalischen Meinung interessiert und hatte großen Spaß daran, quasi unlösbare Probleme in der Orchestrierung stundenlang zu diskutieren, analysieren und mit ins Bett zu nehmen, um die Lösung am nächsten Tag voller Stolz zu präsentieren. Auch wenn er ein bisschen Unbehagen ob der Spielbarkeit mit „…das können meine fantastischen Musiker schon…“ oder „…ganz schön viele Doppelgriffe. Ich hoffe, es verletzt sich niemand…“ beruhigte. Ich hoffe, er konnte sein Buch vollenden, aus dessen Manuskript (auf dem Laptop!) er immer wieder Passagen vorlas und herrliche, rührende Anekdoten etwa von einem Sabbatical auf einer Südseeinsel erzählte. Er war an allem interessiert, was echt war. Am Leben und an den Menschen. Und er war offen für Neues, war interessiert an jeder Verbesserung oder Veränderung. So musste ich ihm un- 26 bedingt bei einem Glas Wein und einer Banane den Umgang mit einem Notensatzprogramm am Computer erklären, weil ihm das Notenschreiben mit der Hand viel zu langsam ging. Er war mit einer Auftragskomposition für einen Wettbewerb beschäftigt und hatte Sorge, nicht rechtzeitig fertig zu werden. Mit 83 Jahren wurde Lorin Maazel noch quasi ein Fussballfan. Er erkannte die Chance, als ich ihm die Partitur für die FC Bayern Hymne zeigte, Millionen von noch nicht Klassikfans zu erreichen und vielleicht nur für einen Moment deren Neugier zu wecken. Er sagte sofort seine Mitwirkung zu und war voller Begeisterung sogar im Wembley Stadion zum Champions League Finale in London. Dass er bei der Aufnahme das Trikot trug, was aus einer „Anzug noch im Hotel“Notsituation resultierte, reute ihn bei aller Kritik in keiner Sekunde. Wir haben uns mit ihm halb schlapp gelacht. Ich erzählte ihm, dass einige wenige Stimmen zu vernehmen waren, dass die Aktion unseriös sei. Darauf entgegnete er völlig entspannt, dass er diese Leute kenne, die nicht auch mal über sich selbst lachen können. Sie täten ihm Leid und seien in seinen Augen selten wirklich seriös. Seine Professionalität, seine unfassbar genialen Fähigkeiten und seine Intelligenz konnten wohl auf den ersten Blick distanziert oder kühl wirken. Bei genauerem Hinsehen musste man allerdings den warmherzigen, vertrauenden, selbstkritischen und zutiefst idealistischen Menschenfreund erkennen, der sein ganzes Leben darauf verwendet hat, die Welt mit seiner Musik besser zu machen. Ich werde ihn sehr vermissen.“ Matthias Ambrosius Orchestervorstand der Münchner Philharmoniker 27 28 Fr. 06.03.2015, 20:00 Uhr 3. Abo h5 Antonín Dvořák Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 Richard Strauss „Also sprach Zarathustra“ op. 30 Richard Strauss „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ op. 28 Vorschau Do. 19.03.2015, 20:00 Uhr 3. Abo k5 Fr. 20.03.2015, 20:00 Uhr 5. Abo c So. 22.03.2015, 19:00 Uhr 5. Abo g5 Franz Schubert Symphonie Nr. 4 c-Moll D 417 („Tragische“) Gustav Mahler Symphonie Nr. 5 cis-Moll Graphik: dm druckmedien gmbh, München Druck: Color Offset GmbH, Geretsrieder Str. 10, 81379 München Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt. Wolfgang Rihm Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 Anton Bruckner Symphonie Nr. 9 d-Moll (Originalfassung 1894) Robert Trevino, Dirigent Christoph Eschenbach, Dirigent Tzimon Barto, Klavier Textnachweise Martin Demmler, Tobias Niederschlag, Thomas Leibnitz, Egon Voss, Paul Müller, Stefan Gagelmann, Alexandra Gruber und Matthias Ambrosius schrieben ihre Texte als Original­­beiträge für die Programm­hefte der Münchner Philharmoniker. Lexikalische Angaben und Kurzkommentare: Stephan Kohler. Künstlerbiographien: Christine Möller. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungsund kostenpflichtig. Bildnachweise Abbildung zu Mieczysław Wein­berg: David Fanning, Mieczysław Weinberg – Auf der Suche nach Freiheit, Hofheim 2010; Abbildung zu Alban Berg: Anthony Pople (Hrsg.), Alban Berg und seine Zeit, LaaberVerlag, Laaber 2000. Ab­bildungen zu Ludwig van Beethoven: Joseph Schmidt-Görg und Hans Schmidt (Hrsg.), Ludwig van Beethoven, Bonn / Hamburg / Braunschweig 1969; H. C. Robbins Landon, Beethoven – A documentary study, New York / Toronto 1970. Künstlerphotographien: Roberto de Armas (Nesterowicz), Bernd Noelle (Eberle). Abbildungen von Lorin Maazel: Petra Coddington, Christian Beuke, Severin Vogl, wildundleise.de. Valery Gergiev, Dirigent Sol Gabetta, Violoncello Impressum Herausgeber Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4, 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: Do. 26.03.2015, 20:00 Uhr 5. Abo b Fr. 27.03.2015, 20:00 Uhr 6. Abo d Sonderkonzert Dienstag, 28.04.2015, 20 Uhr Philharmonie im Gasteig Martin Grubinger Percussion Eivind Gullberg Jensen Dirigent Mikhail Glinka Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“ Bruno Hartl Konzert für Schlagwerk und Orchester op. 23 Modest Mussorgskij „Bilder einer Ausstellung“ (Instrumentierung: Maurice Ravel) Weiterer Termin: Mittwoch, 29.04.2015, 20 Uhr Karten € 61 / 51,50 / 45 / 36,90 / 31,20 / 18,10 / 12,30 Informationen und Karten über München Ticket KlassikLine 089 / 54 81 81 400 und unter mphil.de 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant