Tabea Kühn Demenzen in der Sprachtherapie

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Demenzen in der
Sprachtherapie
Dr. Tabea Kühn, Logopädin
Schön Klinik Bad Aibling (D)
Workshop zum Symposium der LogopädInnen in Oberösterreich
April 2015
Inhalt
u
Normales Altern
u
Abgrenzung verschiedener Formen der Demenz
u
Linguistisch-kommunikative Symptome
u
Logopädische Aufgaben
Normales Altern
u
In Lebensspanne gradueller Abbau linguistischer Fähigkeiten
u
Jedoch eher Einbußen in der Effektivität
u
Reduktion der Fähigkeiten in:
u
Arbeitsgedächtnis,
u
Verarbeitungsgeschwindigkeit,
u
Aufmerksamkeitsfokussierung,
u
sensorische Defizite
Demenz als eine neurokognitive Störung
(nach DSM-V, APA 2013)
u
erworbene kognitive Beeinträchtigung
u
Diagnose, sofern Defizit in einem von 6 kognitiven Bereichen:
u
komplexe Aufmerksamkeit
u
exekutive Funktionen
u
Lernen und Gedächtnis
u
Sprache
u
perzeptuell-motorische Fähigkeiten
u
soziale Kognitionen
u
mit und ohne Verhaltensstörung
u
mit Unselbstständigkeit im Alltag (majore NCD)
u
Selbstständigkeit im Alltag (minore NCD)
u
Diagnostische Unsicherheit durch ‚möglich‘ - ‚wahrscheinlich‘ ausgedrückt
Formen der Demenz
Primär de ge ne rative De me nze n
70-8 0%
u
Alzheimer Demenz (DAT)
50-60%
u
Demenz mit Lewy-Bodies (DLB)
15%
u
Frontotemporale Lobärdegeneration (Pick-Komplex)
10-15%
u
Frontotemporale Demenz (FTD)
70%
u
Semantische Demenz (SD; progrediente flüssige Aphasie)
20%
u
Primär progrediente unflüssige Aphasie
u
Logopenische progressive Aphasie
Vaskuläre De me nze n
u
Multiple territoriale Infarkte
u
Strategischer territorialer Infarkt
u
Multiple lakunäre Infarkte
u
Strategischer lakunärer Infarkt
Se kundäre De me nze n
u
10%
?
15%
< 1 0%
Toxisch, metabolisch, infektiös, Mangelzustand
Gutzmann & Brauer, 2007; Böhme, 2008; Stevens et al, 2002; Rahkonen et al, 2003, Förstl, 2011
Alzhe ime r De me nz
Pathologie :
utransentorhinischer Bereich, latero-temporaler Kortex,
limbische Strukturen und Hippocampus
Ve rhalte n:
uUnfähigkeit neue Informationen zu behalten
uDefizite in allen kognitiven Bereichen
uVerlust des episodischen und Arbeitsgedächtnisses
uDefizite in Sprache, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit,
Orientierung, Problemlösen
(Kriterien der klinischen Diagnostik: McKhan, 1984; Dubois et al, 2007)
De me nz mit Le wy Bodie s (DLB)
Pathologie :
• Intraneuronale Einschlüsse (Lewy Bodies)
• Immunoreaktive neuritische Degeneration (Lewy Neuriten) in Substantia nigra,
Hippocampus, etc
(McKeith, 2002)
Krite rie n für wahrs c he inliche DLB:
Fluktuie re nde ko g nitive Fähig ke ite n (Aufmerksamkeit/ Wachheit)
Wiederkehrende vis ue lle Halluzinatio ne n
Extrapyramidale Ze ic he n (Rigidität und Tremor)
Ve rhalte n:
• Abbau Kognition
Reduktion der Alltagsfunktionen
• Defizite in fronto-subkortikalen und visuo-konstruktiven Fähigkeiten
• Parkinsonismus
• Visuelle Halluzinationen
• Fluktuationen in Wachheit und Aufmerksamkeit
Sprache und Spre che n
v
v
v
v
v
v
Hypokinetische Dysarthrophonie
Spontansprache ‚verarmt‘ zunehmend
Keine Fehler in der Lautbildung (Phonologie)
Lautes Lesen, Nachsprechen erschwert
Semantisches/ kognitives Defizit wie in DAT
Jedoch Wort-Version eines Tests > Bild-Version
visuo-konstruktive s und kognitive s De fizit
Fronto-temporale
Lobärdegeneration
Semantische Demenz
v
v
v
v
Flüssige aber inhaltsleere Sprache
schwere Anomie: anfänglich Leidensdruck
Semantische Paraphasien
Reduzierte Kategorienflüssigkeit
z.B. Beschreiben eines Wortes aus Hodges et al, 1992:
Löwe :
Ist das ein Tier?. . . es hat Beine, große Ohren, sie
schlaf en viel, man sieht sie in Läden
Nilpfe rd:
keine Ahnung. Lebt es?
Re h:
Tier, gibt Milch, sowas wie ein Schaf
Violine :
was zum Musik machen, keine Ahnung …
Gitarre :
man spielt Musik damit , kann mich nicht erinnern, es ist
groß, man spielt mit einem Bogen
Spinnrad:
noch nie gehört
• Ve rhalte n
• Erhaltene räumlich-konstruktiven Leistungen
aus: Hodges et al, 1992: Rey-Osterrieth figure by patient P.P. at presentation
(August 1990) which contrasts with her anomia and comprehension deficit
Darstellung einer Ente (links) und eines Kamels (rechts)
gezeichnet von einem SD-Patienten (aus Lambon Ralph & Howard 2000: 460)
Konze ptue ll-se mantische s De fizit
Pro g re die nte Nic htflüs s ig e Aphas ie (PNFA)
• Onset sehr früh – ca. 59 Jahre
• Verlauf homogen (Review mit 112 Fällen; Westbury & Bub, 1997)
• Sehr langsam fortschreitende Sprachstörung
• Frühestens 2 Jahre nach onset erste kognitive
Defizite & Verhaltensänderungen
• Kein Defizit in Wachheit oder Aufmerksamkeit
(Mesulam & Weintraub, 1992)
• Zunehmend unflüssige Sprachproduktion, mit
phonematischen und sprechapraktischen, sowie
agrammatischen Komponenten
Logopenisch progediente Aphasie (LPA)
http://ftd.med.upenn.edu/about-ftd-related-disorders/what-arethese-conditions/progressive-language/logopenic-variant-of-primaryprogressive-aphasia-lvppa
Pathologie :
•
Atrophie links posterior perisylvisch oder parietal
Ve rhalte n:
•
kaum FTD Symptome
Sprache :
•
•
•
•
•
•
Wortabrufde fizit in Spontansprache und Be ne nne n
De fizit im Nachspre che n von Phrase n und Sätze n
re duzie rte s Spre chte mpo
Phonematische Paraphasien
Erhaltenes Wortverstehen und nonverbales Wissen
intakte Sprechmotorik
V. a. De fizit im phonologische n Buffe r
(Gorno-Tempini et al, 2004; 2011; Amici et al, 2006; Rosen et al, 2006)
Vaskuläre De me nz
Krite rie n zur Diagnose e ine r vaskuläre n De me nz:
1. Dementielles Syndrom nach ICD-10 Kriterien
2. Anamnestischer, klinischer und radiologischer Nachweis einer
zerebro-vaskulären Erkrankung
3. Zeitlicher Zusammenhang von 1. und 2. (bis zu 3 Monaten)
(siehe Förstl, 2011)
Ke in e inhe itliche s Bild de r Sprachstörung
e rschwe rte Diagnostik be i paralle le m
Auftre te n von De me nz und Aphasie
Logopädische Diffe re ntialdiagnostik
v Welche Sprachprozesse sind betroffen, welche nicht?
v
Sind sprachliches und kognitives Defizit gleich stark ausgeprägt?
v
Interaktion des Ausprägungsgrades:
v Beeinflusst ein prominentes kognitives Defizit die Kommunikation?
v Beeinflusst ein prominentes sprachliches Defizit kognitive Prozesse?
v
v
Wie beeinflusst das kommunikative Defizit andere Verhaltensweisen?
Welche Veränderungen in der Kommunikationssituation können
frustrierende Erlebnisse beim Patienten/ Partner reduzieren?
(Maxim & Bryan, 2006)
Fragen in der Anamnese
v
prämorbide sprachliche Fähigkeiten?
v
Bildungsgrad?
v
wie und wann haben Probleme begonnen?
v
seitdem: besser, schlechter, gleich, variabel?
v
wann treten Symptome meist auf?
Gesprächigkeit: gleich, mehr, weniger?
wird der intendierte Inhalt kommuniziert?
korrekte Wortwahl?
Verständlichkeit?
Sprachverstehen in üblichen Situationen?
Stottern? Auch schon als Kind?
Stimmqualität?
v
v
v
v
v
v
v
v
v
v
v
Schreibfähigkeit?
Defizite in Kognition, Verhalten oder Neurologie?
Suchtprobleme (Alkohol, Drogen)?
Soziale Situation
(Rohrer et al, 2008, Stevens, 2006)
DAT
DLB
SD
PNFA
LPA
Unflüssig
Pausen
Unflüssig
Pausen
‚Verarmen‘
Verlieren des
Fadens
Unflüssig
Anstrengung
Telegrammstil
‚Verarmen‘
Phonematische
Paraphasien
Unflüssig
Pausen
‚Verarmen‘
Verlieren des
Fadens
Flüssig
Inhaltsleer
Umständlich
‚Verarmen‘
Semantische
Paraphasien
Semantische Paraphasien
ja
ja
häufig
Nein
nein
Phon. Paraphasien
selten
selten
selten
häufig
häufig
Syntax
Korrekt
Einfach
Korrekt
einfach
Korrekt
komplex
Agrammatismus
Korrekt
einfach
Artikulation
Normal
Normal
Normal
Angestrengt
Stottern/SAX
Normal
Prosodie
Normal
Normal
Normal
aprosodisch
Normal
Wortabruf
Visuelle,
semantische,
unrelationierte
Fehler
Visuelle Fehler
Oberbegriffe
Umschreibungen
Nullreaktionen
Phonematische
Paraphasien
Pausen
Sprachverstehen
Wörter > Sätze
Wörter > Sätze
Sätze > Wörter
Gut
Wörter > Sätze
Nachsprechen
gut
gut
gut
Längeneffekt
Längeneffekt
Lesen
Phonologische
Dyslexie
Visuelle/
lexikalische
Fehler
Oberflächendyslexie
Phonologische
Dyslexie
Phonologische
Dyslexie
Schreiben
Phonologische
Dysgraphie
Visuelle/
lexikalische
Fehler
Oberflächendysgrap
hie
Phonologische
Dysgraphie
Phonologische
Dysgraphie
Wortflüssigkeit
reduziert
Leicht reduziert
Buchstaben >
Kategorie
Kategorie >
Buchstaben
Kategorie >
Buchstaben
Spontansprache
‚Verarmen‘
Phonematische
Paraphasien
Phonematische
Paraphasien
Inte rdisziplinäre Diffe re ntialdiagnostik
Ve rhalte n
DAT
DLB
SD
PNFA
LPA
(Prosop -)Agnosie
nein
nein
ja
nein
nein
Störungswahrnehmung
nein
nein
anfangs
ja
ja
Visuo-Konstruktion
nein
NEIN
gut
gut
gut
Visuelle Halluzinationen
nein
ja
nein
nein
nein
Orientierung
ne in
gut
gut
gut
gut
Arbeitsgedächtnis
ne in
ne in
gut
gut
gut
Episodisches Gedächtnis ne in
gut
gut
gut
gut
Aufmerksamkeit
ne in
ne in
gut
gut
gut
Exekutive Funktionen
nein
NEIN
gut
gut
gut
Rechenleistungen
ne in
ne in
gut
gut
gut
Logopädische Aufgabe n
v
Dysphagie
v
Beratung/ Hilfe für externe Hilfen zur Wortfindung oder Gedächtnis
(z.B. Wörterbuch, Tagebuch, Kalender, Uhr, Erinnerungsbuch, etc)
v
Beratung von Patient / Angehörigen initial und im Verlauf
v
Anleitung von Angehörigen/ Pflegekräften zu effektiver Kommunikation
v
Themenfindung um Kommunikation zu fazilitieren
v
Veränderung von Tagesroutinen um Kommunikationszeit zu ermöglichen
v
Hilfe beim Klären finanzieller und legaler Fragen
v
Weiterleiten von Patienten und Angehörigen an Hilfsdienste
v
Beratung/ Zusammenarbeit mit Hilfsdiensten, z.B. Tageskliniken
v
Gruppentherapien/ Selbsthilfegruppen/ Informationsabende/ Aktivitäten
v
‚Sprachrohr‘ für den Patienten
(nach Kindell & Griffith, 2006)
Logopädische The rapie be i DAT
Kommunikationsstrategien in der Frühphase:
u
Informationen in Chunks
u
Spezifizierung von Referenten statt Pronomen
u
Normale Sprechgeschwindigkeit
u
Cueing Techniken zum Wortabruf
u
Errorless learning (Cycyk & Wright, 2008; Rothi et al, 2009)
(Kindell & Griffith, 2006)
Le rne n
ABER: 1:1 Beziehung von Wort und Gegenstand
u
Erlernen semantischen Wissens möglich (Jelcic et al, 2012)
u
Lernen erleichtert durch Cholinesterasehemmer
u
Themenvariabilität länger erhalten durch indiv. Gedächtnishilfen
(FitzGerald et al, 2008)
(Bourgois, 1992)
Logopädische The rapie be i SD
Kommunikationsstrate gie n : (Snowden, Kindell & Neary, 2006)
u
Satzkontext unterstütz Sprachverständnis
u
Verstehen durch viele Input-Modalitäten fazilitieren
u
Konsistente Nutzung von Begriffen
z.B. Frau Schmidt, die immer Nachmittags vorbei kommt
Umgang mit Kapazitätsproble me n:
Obje kt-spe zifische s Le rne n statt se mantische r The rapie
v
Persönlich ‚bedeutsames‘ Material (Snowdon & Neary, 2002)
Generalisierung auf visuell ähnliche Objekte, sofern täglich in Gebrauch
(Green Heredia et al, 2009)
Therapie in bekannter Umgebung, mit eigenen Objekten (Croot et al, 2009)
v
Lernen effektiver, wenn erhaltenes semantisches Wissen
Früh beginnen
(z.B. Jokel et al, 2012)
(Henry et al, 2008)
Erhalt durch Steigerung der Frequenz, z.B. Nachsprechen
v
(Reilly et al, 2005)
Selbstständiges Üben um Lerneffekte zu erhalten (Jokel et al, 2006)
Erfolgre iche s Training. . .
Jo kel et al, 2006
u
Wiederholtes Üben zu Hause
u
Vokabelliste in aktiver Mitarbeit der Patientin erstellt
u
Persönliche Definition auf Rückseite jeden Bildes
u
Nach semantischen Kategorien geordnetes Bilder-Wörterbuch
u
Notizbuch für verlorene Begriffe
S avag e et al, 2012/2013
u
u
Therapie zu Hause
Material: persönliche Gegenstände - von Patient und Angehörigen im Alltag für
wichtig befunden
u
Auswahl von Items, für die Pat. semantisches Wissen zeigt
u
Familiarität anhand persönlicher Skala (täglich, wöchentlich,14-tägig...)
u
Jedes Item wird mit persönlicher Information versehen
We nig e rre icht vie l. . . de r 'Re fre she r'
Studie mit 9 Patie nte n (Savage e t al, 2 0 1 4 )
v
v
v
2-monatiges Vokabel-Lernprogramm
Signifikanter Lerneffekt bei allen Patienten
2 Monate Pause
Signifikater Verlust von gelerntem und ungelerntem Wissens
Nach 4 Monaten Test
Um 80% des Lerneffekts beizubehalten, benötigten
u
4 Patienten < als 10 'Refresher‘
u
2 Patienten wöchtenliche oder 14-tägige 'Refresher‘
u
3 Patienten keine 'Refresher'
Logopädische The rapie be i NFPA
Ko ns tante Anpas s ung an die Ge g e be nhe ite n
über 2,5 Jahre hinweg ändert sich der Ansatz
3 Mal
1. ASV/ LSV/ Benennen
2. Verschieben des Fokus von verbalen hin zu nonverbalen
Fähigkeiten: Zeichnen, PACE
3. Pragmatischer Ansatz zur Unterstützung der multimodalen
Kommunikation
v
Alternative Kommunikation: technische Hilfsmittel
v
Partnertraining: turn-taking, repair skills
v
Aphasiker Selbsthilfe
(Murray, 1998)
Logopädische Aufgabe n
•Diagnostik
• Beratung
• Evidenzbasierte Therapie
• Therapieabbruch, wenn indiziert!
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