Revolution im Meer

Werbung
tr.0413.026-031
21.03.2013
12:37 Uhr
Seite 26
HORIZONTE
FISCHZUCHT
Aquapods sind schwimmende Fischfarmen.
Es gibt sie in verschiedenen Größen bis zu
25 Meter Durchmesser. Ihr Vorteil: Die
Fische können weit draußen im Ozean
aufwachsen und haben immer
frisches Wasser.
REVOLUTION
IM
MEER
Der Welthunger nach Fisch steigt, aber die Meere sind leer. Neue FarmingTechnologien zu Wasser und zu Land sollen die Probleme der Aquakultur
lösen und die Menschheit mit nachhaltigem Fisch versorgen.
eil Sims sagt zur Begrüßung und zum
Abschied „Aloha“. Sims, groß und
schlank, trägt Vollbart und Sonnenbrille
und hat einen Schlapphut auf. Er steht auf dem
Schoner „Machias“, an dem ein Kugelkäfig mit
einem Seil befestigt ist. Die Kugel mutet an, als
wäre sie direkt aus einem Raumschiff gerollt
und in den Ozean geplumpst. Hier in Hawaii
hat Sims zum allerersten Mal Fische in einem
mobilen Aquapod bis zur Schlachtreife herangezogen. Mit Erfolg: „Das Wachstum war phänomenal“, sagt
Sims voller Enthusiasmus. „Nach nur vier Monaten hatten sie ihr
Schlachtgewicht erreicht. Wir vermuten, dass es daran gelegen
haben könnte, dass sie mit der Strömung schwammen und
N
26
dadurch Energie einsparten.“ Und: Fast alle Tiere überlebten.
Die Käfige bestehen zwar nur aus einem Plastikgerüst, sind aber
mit einem Gitter aus einer Kupfer-Nickel-Legierung umhüllt
(siehe Grafik S. 28). „Die hat kein Hai geknackt.“
Hergestellt werden die futuristischen Kugelkäfige von Ocean
Farm Technologies. Wer nach Pioniertaten in der Meeresfischzucht sucht, landet schnell bei der Firma aus dem USBundesstaat Maine. 2008 baute sie zusammen mit Clifford
Goudey, damals Leiter des MIT Sea Grant Offshore Aquaculture Engineering Center, den Prototyp eines ferngesteuerten
Aquapods. Angetrieben von zwei Rotoren, schwebte der Käfig
langsam durch das Meer vor Puerto Rico. Goudey saß an der
Fernsteuerung und hielt den Käfig mithilfe von GPS auf dem
richtigen Kurs.
TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2013
©
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
links
26
Fotos: Ocean Farm Technologies, Kampachi Farms/ Rick Decker
VON JENS LUBBADEH
tr.0413.026-031
21.03.2013
12:37 Uhr
Seite 27
Es blieb ein Prototyp, aber
es war ein erster Schritt hin zur
Vision einer sauberen Offshore-Aquakultur, die nicht
mehr Ozeane und Umwelt
belastet. Aquakultur, wie sie
heute praktiziert wird, sieht
normalerweise anders aus:
vollgepferchte Käfigbatterien
vor den Küsten, welche die
Gewässer belasten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen,
beherrscht eine Aqua-Unkultur den Weltmarkt (siehe Kasten S. 30).
Nun will Sims die Vision
mobiler Fischfarmen endlich
Wirklichkeit werden lassen.
Die Kugelkäfige von Ocean
Farm Technologies werden
zwar bereits in Korea, Panama,
Mexiko und den USA eingesetzt, allerdings fest verankert
am Meeresboden. Bei einem
Durchmesser von 8 bis 20 Metern können sie bis zu 60 000
Fische fassen. Das „Time Magazine“ kürte sie zu einer der
besten Innovationen des Jahres 2012. Doch das reichte Sims
nicht. Er will in ihnen Fische
frei treibend aufziehen und
damit fast unter natürlichen
Lebensbedingungen. 2011 und 2012 hat er seine Idee im VelellaProjekt getestet, unter anderem gefördert von der National
Science Foundation. Die Vorteile: Die Fische hatten ständig
frisches Wasser und nahezu artgerechte Bedingungen.
Die Welt ist auf Nachschub aus den Farmen angewiesen: Zwei
von drei Fischen, die auf unseren Tellern landen, stammen aus dem Meer, aber nur mit
wenigen Arten gelingt die Zucht. Der Output
der Fischerei stagniert seit etwa 20 Jahren, rund
ein Drittel der Fischgründe sind überfischt. Ein
Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Bei
dem derzeitigen Pro-Kopf-Verbrauch müssen
bis 2030 für die dann geschätzten 8,3 Milliarden
Erdbewohner zusätzliche 23 Millionen Tonnen
Fisch her, hat die Welternährungsbehörde FAO
errechnet. Ganze Forschungsinstitute arbeiten
daran, wie der Bedarf zu befriedigen ist. Seit den
80er-Jahren treiben die USA die Entwicklung
der Aquakultur vehement voran. Die europäische Union hat den 6,5 Milliarden Euro schweNeil Sims zeigt
ren Europäischen Meeres- und Fischereifonds
stolz eine
aufgesetzt, mit dem von 2014 bis 2020 eine Stachelmakrele,
nachhaltige Fischerei und Aquakultur in
die er in dem
Europa aufgebaut werden soll. Der Markt ist
schwimmenden
Fischkäfig
gigantisch: Die Aquakultur ist der am schnellsgemästet hat.
ten wachsende Bereich der Lebensmittelindus-
trie. Die heutige Weltproduktion ist 100 Milliarden Dollar wert.
Die große Herausforderung lautet: Wie kann man den Fisch
nachhaltig produzieren?
Die Antwort: Entweder in großen Käfigen tief im Ozean,
wie es Neil Sims tut. Oder in Hightech-Kreislaufanlagen tief im
Landesinneren. Doch was auf den ersten Blick einfach klingt, ist
eine riesige Herausforderung. Die Zucht von Meeresfischen ist
kompliziert, weil die Tiere sehr empfindlich darauf reagieren,
wenn das Wasser in dem sie schwimmen, von ihren Ausscheidungen verschmutzt wird.
Genau aus diesem Grund will Neil Sims die Fische dort
halten, wo sie ohnehin leben: auf hoher See. Er seilte den Aquapod an ein Segelschiff, zog ihn hinaus aufs Meer und pumpte
über eine Pipeline 2000 Jungfische der Stachelmakrele Seriola
rivoliana hinein. Der Raubfisch schmeckt wie weißer Thun und
wird für Sushi verwendet. Dann ließ Sims Schiff und Aquapod
einfach vor sich hin treiben. Acht Monate lang. Hawaii war für
den Test wie geschaffen, weil es vor den Inseln Ringströmungen
gibt, die sogenannten Eddies, in denen Pod und Schiff nicht
verloren gehen können. Per GPS überwachte Sims ständig die
Position des Pods.
Biologisch gesehen war Velella ein Erfolg. Aber Sims hatte
mit technischen Problemen zu kämpfen: „Wir waren nicht in der
Lage, den genauen Verlauf der Eddies vorherzusagen und wussten daher nie, wohin der Aquapod treiben würde.“ Zudem war
die Datenübertragung via Satellit langsam, unzuverlässig und
teuer. Aber das größte Problem waren die Zugkräfte auf den
Pod. Sims nutzte im Velella-Projekt ein sehr kleines Exemplar
von nur rund sechs Metern Durchmesser, nachdem ein anfänglicher Test mit zwei Acht-Meter-Pods im Tandem gescheitert war. Das Seil riss, die Kugelkäfige gingen verloren. Sims
seufzt: „Ich fürchte, bei großen Käfigen wird man sich wohl ein
anderes Design ausdenken müssen, wenn man sie frei treiben
lassen will.“
Also doch lieber Käfige fest verankern? Nicht überall sind
die Bedingungen so gut wie vor Hawaii. Harter Wellengang,
nicht vorhersagbare Strömungen und Hurrikane machen die
TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2013
©
27 rechts
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
27
tr.0413.026-031
21.03.2013
12:37 Uhr
Seite 28
HORIZONTE
FISCHZUCHT
Offshore-Fischzucht zu einem schwer kalkulierbaren Risiko.
Schon die Anlagen sind kostspielig – der Preis des kleinsten
Aquapods beträgt 25 000 Dollar. Aber Fütterung, Überwachung
und Wartung weit draußen im Ozean treiben die Betriebskosten dramatisch in die Höhe.
Bela Buck ist überzeugt, eine günstigere Alternative zu haben. Der Forscher vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven sieht eigentlich noch viel zu jung aus für einen Professor, vor
allem, wenn er mit Sonnenbrille auf der Nordsee unterwegs ist.
Und dort war der 44-Jährige in den letzten Jahren oft. Buck hatte
eine zündende Idee: Warum nicht dort Fischfarming betreiben,
wo es schon Infrastruktur gibt – nämlich in Offshore-Windparks.
„Man könnte sich den Betrieb der Schiffe teilen“, sagt er, „und
dadurch eine Menge Geld sparen.“
Buck zeigt eine Karte von der deutschen Nordsee auf seinem
Laptop. „Die Nordsee ist schon ziemlich voll.“ Mit jedem Tastendruck füllt sie sich mehr mit farbigen Flächen und Linien:
Militärgebiete, Naturschutzgebiete, Pipelines, Stromkabel, Bohrplattformen. „Es bleiben eigentlich nur Windparks übrig, wenn
man dort Fische züchten will.“ InSCHWIMMENDE FISCHKÄFIGE
nerhalb der riesigen mehrbeinigen Fundamente der Windräder
AQUAPODTM
will Buck Fischkäfige installieren.
Modell
A3600
Durchmesser
19,6 m
Als Futter will er das nehmen, was
GPS-Sender
Volumen
3 625 m
die Betreiber aufwendig von den
Trockengewicht 17,00 t
Gewicht
210 kg
Sockeln entfernen und dann wegim Meerwasser (auftriebslos)
werfen: Miesmuscheln, die sich
überall anhaften. Buck plant sogar schon Spezialroboter, die diesen Job erledigen sollen.
Es wird aber noch ein paar
Jahre dauern, bis er die erste Testanlage bauen kann. Die Parkbetreiber haben mit den harschen
Bedingungen in der Nordsee so
Gerüst aus Fiberglasverstärkten
viel zu tun, dass sie sich nicht auch
Polyethylen-Streben
noch um Fischfarmen kümmern
Gitter aus Kupfer-Nickel-Legierung
wollen. Zeigen muss sich zudem
noch, welche Käfig-Bauweisen bis
neutraler Auftrieb
zu vier Meter Tidenhub, acht Meter hohe Wellen und Stürme überDurchmesser 9,75 m
18,9 m
19,5 m
24,38 m
stehen werden. Informationen
Quelle: Ocean Farm Technologies
Modelle
A420
A3250
A3600
A7000
darüber sammelt Buck derzeit in
Wellenkanal-Experimenten.
Verglichen mit der Nordsee
MEER AUF DEM LAND
geht es in der Inlands-Fischfarm
3 NITRIFIKATION
2 ABSCHÄUMER
der Firma Neomar in Völklingen
so ruhig zu wie in einem Hallenbad. Die Firma hat das Meer einfach an Land geholt. Der MeeresStickstoff
BIOFILTER
biologe Uwe Waller kam 2009
ENTGASER
kleine Feststoffe
Ozon
+ Luft
hierher, um die Anlage aufzubauen. Die Saarländer wagen
damit etwas, woran schon einige
gescheitert sind: Meeresfische in
TROMMELFILTER
1
einer Salzwasser-Kreislaufanlage
zu züchten. Entwickelt wurden
solche Anlagen, in denen das
Fischbecken
gesamte Wasser vollständig wiederaufbereitet wird, für Süßgrobe Feststoffe
wasserfischarten – vorwiegend
Barsch, Lachs, Aal und Forelle. An
In der Fischzucht-Kreislaufanlage in Völklingen wird das Wasser fast vollständig wiederaufbedie Zucht der viel empfindlichereitet. Zunächst holen Trommelfilter (1) große Verunreinigungen mechanisch heraus. Der
ren Meeresfische hatte sich bisher
Abschäumer (2) simuliert die Gischt des Meeres, an ultrafeinen Luftbläschen bleiben Proteine
kaum jemand getraut. Doch wenn
und Fette hängen und werden abgesondert. Im Biofilter (3) machen Bakterien die Ammoniumalles planmäßig läuft, werden
Ausscheidungen der Fische zu Stickstoff, der entweicht.
Ende des Jahres in der Völklinger
28
TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2013
©
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
links
28
Grafik. Birte Schlund, Foto: HTW
3
tr.0413.026-031
21.03.2013
12:37 Uhr
Seite 29
Uwe Waller
züchtet in einer
Kreislaufanlage
Meeresfische –
mitten im
Saarland,
Hunderte von
Kilometern von
der nächsten
Küste entfernt.
Anlage die ersten Wolfsbarsche, Störe und Doraden geerntet.
Und das Hunderte von Kilometern von der Küste entfernt.
Waller, dünn, drahtig, beredt und enthusiastisch, ist ein alter
Hase der deutschen Aquakultur. In Kiel hat er das Aquarium
geleitet und bei Hannover gemeinsam mit Martin Sander eine
Versuchsanlage zur Zucht von Wolfsbarschen konstruiert. Festen und schleunigen Schritts führt er zum Eingang der fußballfeldgroßen Halle, die von außen grau und unscheinbar wie ein
gewöhnlicher Industriekomplex wirkt. Er betritt eine Schleuse,
in der grüne Plastikoveralls hängen und weiße Gummistiefel
herumstehen. Überzüge für die Schuhe sind Pflicht, ebenso wie
Händewaschen und Desinfizieren. „Wir müssen vorsichtig sein“,
sagt Waller. „Wenn man einmal einen Krankheitserreger in der
Anlage hat, war’s das.“ Die Vorsicht ist berechtigt, denn anders
als in vielen Aquakulturen weltweit werden in Völklingen keinerlei Antibiotika eingesetzt.
Im Inneren der Halle riecht es nach frischem Beton. Alles ist
neu und unbenutzt. Ein wenig erinnert der Raum an ein riesiges
Schwimmbad. In die vier 30 mal 30 Meter großen und 1,90 Meter
tiefen Kunstteiche passen zehn Millionen Liter Wasser, etwa doppelt so viel wie in zwei große Schwimmbecken. Noch sind sie leer,
aber schon bald wird in sie das selbst hergestellte Meerwasser mit
den ersten Stören einströmen. In der Mitte ragt an einem Spiralkabel eine Sonde herunter, die dann permanent Sauerstoffgehalt,
Temperatur und pH-Wert des Wassers überwachen wird.
Fischzuchtanlagen an Land gibt es seit den 50er-Jahren.
Doch erst in den vergangenen Jahren war die Reinigungstechnik ausgereift genug, dass die Fische gesund heranwuchsen und
auch gut schmeckten. Zudem war Meeresfisch lange Zeit so billig, dass sich die komplexe Technologie nicht gerechnet hätte.
Und es gab eine Reihe von Fehlschlägen, darunter der gescheiterte Versuch der Firma Ecomares. Sie wollte in Büsum Wolfsbarsch in Salzwasser produzieren, musste jedoch 2007 Insolvenz
anmelden. Auch heute noch haben viele Kreislaufanlagen technische und finanzielle Probleme, wie Maddi Badiola, Forscherin am spanischen AZTI-Tecnalia, in einer europaweiten Umfrage unter 17 Betreibern herausfand. Zwei Drittel der Anlagen
gaben zu, dass sie umbauen mussten.
In Völklingen will man aus
den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Die 20-Millionen-Euro-Anlage hat die
neueste und beste Filtertechnologie zu bieten, die es derzeit gibt, versichert Uwe
Waller. Und man braucht sie
auch, denn „Meeresfische reagieren äußerst empfindlich auf
Verunreinigungen im Wasser“. Die gesamte Anlage ist ein
komplexes Kreislaufsystem –
ein kleines Meer auf dem Festland. In ihr müssen all die Prozesse stattfinden, die normalerweise im Ozean ablaufen.
Das klingt vermessen, doch die
Betriebsleiterin der Anlage,
Verena Hanke, versichert: „Ich
habe schon einige Aquakulturen gesehen, sowohl in Deutschland
als auch weltweit. So eine hohe Qualität gibt es nirgends.“ Die 29jährige studierte Meeresbiologin steht im Eingangsbereich vor
einem großen blauen Rundbecken und füttert die allerersten
Bewohner: 4000 Babystöre, die sich im Wasser tummeln und
offenbar wohlfühlen. Hanke sagt: „Die Fische haben es hier gut.“
Bald werden sie in die großen Becken geleitet, wo dann
die Ausscheidungen der Fische – Kot, Ammonium, CO2 – aufwendig aus dem Wasser gefiltert werden. Im Meer würden
Algen und Bakterien diesen Job erledigen. Hier müssen es ausgeklügelte Maschinen machen. Waller führt zu einem Nebenbecken, das mit einer weißen, sich bewegenden Masse gefüllt ist.
Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein riesiger Eis-Crusher.
Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich die weiße Masse
als Ansammlung Tausender kleiner Plastikringe. „Das ist unser
Biofilter.“ Auf den Ringen siedeln sich Bakterien an, die das
Ammonium im Wasser zuerst in Nitrat und dann in Stickstoff
verwandeln (siehe Grafik links). Verunreinigungen – Futterreste,
Staub, Eiweiß, Fett –, die das Meer an den Küsten mit der Gischt
loswird, muss in Völklingen der Abschäumer herausholen. Noch
steht die Maschine still, aber Waller zeigt eine kleinere Version
des Apparats in der Forschungsanlage neben der Zuchthalle:
Das Wasser läuft durch eine gläserne Säule, in die winzige Luftblasen gepumpt werden. Oben läuft wie bei einem zu voll gegossenen Bier ständig Schaum in ein Auffangbecken und mit
ihm der Schmutz. Das CO2 im Wasser treibt Waller mit Luft aus,
den pH-Wert stellt er mit Kalk ein.
Aber einen Teil des Kohlendioxids will er nutzen: Neben der
großen Halle stehen zwei kleine Gewächshäuser, in die ein Teil des
ungefilterten Wassers geleitet wird. Im Inneren sind Becken, auf
denen Styroporplatten mit Pflanzen schwimmen: Seespargel. Waller hebt eine Platte an, durch ein Loch in der Mitte ziehen lange
fadenförmige Wurzeln ins Wasser. Den Seespargel kann man
essen, er schmeckt wie eingelegte Salzgurke. Waller zeigt auf eine
andere Pflanze: „Und aus der kann man ein prima Pesto machen.“
Dank der ausgeklügelten Wiederaufbereitung arbeitet die
Fischzuchtanlage sehr sparsam. Nur ein Prozent des Wassers
muss ersetzt werden. „Früher lag die Rate bei 15 bis 20 Prozent“,
TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2013
©
29 rechts
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
29
tr.0413.026-031
21.03.2013
12:38 Uhr
Seite 30
HORIZONTE
FISCHZUCHT
FISCHE IM TRÜBEN
Heutige Aquakultur verlagert das Überfischungsproblem nur oder
verschärft es sogar. Denn gefüttert wird überwiegend Fischmehl und
Fischöl. Was früher aus Beifang hergestellt wurde, ist mittlerweile ein
lukrativer Zweig der Hochseefischerei-Industrie geworden und strapaziert die Meere zusätzlich. 2008 verbrauchte Aquakultur 60 Prozent des
global verfügbaren Fischmehls und 73 Prozent des Fischöls. Das lässt
die Preise steigen: Eine Tonne Fischmehl rangiert mittlerweile bei über
2000 Dollar, Anfang des neuen Jahrtausends waren es noch 450.
WELTWEITE PRODUKTION VON FISCH UND MEERESFRÜCHTEN
gesamte Fischproduktion
175
Fischfang
150
Aquakulturen gesamt
125
marine Aquakultur
100
Stagnation
75
Verzwölffachung
der Produktion
seit 1983
50
Mio. Tonnen
In den letzten Jahrzehnten hat Aquakultur ein schwindelerregendes
Wachstum erlebt: 60 Millionen Tonnen Meeresfrüchte und Fisch werden
heute in Farmen produziert – zwölfmal so viel wie 1983. Dem gegenüber
stehen 88 Millionen Tonnen aus der Fischerei, deren Output seit Jahren
stagniert. Der Hauptteil der weltweiten Aquakultur spielt sich im Landesinneren ab, meist in Teichen. Ein Drittel ist küstennahe Marikultur. Im
Inland werden hauptsächlich Barsche, Karpfen und Forellen produziert.
Im Ozean vorwiegend Muscheln, Shrimps und Lachs. Hauptproduzent ist
mit großem Abstand China, das 70 Prozent der Weltproduktion stellt.
25
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
N N
weitere
60
Mollusken
50
Krebstiere
40
Salzwasserfische
30
diadrome Fische
(leben in Süß- und Salzwasser)
20
Süßwasserfische
Mio. Tonnen
Aquakultur verursacht Umweltprobleme, die wiederum zum ökonomischen Problem werden. Aus offenen Netzkäfigen, Lagunen oder Durchflussanlagen entkommen Zuchtfische und gefährden die Wildbestände.
Ausscheidungen, Abfälle und Antibiotika verschmutzen die Gewässer
und führen immer wieder zu Epidemie-Ausbrüchen in den überfüllten
Anlagen. In Chile, Kanada und Norwegen traf es mehrfach Lachsfarmen,
in Frankreich Austernbänke und in Asien, Südamerika und Afrika
Shrimpsfarmen.
10
1970
1980
1990
2000
2008
Quelle: FAO
DIE GROSSEN AQUAKULTUR-NATIONEN
Deutschland
39 957 t
EU 2 499 910 t
China 34 783 268 t
Vietnam 2 556 200 t
Indien
3 791 920 t
Bangladesh
1 064 285 t
Grafik: Birte Schlund, Foto: NOAA
Thailand
1 396 020 t
Indonesien
1 749 294 t
keine
Angaben
30
0–
100 t
101 –
1000 t
1001 –
5000 t
5001 –
200 000 t
200 001 –
1 000 000 t
1 000 001 –
5 000 000 t
> 30 000 000 t
Quelle: FAO
TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2013
©
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
links
30
tr.0413.026-031
21.03.2013
12:38 Uhr
Seite 31
sagt Waller. Den Wasserverlust zu reduzieren war ein entscheidender Fortschritt zur Kostensenkung. Trotzdem lohnt sich der
ganze Aufwand nur für die Produktion hochpreisigen Fischs, wie
eben Stör, Dorade, Wolfsbarsch und der Gelbschwanzmakrele,
einem Verwandten der Art, die Neil Sims im Aquapod heranzieht.
Bert Wecker, Geschäftsführer von Neomar, will pro
Jahr 500 bis 1000 Tonnen Fisch zu einem Kilopreis von 15 bis
20 Euro herstellen. „Damit liegen wir preislich etwas höher als
gängige Aquakultur und etwas unterhalb von Bio-Aquakultur“,
sagt Wecker. Über die Nachfrage macht er sich keine Sorgen:
„Wir haben hier frischen Fisch in Top-Qualität, regional und
nachhaltig erzeugt. Den werden wir schon los.“ Wecker hofft, innerhalb weniger Jahre schwarze Zahlen zu schreiben und damit
die vielen Kritiker der Anlage zum Verstummen zu bringen.
Der Wettbewerb ist hart. Kreislauf-Aquakulturanlagen sind
insgesamt etwa 20 Prozent teurer als Käfighaltung in Küstennähe, meint Waller. Sie sind ein finanzielles Risiko. In der Umfrage von Maddi Badiola gaben 80 Prozent der befragten Anlagenbetreiber an, finanzielle Schwierigkeiten zu haben. Im Schnitt
brauchen sie acht Jahre, bis sie das investierte Kapital wieder
hereinholen. Das Schwierige: Für jede Fischart sieht die Kostenkalkulation anders aus.
Unmöglich ist ein gutes Geschäft aber keineswegs. Michael
Ebeling vom Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg hat
eine beispielhafte Kostenrechnung für eine neun Millionen Euro
teure Kreislaufanlage aufgestellt, die jährlich 400 Tonnen Steinbutt produziert. Ergebnis: Ab einem Kilopreis von 8,52 Euro
würde sie schwarze Zahlen schreiben. Das sind zwar knapp zwei
Euro mehr als der Preis von Fischerei-Steinbutt. Aber auch zwei
Euro weniger als der Preis von Importware, die man benötigt, um
den heimischen Bedarf zu decken, weil die eigene Fischereiflotte
zu wenig fängt. Für den Steinbutt würde sich die aufwendige
Zucht in der Kreislaufanlage lohnen. Das Risiko ist dennoch
hoch: „Das Problem dieser Anlagen ist: Bau und Betrieb sind
sehr teuer, und es dauert lange, bis der erste Fisch verkauft wird“,
sagt Ebeling. Und dann sind da noch die ständig schwankenden
Kosten für Jungfische und Nahrung. Das Futter ist vielleicht
das größte Problem der Aquakultur. Denn die teuren und
schmackhaften Raubfische werden meist mit Fischmehl gefüttert. Für seine Produktion muss
nach wie vor gefischt werden,
weswegen sein Preis stetig
steigt. Händeringend suchen
die Futtermittelhersteller nach
Alternativen. Wie groß der
In der am
Druck ist, zeigt eine EntscheiMeeresboden
dung der EU. Sie hat das im
verankerten
Zuge der BSE-Krise erlassene
SeaStation der
Firma
Tiermehl-Verbot für die FischOceanSpar
fütterung gekippt. Ab dem
können in bis
1. Juni dürfen Fische wieder
zu 30 Metern
Schweine und Hühner fressen.
Tiefe ZehnDie Alternative ist, Raubfi- tausende Fische
sche zu Vegetariern zu machen.
gezüchtet
Wie gut sie mit pflanzlichem
werden.
Futter heranwachsen, testet Carsten Schulz an der Gesellschaft für
Marine Aquakultur in Büsum. Schulz, gut gelaunt und mit jungenhafter Ausstrahlung, pocht genau wie Uwe Waller auf Hygiene
beim Betreten der Versuchsanlagen. Er greift in eine Schüssel mit
kleinen Pellets und wirft ein paar von ihnen in einen der großen
Bottiche vor ihm: Plötzlich gerät die graue Bodenschicht in
Bewegung. Wie kleine, nur handtellergroße Rochen flattern die
Steinbutte zur Wasseroberfläche und schnappen nach den Pellets. Im Meer würden sie kleine Fische und Krebse verspeisen.
„Wir geben ihnen Proteine aus Rapskuchen“, erzählt Schulz.
Rapskuchen ist ein Abfallprodukt der Biodieselherstellung
und wird auch in der Schweinemast verwendet. Fische sind allerdings wählerischer als Borstentiere, sie mögen die im Raps enthaltenen Bitterstoffe nicht. Aber nach den Pellets von Carsten
Schulz sind sie ganz verrückt. Er greift noch mal in die Schüssel
und schmeißt eine Handvoll ins Wasser. Die Steinbutte schießen
hoch. Schulz grinst. „Wir haben die Bitterstoffe herausgeholt.“
Dennoch fehlen dem Rapsfutter noch einige Aminosäuren.
Schulz sucht daher die perfekte Futter-Kombination für die
Fische. Bei den Steinbutten ist er schon fast am Ziel. Aber für
jeden Fisch sieht die Rezeptur anders aus.
Seine Stachelmakrelen vor der Küste Hawaiis hat Neil Sims
schon fast zu Vegetariern gemacht: Sie bekommen 80 Prozent
Soja und nur noch 20 Prozent Fischmehl. Künftig sollen sie nur
noch Soja fressen. Und Sims will die technischen Probleme lösen,
die er während des Velella-Projekts hatte. In einer Tiefe von
2000 Metern will er den Pod am Meeresboden mit einem 4000
Meter langen Seil befestigen. So hat er genug Spiel, dass er sich
in einem Radius von 3,5 Kilometern permanent bewegen kann.
Auch die Fütterung soll automatisiert erfolgen. Der Vorteil: „Wir
wissen, wo der Pod ist, und wir minimieren die Zugkräfte.“ Im
Juli soll das Experiment starten.
Aquapod-Pionier Clifford Goudey ist optimistisch, dass
sein Traum von der mobilen Fischfarm bald Realität wird: „Wir
können Roboter ferngesteuert über den Mars fahren lassen.
Mobile Fischfarmen zu steuern ist im Vergleich dazu trivial.“
TECHNOLOGY REVIEW | APRIL 2013
©
31 rechts
Copyright by Heise Zeitschriften Verlag
31
Herunterladen