Geowissen kompakt Herausgegeben von Bernd Cyffka und Jürgen Schmude Begründet von Hans-Dieter Haas Michael Amler Allgemeine Paläontologie Wissenschaftliche Buchgesellschaft Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Christiane Martin Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-22075-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72823-7 eBook (epub): 978-3-534-72824-4 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Übersicht und Grundbegriffe der Paläontologie 1.2. Aufgaben und Teilbereiche der Paläontologie . 1.3. Grundlegende Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 3 5 2. Taphonomie und Fossilisation. . . . 2.1. Übersicht . . . . . . . . . . . . 2.2. Taphonomischer Pfad . . . . . 2.2.1. Nekrose . . . . . . . . . 2.2.2 Biostratinomie . . . . . 2.2.3 Fossilisation . . . . . . . 2.3. Taphofazies . . . . . . . . . . . 2.4. Fossil-Lagerstätten . . . . . . . 2.4.1. Konzentrat-Lagerstätten 2.4.2. Konservat-Lagerstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 9 10 11 12 20 27 31 32 33 3. Taxonomie, Nomenklatur und Systematik 3.1. Taxonomie . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Grundlagen der Nomenklatur . . . . 3.3. Systematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 36 40 41 4. Paläobiologie und Funktionelle Morphologie . . . . . . . . . 4.1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Paläophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Fortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Taxiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Biomineralisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Biominerale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3. Biomineralisationsprozesse . . . . . . . . . . . . 4.4. Funktionsmorphologie und Konstruktionsmorphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 43 44 44 48 48 51 51 51 52 59 61 5. Paläoökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Übersicht und Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. (Paläo-)ökologisch wirksame Umweltfaktoren . . . . . . . . 5.3. Autökologie: Lebensweise und Lebensort von Organismen. 5.3.1. Aquatische Lebensweisen . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Terrestrische Lebensweisen . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Populationsökologie (Demökologie) . . . . . . . . . . . . . 5.5. Synökologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1. Interaktionen zwischen Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 65 67 78 78 83 84 84 84 V Inhalt 5.5.2. Lebensgemeinschaften (Biozönosen; Communities) . 5.5.3. Paläoökologische Analysen und Rekonstruktionen (Fossil-Gemeinschaften; Palaeo-Communities) . . . . 5.6. (Paläo-) Biodiversität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI 85 95 101 6. Ichnologie (Lebensspuren-Kunde) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Übersicht und Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Klassifikation von Spurenfossilien . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1. Klassifikation nach der Erhaltung (stratinomische bzw. sedimentologische Klassifikation) . . . . . . . . . . . 6.2.2. Klassifikation nach dem Verhalten (ethologische Klassifikation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Ichnotaxonomie und Nomenklatur. . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Spurenfossilien und Paläomilieu . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5. Ichnofazies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 115 115 119 7. Biostratigraphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Übersicht und Grundbegriffe . . . . . . . . 7.2. Biostratigraphische Leitfossilien . . . . . . 7.3. Biostratigraphische Einheiten . . . . . . . . 7.4. Chronostratigraphie und Geochronologie . . . . . . 123 123 124 126 129 8. Geobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 9. Paläobiogeographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 10. Benutzte und weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 142 11. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 108 109 110 Vorwort Die Paläontologie hat und hatte im Gegensatz zu den schulisch etablierten Naturwissenschaften Chemie, Physik und Biologie immer einen vergleichsweise schweren Stand. Entweder wurde sie als Hilfsdisziplin der Geologie – ihrer zeitlichen Komponente – angesehen, als Dinosaurierkunde für Kinder, Amateure und Sammler missverstanden oder als Fossilsammlung mit unverständlichen lateinischen Namen in Verbindung gebracht. Im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Diskussionen über Veränderungen von Biodiversität und Ökosystemen muss jedoch der Entwicklungsgeschichte der Biosphäre in Forschung und Lehre ein viel größerer Stellenwert eingeräumt werden, um anthropogene und natürliche Veränderungen besser verstehen und bewerten zu können. Die geowissenschaftlich-paläontologisch ausgerichtete Erforschung der Biosphäre mit den Schwerpunkten Paläobiologie und Geobiologie bildet einen integralen Bestandteil der Umweltforschung. Letztere ist ganzheitlich nur durch ein Verständnis der Entwicklung von Organismen und Biodiversität sowie der Wirkungen biologischer Prozesse innerhalb des Systems Erde zu erfassen. Neue Methoden, Verfahren und Konzepte sowie ein holistischer Ansatz haben die Paläontologie in den letzten 30 Jahren „revolutioniert“ und von einem Nebenfach der Geologie zu einer unverzichtbaren Wissenschaft gemacht. Geowissen Kompakt Allgemeine Paläontologie ist aus 25-jähriger Lehrpraxis an den Universitäten Marburg, Hannover, Erlangen, München und Heidelberg entstanden. Die Paläobiologie, insbesondere die Morphologie, die Baupläne und die Lebensweise der einzelnen Bakterien-, Pflanzen- und Tiergruppen, ihre Evolution und Stammesgeschichte sowie die zugehörige Systematik und Klassifikation, sind Gegenstand der Speziellen Paläontologie, die in einem eigenen Band behandelt wird. Dieses Buch vermittelt Grundlagen, wo die Grenze zwischen naturwissenschaftlichem Allgemeinwissen und Zitierzwang fließend sind. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit wird im Text auf das Einfügen von Literaturzitaten verzichtet; sämtliche in den jeweiligen Kapiteln verwendete Literatur einschließlich elektronischer Quellen wie auch ergänzende bzw. vertiefende Werke werden im Literaturverzeichnis vollständig aufgeführt. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen haben durch ihre Erfahrungen und thematischen Anforderungen zu Umfang und Inhalt beigetragen. Ohne Missachtung der nicht genannten möchte ich an dieser Stelle G. Hahn (Rauschenberg), K.-W. Tietze (Marburg), R. Fischer (Hannover), C. Brauckmann und E. Gröning (beide Clausthal-Zellerfeld), M. Bertling (Münster), B. Reichenbacher, M. Krings, A. Nützel, H. Scholz, O. Voigt und G. Wörheide (alle München), S. Schneider (Wien), H.-G. Herbig (Köln), M. Gudo (Frankfurt/M.) sowie S. Götz und W. Stinnesbeck (beide Heidelberg) besonderen Dank aussprechen. Dieses Buch ist meiner Frau Doris gewidmet, die auf viele gemeinsame Abende und Wochenenden verzichten musste – ich danke Dir für Dein Verständnis, deine Geduld und Unterstützung. Langenhagen, im August 2011 VII 1. Einführung 1.1. Übersicht und Grundbegriffe der Paläontologie Paläontologie leitet sich aus den griechischen Wörtern pakaioy [palaiós], alt, om [on, ontos], das Wesen, das Sein sowie kócoy [lógos], die Lehre ab, d. h. „Lehre vom alten Leben“ bzw. den „alten (= vorzeitlichen) Lebewesen“. A. de Brongniart (1801–1876) benutzte als erster 1821 den Begriff „Paléontologie“, der von H. M. D. de Blainville (1777–1850) und J. G. Fischer von Waldheim (1771–1853) übernommen wurde. Er begann sich ab 1830 an Stelle der älteren Bezeichnung „Oryktologie“ (gr. oqmvsoy [oryktós], ausgegraben) und des besonders im 19. Jh. in Deutschland gebräuchlichen, durch A. Quenstedt noch 1849 geprägten Begriffs „Petrefaktenkunde“ (Petrefacten = versteinerte Urkunden) durchzusetzen. Durch integrative, holistische (ganzheitliche) und fachübergreifende Ansichten und Forschungsrichtungen haben sich Konzept und Inhalte der Paläontologie im Laufe des 19. und 20. Jh. gewandelt, und seit der Einführung des Begriffes sind zahlreiche Teildisziplinen hinzugekommen. Die Paläontologie im 21. Jh. ist eine komplex zusammengesetzte Wissenschaft an der Schnittstelle mehrerer naturwissenschaftlicher Disziplinen, insbesondere zwischen Geologie und Biologie. Daher gleichen sich vielfach Grundlagen und Methoden; sie ist ihre zeitliche (erdgeschichtliche) Komponente. Für den Begriff „Paläontologie“ sind einige Ersatzbegriffe kreiert worden, die aber nur zur Abgrenzung für eigenständige Teildisziplinen genutzt werden können (z. B. Paläobiologie, Geobiologie). Der erweiterte und prozessorientierte heutige Gesamtumfang der Paläontologie wird durch diese Wortschöpfungen nicht ersetzt, weil sie in unterschiedlichem Sinn bzw. Umfang verwendet werden. Entscheidend ist dabei die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Paläontologie“ (gr. kócoy, Lehre, Lehre von …), statt „Paläontographie“ (gr. cqaveim, [be]schreiben); das Wort „Paläontologie“ beinhaltet also über das reine Beschreiben hinausgehende Betrachtungsweisen, sucht nach Erklärungen und erforscht Zusammenhänge und Prozesse. Somit unterscheidet sich der Begriff hinsichtlich seiner Bedeutung nicht von „Geologie“ oder „Biologie“, deren Forschungsschwerpunkte sich in den letzten 100 Jahren ebenfalls deutlich erweitert bzw. verlagert haben, ohne dass neue Begriffe gesucht wurden. Mit dem Aufkommen der Paläontologie wurde auch der Begriff „Neontologie“ als Gegenteil zur Paläontologie geprägt, die Erforschung der rezenten Organismen (= Biologie: Zoologie und Botanik). Untersuchungsobjekte der Paläontologie sind Fossilien unterschiedlichster Art und Größe. Die Bezeichnung „Fossil“ (lat. fossilis, ausgegraben) wurde erstmals 1546 von G. Agricola (G. Bauer/Pawer; 1494–1555) in seinem Standardwerk De natura fossilium verwendet; es haben sich jedoch schon lange vor Agricola Menschen mit Fossilien oder der Entstehung von Fossilien beschäftigt. Während ursprünglich sämtliche aus dem Boden gegrabenen Objekte als Fossilien galten, also neben Organismenresten auch Minerale, Konkretionen und Artefakte, fand erst im Laufe des 19. Jh. eine Eingrenzung auf Bedeutung des Begriffs „Paläontologie“ Konzept und Inhalte der Paläontologie Fossilien 1 Einführung 1. Fossilarten 2 solche Objekte statt, die die Existenz früheren Lebens belegen. Fossilien enthalten eine Vielzahl von Informationen zur Erdgeschichte, über die Organismen selbst, ihre Lebensräume, die Umweltbedingungen und die Wechselwirkungen zwischen der Biosphäre und den übrigen Sphären. Sie decken dabei einen Zeitraum von mindestens 3 Mrd Jahren ab; ohne Fossilien wären die Vorstellungen über diese Lebewelt eine Mischung aus Theorie und Fiktion. Fossilien (auch: Versteinerungen; ehemals: Petrefacten) sind weitgehend und sehr unterschiedlich „versteinerte“ (= fossile) Reste von „vorzeitlichen“ Organismen oder deren Spuren. Die meisten Fossilien sind in Sedimenten oder Sedimentgesteinen enthalten, gelegentlich auch in schwach bis mäßig stark metamorph überprägten Gesteinen. Als Begriffspaar existiert die Unterscheidung in „fossil“, d. h. alles, was an organismischen Resten aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit überliefert wurde, und „rezent“, d. h. alles, was in der Gegenwart oder in jüngerer Vergangenheit lebte. Diese Definitionen sind unpräzise, weil die Bezeichnung „fossil“ für alles gilt, was der geologischen Vorzeit angehört, d. h. vor dem Beginn des Holozäns (etwa 10 000 Jahre). Diese willkürliche Zeitmarke verhindert, dass Arten, die seit dem Pliozän (Neogen) existieren, als rezent betrachtet werden und andererseits im Holozän ausgestorbene Arten, z. B. der Dodo (Raphus cucullatus) oder das Wollhaar-Mammut (Mammuthus primigenius), als Fossilien gewertet werden. Daher wird für den Grenzbereich zwischen fossil und rezent uneinheitlich der Begriff „subfossil“ (seltener: subrezent) verwendet. Als subfossil gelten einerseits Organismen, die noch rezente Vertreter besitzen, aber möglicherweise schon vor 10 000 Jahren gestorben sind, andererseits werden in der Paläobotanik unvollständig fossilisierte Floren als subfossil bezeichnet, und somit auch solche, die z. T. mehrere Millionen Jahre alt sind. Grundsätzlich lassen sich drei Arten von Fossilien unterscheiden: Körperfossilien sind die „normalen“ Fossilien im ursprünglichen Sinn. Sie können in unterschiedlichen Erhaltungszuständen vorliegen, z. B. als vollständiges Original, als Negativabdruck im umgebenden, einbettenden Gestein, als Steinkern (Hohlraumfüllung) oder in umgewandeltem Zustand. Für diese unterschiedlichen Erhaltungszustände sind verschiedene Arten von Fossilisationsprozessen verantwortlich, die die abgestorbenen Tiere und Pflanzen in ihren Überlieferungszustand überführen. Spurenfossilien (Ichnia) sind alle Strukturen im Sediment bzw. Sedimentgestein, die durch lebende Organismen erzeugt wurden, d. h. alle Arten organismischer Aktivität auf oder innerhalb von Sedimentkörpern während oder nach deren Ablagerung. Als Chemofossilien (auch: Biomarker, Biosignaturen) werden relativ stabile organische Verbindungen in Gesteinen bezeichnet, die vorwiegend von Prokaryoten und einzelligen Eukaryoten gebildet wurden und über geologische Zeiträume hinweg erhalten geblieben sein können. Traditionell wird zwischen Makrofossilien (mit dem bloßem Auge erkennbar), Mikrofossilien (mit dem Lichtmikroskop erkennbar) und Nannofossilien (mit dem Elektronenmikroskop erkennbar) unterschieden. Diese sehr willkürliche und uneinheitliche Differenzierung ist weitgehend überflüssig, weil z. B. Merkmale einiger Mikrofossilgruppen nur mit elektronenmikroskopischen Methoden erkennbar sind und weil Makrofossilien oder Teile von ihnen nur mit licht- oder elektronenmikroskopischen Methoden zu analysieren sind. Aufgaben und Teilbereiche der Paläontologie 1. 1.2. Aufgaben und Teilbereiche der Paläontologie Übergeordnete Ziele paläontologischer Forschungen betreffen die detaillierte Erkundung von Paläoökosystemen und ihrer Reaktionen auf natürliche Umweltveränderungen oder Katastrophen (z. B. Klimaänderungen, vulkanische Ereignisse, Meteoriteneinschläge, ozeanische und atmosphärische Veränderungen). Durch die Kenntnis, wie Ökosysteme in der Vergangenheit ohne Beeinflussung durch den Menschen existiert und reagiert haben, lässt sich ableiten, welche der heutigen Ökosysteme durch den Menschen negativ beeinflusst werden. Paläontologische Forschungen bilden damit einen Schlüssel für das Verständnis und den Schutz unserer heutigen und zukünftigen Biosphäre. Im Rahmen der geowissenschaftlich orientierten Erforschung der Biosphäre werden sowohl paläobiologische wie auch geobiologische Aspekte bzw. Prozesse untersucht und bilden damit die heutige Paläontologie. Darüber hinaus ist die Paläontologie unverzichtbare Hilfe bei der geologischen Kartierung (Landesaufnahme) und Rohstoffexploration, insbesondere bei der effizienten Suche nach Erzen, Erdöl, Erdgas und Kohle, weil sie mit Hilfe der Biostratigraphie das Alter erbohrter und an der Erdoberfläche anstehender Gesteinsschichten ermittelt. Sie liefert damit einerseits das relative Zeitgerüst für die kartierte Lithostratigraphie, andererseits Altersdaten zur Erkundung der Rohstoffhöffigkeit. Trotz der grundsätzlichen Möglichkeit, wie in anderen Disziplinen einen „allgemeinen“, einen „speziellen“ und einen „angewandten“ Bereich zu unterscheiden, lassen sich die Teilgebiete der Paläontologie diesen drei Gruppen nicht streng zuordnen, was aus holistischer Sicht auch gar nicht sinnvoll ist. Die wichtigsten Teilbereiche und ihre Verknüpfungen mit anderen naturwissenschaftlichen Teildisziplinen sind in Abb. 1 dargestellt. Aufgaben der Paläontologie Teilgebiete der Paläontologie Abb. 1: Teilbereiche der Paläontologie 3 Einführung 1. Den Kern der Allgemeinen Paläontologie bilden die Bereiche Taphonomie und Fossilisation, d. h. die Entstehung von Fossilien über den Weg eines Organismus vom Tod bis zur endgültigen Einbettung bzw. vollständigen Zerstörung und darüber hinaus bis zur Fossilisation und Fossil-Diagenese mit der Fossillagerstätten-Bildung. Außerdem gehören sämtliche Grundlagen, Methoden und Prinzipien der übrigen Teilbereiche zur Allgemeinen Paläontologie, sofern sie nicht jeweils vertieft bzw. im Detail angewendet werden. Durch eine übergreifende Betrachtungsweise ergeben sich auch weitreichende Überschneidungen mit geologisch-sedimentologischen und biologisch-ökologischen Grundlagen. Die Spezielle Paläontologie befasst sich mit den einzelnen Bakterien-, Pflanzen- und Tiergruppen, ihrer Morphologie, ihren Bauplänen und ihrer Lebensweise, ihrer Stammesgeschichte sowie ihren Anwendungsmöglichkeiten im Gefüge der geologischen und biologischen Wissenschaften. Die Spezielle Paläontologie umfasst somit die Bereiche Paläobiologie und Evolution mit der zugehörigen Systematik und Klassifikation, abgeleitet aus der Stammesgeschichte (Phylogenie) der Organismen. Die klassischen Felder der Angewandten Paläontologie sind die Biostratigraphie, die Paläoökologie und die Paläobiogeographie; inzwischen sind weitere Gebiete, z. B. Bereiche der Geobiologie hinzugekommen. Neben einer Gliederung in Paläozoologie und Paläobotanik, die nur noch bedingt zeitgemäß erscheint, weil Organismen nicht nur in Tiere und Pflanzen unterteilt werden, ist die Differenzierung in die Paläontologie der Wirbeltiere (Vertebraten-Paläontologie) und Wirbellosen (InvertebratenPaläontologie) gebräuchlich und pragmatisch. Trotz der biologischen Zugehörigkeit zu den Wirbeltieren wird daneben die Stammesgeschichte des Menschen als Paläoanthropologie häufig getrennt betrachtet. Während Biostratigraphie und Biofazies-Analyse eine weite geologisch-sedimentologische Überschneidung besitzen, überwiegt in den übrigen Teildisziplinen der biologisch ausgerichtete Aspekt. Vergleichbar mit der Erweiterung der Biologie durch die Molekular-Biologie hat auch die Paläontologie durch die Molekular-Paläobiologie und die Geobiologie innovative Forschungsgebiete hinzugewonnen. Damit können einerseits Fragen zur Evolution der Organismen und zur Rekonstruktion der phylogenetischen Zusammenhänge abgesichert, präzisiert und korrigiert werden, andererseits können Paläoökosysteme, Paläoumweltbedingungen und Diagenese-Prozesse genauer rekonstruiert werden. Die Molekular-Paläobiologie nutzt ein weites Feld von Methoden aus der Molekular-Biologie, Genetik, organischen Chemie und Biochemie zur Erforschung von Prozessen und Dynamik der Geobiosphäre und stärkt damit die Verbindung zwischen Biologie und Paläontologie. 4 Grundlegende Prinzipien 1. 1.3. Grundlegende Prinzipien Wie in anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen gilt auch für die Paläontologie eine Reihe grundsätzlicher Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten, deren Akzeptanz vorausgesetzt werden muss, um Phänomene oder Prozesse verstehen und erklären zu können. Dies gilt insbesondere für erdgeschichtlich weit zurückliegende Zeiten, um die Zahl der Variablen in Grenzen zu halten. Zu diesen Prinzipien und Grundlagen gehören vor allem Gesetzmäßigkeiten aus der Physik, Chemie, Biologie, Geologie und Geographie. Ihnen übergeordnet ist das Axiom der Gleichförmigkeit der Prozesse, nach dem jederzeit und überall dieselben Naturgesetze herrschen und geherrscht haben. Das Prinzip beruht auf der Annahme der stetigen Gültigkeit physikalischer, chemischer und biologischer Gesetzmäßigkeiten früher wie heute (sog. Uniformismus; auch: Aktualismus bzw. Aktualistisches Prinzip; lat. actualis, wirklich). Die Kernaussage dieses Prinzips lautet: Die Gegenwart ist der Schlüssel zur Vergangenheit. Als Folge erlaubt die Beobachtung der heute auf der Erde ablaufenden Prozesse Rückschluss auf Prozesse in der Vergangenheit. Ausnahmen vom Aktualistischen Prinzip werden unter der Bezeichnung Anaktualismus (lat. a, an, nicht) zusammengefasst. Dabei handelt es sich um Phänomene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mit dem gegenwärtigen Geschehen erklärt werden können, u. a. lang andauernde geologische Prozesse, eine fehlende Vergleichsbasis und unzugängliche Bildungsorte. Das Aktualistische Prinzip wurde 1785 von J. Hutton (1726–1797; Theory of the Earth) formuliert; er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Geologie und erkannte erstmals die langen Bildungszeiträume, die in den Sedimentgesteinen konserviert bzw. überliefert sind. Grundlegende Prinzipien aus dem Gebiet der Geologie sind v. a. * der „Kreislauf der Prozesse“, der durch den „Kreislauf der Gesteine“ nachgezeichnet wird. Für die Paläontologie sind dabei vor allem die exogenen Prozesse von Bedeutung, z. B. Sedimentation im Lebensraum von Organismen, Einbettung oder Transport und Umlagerung von Organismenskeletten, Lösung oder Fällung von Calciumcarbonat. Im Rahmen der Fossilisation sind auch endogene Prozesse von Bedeutung, z. B. durch den fließenden Übergang von der Diagenese zur schwachen Metamorphose, durch höher metamorphe Überprägung von Fossilien oder deren tektonische Verformung. * die drei geologischen Lagerungsprinzipien von N. Steno (N. Stensen; 1638–1687), 1. Stratigraphisches Prinzip oder Superpositions-Gesetz: In ungestörter, konkordanter Schichtenabfolge ist jede Sedimentschicht älter als die darüber liegende und jünger als die darunter liegende. Primäre Ausnahmen von diesem Grundsatz finden sich z. B. bei der Bildung von Flussterrassen und in der lateralen Progradation (Ausbreitung) von Riffkörpern. 2. Prinzip der ursprünglich horizontalen Lage der Schichten: Alle Schichten werden ursprünglich horizontal abgelagert. Ausnahmen bilden u. a. primäre Schrägschichtung in Dünen- und Strandablagerungen, in Vor- Aktualismus Kreislauf der geologischen Prozesse Lagerungsgesetze von N. Steno 5 Einführung 1. Ablagerungsräume 6 * riff-Schuttkegeln und Flussrinnen sowie kleinmaßstäblich innerhalb von Wellen- und Strömungsrippeln. 3. Prinzip der ursprünglich lateralen Kontinuität: Jede Schicht ist ursprünglich ein zusammenhängendes, tafelförmiges Gebilde eines – theoretisch – unendlichen natürlichen Ablagerungsraumes, welcher erst später durch erosive bzw. tektonische Vorgänge unterbrochen wird. Dieses Prinzip erfährt seine Einschränkung durch das seitliche Auskeilen (Ausdünnen) der Mächtigkeit einer Schicht an den Grenzen eines natürlichen Ablagerungsraumes, also z. B. am Ufer eines Sees oder am Strand des marinen Sedimentationsbeckens. Aus diesen drei Grundprinzipien ergibt sich das Grundphänomen der Konkordanz (konkordante Schichtenfolge; lat. concordo, übereinstimmen), d. h. der ungestörten, lückenlosen, horizontalen Schichtenfolge als Basis der Biostratigraphie. Erst spätere geologische Ereignisse verändern die ursprünglich konkordante Schichtabfolge. Diese wurden in den Lagerungsgesetzen von J. Hutton formuliert, 1. den Diskordanzen und 2. dem Prinzip der durchkreuzenden Strukturen. das Konzept der Ablagerungsräume (Sedimentationsräume), d. h. ein bestimmter geographischer Bereich sehr unterschiedlicher Ausdehnung, der durch die Kombination bestimmter Umweltfaktoren und geologischer Prozesse gekennzeichnet ist. In Sedimenten und deren Verteilung sind die wesentlichen Informationen zur Rekonstruktion der ehemaligen Umwelt und ihrer Veränderung (Wassertiefe, Schelfgradienten, Strömungen, Klima, Küstenlinien etc.) enthalten. In siliziklastischen Ablagerungsräumen überwiegen siliziklastische Sedimente, die vorwiegend aus Quarz bzw. Silizium-haltigen Mineralen bestehen. Auf dem Festland (kontinental) sind dies u. a. Flusstäler, Wüsten, Binnenseen, glaziale Gebiete. Im Grenzbereich zwischen Festland und Meer gehören dazu Strände, Wattgebiete, Lagunen, Deltas; im Meer der Kontinentalschelf, Kontinentalhang sowie die Tiefsee (Roter Tiefseeton). In chemischen und biogenen Ablagerungsräumen entstehen überwiegend chemische und biogene Sedimente; es sind in erster Linie die marinen Carbonat-Bildungsräume (meist tropisch – subtropisch). Vor allem in flachmarinen Bereichen können bioklastische Sedimente überwiegen, deren Komponenten vorwiegend aus carbonatischen biogenen Klasten (Bioklasten) bestehen. Dazu gehören Riffumgebungen, kalkige Sandstrände, Wattgebiete, flache Carbonat-Bänke und -Plattformen sowie die Tiefsee oberhalb der CCD (Carbonate Compensation Depth; Carbonat-Kompensationstiefe). Die aus den Gehäusen planktischer Einzeller (Foraminiferen: Globigerinen) bestehenden Globigerinen-Schlämme des Bathyals und Abyssals sind somit die tiefsten Carbonat-Sedimente. Unterhalb der CCD kommt es in der Tiefsee zur Anreicherung von Bioklasten wirbelloser oder einzelliger Organismen, die aus Skelett-Opal („Kieselsäure“) bestehen (Schwamm-Nadeln, Radiolarien-Gehäuse, Diatomeen-Skelette). Diese Regionen werden auch als kieselige Sedimentationsräume bezeichnet. Biogene Riffe stellen einen Spezialfall dar, weil sie streng genommen kein Sediment (-gestein) im eigentlichen Sinne darstellen. Gemischte Ablagerungsräume entstehen, wenn die Bildung chemischer und biogener Sedimente durch klastische Schüttungen (vom Festland) unterbrochen wird, die sili- Grundlegende Prinzipien * * ziklastische Sedimentation quasi die Carbonat-Sedimentation „erstickt“, weil sie den Bildungsraum der Carbonat-Sedimente beeinträchtigt. Dabei entstehen z. B. Kalkstein-Sandstein-Wechselfolgen, Kalkstein-Mergelstein-Tonstein-Wechselfolgen, Mergel oder Kalksandsteine. die Grundlagen der Calciumcarbonat-Bildung in den chemischen und biogenen Ablagerungsräumen. Es stammt aus der Abscheidung (Skelettmaterial) von wirbellosen Tieren, aus klastischen Komponenten (zerbrochene, aufgearbeitete Schalen, Skelette usw.) und aus der rein chemischen Ausfällung aus dem (an CaCO3 gesättigten) Meerwasser. Entsprechend dem sog. Sorby-Prinzip (nach H. C. Sorby; 1826–1908) sind Kalksteine weitestgehend (d. h. mehr als 90 % der Carbonat-Sedimente in marinen Ablagerungsräumen) biogene Sedimente. Sie entstehen entweder biotisch kontrolliert, d. h. durch Wachstum und Zerfall Carbonat-produzierender Organismen, oder biotisch induziert, d. h. durch organismische Auslöser ausgefällt, v. a. durch die biochemische Aktivität mikrobieller Organismen, welche das Gleichgewicht zwischen Carbonat-Lösung und Carbonat-Fällung im Meerwasser verschieben. Carbonat-Sedimente sind somit intrabasinalen Ursprungs, d. h. sie entstehen aus Körnern überwiegend organismischen Ursprungs, die im Ablagerungsraum selbst gebildet wurden, und aus Präzipitaten (chemischen Ausfällungen) innerhalb des Ablagerungsraumes. Im Gegensatz dazu sind siliziklastische Sedimente extrabasinalen Ursprungs, d. h. sie entstehen durch den Zerfall von Ausgangsgesteinen („parent rocks“) und werden in den Ablagerungsraum hineintransportiert. Um terrigene (vom Festland herstammende) Sedimente zu produzieren und abzulagern ist tektonische Hebung mit Bildung eines Liefergebietes („source area“) und Subsidenz (Absenkung) mit Bildung eines Sedimentationsbeckens nötig. das Prinzip der Fazies. Die Fazies (Plur. Fazies; lat. facies, Aussehen, Beschaffenheit, Antlitz) ist die Summe aller sedimentologischen und paläontologischen Merkmale eines Sedimentes bzw. Sedimentgesteins, die eine Charakterisierung des jeweiligen Ablagerungsraumes (unabhängig von der jeweiligen Größe) ermöglicht. Die Fazies ist also das Erscheinungsbild eines Sedimentkörpers, bestehend aus seinem petrographischen Aufbau, seinem Fossilinhalt (biogene Komponenten) und seinen Gefügemerkmalen, als Abbild eines (fossilen) Ablagerungsraumes. Lithotop und Biotop prägen bzw. charakterisieren eine Fazies. Wichtige Merkmale eines Sedimentkörpers sind z. B. seine Geometrie, seine Lithologie, seine Sedimentstrukturen und die Art, Erhaltung und Verteilung der darin enthaltenen Fossilien. Der Faziesbegriff ist für Ablagerungsräume in unterschiedlichem Maßstab verwendbar. Übergeordnet wird zwischen kontinentaler und mariner Fazies unterschieden; letztere kann in flachmarin und tief(er)marin gegliedert werden. Üblich sind überschaubar dimensionierte Räume, wie z. B. Strand-Fazies, Delta-Fazies, Schelf-Fazies, RiffFazies, die wiederum in weitere Subfazies (z. B. Vorriff-, Zentralriff-, Rückriff-Fazies) unterteilt werden können. Speziell für carbonatische Ablagerungsräume wurde die Carbonat-Mikrofaziesanalyse (-kunde) entwickelt, die sich der mikroskopischen Faziesmerkmale eines Gesteins bedient und über die Klassifikation der einzelnen Komponenten und der sedimentären Strukturen eine Klassifikation der Gesteine und auf diesem 1. Carbonat-Bildung Fazies 7