Vokativ

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Zur Vokativakzentuierung im gveda
Sabine Ziegler
Abstract: In my paper I will deal with examples of what seem to be exceptions to the
well-known Rigvedic vocative accentuation rules: A vocative at the beginning of a
sentence, a verse, or a pāda is accented. In other positions than the aforementioned the
vocative is not accented. In the Rigveda one can find counterexamples to this rule
especially in vocative phrases. They have to be explained as depending on the
semantic and/or pragmatic meaning of the phrase and may be differentiated as
attributive syntagms and „close appositions“ on the one side and „loose appositions“
on the other side. In many cases the two rules (the „mechanistic“ one and the
semantic/pragmatic one) collide: It can be shown that the mechanistic rule has a
higher ranking and therefore is always „winning the game“.
1. Problemstellung
Wie allgemein bekannt gilt der Vokativ nicht als Kasus im engen Sinn. Er hat nicht
direkt an der Valenz des Verbums teil, sondern kann als eine Art „nominaler
Imperativ“1 und somit als eigener Satz bzw. selbständige Phrase angesehen werden. Das
zeigt sich z.B. an der Tatsache, dass nach einem Vok. im Aind. das Verbum den Akzent
des Satzanfangs tragen kann.2
[Graphische Zeichen: // markiert die Versgrenze ; / die Halbversgrenze ; ' die
Pādagrenze]
(1) 1,144,7:3 // ágne juṣásva práti harya tád váco
‚Agni! Genieße (und) nimm diese Rede gerne an!‘
1,189,1: // ágne náya supáthā rāyé asmn
‚Agni! Führ uns auf gutem Wege zu Reichtum‘
Hier ist die Betonung des Verbums nach dem Vokativ ein sicheres Zeichen dafür, dass
nach indischem Verständnis ein neuer Satz beginnt.
Neben der bekannten Akzentzurückziehung auf die erste Silbe beim Vokativ ist im
Altindischen bei akzentuierten Texten wie dem gveda oder dem Satapathabrāhmaṇa
ein weiteres Merkmal bekannt: die Akzentlosigkeit des Vokativs, wenn er nicht am
Satz- oder Pāda-Anfang steht. Stehen jedoch mehrere Vokativformen nebeneinander –
manchmal auch durch andere Wörter stellungsmäßig getrennt –, scheint auf den ersten
Blick eine gewisse „Unordnung“ zu herrschen:
1
2
3
Winter 1969: 759f.
Steht ein finites Verb am Satzanfang, trägt es einen Akzent. Steht ein finites Verb nicht am
Satzanfang, so fehlt der Akzent des Verbs.
Alle Beispiele stammen, wenn nicht anders vermerkt, aus dem gveda.
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(2) 1) Steht ein Vokativ am Satz- oder Pada-Anfang, ist er automatisch akzentuiert.
⇒ // oder / oder ' Vó
ókativ
2) Steht ein Vokativ an einer anderen Stelle im Vers, ist er unakzentuiert.
⇒ // oder / oder ' X X Vo
okativ
3) Einem akzentuierten Vokativ können akzentuierte Vokative folgen.
⇒ // oder / oder ' Vó
ókativ + Vó
ókativ(e)
4) Einem akzentuierten Vokativ können unakzentuierte Vokative folgen.
⇒ // oder / oder ' Vó
ókativ + Vo
okativ(e)
5) Einem unakzentuierten Vokativ können akzentuierte Vokative folgen.
⇒ // oder / oder ' X X Vo
okativ + Vó
ókativ(e)
6) Einem unakzentuierten Vokativ können unakzentuierte Vokative folgen.
⇒ // oder / oder ' X X Vo
okativ + Vo
okativ(e)
Bei einer Reihe von mehreren Vokativen – auch wenn sie durch andere Wörter
stellungsmäßig getrennt sind – können also sowohl akzentuierte als auch unakzentuierte
Vokative auf den ersten Vokativ folgen, der seinerseits entweder akzentuiert (nach
Regel 1 in Bsp. 2) oder unakzentuiert (nach Regel 2 in Bsp. 2) sein kann. Dies ergibt für
die nicht-ersten Vokative also ein uneinheitliches Bild:
(3) Mechanische
Regel: 1.Vok. am
Satz- oder
Padaanfang
akzentuiert
A: erster Vó
ókativ
C: erster Vó
ókativ
Uneinheitliches
Verhalten der
folgenden Vok.
+folgende Vó
ókativ(e)
+folgende Vo
okativ(e)
Mechanische
Regel: 1.Vok. an
anderen Stellen
im Vers
unakzentuiert
B: erster Vo
okativ
D: erster Vo
okativ
Uneinheitliches
Verhalten der
folgenden Vok.
+ folgende Vó
ókativ(e)
+ folgende Vo
okativ(e)
Die Bedingungen von Bsp. (2), Nummern 3-6 entsprechen den Bedingungen A-D im
Bsp. (3); auf diese Buchstaben A-D wird im folgenden immer wieder verwiesen.
Die durch die Stellung im Satz bedingte mechanische Regelung der Vokativ-Akzentuierung bei ersten Vokativen (Nummer 1 und 2 in Bsp. (2)) wird von – mindestens
– einer anderen Regelung durchkreuzt bzw. überlagert, die die „Unordnung“ in Bsp. (3)
A-D hervorruft. Hier kollidieren also zwei Regeln. Die zweite Regel kann keine
mechanische Satzstellungs-Regel sein, wie man an den Konstruktionsmustern in Bsp.
(2) deutlich erkennen kann, da eben sowohl akzentuierte als auch unakzentuierte
Vokative folgen können. Welche anderen Erklärungsmöglichkeiten bleiben also nun
übrig? Nach Durchsicht zahlreicher Beispiele4 können ausgeschlossen werden:
4
Sämtliche Vokativ-Belege aller vedischen Gottheiten sowie der Appellativa mit den Bedeutungen
‚König(in)‘, ‚Herr(in)‘, ‚Gott‘, ‚Göttin‘, ‚Sänger‘, ‚(Be)Schützer‘, die Bezeichnungen der
verschiedenen ‚Priester‘, ‚Vater‘, ‚Mutter‘, ‚Bruder‘, ‚Schwester‘, ‚Sohn‘, ‚Tochter‘ und ‚Enkel‘ nach
Lubotsky 1997.
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– phonetische Gründe: Es konnte keine Regel gefunden werden, die die unterschiedlichen Verhaltensweisen im Sinne von beispielsweise „alle nicht-ersten Vokative,
die mit a beginnen, werden akzentuiert, die anderen nicht“ rein phonetisch erklären
kann.
– morphologische Gründe: Es konnte keine Regel gefunden werden, die die unterschiedlichen Verhaltensweisen im Sinne von beispielsweise „alle nicht-ersten Vokative,
die mask. a-St. sind, werden akzentuiert, die anderen nicht“ rein morphologisch erklärt.
– rein satzsyntaktische Gründe: fallen aus, da Vokative – wie eingangs gesagt – eine
selbständige Phrase bilden und keine valenzabhängigen Kasus sind. Dann aber sollte
man erwarten, dass entweder jeder Vokativ eine eigene Phrase bildet und daher nach
einem anderen Vokativ wieder akzentuiert wäre, oder dass alle nicht-ersten Vokative
nach anderen Wortformen als Vokativen immer unakzentuiert wären. Dies ist aber auch
nicht der Fall.
Wenn nun keine phonetischen, morphologischen oder rein satzsyntaktischen Gründe
eine Erklärung für das Akzentverhalten nicht-erster Vokative geben, so bleiben semantische Syntax und Pragmatik, die einen Lösungsansatz bieten können.
In diesem Beitrag wird versucht, durch die Unterscheidung der Fügungsenge von
Attributen, Appositionen und asyndetischen Aneinanderreihungen eine gewisse
Ordnung hineinzubringen, d.h. gewisse constraints herauszufinden, die die Wahl von
Akzentuierung bzw. Akzentlosigkeit nicht-erster Vokative steuern.
2. In Sprachen wie dem Deutschen oder Lateinischen lassen sich Attribute, Appositionen, Prädikativa und Prädikatsnomina schon ausdrucksseitig gut unterscheiden, und
zwar durch die Morphologie, die Wortstellung oder den Akzent. Aber die Unterscheidung zwischen beispielsweise prädikativ und attributiv anhand des Fehlens von
Kongruenz bei Prädikativa – wie im heutigen Deutschen5 – ist im Altindischen nicht
möglich, da Prädikativa gleichermaßen wie Attributiva mit ihrem Bezugswort
morphologisch kongruieren. In der vedischen Dichtersprache kann man also nicht
immer eindeutige Klarheit in der Interpretation attributiver und prädikativer Adjektive
und Partizipien gewinnen.6 In der altindischen Prosa dagegen werden diese
Unterschiede durch eine relativ geregelte Wortstellung klar, die uns ein schon
ausdrucksseitiges Erkennen dieser verschiedenen Kategorien erlaubt, siehe die
folgenden Beispiele (4) - (8):
In der vedischen Prosa steht z.B. die Apposition i.d.Regel nach
(4) ŚB 11,5,1,1: urváśī hāpsarḥ purūrávasam aiḍáṃ cakame
‚Die Apsaras Urvaś liebte den Iḍā-Sohn Purūravas‘
5
6
Z.B. das rote Haus ist neu gestrichen worden, mit Attibut rote = flektiert, dagegen das Haus ist rot
gestrichen worden mit Prädikativum rot = unflektiert.
Dazu zuletzt Krisch 2005 mit weiterer Lit.
516
Sabine Ziegler
Das Attribut steht seinem Bezugsnomen direkt voran, vgl. Beispiel
(5) ŚB 14,6,8,9: śvetḥ párvatāḥ
‚die weißen Berge‘
Der attributive Genitiv steht ebenfalls voran:
(6) ŚB 12,7,1,6: śyéno váyasāṃ rjā
‚Der Adler (ist) der König der Vögel‘
Bei bestimmten semantischen Gruppen von Adjektiven, meist Farbbezeichnungen, kann
auch Nachstellung erfolgen, vgl. Beispiel
(7) ŚB 11,6,1,7; té ántareṇa púruṣaḥ kṣṇáḥ piṅgākṣo daṇḍápāṇis tasthau
‚zwischen den beiden (Frauen) stand ein Mann, schwarz, rotäugig, einen Stock in der
Hand‘
Das Prädikatsnomen kann von seinem Bezugsnomen getrennt sein und steht häufig am
Satzanfang, vgl. Beispiel
(8) ŚB 1,2,5,5: vāmanó ha víṣṇur āsa
‚Viu war ein Zwerg‘
Der gveda hat wegen seiner Metrik und Stilistik eine freiere Wortstellung als ProsaTexte.7 Dadurch ergeben sich Schwierigkeiten bei der Einteilung in enge und weite
Apposition, Attribut oder Prädikativum, da wie schon erwähnt die Morphologie – alle
werden gleichermaßen flektiert – keine Unterscheidung bietet.8 In vielen Fällen helfen
genaue philologische und semantische Untersuchungen, die Verhältnisse deutlich zu
machen. Meines Erachtens können nun gerade in Vokativphrasen durch das
Akzentverhalten auch auf der Ausdrucksseite Unterschiede zwischen diesen Kategorien
gesehen werden. Im folgenden wird versucht, Vokativphrasen aufgrund ihres Akzentverhaltens in Attribute und enge bzw. weite Appositionen zu unterteilen. Allerdings
muss man immer die strenge „mechanische“ Akzentregelung – betont am Satz- oder
Pāda-Anfang, unbetont sonst – im Auge behalten, sie überlagert die einem Syntagma
zugrundeliegenden semantischen Strukturen, mit anderen Worten: die mechanische Akzentregelung hat ein höheres ranking als die semantisch-pragmatische Akzentregelung
und „gewinnt“.
3. Von vorneherein auszuklammern sind Folgen von einzelnen Anrufungen mehrerer
Götter, da es sich hier nur um asyndetische Aneinanderreihungen bzw. parenthetische
Fügungen in der Epiklese handelt, die nur aus einzelnen Vokativ(phras)en bestehen und
daher gemäß der in Bsp. (2) genannten Regeln 1 und 2 jeweils einen eigenen Akzent
tragen (= Typ A in Bsp. (3)) oder eben keinen Akzent tragen (= Typen B-D in Bsp. (3)),
vgl. Bsp. (9)-(11):
7
8
Zur Freiheit der Wortstellung in der Dichtung vgl. dt. Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern
durch die Lüfte, süße unbekannte Düfte füllen ahnungsvoll das Land gegenüber normalisierter
Wortstellung Frühling lässt sein blaues Band wieder durch die Lüfte flattern (abgesehen davon, dass
man sich in der Umgangssprache nicht so poetisch ausdrücken würde).
Zu diesen Problemen vgl. auch RIVELEX 1: IX und XVII.
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(9) 5,46,2: // ágna índra váruṇa mítra dévāḥ ' śárdhaḥ prá yanta mruta ⁀ utá viṣṇo
/ ubh nsatyā rudaró ádha gnḥ ' pūṣ bhágaḥ sárasvatī juṣanta //
‚Agni! Indra! Varuṇa! Mitra! Ihr Götter! Marutisches Heer! und Viṣṇu!, gewährt
(Zuflucht)!
Beide Nāsatya’s, der Rudra und die Götterfrauen, der Pūṣan, der Bhaga, die Sarasvatī
sollen sich erfreuen.‘
Hier haben außer viṣṇu alle Vokative einen Akzent, da nach einem Vokativ gemäß
indischer Auffassung wieder ein neuer Satz beginnt (= Regel 1 in Bsp. (2) = Typ A in
Bsp. (3)). Das auf śárdhaḥ ‚Heer, Schar‘ bezogene Adj. mruta ‚marutisches‘ hat einen
Akzent, da es nach einem Verb steht und somit gemäß indischer Auffassung wieder ein
neuer Satz beginnt. Nur viṣṇu ist ohne Akzent, da es durch utá ‚und‘ angeschlossen wird
und somit kein neuer Satz beginnt (= Regel 2 in Bsp. 2 = Typ B in Bsp. (3)).
(10) 2,27,14: // ádite mítra váruṇa ⁀ utá mḷa ' yád vo vayáṃ cakm kác cid gaḥ /
‚Aditi! Mitra! und Varuṇa! Sei(d) (jeweils) gnädig, wenn wir gegen euch irgend welche
Sünde begangen haben.‘
Alle drei Vokative tragen einen eigenen Akzent, da jeweils nach einem Vok. wieder ein
neuer Satz beginnt (= Regel 1 in Bsp. (2) = Typ A in Bsp. (3)).9
(11) 4,55,1: // kó vas trāt vasavaḥ kó varūt ' dyvābhūmī adite trsīthāṃ naḥ
/ sáhīyaso varuṇa mitra mártāt kó ' vo ’dhvaré várivo dhāti devāḥ //
‚Wer von euch ist der Beschützer, ihr Guten!, wer der Behüter – Himmel und Erde!, Aditi!,
beschützet uns –
vor dem stärkeren Sterblichen, Mitra!, Varuṇa!? Wer bereitet euch bei dem Opfer
Behagen, ihr Götter?‘
(=C und D). Die Vokative sind unbetont außer dyvbhm, weil es am Pādaanfang
steht.
In den Beispielen (9) und (10) und zahlreichen weiteren Fällen werden die einzelnen
Gottheiten in jeweils einer selbständig betonten, also satzwertigen, Vokativphrase
angerufen. Die Satzwertigkeit eines Vokativs kann durch andere Wörter (z.B. Konjunktionen) durchbrochen werden und so der „mechanische“ Satzakzent des Vok.
eintreten, also unbetont an nicht-erster Stelle wie in Bsp. (9), wo viṣṇu ohne Akzent
steht wegen des vorhergehenden utá. In Beispiel (11) wird bei dyvābhūmī die sonstige
Nicht-Akzentuierung von der mechanischen Regel „Akzent am Pāda-Anfang“ überlagert.10 An diesen Beispielen sieht man also, wie die mechanische Regelung wirkt:
Akzent am Satz- oder Pada-Anfang, kein Akzent sonst.
9
10
Hier ist das Verbum im Sg. und ohne Akzent wegen utá. Die Sg.-Form des Verbs dürfte hier iterative
Funktion ausgedrücken, damit sich jeder Gott gleichermaßen im Sinne des gvedischen
Kathenotheismus einzeln angerufen „fühlt“. Man sieht, wie die Syntax von der Pragmatik in solchen
Kontexten beeinflusst werden kann.
Der Grund dafür, warum in vielen Fällen alle Gottheiten betont sind und in ebenfalls häufigen Fällen
nicht, liegt meines Erachtens auf der Ebene der Illokutivität bzw. der Pragmatik; je nachdem, ob man der
Aussage mehr oder weniger Nachdruck verleihen will.
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Sabine Ziegler
Nun zu den Syntagmen, die sich auf éine Person oder Wesenheit beziehen.
4. Attribute zu Vokativen: Adjektive und adnominale Genitive
Attribut und Bezugsnomen bilden eine Akzenteinheit, weil der Vokativ samt seinen
Attributen eine eigenständige Phrase bildet. Gemäß den Akzentuierungsregeln des
Vokativs bezüglich der Stellung im Satz hat die ganze Gruppe dann mehrere, einen oder
keinen Akzent, also die Typen (C) und (D) sowie seltenst (B) in der obigen Grafik unter
Nr. (3).
4.1. Gruppen mit einem/mehreren attributiven Adjektiv(en)
(12) 1,109,4: / tv asvin bhadrahast sup '  dhvatam [...] //
‚Ihr beiden glanzhändigen, schönhändigen Asvin! rühret (den Soma) um.‘
(=D). Alle zur Vokativphrase gehörigen Wörter sind unbetont, da die Vokativphrase
nicht am Satzanfang steht und somit die mechanische Akzentregelung „Unbetontheit an
nicht-erster Stelle“ greift.
(13) 4,4,11: / tuvá no asyá vácasas cikiddhi ' hótar yaviha sukrato dámn //
‚Achte du auf dieses Wort für uns/von uns, jüngster wohlverständiger Hot!, (in deiner
Eigenschaft) als Hausherr.‘
(=C). hótar ist betont wegen der Pdagrenze, die folgenden Adj. sind nicht betont, da sie
mit dem Vokativ ein Syntagma bilden.
(14) 6,37,1: // arvg rátha visvávra ta ugra '⁀ índra yuktso hárayo vahantu /
‚Herwärts sollen deinen allgebehrten Wagen die angeschirrten Falben fahren, gewaltiger
Indra!‘
(=B). índra ist betont wegen der Pdagrenze, obwohl die Vokativphrase eine Sinneinheit bildet. Die mechanische Regelung „gewinnt“ also.
(15) 7,68,1: //  subhr ytam asvin
wörtlich: ‚Her, ihr schmucken! fahret, Asvin!‘ → ‚fahret her, ihr schmucken Asvin!‘
(=D). Es kann sich hier nicht um zwei parallele Sätze handeln, was prinzipiell möglich
wäre, wenn man  mit Ellipse des Verbs und śubhrāḥ als Substantivierung auffasste
(wie in der wörtlichen Wiedergabe),11 denn dann wäre das Verbum wiederum akzentuiert, da nach dem Vokativ śubhrāḥ ein neuer Satz beginnen müsste.
(16) 2,6,6: // nya ⁀ avasyáve ' yáviha dta no gir
/ yájiha hotar  gahi //
‚Zu dem, der als Schutzsuchender (dich) für uns mit Lobrede beruft, jüngster Bote!,
am besten opfernder Hot! komm her!‘
(=C). Die adjektivischen Vokative yáviṣṭha und yájiṣṭha sind betont, da sie am Pādaanfang stehen, die folgenden dūta und hotar sind unbetont, da sie zur Vokativphrase
gehören.
11
Zur selbständigen Verwendung von  mit Ellipse des Verbs in Aufforderungen vgl. RIVELEX II (in
Vorber.) s.v. , Abschnitt 1f mit Beispielen; die oben genannte Stelle 7,68,1 ist von Katsikadeli ganz
richtig unter Abschnitt 1b mit  als Goal oder Adverb zu Verben eingereiht.
Zur Vokativakzentuierung im gveda
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In den folgenden Fällen ist das Syntagma auseinander gerissen:
(17) 1,12,5: // ghthavana ddiva ' práti ma ríato daha
/ ágne tuvá rakasvína //
‚Schmalzbegossener leuchtender! versenge doch die Schädiger,
Agni! du die Unholde!‘
(=C)
(18) 1,44,5: // staviymi tuvm ahá ' vísvasymta bhojana
/ ágne trtram amtam miyedhiya ' yájiha havyavhana //
‚Ich will dich preisen (oh du) der ganzen (Welt) unsterblicher Ergötzer!
Agni! (dich) den unsterblichen Beschützer (oh du) Festlicher! (dich) den besten Opferer
(oh du) Opferfahrer!‘
(=C)
Diese Stelle zeigt eine für die rigvedische Dichtung sehr typische Verschränkung
einzelner Glieder von Syntagmen, hier der valenzabhängigen Akkusative mit den
Vokativen. Dabei ist im Syntagma vísvasymta bhojana der erste Vok. wieder betont.
ágne, miyedhiya und havyavāhana bilden entweder ein auseinandergerissenes Syntagma
oder sie sind als selbständige Satzglieder aufzufassen.
(19) 3,1,22: // imá yajñá sahasvan tuvá no ' devatr dhehi sukrato rára
/ prá yamsi hotar bhatr ío no ' ágne máhi drávinam  yajasva //
‚Dieses Opfer bring, du Machtvoller, für uns gern gebend zu den Göttern, du
Wohlgesinnter! Gewähre uns, o Hot, große Labsale; erbitt für uns großes Gut, o Agni!‘
Man kann an den Beispielen sehen, dass die Gruppen mehrere, einen oder keinen
Akzent haben, jeweils überlagert von der mechanischen Akzentregelung. Diese Gruppen
mit Adjektiven sind syntaktisch enger zusammengehörig, auch wenn in manchen Fällen
mit starker Verschränkung wie in (18) und (19) die Möglichkeit der Auffassung als
selbständige Satzteile besteht.
4.2. Gruppen mit attributiven Genitiven
Hier zeigt sich ebenfalls ganz deutlich, dass die Geltung als Attribut in der Regel NichtAkzentuierung zur Folge hat: die dem Vokativ zugeordneten Genitive sind häufig
unakzentuiert, es gibt aber Ausnahmen.
(20) 1,58,8: // áchidr sno sahaso no adyá ' stotbhyo mitramaha sárma yacha /
‚Unspaltbaren, Sohn der Kraft! heute, Vielfreundiger!(?) uns Sängern Schutz gewähre!‘
(21) 1,131,4: / ssas tám indra mártiyam ' áyajyu savasas pate /
‚Du sollst diesen, Indra!, nicht opfern wollenden Sterblichen züchtigen, du Herr der
Stärke!‘
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(beide Beispiele =D). Die Vokative tragen keinen Akzent, da sie nicht am Satz- oder
Pādaanfang stehen, und die Genitivattribute sind ebenfalls unakzentuiert, da sie nicht
am Satz- oder Pādaanfang stehen und vollständig in die Vokativphrase eingebunden
sind.
Neben sno sahaso sind auch ' sáhasa sno (erstes Wort betont nach Pādagrenze) und
sahasa sno mit Umkehrung der Satzglieder bezeugt, vgl. des weiteren 4,57,2: '
kétrasya pate ‚(oh) Herr der Siedlung‘ (erstes Wort betont nach Pādagrenze); 5,6,5: '
súkrasya socias pate ‚(oh) Herr des lichten Glanzes‘ (erstes Wort betont nach
Pādagrenze); 1,30,10: / sákhe vaso ‚(oh) Freund des Gutes‘ (erstes Wort betont nach
Halbversgrenze); die je nach Stellung im Satz als Gruppe einen oder keinen Akzent
tragen. Die Enge der Fügung lässt sich auch daran erkennen, dass bei mechanischer
Betonung (also Satz- oder Pādaanfang) das Genitivattribut den Akzent trägt, der
folgende Vokativ nicht. Außerdem zu beachten ist die sonst nur für Vokative gültige
Akzentzurück-ziehung z.B. beim Gen.Sg. súkrasya, das üblicherweise śukrásya mit
Akzent auf der zweiten Silbe lautet. Die Genitive haben also – wie nicht anders zu
erwarten – den gleichen syntakisch-semantischen Stellenwert wie die Adjektivattribute.
4.3 Eine auffällige Ausnahme bilden nun die Belege mit adnominalem G.Pl.:
(22) 1,177,3: //  tiha rátha vaa v te ' sutá sóma páriikt mádhni
/ yuktv vabhy vabha kitn ' háribhy yhi pravátópa madrík //
‚Steig auf den bulligen Wagen, der Bulle Soma ist für dich ausgepresst, die Süßtränke sind
herumgegossen. Wenn Du das Bullenpaar angeschirrt hast, du Bulle der Völker!, komm
mit den Falben in vollem Laufe her zu meinereinem!‘
Hier ist der dem unakzentuierten Vokativ folgende adnominale G.Pl. kṣitīnm trotz der
Stellung (weder Satz- noch Pādagrenze, genauso auch in 6,32,4) akzentuiert, und zwar
mit seinem „normalen“ Akzent (vgl. die oben erwähnte Akzentrückziehung beim G.Sg.
śúkrasya statt „normalem“ śukrásya). kṣitīnm lässt sich schwerlich auf ein anderes
Wort des Satzes beziehen; des weiteren ist die Verbindung vDṣabha- + G.Pl. kṣitīnm als
Bezeichnung für Indra auch sonst bezeugt.
(23) // ábhūr éko rayipate rayīṇṃ '  hástayor adhithā indra kṣṭḥ /
‚Du wurdest der einzige Herr der Reichtümer!, du hast die Völker in deine Hände
genommen, Indra!‘
Dieser Fall ist besonders interessant, da hier eine delokutive Verbindung12 eines
Numeral-Adjektivs im Nom. ékaḥ mit seinem Bezugsnomen im Vokativ rayipate vor12
Es gibt einige solche Stellen im gveda: Neben der oben angeführten z.B. auch 1,51,2: márutaḥ
píbata túnā potrd yajñaṃ punītana / yūyáṃ hí ṣṭh sudānavaḥ ‚Ihr Marut, trinkt zur rechten Zeit
aus dem (Becher des) Pot‘, macht das Opfer rein! Denn ihr seid (oh) Gabenschöne!‘, wo der Vokativ
sudānavaḥ das Prädikatsnomen zu yūyám sth ist; oder in der mehrmals in ähnlicher Weise
vorkommenden Konstruktion mit einem Relativpronomen, z.B. 8,80,10: ávīvdhad vo amtā ámandīd
ekadyr devā utá yś ca devīḥ / ‚Euch, ihr unsterblichen Götter, hat Ekadyū erfreut und welche (oh)
ihr Göttinnen! (seid)‘, wo der Vok. devīḥ in den Relativsatz eingebettet ist und das Prädikatsnomen
zum RPron. darstellt, aber wahrscheinlich mit der Vokativphrase amtā devāḥ im übergeordneten Satz
Zur Vokativakzentuierung im gveda
521
liegt. Der adnominale Genitiv bezieht sich auf den Vok. rayipate. Da aber ékaḥ ein Nominativ ist, könnte eine gewisse Unklarheit über die genaue syntakische Geltung der
gesamten Gruppe bestanden haben. Vielleicht liegt hier eine Gelenkstelle bzw. ein
sogenannter „Trigger-Fall“ vor, also ein Auslöser für ähnliche Konstruktionen an
anderen Stellen wie Bsp. (22).
In den untersuchten Beispielen lässt sich das unterschiedliche Akzentverhalten in der
Vokativphrase bei G.Sg (ohne Akzent) und G.Pl. (mit Akzent) durch einen unterschiedlichen Grad an Fügungsenge erklären (vgl. denselben Unterschied bei Appositionen in
5). Zwei Gründe können hierfür angeführt werden:
1. In den Fällen einer Vokativphrase mit adnominalem G.Sg. handelt es sich bei diesem
meist um Abstrakta wie ‚Kraft, Gutes, Macht, Herrlichkeit‘, in den Fällen mit G.Pl.
meist um zählbare Konkreta wie ‚Reichtümer‘ bzw. um belebte Wesen wie ‚Pferde,
Völker, Menschen‘.
2. Die Verbindungen mit Singular sind meist häufig vorkommende Epitheta, die in die
Nähe von Komposita aus Zusammenrückungen wie z.B. śúnahśépa- gerückt sind. Man
denke ferner an die Dvandva-Komp., die in den normalen Kasus zwei Akzente zeigen,
im Vokativ aber entweder nur einen oder gar keinen Akzent, je nach der Stellung im
Satz. Das würde bedeuten, dass evtl. die Fälle mit G.Sg. wie Zusammenrückungen
behandelt worden sind. Auf jeden Fall besteht aber eine größere Fügungsenge in der
Vokativphrase mit G.Sg. als in den Beispielen mit G.Pl., was sich am Akzentverhalten
deutlich zeigt.
5. Sogenannte „attributive“ Substantive
„Attributive“ Substantive können in „enge“ oder „weite“ Appositionen (in Anlehnung
an Heberlein13 u.a.) untergliedert werden. In modernen Sprachen können sie meist durch
die Wortstellung, aber auch durch die Intonation und Akzentuierung differenziert
werden. So werden im Deutschen enge Appositionen wie etwa ‚König Frííedrich‘ oder
‚Herr Mééier‘ unter einem Akzent vereint und sind darüber hinaus natürlich durch die
Wortstellung gekennzeichnet. „Lose“ oder „weite“ Appositionen sind im Deutschen in
der Regel durch eine andere Wortfolge und eine andere Akzentuierung zu erkennen:
‚Lú
úz, meine Frééundin‘ oder ‚Mü
ükller, Sááchverwalter‘. Die prosodemische Unterscheidung ist eines der wichtigsten Kriterien für die Differenzierung von losen
gegenüber engen Appositionen in nicht mehr gesprochenen Sprachen, die Akzente
schreiben, aber eine freiere Wortfolge haben. In nicht mehr gesprochenen Sprachen, die
weder Akzente schreiben noch eine geregelte Wortstellung haben, ist die Unterscheidung diffizil.14
13
14
zu parallelisieren ist. Auf die Zahl aller Vokative im gveda bezogen sind diese Fälle allerdings sehr
selten. – Damit lassen sich ähnliche seltene delokutive inkongruente Konstruktionen in anderen idg.
Sprachen, z.B. dem Griech., vergleichen, etwa Euripides Tro. 1221: σὺ τ’, ὦ ποτ’ οὖσα καλλίνικε
(Vok.) µυρίων µῆτερ (Vok.) τροπαίων (G.Pl.) ‚du, oh einst siegverherrlichende Mutter! der
zahlreichen Trophäen‘ oder Aischylos Pers. 674: ὦ πολύκλαυτε (Vok.) φίλοισι }ανών (Nom.Sg.Part.)
‚oh du, der als Vielbeweinter! von den Freunden gestorben ist‘.
Heberlein 1996 mit weiterer Lit.
Dazu Heberlein 1996: 343f., zu den dt. Bsp. vgl. Seiler 1960: 1ff.
522
Sabine Ziegler
Vokativphrasen aus zwei Substantiven, von denen eines eine enge Apposition ist, fallen
je nach Satzstellung unter éinen oder keinen Akzent. Dies tritt ein bei „Berufsbezeichnungen“ im weitesten Sinne oder bei Verwandtschaftsbezeichnungen, vgl. die
folgenden Bsp.:15
(24) 4,15,9: // eá v devv asvin ' kumrá shadeviyá
/ drghyur astu sómaka //
‚Dieser Prinz Somaka Shadevya soll von euch, ihr Götter Asvin!,
langes Leben haben.‘
(25) 1,63,8: // tuvá ty na indara deva citrm ' íam po ná ppaya párijman /
‚Du mögest uns, Gott Indra!, jenes wunderbare Labsal wie die Gewässer in ihrem Laufe
anschwellen lassen.‘
(26) 3,61,2: // úo devi ⁀ ámartiy ví bhhi ' candrárath [...] /
‚Göttin Uas!, als Unsterbliche erstrahle mit glänzendem Wagen‘
(=C) úṣas am Satzanfang trägt den Vokativakzent, devi hingegen nicht und zeigt somit
wieder die große Fügungsenge der Vokativphrase.
(27) 6,61,5: // yás tv devi sarasvati '⁀ upabrté dháne hité
/ índra ná vtratriye //
‚Wer dich, Göttin Sarasvat!, anruft beim ausgesetzten Siegespreis,
wie den Indra in der Vtraschlacht‘
(=D)
(28) 1,91,4: // y te dhmni diví y pthivy ' y párvateu ⁀ oadhu ⁀ apsú
/ tébhir no vísvai sumán áhean ' rjan soma práti havy gbhya //
‚Welche deine Stätten im Himmel, welche auf Erden, welche auf den Bergen, in den
Pflanzen, im Wasser (sind),
mit allen diesen nimm uns als wohlgesinnter, nicht zürnender, die Opfer an, König Soma!‘
(=C)
(29) 8,48,8: / sóma rjan máy na suvastí '
‚König Soma! Verzeih uns zu unserem Glück!‘
(=C)
Der Akzent auf dem Verb máy zeigt den Satzanfang nach der als eigener Satz
verstandenen Vokativphrase sóma rājan.
Wie schon eingangs angedeutet ist in der vedischen Dichtung die Wortstellung
wesentlich freier als in der Prosa. Gerade die Beispielpaare (26) mit úṣo devi und (27)
mit devi sarasvati sowie (28) mit rjan soma und (29) mit sóma rājan zeigen durch ihre
Akzenteinheit, dass es sich trotz unterschiedlicher Wortfolge im Gegensatz zu den noch
15
Zu solchen Fällen ausführlich Pinault 1997.
Zur Vokativakzentuierung im gveda
523
zu besprechenden Beispielen in 5.2 um enge Appositionen handeln sollte.16 Durch die
Akzenteinheit wird wiederum eine größere Fügungsenge einhergehend mit einer engeren semantischen Beziehung zwischen den beiden Gliedern der Phrase zum Ausdruck
gebracht: Die „typischen Berufsbezeichnungen“ der vedischen Götter sind ihrem Wesen
immanent und werden somit auch auf der Ausdrucksebene der Sprache als untrennbar
von ihnen dargestellt.
5.2
5.2 Im Altindischen gibt es Fälle von jeweils einzeln betonten aneinandergereihten
Wörtern, die als lose Appositionen oder lockere Aneinanderreihungen von Epitheta
beurteilen werden können, wenn sie sich auf éine Person/Gottheit oder éine Gruppe
von Gottheiten beziehen. Davon zu trennen sind natürlich die schon erwähnten Fälle,
wo mehrere angerufene Wesenheiten jeweils einen eigenen Akzent bekommen (s. 3).
(30) 2,29,1: // dhtavrat ditiy íir ' ré mát karta rahasr ivga /
‚Ihr Gebote Haltenden! Aditya’s! Ihr Eifrigen! Beseitigt meine Sünde wie die heimlich
Gebärende (ihr Kind).‘
(=A)
(31) 1,144,7: // ágne juásva práti harya tád váco ' mándra svádhva tajta súkrato /
‚Agni! Genieße (und) nimm diese Rede gern an, Beliebter! Eigenmächtiger!
Rechtgeborener! Einsichtsvoller!‘
(=A)
(32) 8,71,3: // sá no vísvebhir devébhir ' rjo napd bhádrasoce
/ rayí dehi visvávram //
‚Mit allen Göttern, Kind der Kraft! Flammenglänzender!,
gib uns allbegehrten Reichtum.‘
(=A; rjo napād ist wie die Fälle in 4.2 zu beurteilen)
In den Bsp. (30) - (32) ist jeweils nur éine Gottheit/Gruppe von Göttern bezeichnet.
(33) 1,44,1: // ágne vívasvad uásas ' citrá rdho amartiya
/  dsúe jtavedo vah ' tuvám ady devm uarbúdha //
‚Agni! Leuchtender! Der Uas glänzende Gabe, Unsterblicher!,
fahr du heute dem Opferspender her, Jtavedas!, (und) die frühwachen Götter!‘
(=A)
(34) 8,60,19: ágne járitar viśpátis tepānó deva rakṣásaḥ /
‚Agni!, Sänger!, als Stammesherr die Unholde verbrennend, oh Gott!‘
(=A)
16
So auch das Nebeneinander der Wortstellung in ágne deva (z.B. in 1,44,11; 1,189,1; 2,1,15; 2,2,6;
3,20,3; usw.) bzw. agne deva (z.B. in 1,31,12; 2,1,11; usw.) und deva agne (z.B. in 3,4,1; 6,13,4;
10,45,9: usw.) oder agne hotar (6,15,14) und hotar agne (3,2,6) sowie in vielen anderen Anrufungen
vedischer Götter.
524
Sabine Ziegler
In den beiden Bsp. (33) und (34) folgt auf einen am Anfang des Satzes stehenden und
daher betonten Vokativ ágne wiederum ein betonter Vokativ vívasvad resp. járitar, die
sich eindeutig auf Agni beziehen. Warum aber sind diese Vok. betont im Gegensatz zu
(35) 8,60,5: tvám ít sapráthā asy ' ágne trātar tás kavíḥ
‚Du bist doch weitbekannt, (oh) Beschützer Agni!, als rechter Seher‘
(=C),
wo ágne ebenfalls betont ist, da es am Pādaanfang steht, aber von einem unbetonten
Vok. trātar gefolgt wird?
Wenn wir diese Akzentunterschiede ernst nehmen und nicht einer – nach irgendwelchen
willkürlichen Gesichtspunkten vorgehenden17 – nachträglichen Diaskeuase anlasten
wollen, so scheint mir die einzige Lösung in der Annahme zu liegen, hier Fälle einer
prosodemischen Unterscheidung zwischen enger (die Vokativ-Gruppe hat éinen oder
keinen Akzent) oder weiter (beide Vokative sind betont) Apposition bzw. evtl. asyndetischer Anreihung zu sehen. Der Unterschied muss dann auf der semantisch-pragmatischen Ebene liegen und sollte sich rein praktisch auch auf unsere Übersetzung
auswirken, so wie ich es in allen Beispielen durch eine möglichst wörtliche, aber
unterschiedliche Wiedergabe versucht habe.
Ein weiterer solcher Fall mag vorliegen in
(36) 6,51,5: // diyaù píta pthivi mtar ádhrug
„Vater! Himmel!, Mutter! Erde!, Truglose!“
(=A),
wo der Svarita in diyaùs (Nom.Sg.) auf eine Vokativ-Akzentuierung hinweist, aus der
man eine ältere Form *díyau (dyò) erschließen könnte.18 Hier sind die Verbindungen
dyaù pítar und pthivi mtar im Gegensatz zu den Beispielen mit enger Apposition als
lose Appositionen zu sehen, in denen das Beiwort (pítar, mtar) einen stärkeren
Nachdruck bekommt und fast als ehrende Bezeichnung zu verstehen ist: ‚Oh Himmel,
du Vater, oh Erde, du Mutter‘.19
6. Prädikative zu Vokativen werden in der Regel mit dem Nominativ ausgedrückt, bei
manchen Verben auch mit dem Akk. Da Prädikative im Gegensatz zu Appositionen und
Attributen eine größere Fügungsenge zum Verbum aufweisen, kann hier kein Vokativ
verwendet werden, weil der Vokativ außerhalb der Valenz der Verben steht; er stellt ja
17
18
19
Es gibt m.E. keinen deutlichen Grund, die einmal bezeugte Vokativphrase ágne járitar anders zu
behandeln als ebenfalls einmal bezeugtes ágne trātar. Sowohl jaritár- als auch trātár- kommen neben
Agni ebenfalls als Epitheta anderer Götter und menschlicher Wesen vor. Man beachte auch, dass es
sich bei beiden um hysterotone Nomina Agentis handelt, die nach Lühr 2005: bes. 248f. als Individuenprädikate erklärt werden und eine typische Beeigenschaftung oder einen „Beruf“ ausdrücken.
Strunk 1982: 433f., 437.
Eine alte Vokativphrase ist auf jeden Fall die uridg. Verbindung *d(i)eu ph_2` ter (nach Strunk 1982:
431), da sie auch in gr. Ζεῦ πάτερ und umbr. Iupater sowie mit Einschränkungen in lat. Iup(p)iter
belegt ist. Zur Interpretation als ehrende Bezeichnung s. Schwyzer 1983.
525
Zur Vokativakzentuierung im gveda
letztlich selbst eine Art Apposition zur im Verbum angegebenen Person dar. Bei einer
Verwendung als Prädikativum oder als Prädikatsnomen muss also aufgrund der
erwähnten Fügungsenge zum Verbum ein anderer Kasus als der Vokativ verwendet
werden. In diesen Fällen verwendet das Altindische in der Regel einen Nominativ20, vgl.
(37) 6,68,4: / prá ⁀ ebhya indrvaru mahitv ' diyaús ca pthivi bhtam urv //
„Ihnen voraus, Indra und Varuna!, (wart ihr) an Größe, und Himmel und Erde!, (ihr) wart
die weiten.“
und die schon erwähnten Bsp.
(26) 3,61,2: // úo devi ⁀ ámartiy ví bhhi ' candrárath [...] /
‚Göttin Uas!, als Unsterbliche erstrahle auf glänzendem Wagen‘
und
(28) 1,91,4: // y te dhmni diví y pthivy ' y párvateu ⁀ oadhu ⁀ apsú
/ tébhir no vísvai sumán áhean ' rjan soma práti havy gbhya //
‚Welche deine Stätten im Himmel, welche auf Erden, welche auf den Bergen, in den
Pflanzen, im Wasser (sind),
mit allen diesen nimm uns als wohlgesinnter, nicht zürnender, die Opfer an, König Soma!‘
7. Fazit: Abgesehen von der alles überlagernden mechanischen Akzentregelung lassen
sich meiner Meinung in Vokativphrasen mit zwei oder mehr sich auf éine Wesenheit
oder éine Gruppe von Wesenheiten beziehenden Gliedern zwei verschiedene semantisch-pragmatisch bedingte Akzentregeln mit niedrigerem „ranking“ unterscheiden:
1. Wenn in einer solchen Vokativphrase éin oder kein Akzent (je nach der
übergeordneten Akzentregelung) steht, kann dies entweder ein attributives oder ein
enges appositives Verhältnis der einzelnen Glieder zueinander ausdrücken.
2. Wenn in einer solchen Vokativphrase mehrere Glieder einen Akzent haben, dürfte es
sich um den prosodemischen Ausdruck einer weiten oder losen Apposition handeln.
Diese Fälle sind allerdings wesentlich seltener, da sie von der mechanischen Akzentregelung überlagert werden.
Sächsische Akademie der Wissenschaften
Arbeitsstelle Univ. Jena, Lehrstuhl für Indogermanistik
Zwätzengasse 12 a
D - 07743 Jena
20
Sabine Ziegler
FWF-Projekt RIVELEX
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Aber auch umgekehrt kann der Vokativ für den Nominativ eintreten, vgl. die in Anm. 12 genannten
Beispiele, in denen man kaum umhin kommt, den Vokativ als Prädikatsnomen anzusehen. Man
könnte von partizipialen Konstruktionen ausgehen wie in den griechischen Beispielen in Anm. 12, in
denen das Prädikatsnomen durch Kasusattraktion an das in den nominalen Bereich hinüberragende
Partizip ebenfalls in den Vokativ gesetzt wurde. Von solchen Fällen ausgehend könnten dann die
folgenden Beispiele mit finitem Verb plus Prädikatsnomen im Vokativ als bewußtes Stilmittel
entstanden sein: Kallimachos fr. 213: ἐκλή}ης ŒΙµβρασε ‚du wurdest Imbrasos! genannt‘ oder
Theokrit XVIII 9: ὄλβιε κοῦρε γένοιο ‚werde ein glücklicher Junge!‘, d.h. ‚werde einer‘, zu dem man
sagt ‚glücklicher Junge!‘. Beide Konstruktionen sind sehr selten und machen den Eindruck einer
gewollten stilistischen Finesse. Im gveda habe ich keine Fälle mit Partizip gefunden.
526
Sabine Ziegler
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Liederkreis, aus dem vedischen Sanskrit übersetzt und hrsg. von M.W. und T.G. unter
Mitarbeit von Eijirō Dōyama und Mislav Ježić. Verlag der Weltreligionen im Insel-Verlag
Frankfurt/Main.
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