SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde CON FUOCO – MIT FEUER UND FLAMME (1) Von Sabine Weber Sendung: Montag , 04. August 2014 Redaktion: Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 Musikstunde mit Sabine Weber CON FUOCO – MIT FEUER UND FLAMME Folge 1 MODERATION Signet Ich bin Sabine Weber. Herzlich Willkommen zu einer Musikstunden-Woche, in der es von der ersten bis zur letzten Minute hoch explosiv zu geht. Titelmusik Con-Fuoco – mit Feuer und Flamme gehen wir zur Sache: neben mir liegen die Asbest-Handschuhe bereit. Das feurige Element lodert in dieser Woche durch die Musik. Greift über, zündelt, wird kunstvoll entfacht und sorgt in der ersten Stunde für großes und heißes Flammentheater! Allerdings … es gibt und gab schon immer ... Ladehemmung! Nachdem Georg II. von England 1748 in Aachen seine Unterschrift unter den Friedensvertrag im österreichischen Erbfolgekrieg gesetzt hat, beschließt er, diesen europäischen Frieden mit einem Feuerwerk zu feiern. Der damals berühmte italienische Pyrotechniker Chevalier Servandoni wird nach London engagiert. Sein Team baut eine riesige Feuerwerksmaschinerie im Green Park auf. Und Georg Friedrich Händel probt in {spr. Wokkshol} Vauxhall Garden am musikalischen Ernstfall. Mit 100 Blas- und Perkussionsinstrumenten studiert er eine Feuerwerksmusik ein. Die öffentliche Probe zieht Zehntausende an. Die Neugierigen verursachen einen der ersten Verkehrsstaus der Moderne - auf der London Bridge. Und dann kommt der Moment. Halb neun morgens geht es los. Aber die Feuerwerke zünden nicht richtig. Um Mitternacht ist ein Großteil immer noch 2 3 nicht abgefeuert! Die Zuschauer verlassen das Feld ermüdet. Die Zeitungen kommentieren sarkastisch diese Show mit Ladehemmung. Aber die Musik, die hat gezündet. Die geht als Erfolg in die Annalen ein! 1) Länge: 7'54 kein LC TELARC 80594 Georg Friedrich Händel, Ouvertüre aus Music for the Royal Fireworks HWV 351 Boston Baroque, Martin Pearlman (LTG) MODERATION Das war die Ouvertüre aus der Music for the Royal Fireworks von Georg Friedrich Händel mit dem Boston Baroque unter der Leitung von Martin Pearlman. In dieser Version fehlen natürlich die 100 Blas- und Schlagzeuger, die Kriegsinstrumente, die für den Frieden blasen und bei der Uraufführung gegen ein krachendes Feuerwerk ankommen mussten. Die Streicher-Version - mit deutlich gemäßigtem Bläsereinsatz - erlebt einen Monat später, im Mai des Jahres 1749, ihre Premiere und zwar ohne Feuerwerk in einem Londoner Waisenhaus. Das Feuerwerk - und auch Händels Feuerwerksmusik - waren für Friedensfeierlichkeiten bestimmt. Sie sollten das Ende des österreichischen Erbfolgekrieges ein für alle mal und für alle ersichtlich besiegeln. Ein Feuer für den Frieden entzündet auch Johann Sebastian Bach in seiner Pfingstkantate BWV 34 O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe. Sie endet mit einem Friedensgruß oder Wunsch: „Friede über Israel, Friede über euch“. Ein frommer Wunsch, für den Bach im ersten Chorsatz, inspiriert von den feurigen Worten eines unbekannten Dichters, die Flammen tüchtig züngeln lässt. Himmlische Flammen in den Violinen, die um einen Trompetenton züngeln. Der lang gehaltene Trompetenton steht natürlich für die Ewigkeit. Die Friedensfackel soll ja ewig lodern! 3 4 2) Länge: 7'37 LC 06618 ACCENT 25316 Johann Sebastian Bach, Eingangschor aus O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe, BWV 34 Gerlinde Sämann, Sopran, Petra Noskaiova, Alt, Christoph Genz, Tenor, Jan Van der Crabben, Bass, La petite Bande, Sigiswald Kuijken (LTG) MODERATION (1'00) Der Eingangschor aus Johann Sebastian Bachs Kantate O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe BWV 34 - ein Solistenensemble, begleitet von La petite Bande musizierte unter Sigiswald Kuijken. Sie haben die SWR2 Musikstunde eingeschaltet. Und diese Woche bleiben Warnungen wie „Spiel nicht mit dem Feuer!“ ungehört. Die Faszination an feurigen Spielen ist heute nämlich Programm! Von einem irdischen Flammentheater in Paris berichtet Gottfried Tauber in seinem Tanzlehrbuch von 1717. „Die Kleidung der tanzenden Furien besteht aus lauter Flammen, von dem Kopf bis auf die Füße“, schreibt er begeistert. Auch „deren Gesicht ist feuerrot, in ihren Händen brennende Fackeln und auf dem Haupt einige feurige Flämmlein, welche bisweilen unter dem Balletieren verdunkeln.“ Soweit Gottfried Tauber. Wundern Sie sich aber nicht über die Musik, die gleich zu den tanzenden roten Furien oder brennenden Rachegeister auffährt. Der Komponist Jean-Philippe Rameau wusste genau, dass die entflammten Furiengeister nicht allzu furios in Szene gesetzt werden durften, damit sie nicht etwa in die falsche Richtung Funken schlagen: 3) Länge: 1’47; 1’47 LC 05812 SONOMASTER/AMATI SRR9206/1 Jean-Philippe Rameau, Air des furies, gravement – vite aus Hippolyte et Aricie L’Arpa Festante, Michi Gaigg (LTG) 4 5 MODERATION Zwei Air des furies aus der Oper Hippolyte et Aricie von Jean-Philippe Rameau mit L'Arpa Festante unter Michi Gaigg. Nach den feurigen Furien jetzt ein Werk, das in seinem flammenden Titel mit dem Feuer spielt. Joseph Haydns Sinfonie Nr. 59 wird in allen Nachschlagewerken als „Feuersinfonie“ geführt. Als Haydn sie komponierte, gastierte wohl auch eine Schauspieltruppe am Esterhazyschen Hof, die mit dem Stück Die Feuersbrunst für Aufhebens sorgte. Es war wohl der erste Haydnbiograph Carl Ferdinand Pohl, der dann zwischen den beide Werken die Lunte gelegt hat. Er behauptet nämlich, diese Sinfonie, zumindest der erste Satz, habe der Truppe als Schauspielmusik zu ihrem Feuertheater gedient! Das Haydn-Institut in Köln hat auf meine Anfrage hin diese Legende dementiert. Aber feurige Titel brennen sich gerne ein. Und eine Musik mit Feuer und Flamme ist sie allemal, jedenfalls wenn das English Concert unter Trevor Pinnock spielt: 4) Länge: 4’19 LC00113 ARCHIV 435001-2 Joseph Haydn, Presto aus der Sinfonie Nr. 59, Hob. I:59 English Concert, Trevor Pinnock (LTG) MODERATION Das English Concert unter Trevor Pinnock mit dem Presto aus der Sinfonie Nr. 59 von Joseph Haydn. Ein Presto con fuoco – mit Feuer. Dieses erste der vier Elemente beschäftigt die heutige SWR2 Musikstunde. Feurig: gewürzt, getanzt oder gespielt … das Adjektiv versieht die dazugehörende Handlung, Tat oder Empfindung immer mit einer extremen, begeisternden oder gefährlichen Note. In seiner Begeisterung kennt ein Pyromane natürlich keine Grenzen. Er sollte aber für ein Feuerwerk eine gute Dramaturgie entwickeln – denn das Pulver darf er nicht gleich verschießen. 5 6 Claude Debussy hat für sein pianistisches Feuerwerk einen ganz ausgefeilten Plan entwickelt. In der linken Hand züngeln erst Flämmchen im pianissimo. Die rechte Hand lässt darauf hin kleine Ästchen knacken. Dann explodiert die erste Scheite und eine Flamme zischt. Das Feuerwerk beginnt. Feuertöpfe schießen, Goldvulkane sprühen, Feuerräder drehen sich, eine Jazzkapelle spielt einen Tusch, es blitzt und funkelt, baut auf und entlädt sich, bis das Feuer wieder in sich zusammenbricht. 5) Länge: 4’33 LC00174 Deutsche Grammophon DG 435773-2 Claude Debussy, Feu d’artifice Krystian Zimerman, Klavier MODERATION Unter den Händen von Krystian Zimerman entzündet, das Feux d'artifice, das Feuerwerk aus dem zweiten Buch der Préludes von Claude Debussy, zwischen 1910 und 12 entstanden. Und was der Pianist kann, kann ein Orchester allemal. In etwa um die Zeit, als Debussy auf den Tasten zündelt, entzündet Igor Strawinskij ein ganzes Orchester. Der Verleger vom Schottverlag, dem die Partitur zum Druck angeboten wird, schlägt die Hände überm Kopf zusammen: „Da fliegt einem ja ein Schwarm Wespen um die Ohren!“ Erregt er sich. Und dann diese enorme Besetzung für nur 4 Minuten? Aber ein Feuerwerk wirkt nur mit einer aufwendigen Inszenierung. Das wusste schon die erste bedeutende europäische Pyrotechnikerdynastie, die bezeichnender Weise in Italien am Fusse des Vulkans Vesuv immer noch ihren Sitz hat. Pagano heißt sie. Und die Paganobombe liebt noch heute jeder Pyrotechniker wegen ihrer farbenprächtigen Feuerwerkbouquets und der Vielzahl spektakulärer Blitzeffekte. Also drei A-Klarinetten plus Bassklarinette, sechs Posaunen, zwei Harfen und mehrfach geteilte Streicher sind doch nicht zu viel für ein ordentliches Feuerwerk!??? 6 7 6) Länge: 4’04 LC00316 RCA 74321 57127 2 Igor Strawinskij, Feu d'artifice op 4 Wiener Philharmoniker, Lorin Maazel (LTG) MODERATION Die Wiener Philharmoniker unter Lorin Maazel mit Igor Strawinskijs Feu d'artifice Opus 4, eine Fantaisie pour grand orchestre. Eine Stelle hat mich übrigens an Paul Dukas' Zauberlehrling erinnert. Obwohl es bei Dukas ja um das Element Wasser geht … Vielleicht war aber auch schon der Feuervogel heraus zu hören. Ja, lieber Hörerinnen und Hörer, der hat diese Woche auch noch einen flammenden Auftritt, in der SWR2 Musikstunde diesen Freitag. Bevor wir ins Finale der heutigen Sendung vorstoßen noch eine unerhörte Musik, für die der Komponist angeblich Mikrofone verbrannt hat. Vielleicht war es aber doch eher gewöhnliche Kohle, die der französisch-griechische Komponist Iannis Xenakis aufgenommen und in „Ein-SekundenFragmente“ zerschnitten hat, um daraus das folgende Feuerkontinuum zu kreieren: 7) Länge: 2’42 Kein Label EMF CD 003/ Tonträgertitel Electronic Music Iannis Xenakis, Concrète PH (1958) MODERATION Knistern und Knacken: die Feuerkomposition Concrète PH von Iannis Xenakis. Dieses elektronische Klang-Experiment hat der französisch-griechische Komponist für den Eingangsbereich des Philippspavillon auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 konzipiert. Den architektonischen Entwurf dieses Pavillons hat Xenakis, im ersten Beruf Ingenieur, auch ausgerechnet. Der Pavillon bestand nur aus hyperbolischen Paraboloiden – dafür steht die Abkürzung PH – 7 8 Concrète ist im Französischen armierter Beton – ein damals unerhört moderner Baustoff. Xenakis' damaliger Chef war kein geringerer als die Architekturlegende Le Corbusier. Sie hören die SWR2 Musikstunde – heute Con fuoco – mit Feuerspielen! Die meisten von uns kennen Johann Christian Andersens Märchen Das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Schutzlos der Kälte ausgesetzt versucht ein Kind am Silvesterabend, Zündhölzer zu verkaufen. Kurz bevor es erfriert, zündet es alle Hölzer für sich selbst an und halluziniert. Der Stuttgarter Komponist Helmut Lachenmann hat daraus eine Oper gemacht, deren vegetativ-existentielle Musik bis heute nichts von ihrer Modernität eingebüßt hat. 1997 ist die „Musik mit Bildern“ in Hamburg uraufgeführt worden. Die Verzweiflungstat deutet Lachenmann übrigens als einen revolutionären Akt. Das untergehende Individuum begehrt auf gegen die gesellschaftliche Gleichgültigkeit. Der Stockhausen und Luigi Nono - Schüler Lachenmann versteht sich selbst als einen gegen Angepasstheit aufbegehrenden Komponisten. Auch seine Klänge sträuben sich gegen Gefühligkeit im herkömmlichen Sinne. Die Flöten atmen, schnaufen, ringen um Luft, ersticken! Es klappert, reibt, schnarrt und surrt... Auch in diesem Ausschnitt, wo das Streichen über ein großes Becken – dennoch entfernt an das Reiben eines Streichholzes erinnern könnte! 8) Länge: 2'00 LC02516 ECM 1859 9815119 Helmut Lachenmann, Das Mädchen mit den Streichhölzern Eiko Morikawa, Nicole Tibbels, Sopran, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiberg, Sylvain Cambreling (LTG) MODERATION Ein implodierendes Feuerwerk. Ein Ausschnitt aus dem 2. Teil von Helmut Lachenmanns „Musik mit Bildern“ Das Mädchen mit den Schwefelhölzern mit Eiko Morikawa und Nicole Tibbels, Sopran, dem SWR Sinfonieorchester BadenBaden und Freiburg unter Sylvain Cambreling. 8 9 Sie hören die SWR2 Musikstunde mit Feuerspielen diverser Art. Dieses Feuerschauspiel entflammt im wahrsten Sinne des Wortes die Bühne. Gott Wotan versetzt seine geliebte Tochter Brünnhilde auf einem Felsen in den Schlaf. Wer sie erweckt, soll sie zur Frau nehmen dürfen. Damit das nicht irgendwer ist, legt Wotan einen mächtigen Feuerkranz um den Felsen. Und Richard Wagner hilft mit der Musik nach. Streicher lodern in 64tel Notenwerten, vielfach geteilt, auf und ab und mischen sich durch ihre zeitweilig gegenstimmige schnelle Bewegung zu einem akustischen Flammenbild. Der Herrscher über das orchestrale Flammenwunder, das vom Orchester der Bayreuther Festspiele jetzt entfacht wird, heißt Pierre Boulez. Donald McIntyre verleiht Wotan seine großartige Stimme. 9) Länge: 4’32 LC0305 PHILIPPS 446614 2 Richard Wagner, Feuerzauber aus Die Walküre Donald McIntyre (Bass), Orchester der Bayreuther Festspiele, Pierre Boulez (LTG) MODERATION Da sieht man beim Zuhören das Flammenmeer vor sich lodern. Das war die Schlussszene aus der Walküre mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Pierre Boulez. Donald McIntyre sang die Partie des Wotans. Eine Aufnahme übrigens vom sogenannten „Jahrhundert-Ring“, damals 1976 neuinszeniert für den grünen Hügel von Patrice Chéreau. Im vergangenen Jahr ist dieser gefeierte Regisseur im Alter von 68 in Paris verstorben. Die Walküre ist eingeschlafen. Eine Glocke wird sie nicht mehr aufwecken. Schon gar nicht ein neckisch geläutetes Feuerglöckchen wie das im Feuerfest von Joseph Strauss. Zu allen Gelegenheiten und Festivitäten der verschiedenen Gesellschaften in Wien, haben Johann Strauß (Sohn) und sein etwas weniger bekannter Bruder 9 10 Joseph einen Walzer oder eine Polka beigesteuert. In seinem Opus 269 hat Joseph Strauß einige Feuerglockeneinsätze in der Partitur vermerkt. Das gefällt der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr Olpe, die hier spielt. Am Pult steht auch der Schweizer Dirigent Stefan Blunier, amtierender GMD in Bonn, und bekannt für seinen Humor. Das Feuerglöckchen läutet auch die SWR2 Musikstunde heute aus. In dieser Woche sind Feuer und Flammen ein heißes Thema. Morgen geht es um flammende Mythen und göttergleiche Helden wie Prometheus! Ich würde mich freuen, wenn Sie wieder mit dabei wären. Noch einen schönen Morgen mit SWR2 wünscht und bis morgen zur gleichen Zeit, so Sie mögen! Ihre sw 10) Länge: 2’42 WDR Eigenproduktion Johann Strauß, Feuerfest-Polka op 269 Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr Olpe, Stefan Blunier (LTG) 10