Nr. 120 | 4. Quartal 2016 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E B 42890 LEBENSFORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ausland Abtreibungspille per Luftpost Medizin Was wir über den Embryo wissen Gesellschaft Enttäuschendes Manifest Fremdnützige Forschung Bundestag kippt Schutzstandards LebensForum 120 In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) 1 INHALT DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR LEBENSFORUM 120 EDITORIAL Reales Halloween Alexandra Maria Linder 3 4-7 TITEL Kein Sturm im Wasserglas Stefan Rehder 4 Türöffner Erklärung von Hubert Hüppe 8 AUSLAND Staatsdogma Abtreibung Markus Werz 9 Der Tod kommt frei Haus Cornelia Kaminski 12 BIOETHIK-SPLITTER 10 LIFE ISSUES INSTITUTE Der Deutsche Bundestag hat die Schutzstandards für die fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen gesenkt. MEDIZIN Ohne Ehrfurcht keine Zukunft Dr. med. Susanne Ley 16 Der Embryo: Individuum und Person Prof. Dr. Günter Rager 19 19 - 24 GESELLSCHAFT 25 »Sie haben doch 3 gesunde Kinder!« 28 Aufgezeichnet von Eckhard Michaelis BÜCHERFORUM 30 KURZ VOR SCHLUSS 32 LESERBRIEFE 34 IMPRESSUM 35 LETZTE SEITE 36 2 Zellhaufen? Schwangerschaftsgewebe? Und die Erde ist eine Scheibe: Es ist schon erstaunlich, was wir dank der Embryologie längst alles über die Entwicklung des Menschen wissen und trotzdem ignorieren. DANIEL RENNEN Enttäuschend Stefan Rochow 25 - 27 Warum das Memorandum zu Fragen des Lebensschutzes des Kolpingwerks nicht nur enttäuscht, sondern auch unnötig provoziert. LebensForum 120 E D I TO R I A L 12 - 15 In das Stelldichein der Abtreibungsärzte und -lobbyisten in Lissabon hat sich auch die Zweite Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA, Cornelia Kaminski, geschmuggelt. 28 - 29 Ein Ehepaar, das bereits drei Kinder hat und sich ein weiteres Kind wünscht, erwartet überraschend Zwillinge: Tagebuch einer ungewöhnlichen Geburtsgeschichte. LebensForum 120 Reales Halloween sen Sie einfach den Artikel über die FIAPAC-Konferenz in Lissabon. Und es gibt unerwartete Volten, wie das Ansinnen von Liebe Leserin, lieber Leser! Kolping, katholische BeratungsstelWas wird heutzutage nicht alles mit len zurück ins staatder Gattung Mensch angestellt. Liest liche Scheinsystem man den Beitrag von Professor Dr. Razu bringen. ger, den er auf der BundesdelegiertenverÄrzte stehen im sammlung im Juni vorgestellt hat, kann Augenblick an eiman eigentlich nicht umhin, Ehrfurcht nem Scheideweg, was den assistierten Suvor dieser Wunderschöpfung Mensch izid angeht. Hierzu finden Sie im Heft zu bekommen. Wie einmalig, wie uneine Beilage mit einem Aufruf zur klaren verwechselbar, wie unglaublich ist jede Positionierung. Wenn Sie in diesem Beeinzelne Person! Umso heftiger ist die reich beruflich tätig sind, unterstützen Wirkung dessen, was Sie in diesem Heft Sie bitte die Kampagne von Frau Dr. Ley außerdem erwartet. aus Köln und geben Sie es weiter. DaSobald der Mensch nicht willkürlichen mit möchten wir verhindern, dass Ärzte Qualitätsrichtlinien entspricht, wird er ofzu Suizidassistenz-Profis werden. Denn fenbar als Mensch zweiwenn jemand durch beter Klasse oder möggleiteten Selbstmord licherweise gar nicht sterben will, fragt er »Person: Einmalig und mehr als Mensch angenicht seinen Nachbarn sehen, vor allem dann, oder seine Schwester, unverwechselbar« wenn er wenige Tage sondern wünscht sich oder Wochen alt oder natürlich Fachkompebeeinträchtigt ist. tenz. Je mehr Ärzte den Man kann vielleicht demnächst, auch Aufruf unterstützen, desto größer ist die wenn der Mensch selbst nicht in der LaChance, festzulegen, dass die Mehrheit ge ist, einzuwilligen beziehungsweise zu der Ärzte auch weiterhin nicht zum Towidersprechen, mit und an ihm herumdesverhelfer werden will und dies auch forschen und Neuheiten ausprobieren, in der Berufsordnung so steht. ohne dass es ihm selbst dient (früher eiDie ALfA wird im nächsten Jahr 40 ne eherne Regel in diesem Bereich). Hier Jahre alt. Das werden wir feiern, mit dem wirkt der CDU-Bundestagsabgeordnete leisen Hintergedanken, dies könnte der Hubert Hüppe gerade an federführender letzte runde Geburtstag sein – nicht weil Stelle mit, um solche Entscheidungen zu wir aufgeben wollen, sondern weil Leverhindern. bensrecht zum Standard und die ALfA Bei aller wissenschaftlichen Notwendamit überflüssig wird. digkeit braucht es, um die EntwicklunGerade am Ende eines Jahres wergen auf jeder Ebene zu veranschaulichen, den wir in der Gewissheit bestärkt, dass bewegende Geschichten aus dem Leben, wir die Hoffnung nie aufzugeben braudie verdeutlichen, dass es nicht um fiktive chen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Möglichkeiten, sondern immer um zum im Namen der ALfA gesegnete WeihBeispiel konkrete Familien mit konkrenachten und ein hoffnungsvolles neues ten Kindern geht. Eine solche GeschichJahr. te wurde uns dankenswerterweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Ihre Während die Forschung, wie Sie im Artikel über Eizellen nachlesen können, die Grenzen des Machbaren weiter verschiebt, geht es in Kernbereichen des Lebensrechts wie der Abtreibung um ganz andere Dinge – wir brauchen kein HalloAlexandra Maria Linder ween, um uns ordentlich zu gruseln. LeBundesvorsitzende der ALfA 3 TITEL Kein Sturm im Wasserglas Die Tests von Medikamenten an Menschen sind notwendig, aber mitunter ethisch heikel. Das gilt besonders, wo diese an Menschen vorgenommen werden, die davon selbst nicht mehr profitieren können. Noch problematischer ist es, wenn diese Menschen gar nicht in der Lage sind, »Wesen, Bedeutung und Tragweite« solcher Tests zu erkennen und ihren »Willen« danach auszurichten. Trotzdem hat der Bundestag genau dies kürzlich beschlossen und damit ein Tabu gebrochen. E s stimmt schon: Vermutlich wird – zumindest vorerst – niemand die Anfang November vom Deutschen Bundestag beschlossene Novelle des deutschen Arzneimittelrechtes mit seinem Leben bezahlen müssen. Dennoch ist die von Kirchen, Lebensrechtlern und Behindertenverbänden artikulierte Kritik an der vom Bundestag dabei mehrheitlich verabschiedeten Neuregelung alles andere als ein »Sturm im Wasserglas der Moral« oder »ethische Erbsenzählerei«. Zumal die Absenkung des mit ihr verbundenen Schutzniveaus erkennbar keiner wissenschaftlich begründbaren Notwendigkeit folgt. Aber der Reihe nach. Die Fakten: Am 11. November hat der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung mit 357 gegen 164 Stimmen bei 22 Enthaltungen den »Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher Bestimmung und anderer Vorschriften« (Drucksache 18/18034) in Dritter Lesung beschlossen. Anlass für die Novellierung des deutschen Arzneimittelgesetzes ist die vor zwei Jahren von der Europäischen Union mit der EU-Verordnung 536/2014 neu geregelte Prüfung von Humanarzneimitteln. Eine EU-Verordnung ist einer von zwei möglichen Gesetzgebungsakten der Europäischen Union. Sie werden in der Regel auf Vorschlag der Europäischen Kommission vom Rat der Europäischen Union, das heißt dem jeweils zuständigen Fachministerrat der EU-Mitgliedsstaaten, und dem Europäischen Parlament gemeinsam erlassen. Mit solchen 4 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR Von Stefan Rehder LebensForum 120 diese zuvor in einem einwilligungsfähigen Zustand nach ärztlicher Aufklärung dazu schriftlich bereit erklärt haben. Die Bereitschaft dazu kann jederzeit widerrufen werden. Ferner dürfen die Studien für die Probanden nur »minimal belastend« und müssen zuvor von einer Ethikkommission begutachtet und genehmigt worden sein. Allerdings kann künftig – auch die- zählt, hatte am 9. November erfolgreich einen Änderungsantrag eingebracht, demzufolge Ärzte, die solche Studien durchführen, auch nonverbale Äußerungen wie ablehnende Gesten zu beachten hätten. Mehr war für die Gegner dieser Forschung nicht zu holen. Denn zuvor hatte das Parlament den von einer Gruppe von mehr als 150 Abgeordneten um Ex-BundesgesundheitsCDU SPD Verordnungen verfolgt die Europäische Union das Ziel, EU-weit einen einheitlichen Rechtsrahmen für bestimmte Bereiche zu schaffen. Dabei steht es sämtlichen Mitgliedsstaaten jedoch in aller Regel frei, einzelne Sachverhalte strengeren Regeln zu unterwerfen, als dies das von ihnen neu zu etablierende Gemeinschaftsrecht vorsieht. Dazu später mehr. Mit der EU-Verordnung 536/2014 soll ein EU-weiter einheitlicher Rechtsrahmen für Medikamententests an Menschen geschaffen werden. Bis Oktober 2018 müssen alle Mitgliedsstaaten der »Der heftig umstrittene Passus wurde leidenschaftlich debattiert« Europäischen Union diese Verordnung in nationales Recht umgesetzt haben. Die in der Verordnung vorgesehenen Regelungen sind aus deutscher Sicht überwiegend unstrittig gewesen. Strittig war aber bis zuletzt die Abschaffung des bis dato in Deutschland geltenden Verbots, solche Medikamententests auch an Personen durchzuführen, die zum Zeitpunkt der Durchführung klinischer Studien nichteinwilligungsfähig sind und von den Ergebnissen der klinischen Prüfung selbst keinen erwartbaren Nutzen haben. Unter einer klinischen Prüfung versteht man die versuchsweise Verabreichung von Arzneimitteln an Menschen. Solche Medikamententests sind mit einer genauen Beobachtung der Patienten und einer Auswertung der dabei gewonnenen Daten nach einem vorher festgelegten Schema verbunden. Über diesen heftig umstrittenen und von Kirchen, Lebensrechtlern, Behindertenverbänden und Patientenschützern vehement kritisierten Passus hatte der Bundestag, wenige Tage zuvor, am 9. November in Zweiter Lesung zweieinhalb Stunden über leidenschaftlich debattiert. Anschließend stimmten 330 Abgeordnete für eine Regelung, mit der das bisher geltende absolute Verbot der fremdnützigen Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen aufgehoben wird. 243 Parlamentarier stimmten dagegen, acht enthielten sich. Für die namentlichen Abstimmungen am 9. und 11. November war jeweils der Fraktionszwang aufgehoben worden. Das Ergebnis: Künftig können Humanarzneimittel im Rahmen klinischer Studien an nichteinwilligungsfähigen Personen dann getestet werden, wenn sich LebensForum 120 Ulla Schmidt, SPD Hermann Gröhe, CDU se Neuerung war unter den Parlamentariern heftig umstritten – das Bundesamt für Arzneimittelsicherheit die Ethikkommissionen überstimmen. Der CDU-Gesundheitspolitiker Hubert Hüppe, der zu den vehementen Befürwortern eines Verbots fremdnütziger Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ministerin Ulla Schmidt (SPD) eingebrachten Änderungsantrag mit 321 gegen 254 Stimmen bei acht Enthaltungen abgelehnt. Dieser auch von Hüppe unterstützte Antrag (Drucksache 18/10233) wäre auf die Beibehaltung des Verbots fremdnütziger Forschung an nichteinwilligungsfähigen Personen hinausgelaufen. ANZEIGE Akademie Bioethik: Zellhaufen? Mensch? Menschenrechte? Gilt das Menschenrecht auf Leben schon vor der Geburt? 13. bis 15. Januar 2017 - Köln Weitere Infos: [email protected] 5 TITEL Die Hintergründe: Besonders brisant ist dabei, dass die Umsetzung der EU-Verordnung 536/2014 eine Absenkung der bis dato in Deutschland geltenden Schutzstandards für nichteinwilligungsfähige Personen gar nicht erforderlich gemacht hätte. Denn Artikel 31 der EU-Verordnung 536/2014 hätte den EU-Mitgliedsstaaten auch erlaubt, an einem gesetzlichen Verbot fremdnütziger Forschung an nichteinwilligungsfähigen Patienten festzuhalten. Als nichteinwilligungsfähig gilt nach Paragraf 41 Absatz 3 Arzneimittelgesetz (AMG), wer »nicht in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer klinischen Prüfung zu erkennen und« seinen »Willen hiernach auszurichten«. Mehr noch: Selbst der »Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller« (vfa) hält derartige Studien für nicht erforder- lich. Dazu passt, dass es nach Recherchen von »LebensForum« auch im liberaleren Ausland weltweit bislang keine einzige publizierte Studie gibt, die ausschließlich mit nichteinwilligungsfähigen Patienten durchgeführt wurde. Auch der ursprüngliche, Ende 2015 vorgelegte Referentenentwurf sah noch die Beibehaltung des geltenden Schutzniveaus von nichteinwilligungsfähigen »180-Grad-Wende ist fachlich wie moralisch nicht nachvollziehbar« Menschen vor. Darin hieß es: »Die Beibehaltung des Schutzniveaus für nichteinwilligungsfähige Erwachsene trägt dem Beschluss des Bundestags vom 31. Januar 2013 (Drucksache 17/12183) Rechnung. Danach ist bei der Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen ein direkter individueller Nutzen vorauszusetzen. Dies entspricht auch dem Beschluss des Bundesrates vom 12. Oktober 2012 (Drucksache 413/12) ...« Die Bewertung: Die 180-Grad-Wende, die der Bundestag nun vollzogen hat, ist daher sowohl fachlich wie moralisch nicht nachvollziehbar. Fachlich, weil dafür überhaupt keine Notwendigkeit zu bestehen scheint. Und ethisch, weil es sich bei Nichteinwilligungsfähigen um einen besonders schützenswerten Personenkreis handelt. Die im Laufe der Debatte verschiedentlich vorgetragene Behauptung, es stelle gewissermaßen eine Diskriminierung dar, wenn diesen Personen zu einem Zeitpunkt, zu dem sie einwilligungsfähig INFO Auszüge aus der Bundestagsdebatte Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): »(...) Der Ausgangspunkt ist – da habe ich keine Zweifel, dass wir uns da einig sind –, dass kranke Menschen, die nicht selbst in Forschungsvorhaben einwilligen können, eine besonders verletzliche und damit auch eine besonders schützenswerte Personengruppe sind, so wie das auch in der Deklaration von Helsinki beschrieben ist. Im Hinblick auf all diese Fragen hat schon der Nürnberger Kodex von 1947 gesagt, dass Aufklärung über Nutzen, Risiken und möglicherweise auch Belastungen eine zwingende Voraussetzung dafür sein soll, dass einwilligungsfähige Menschen, Probandinnen und Probanden, in ein Forschungsvorhaben einsteigen können. Dabei ist klar, glaube ich, dass von Nutzen nur dann gesprochen werden kann, wenn es eigennützig ist. Bei ›fremdnützig‹ stehen immer die Belastungen und auch die eventuellen Risiken im Vordergrund; bei fremdnützigen und gruppennützigen Forschungsvorhaben gibt es keinen individuellen Nutzen. Ich glaube, dass das der Grund ist, warum bisher bei allen Debatten über die Frage ›Forschung an Nichteinwilligungsfähigen‹ hier im Parlament einstimmig Konsens war, in dieser schwierigen Abwägung zwischen dem hohen Schutzbedürfnis des Nichteinwilligungsfähigen auf der einen Seite und dem vielleicht vorhandenen Nutzen und den Notwendigkeiten medizinischen Forschens auf der anderen Seite zu sagen: Nichteinwilligungsfähige können dann an Forschungsvorhaben teilnehmen, wenn sie davon einen individuellen 6 Nutzen haben. Denn von einem solchen Nutzen wollte man auch Nichteinwilligungsfähige nicht ausschließen. Die aktuelle Gesetzeslage – auch Frau Vogler hat darauf hingewiesen – wurde Anfang 2016 noch einmal einstimmig bestätigt – mit dem Auftrag, bei der Arzneimittelrichtlinie dafür zu sorgen, dass dieses hohe Schutzniveau in Deutschland erhalten bleibt. Dem ist die EU-Kommission nachgekommen, aber davon soll jetzt abgewichen werden. Das ist schon ein Widerspruch in sich. Das war etwas, was uns geeint hat, und jetzt soll es geändert werden. (...) Ich glaube, drei Gründe sprechen dagegen. Erstens: Zu dem Zeitpunkt, an dem ich eine solche Vorabentscheidung treffe, kenne ich den Forschungsinhalt nicht (...). Keiner, auch kein Arzt, kann mich über Risiken, Nutzen oder Sonstiges aufklären. (...) Zweitens: Jeder Proband und jede Probandin, die an einer Studie teilnehmen, haben das Recht, jederzeit ohne Nachteil selbstbestimmt aus einer Studie wieder aussteigen zu können. Auch das kann der Nichteinwilligungsfähige nicht wahrnehmen, weil die Möglichkeit, selbstbestimmt auszusteigen, für ihn nicht mehr gegeben ist. Damit ist es auch eine Benachteiligung gegenüber denen, die einwilligungsfähig sind. Drittens: Wir überschreiten diese Grenze, ohne dass wirklich ein Nutzen vorhanden ist. Die Kollegin Vogler hat gesagt: Niemand kann uns sagen, welche Forschung nicht möglich ist, wenn wir diesen Weg nicht ge- hen – Professor Dr. Johannes Pantel, Leiter des Arbeitsbereichs Altersmedizin der Universität Frankfurt, hat auf diese Frage so geantwortet: Ich kann mir nicht wirklich eine klinische Forschung vorstellen, die zu wesentlichen Fortschritten führt und ausschließlich mit einer solchen Gesetzesänderung möglich wäre. Irgendwann werden im Zuge der Teilnahme an einem Forschungsvorhaben medizinische Belastungen bei den Menschen auftreten. Er spricht sich weiter dafür aus, dass das, was wir hier machen, ausschließlich dem Wohle der Patienten dienen solle. Dem steht aber die gruppennützige Forschung entgegen. Wir brauchen keine neuen Wege. Lassen Sie mich abschließen mit dem, was die Deutsche Alzheimer Gesellschaft gesagt hat. Sie ist die Selbstvertretung der Menschen mit Demenz. Sie hat dazu aufgefordert, die Regelung, wie wir sie jetzt haben, beizubehalten, und sie setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Demenz, die nicht mehr einwilligungsfähig sind, selber entscheiden können müssen, ob sie aus einer Studie aussteigen. Weiterhin sagt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, dass das, was wir hier vorhaben, nämlich dass die Betreuer es entscheiden sollen, nicht mit dem geltenden Betreuungsrecht zu vereinbaren ist; denn die Betreuer sind dem Wohle des Einzelnen verpflichtet. (...) Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns diesen VorschläLebensForum 120 seien, das Recht genommen werde, sich für den Fall der Fälle aus altruistischen »Ein derartiger Blankoscheck ist keine Selbstbestimmung« Gründen der Forschung zur Verfügung zu stellen, ist übelste Bauernfängerei. Selbstverständlich ist das Selbstbestimmungsrecht so lange zu respektieren, wie ein Mensch sich noch selbstbestimmen kann. Nur hat das, was der Bundestag jetzt mehrheitlich beschlossen hat, mit echter Selbstbestimmung gar nichts zu tun. Dass jemand sich vorausverfügend zu Medikamententests bereit erklärt, deren Ziele, Umfänge und mögliche Belas- gen folgen. Lassen wir die Gesetzeslage, wie sie ist. Sie reicht aus. Deutsche Forschung ist immer noch Spitze in der Welt. (...)« Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit (CDU): »(...) Auch wenn es in dieser Debatte zuallererst um die Zulässigkeit sogenannter gruppennütziger Forschung geht, möchte ich doch zunächst etwas zum Gesetzentwurf insgesamt sagen. Wir setzen mit diesem Vierten AMG-Änderungsgesetz eine EU-Verordnung um, deren Ziel die Harmonisierung klinischer Studien ist. Diese Harmonisierung wird dazu führen, dass auch Menschen in unserem Land schneller Zugang zum medizinischen Fortschritt erhalten. Wer einmal erlebt hat, wie viele Menschen Hoffnung auf die Möglichkeit zur Beteiligung an einer solchen Studie setzen, wird wissen, was das bedeutet. Ich denke auch daran, dass im letzten Jahr die Europäische Arzneimittel-Agentur Zulassungen von Arzneimitteln zurückgezogen hat, weil es zu Recht Zweifel an klinischen Studien in anderen Kontinenten gab. Es geht also im Kern um den Schutz von Patientinnen und Patienten und um den Zugang zum medizinischen Fortschritt. (...) Ich will aber auch sagen, worum es aus meiner Sicht nicht geht. Es geht nicht um eine Abwägung zwischen Lebensschutz und Forschungsinteresse. Würde es darum gehen – da kann ich wirklich auf mein Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit hinweisen –, LebensForum 120 tungen er zum Zeitpunkt der Erklärung gar nicht kennen kann und die zu diesem Zeitpunkt nicht einmal den Forschern, die sie konzipieren, und den Ärzten, die sie durchführen werden, bekannt sein können, kann unmöglich Ausdruck von Selbstbestimmung sein. Wer einen derartigen Blankoscheck ausstellt, bestimmt nicht mehr sich selbst, sondern verzichtet vielmehr darauf. Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, auch der Verzicht auf Selbstbestimmung sei eine Form, sich selbst zu bestimmen, und daher zu respektieren. Dann sollte man zumindest den Mut besitzen, das auch so zu benennen. Aber auch würde die informierte Einwilligung des Patienten, der sogenannte »informed consent«, auf dem nicht nur das »Arzt-Patient-Verhältnis«, sondern praktisch die gesamte moderne Medizin basiert, wenn wäre für mich klar, dass ich auf der Seite des Lebensschutzes stünde. (...) Deshalb lehne ich wie viele beispielsweise jede verbrauchende Embryonenforschung ab, bei der Lebensschutzinteressen gegenüber Forschungsinteressen hintangestellt werden. Nein, worum es heute geht, ist, wie wir in diesen schwierigen Fragen die Orientierung auf die Menschenwürde, zu der wir alle verpflichtet sind, behalten. Dazu aus meiner Sicht drei Anmerkungen. Erstens: Gerade die Schwächsten brauchen unseren Schutz. Ich lehne die ›Verzweckung‹ eines Menschen – ein Begriff aus der Anhörung – ausdrücklich ab. Sie darf es nicht geben. Deswegen freue ich mich darüber, dass es in Wahrheit bei allem notwendigen Ringen einen großen Konsens darüber gibt und dass wir, egal welcher Antrag heute beschlossen wird, die strengste Regelung in der Europäischen Union haben und wir gemeinsam eine Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ohne deren Einwilligung ablehnen. Dafür hatten wir in Brüssel im Rahmen der Beauftragung durch den Bundestag gekämpft. Dies haben wir durchgesetzt. Davon machen wir Gebrauch, unabhängig davon, welcher Antrag heute hier beschlossen wird. Zweitens: Zum Menschsein gehört es auch, Leid lindern zu wollen, Krankheiten besser zu verstehen, ja heilen zu können. Mich bedrückt der in Teilen – weniger hier, aber in der öffentlichen Debatte – forschungsfeindliche Ton; denn gerade solche Töne gefährden die notwendige Debatte über die ethi- auch nicht völlig auf den Kopf gestellt, so doch in einem sehr sensiblen Bereich ausgehebelt, nämlich ausgerechnet dort, wo es um besonders vulnerable Patienten geht. Warum der Deutsche Bundestag so entschied, wie er entschied, ist schwer zu begreifen. Eine ebenso spannende wie beunruhigende Lesart hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe öffentlich gemacht (siehe dazu Seite 8f). »Der ›informed consent‹ wird ausgehebelt« Wie auch immer es sich verhält: Der moralische Kollateralschaden ist – so oder so – immens. schen und rechtlichen Grenzen unseres Forschens. (...) Drittens: Menschsein verwirklicht sich auch in der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts, auch wenn es weit darüber hinausgeht. Dass das Selbstbestimmungsrecht auch Vorausverfügungen für den Fall eigener Nichteinwilligungsfähigkeit umfasst, ja sogar zwingend umfassen muss, ist durch die Rechtsprechung und Gesetzgebung zur Patientenverfügung immer wieder betont worden. Dabei können solche Verfügungen beispielsweise einen Behandlungsabbruch oder einen Behandlungsverzicht vorgeben und damit eine Entscheidung treffen, die bis zur schnelleren Lebensbeendigung führen kann. Um weit weniger geht es bei den Entscheidungen über die Beteiligung an einer Studie, bei der Belastung und Risiko minimal sein müssen. Wir haben damit ja Erfahrungen durch die Anwendung der entsprechenden Regelung seit 2004 bei Kindern – auf die wir übrigens, weil wir viel zu wenig ausdrücklich für Kinder zugelassene Arzneimittel haben, so dringend angewiesen sind. (...) Meine Damen, meine Herren, diese drei Gedanken haben uns bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes geleitet. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich es gut finde, dass wir – nach sehr intensiven parlamentarischen Beratungen und zwei Anhörungen – Sorgen und Anfragen bezüglich des Gesetzentwurfes heute auch in Form von Änderungsanträgen aufnehmen und uns insofern eine Weiterentwicklung vorgenommen haben. (...)« 7 TITEL Türöffner Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags sieht in § 31 vor, dass jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine kurze schriftliche Erklärung abgeben kann, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Davon hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe Gebrauch gemacht. »LebensForum« dokumentiert die Erklärung des Gesundheitspolitikers und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen im Wortlaut: nahme nicht einwilligungsfähiger Personen zu streichen. Dies ist umso nahe liegender, als diese Forderung von als vermeintlichen Befürwortern der jetzt getroffenen Regelung vorgestellten Gruppen bereits während der parlamentarischen Beratungen erhoben worden ist. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik CDU »Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 GO zu TOP 36 am 11.11.2016 Ich stimme heute in der Dritten Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften auf Drucksache 18/8034 mit Nein, obwohl ich als Berichterstatter den während des parlamentarischen Verfahrens erarbeiteten Änderungen, die sich in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/10056 wiederfinden, zugestimmt habe. Grund meiner Ablehnung ist die Einführung von fremdnützigen klinischen Arzneimittelprüfungen an nicht einwilligungsfähigen Menschen, die ausschließlich einen Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe, zu der die betroffene Person gehört, zur Folge haben wird, nicht jedoch für den nicht einwilligungsfähigen Probanden selbst, sogenannte gruppennützige klinische Prüfungen. Diese lehne ich aus ethischen Türöffner für die Einbeziehung besonders vulnerabler Gruppen Die getroffene Regelung ist erkennbar praxisuntauglich Gründen ab und bekenne mich zu dem vom Deutschen Bundestag am 31. Januar 2013 einstimmig gefassten Beschluss: ›Bei Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen und an Personen in Notfallsituationen ist ein direkter individueller Nutzen vorauszusetzen‹. Die erkennbare Praxisuntauglichkeit der vorgesehenen schriftlichen Verfügung nach ärztlicher Aufklärung wird absehbar zu der Forderung führen, die schriftliche Verfügung einschließlich der ärztlichen Aufklärung als zwingende Voraussetzung gruppennütziger klinischer Prüfungsteil8 anders als die entsprechende EU Richtlinie – wirklich so eng begrenzen?‹ Das KKS-Netzwerk und der Medizinische Fakultätentag schrieben am 18. Mai 2016 an den Gesundheitsausschuss, dass sie eigentlich die schriftliche Verfügung – und damit implizit auch die damit verknüpfte ärztliche Aufklärung – ablehnen: ›Auch wenn wir uns eine generelle Regelung ohne Patientenverfügung wünschen würden, so unterstützen wir den Vorschlag der Bundesregierung, die gruppennützige Hubert Hüppe, CDU und Nervenheilkunde (DGPPN) hielt in ihrer Stellungnahme zur 4. AMG-Novelle vom 28. August 2016 fest, dass die vorgesehene gesetzliche Regelung gruppennützige Forschung an Menschen, die ›nie einwilligungsfähig waren (wie bei Menschen mit geistigen Behinderungen)‹ unmöglich mache, und stellte die rhetorische Frage: ›Will also der deutsche Gesetzgeber gruppennützige Forschung – Forschung bei einer Untergruppe der nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen auf der Basis einer Patientenverfügung zu erlauben.‹ Der als Einzelsachverständiger zur Anhörung am 16.10.2016 geladene Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen, Professor Dr. Joerg Hasford, empfahl in seiner schriftlichen Stellungnahme, ›den Artikel 31 der EU-Verordnung Nr. 536/2014 nicht mit eigener Gesetzgebung zu ergänzen‹, also gruppennützige Forschung gemäß Artikel 31 der EU-Verordnung an allen nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen und Kindern, einschließlich solchen mit sogenannter geistiger Behinderung, in Deutschland zu legalisieren. Daher halte ich die Befürchtung für begründet, dass die heutige begrenzte Zulassung fremdnütziger Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen der Türöffner für die zukünftige Einbeziehung zusätzlicher besonders vulnerabler Gruppen in fremdnützige Forschung ist. Hubert Hüppe, MdB« LebensForum 120 AUSL AND Staatsdogma Abtreibung Geht’s noch? Frankreichs sozialistische Regierung will tatsächlich die »Behinderung« von vorgeburtlichen Kindstötungen durch Informationsangebote von Lebensrechtlern im Netz kriminalisieren und zukünftig mit Haft- und/oder Geldstrafen ahnden können. Von Markus Werz LebensForum 120 auseinandersetzen, bevor die Nationalvertung des »délit d’entrave«, also des Versammlung endgültig abstimmt. suchs, eine Abtreibung zu verhindern, auf Der aktuelle Gesetzesentwurf zur Ändas Internet auch strafrechtlich weitergederung des Artikels L 2223-2 des Code de führt werden. la Santé Publique wurde von der RegieDie Polemik in der Sozialkommissirung Valls in einem Schnellverfahren einon war nicht einer grundsätzlichen Abgebracht, das die Abstimmung bereits nach lehnung der Abtreibung von Seiten der der ersten Lesung ermöglicht. Im Oktokonservativen Republikaner geschuldet. ber war der Vorstoß der Regierung im SeSie warf der Regierungsfraktion lediglich nat gescheitert, die gleiche Gesetzesändevor, den Vorwahlkampf der Republikarung versteckt in einem Gesamtpaket zur ner durch die Terminplanung dieser AbReform der Gesundstimmung torpedieren heits- und Sozialgesetzzu wollen. Tatsächlich gebung in Kraft zu setstimmte die konservazen. Seit längerer Zeit tive Opposition bis auf häufen sich auch die Äusieben Ausnahmen, unßerungen der Gesundter ihnen befand sich der heitsministerin Marigescheiterte Vorwahlsol Touraine gegen Inkandidat Jean-Frédéric ternetseiten, die FrauPoisson, für die Abtreien ein alternatives In- Französische Nationalversammlung bungs-Apologie vom 26. formationsangebot zur November 2014 zum Abtreibung bereitstellen. Der Vorwurf der 40. Jahrestag der Loi Veil. Nun wird sich Ministerin lautet auf Irreführung, denn die im von den Republikanern dominierten Seiten erweckten durch ihre ProfessionaSenat entscheiden, wie sich die Konservalität und das Angebot einer Gratis-Teletiven zu diesem Gesetzesvorhaben stellen. fonhotline den Eindruck, offizielle InforBereits im Januar dieses Jahres wurde zumationsportale zu sein. Allerdings sucht dem die Bedenkfrist von einer Woche vor man auf den Seiten des Gesundheitsmider Abtreibung abgeschafft. In Frankreich nisteriums den Hinweis, dass die Abtreiwerden jährlich rund 220.000 Abtreibunbung Tötung von menschlichem Leben gen durchgeführt, was einem Anteil von ist und mit schweren Belastungen für die 20 Prozent an allen Schwangerschaften werdende Mutter verbunden sein kann, entspricht. Kritik an der Abtreibung gibt vergebens. Der tatsächliche Grund für die es in den Eliten kaum. Man kann, wie der Offensive der Regierung dürfte in der Tatneue Präsidentschaftskandidat Fillon, den sache liegen, dass die Alternativangebote die Medien als konservativen Katholiken wie ivg.net besser über die Suchmaschibeschreiben, im Privaten die Abtreibung nen auffindbar sind als die Seiten des Miablehnen, aber dennoch den lebensfeindnisteriums oder der Abtreibungsorganisalichen Trend mit dem eigenen Abstimtion »Planning familial«. Seit dem Machtmungsverhalten unterstützen. Er stimmantritt der Sozialisten im Jahre 2012 spürt te 2014 für das »Grundrecht auf Abtreiman die Tendenz zur Dogmatisierung der bung«. Am Freitag fehlte Fillon bei der Abtreibung. So wurde die Abtreibung, die Abstimmung in der Nationalversammin Frankreich – wie auch in Deutschland – lung. Auf solche Politiker ist bei der Erlediglich straffrei ist, per Abstimmung der richtung einer Kultur des Lebens nicht zu Nationalversammlung im Jahr 2014 zum zählen. Dafür werden am 22. Januar 2017 Grundrecht. Nun muss die Dogmatisiewieder tausende Teilnehmer am »Marsch rung der Abtreibung durch die Ausweifür das Leben« in Paris erwartet. REUTERS D er Vorwahlkampf der Republikaner wird durch einen befremdlichen Moment in der Erinnerung bleiben: Gegen den Vorwurf Alain Juppés, die Abtreibung einschränken zu wollen, verteidigte sich François Fillon mit dem Hinweis, noch nie gegen die Abtreibung gestimmt zu haben. Der nationale Konsens um das sogenannte Recht auf Abtreibung war im Nu wiederhergestellt. Weniger präsent in den Medien waren hingegen die Auswirkungen dieses Schlagabtausches auf die Sozialkommission der französischen Nationalversammlung. Dort wird derzeit ein Text diskutiert, der vorsieht, die Einschränkungen, die bereits für die Gehsteigberatung bestehen, auch auf das Internet auszudehnen. Das bedeutet konkret, dass Internetseiten gesperrt und deren Betreiber strafrechtlich belangt werden können, wenn ihr Informationsangebot »psychischen Druck« auf die Frauen ausübt, nicht abzutreiben. Das sogenannte »Grundrecht auf einen Schwangerschaftsabbruch« darf nicht durch andere Informationen, die den Tod des Embryos oder mögliche psychische Belastungen für die Frau thematisieren, eingeschränkt werden. Wer die Abtreibung behindere, müsse mit bis zu zwei Jahren Gefängnis und 30.000 Euro Geldstrafe rechnen. Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz Erzbischof Georges Pontier von Marseille hat noch am Vorabend der Abstimmung an den Staatspräsidenten François Hollande appelliert, »ein so wichtiges Thema nicht in parteipolitischen Schablonen« zu diskutieren. Dieser Gesetzesentwurf drohe die Meinungsfreiheit einzuschränken. Erzbischof Pontier fragte: »Muss man notwendigerweise jede Alternative zur Abtreibung ausschließen, um als ehrlicher Staatsbürger zu gelten?« Nach dem Ja der Sozialkommission am Mittwoch stimmte am vergangenen Freitag die Nationalversammlung für den Gesetzesentwurf. Nun muss sich der Senat mit diesem Projekt 9 BIOETHIK-SP L I T T E R +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio Augsburg (ALfA). Die »Allianz für Fortschritt und Aufbruch« (ALFA) hat sich in »Liberal-Konservative Reformer« (LKR) umbenannt. Die Partei von AfD-Gründer Bernd Lucke reagiert damit auf den verlorenen Rechtsstreit gegen die Lebensrechtsorganisation Aktion Lebensrecht für Alle, die ebenfalls »ALfA« abgekürzt wird. Auf einem Parteitag in Frankfurt am Main sagte LKRGeneralsekretär Jürgen Joost, seine Partei wolle sich über ihren neuen Namen politisch klar positionieren. Das berichtet die Wochenzeitung »Die Zeit«. Damit ist der Rechtsstreit um das Kürzel »ALFA« zu Ende. Die Umbenennung der Partei am Samstag in »LKR« sei eine »gute Lösung für beide Seiten«, erklärte Alexandra Linder, Bundesvorsitzende der ALfA, in einer Pressemitteilung. »Die Partei hatte inzwischen auch erkannt, dass es in der Öffentlichkeit regelmäßig zu Verwechslungen und Verwirrungen kam«, so Linder weiter. Für die Namensänderung räume der Verein der Partei eine Übergangsfrist ein. Nächstes Jahr feiert die ALfA, die mit über 11.000 Mitgliedern eine der größten, bekanntesten und ältesten Lebensrechtsorganisationen in Deutschland und Europa ist, ihr 40-jähriges Bestehen. Als überkonfessionelle und überparteiliche Vereinigung für das Leben tritt die ALfA für das Lebensrecht aller Menschen ein, von der Zeugung bis zum Tod. Abtreibung stoppt ein schlagendes Herz New York (ALfA). Die US-Lebensrechtsorganisation »National Pro-Life Alliance« (NLPA) hat US-amerikanische Bürger aufgerufen, eine Petition für ein Gesetzesvorhaben zu unterzeichnen, das die Zahl der vorgeburtlichen Kindstötungen in den USA drastisch reduzieren soll. Der sogenannte »Ultrasound Informed Consent Act« sieht vor, dass abtreibungswillige Frauen vor der Abtreibung mit einem von 3D-Druckern erzeugten Modell ihres ungeborenen Kindes konfrontiert werden. Wie die NLPA in ihrem Aufruf schreibt, lasse sich mittels dieser Technik aus dem Ultraschallbild ein 3DModell des ungeborenen Kindes erzeugen, das die Mutter anschließend in ihren Händen halten könne. Diese Technik ermögliche Schwangeren »eine völlig neue Dimension der Erfahrung«. Auch ließen sich solche 3D-Modelle zusätzlich mit der Aufnahme der Herztöne des ungeborenen Kindes kombinieren. VALTENTINA R./FOTOLIA.COM Rechtsstreit gewonnen: ALfA bleibt ALfA »Denn bei jeder Abtreibung wird ein Kind getötet, eine Frau verletzt, eine Familie beschädigt«, so Linder. Über die Folgen würden Frauen in Beratungsstellen wie der Arbeiterwohlfahrt und »pro familia« gar nicht oder nur unzureichend aufgeklärt. Gegenüber »idea« kritisierte Linder auch den Vorsitzenden der CDU-Kreistagsfraktion in Stadthagen, Gunter Feuerbach: »Wenn nicht einmal mehr Vertreter ›christlicher‹ Parteien diese Klarheit zum Ausdruck bringen und ein solches Krankenhaus unterstützen, kann man all denjenigen Menschen, die ein eindeu- 3D-Ultraschallbild Nach Ansicht der NLPA bezeuge diese Technik »die Wahrheit über das ungeborene Kind« und verweise die Erzählung der Abtreibungsbefürworter, wonach der Embryo ein bloßer »Zellklumpen« sei, ins Reich der Legende. Die Lebensschutzorganisation beruft sich auf eine kürzlich erschienene US-weite Studie. Ihr zufolge entschieden sich 78 Prozent der abtreibungswilligen Frauen gegen die vorgeburtliche Tötung ihres Kindes, wenn ihnen zuvor ein Ultraschallbild des Kindes gezeigt wurde. Abtreibung: Linder verteidigt Klinik Stadthagen (ALfA). Lebensrechtler haben die Haltung des Gesundheitskonzerns Agaplesion gegen Kritik verteidigt. Das christliche Unternehmen, das ab April 2017 das Krankenhaus in Stadthagen im Kreis Schaumburg (Niedersachsen) betreiben wird, hatte angekündigt, Abtreibung dort nur noch bei medizinischer Indikation dulden zu wollen, und dafür Kritik in Teilen von Politik und Medien geerntet. Das berichtet die evangelische Nachrichtenagentur »idea«. Gegenüber »idea« lobte die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Alexandra Maria Linder, das Krankenhaus nehme den Begriff »christlich« ernst. Dafür ernte es »Diffamierungen und bösartige Reaktionen«. Abtreibung könne niemals ein Recht sein und sei auch keine Hilfe: Klinikum Schaumberg in Stadthagen tiges Menschenwürde-Konzept haben, nicht vermitteln, warum man solche Politiker noch wählen sollte.« Die Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr, erinnerte daran, dass in Deutschland jede Klinik für sich entscheiden könne, welche medizinische Leistung sie anbiete: »Weder Personen noch Kliniken können daher verpflichtet werden, Abtreibungen oder andere lebensgefährliche oder gar tödliche Aktionen durchzuführen, wenn sie sich aus guten Gründen dagegen entscheiden.« Etwa 100.000 gemeldete Abtreibungen pro Jahr zeigten, »dass es dringend geboten ist, junge Frauen und Familien mehr Hilfe zum Leben mit dem Kind und nicht etwa noch mehr Abtreibungsangebote zu fördern«, zitiert »idea« Löhr. Zuvor hatte die gemeinnützige Aktiengesellschaft Agaplesion (dt.: »Liebe den Nächsten«) die Kritik von Medien in einer Stellungnahme zurückgewiesen. Als christliches Unternehmen sei man aufgerufen, einerseits eine klare Position zu formulieren und andererseits Betroffene in ihren seelischen Nöten zu begleiten. Die Berichterstattung erwecke den Eindruck, dass das Krankenhaus Frauen ohne Hilfe und Gespräche wegschicken +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bio 10 LebensForum 120 oethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik Euthanasie: In Den Haag wächst der Widerstand Den Haag (ALfA). In den Niederlanden wenden sich Christdemokraten und Sozialisten gegen die von der Regierung geplante Ausweitung der »Tötung auf Verlangen« für lebensmüde Menschen. Das RIJKSOVERHEID.NL Belgien: 2.022 Tötungen auf Verlangen Edith Schippers berichtet der »Deutschlandfunk«. In den Niederlanden ist die »Tötung auf Verlangen« seit 2002 gesetzlich erlaubt. Menschen, die von einem Arzt getötet werden wollen, müssen dem Gesetz zufolge »unheilbar« erkrankt sein und »unerträglich« leiden. Nun will – wie an dieser Stelle bereits berichtet – die niederländische Gesundheitsministerin Edith Schippers die »Tötung auf Verlangen« Brüssel (ALfA). In Belgien hat sich die Zahl der Euthanasie-Fälle seit der Zulassung im Jahr 2.002 nahezu verhundertfacht. Das geht aus einer Pressemitteilung der »Alliance Defending Freedom« (ADF International) hervor. ADF International beruft sich dabei auf den 7. Euthanasie-Bericht, der alle zwei Jahre von der Euthanasie-Kontroll-Kommission in Belgien vorgelegt wird. Demnach sind 2015 in Belgien 2.022 Menschen durch Euthanasie gestorben. »Der siebte Euthanasie-Bericht in Belgien zeigt, dass es, wenn wir die Tür zur Tötung auf Verlangen öffnen, keinen logischen Endpunkt gibt.« Während es im Jahr 2002 erst 24 Euthanasie-Fälle gegeben habe, sei die Zahl nun »um ein Hundertfaches« gestiegen. »Die abschüssige Bahn, die Belgien im Jahr 2002 betreten hat, wird nun mehr und mehr sichtbar. Heute wird Euthanasie bei einer Person, die im physischen Sinne vollkommen gesund ist, aber an einer psychischen Krankheit leidet, in Belgien akzeptiert«, wird Sophia Kuby, Director of EU Advocacy bei ADF International, zitiert. Karlsruhe entscheidet über Suizidhilfe Karlsruhe (ALfA). Das Bundesverfassungsgericht wird über die Verfassungs- gemäßheit des am 6. November 2015 vom Bundestag beschlossenen Gesetzes befinden, welches die geschäftsmäßige Förderung der Suizidhilfe erstmals in Deutschland unter Strafe stellt. Das beTOBIAS HELFRICH auch sterbewilligen alten und gesunden Menschen ermöglichen. Laut dem Deutschlandfunk sind die oppositionellen Christdemokraten und die calvinistische Partei SGP »vehement dagegen«. Sie sprächen von einem »moralischen Wendepunkt«. Es gehe vielmehr darum, Einsamkeit zu bekämpfen und die Situation in den Pflegeheimen zu verbessern. Barmherzigkeit bedeute, Perspektiven zu bieten, aber nicht den Tod, gibt der Radiosender den SGP-Fraktionsvorsitzenden Kees van der Staaij wieder. Auch den Sozialisten gehe das geplante Gesetz viel zu weit. Es sei zynisch, dass ausgerechnet eine Gesundheitsministerin mit diesem Plan komme, die jahrelang drastische Einsparungen bei der Altenpflege durchgeführt und damit die Einsamkeit gefördert habe, fasst der Sender die Ansicht des Fraktionsvorsitzenden der ebenfalls in der Opposition befindlichen Sozialisten, Emile Roemer, zusammen. werde. Das werde man niemals tun, sondern kompetente Ansprechpartner und Einrichtungen in der Nähe nennen, die professionelle psychische Unterstützung anbieten. Wenn es medizinische Gründe gebe, werde man einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, berichtet »idea«. Weiter schreibt die Agentur: »Im Selbstverständnis von Agaplesion heißt es: ›Menschen sind im biblischen Sinne Ebenbild Gottes. Deshalb stehen für uns der unendliche Wert und die unantastbare Würde jedes Menschen im Mittelpunkt.‹« Zu dem Unternehmen gehörten über 100 Einrichtungen, darunter 26 Krankenhausstandorte, mit mehr als 19.000 Mitarbeitern. Diese versorgten pro Jahr mehr als eine Million Patienten. Bundesverfassungsgericht Karlsruhe richtet das Online-Portal des Deutschen Ärzteblatts unter Berufung auf die katholische Nachrichtenagentur KNA. Demnach lägen den Karlsruher Richtern bislang sieben Verfassungsbeschwerden vor. Wie das Blatt schreibt, kämen diese von zwei Sterbehilfevereinen sowie von Palliativmedizinern und tödlich Erkrankten. Laut dem Ärzteblatt hänge der weitere Verlauf des Verfahrens von den Beratungen der Richter ab. Sicher sei nur, dass eine Entscheidung nicht unmittelbar bevorstehe. Samenspender: Zentralregister geplant Berlin (ALfA). Das Bundesgesundheitsministerium plant offenbar ein Zentralregister, mit dem sich Samenspender als biologische Väter identifizieren lassen sollen. Das berichtet der Norddeutsche Rundfunk. Dem Bericht zufolge sei das Ministerium schon länger dabei, die institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen zu erarbeiten, die es so erzeugten Kindern ermöglichen soll, sich über ihre Herkunft zu informieren. Im Gegenzug dazu sollten Samenspender vor späteren Unterhaltsforderungen und Erbansprüchen ihrer nur biologischen Kinder geschützt werden. Das fordere auch der Verein Spenderkinder. Dem Verein zufolge gibt es in Deutschland rund 100.000 Kinder, die mittels einer Samenspende gezeugt wurden. oethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik LebensForum 120 11 MOPIC/FOTOLIA.COM AUSL AND Der Tod kommt frei Haus Alle zwei Jahre treffen sich Abtreibungsärzte und -lobbyisten zu einem großen internationalen Kongress. In diesem Jahr fand er in Lissabon statt. Unter die rund 500 Teilnehmer der »Internationalen Vereinigung von Fachkräften und Verbänden für Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption« (FIAPAC) hatte sich auch die Zweite Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA, Cornelia Kaminski, geschmuggelt. Von Cornelia Kaminski L issabon ist zweifelsohne eine Reise wert: die malerischen Gassen der Altstadt, Museen und Kirchen spiegeln den einstigen Reichtum und geistigen Horizont einer großen Seefahrernation. Vom 13. bis 15. Oktober war Lissabon jedoch das Ziel von ca. 500 Personen aus aller Welt, die sich auf vielfältige Weise der Aufgabe verpflichtet haben, die Lebensreise ungeborener Menschen auf voller Fahrt zu stoppen – und die sich für ihr Treffen ausgerechnet einer Reisemetapher bedienten. »Improving women’s 12 journeys through abortion« – »Verbesserung der Reisen von Frauen durch Abtreibung« war also der etwas doppeldeutige Titel des 12. Kongresses von FIAPAC, der internationalen Vereinigung von Abtreibungsmedizinern. Gemeinsam mit einem Facharzt hatte ich mich nach Lissabon begeben, um zu erfahren, welche Entwicklungen wir von der Abtreibungslobby zu erwarten haben. Lissabon war als Kongressort, wie Teresa Bombas, Gynäkologin und Kongresspräsidentin aus Coimbra in ihren Eröff- nungsworten festhielt, eine gute Wahl. Erst seit 2007 sind Abtreibungen in Portugal weitgehend erlaubt, womit das südeuropäische Land als gelungenes Beispiel für den erfolgreichen Kampf der Abtreibungslobby um die weltweite vollständige Freigabe der Abtreibung gilt. »Wir schützen Leben und Kinder und bewahren Familien vor Armut!«, rief Bombas den applaudierenden Zuschauern zu. »Wir haben allen Grund, stolz zu sein!« Dass Kinder als Armutsrisiko schlechthin gelten, ist bekannt – dass aber Abtreibungen LebensForum 120 LebensForum 120 willige, die das Präparat in der Apotheändert. Das allerdings hofft Gomperts – ke abholen und zur Post bringen. So soll schließlich habe das Zikavirus die Disein »telemedizinisches Abtreibungsnetzkussion um die Freigabe der Abtreibung werk« aufgebaut werden. Wo der Zoll das neu entfacht. »Das ist ein wirklich aufMedikament beschlagnahmt, können in regender Moment für uns«, freut sich Zukunft vielleicht Drohnen zum Einsatz Gomperts. Ist es zynisch, aus dem Leid kommen, erklärt sie mir, und der Vertreter der Frauen, die ein missgebildetes Kind von Exelgyn (Hauptsponsor des Kongreszur Welt gebracht haben, auf diese Weises und Produzent von Mifegyne) freut se Kapital zu schlagen? Zynismus traut sich. Schließlich bietet Exelgyn mit Miman der zierlichen und charismatischen soOne jetzt auch ein Prostaglandin an, Gomperts eigentlich nicht zu. Wie viele ein Präparat, das zur Ausstoßung des geandere Kongressteilnehmer erweckt sie töteten Embryos führt. Bei meinem Besuch am Stand bekomme ich gleich noch einen Schwangerschaftstest geschenkt: so kann der Erfolg der Abtreibung überprüft werden. Mit Mifegyne, MisoOne und dem Test schnürt Exelgyn ein lukratives Komplettpaket, mittels dessen die Abtreibung vollständig ins Private verlagert wird. Der Gesetzgeber hat keinerlei Zugriff mehr: Wie will man nachweisen, dass mit diesem Präparat tatsächlich abgetrieben wurde? Und wie kann eine Frau sich davor schützen, dass andere durch Beigabe des Präparats in ihr Essen (wie bereits geschehen) ihr Kind abtreiben? Noch gravierender aber: es Rebecca Gomperts: Dienste für abtreibungswillige Frauen ist keine Vorlage eines positiven Schwangerschaftstestes notden Eindruck, davon beseelt zu sein, das wendig, um die Pille über das Internet zu Richtige zu tun, Frauen zu helfen. bestellen. Mit anderen Worten: auch die Bereits 50.000 Frauen haben mit Hilfe Frau, die das Präparat schluckt, kann dies von »Women on Web« abgetrieben, die »auf Verdacht« tun, und sich somit notmonatliche Zugriffszahl auf die Webseifalls vormachen, es sei ja gar nicht »site liegt bei 1 Million. In Ländern, in denen die Seite der Zensur unterworfen ist, verschafft Gomperts Zugang über eine »Safe Abortion App«: Apple iTunes und »Bereits 50.000 Frauen haben mit Google Playstore sind nicht der Zensur unterworfen, die App ist somit in allen ›Women on Web‹ abgetrieben.« Ländern der Welt erhältlich. Wie mächtig die Abtreibungslobby ist, zeigte sich in der zweiten einstündigen cher«, dass sie tatsächlich abgetrieben haPlenarsitzung, die FIAPAC vollständig der be. Schuldgefühle können so unterdrückt WHO eingeräumt hatte. Bei einem mewerden. Auch Brasilien ist ein Land, in dizinischen Kongress eher ungewöhnlich: dem die Abtreibungspille bisher verboin der Regel haben die einzelnen Redner ten ist und daher per Drohne zugestellt sich auf eine Redezeit von 15 Minuten inwerden könnte. Zumindest, falls die braklusive Diskussion zu beschränken. Die silianische Regierung nicht die Abtreidrei Vertreter der WHO nutzten die Zeit bungsgesetzgebung in nächster Zukunft dazu, ein gigantisches DatensammelproWWW.WOMENONWAVES.ORG nicht nur verhindern sollen, dass Familien in diese Armutsfalle tappen, sondern sogar als lebensrettende Maßnahme für geborene Kinder verkauft werden, ist neu. Wer auf Grund des Kongressthemas meinte, eine Verbesserung der »Abtreibungsreise von Frauen« bestehe darin, diese sicherer zu machen, irrte jedoch. Es gelte, Barrieren aus dem Weg zu räumen, so die FIAPAC-Präsidentin Sharon Cameron aus Großbritannien, wie etwa »Gesetze« und »unnötige Tests«, die abtreibungswillige Frauen von medizinischen Einrichtungen verordnet bekommen. Ärztliche Beratung oder Tests, wie sie im Rahmen einer Anamnese Standard bei jeder medizinischen Behandlung sind, sind bestenfalls noch wünschenswert, ein direkter Arzt-Patientenkontakt nicht notwendig. Das führte Rebecca Gomperts von »Women on Waves« aus den Niederlanden vor Augen, die 2004 mit ihrem Abtreibungsschiff vor Portugal geankert hatte. Das Schiff ist mittlerweile fast schon obsolet. Gomperts neues Projekt heißt »Women on Web« und bietet Abtreibungen per Telemedizin: seit 2006 können abtreibungswillige Frauen diesen Dienst in Anspruch nehmen. Über die Webseite www.womenonweb.org bekommen sie nach Ausfüllen eines Fragebogens und Abgeben einer Einverständniserklärung die Abtreibungspille direkt nach Hause geschickt – ohne dass sie je ein Arzt gesehen hätte, der eine Schwangerschaft bestätigt oder sich von der Wahrhaftigkeit der Antworten überzeugt hätte. Im Selbstversuch reichte als Abtreibungsgrund »Familienplanung abgeschlossen«, um die Auskunft zu erhalten, dass gegen eine »Spende« von 70 bis 100 Euro die Pille zu mir unterwegs sein könnte. Angesichts der möglichen Nebenwirkungen, die von Krämpfen, starken Blutungen und Infektionen (sehr häufig bis häufig) bis zu toxischem Schock und Gebärmutterrissen (sehr selten) reichen können, kann von sicheren Abtreibungen nicht die Rede sein. Spätestens jetzt wird klar, dass es hier nicht um Verbesserung durch sichere Methoden, sondern lediglich um Ausräumen jeglicher Hindernisse geht. Dass diese Hindernisse in den allermeisten Fällen wenigstens noch einen Schutz der Frau, wenngleich nicht des Ungeborenen darstellen, ist irrelevant. Alles wird dem Ziel, den Zugang zu Abtreibungen weltweit so einfach wie möglich zu machen, untergeordnet. Gomperts ist Aktivistin und Netzwerkerin. Sie sucht europäische Ärzte, die bereit sind Mifegyne Patientinnen irgendwo in der Welt zu verschreiben – ohne diese je gesehen zu haben –, und Frei- 13 AUSL AND jekt vorzustellen: von allen Ländern der Erde werden Daten bezüglich ihrer Abtreibungsgesetzgebung sowie – und das ist das eigentlich erschreckende – ihrer Abtreibungspolitik gesammelt: wie werden die bestehenden Gesetze tatsächlich umgesetzt? Weder FIAPAC noch WHO sind zufrieden mit dem Status quo, nach dem nur noch in sieben Ländern der Erde Abtreibungen strikt verboten sind. In manchen Ländern sei die Gesetzgebung nicht eindeutig oder nicht genügend bekannt, und, so Dr. Bela Ganatra, Frauen seien manchmal immer noch »unwis- (WHO Guidelines on Safe Abortion, 2nd edition 2012). Die Liste der Mitarbeiter an diesen WHO Guidelines liest sich wie ein »Who is Who« der weltweiten Abtreibungslobby, und so wundert es auch nicht weiter, dass die drei WHO-Vertreter sich herzlich bei den Anwesenden für ihre Unterstützung bei der Datensammlung bedankten. Beim Mittagessen treffen wir zwei deutsche Studentinnen. Beide haben sich einer studentischen »pro choice«-Organisation angeschlossen und verfolgen mit großem Interesse den Kongress. Ei- Homepage der Women on Web: Lieferung von Abtreibungspillen auch per Drohne senschaftlichen, voreingenommenen Beratungen« vor einer Abtreibung ausgesetzt. Noch immer gebe es verordnete Wartezeiten, die Pflicht, einen zweiten Arzt zu konsultieren, oder gar die Möglichkeit, aus Gewissensgründen Abtreibungen abzulehnen. »Wir beschäftigen uns mit dem Gesetz, aber wir machen, was wir wollen«, hatte Mariet Lecoultre aus den Niederlanden noch 2008 augenzwickernd dem FIAPAC-Auditorium mitgeteilt. Sie besorgt minderjährigen Schwangeren einen Anwalt, der die gesetzliche Zustimmungspflicht der Eltern zur Abtreibung umgeht. So etwas ist heute nicht mehr akzeptabel, derartige Barrieren gilt es auszuräumen. Mit der neu zusammengestellten Datenbank, die im Frühjahr 2017 zur Verfügung stehen soll, stellt die WHO nun ein Instrument zur Verfügung, mittels dessen Druck auf Institutionen und Regierungen ausgeübt werden soll, flächendeckend Abtreibungen nach WHOStandard anzubieten – und diese bezeichnen Abtreibung als ein Menschenrecht 14 gentlich erschütternd: noch bevor sie ihre Ausbildung als Mediziner, die ja dazu da sein sollte, Menschenleben zu retten, abgeschlossen haben, sind sie schon davon überzeugt, dass das Töten von Ungeborenen eine sinnvolle berufliche Tätigkeit darstellt. Angesichts der offensichtlichen Macht, mit der FIAPAC seine Ziele verfolgt, könnte man als Lebensrechtler durchaus »1.050 Euro für eine Abtreibung jenseits der 20. Woche« den Mut verlieren. Insofern war der Bericht von Vicky Saporta, Präsidentin der National Abortion Federation aus den USA, fast ein Highlight. Sie berichtete sichtlich aufgewühlt von den Enthüllungsskandalen, denen ihre Organisation im letzten Jahr ausgesetzt war und die dazu geführt haben, dass insgesamt 450 ge- setzgeberische Maßnahmen verabschiedet wurden, die Abtreibungen erschweren. Einige Abtreibungskliniken mussten geschlossen werden. Nur am Rande ging sie auf die Inhalte der veröffentlichten heimlich gefilmten Videos ein. Diese zeigen unter anderem, wie Dr. Nucatola, bei International Planned Parenthood USA zuständig für das Qualitätsmanagement der Abtreibungseinrichtungen und spezialisiert auf Abtreibungen im letzten Schwangerschaftsdrittel, bei einem Glas Rotwein über den Preis abgetriebener Babys verhandelt und dabei »höchste Gewebequalität« verspricht. Der Staat Texas sei glücklicherweise mit einem neuen Gesetz zur Entsorgung fetalen Gewebes gescheitert, so Saporta, schließlich brauchten die Wissenschaftler doch fetales Gewebe für ihre Forschung. »Ich bin nicht eher zufrieden, bis dass ich diejenigen, die die Videos veröffentlicht haben, in Gefängniskleidung sehe«, ließ Saporta verlauten. Und kündigte an, auf eine »proaktive Gesetzgebung« hinzuarbeiten: Aktivitäten von Lebensrechtlern müssten identifiziert und bestraft werden, bevor sie überhaupt in die Tat umgesetzt werden können. Auch in den USA ist man an der Patientensicherheit offensichtlich weniger interessiert. Die Firma MedGyn stellt auf dem Kongress eine Kamera mit Saugvorrichtung vor, die eine Abtreibung besonders ungefährlich macht. Wie mir der Vertreter mitteilt, verkauft sie an Planned Parenthood kein einziges Gerät. Zwar sei diese Organisation der Hauptanbieter von Abtreibungen in den USA, aber das Gerät sei ihnen wohl zu teuer. Ein großes Arbeitsfeld sieht FIAPAC im Umgang mit dem Stigma, mit dem Abtreibungen behaftet seien. Dieses gelte es auszuräumen, so Rebecca Wilkins von der International Planned Parenthood Federation, und weiß auch schon, wie: gerade junge Frauen, die abgetrieben haben, sollten zu Verfechterinnen von Abtreibungen werden und dazu vor allem auch die sozialen Netzwerke nutzen. Zudem müsse Abtreibung ein Thema in den Lehrplänen werden, und es müsse mehr getan werden, um auch Abtreibungen im zweiten Schwangerschaftsdrittel gesellschaftsfähiger zu machen. Das sehen offensichtlich alle Kongressteilnehmer so: unter den 15 Sponsoren sind drei Kliniken, die sich auf Spätabtreibungen spezialisiert haben, keine setzt eine Grenze. Für 1.050 Euro ist zum Beispiel eine Abtreibung jenseits der 20. Schwangerschaftswoche in den holländischen CASA Klinieken zu haben, die ihre Dienste im Internet auch auf Deutsch anbieten. LebensForum 120 Rebecca Wilkins unterstützt ihre Forderungen mit einer Studie zur Erhebung von Abtreibungsstigmata, die allerdings wissenschaftlichen Standards in keiner Weise gerecht wird: ob die Befragten bereits eine Abtreibung hinter sich hatten oder nicht, spielte keine Rolle, womit die Ergebnisse eher dem Bereich von Mutmaßungen zuzuordnen sind. Die Antwortmöglichkeiten selbst waren äußerst suggestiv. Sprache spiele schließlich eine große Rolle, so Wilkins: noch immer werde zum Beispiel in inakzeptabler Weise von schwangeren Frauen als »Müttern« gesprochen. So zeigte sich auch im Verlauf des Kongresses, dass Sprache durchaus als wichtiges Instrument wahrgenommen und entsprechend eingesetzt wird. Die Lebensrechtsbewegung wird konsequent nicht als »pro life«, sondern als »anti choice« bezeichnet, und Abtreibungen sind in zahlreichen Publikationen nun »ToP« (Termination of Pregnancy). Stigmata entstehen aber nicht nur durch Sprache, sondern auch dadurch, dass Mediziner und Krankenhäuser sich bei der Weigerung, an Abtreibungen mitzuwirken, auf ihr Gewissen berufen. Das darf keinesfalls sein, führt Christian Fiala, der ehemalige Präsident von FIAPAC, in seinem Vortrag aus. Der Begriff »Conscientious Objection (CO)« (Weigerung aus Gewissensgründen) werde falsch verwendet. Vielmehr missbrauchten diese Personen ihre Machtposition und das Vertrauen der Patientinnen und erwarteten obendrein noch, ihr Gehalt und ihre Position zu wahren – ohne ihre Pflicht zu tun. CO spiele in privaten Einrichtungen kaum eine Rolle, da dort bereits bei der Einstellung auf eine entsprechende Haltung zur Abtreibung geachtet werde. In städtischen oder staatlichen Krankenhäusern und Praxen stelle CO jedoch ein großes Problem dar und sei sowohl ein Missbrauch öffentlicher Einrichtungen als auch von Steuergeldern und sei schädlich sowohl in Hinblick auf Menschenrechte als auch die gesundheitliche Versorgung von Frauen. Die Möglichkeit, unter Berufung auf Gewissensentscheidungen die Mitwirkung an einer Abtreibung zu verweigern, sei ein Überbleibsel aus einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung und nicht vereinbar mit den Menschenrechten. Mit diesen Ausführungen geht Fiala noch einen Schritt weiter als die WHO, die Abtreibungen nur als ein Menschenrecht unter vielen sieht. Fiala hebt das Recht auf Abtreibung über alle anderen Menschenrechte – nicht nur das Menschenrecht auf Leben, sondern auch das Recht auf freie Ausübung der Religion. LebensForum 120 Bei so viel Religionsverachtung ist es erstaunlich, dass der Organisation »Catholics for choice« eine eigene (überfüllte) Nachmittagssitzung eingeräumt wird. Allerdings spielten hier theologische Erwägungen keine Rolle. Das sei interessant, fragte mein Begleiter bei Dr. John O’Brien, Präsident von Catholics for choice, nach: wie man denn Katholizismus und Abtreibung unter einen Hut bringe? O’Briens Antwort ist einfach: Katholikinnen treiben nicht seltener ab als andere Frauen, und insofern repräsentiere die katholi- »Alle stellten sich als ›provider of abortions‹ vor.« sche Hierarchie gar nicht das, was Katholiken leben. Also müsse die Kirche ihre Haltung ändern. Unter der Hand gäbe es da auch entsprechende Gespräche mit Vertretern der Kirche, aber diese dürften das natürlich nicht offen zugeben. Beide Aussagen sind bemerkenswert: wenn die Kirche das sanktionieren soll, was die Kirchenmitglieder ohnehin leben, sind Gebote überflüssig. Und falls es tatsächlich solche Gespräche mit hohen Kirchenvertretern geben sollte, wäre das schon ein Skandal. Allerdings ist das wohl eher Wunschdenken seitens O’Briens, der sich gerade mit der amerikanischen Bischofskonferenz wegen seiner »Abortion in Good Faith Campaign« (Abtreibung mit gutem Glauben) eine Fehde leistet. Die Sitzung selbst bot denn auch Abtreibern aus Ländern mit restriktiven Regelungen ein Podium für Erfahrungsberichte. Und so erklärt sich auch der große Zulauf: Geschichten von »Märtyrern«, die Abtreibungen unter widrigen Umständen vornehmen, motivieren die Kongressteilnehmer und bestärken ihr Wir-Gefühl. Beim abendlichen Galadinner sitze ich mit einer silbergelockten, freundlichen älteren Dame aus Neuseeland, einer Belgierin und einer charmanten, lebhaften Ärztin aus Vancouver am Tisch. Alle stellen sich als »provider of abortions« vor. Ob sie denn ihre Studie zur Wirkung von Cannabis als Schmerzmittel nach Abtreibung in Angriff genommen habe, wird die Kanadierin gefragt. Ich bin erstaunt – Cannabis? Sind die Schmerzen so groß? Die seien tatsächlich nicht unerheblich, so die Ärztin, aber es gehe auch um das Wohlbefinden insgesamt. Der Titel des Kongresses fällt mir wieder ein – Abtreibung als Trip auf einer rosaroten Wolke, irgendwie passend. Die Studie hat die Ärztin aus Vancouver aber nicht in Angriff nehmen können, sie baut sich gerade ein zweites Standbein auf: in Kanada ist seit Juni dieses Jahres aktive Sterbehilfe erlaubt, und so sei sie nun in der Lage, in ihrer Praxis beides anbieten zu können. Die Räume seien perfekt dafür geeignet, sie habe ja einen gemütlichen Ruheraum, in dem schon 33 Patienten von ihr ins Jenseits befördert wurden. Das dürfen ihre Enkelkinder nicht erfahren, erzählt sie mir lachend: die seien katholisch. Leider habe man der Schwiegertochter ihre Religion nicht gleich angesehen. Die Neuseeländerin hat MaoriEnkelkinder, eines davon magersüchtig, und ist sich nicht ganz sicher, was nun am schlimmsten ist: Maori, magersüchtig oder doch katholisch? Ob Euthanasie in Deutschland erlaubt sei, fragt sie mich. Ihr wesentlich älterer jüdischer Ehemann ist vor den Nazis aus Wien geflohen und nach Neuseeland ausgewandert. »Nein«, sage ich. »Wir haben schon einmal im großen Stil die Menschen getötet, die wir in unserer Gesellschaft nicht haben wollten: das dürfen wir nicht wiederholen.« Das sei doch etwas Anderes, meint die Neuseeländerin, diesmal sei das doch nicht von oben verordnet, sondern käme aus der Bevölkerung. »Ich glaube, den getöteten Menschen ist es egal, von wem es kommt«, sage ich und gehe lieber, bevor mir endgültig der Kragen platzt. IM PORTRAIT Cornelia Kaminski Cornelia Kaminski, geboren 1965 in Arnsberg, ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie, zu der drei Kinder gehören, in Fulda. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit als Oberstudienrätin an einem Gymnasium in Hünfeld für Englisch und Französisch ist sie als Autorin und Beraterin für einen Schulbuchverlag tätig. In der Aktion Lebensrecht für Alle hält sie Vorträge, verantwortet unter anderem Materialien wie die Schulunterlagen der ALfA (Schwanger mit 16?) sowie die Aktion »Geh Du für mich!«. Seit 1996 ist Cornelia Kaminski Mitglied des Vereins, davon viele Jahre im erweiterten oder geschäftsführenden Bundesvorstand. Auf der diesjährigen Bundesdelegiertenversammlung der ALfA wählten die Delegierten sie in das Amt der Zweiten Stellvertretenden Bundesvorsitzenden. 15 MEDIZIN Ohne Ehrfurcht keine Zukunft Unter der Überschrift »§ 217 StGB und die Folgen für die Gesellschaft« hat die Autorin den folgenden Beitrag als Gastvortrag bei der Bundesmitgliederversammlung der Christdemokraten für das Leben (CDL) am 22. Oktober 2016 in Königswinter gehalten. Von Dr. med. Susanne Ley D ie sehr weit gefasste Fragestellung unseres heutigen Themas »§ 217 StGB und die Folgen für die Gesellschaft« ist meines Erachtens sehr bedeutsam. Sie stellt uns alle gemeinsam vor die Aufgabe, abzuschätzen und darüber aufzuklären, welche Gefahren mit dem assistierten Suizid und der Tötung auf Verlangen für unsere menschliche Gemeinschaft verbunden sind. Es ist bitter von Nöten, sich aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft in dieser Frage eng zusammenzuschließen. 1. RECHTLICHE VERANKERUNG DES LEBENSSCHUTZES Die Garantie der Menschenwürde und das daraus abgeleitete Recht auf Leben sind unveräußerliche vorstaatliche Rechte mit universeller Gültigkeit. Die Scholastiker leiteten sie vom göttlichen Recht, die Aufklärung vom Vernunftrecht oder Naturrecht ab. Sie sind in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert. In einem 2.500 Jahre währenden Ringen haben die Menschen in Europa – insbesondere auch aus den Erfahrungen der Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts – den Staat in seiner modernen Form entwickelt. Grundidee und oberster Zweck ist dabei der Schutz des Lebens aller seiner Bürger. In Deutschland gelten nach wie vor starke Gesetze, die den Schutz des menschlichen Lebens garantieren sollen. Der Lebensschutz ist in unserem Grundgesetz verankert und wird in unserer Rechtsordnung durch geeignete Gesetze normiert. Darüber hinaus ist er in der Mehrzahl der 16 Landesärztekammerbezirke durch das Standesrecht der Ärzte gesichert. Nach Artikel 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. »Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Die vitale Basis der Menschenwürde ist das Leben selbst. Es stellt in der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar und ist die Voraussetzung aller anderen Grundrechte. Daraus leitet sich die Schutzpflicht des Staates für das Leben aller seiner Bürger ab. Artikel 2 unserer Verfassung soll das Recht auf Leben für jedermann garantieren. Das Recht auf Leben stellt nicht nur ein Abwehrrecht der Bürger gegen staatliche Gewalt dar, sondern verpflichtet die staatliche Gemeinschaft auch zum Schutz des Lebens seiner Bürger. Die Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht für das Leben ist verfassungswidrig. Diese Schutzpflicht bekommt bei Menschen, die zum eigenen Schutz selbst nicht fähig sind, besonderes Gewicht. Die staatliche Schutzpflicht gegenüber Hilflosen überwiegt im Verhältnis zu deren Selbstbestimmungsrecht. So urteilte das Bundesverfassungsgericht am 26.7.2016 und traf damit eine klare Werteentscheidung für den Schutz des Lebens als höchstem Rechtsgut. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, zur Sicherung der Grundrechte geeignete Gesetze zu erlassen. Von großer Bedeutung für den Schutz des Lebens, insbesondere auch für suizidale Menschen, sind die Strafrechtsparagraphen 216 und 323 c. Aufgrund unserer Geschichte gibt es in Deutschland eine starke Opposition gegen Euthanasie. Seit 1945 ist es in Deutschland Konsens, dass es kein lebensunwertes Leben gibt. »Die Humanität gebietet die Achtung vor dem Bild des Menschen auch in seiner beschä- digten Erscheinung.« Folgerichtig ist in Deutschland die Tötung auf Verlangen in § 216 StGB strafbewehrt verboten. Auch dem assistierten Suizid geht immer voraus, dass ein Menschenleben von Dritten als lebensunwert beurteilt wird. Damit ist aber bereits die Grenze zur Euthanasie überschritten. Dies kommt auch in dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15.6.2016 zum Ausdruck: In einem Fall von ärztlich assistiertem Suizid hielt das Gericht den Suizidbeihelfer für hinreichend verdächtig, sich der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassung schuldig gemacht zu haben. Der § 323 c verpflichtet jedermann zur Hilfeleistung gegenüber Verunglückten und Menschen in Not. Unterlassene Hilfeleistung wird unter Strafe gestellt. Das Prinzip der Hilfeleistung gilt auch im Falle eines Suizidversuches, der rechtlich als Unglücksfall betrachtet wird. Durch entsprechende Bestimmungen im Strafgesetzbuch und im Bürgerlichen Gesetzbuch haben Personen, die eine sogenannte Garantenstellung gegenüber einer anderen Person einnehmen (z. B. Eltern – Kind, Ehepartner, Arzt – Patient), zusätzlich eine Pflicht, die über die normale Hilfeleistung gegenüber jedermann deutlich hinausgeht. Auch das Standesrecht der Ärzte kann einen starken Schutz für das Leben der Menschen bieten. Um einer Relativierung des Tötungsverbotes für Ärzte entgegenzutreten, wurde auf dem Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel beschlossen, einen neuen § 16 in die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer einzufügen: »Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und PatienLebensForum 120 ten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.« Damit entspricht der § 16 der Musterberufsordnung für Ärzte dem ärztlichen Ethos in der Hippokratischen Tradition, dass ein Arzt sich niemals an der Tötung oder Selbsttötung eines Menschen beteiligen darf. Auch wenn Beihilfe zum Suizid laut Strafgesetzbuch nicht explizit verboten ist, können die Landesärztekammern ein solches Verbot für Ärzte standesrechtlich erlassen und durchsetzen, so das Verwaltungsgericht Berlin. Aus den Ausführun- eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Der zweite Teil des Gesetzes wird meist verschwiegen: § 217 StGB, Abs. 2 »Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.« schäftsmäßig handeln würde: Sollte »im Einzelfall aber gleichwohl von diesem Personenkreis Suizidhilfe gewährt« werden, geschehe dies »typischerweise gerade nicht geschäftsmäßig«, also in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen. Einer besonderen Ausschlussregelung bedürfe es daher nicht. Der Abgeordnete René Röspel (SPD) sagte hierzu bei der ersten Lesung der Gesetzentwürfe im Bundestag: »Sie (die Ärzte, Anmerk. d. Verf.) müssen über das Ende von Leben entscheiden, sie müssen loslassen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann.« Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist es jedoch, dem Patienten nicht zu schaden. Der Arzt ist Beschützer des Lebens, er darf nicht zur Gefahr für das Leben seiner Patienten werden. Es widerspricht zutiefst dem ärztlichen Ethos und der Menschlichkeit eines jeden, einem leidenden Menschen Beihilfe zum Suizid zu leisten. 3. MÖGLICHE FOLGEN DES GESETZES Albert Schweitzer bei der Arbeit in seinem Spital in Lambaréné gen wird ersichtlich, dass bisher ein strafrechtliches Verbot des assistierten Suizids nicht notwendig war, weil in der Rechtsordnung auf andere Weise hinreichend zum Ausdruck kommt, dass der assistierte Suizid rechtsphilosophisch nicht erlaubt ist. 2. § 217 StGB In der über mehrere Monate in der Öffentlichkeit geführten Diskussion über den assistierten Suizid wurde suggeriert, mit dem neuen § 217 StGB werde ein starkes Zeichen für den Lebensschutz gesetzt, da er die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verbiete. Der neue § 217 lehnt jedoch weder den assistierten Suizid noch die geschäftsmäßige Beihilfe zum assistierten Suizid grundsätzlich ab. Vielmehr regelt das neue Strafgesetz, welchem Personenkreis assistierter Suizid bzw. die Teilnahme an der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe straffrei ermöglicht wird. Dadurch wird eine Handlung explizit straffrei gestellt, zu der es bisher lediglich aus formaljuristischen Gründen keine strafrechtliche Bestimmung gab. In seinem ersten Teil stellt das neue Gesetz die geschäftsmäßige Beihilfe unter Strafe: § 217 StGB, Abs. 1 »Wer in der Absicht, die Selbsttötung LebensForum 120 Gerade diejenigen Menschen, die nach unserem geltenden Recht eine Garantenpflicht zum Lebensschutz haben, d. h. Angehörige und Nahestehende, werden nun ausdrücklich straffrei gestellt, wenn sie Beihilfe zum Suizid leisten oder Teilnehmer einer geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe sind. Sie dürfen also ein Delikt fördern, das in Abs. 1 des § 217 StGB unter Strafe gestellt ist. In der Begründung des Gesetzes heißt es dazu: »Der Ehemann, der seine todkranke Ehefrau ihrem freiverantwortlich gefassten Entschluss entsprechend zu einem geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfer fährt, um sie mit in den Tod zu begleiten, fördert damit zwar als Gehilfe die Haupttat des Suizidhelfers. Er legt damit jedoch kein strafwürdiges, sondern in der Regel ein von tiefem Mitleid und Mitgefühl geprägtes Verhalten an den Tag.« Angehörige und Nahestehende dürfen also diese »grenzüberschreitende Dienstleistung« fördern, ohne sich strafbar zu machen. Außerdem beabsichtigen die Initiatoren des neuen § 217 StGB, dass »Angehörige von Heilberufen«, also auch Ärzte, im Einzelfall legal Suizidassistenz leisten können. Dies sei nach dem neuen Gesetz straffrei möglich, weil dieser Personenkreis im Einzelfall eben gerade nicht ge- Durch die europaweit in der Öffentlichkeit geführte Diskussion um den assistierten Suizid und die Tötung auf Verlangen werden elementare Grundlagen unseres menschlichen Zusammenlebens in Frage gestellt. Soziale Bindungen werden zerstört, die Arzt-Patient-Beziehung zutiefst erschüttert, die menschliche Solidarität wird beschädigt und die Schutzpflicht des Staates für das Leben seiner Bürger wird in Frage gestellt. Bereits im Jahr 1910 schrieb Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie: »Der Selbstmord ist ein individuelles Problem, das soziale Ursachen und Folgen hat.« Sein Schüler Erwin Ringel, Psychiater und Neurologe an der Universität Wien, erforschte bereits in den 1950er Jahren das präsuizidale Syndrom, eine seelische Verfassung, die dem Selbstmord vorausgeht. Auch untersuchte er, welche Faktoren in der Gesellschaft den Selbstmord fördern. Gruppen mit erhöhtem Suizidrisiko sind demnach: Alte Menschen, besonders wenn sie chronisch krank, einsam und verarmt sind, Depressive, Süchtige, Verfolgte, Geschiedene, in Partnerschaftsprobleme Verwickelte, Menschen in finanzieller Not, Arbeitslose u. a. m. Gemeinsam sei den Betroffenen, dass sie zu den Außenseitern, Diffamierten, Stigmatisierten gehörten. »So frei und so willig, wie man uns glauben machen möch17 MEDIZIN te, gehen die meisten Selbstmörder nicht in den Tod; sie werden nur allzu oft dazu ›eingeladen‹, hinauskomplimentiert. Das Selbstmordproblem lehrt uns daher einmal mehr, wie nötig es ist, die Gesellschaft hier und heute – wie das Adler verlangt hat – zu verbessern.« Als wichtigste therapeutische Chance bezeichnet Ringel die Psychotherapie. Es gehe vor allem zuerst darum, durch ein gutes tragfähiges, verbindliches Arzt-Patient- Verhältnis die Einengung der zwischenmenschlichen Beziehung zu durchbrechen. Die entscheidende Wirkung würde immer über diese Beziehung erfolgen. »Wenn für den Selbstmörder alle anderen nur Abwesenheit bedeuten, ergibt sich daraus unsere wichtigste Verpflichtung von selbst: mit allen unseren Kräften anwesend zu sein.« Bezüglich der Prophylaxe, so Ringel weiter, spiele die Herstellung eines antisuizidalen Klimas in der Gesellschaft eine große Rolle. Dabei sei es wichtig, den Selbstmord nicht zu tabuisieren oder zu verherrlichen, sondern ihn als Symptom menschlicher Not zu erkennen. Die Forschungsergebnisse Ringels zur Suizidprävention decken sich mit aktuellen Studienergebnissen von Jones und Paton von 2015, die zeigen, dass die Einführung des assistierten Suizids in mehreren USBundesstaaten mit einem Anstieg der Gesamt-Suizidrate um 6,3 Prozent einhergeht. Anders, als die Befürworter behaupten, führt die Möglichkeit des assistierten Suizids nicht zu einer Abnahme der nicht-assistierten Suizide, sondern sogar zu einem Anstieg. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen aus der Schweiz. Die Niederlande verzeichnen seit Jahren steigende Zahlen bei der »Hilfe zur Selbsttötung« und der »Tötung auf Verlangen«. Gleichzeitig gibt es Berichte über eine Vielzahl von Fällen, wo Menschen ohne ihren ausdrücklichen Willen umgebracht wurden. Inzwischen werden in unserem Nachbarland auch demenzkranke und psychisch kranke Menschen getötet. Ähnlich ist es in Belgien: Neben steigenden Fallzahlen ist hier eine Ausweitung der Indikationen zu konstatieren. Mittlerweile schreckt man auch nicht mehr davor zurück, Kinder zu töten. Der Arzt Dr. Leo Alexander wies 1949 darauf hin, dass es wichtig sei zu erkennen, dass die Haltung gegenüber unheilbar Kranken – nämlich, dass es Zustände gebe, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind – der winzige Auslöser für das Euthanasieprogramm der Nazis war. Auf Grund der ausdrücklichen Straffreistellung des § 217 Abs. 2 StGB für Angehörige und Nahestehende ist zu er18 warten, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Suizids und der Suizidbeihilfe steigt. Daraus ergibt sich, dass suizidale Menschen leichter einen Suizidbeihelfer finden werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Suizid zum Tod führt, steigt durch das unterstützende Hinzutreten des Suizidbeihelfers. Die aktuelle Gesetzeslage wird vermutlich dazu führen, dass Suizidversuche häufiger gelingen und somit die Zahl der Suizidtoten steigt. Die Vertrauensbeziehungen in den Familien werden durch die Möglichkeit des assistierten Suizids erschüttert. Sogenannte Mitleidstötungen könnten zunehmen. Alte oder kranke Menschen könnten sich gedrängt fühlen, ihren Angehörigen sogar nicht weiter zur Last zu fallen. Angehörige, die sich überfordert fühlen, könnten den Pflegebedürftigen bewusst oder unbewusst subtil zu dieser »Lösung« drängen. Auch andere Motive sind denkbar. Was dieses Misstrauen in den Familien anrichtet und wie es sich auf die Solidarität und den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft auswirkt, möchte man sich lieber nicht vorstellen. Wer übernimmt die Verantwortung dafür? Durch die Diskussion um den ärztlich assistierten Suizid wird auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zutiefst beschädigt. Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist es, dem Patienten nicht zu schaden. Der Arzt ist Beschützer des Lebens, er darf nicht zur Gefahr für das Leben seiner Patienten werden. Es widerspricht zutiefst dem seit 2.400 Jahren gültigen ärztlichen Ethos und der Menschlichkeit eines jeden, einem leidenden Menschen Beihilfe zum Suizid zu leisten. Jeder psychisch oder physisch kranke Mensch braucht fachgerechte ärztliche Hilfe und echte mitmenschliche Zuwendung sowie die Gewissheit, dass der Arzt alles tun wird, um seine Krankheit zu heilen oder, wo dies nicht möglich ist, sein Leiden zu lindern. Der Wunsch nach Beihilfe zum Suizid entsteht nicht in erster Linie aus Angst vor unstillbaren Schmerzen, sondern aus der Sorge, anderen zur Last zu fallen, ausgeliefert zu sein, die Kontrolle zu verlieren oder allein zu sein. Patienten, die einen Suizidwunsch äußern, erwarten in aller Regel nicht, dass ihr Tod herbeigeführt wird. Überwiegend ist der Wunsch nach assistiertem Suizid ein Hilferuf und vorübergehender Natur. Es gibt keine Rechtfertigung für die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung eines Patienten. Aufgrund des medizinischen Fortschritts und der sozialen Verbundenheit sind wir heute in der Lage, schwer kranke und sterbende Menschen so zu ver- sorgen, dass sie nicht unerträglich leiden müssen, sondern sich aufgehoben fühlen. Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir auch am Lebensende auf unsere Mitmenschen angewiesen sind. Eine Einschränkung unserer Autonomie oder unserer Selbstbestimmung liegt darin nicht begründet. Betrachten wir die Debatte um den assistierten Suizid unter dem Aspekt des demographischen Wandels, d. h. einer immer älter werdenden Gesellschaft, und kommen dann noch ökonomisch schwierige Zeiten hinzu, besteht die Gefahr, dass der Mensch immer stärker nach seinem Nutzen bewertet wird. Der moralische Stand einer zivilisierten Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. »Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen«, so urteilte im Juli dieses Jahres das BVerfG in einem hoffnungsvollen Beschluss und traf damit eine klare Werteentscheidung für den Schutz des Lebens als höchstem Rechtsgut. Auch hebt es damit die Bedeutung der sozialen Verbundenheit und der natürlichen Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander für das menschliche Zusammenleben hervor. Die Garantie der Menschenwürde und das Recht auf Leben sind universell gültig und können nicht durch Menschenhand, auch nicht durch irgendeinen Gesetzespositivismus abgeschafft werden. Gesitteten Kulturnationen ist die Bindung an diese Grundsätze selbstverständlich. Dahinter sollten wir nicht zurückgehen. Die Würde des Menschen überall in der Welt zu verwirklichen ist die Aufgabe aller. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Albert Schweitzer: »Ohne Ehrfurcht vor dem Leben hat die Menschheit keine Zukunft.« IM PORTRAIT Dr. med. Susanne Ley Die Autorin, Jahrgang 1963, studierte Medizin an der Universität zu Köln. Nach der Facharztausbildung zur Internistin spezialisierte sie sich auf Rheumatologie und arbeitet als Funktionsoberärztin in einer rheumatologischen Fachklinik. Sie ist Mitglied im Arbeitsbündnis »Kein assistierter Suizid in Deutschland!« und Gründungsmitglied der Liga »Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben«. LebensForum 120 LIFE ISSUES INSTITUTE MEDIZIN Der Embryo: Individuum und Person Der folgende Beitrag basiert auf einem Vortrag, den der Autor unter der Überschrift »Gibt es Grenzen in der frühen Entwicklung des Menschen?« Anfang Juni 2016 auf der von der Aktion Lebensrecht für Alle und den Ärzten für das Leben gemeinsam veranstalteten Jahrestagung in Fulda gehalten hat. Bei der hier veröffentlichten Version handelt es sich um eine leicht gekürzte, um Fußnoten und Literaturliste bereinigte Fassung. Das vom Autor den Veranstaltern zur Verfügung gestellte Original-Manuskript findet sich unter: http://www.aerzte-fuer-das-leben.de/aefdl_neues.html Von Professor Dr. Günter Rager G ibt es in der Entwicklung des menschlichen Embryos eine Grenze, an der er von einer Sache zu einer Person oder, um mit Robert Spaemann zu sprechen, aus einem »Etwas« zu einem »Jemand« wird? Um diese Frage zu beantworten, werde ich im ersten Teil die wichtigsten Ereignisse während der ersten acht Wochen der Embryonalentwicklung schildern. Im zweiten Teil werde ich einige Grenzziehungen nennen, an denen der Übergang zur schutzwürdigen menschlichen Person geschehen soll. Ich werde sie auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen. Im dritten Teil schließlich werde ich Ihnen philosophische Überlegungen zur Frage nach dem ontologischen Status des Embryos präsentieren. FERTILISATION (STADIUM 1) Beginnen wir mit der Fertilisation. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess, der etwa 24 Stunden dauert. Wenn das Spermium LebensForum 120 die Zona pellucida durchdringt, fusionieren die Zellmembranen von Spermium und Ooczyte. Diese Fusion löst eine Membrandepolarisation aus und triggert eine Calcium-Welle, die sich über das ganze Zytoplasma der Oozyte ausbreitet. Die Zunahme der Calcium Konzentration veranlasst die Oozyte, die 2. Reifeteilung zum Abschluss zu bringen und das Entwicklungsprogramm zu starten, welches nach übereinstimmender Ansicht der Embryologen zur Embryogenese führt. Die Oozyte wird aktiviert. Das Spermium dringt in die Oozyte ein. Am Ende der 2. Reifeteilung, etwa 16 Stunden nach Beginn der Fertilisation, wird einer der beiden haploiden, durch das Crossing-over verschiedenen Chromosomensätze der Oozyte mit dem zweiten Polkörper ausgestoßen. In der Oozyte verbleiben zwei haploide Chromosomensätze, die sich im männlichen und im weiblichen Vorkern (Pronucleus) befinden (Pronucleus-Stadium). Mit dem Ab- schluss der 2. Reifeteilung und dem Ausstoßen des zweiten Polkörpers ist die genetische Einzigartigkeit des neu entstandenen Menschen festgelegt. Während der folgenden Phase, die ungefähr 6 Stunden dauert, wandern die beiden Pronuclei aufeinander zu. Während der Wanderung verdoppeln sie ihre Chromosomensätze (Synthese- oder SPhase). Bei der Annäherung lösen sich ihre Kernmembranen auf. Es entsteht aber kein gemeinsamer Kern. Vielmehr ordnen sich die Chromosomen in einer gemeinsamen Mitosespindel an. Es beginnt sodann die erste Furchungsteilung. Nach der Entstehung von zwei Tochterzellen spricht man vom Blastomerenstadium. BLASTOMERENSTADIUM (STADIUM 2) In der Folge teilen sich die Zellen weiter, ohne dass sich zunächst das Volumen der Oozyte änderte (Blastomerenstadium). Die Tochterzellen werden durch die Zo19 MEDIZIN Zygote ausgeschieden wird, verhindert, dass der Embryo bei der Einnistung als Fremdkörper abgestoßen wird. Andere embryonale Signale wie etwa das humane Choriongonadotropin (HCG) führen zur Erhöhung der Progesteronproduktion bei der Mutter, wodurch die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft gewährleistet wird. Der mütterliche Organismus stellt sich auf Grund dieses Dialogs auf Schwangerschaft um. Trotz der beginnenden Differenzierung bleiben die Tochterzellen bis zum Achtzellstadium totipotent, das heißt, jede einzelne von ihnen kann sich zu einem vollständigen Embryo entwickeln, wenn sie aus dem Zellverband gelöst wird. Im Verband sind diese Tochterzellen jedoch nicht totipotent, sondern sind Teil im Ganzen des Systems. Sie sind bereits aufeinander zugeordnet und bilden eine Funktionseinheit oder ein biologisches System. Erst wenn sie voneinander getrennt werden, gewinnen sie ihre Unabhängigkeit und können einen ganzen Embryo hervorbringen. Zwischen dem Achtund Sechzehnzellstadium geht die Totipotenz über in die Pluripotenz, das heißt, die einzelnen Zellen des Embryos können sich nicht mehr zu einem ganzen Embryo entwickeln, sondern nur noch zu verschiedenen Zelltypen, die im Embryo vorkommen. Die Zellen festigen ihren Zusammenhalt auch in morphologisch erkennbarer Form und rücken enKleiner Mensch: Fötus in der 7. Schwangerschaftswoche ger zusammen. Es entstehen spezialisierte VerbinGenoms wird erst zwischen dem Vier- und dungen zwischen den außen liegenden Acht-Zellstadium beobachtet; sie ist weZellen, wodurch die inneren Zellen von sentlich sowohl für die Proteinsynthese als dem äußeren Milieu abgeschirmt werden auch für den Fortgang der Zellteilungen. und sich in ihrem eigenen Milieu diffeDer neu entstandene Organismus renzieren. Die äußeren Zellen erscheinen agiert bereits als eine Einheit. Er sendet morphologisch polarisiert, weil sie an der an den mütterlichen Organismus wichäußeren Oberfläche Mikrovilli ausbilden, tige Signale, die den embryo-maternaan den seitlichen Flächen die genannten len Dialog einleiten und zur SynchroniKontakte herstellen und im Inneren eisierung und Feinabstimmung des embne asymmetrische Verteilung der Zellorryonalen und des mütterlichen Systems ganellen aufweisen. Zellteilungen könbeitragen. Eines dieser Signale, der Earnen radiär (senkrecht zur gemeinsamen ly Pregnancy Factor, der schon wenige Oberfläche der Blastomere) oder tangenStunden nach der Fertilisation von der tial (parallel zu dieser Oberfläche) erfolLIFE ISSUES INSTITUTE na pellucida zu einem einheitlichen Verband zusammengehalten. Es ist anzunehmen, dass in dem von der Zona pellucida umschlossenen Raum ein von außen verschiedenes Stoffwechselfeld besteht. Für die ersten beiden Zellteilungen genügt die normale DNA-Synthese. Für die anlaufende Proteinsynthese reichen noch die Reserven an mütterlicher Boten-RNA (mRNA), an Ribosomen, Transfer-RNA (tRNA) und Vorläuferproteinen, welche die Oozyte vor der Befruchtungskaskade angereichert hat. Die Aktivierung der mütterlichen mRNA erfolgt durch die Fertilisation, die Aktivierung des embryonalen 20 gen. Bei radiär eingestellten Teilungen entstehen zwei polar organisierte Tochterzellen, die an der Oberfläche bleiben. Bei tangentialer Teilungsebene entsteht eine polare oberflächliche Zelle und eine unpolare innere Tochterzelle, die in dem inneren Stoffwechselmilieu einen anderen Differenzierungsweg einschlägt. Während die äußeren Zellen den Trophoblasten bilden, entsteht aus den inneren Zellen der Embryoblast. BLASTOZYSTE, ADPLANTATION UND IMPLANTATION (STADIEN 3 BIS 5) Ab etwa 32 Zellen entstehen Flüssigkeitsräume zwischen den Zellen, die allmählich zu einer einzigen Höhle zusammenfließen. Wir sprechen jetzt vom Stadium der Blastozyste (Stadium 3). Die Blastozyste besteht aus einem Mantel von Zellen (Trophoblast), welcher sowohl die Blastozystenhöhle als auch den Embryoblasten umhüllt. Die Zellen des Embryoblasten liegen konzentriert an einem Pol der Blastozyste, die Blastozystenhöhle bildet den anderen Pol des inneren Bereichs, wodurch sich eine polare Differenzierung ergibt. Der Embryoblast differenziert sich in zwei Schichten, den Epiblasten (in der Nähe des Trophoblasten) und den Hypoblasten (angrenzend an die Blastozystenhöhle). Der zweischichtige Embryoblast wird als Embryonalscheibe bezeichnet. Am Ende von Stadium 3 löst sich die Zona pellucida auf. Der Embryo schlüpft aus der Zona pellucida. Mit dem Trophoblasten hat der Embryo eine neue schützende Hülle entwickelt. Die Hülle des Trophoblasten ist von da an für die weitere Entfaltung des Embryos wesentlich geeigneter. Sie kann sich der Größe des Embryos anpassen, ermöglicht den Vorgang der Implantation in den Uterus und wird zu einer Schnittstelle zwischen Mutter und Kind. Die Blastozyste lagert sich mit dem Pol, an welchem der Embryoblast liegt, der Wand des Uterus an (Adplantation, Stadium 4), löst mit den Enzymen des Trophoblasten die Uterusschleimhaut auf, dringt in sie ein und ist schließlich am Ende der ersten Woche völlig in die Uterusschleimhaut eingenistet (Implantation, Stadium 5). ASYMMETRIEN, POLARISIERUNG UND ACHSENBILDUNG Die Beschreibung der Vorgänge, die von der kugelförmigen Zygote zur Ausbildung der Körperform führen, ist eine der zentralen Aufgaben der Humanembryologie, seit es sie gibt. Aus der LebensForum 120 LebensForum 120 net diese konträren Pole als embryonalen und abembryonalen Pol. Die Achse, die beide Pole verbindet, ist die embryonal-abembryonale Achse (Emb-Ab-Achse). Sie steht senkrecht auf der AV-Achse. Sie wird später zur dorsoventralen Achse (DV-Achse oder sagittale Achse). Die Längsachse ist zugleich die Achse der bilateralen Symmetrie. Bilaterale Symmetrie kann bereits in der frühen Blastozyste festgestellt werden. Sie hängt nicht von der Implantation ab. Ein normaler Körperbauplan entwickelt sich auch in vitro, ohne Implantation. Die Körperlängsachse weist nicht nur eine Orientierung, sondern auch eine Polarität auf. Es gibt einen oberen Pol, an welchem der Kopf entsteht, und einen unteren Pol, an welchem sich die Steißregion bildet. Schon die Zygote enthält determinierende Faktoren im Zytoplas- anderem die Signale des Proteins Nodal in dem darüberliegenden Epiblasten. Dadurch wird die Aktivität von Nodal auf die untere Region des Embryos eingeschränkt, wo später der Primitivknoten und der Primitivstreifen entstehen. Damit ist auch die Polarität der Längsachse bestimmt. ENTSTEHUNG DES NEURALROHRS UND WACHSTUMSDYNAMIK DES NERVENSYSTEMS (2. BIS 5. WOCHE, STADIEN 6 BIS 15) Die Schwerpunkte der zweiten und dritten Entwicklungswoche sind die Entstehung des Primitivstreifens und der axialen Strukturen, vornehmlich des Neuralrohrs. Da diese Ereignisse für die Debatte über die Grenzen nicht mehr so zentral sind wie vor einigen Jahren, möchte LIFE ISSUES INSTITUTE Zygote wird allmählich ein Körper, der nicht nur durch Symmetrie, sondern auch durch Asymmetrien und Polaritäten gekennzeichnet ist. Bilaterale Symmetrien werden beschrieben in Bezug auf eine virtuelle Längsachse, die vertikale Achse, sowie auf die ebenfalls virtuelle, senkrecht auf ihr stehende sagittale Achse, die zusammen die Medianebene aufspannen. Asymmetrien und Polaritäten werden sichtbar, wenn man sich entlang dieser Achsen bewegt. So ist das obere Ende (superiorer Pol, Kopfende) der vertikalen Achse ganz anders gebildet als das untere Ende (inferiorer Pol, Steißende), das bauchseitige (ventrale) Ende der sagittalen Achse ganz anders als deren rückenseitiges (dorsales) Ende. Wie kommt es zur Ausbildung dieser Symmetrien, Asymmetrien und Polaritäten, die man kurz mit dem Begriff der Ausbildung der Körperachsen zusammenfasst? Schon die Zygote ist in ihrer inneren Struktur keineswegs kugelsymmetrisch. Sie weist eine wichtige Polarität auf, nämlich den animalen und den vegetalen Pol. Der animale Pol (A) ist definiert durch die exzentrische Lage der Metaphasenspindel. Äußerlich wird er sichtbar durch die Lage des zweiten Polkörpers, welcher in Zweidrittel der Fälle über eine dünne Zytoplasmabrücke mit der Zygote und später mit der Blastozyste verbunden bleibt. In Anlehnung an die Entwicklung bei Invertebraten wird der gegenüberliegende Pol als vegetaler Pol (V) bezeichnet. Durch den animalen und den vegetalen Pol wird die animal-vegetale Achse (AV- Achse) gelegt. Es gibt starke Argumente dafür, dass die AV-Achse, die Vorläuferin der Längsachse des Embryos, bereits in der Zygote angelegt ist. Man kann sich nun Meridiane vorstellen, die den animalen und den vegetalen Pol miteinander verbinden. Entlang einem dieser Meridiane erfolgt die erste Furchungsteilung und damit der Übergang zum Zwei-Zellstadium. Welcher der möglichen Meridiane für die Furchungsteilung ausgewählt wird, wird nach neueren Befunden vermutlich durch den Ort entschieden, an welchem das Spermium in die Oozyte eindringt (sperm entry point, SEP). Mit der ersten Furchungsteilung wird eine Ebene generiert, welche die beiden ersten entstehenden Blastomeren trennt. In dieser Ebene liegt die AV-Achse. Die Blastozyste weist drei verschiedene Bereiche auf, den Embryoblasten, den Trophoblasten und die Blastozystenhöhle. Der Embryoblast liegt auf der einen Seite, die Blastozystenhöhle auf der anderen Seite der Blastozyste. Man bezeich- Schon in der 8. Woche sind Füße und Zehen deutlich als solche erkennbar ma, die bei den Furchungsteilungen in ungleicher Weise auf die Blastomeren verteilt werden. Dies wurde vor einigen Jahren durch konfokale Laser-ScanningMikroskopie für die Markermoleküle Leptin und STAT3 bestätigt. Beide Proteine sind gut charakterisiert. Leptin wirkt als Hormon und STAT3 gehört zur Familie von Aktivatoren der Signaltransduktion und Transkription. Schon längere Zeit vor der Entstehung des Primitivstreifens gibt es bereits Evidenz für die Ausbildung der Polarität der Längsachse beim Maus-Embryo. Im viszeralen Entoderm der späteren Kopfregion werden bestimmte Gene und eine Reihe von wichtigen Inhibitoren exprimiert. Die Inhibitoren hemmen unter ich Ihnen das Studium bzw. die Rekapitulation selbst überlassen. In der vierten Entwicklungswoche schließt sich das Neuralrohr am kranialen und am kaudalen Ende des Embryonalkörpers. Von jetzt an dominiert das Nervensystem das Wachstum des Embryos. Das Gehirn wächst rasch über die Begrenzungen des Nabelbläschens hinaus und beugt sich nach vorn. Dabei entstehen die Pharyngealbögen. Es entstehen ferner die Augen- und Ohrbläschen und die vier Gliedmaßenknospen. In der fünften Entwicklungswoche wird die Beugung des Kopfes so stark, dass die Stirn auf dem Nabel zu liegen kommt. Die Hirnabschnitte sind schon weit fortgeschritten in ihrer Differenzie21 MEDIZIN rung. Im Stadium 15 werden die Hemisphärenblasen bereits sichtbar. AUFRICHTUNG DES EMBRYOS UND ENTWICKLUNG DES GESICHTS (6. BIS 8. WOCHE, STADIEN 16 BIS 23) gischen Gesichtspunkten eine in Raum und Zeit unverwechselbare Einheit dar, der wir zu Recht Individualität im biologischen Sinne (Individuumb) zuschreiben. GRENZZIEHUNGEN LIFE ISSUES INSTITUTE Im Verlaufe der sechsten Entwicklungswoche wird der Kopf fast ebenso groß wie der ganze Rumpf. Die Gliedmaßen schaffen, dass in jedem Moment der Entwicklung ein menschlicher Embryo zu erkennen ist (humanspezifische Entwicklung). - Jedes Entwicklungsstadium geht kontinuierlich in das folgende über (Kontinuität der Entwicklung). Nach der Fertilisation können keine Einschnitte in der Entwicklung des Embryos beobachtet werden. Auf dem Hintergrund der Entwicklung des menschlichen Embryos wollen wir uns jetzt mit verschiedenen Grenzziehungen auseinandersetzen, an denen jeweils das Leben des individuellen Menschen beginnen soll. Erst ab dieser Grenze soll der Embryo eine Würde haben, die unantastbar ist. SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH Hand eines Embryos in der 12. Woche. Bis zu diesem Zeitpunkt darf abgetrieben werden. sind weiter differenziert. In der Handplatte sind die Fingerstrahlen erkennbar (Stadium 17). Der Entwicklung des äußeren Erscheinungsbildes entspricht eine rasch fortschreitende Differenzierung der Organsysteme im Inneren des Embryonalkörpers. Als Folge der Ausbildung der Wirbelsäule richtet sich der Embryo in der 7. und 8. Entwicklungswoche allmählich auf, Finger und Zehen werden fein ausgebildet, das Gesicht wird zu dem geformt, was auch der nicht embryologisch Geschulte als typisch menschliches Antlitz bezeichnen würde. Betrachtet man mehrere verschiedene Gesichter am Ende der Embryonalzeit (Ende der 8. Woche), dann wird man jedem dieser Gesichter eine individuelle Besonderung zusprechen müssen. Der Embryo ist zu dieser Zeit etwa 30 mm groß. EINIGE WESENTLICHE BEFUNDE BEI DER EMBRYONALENTWICKLUNG - Die Zygote ist als menschliches Wesen in der Lage, sich unter geeigneten Bedingungen zur Gestalt des erwachsenen Menschen zu entwickeln. Es muss nichts Wesentliches mehr hinzugefügt werden (aktive Potenz zur vollständigen menschlichen Entwicklung). - Das Genom ist individuell und humanspezifisch. Seine Struktur ist so be22 - In jedem Moment der Embryonalentwicklung agiert der Embryo als eine funktionelle, sich selbst organisierende Einheit (Einheit eines dynamischen, sich selbst organisierenden Systems). Der Entwicklungsablauf ist irreversibel und strebt nach der Ausprägung der Endgestalt. Die Einheit des sich selbst organisierenden Systems ist das zentrale und zugleich wichtigste Kriterium, um einem Lebewesen Individualität zusprechen zu können. Es enthält in sich bereits die anderen, vorher genannten Kriterien. Nur der Blick auf das System als ganzes kann den Embryo in seiner biologischen Verfassung angemessen repräsentieren. Eine Verkürzung der Perspektive, wie etwa auf die genetische Information oder die Funktionen des Nervensystems, wird der biologischen Realität nicht gerecht. Wenn wir vom System als ganzem sprechen, dann müssen wir zugleich einräumen, dass wir dieses System in vielen Hinsichten noch nicht verstehen. Aus der embryologischen Betrachtung der menschlichen Entwicklung folgt, dass der Embryo von der Befruchtung an ein Mensch ist und die aktive Möglichkeit besitzt, dieses Menschsein voll zu entfalten, wenn ihm die dafür nötigen Umgebungsbedingungen geboten werden. Der Embryo lebt zu jeder Zeit als ein zu einer einheitlichen Leistung befähigtes System und stellt daher unter biolo- Im Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch wurde früher der Übergang von der Embryonal- zur Fetalzeit, also das Ende der 8. Entwicklungswoche festgelegt. Begründet wurde dies mit der Behauptung, dass um diese Zeit die Entstehung der Köperform eine wichtige Etappe erreicht habe und die Organentwicklung beginne. Das trifft aber nicht zu. Die Organentwicklung beginnt schon viel früher. Denken Sie nur an die Entwicklung des Herzens, der Gefäße, der peripheren Nerven und des Zentralnervensystems. Die heutige Gesetzgebung legt das Ende des dritten Monats als Grenze fest, bis zu welcher die Schwangerschaft unterbrochen werden darf. Für diese Festlegung gibt es keinen embryologischen Grund. PRIMITIVSTREIFEN, ZWILLINGSBILDUNG, PRAE-EMBRYO Um den Embryonaltag 14 entsteht der Primitivstreifen. In der Regel entstehen danach keine Zwillinge mehr. Solange ein Embryo sich noch zu zwei Individuen entwickeln könne, so das Argument, sei er noch kein individueller Mensch. Die Zygote und die nachfolgenden Embryonalstadien bis zur Entstehung des Primitivstreifens sollen als Prä-Embryo bezeichnet werden. Es ist zuzugeben, dass der Prozess der Zwillingsbildung noch nicht richtig verstanden ist. Sicher ist aber, dass der Embryo zu jeder Zeit als ein zu einer einheitlichen Leistung befähigtes System lebt und daher unter biologischen Gesichtspunkten eine in Raum und Zeit unverwechselbare Einheit darstellt, der wir zu Recht Individualität im biologischen Sinne (Individuumb) zuschreiben. Der Embryo ist vor der Zwillingsbildung ein Individuumb (Zustand A). Nach der Zwillingsbildung (Zustand B) handelt es sich um zwei Individuenb. LebensForum 120 DIE NIDATION Um das Jahr 2000 herum, also zu der Zeit, als die Gewinnung embryonaler Stammzellen eine immer größere Bedeutung erlangte, wurde die Nidation (Einnistung in den Uterus), also der Embryonaltag 7, entscheidend für die Zuschreibung des individuellen Menschseins. Es wurde verschiedentlich behauptet, so auch von Christian Kummer (1999), in der Zygote und in den nachfolgenden Präimplantationsstadien gebe es noch keine Achsen. Zur Ausbildung der Körperachsen brauche der Embryo Positionssignale, die er erst durch die Implantation in den Uterus erhalte. Deshalb habe der Embryo nicht schon mit der Fertilisation die aktive Potenzialität, sich zum erwachsenen Menschen zu entwickeln. Die Implantation liefere ihm noch zusätzliche Eigenschaften, die für seine weitere Entwicklung wesentlich seien. Auf Grund der Konfrontation mit neueren Befunden zur Entstehung der Körperachsen, über die ich im Teil 1 berichtet habe, sah sich aber Kummer zu einer »empfindlichen Korrektur« seiner Position veranlasst. »Eine grundlegende Befähigung zur autonomen Bestimmung seiner Körperachsen ist dem Embryo nach all dem sicher nicht mehr abzusprechen«. Die embryologischen Daten sprechen dafür, dem Embryo von der Fertilisation an den »ontologischen Status einer vollständigen Organisationsform« zuzuerkennen, und zwar unabhängig von der Einnistung in den Uterus. Dennoch wird verschiedentlich daran festgehalten, dass der Embryo erst durch die Einnistung zu einem vollständigen menschlichen Individuum werde. Gemäß Christiane Nüsslein-Volhard sei der Uterus notwendig für die Vervollständigung und Steuerung des embryonalen Entwicklungsprogramms. Doch dafür gibt es bisher keine Evidenz. Der Uterus ist sicherlich notwendig für das Weiterleben des Embryos. Er liefert die geeignete Behausung, die lebensnotwendige Nahrung und den unverzichtbaren Schutz für den Embryo. Diese Funktionen des Uterus sind notwendig, wie auch für Kinder und Erwachsene Nahrung, Behausung und Schutz LebensForum 120 notwendig sind für das Überleben und die Entwicklung der eigenen Möglichkeiten. Lebensnotwendige Faktoren sind aber nicht per se schon konstitutiv. Nach allem, was wir heute wissen, steuert der Embryo sein Entwicklungsprogramm selbst. Unser Gegenargument wird durch soeben publizierte experimentelle Befunde aus der Arbeitsgruppe von Magdalena Zernicka-Goetz unterstützt. Diese zeigen, dass menschliche Embryonen in einer speziellen Kulturschale und in einem besonderen Nährmedium über den Zeitpunkt der Implantation hinaus weiterleben und sich entwickeln konnten. Die Forscher gehen davon aus, dass sie die Embryonen auch länger als die gesetzlich erlaubten 14 Tage (in Großbritannien) am Leben halten könnten. über eine individuelle genetische Ausstattung. Seine Zellen bilden eine organische Einheit, ein sich selbst organisierendes System. Sie kommunizieren miteinander und teilen sich schon sehr früh die Aufgaben, die zu regionalen Differenzierungsunterschieden führen. Dieses komplexe System ist umgeben von LIFE ISSUES INSTITUTE Die Autoren Smith & Brogaard haben dafür ein anschauliches Beispiel aus der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika vorgestellt. Die Vereinigten Staaten existierten 1860 als Einheit, obwohl sie im Falle eines Bürgerkrieges in zwei Staaten hätten zerfallen können. Wenn etwas der Möglichkeit nach zwei ist, dann folgt daraus nicht, dass es nicht aktuell eins ist. DIE REDE VOM ZELLHAUFEN Als ich zum ersten Mal hörte, dass der Embryo ein Zellhaufen sei, dachte ich, es handle sich um einen populistischen Ausdruck von Journalisten. Mittlerweile ist aber dieser Ausdruck weit verbreitet, und zwar sogar bei Bio- In der 14. Woche sind Gliedmaßen und Organe schon ausgebildet logen, Reproduktionsmedizinern und Politikern. So hat einer schützenden Hülle, der Zona pelder schweizerische Bundesrat Alain Berlucida, die die Einheit des Embryos geset in der Arena-Sendung vom 15. Mai währleistet. Entfernt man diese Hülle, 2015 gesagt, der Embryo sei zu Beginn dann zerstört man die Einheit des Embseines Lebens noch kein Mensch, sonryos. Die Zona pellucida schafft ein nach dern »ein Zellhaufen, der sich später entaußen abgeschlossenes inneres Milieu wickeln kann zu einem Menschen«. Dafür die Differenzierung der Zellen. Zumit begründete er die Verfassungsändegleich ermöglicht sie die Kommunikatirung, die die Einführung der Präimplanon mit der Außenwelt und insbesondetationsdiagnostik erlauben sollte. re den Austausch von Signalen mit der Wie jeder von uns weiß, bedeutet ein Mutter, was die Embryologen als embHaufen, dass die einzelnen Elemente in ryo-maternalen Dialog bezeichnen. Nun beliebiger Nachbarschaft liegen und ausgibt es Aufnahmen vom Blastomerenstagetauscht werden können. Ganz anders dium mit dem Rasterelektronen-Mikrosist die Situation beim menschlichen Emkop. Zur Darstellung der einzelnen Zelbryo, wie ich im Teil 1 gezeigt habe. Mit len wurde die schützende Hülle, die Zoder Befruchtung beginnt er sein indivina pellucida entfernt. Beim Anblick dieduelles menschliches Leben. Er verfügt ser Zellen könnte man meinen, es hand23 MEDIZIN le sich tatsächlich um einen Zellhaufen. In Wirklichkeit hat man die Individualität des Embryos zerstört und künstlich einen Zellhaufen erzeugt. DER ONTOLOGISCHE STATUS DES EMBRYOS Die Analyse des biologischen Status hat ergeben, dass der menschliche Embryo alle Bedingungen erfüllt, um als ein Individuum im biologischen Sinn (Individuumb) angesehen zu werden. Welche Relevanz hat dieser Befund für die philosophische Frage, ob der Embryo schon Person ist? Die klassische Definition der Person stammt von dem antiken Philosophen Boethius. Sie lautet: »Person ist die individuelle Substanz einer vernunftbegabten Natur«. Es ist nun erstens zu klären, ob das biologische Individuum ontologisch als eine individuelle Substanz angesehen werden muss, und zweitens, ob dieses Individuum vernunftbegabt ist. Wir haben im ersten Teil des Vortrags gesehen, dass der Embryo von der Fertilisation an alle Bedingungen erfüllt, die für ein biologisches Individuum erfüllt sein müssen. Er ist eine Einheit in Raum und Zeit. Diese Einheit wird garantiert durch eine schützende Hülle, und zwar zuerst von der Zona pellucida, danach vom Trophoblasten. Als individuelle Einheit ist der Embryo ein System, das sich schon in seinem Anfang auf seine Endgestalt hin organisiert. Trotz der Veränderungen, die im Laufe der Entwicklung auftreten, bleibt der Embryo mit sich über die Zeit hinweg (diachron) identisch. Er ist deshalb biologisch als Individuum und ontologisch als eine individuelle Substanz anzusehen. Gemäß Aristoteles und vielen anderen Philosophen sind natürliche Seiende bestimmt durch grundlegende Eigenschaften wie Potentialität (dynamis) und Aktualität (energeia). Potentialität bedeutet nicht einfach eine reine Möglichkeit, sondern ein aktives Vermögen, sich in seine Aktualität zu entwickeln. Sie ist auf die Realisierung ihres Endzustands ausgerichtet. Dieses Konzept wurde von Thomas von Aquin systematisch weiter entwickelt. Thomas unterscheidet eine aktive und eine passive Potentialität (potentia activa, potentia passiva). Ein Seiendes hat dann eine aktive Potentialität, wenn es fähig ist, aus sich selbst heraus diese Möglichkeit in Wirklichkeit umzusetzen (capacitas ad actum producendum). Der Mensch ist dadurch charakterisiert, dass er vernunftbegabt ist. Das biologische Korrelat der Rationalität ist das Nervensystem. Da der menschliche Embryo die 24 aktive Potentialität hat, ein menschliches Nervensystem zu entwickeln, hat er eine rationale Natur. Daraus ergibt sich, dass die philosophische Reflexion über biologische Sachverhalte zu der Schlussfolgerung berechtigt: Der menschliche Embryo ist eine individuelle Substanz einer rationalen Natur und deshalb eine Person. PERSONALSITTLICHES SUBJEKT Während die antike und die mittelalterliche Philosophie von der Ontologie der Substanz ausgeht, legt Immanuel Kant die Freiheit für den Personenbegriff zugrunde. Person ist für Kant »dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anderes, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (...).« Freiheit ist aber für Kant kein Gegenstand möglicher Erfahrung, somit auch nicht ein Objekt der theoretischen Vernunft. Wir werden der Freiheit nur gewärtig als Subjekte, und zwar in praktischer Perspektive. In dieser Perspektive weiß jeder Mensch, dass er unter einem Anspruch des Sollens steht. Nach Kant zeigt aber die Erfahrung des Sollensanspruchs, dass der Mensch frei ist; sonst könnte er das Sollen nicht als Sollen verstehen. »Freiheit ist für Kant nur Freiheit, wenn sie als eine ursprüngliche Selbstbestimmung des Willens gedacht wird, als die Fähigkeit, von sich selbst her einen Anfang zu setzen. Selbstbestimmung des Willens aber bedeutet, sich von nichts anderem als (...) von der Vernunft bestimmen zu lassen.« Da das Subjekt seinen Willen für das sittlich Gute selbst bestimmt, wird es zum sittlichen Subjekt. Das sittliche Subjektsein und seine zum Guten realisierte Freiheit stellt aber nicht mehr einen Zweck dar, der für andere Zwecke verfolgt wird, sondern ist Zweck an sich selbst. Wenn aber das sittliche Subjekt Zweck an sich selbst ist, »dann gibt es keinen äquivalenten Wert, gegen den es verrechnet werden könnte«. Diese Selbstzwecklichkeit des sittlichen Subjekts hat keinen Preis, »sondern einen inneren Wert, d. i. Würde«. Das sittliche Subjektsein verleiht also dem Menschen Würde und macht ihn zur Person. Aus dieser Herleitung des Würdebegriffs wird klar, dass dem Menschen Würde und Personalität nicht einfach deshalb zukommen, weil er der biologischen Spezies Homo sapiens angehört, sondern weil er sittliches Subjekt ist. Nun aber ist das leibliche Leben Bedingung dafür, sittliches Subjekt zu sein. Deshalb gehören schon bei Kant Persönlichkeit und menschliche Natur untrennbar zusammen. SCHLUSS Bei genauer Betrachtung der Eigenschaften und der Entwicklung des menschlichen Embryos ergibt sich, dass der Embryo von der Befruchtung an ein menschliches Individuum ist. Dieses Individuum verfügt über die Möglichkeit, ein Nervensystem zu entwickeln, womit seine rationale Natur grundgelegt ist. Der Embryo ist deshalb als Person im philosophischen Sinn zu bezeichnen. Aus der Zuschreibung des Personseins ergeben sich wichtige ethische Konsequenzen. Eine Person hat Würde und darf nicht als Mittel zum Zweck gebraucht werden. Diese philosophische und ethische Sicht steht heute im Konflikt mit politischen, juristischen, sozialen und psychologischen Gesichtspunkten, die bei der Gesetzgebung ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Man darf aber auf keinen Fall zulassen, dass biologische Sachverhalte so umgedeutet werden, dass damit die Gesetzgebung auch moralisch gerechtfertigt wird und man beim Eingriff in das Leben des Embryos kein schlechtes Gewissen mehr haben muss. IM PORTRAIT Prof. Dr. Günter Rager Der Autor ist emeritierter Professor und Direktor des Instituts für Anatomie und spezielle Embryologie der Universität Fribourg (Schweiz). Günter Rager wurde 1938 geboren. Nach dem Studium der Philosophie an der Universität München, das er 1966 mit der Promotion über den Personbegriff bei dem indischen Philosophen Sri Aurobindo abschloss, nahm er das Studium der Medizin auf, das ihn über Zwischenstationen in Erlangen, Zürich und Tübingen schließlich an die Universität Göttingen führte, wo er bis zu seiner Berufung als Ordinarius und Direktor des Instituts für Anatomie und spezielle Embryologie an der Universität Fribourg im Üchtland sein langjähriges Wirkungsfeld fand. Die wissenschaftliche Tätigkeit von Günter Rager fand Anerkennung durch die Berufung in zahlreiche wissenschaftliche Institutionen und Gremien. Von 1983 bis 1986 war er Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Anatomie, Histologie und Embryologie, von 1998 bis 2006 war er zudem Direktor des Instituts der Görresgesellschaft für Interdisziplinäre Forschung. LebensForum 120 DANIEL RENNEN GESELLSCHAFT Enttäuschend Gewogen und für zu leicht befunden: Das angekündigte und von vielen mit Spannung erwartete Lebensschutz-Memorandum des Kolpingwerks Deutschland enttäuscht. Mit seinen bescheidenen Forderungen und einer unnötigen Provokation bleibt der katholische Verband deutlich hinter den an ihn gestellten Erwartungen zurück. Von Stefan Rochow P apst Benedikt XVI. prägte in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag im Jahr 2011 den Begriff von der »Ökologie des Menschen«. Nicht nur die Umwelt und das Klima seien schützenswert, sondern auch der Mensch selbst müsse sich als unbedingt schützens- und achtenswert erkennen. Der Pontifex aus Deutschland stellte sich damit ganz in die Linie mit seinen Vorgängern, insbesondere Papst Johannes Paul II., dem das Thema Lebens- und Menschenwürde immer wieder ein so großes Anliegen gewesen ist. Aber auch der jetzige Papst Franziskus hat sich in seinem Pontifikat bisher immer wieder zu diesem Thema unmissverständlich geäußert. Zum Ja für das Leben, anders kann man die Botschaften nicht verstehen, gibt es keine Alternative. Kompromisse sind in einer Demokratie existenzielle Voraussetzung dafür, dass das Zusammenleben überhaupt funktionieren kann. Geht es aber um das Recht auf Leben, darf es in dieser Frage keine Kompromissbereitschaft geben. Vor diesem Hintergrund war man erfreut, dass sich ein großer katholischer LebensForum 120 Verband wie das Kolpingwerk Deutschland in einem »Memorandum zum Schutz des menschlichen Lebens« zur Frage des Lebensrechts geäußert hat. »Mit Besorgnis beobachtet das Kolpingwerk Deutschland ein schwindendes Bewusstsein für den Lebensschutz; das wirkt sich auch auf politische Entscheidungen und den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens aus«, heißt es in der Erklärung des katholischen Sozialverbandes. Tatsächlich gibt es seit vielen Jahren öffentliche Diskussionen in bioethischen Bereichen, die nachdenklich stimmen. Gerade erst wird zum Beispiel in den Niederlanden darüber diskutiert, ob man die seit Jahren bei unseren Nachbarn legale Sterbehilfe ausweiten soll. Bisher haben nur kranke Menschen, die ohne Hoffnung auf Genesung unerträglich leiden, unter bestimmten Bedingungen ein Recht darauf. Nun möchte Gesundheitsministerin Edith Schippers einen Schritt weiter gehen: Auch alten und gesunden Menschen soll ein ähnliches Recht eingeräumt werden. Pseudohuman wird argumentiert, dass es viele alte Menschen geben würde, die aus den unterschiedlichsten Gründen ihrem Leben ein Ende setzen möchten, weil sie ihr Dasein nicht mehr ertragen könnten. »Untersuchungen haben ergeben, dass dieser Wunsch (Sterbehilfe – Anm. der Redaktion) in allen Schichten der Bevölkerung existiert. Nicht nur gut ausgebildete, emanzipierte Bürger wollen diese Möglichkeit haben. Was noch lange nicht heißt, dass sie davon dann auch Gebrauch machen. Es ist für viele ein beruhigender Gedanke, dass sie, wenn sie wollten, die Möglichkeit hätten. Es gibt immer wieder entsetzliche Vorfälle von alten Menschen, die sich eine Plastiktüte über den Kopf stülpen. Diese Verzweiflung ist Realität. Und dabei geht es leider nicht um Ausnahmen!«, argumentieren die Befürworter einer derart liberalisierten Sterbehilfe. So wie beim bestehenden Sterbehilfeparagrafen muss der Todeswunsch deutlich und mehrfach geäußert worden sein. Geprüft werden soll dies von einem sogenannten Sterbensbegleiter: Er muss sämtliche Alternativen ausschließen, einen Arzt zu Rate ziehen und sich außerdem vor einer Ethikkommission verantworten. 25 GESELLSCHAF T die Rahmenbedingungen für die Hospiz- und Palliativversorgung entscheidend verbessert werden. Mancher hätte sich im Memorandum, im Hinblick auf die Sterbehilfe, eine größere Deutlichkeit gewünscht. Gerade unter dem Aspekt, dass der Bundesvorsitzende des Kolpingwerkes, Thomas Dörflinger, im vergangenen Jahr als Bundestagsabgeordneter zusammen mit seinen Fraktionskollegen Professor Patrick Sensburg und Hubert Hüppe zu diesem Thema einen eigenen Gesetzentwurf vorgestellt hat, verwundern die doch relativ zahm gefassten Passagen dann doch. Die CDU-Abgeordneten Sensburg, Hüppe und Dörflinger hatten damals einen Gesetzentwurf veröffentlicht, in dem DANIEL RENNEN Das Fatale an solchen Diskussionen ist, dass sich die Argumente in die Köpfe der Menschen verfangen. 2002 waren es die Niederlande, die weltweit als erstes Land die Beihilfe zur Tötung von Menschen, die große Schmerzen erdulden müssen und die keine Chance auf Heilung haben, legalisiert haben. Die Sterbehilfe ist in den Niederlanden gesellschaftlich weitgehend akzeptiert. Auch im Zusammenhang mit der Ausweitung der Sterbehilfe haben sich in verschiedenen Umfragen 70 Prozent der Niederländer für eine Ausweitung der Sterbehilferegelung ausgesprochen. Damit stehen die Niederländer nicht alleine da. Auch in Deutschland schließt eine große Mehrheit der Deutschen Sterbehilfe Das Kolpingwerk fordert die Bischöfe zur Rückkehr in die Schein-Beratung auf für sich nicht aus. Im Oktober veröffentlichte die »Apotheken-Rundschau« eine repräsentative Umfrage, die aufhorchen lässt. So können sich 77,6 Prozent der Befragten gut vorstellen, im Falle einer unheilbaren oder tödlichen Erkrankung, als unheilbar oder tödlich erkrankter, leidender oder sterbender Mensch das eigene Leben mit ärztlicher Hilfe beenden zu wollen. Für 79,1 Prozent der Befragten zählt es sogar zur Menschenwürde, als leidender oder sterbender Mensch selbst über Todesart und Todeszeitpunkt bestimmen zu können. »Weder Suizid noch aktive Sterbehilfe sind eine Lösung«, macht das Kolpingwerk deutlich. Das Kolpingwerk Deutschland begrüßt es, dass gemeinsam mit der Gesetzgebung zum Verbot der organisierten Suizid-Beihilfe auch 26 sie sich für ein vollständiges ausnahmsloses Verbot der Anstiftung zum und Mitwirkung am Suizid einsetzten. Es sollte insbesondere keine Ausnahmen für Angehörige und Ärzte geben. Zu Recht verwiesen die Bundestagsabgeordneten darauf, dass gerade Ausnahmen für diese beiden Personengruppen im Bezug auf assistierten Suizid einen neuen Erwartungs- und Entscheidungshorizont am Lebensende begünstigen würden. Wenn lebenserhaltende Therapien und der Tod als gleichwertige Behandlungsalternativen betrachtet werden, würde der Patient, der sich für das Leben entscheidet, begründungspflichtig, da er damit Kosten für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung verursacht – der Gesellschaft und der Familie. Der Gesetzentwurf der CDU-Abgeordneten war der einzige, der dieser problematischen Entwicklung einen vollständigen Riegel vorschieben wollte. Durchsetzen konnten sie sich allerdings nicht. Zwar beschloss der Bundestag damals, dass nicht nur der gewinnorientierte, sondern jeder geschäftsmäßig assistierte Suizid unter Strafe gestellt wird und dass Sterbehilfevereine damit endgültig nicht erlaubt sind. Angehörige und besonders nahestehende Person werden aber für eine Suizidbeihilfe nicht bestraft. Auch Ärzte sollen regelmäßig straffrei bleiben. Diese Ausnahmen von der Strafbarkeit sahen Sensburg und Dörflinger kritisch und legten daher einen konsequenten Gesetzentwurf vor, der auch einer Sterbehilfe durch die Hintertür einen Riegel vorschiebt. Im Memorandum des Kolpingwerkes ist von dieser Problematik leider nichts zu lesen. Irritiert nimmt der Leser zur Kenntnis, dass der Gesetzentwurf ein »starkes Zeichen für den Lebensschutz und für ein Sterben in Würde« sei. Doch nicht nur alte Menschen sind Gegenstand intensiver bioethischer Debatten in unserem Land. So hat gerade in den letzten Monaten wieder eine Diskussion an Fahrt aufgenommen, die ebenfalls ethisch bedenkliche Weichen stellen könnte: Der sogenannte »PraenaTest« der Konstanzer Firma LifeCodexx könnte bald als Kassenleistung aufgenommen werden. Der seit August 2012 in Deutschland erhältliche Test erfasst mit »hoher Wahrscheinlichkeit«, ob bei dem noch ungeborenen Kind eine Trisomie 21 – die Ursache für das sogenannte DownSyndrom – vorliegt. Auch zwei andere Trisomien – 18 und 13 – lassen sich damit diagnostizieren. Schon bei der Einführung dieses Tests vor über vier Jahren gaben Kritiker immer wieder zu bedenken, dass die einfache Blutuntersuchung dazu führt, dass Kinder mit Down-Syndrom häufiger abgetrieben und behinderte Menschen diskriminiert werden. Durchsetzen konnten sich die Bedenken damals nicht. Befürworter weisen darauf hin, dass schon heute Methoden Bestandteil der Regelversorgung sind, mit denen sich Trisomien nachweisen lassen – etwa die Fruchtwasseruntersuchung. Nun auf eine risikoärmere Alternative zu verzichten, sei nicht nachvollziehbar. Das sind nur zwei Debatten, die deutlich machen, dass sich in der Frage der »Ökologie des Menschen« sehr vieles in eine Richtung bewegt, die als gefährlich bewertet werden muss. »Der Lebensschutz ist nicht allein Aufgabe des Staates und der Politik, sondern der gesamLebensForum 120 LebensForum 120 ven und Wünsche der Mutter miteinander abwiegen«. Das ist aber eine Illusion, wie das Memorandum selber feststellt, in dem es heißt: »Mit Befremden stellt das Kolpingwerk Deutschland fest, dass sich unter den anerkannten und staatlich geförderten Trägern von Beratungsstellen in Schwangerschaftskonflikten auch solche Organisationen befinden, die ei- nen Lebens rechtliche Deckung erfährt. Ein Mitwirken daran stellt der Weg dar, den Donum Vitae geht. Das wird leider vom Kolpingwerk im Memorandum ausgeblendet. Auch beleuchtet das Memorandum an keiner Stelle die Arbeit vieler Vereine, die ohne die Ausstellung eines Beratungsscheins für Frauen in allen Lebens- DANIEL RENNEN ten Gesellschaft«, heißt es daher im Kolping-Memorandum folgerichtig. Seine verbandlichen Ebenen ruft der Sozialverband auf, »durch Aufklärung, Gewissensbildung und praktische Hilfe für Frauen in Not sowie Schwerkranke am Schutz des menschlichen Lebens mitzuwirken«. Mag man viele Punkte in dem Memorandum als sehr oberflächlich angesprochen ansehen oder wünschte man sich in manchen Punkten eine deutlichere Akzentuierung, so gibt es vor allem einen Punkt, der beim Lesen wie eine unnötige Provokation wirkt: Die Bundesversammlung empfiehlt der Deutschen Bischofskonferenz »eine Rückkehr in das Beratungssystem nach § 219 StGB«. Konkret bedeutet diese Forderung, dass katholische Beratungsstellen in Zukunft wieder einen Beratungsschein ausstellen dürfen, welcher die Mutter berechtigt, ihr Kind straffrei im Mutterleib töten lassen zu können. Was hat so ein Punkt in einem Memorandum zum Schutz des menschlichen Lebens zu suchen? Offenbar sollen hier die Schlachten von Vorgestern geschlagen werden. Im Jahr 1999 hatte sich die Katholische Kirche in Deutschland nach einem längeren Diskussionsprozess, in den sich zum Schluss dann auch Papst Johannes Paul II. mit deutlichen Worten einmischte, dafür entschieden, in ihren Schwangerschaftsberatungsstellen einen sogenannten Beratungsschein auszustellen, der Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung in Deutschland ist. Da der Beratungsschein »eine Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen erhalten hat«, bat der Papst die Bischöfe eindringlich, »Wege zu finden, dass ein Schein solcher Art (…) nicht mehr ausgestellt wird«. Da nicht alle Katholiken diese Entscheidung mittragen wollten, gründete sich im Jahr 1999 der Verein Donum Vitae, der bis heute die umstrittenen Beratungsscheine ausstellt. Von der Katholischen Kirche werden seine Beratungsstellen nicht als katholische Einrichtungen anerkannt. Durch den Beschluss, so begründet es der Pressesprecher des Kolpingwerkes Martin Grünewald gegenüber dem Domradio in Köln, soll das Engagement von Donum Vitae gewürdigt werden. Nach Vorstellungen des Kolpingwerkes könnte die Ausstellung eines Beratungsscheines dazu führen, dass jene Mütter eine Beratung aufsuchen, die mit dem Gedanken einer Abtreibung spielen. Hier könne man ihnen deutlich machen, dass sie ein menschliches Leben im Mutterleib töten und, so Grünewald, das »Lebensrecht des Kindes und die Perspekti- Schwangere in Not brauchen Hilfe und keine Scheine, die zur Abtreibung berechtigen ne Abwägung zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes einerseits und den möglichen Nöten und Konfliktsituationen der schwangeren Frau andererseits völlig ablehnen. So überrascht auch nicht, dass in den Positionen und Publikationen dieser Träger der Schwangerschaftskonfliktberatung mit keinem Wort das Lebensrecht des ungeborenen Kindes erwähnt wird.« Natürlich ist hier nicht der Verein Donum Vitae gemeint, und trotz aller Kritik an der Ausstellung des Scheins muss man den Verantwortlichen zugestehen, dass sie sich um genau diesen Ausgleich zwischen dem Lebensrecht des Kindes und den Sorgen und Nöten der Mutter bemühen. Trotzdem bleibt es dabei, dass es am Ende einen Beratungsschein gibt, den der Osnabrücker Sozialethiker Professor Manfred Spieker als eine »Lizenz zum Töten« bezeichnet. Das ist am Ende ja genau das Problem: Der Nachweis der Beratung durch einen Schein stellt sogleich das Mittel dar, dessen man sich bedienen kann, um das Leben des Kindes im Mutterleib abzutöten. Gerade in der Rückschau auf die letzten Jahre wird deutlich, welcher Bewusstseinswandel stattfindet, wenn die Tötung ungebore- lagen erreichbar sind. In den meisten Fällen möchten auch Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken, ihre Kinder behalten. Von außen herangetragene Gründe führen häufig dazu, dass sie eine Abtreibung in Betracht ziehen. Die Ausstellung eines Beratungsscheins bedeutet eine Kapitulation. Wenn das Kolpingwerk mit seinem Memorandum nun die Teilnahme an einem System einfordert, das durch das Ausstellen eines Scheines den Anschein erweckt, jede Entscheidung sei rechtmäßig und damit gleich gültig, dann kann das keine Verbesserung des Lebensschutzes sein. Das Kolpingwerk hat sich mit dem Memorandum selber das Ziel gesetzt, beim Lebensschutz in die Offensive zu gehen, und damit hohe Erwartungen gesetzt. Wer in der Frage der Menschenwürde und des Lebensrechts auf die schrankenlose Freiheit setzt, der öffnet eine Büchse der Pandora, die Potential hat, genau in das Gegenteil zu kippen. Manchmal muss der Mensch vor der Selbstzerstörung geschützt werden. Papst Benedikt hat genau deshalb die Ökologie des Menschen eingefordert. Das Memorandum hingegen bleibt hinter den großen Erwartungen zurück. 27 GESELLSCHA F T »Sie haben doch drei gesunde Kinder!« Ein Ehepaar, das bereits drei Kinder hat und sich ein viertes wünscht, erwartet überraschend Zwillinge: Tagebuch einer ungewöhnlichen Geburtsgeschichte. Aufgezeichnet von Eckhard Michaelis. 28 dass das Kind in ihr verstorben sei und sie eine Ausschabung brauche. Das alles in einem einzigen Zimmer. Wie nah da doch Leben und Tod beieinander sind. Er (Ehemann): Wie manche Leute mit Leben umgehen! Ein junges Paar kam gut gelaunt, nach dem Motto: Jetzt machen wir das Kind mal kurz weg – wie wenn man einen Kühlschrank entsorgt. Das ist eben ein Termin, den man wahrnimmt, und abends ist man wieder zu Hause, einfach so. Sie: Für uns war klar: Wir können über das Leben nicht entscheiden. Es ergab sich nun folgende Situation: Das eine Kind war kleiner. Die Ärzte rieten, man könnte das eine »wegmachen«, damit das andere mehr Chancen habe. Aber wir haben immer gesagt, wir hätten die Schwangerschaft geschenkt bekommen und möchten das auch so annehmen. Die versuchte Einflussnahme ging weiter: Es könnte eines der Kinder behindert sein, ob wir uns das überhaupt zumuten wollten. Die Ärzte hatten da immer die »besten« Ratschläge für uns. Inzwischen waren wir Gesprächsstoff in der Klinik. Zum einen: Wer will denn schon vier Kinder – schon damit fällt man auf –, und dann auch noch Zwillinge und das in der 19. Woche; das hat ja sowieso keinen Wert. Es gab mehr als einen Arzt, der uns unter Druck setzte: »Sie haben doch drei gesunde Kinder, stehen Sie auf; was wollen Sie hier?« Aber man wächst mit der Situation – obwohl alles schwer war und auch viele Tränen geflossen sind –, bis ich eines Tages so weit war, dass ich den Mut fand, zu antworten: »Ich glaube nicht, dass es Sie etwas angeht, wie viele Kinder wir wollen!« Diese Frauenärzte mit ihrem Geschwätz hatte ich sechs Wochen lang bis dahin erduldet. Auch im eigenen Umfeld gab es bei jemandem die Auffassung, wir sollten die Kinder abtreiben lassen, »denn sie sind eh behindert«. Das haben wir aber erst später erfahren und haben dieser Person inzwischen vergeben. Er: Es gab Bekannte, die gedrängt haben: »Es gibt Literatur, die musst du lesen, damit du genau weißt, wann was wie vorkommen könnte, mit Erklärungen der Fachbegriffe.« Sechs Bücher bekam ich. Ich habe nur eine Seite gelesen und mir gesagt: »Wie es Gott zulässt, so werden die Kinder. Wenn es gut geht, ist es sehr schön, wenn nicht, dann möchten wir‘s auch so annehmen.« DANIEL RENNEN M ein Frauenarzt bestätigte die Schwangerschaft in der 8. Woche. In der 12. Woche, kurz vor Weihnachten, überraschte mich der Arzt: »Jetzt können Sie sich zu Weihnachten größere Kochtöpfe wünschen: Es sind Zwillinge.« Wir hatten schon drei Kinder (4 1/2, 3 1/2 und 1 1/2 Jahre alt) und wünschten uns ein viertes; jetzt waren‘s fünf. An einem Wochenende in der 19. Schwangerschaftswoche öffnete sich die Fruchtblase (Blasensprung), Zeichen für eine beginnende Geburt. Zu diesem Zeitpunkt sind die Kinder 17 Wochen alt und praktisch ohne Chance. Daher musste die Geburt unbedingt verzögert werden. Das bedeutete möglichst bewegungsloses Liegen, keinen Fuß vors Bett, nicht einmal zur Toilette. So lag ich sechs Wochen auf der OP-Station. Die Ärzte fanden den Fall interessant, wollten auch eine Wissenschaft daraus machen. Es gab viele harte Vorkommnisse, aber das härteste war zunächst: Es kam ein Arzt, der meinte, man könnte doch mal einen Farbstoff durch die Bauchdecke einspritzen, um zu sehen, wie groß das Loch in der Fruchtblase wäre. Doch als Versuchskaninchen wollte ich nicht herhalten: »Ich muss das erst mit meinem Mann besprechen.« Ein anderer Arzt, der mich von den anderen Geburten her kannte, fragte: »Frau Maier, geht‘s Ihnen heute nicht so gut?« Ich erzählte ihm von dem Vorschlag des Kollegen. Da schaute er mich scharf an: »Mit dieser Information wäre ich sehr vorsichtig.« Das war für mich eine klare Antwort. Ich wurde in ein Vierer-Zimmer verlegt. Es kamen viele Frauen, die gerade ihre Kinder abgetrieben hatten, weil es jetzt nicht gelegen kam, weil es von der Geschwisterreihenfolge her oder arbeitsplatztechnisch nicht passte. Schlimm war für mich, als ein junges Pärchen kam, das unbedingt ein Kind haben wollte und alles Mögliche probiert hatte. Sie wurde schwanger und nun kam die Nachricht, Überraschung: mit Zwillingen schwanger Sie: Während ich auf der OP-Station lag, musste ich in der 23. Woche wegen einer Infektion Antibiotika einnehmen. Es wurden auch Kinderärzte und -schwestern hinzugezogen. Diese waren uns wohlgesonnen, auch weil sie merkten, dass die Familie die Zwillinge wirklich wollte und dahinterstand. Dann kam die Verlegung auf die Gyn-Station zu den Schwangeren. Um 8 Uhr am Sonntagmorgen in der 24. Woche schockte mich eine Schwester wortwörtlich: »Sie bluten ja wie eine gestochene Sau!« Eine gefährliche Situation. Die Schwester hat sogar verboten, dass ich die Decke bewege; ich solle klingeln, wenn ich sie anders haben wolle, und sie würden mich jetzt in den Kreißsaal schieben, LebensForum 120 weil es wohl zur Geburt kommen würde, ich solle schnell meinen Mann anrufen. Da habe ich gedacht: Halb neun, das müsste noch reichen, vor dem Gottesdienst Leute vom Hauskreis zu mobilisieren, damit noch mal verstärkt für uns gebetet wird. Ich habe sie erreicht. Die Blutung hörte um 11 Uhr auf. Eines Abends in der 26. Woche bekam ich Wehen. Jetzt wurde es sehr spannend. Mein Mann war bei mir, hat mir noch einen Kuchen gebracht von einem Geburtstag. Die Wehen sind da, aber wer weiß, wie ernst sie werden? Sie verschwanden wieder. Gut, wenn es dann so weit ist, können die Ärzte meinen Mann wieder anrufen. Er war kaum eine Stunde fort, als die Ärzte um 23.30 Uhr entschieden: »Die Kinder müssen heute noch raus!« Da dachte ich bei mir: Jetzt ist mein Mann noch nicht da und womöglich kommt eins heute und eins morgen. Mit diesem Gedanken bin ich eingeschlafen. Die Ärzte verlangten nämlich Vollnarkose statt Rückenmarksnarkose, aufgrund der Vorgeschichte. Er: Von einem Nebenraum aus sah ich durch die Glastüre, dass die Ärzte im Kreißsaal hantierten – und nach kurzer Zeit war das erste Kind da, um 0.08 Uhr. In eine Alufolie wickelten sie das Kind, mit 800 g ein sehr kleines Menschlein. Die Oberärztin kam hinzu und nahm den Buben. Er hat nicht geschrien – was ja normal ist nach der Geburt –, und dann ging das hin und her, hektisches Hantieren und Absaugen. Als Laie kann man nicht feststellen, was da genau vor sich geht. Das Kind wurde danach kurz beatmet und dann wurde wieder abgesaugt. Irgendwelche Geräte schienen nicht richtig zu funktionieren. Plötzlich packte die Oberärztin das Kind, legte es in einen Transportinkubator und brachte es sofort in die Kinderklinik – ein paar hundert Meter entfernt. Das Personal ist hektisch durch die Gänge gerannt, wodurch mir klar wurde, dass irgendwas nicht stimmte. Sie: Ja, da hat die Technik versagt im Kreißsaal. Er: Das erste Kind, Peter, war also fort, und dann kam das zweite, Paul, mit 700 g. Er hat geschrien wie normal, wurde normal beatmet, untersucht und an die vielen Überwachungsgeräte angeschlossen. Diesmal ließen sich die Ärzte auch Zeit. Das Kind lag da, ganz normal. Dann die Vorbereitung für die Kinderklinik, ohne Stress und Hektik. Sie: Peter musste eine Stunde nach der Geburt operiert werden, denn er hatte einen Lungenriss. Er hat heute noch am Lungenflügel eine leichte Delle, aber man merkt im Alltag kaum etwas. Motorisch beim Sport, den er treibt, gibt es LebensForum 120 kein Problem, weder beim Ski- noch beim Radfahren. Paul hatte damals Probleme mit dem Duktus. Das ist das Verbindungsstück Herz-Lunge – es war offen. Er: Nun durfte ich zu den Frühchen auf die Intensivstation gehen, um die Kinder zu sehen, und war geschockt über die ganzen Geräte. Sie: Wobei wir sehr schnell gemerkt haben: Da ist uns einfach auch Angst gemacht worden, dass man vor lauter Apparaten kein Kind mehr sehen würde. Das alles kann man tatsächlich beim ersten Anblick als schlimm empfinden, aber wir haben uns gesagt: »Es hilft unseren Kindern.« Ab dem Zeitpunkt ist es uns auch besser gegangen. Er: Ich durfte zu den Kindern, musste aber nach 2 bis 3 Minuten raus, weil ja die OP anstand. Sie: Ich konnte erst am fünften Tag nach der Geburt erstmals die Kinder sehen. Ich hätte sie früher sehen dürfen, aber ich konnte einfach nicht, weil die 8 Wochen Liegezeit nicht spurlos an mir vorübergegangen sind, obwohl wir die Ärzte und das Pflegepersonal auf der Gynäkologie als offen und nett empfanden. Wir besuchten nun zweimal täglich unsere Zwillinge und hofften natürlich immer auf Fortschritte. Irgendwann waren wir so weit, dass wir gesagt haben: »Es geht heute nicht schlechter.« Er: Später bei der Entlassung erfuhren wir: Am Anfang gab es eine Zeit, in der es dem kleineren Paul so schlecht ging, dass die Ärzte alles abschalten wollten. Eine ärztliche Zusammenkunft endete mit dem Ergebnis: »Jetzt schalten wir die Apparate aus!« Sie: Aber sie haben keinen Arzt gefunden, der bereit war, es uns Eltern beizubringen, weshalb sie dann beschlossen: »Wir lassen es einfach laufen.« Die Ärzte haben uns gesagt: »Wenn es nicht schlechter wird, ist es besser.« Wir übernahmen dieses Denken, und wie durch ein Wunder ging es tatsächlich in kleinen Schritten aufwärts. Ein Oberarzt, der selbst ein behindertes Kind hat, ist immer wieder zum Inkubator gegangen und hat sich gewundert: »Das kann nur der Wille des Himmels sein, dass dieses Kind, dass diese beiden Kinder leben.« Während der zwei Wochen auf der Geburtsstation, bevor die Kinder kamen, haben alle gemerkt, wie wir ticken. Wir hatten ja auch dementsprechend Besuch und Bücher bekommen. Mit dem Pflegepersonal hat es dann wirklich auch gute, wertvolle Gespräche gegeben. Als ich zum ersten Mal zu Fuß gehen durfte, bekam ich vom kleinen Zeh bis überall hin Muskel- kater; ich hatte ja kein Kräftchen mehr gehabt. Das hat mich schon geschlaucht. Nach Hause gekommen sind unsere Zwillinge 3 Tage nach dem errechneten Geburtstermin. Wir waren erst 8 Tage daheim, da ging es Peter sehr schlecht und er musste wieder in die Klinik. Ja, er ist schon viel bewahrt worden in seinem Leben bis heute. Beide Zwillinge haben sich grundsätzlich gut entwickelt. Es hat auch Prognosen gegeben – besonders für Peter, weil er in den ersten vier Wochen 100 Prozent Sauerstoff gebraucht hat –, dass es fraglich sei, ob die beiden das Gleichgewicht werden halten können, ob sie motorisch in Ordnung sind, ob sie überhaupt hören oder sehen können. Peter hatte übrigens während der Schwangerschaft auch noch eine Hirnblutung. Das wurde allerdings erst später festgestellt. Wir vermuten, dass er dadurch etwas lernschwächer ist als Paul. Wir sind sehr dankbar, obwohl wir 2 3/4 Jahre lang mit jedem Kind zwischen 3 und 6 Mal täglich inhalieren mussten, weil die Bronchien Probleme machten – das ist typisch für Frühchen. Es gab natürlich auch anderes zu bewältigen, doch das war sehr prägend. Da wir aus beruflichen Gründen im Sommer nicht in den Urlaub können, hatten wir trotz allem einen Winterurlaub beschlossen, weshalb sich einige Bekannte an den Kopf gegriffen haben: Mit fünf Kindern, Skiern, Schlitten, Reisebettchen, Hochstühlchen, Windeln für drei Kinder! Doch wir sind losgezogen, der VW-Bus vollgepackt bis unter die Decke. Nach diesen fünf Tagen in der Schweiz mussten wir mit keinem Kind mehr inhalieren. Das war wirklich ein Geschenk. Unsere Zwillinge kamen in den Regelkindergarten. Daneben liefen viele Therapien. Irgendwann aber kam der Zeitpunkt, wo Paul, da war er fünf, jammerte: »Wo muss ich eigentlich noch überall hin?« Das war für uns ein Alarmzeichen, sodass wir beschlossen haben: »Jetzt lassen wir sie einfach Kinder sein.« Sie bekamen von uns selbst die besondere Betreuung, die sie brauchten. Unsere Zwillinge sind inzwischen erwachsen, führen ein normales Leben, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung und einen Arbeitsplatz und sind zufrieden, sie fahren genauso Auto und Ski wie ihre drei Geschwister. Es ist unser Wunsch, dass Leser in schwieriger Lage aus unserem Erleben Kraft und Hoffnung schöpfen können. Wir sind auch bereit, uns Betroffenen, die ein Gespräch mit uns wünschen, zur Verfügung zu stellen. Den Zugang zu uns können Sie über Eckhard Michaelis (0172-7446772) erfahren, der das Gespräch mit uns führte. 29 BÜCHERFORU M A nders als Abtreibung, Euthanasie und embryonenverbrauchende Forschung gehört das sogenannte »Neuroenhancement«, also die Verbesserung der geistigen Fähigkeiten gesunder Menschen, nicht zu den Themen, denen Lebensrechtler größte Aufmerksamkeit zu schenken pflegen. Von echtem Interesse ist Neuroenhancement für sie nur dort, wo es von Transhumanisten gefordert wird, die den Homo sapiens auf allen Ebenen zu verbessern wünschen. Zwar kann auch die Einnahme von Substanzen, die geistige Fähigkeiten verbessern, Menschen vor ethisch relevante Fragen stellen, insbesondere dann, wenn Nebenwirkungen und gesundheitliche Risiken nicht hinreichend geklärt sind. Die Aufmerksamkeit von Lebensrechtlern erfordern solche Fragen aber erst dort, wo durch derart verbesserte Fähigkeiten der Begriff »Gesundheit« von Gesellschaften neu definiert würde und diese im Gefolge auch der Selektion zuneigten, wie dies etwa beim sogenannten »GenomeEditing« mittels der neuen CRISPR/CAS-9-Technologie erwartet werden kann. Trotzdem ist der vorliegende Sammelband auch für Lebensrechtler von erheblichem Wert. Denn am Beispiel des Umgangs mit Neuroenhancement zeigt er gewissermaßen exemplarisch auf, wie so gut wie alle gesellschaftlichen Debatten zu bioethischen Streitthemen verlaufen. Am Anfang stehen dabei regelmäßig euphorisch vorgetragene Versprechungen von Wissenschaftlern, die – obwohl es sich bei ihnen um weitgehend ungedeckte Schecks handelt – in Politik, Medien und Gesellschaft zu ähnlichen Ergebnissen führen. Sie entfachen einen medialen Hype, in dessen Folge sich Befürworter und Gegner einer Technologie gegenseitig heftig bekämpfen. Im Falle des Neuroenhancement stehen dabei Transhumanisten, die ein Übermenschentum erstreben, sogenannten Biokonservativen gegenüber, die unter Berufung auf die Natur sämtliche Maßnahmen ablehnen, mit denen Menschen die eigene Evolution selbst zu lenken suchen. Neben der ausführlichen Betrachtung des Neuroenhancement als gesellschaftliches Phänomen behandeln die Autoren des Bandes auch zahlreiche Einzelfragen. Dabei wird in vielen Fällen deutlich, wie groß die Schere zwischen mehr oder weniger haltlosen Versprechungen und dem ist, was tatsächlich als gesichertes Wissen in diesen Bereichen gelten kann. Dabei können sie zeigen, dass Letzteres oftmals viel zu gering ist, um auch nur annährend die Konsequenzen abschätzen zu können, welche Interventionen zeitigen können. Ein Muster, dass auch bei anderen bioethischen Themen erkennbar ist, so etwa bei der künstlichen Befruchtung, der Stammzellforschung oder dem »Genome-Editing«. Kritisch hinterfragt wird dabei, inwieweit solche Interventionen verantwortet werden können, und welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, um bei Probanden, die sich solchen Interventionen unterziehen, von einer selbstbestimmten Entscheidung sprechen zu können, die diesen Namen verdient. Gerade weil die Autoren nicht skandalisieren und das Neuroenhancement auch keinesfalls grundsätzlich ablehnen, wiegen die Mängel, die sie mit ihren Beiträgen in Theorie und Praxis aufzeigen, besonders schwer. Wer sich zudem für das Thema selbst interessiert, der findet hier eine überaus hilfreiche und komprimierte Sammlung sämtlicher gängiger Argumente, die für und gegen das Neuroenhancement ins Feld geführt werden. Neuroenhancement 30 Sebastian Sander Ronja Schütz / Elisabeth Hildt / Jürgen Hampel (Hrsg.): Neuroenhancement – Interdisziplinäre Perspektiven auf eine Kontroverse. Transcript-Verlag, Bielefeld 2016. 180 Seiten. 32,99 Euro. Im Schaufenster Gesünder, intelligenter, perfekt? Ergänzend zu der nebenstehenden Rezension des aktuellen Sammelbandes ist bereits vor zwei Jahren dieser Band der jungen Philosophin Tina-Louise Eissa erschienen. In ihm stellt Eissa verschiedene Enhancement-Technologien vor und beleuchtet, welche Gestaltungsmöglichkeiten sich dem Menschen hierdurch bieten. Die für oder gegen den Einsatz entsprechender Praktiken vorgebrachten Argumente werden von ihr anschließend im Rahmen der Philosophischen Anthropologie, der Gattungsethik und des Verständnisses von Natürlichkeit und Menschenwürde analysiert. Daran anschließend untersucht sie, ob ein Konsens, ein Kompromiss oder ein plausibler Lösungsvorschlag bezüglich des Zulassens oder Ablehnens von Enhancement zu erlangen ist, so dass der Konflikt zwischen der bioliberalen und der biokonservativen Position beigelegt werden kann. Fazit: Für leidenschaftlich Interessierte. san Eissa, Tina-Louise: Gesünder, intelligenter, perfekt? Selbstgestaltung durch Enhancement im Kontext pluralistischer Ethik. Karl Alber Verlag, Freiburg im Breisgau 2014. 580 Seiten. 49,00 EUR. Vom Leib zur Person Das vorliegende Buch geht auf eine lange Serie von Internet-Vorlesungen über die Erziehung zur Liebe zurück. Es richtet sich, wie es im Vorwort des Herausgebers heißt, an »Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen und religiösen Überzeugungen«. Es argumentiert »auf rein rationaler Ebene« und ist »sachlich und wissenschaftlich gut fundiert«. Dennoch wage es die Autorin, Professorin für Biologie und Mitglied des Ethikrates der Universität »Campus Bio-Medico« in Rom, in ihm Überzeugungen vorzulegen, »die offensichtlich dem ›Mainstream‹ widersprechen«. »Allem LebensForum 120 Relativismus zum Trotz« wolle Leda Galli, so der Herausgeber weiter, dem Leser verständlich machen, »dass der Biologie selbst eine Ethik innewohnt; eine Ethik, die nicht ›unsere persönliche‹ oder irgendeine Ethik ist, sondern eine Ethik, die aus der ›Sprache des Leibes‹ und aus dem Wesen der Beziehungen zwischen Mann und Frau zu entnehmen ist.« Herausgekommen ist ein gut lesbares, allgemeinverständlich geschriebenes Werk, das so manche Überraschung bereithält. Für Lebensrechtler von besonderem Interesse ist dabei ganz sicher das Kapitel über Empfängnisregelung. In diesem legt die Autorin nicht nur die Wirkung und Nebenwirkungen von Kontrazeptiva dar und erläutert diese, sondern bezieht auch ausführlich Stellung zur vorgeburtlichen Kindstötung. Ähnlich bedeutsam dürften für Lebensrechtler auch ihre Ausführungen zur natürlichen Geburtenregelung im dritten und letzten Teil des Buches sein. Fazit: Empfehlenswert. reh Leda Galli: Vom Leib zur Person. Sex, Sexualität und Liebe: Reichtum statt Banalität. Fassbender Verlag, Wien 2014. 160 Seiten. 14,84 EUR. Leid und Schmerz Schmerz und Leid sind allgegenwärtige Erfahrungen. Sie zermürben das physische und psychische Wohlbefinden, stören soziale Beziehungen, gefährden die Existenz des Leidenden. Heute werden Erwartungen der Schmerzund Leidenslinderung vor allem an die Medizin gerichtet. Dabei wirft dieser Trend zu einer Fokussierung auf einen rein medizinischtechnischen Umgang mit Schmerz und Leiden Fragen auf: Können alle Formen von Leiderfahrung angemessen mit medizinischen Mitteln behandelt werden? Wie kann im medizinischen Kontext mit der Frage nach dem Sinn von Schmerz und Leid umgegangen werden? Welche Bedeutung hat der gesellschaftliche Umgang mit Schmerz und Leiden? Welche Rolle spielen diese Erfahrungen für unser Verständnis eines guten Sterbens? Fragen, auf die das vorliegende Buch lesenswerte Antworten gibt. Fazit: Empfehlenswert. pd Giovanni Maio / Claudia Bozzaro / Tobias Eichinger (Hrsg.): Leid und Schmerz. Konzeptionelle Annäherungen und medizinethische Implikationen. Karl Alber Verlag, Freiburg im Breisgau 2016. 576 Seiten. Gebunden. 49,99 EUR. LebensForum 120 H elga Rohra, ehemalige Konferenzdolmetscherin und heutige Demenz-Aktivistin, erhielt im Alter von 54 Jahren die Diagnose Lewy-Body-Demenz. Damit zählt sie zu den Jungbetroffenen. Auch sonst konterkariert Rohra das Bild, das viele Menschen von Demenz und den von ihr betroffenen Menschen entwickelt haben. Sie ist weder hilflos noch verwirrt. Sie hält Vorträge und schreibt Bücher. In dem vorliegenden wehrt sie sich gegen eine allein negative Sicht auf Demenz. Rohra möchte die Angst, die in vielen Menschen beim Stichwort Demenz aufsteigt, abbauen und ihr ihre eigene Sichtweise entgegenhalten. Eine, die das Leben als Herausforderung begreift. Eine, der man sich mutig stellen sollte. »Ich möchte Sie berühren und nicht nur informieren.« So beginnt Rohra meist ihre Vorträge. Und auch ihr Buch »Ja zum Leben trotz Demenz! – Warum ich kämpfe« ist ganz ähnlich angelegt. Auch wenn der Leser – gewissermaßen nebenbei – viele wichtige Informationen über Demenz erhält, verhindern, dass Helga Rohra ihn darüber hinaus auch berührt, das kann er nicht. Und das ist gut so. Denn noch wichtiger, als zu wissen, was Demenz ist, ist es für Menschen, die gegen eine solche Krankheit nicht das Geringste ausrichten können, zu wissen, wie sich die Menschen fühlen, die an ihr erkrankt sind. Die Autorin dieses Buches geht das aktiv an und auf die Menschen zu. So verrät sie zum Beispiel: »Da man mir meine Einschränkungen nicht sofort anmerkt, erzähle ich den Menschen davon: dass es schon kompliziert ist, die Toilette in einem anderen Waggon aufzusuchen, in den Speisewagen zu gehen oder gar umzusteigen. Oft wird mir dann spontan Hilfe angeboten. Der Mitreisende will mehr über das Thema Demenz wissen. Dadurch, dass ich mit einer gewissen Leichtigkeit an das Thema herangehe, mache ich die Demenz quasi salonfähig.« Dabei gilt es nicht selten, Vorurteile auszuräumen: »Oft räume ich mit dem Vorurteil auf, dass ›Demente‹ wie Kinder sind. Dieser Vergleich liegt für mich nicht nahe. Kinder stehen am Anfang ihres Lebens. Wir Älteren hingegen haben ein Leben und eine Biografie. Was man den Kindern beibringt, halten sie fest und entwickeln sich daran weiter.« Demente hingegen ließen, so Rohra, nur »das angehäufte Wissen los«. Es gebe aber auch Gemeinsamkeiten: »Beide sprechen spontan die Wahrheit aus, haben das Herz auf der Zunge. Außerdem sind sowohl Kinder als auch Menschen mit Einschränkungen schutzbedürftig.« Es gibt auch eine verletzende Art der Hilfe: »Uns wird auch manchmal geholfen, weil die Gesunden es nicht ertragen, wenn wir uns ungeschickt anstellen. Fremdbeschämt nehmen sie uns dann, ohne zu fragen, Aufgaben ab und bringen diese schnell zu Ende. Die peinliche Situation ist für sie vorüber. Mir aber wurde die Chance genommen, die Schwierigkeit auf meine Art und in meinem Tempo zu bewältigen. Zurück bleibt ein Gefühl von Misserfolg. Für den Gesunden ist alles wieder in Ordnung, doch ich habe wieder einmal erfahren, wie dämlich und lästig ich bin.« Auf diese und ähnliche Weise erfährt der Leser auf 120 Seiten, wie es Helga Rohra mit ihrer Krankheit und den Reaktionen ihrer Umwelt geht. Ein lesenswertes Buch, dessen Prosa immer wieder von Lyrik unterbrochen wird, die die Autorin ebenfalls verfasst hat und mit der sie dem Leser einen anderen Blick in ihr Innenleben gestattet. Mit »Ja zum Leben trotz Demenz« ist Helga Rohra ein wertvolles Buch gelungen, dem weite Verbreitung zu finden gewünscht werden darf. Leben mit Demenz Eckhard Meister Helga Rohra: Ja zum Leben trotz Demenz! Warum ich kämpfe. Medhochzwei Verlag, Heidelberg 2016. 120 Seiten. 18,99 EUR. 31 KURZ VOR SC H LU S S Expressis verbis » » Neue Schlacht des Kulturkampfes« Waclaw Depo, Erzbischof von Tschenstochau, laut der katholischen Nachrichtenagentur KNA über die Abtreibungsdebatte in Polen Die PiS hat sich vor den Frauen erschrocken, die auf die Straße gegangen sind.« Polens Ex-Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der liberalkonservativen Bürgerplattform PO » Ich bin auch weiterhin dafür, Leben zu schützen.« » » » Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo von der nationalkonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) Ob so gezeugte Kinder langfristig gesund wären, ist ungewiss. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man diese Entwicklung als Befreiung von den uns durch die Natur auferlegten Grenzen der Fortpflanzung begründen soll oder ob die Familienplanung dadurch nicht zum Spielball sozialer Zwänge würde.« Joachim Boldt, Stellv. Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg, zum Erfolg japanischer Forscher, die aus Mäusehautzellen Eizellen gezüchtet haben, zur Frage der Übertragbarkeit der Experimente auf den Menschen Diese Arbeit ist ein signifikanter Fortschritt für die Keimzellbiologie. Es ist anzunehmen, dass mit ähnlichen Methoden auch menschliche Eizellen im Reagenzglas produziert werden können.« Tops & Flops »Die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens gerät unter großen Druck, wenn Krankenkassen die Informationsbeschaffung über mögliche ›genetische Defekte‹ als Regelleistung übernehmen, weil die Erfahrung mit der Schwangerschaftsberatung gezeigt hat, dass das Wissen um potentielle Schädigungen unmittelbar den Ruf nach Abbruch der Schwangerschaft nach sich Anton Losinger zieht.« Das erklärte der Augsburger Weihbischof Anton Losinger bei einer Begegnung mit den SPD-Politikern Hans-Jochen Vogel und Robert Antretter im Bildungszentrum Irsee, an der auch dessen Leiter Stefan Raueiser teilnahm. Bei dem Gespräch ging es unter anderem um die Auswirkungen einer ausufernden Präimplantations- und Pränatal-Diagnostik, der Stammzell-Produktion sowie um die an Wahrscheinlichkeit zunehmende Möglichkeit, das Genom eines Embryos zu verändern. Alle vier Gesprächsteilnehmer stimmten darin überein, dass hier Grundfragen des Menschseins berührt werden. Es gehe darum, dass der Mensch auch künftig gezeugt und nicht wie ein Produkt erzeugt werde. reh »Ich freue mich, dass Niedersachsen als weiteres Bundesland nun auch unverheiratete Paare bei der Kinderwunschbehandlung unterstützt. Ein unerfüllter Kinderwunsch ist eine große Belastung für Paare – medizinische Unterstützung darf da nicht vom Trauschein abhängen. Unverheiratete Paare, die sich Kinder wünschen, zu benachteiligen, ist nicht zeitgemäß«, Manuela Schwesig erklärte Mitte Oktober Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Als wäre das der Punkt. Es mag zwar tatsächlich »zeitgemäß« sein, dass immer mehr Paare die Erfüllung ihrer Kinderwünsche so lang herauszögern, bis es dafür auf natürlichem Weg zu spät ist. Das ändert aber nichts daran, dass Reproduktionsmediziner von zehn künstlich im Labor befruchteten Embryonen – statistisch betrachtet – neun sehenden Auges in den Tod schicken. Bei einer Baby-TakeHome-Rate von 15 Prozent braucht man nicht einmal das Lebensrecht bemühen. Wer würde eine staatliche Hausbauförderung befürworten, wenn – statistisch – am Ende nur jedes zehnte Haus bewohnbar wäre? reh .. und was darf ich als grund fur ihren suizidwunsch eintragen? privatinsolvenz, auto kaputt, liebeskummer, katze entlaufen ... Der Stammzellforscher Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute for Biomedical Research der Universität Cambridge zum selben Thema Der siebte Euthanasie-Bericht in Belgien zeigt, dass es, wenn wir die Tür zur Tötung auf Verlangen öffnen, keinen logischen Endpunkt gibt.« Sophia Kuby, Director of EU Advocacy bei ADF International 32 LebensForum 120 Aus der Bibliothek Grundlegung der Ethik »(...) Die Selbsttötung (...) Gemessen an dem Ziel der Natur, das der Mensch vernünftigerweise erreichen und bewahren soll, erweist sich die freiwillige Negation des eigenen Seins als widersprüchlich und widersinnig. Auch derjenige, der sich selbst töten will, unterliegt in seinem Streben dem Gesetz seiner natürlichen Neigung; er strebt nicht nach dem Nicht-Sein oder dem Übel des Todes als solchem, sondern nach der Befreiung von einem als unerträglich empfundenen Zustand und insofern nach einer Verbesserung seines Seins. Bereits Augustinus hat in einer scharfsinnigen Analyse die innere Widersprüchlichkeit der Suizidhandlung aufgezeigt: Der Wunsch zum eigenen Nicht-Sein ist eine illusionäre Täuschung, die der Suizidant als fiktive Annahme übernimmt, während sein eigentliches Wollen auf etwas anderes gerichtet ist: auf die Ruhe, die seiner Bedrängnis ein Ende setzt und deshalb nicht Minderung, sondern Steigerung des Seins meint: ›Das ganze Verlangen des Todeswillens richtet sich also nicht darauf, sterbend nicht mehr zu sein, sondern Ruhe zu finden. Während man irrtümlich nicht mehr zu sein glaubt, sehnt sich die Natur danach, ruhig, das heißt aber, noch mehr zu sein‹. (...) Ethisch erlaubt kann die Selbsttötung unter den Voraussetzungen einer christlichen Ethik nur dann sein, wenn sie als Ausdruck der Liebe zu Gott und den Menschen begriffen werden kann und im Gehorsam gegen Gottes Gebot geschieht. Wenn überhaupt, so können ihr Sinn und ihr verborgenes Motiv nur eine letzte Form der dem Mensch in allem Handeln und Unterlassen aufgetragenen Hingabe seines Lebens sein. (...) Wenn ein in die Hände des Feindes gefallener Soldat sich selbst tötet, weil er befürchten muss, unter der Folter Informationen preiszugeben, die seine Kameraden gefährden, verdient sein Handeln demnach keine moralische Missbilligung. (...) « (zit. nach 1. Aufl. 2007). Eberhard Schockenhoff: Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf. Herder-Verlag,Freiburg im Breisgau 2014. 2. Überarbeitete Auflage. 792 Seiten. 35,00 EUR. »Die Welt. Die von morgen« (32) In der Welt von morgen basteln Menschen nicht mehr nur Computer zusammen, sondern auch Computer Menschen. Eingesetzt in Reproduktionsfabriken, reprogrammieren hypofeinsensorische Roboter aus den Hautzellen von Menschen Eizellen, die sie dann mit aus Hautzellen reprogrammierten Samenzellen desselben Menschen befruchten. In der Welt von morgen finden viele Menschen diese Form der Reproduktion ziemlich praktisch und effizient. Endlich können sie sich fortpflanzen, ohne Zeit damit zu verschwenden, in den virtuellen Welten von Tinder 6.0 Partner suchen und womöglich gar umwerben zu müssen. Außerdem hat sich in der Welt von morgen die Ansicht durchgesetzt, dass man von »eigenen Kindern« erst dann reLebensForum 120 den könne, wenn diese 100 und nicht bloß 50 Prozent des eigenen Genoms besäßen. Nicht einmal das Klon-Verbot – ein Relikt aus der Spätphase der Welt von heute – musste dafür aufgehoben werden. Der Grund: Zwar besitzen die so erzeugten Menschen in Summe die gleichen Gene wie der Hautzellspender, dennoch werden diese auch im Zuge der künstlichen Befruchtung neu und anders verteilt. Wer die anschließenden Qualitätskontrollen übersteht, reift in einer künstlichen Gebärmutter heran und durchläuft dann 17 Jahre lang Ganztagskrippen und -schulen. Vor dem 18. Geburtstag muss der Hautzellspender entschieden haben, welchen Weg der Nachwuchs einschlagen soll: Den des Erben oder den des Organspenders. Stefan Rehder KURZ & BÜNDIG HFEA erlaubt Samenspender-App London (ALfA). Die Londoner Samenbank hat eine App für Mobiltelefone entwickelt, die es Frauen ermöglicht, einen Katalog mit Samenspendern zu durchsuchen und bei Gefallen deren Offerte auch direkt kostenpflichtig zu bestellen. Das berichtet das Online-Portal netzfrauen.org. Frauen, die auf der Suche nach einem Samenspender sind, können demnach über die App – ähnlich wie bei Dating-Portalen – auf Profile zugreifen, die eine Biografie des Samenspenders sowie Angaben zu seiner ethnischen Zugehörigkeit, körperlichen Merkmalen, Bildungsstand und Beruf enthalten. Eine Bestellung soll umgerechnet 1.087 Euro kosten. Wie das Portal schreibt, betonte der wissenschaftliche Leiter Sperma per App der Sperma-Bank, Dr. Kamal Ahuja, dass die britische Kontrollbehörde HFEA (Human Fertilisation & Embryology Authority) die neue App zugelassen habe. reh Orthodoxe für Abtreibungsverbot Moskau (ALfA). In Russland fordert die orthodoxe Kirche ein striktes Abtreibungsverbot. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. unterzeichnete kürzlich eine Petition gegen die »legale Ermordung von Kindern vor der Geburt«. Das berichtet die evangelische Nachrichtenagentur Idea. Anlass war ein Treffen mit Unterstützern der Bewegung »Für das Leben« und der Organisation »Orthodoxe Freiwillige« nahe Moskau. Beide Organisationen sammeln mit Hilfe der russisch-orthodoxen Kirche Unterschriften für ein Abtreibungsverbot und eine bessere Unterstützung Schwangerer. Russischen Medienberichten zufolge haben bereits 300.000 Bürger die Petition unterzeichnet. Staatlichen Statistiken zufolge werden in Russland jährlich rund eine Million Abtreibungen registriert. Auf 100 Geburten kommen demnach etwa 50 vorgeburtliche Kindstötungen. Lebensrechtler gehen von noch weit höheren Zahlen aus, da nur die staatlichen Kliniken Abtreibungen meldeten. Seit 2012 sind vorgeburtliche Kindstötungen in Russland grundsätzlich »nur« noch in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen erlaubt. Zudem schreibt das Gesetz eine Bedenkzeit der Schwangeren vor. Diese Vorschrift wird jedoch häufig missachtet. reh 33 LESERFORUM Herzlichen Dank für die Zusammenstellung der Zitate von Mutter Teresa zur Abtreibung, die ich als sehr hilfreich empfunden habe. Roman Schneider, Düsseldorf Dass die AfD gegen den Schutz geborener Flüchtlinge sei, wie Weihbischof Koch behauptet, ist – mit Verlaub – völliger Unfug und ein unkritisches Zitieren regierungsfreundlicher Medien. Es geht nicht um die Frage ob, sondern um die Frage wie wirklichen Kriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten am besten geholfen werden kann. Hier hat die AfD andere Vorschläge als die übrigen Parteien, die aber keineswegs gegen die Prinzipien des Lebensrechts verstoßen. Im Gegenteil kann man mit Fug und Recht die Frage stellen, ob es dem Lebensschutz dient, wenn sich Millionen Menschen auf eine gefährliche Reise begeben, die zehntausende mit dem Leben bezahlen, weil ihnen vor Ort in ihrer Heimat niemand hilft. Michael Frisch, MdL, Vorsitzender ALfA-RV Trier Parteipolitische Neutralität betont In der letzten Ausgabe des »LebensForums« findet sich ein ausführlicher Bericht über den diesjährigen »Marsch für das Leben« in Berlin. Dabei setzt sich der Autor deutlich von der AfD ab und betont die parteipolitische Neutralität dieser Veranstaltung. Die Teilnahme der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch im Jahr 2015 wird kritisch kommentiert. Gleichzeitig erwähnt er jedoch die Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe sowie die Grußworte der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner und des CSU-Landtagsabgeordneten Klaus Holetschek. Als langjähriger Vorsitzender des ALfA-Regionalverbandes Trier und jetziger Landtagsabgeordneter der AfD in Rheinland-Pfalz halte ich eine solche Unterscheidung für ausgesprochen problematisch. Die AfD ist eine bürgerlich-konservative Partei, für die der Lebensschutz einen hohen Stellenwert besitzt. Das sieht man nicht nur an den klaren Aussagen zur Abtreibung in ihrem Parteiprogramm, sondern auch daran, dass zahlreiche ProLifer mittlerweile dort engagiert sind. Außerdem gibt es bei den Themen Familie und Gender große Übereinstimmungen zwischen der AfD und vielen wertkonservativen Lebensrechtlern, die sich in diesen Fragen von den Unionsparteien längst nicht mehr vertreten fühlen. Ich sehe daher hier ein erheblich größeres Potential für tatsächliche Verbesserungen beim Lebensschutz auf politischer Ebene als bei den sogenannten christlichen Parteien. Wer immer noch glaubt, 34 mit CDU und CSU könne man einen effektiven Lebensschutz organisieren, der erliegt einer trügerischen Illusion. Fast 30 Jahre Arbeit in der ALfA, einige Jahre davon auch im Bundesvorstand, haben mich dieser Illusionen gründlich beraubt. Wenn die Union wirklich etwas für den Lebensschutz tun wollte, hätte sie dazu in jahrzehntelanger Regierungsverantwortung in Bund und Ländern mehr als genug Gelegenheit gehabt. Stattdessen hat sich die Situation zunehmend verschlechtert, wie auch das »LebensForum« immer wieder festgestellt hat. Es wäre daher ein schwerer Fehler, wenn sich die Lebensrechtsbewegung jetzt einer Kooperation mit der AfD grundsätzlich verweigern würde. INFO Anm. der Redaktion: Die Leserbriefseite gehört den Lesern. Solange sich diese nicht beleidigend äußern, ist hier alles erlaubt. Auch müssen hier geäußerte Meinungen nicht den Tatsachen entsprechen. Kürzungen behalten wir uns vor, eine Zensur findet nicht statt. Wir weisen allerdings darauf hin, dass von uns selbstverständlich nur Politiker zitiert werden können, die bei der jeweiligen Veranstaltung auch zugegen waren oder aber ein Grußwort geschickt hatten. ANZEIGE LebensForum 120 IMPRESSUM IMPRESSUM LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 120, 4. Quartal 2016 ISSN 0945-4586 Verlag Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Herausgeber Aktion Lebensrecht für Alle e.V. Bundesvorsitzende Alexandra Maria Linder M. A. (V. i. S. d. P.) Kooperation Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle z.H. Dr. med. Karl Renner Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected] www.aerzte-fuer-das-leben.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V. Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax Internet: www.tclrg.de · E-Mail: [email protected] Redaktionsleitung Stefan Rehder, M.A. Redaktion Alexandra Maria Linder M. A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.) E-Mail: [email protected] Anzeigenverwaltung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Bankverbindung Augusta-Bank eG IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90 BIC: GENODEF1AUB Spenden erwünscht Druck Reiner Winters GmbH Wiesenstraße 11, 57537 Wissen www.rewi.de Satz / Layout Rehder Medienagentur, Würzburg www.rehder-agentur.de Titelbild Dipl.-Des. Daniel Rennen / Rehder Medienagentur www.rehder-agentur.de Auflage 6.500 Exemplare Das LebensForum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Anzeigen Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 7 vom 7.10.2014. Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der ALfA wieder und stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Erscheinungsweise »LebensForum« 121 erscheint am 9.03.2017 Redaktionsschluss ist der 28.01.2017 Jahresbezugspreis 16,– EUR (für ordentliche Mitglieder der ALfA und der Ärzte für das Leben im Beitrag enthalten) Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine Haftung übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Helfen Sie Leben retten! Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de Spendenkonto: Augusta-Bank eG, IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90, BIC: GENODEF1AUB c Ja, ich abonniere die Zeitschrift LebensForum für 16,– E pro Jahr. Herzlich laden wir Sie ein, unsere ALfA-Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft zu unterstützen. c Ja, ich unterstütze die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. als ordentliches Mitglied mit einem festen Monatsbeitrag. Der Bezug des LebensForums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt: c 12,– E jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose c 24,– E jährlich Mindestbeitrag c _________ E jährlich freiwilliger Beitrag. Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig! Meine Adresse Freiwillige Angaben Name Geboren am Straße, Nr. Telefon PLZ, Ort Religion Beruf c Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto einzuziehen: Institut IBAN BIC/SWIFT Datum, Unterschrift LebensForum 120 35 LETZTE SEITE Schöne neue Welt Forscher aus Japan haben erstmals Eizellen im Labor gezüchtet Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt Deutsche Post AG (DPAG) Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg Von Stefan Rehder I 36 Die Ausbeute des Experiments der Wissenschaftler war allerdings gering. Insgesamt benötigten die Forscher um Hikabe und Hayshi 3.000 Eizellen, um 316 Embryonen zu erhalten, aus denen sie elf gesunde Mäuse züchteten. Das entspricht einer Erfolgsquote von 3,5 Prozent. Wie die Forscher schreiben, war eine Vielzahl der aus den reprogrammierten Mäuse-Hautzellen gezüchteten Eizellen len aus dem Eierstockgewebe von Mäusen hinzugeben. Dennoch werteten viele Wissenschaftler das Experiment nun als sensationellen Erfolg oder gar als Revolution. Einige halten die Ergebnisse aus den Versuchen mit Mäusen auch für übertragbar auf Menschen. »Wir stehen kurz davor, komplette Kontrolle über unsere Keimbahn zu erlangen«, erklärte etwa der BILLIONPHOTOS.COM/FOTOLIA.COM n Aldous Huxley‘s dystopischem Roman »Schöne Neue Welt«, der eine Gesellschaft der Zukunft beschreibt, die der Autor im Jahre 2540 nach Chr. ansiedelte, erläutert der Direktor der »Brut- und Normzentrale Berlin-Dahlem« einer Gruppe Studenten, die seine Fortpflanzungsfabrik besucht, das »Bokanowskyverfahren«: »›Bokanowskyverfahren‹, wiederholte der Direktor, und die Studenten unterstrichen das Wort in ihren Heftchen. Ein Ei – ein Embryo – ein erwachsener Mensch: das Natürliche. Ein bokanowskysiertes Ei dagegen knospt und sprosst und teilt sich. Acht bis sechsundneunzig Knospen und jede Knospe entwickelt sich zu einem vollständigen Menschen. Sechsundneunzig Menschenleben entstehen zu lassen, wo früher nur eines entstand: Fortschritt.« Einen »Fortschritt« in nicht ganz unähnlicher Weise im wirklichen Leben ermöglicht zu haben, wird jetzt japanischen Wissenschaftlern unterstellt. In Tierversuchen soll es einem Forscherteam um die Entwicklungsbiologen Orie Hikabe und Katsuhiko Hayashi von der Kyushu Universität in Fukuoka gelungen sein, aus reprogrammierten Hautzellen erstmals funktionsfähige Eizellen – außerhalb eines Organismus – im Labor zu entwickeln. Das berichteten die Forscher Mitte Oktober im Wissenschaftsmagazin »Nature«. Demnach haben die Forscher zunächst aus dem Schwanz von bis zu zehn Wochen alten Mäuseweibchen Hautzellen entnommen und diese durch Reprogrammierung in sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (IPS-Zellen) verwandelt. In einem weiteren Schritt haben sie aus diesen IPS-Zellen dann Mäuse-Eizellen gezüchtet und in der Petrischale befruchtet. Anschließend transferierten sie die befruchteten Mäuse-Eizellen in die Gebärmutter eines Weibchens, wo sie zu gesunden Jungtieren heranreiften, die sich später auf natürlichem Wege selbst fortpflanzen konnten. Die Maus gilt vielen als Modellorganismus für den Menschen fehlprogrammiert. Eine besondere Herausforderung bestand für die Forscher offenbar darin, die diploiden Hautzellen (doppelter Chromosomensatz) in eine haploide Eizelle (einfacher Chromosomensatz) zu verwandeln. Lange hätten sie experimentiert, um die passende »Umgebung« zu finden, in der sich die Zellen in die gewünschte Richtung entwickeln ließen. Die Suche nach dem richtigen »Cocktail« aus Nährmedien und Wachstumsfaktoren war demnach alles andere als einfach und funktionierte weitgehend nach dem Prinzip »Versuch und Irrtum«. Um das gewünschte Ergebnis zu erhalten, mussten die Forscher dem Kulturmedium zudem Zel- Stammzellforscher Thomas Zwaka von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, befürchtet in Ländern mit liberaler Gesetzgebung einen »großflächigen« Einsatz der Präimplantationsdiagnostik, die eine genetische Auslese von Embryonen gestattet, wenn diese Technik auch beim Menschen funktioniere. »Das ist ein Designer-Baby-Szenario«, zitiert die Süddeutsche Zeitung Dabrock. Derzeit seien die »begrenzte Verfügbarkeit von Eizellen und die gesundheitlichen Risiken bei ihrer Gewinnung« noch »ein entscheidender limitierender Faktor in der Fortpflanzungsmedizin«. LebensForum 120