Strawinsky - Spielfeld Klassik

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Igor Strawinsky
- geboren am 17. (5.) Juni 1882 in Oranienbaum
bei St. Petersburg
- gestorben am 6. April 1971 in New York
- bedeutender Komponist des 20. Jahrhunderts
Dan Ettinger dirigiert
- wichtige Werke: die Ballette „L'Oiseau de Feu“ (Der
Feuervogel) und „Le Sacre du Printemps“ (Das
Igor Strawinsky
„Pulcinella“-Suite
Frühlingsopfer), das Opernoratorium „Oedipus Rex“,
die Oper „The Rake's Progress“ (Der Werdegang
eines Wüstlings) und die Psalmensymphonie
Biographie
„Die unglaubliche Virtuosität und außerordentliche
Igor Strawinsky ist einer der bedeutendsten Kompo-
Präzision seiner Arbeitsmethoden sind für den Durch-
nisten des 20. Jahrhunderts und gilt als wichtiger
schnittsverstand verwirrend. Seine Partituren zeigen
Wegbereiter der Neuen Musik. Geboren wird er 1892
nicht eine einzige radierte Stelle, jede Instrumental-
in der Nähe von St. Petersburg. Sein Vater war
stimme ist in andersfarbiger Tinte geschrieben; die in
erfolgreicher Opernsänger, seine Mutter eine sehr
Schlachtlinie aufgebauten Tintenflaschen erlauben es
gute Pianistin, und so erhält auch der junge Igor früh
dem Komponisten, seine Feder so unverzögert hinein
Klavierunterricht. Auf Wunsch des Vaters studiert er
zu tauchen wie er die Tasten seines Klaviers berührt.
allerdings Jura. Erst die Begegnung mit dem
Das alles deutet mehr auf einen Alchimisten in seinem
berühmten Komponisten Nikolai Rimskij-Korsakow,
Labor hin als auf einen Komponisten.“
bei dem er bald Kompositionsunterricht nimmt, bewegt
(Die Tänzerin Tamara Karsawina über Strawinsky)
ihn dazu, sein Jurastudium zu beenden und sich ganz
der Musik zu widmen.
„Er ist so außergewöhnlich, zumindest in physischer
2. Jugendkonzert
der Saison 2014/15
am Freitag
27. Februar 2015
19:00 Uhr
in der Philharmonie im Gasteig
Hinsicht, dass nichts weniger als eine lebensgroße
1909 erhält Igor Strawinsky den Auftrag, eine
Statue (...) Seine Einmaligkeit vermitteln könnte: die
Ballettmusik zu „L'Oiseau de Feu“ (Der Feuervogel) zu
zwerghafte Gestalt, die kurzen Beine, die Fleisch-
komponieren. Sergej Diaghilew, ein umtriebiger
losigkeit, die Fußballerschultern, die großen Hände
Konzertmanager und Leiter der russischen
und breiten Handknöchel, der kleine Kopf mit zurück-
Balletttruppe „Ballets russes“, war auf ihn aufmerksam
weichenden Stirnknochen, das sandfarbene Haar (...),
geworden und bestellte bei dem noch unbekannten
der glatte, rote Nacken und der hohe Haaransatz.
Strawinsky die Musik für seine neue Ballettproduktion
Tatsächlich ist er so faszinierend anzuschauen, dass
in Paris. Die Premiere von „L'Oiseau de Feu“ ist ein
es eine Anstrengung bedeutet, sich auf das zu kon-
sensationeller Erfolg und macht Strawinsky über
zentrieren, was er sagt.“
Nacht berühmt.
(Robert Craft über Strawinsky)
Neoklassizismus
DER Skandal!
Als Gegenbewegung zu den Auswüchsen der
Die Uraufführung des Balletts „Le Sacre du
Spätromantik und den Umwälzungen der
Printemps“ (Das Frühlingsopfer) am 29. Mai 1913 in
Zwölftonmusik entstand ab ca. 1920 in Paris der
Paris ruft den größten Theaterskandal des 20.
Neoklassizismus.
Jahrhunderts hervor.
Neoklassizistische Werke verwenden und verfremden
Strawinskys Musik, gespickt mit scharfen
Stilmerkmale der Musik des 18. Jahrhunderts
Dissonanzen und wild-hämmernden Rhythmen, und
(Spätbarock und Frühklassik), um der Musik wieder
die rohen, archaischen Bewegungen der Tänzer
mehr Klarheit, Einfachheit und Natürlichkeit des
schockieren das konservative Publikum.
Ausdrucks zu geben.
Lautstarke Protestrufe übertönen bald die Musik, was
Traditionelle Formen wie die Symphonie, die Sonate
wiederum die Strawinsky-Befürworter auf den Plan
oder alte Tänze werden wiederbelebt. Kleinere
ruft. Es kommt zu Handgreiflichkeiten.
Besetzungen ersetzen das üppig besetzte
spätromantische Orchester. Auch in der Harmonik
Ein Augenzeuge berichtet:
setzten die neoklassizistischen Komponisten auf eine
neue Einfachheit.
„Das Publikum spielte die ihm zugedachte Rolle, es
empörte sich sofort. Man lachte, spuckte, pfiff, ahmte
Strawinsky zieht zunächst in die Schweiz und dann
Nach dem Ersten Weltkrieg tritt Strawinsky in ganz
Wichtige Komponisten des Neoklassizismus waren
Tierlaute nach. Der Lärm degenerierte zum
nach Paris, um die Zusammenarbeit mit Sergej
Europa als Dirigent und Pianist auf und wird
neben Igor Strawinsky die Mitglieder der sogenannten
Handgemenge. Stehend in ihrer Loge, mit
Diaghilew fortzusetzen. Eine Reihe weiterer
überschwänglich gefeiert. Auch in den USA wird er mit
„Groupe des Six“ in Frankreich, Paul Hindemith und
verrutschtem Diadem, schwang die alte Gräfin de
Ballettkompositionen (u. a. „Le Sacre du Printemps“)
großer Begeisterung empfangen. 1939 erhält er einen
Sergej Prokofjew.
Pourtalès ihren Fächer und schrie, ganz rot im
entsteht so für die „Ballets russes“, mit denen
Lehrauftrag von der berühmten amerikanischen
Gesicht: 'Das ist das erste Mal seit sechzig Jahren,
Strawinsky das Ballett von Grund auf revolutioniert.
Harvard-Universität, und als wenig später der Zweite
dass man es wagt, sich über mich lustig zu machen.'“
Nie zuvor gab es Ballettmusik, die rhythmisch so
Weltkrieg ausbricht, beschließt Strawinsky in den USA
kompliziert war. Die ständigen Taktwechsel und das
zu bleiben. Er kauft ein Haus in der Nähe von
Heute zählt „Le Sacre du Printemps“ zu den
Übereinanderlegen von verschiedenen Rhythmen sind
Hollywood, komponiert und dirigiert. In seiner Freizeit
bedeutendsten Werken des 20. Jahrhunderts.
allen voran für die Tänzer eine neue Herausforderung.
spielt er Schach und kümmert sich um seine
Kein Wunder, dass Diaghilews berühmte
exotischen Vögel. 1962, nach 48 Jahren, kehrt er zum
Primaballerina die Rolle des Feuervogels mit der
ersten Mal wieder in seine russische Heimat zurück
Begründung ablehnt, auf so einen Unsinn tanze sie
und wird wie ein Held gefeiert. 1971 stirbt Igor
nicht. Das Urteil eines anderen Tänzers hingegen
Strawinsky in New York. Auf seinen Wunsch wird er
lautet: „Strawinskys Musik ist für sich schon so gut,
auf der Friedhofsinsel San Michele in Venedig
dass sie den Tanz nicht braucht.“
begraben – neben seinem Freund Diaghilew.
„Pulcinella“-Suite
Sergej Diaghilew schlug 1919 Strawinsky vor, ein
Pulcinella“, in dem Pulcinella nicht nur von seiner
Ballett zu komponieren, das die italienische
Freundin Pimpinella sondern auch von zwei weiteren
Werk im neoklassizistischen Stil. Einerseits klingen
Theaterfigur des Pulcinella zum Thema haben sollte.
jungen Mädchen bewundert und angehimmelt wird.
die musikalischen Vorlagen aus dem 18. Jahrhundert
In der italienischen Schauspielkunst des 16. und 17.
Die eifersüchtigen Verlobten der beiden Mädchen
hörbar durch, andererseits ist es eindeutig als ein
Jahrhunderts ist dem Pulcinella (=kleines Küken) die
verprügeln deshalb Pulcinella bis sich dieser tot stellt.
Werk des 20. Jahrhunderts zu erkennen. „Ich begann,
Rolle des schlauen, komischen aber auch tölpelhaften
Der totgeglaubte Pulcinella soll beerdigt werden, doch
indem ich auf Pergolesis Originalmanuskripten
Dieners zugeschrieben. Pulcinella diente im
im Sarg befindet sich der verkleidete Furbo, ein
komponierte, als würde ich ein eigenes, älteres Werk
deutschsprachigen Raum als Vorbild für die Figur des
Freund Pulcinellas. Der echte Pulcinella tritt als
bearbeiten. [...] Ich wusste, daß mir ein 'gefälschter'
Kasperl oder des Hanswurst.
mysteriöser Zauberer auf und erweckt den falschen
Pergolesi nicht gelingen würde, denn meine Motorik
Mit „Pulcinella“ schuf Strawinsky zum ersten Mal ein
Pulcinella wieder zum Leben. Um ihre Freundinnen zu
ist grundverschieden; bestenfalls konnte ich seine
Diaghilew hatte in Bibliotheken in Neapel und in
ärgern, schlüpfen auch die beiden Verlobten in
Aussagen mit meinem eigenen Akzent wiederholen.“
London unveröffentlichte Musik des italienischen
Pulcinella-Kostüme, so dass Pulcinella nun in
Komponisten Giovanni Battista Pergolesi, der von
vierfacher Ausgabe für reichlich Chaos und
1710 bis 1736 lebte, gefunden und kopieren lassen.
Verwirrung sorgt. Am Ende klärt Furbo die
Dieses musikalische Material sollte Strawinsky als
Verwechslungen auf und die Paare finden wieder
die Oberstimmen und die Basslinie der originalen
Vorlage für die Ballettmusik dienen. „... es war ein
zueinander.
Sätze und kleidet die Mittelstimmen neu aus. Der
sehr gewagtes Unternehmen, diesen zerstreuten
symmetrische Aufbau, typisch für die Musik im 18.
Fragmenten neues Leben einzuflößen und die vielen
Nach der erfolgreichen Uraufführung und den
Jahrhundert, wird durch Strawinsky mit Einschüben
unzusammenhängenden Stücke zu einem Ganzen zu
positiven Publikumsreaktionen entschloss sich
und Taktwechseln aufgebrochen.
vereinen, noch dazu, da es sich um die Musik eines
Strawinsky 1922 aus dem Ballett, das auch drei
Komponisten handelte, den ich seit jeher geradezu
Gesangssolisten erforderte, eine Orchestersuite zu
Viel Raum gibt Strawinsky auch seiner Vorliebe für
zärtlich liebte“, erinnerte sich Strawinsky.
gestalten. Statt der ursprünglich 20 Nummern, enthält
mechanische Rhythmen, die er durch insistierende
die Suite nur noch acht Sätze:
Repetitionen und Ostinati einbringt. Zudem gibt es
Heute weiß man, dass nur ein Teil des Materials, das
Überraschungen aus der Militärmusik und dem Jazz,
Strawinsky als musikalische Vorlage diente,
1. Sinfonia (Ouverture): Allegro moderato
die wiederum gemischt werden mit einer sehr alten
tatsächlich von Pergolesi stammte – ca. die Hälfte
2. Serenata: Larghetto
Musizierform: Dem Orchester stellt Strawinsky eine
wurde von Zeitgenossen Pergolesis komponiert und
3. Scherzino – Allegro – Andantino
kleine Gruppe von Solisten (genannt: Concertino)
als dessen Werke verkauft. Außerdem sollte Pablo
4. Tarantella
gegenüber – eine typisch barocke Kompositionsform!
Picasso, den Strawinsky von einem gemeinsamen
5. Toccata: Allegro
Aufenthalt in Italien kannte und dessen Kunst er sehr
6. Gavotta con due variazioni: Allegro moderato –
Das Finale ist ein Musterbeispiel für Strawinskys
schätzte, die Dekorationen und Kostüme entwerfen.
Allegretto – Allegro più tosto moderato
neoklassizistischen Stil: trockene, klare,
7. Vivo
Die Handlung des Balletts basiert auf dem
neapolitanischen Theaterstück „Der vierfache
8. Minuetto: Molto moderato – Finale: Allegro assai
kontrastierende Klangfarben, ein starker „beat“ mit gut
Wie in der Balletthandlung spielt Strawinsky mit
platzierten Synkopen, abrupte Stimmungs-
Verkleidungen und Veränderungen. Oft übernimmt er
schwankungen und instrumentale Virtuosität.
Hören und verstehen
Aufgabe 1
Aufgabe 3
Strawinsky hat während seines langen Lebens Werke
Höre dir die „Pulcinella“-Suite weiter an. Erkennst du
ganz unterschiedlicher Stilrichtungen komponiert.
folgende Melodie wieder?
Um einen Eindruck davon zu gewinnen, höre dir
Zu welchem Abschnitt gehört sie? Welche Rollen
jeweils die ersten Minuten der Ballette „Le Sacre du
nehmen Blechbläser bzw. Streicher in diesem Satz
Printemps“, „Pulcinella“ und „Agon“ an und ordne die
ein?
Werke jeweils den Stilrichtungen Neoklassizismus,
Serielle Musik und russische Schaffensperiode und
den Entstehungszeiten 1953, 1919 und 1913 zu.
Aufgabe 2
Für die „Sinfonia „(Nr. 1) verwendete Strawinsky
Aufgabe 4
musikalisches Material aus der Triosonate Nr. 1 in G-
In „Vivo“ (Nr. 7) lässt Strawinsky zwei Instrumente in
Dur von Domenico Gallo.
einen Dialog miteinander treten. Welche Elemente
Musik
(Besetzung, Artikulation, Ausdruck, Satzweise...)
Domenico Gallo: Triosonate Nr. 1 G-Dur
Höre dir das Original an
dieses Stückes hat es zu Pergolesis Zeiten schon
https://www.youtube.com/watch?v=ANAY7nJINI8
(https://www.youtube.com/watch?v=ANAY7nJINI8)
gegeben, welche wohl noch nicht?
Igor Strawinsky: „Pulcinella“-Suite
und vergleiche mit Strawinskys Version.
https://www.youtube.com/watch?v=X4KYuhfag5I
https://www.youtube.com/watch?v=tgcPF8fSOig
Welche Stilelemente, die für die Musik des Barock
Abbildungen
typisch sind, wendet Strawinsky hier an?
1 Szenenbild aus „Pulcinella“
https://www.youtube.com/watch?v=sxg-lveXEfk
www.orchestredepicardie.fr/fr/event.php?id=104
Literatur
2 Strawinsky von Picasso porträtiert
Boris Assafjew: Das Buch über Strawinsky –
en.wikipedia.org/wiki/Igor_Stravinsky#mediaviewer/Fil
Werkbetrachtungen und Analysen, Berlin 2013
e:Stravinsky_picasso.png
Wolfgang Burde: Strawinsky, Mainz 1982
3 Diaghilew und Strawinsky
Heinrich Lindlar: Igor Strawinsky – Lebenswege/
- Verzierungen, z.B. Triller
www.vam.ac.uk/content/articles/d/diaghilev-and-the-
Bühnenwerke, St. Gallen 1994
- „Gehender Bass“ (walking bass line)
ballets-russes/
- punktierter Rhythmus
4 Picassos Kostümentwurf für Pulcinella
- fugierte Abschnitte
en.wikipedia.org/wiki/File:Picasso27s_costume_desig
- Wechsel zwischen Solisten-Gruppe (Concertino) und
ganzem Orchester (Ripieno)
- schnelle und deutliche Wechsel in der Dynamik
(=Lautstärke)
n_for_%22Pulcinella%22_%281920%29.jpg
Die Münchner Philharmoniker | Spielfeld Klassik
Autorin: Christine Möller
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