www.evimed.ch Erhöhung der Verschreibungsrate von Antidepressiva durch direkte Werbung bei Patienten Frage: Was ist der Effekt von Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente auf die Verschreibungsrate von Antidepressiva durch Ärzte, wenn sie direkt Patienten mit einer Depression oder Anpassungsstörung anspricht? Hintergrund: In den USA ist es erlaubt, Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente direkt beim Patienten zu machen (sogenanntes Direct-to-consumer Advertising). Gegner argumentieren, dass dadurch Patienten unnötig behandelt werden und dass Nebenwirkungen und Kosten bedeutender sind als allfällige kleine Effekte. Befürworter sagen, dass eine Unterbehandlung vermieden werden kann, wenn Patienten auf die Möglichkeit einer Therapie aufmerksam gemacht werden. Es ist allerdings nicht bekannt, wie stark sich das Direct-to-consumer Advertising auf die Verschreibungsrate von Ärzten auswirkt. Einschlusskriterien: • Praktizierende Ärzte (Internisten und Allgemeinmediziner) von vier Ärzte-Netzwerken Studiendesign: Randomisiert, kontrollierte Studie Studienort: San Francisco, Sacramento (beide Kalifornien) und Rochester (New York), USA Intervention: • Beide Gruppen: In den drei Städten gab es je sechs Schauspielerinnen, welche zwei streng standardisierte Rollen spielten. Die erste Rolle (Depression) war eine 48-jährige, geschiedene Frau, die sich seit zwei Wochen niedergeschlagen und mit wenig Energie fühlt. Die zweite Rolle (Anpassungsstörung) war eine 45-jährige, geschiedene Frau, die wegen des Wegzugs ihrer Firma nicht mehr arbeitet und sich seither gestresst fühlt und unter Schlafstörungen leidet (Details siehe Studie). • Interventionsgruppe: Die Schauspielerinnen fragten den Arzt entweder, ob bei ihnen nicht ein bestimmtes Antidepressivum (Paxil) oder irgendein Antidepressivum (ohne Angabe eines bestimmen Produkts) indiziert wäre. Bei der Frage nach Paxil gaben sie an, eine Sendung über dieses Medikament gesehen zu haben, während die Schauspielerinnen bei der Frage nach irgendeinem Antidepressivum angaben, eine nicht-kommerzielle Sendung über die Depression gesehen zu haben. Paxil wurde gewählt, weil für dieses Produkt während der Studienzeit Werbung sehr aktiv gemacht wurde. • • Kontrollgruppe: Nur Spielen der Rolle ohne Erwähnen eines Antidepressivums. Die Ärzte wurden mindestens zwei Monate vor den Konsultationen angefragt, ob sie an der Studie mitmachen möchten. Sie wurden aber nicht über die Studienfrage informiert und auch nicht darüber, wann eine Schauspielerin erscheinen würde. Zwei Wochen nach der Konsultation wurden die Ärzte befragt, ob sie bei einer Patientin gemerkt hatten, dass es sich www.evimed.ch um eine Schauspielerin gehandelt hatte. 13% der Ärzte äusserten diesen Verdacht, während 87% nichts bemerkten. Outcome: • • Anzahl Verschreibungen eines spezifischen (Paxil) oder irgendeines Antidepressivums. Anzahl Aufforderungen für Kontrollkonsultationen und Überweisungen an Psychiater Resultat: • • • Die 18 Schauspielerinnen hatten bei 152 Ärzten (67% Internisten und 33% Allgemeinmediziner) 298 Konsultationen. Patientinnen mit einer Depression und der Frage nach irgendeinem Antidepressivum erhielten am häufigsten eine Verschreibung (76%). Wenn nach dem spezifischen Antidepressivum gefragt wurde, erhielten 53% ein Antidepressivum und oft auch gleich das erwähnte spezifische Antidepressivum. Demgegenüber erhielten Patientinnen mit einer Anpassungsstörung am häufigsten eine Verschreibung (55%), wenn sie nach Paxil fragten. Rolle 1 „Patientin mit Depression“ Frage nach irgendeinem Antidepressivum Frage nach dem spezifischen Antidepressivum Keine Frage nach dem spezifischen Antidepressivum Rolle 2 „Patientin mit Anpassungsstörung“ Frage nach irgendeinem Antidepressivum Frage nach dem spezifischen Antidepressivum Keine Frage nach dem spezifischen Antidepressivum • % Schauspielerinnen mit Verschreibung eines Antidepressivums % Schauspielerinnen mit Verschreibung eines spezifischen Antidepressivums (Paxil) 76% 53% 31% 2% 27% 4% 39% 55% 10% 10% 37% 0% Die Anzahl Aufforderungen für Kontrollkonsultationen unterschied sich nicht zwischen den Gruppen. Dagegen wurden die Schauspielerinnen mit Depression viel häufiger an einen Psychiater überwiesen, wenn sie nach einem Antidepressivum gefragt hatten (50% gegenüber 19% ohne Frage nach Antidepressivum). Kommentar: • • Diese originelle Studie zeigt, dass Schauspielerinnen deutlich häufiger ein Antidepressivum verschrieben bekamen und an Psychiater überwiesen wurden, wenn sie danach fragten, als wenn sie nur ihre Beschwerden schilderten. Nicht sehr überraschend bekamen die Schauspielerinnen häufiger ein bestimmtes Produkt verschrieben, wenn sie nach diesem fragten. Die Rollen wurden so entwickelt, dass eine klare Indikation für eine Behandlung bei der Depression vorlag und eine fraglich Indikation bei der Anpassungsstörung. Bei beiden Krankheitsbildern erhöhte sich die Verschreibungsrate stark, wenn die Schauspielerinnen, ausgelöst durch eine Fernsehwerbung oder -sendung, nach einem Medikament fragten. Allerdings war dieser Effekt bei der Frage nach einem spezifischen Antidepressivum gleich bei der Depression und Anpassungsstörung, während bei der Frage nach irgendeinem www.evimed.ch • Antidepressivum die Verschreibungsrate bei der Depression deutlich höher war als bei der Anpassungsstörung. Die Studie deutet also darauf hin, dass mit kommerziellen und nichtkommerziellen Informationen im Fernsehen die Rate an gerechtfertigten Behandlungen erhöht werden kann. Sie zeigt aber auch, dass ein Direct-to-consumer Advertising, wie es in dieser Studie bei der Fernsehsendung über Paxil der Fall war, zu einer Überbehandlung bei fraglicher Indikation (in dieser Studie eine Anpassungsstörung) führen kann. Literatur: Kravitz et al: Influence of Patients' Requests for Direct-to-Consumer Advertised Antidepressants: A Randomized Controlled Trial. JAMA. 2005 Apr 27;293(16):1995-2002. Verfasser: Milo Puhan