Kapitel 11 Signalübertragung mittels Leitungen Ausser den bekannten Koaxialkabeln, mit denen vorwiegend Signale zwischen Geräten übertragen werden, existieren weitere Bauformen für Leitungen, die die Signalweiterleitung innerhalb von Leiterplatten oder in integrierten Schaltungen übernehmen. In Bild 11.1 sind eine Streifenleitung und eine sog. Triplate-Leitung als typische Vertreter dargestellt. 11.1 Modell des verlustfreien kurzen Leiterstücks Da in den Leitern Ströme fließen und zwischen den Leitern eine Spannung anliegt, sind sie von magnetischen und elektrischen Feldern umgeben. Dies ist im Bild 11.2 dargestellt. Diese Felder können nun für ein hinreichend kurzes Leitungsstück durch konzentrierte Induktivitäten bzw. Kapazitäten modelliert werden. In Bild 11.3 ist einmal die einfachste Modellierung und dann eine π- Schaltung gezeigt, die bereits die Symmetrie eingangsund ausgangseitig beinhaltet. Die Blindelemente können dabei aus den Induktivitäts- bzw. Kapazitätsbelägen L0 und C 0 bestimmt werden (L = L0 dz C = C 0 dz), wenn dz die Länge des Leitungsstückes ist. Der Begriff hinreichend kurz“kann nun so verstanden werden, dass bezüglich der auftretenden ” spektralen Verteilung der Signale die erkennbare Tiefpasswirkung des Modells noch nicht einsetzt. Der Ausgangsknoten in Bild 11.4 ergibt für den Strom in L: 1 du2 iL = i2 + C 2 dt woraus über die Maschengleichung folgt: Abbildung 11.1: a) Stripline und b) Triplate line 2 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN Abbildung 11.2: Felder in der Umgebung der Leitung Abbildung 11.3: Unsymmetrisch und symmetrische Modellierung eines kurzen Leitungsstückes durch Blindelemente di2 1 d2 u2 u1 = u2 + L + CL 2 . dt 2 dt (11.1) Der Eingangsknoten liefert abschließend den Strom i1 i1 = i2 + 1 du2 1 du2 1 d2 i2 C+ C + LC 2 + . . . 2 dt 2 dt 2 dt (11.2) q Da am Ausgang nun der Widerstand ZL = L/C angeschlossen ist, können die Gln.11.1 und 11.2 so formuliert werden, dass sie nur Ströme bzw. nur Spannungen enthalten: u1 = u2 + L i1 = i2 + du2 1 d2 u2 1 q + CL 2 . dt L/C 2 dt q di2 1 d2 i2 C · L/C + LC 2 dt 2 dt (11.3) (11.4) Die sich ergebende Struktur für die Eingangsgrössen hat eindeutig die einer Maclaurinschen Reihe bis zum quadratischen Term : y(x0 + ∆x) = y(x0 ) + dy 1 d2 y (x0 ) · ∆x + (x0 )∆x2 + . . . dx 2 dx2 11.2. LÄNGERE LEITUNG 3 Abbildung 11.4: Ein Leitungselement,belastet mit der Last ZL Dies bedeutet, dass die Eingangsgrössen unabhängig von√ihrer Form √ gleich den Ausgangsgrössen zu einer früheren Zeitpunkt sind, wobei ∆t = LC = L0 C 0 dz offenbar die Zeitdifferenz zwischen Ausgang und Eingang ist. u1 , i1 (z = 0, t) = u2 , i2 (z = dz, t − dz/c) (11.5) √ Der Quotient dz/∆t = 1/ C 0 L0 stellt dabei die Geschwindigkeit dar, mit der das Signal das Leitungsstück durchlaufen hat. Die am Eingang feststellbare Impedanz u1 /i1 hat offenbar wiederum jenen Wert, den auch der ausgangsseitig angelegte Widerstand hat. Dieser Wert ist also charakteristisch für eine Leitung und heißt deshalb charakteristische Impedanz. 11.2 Längere Leitung 11.2.1 Hinlaufende Welle Eine längere Leitung kann jetzt gedanklich durch eine Kaskade vieler aufeinander folgender kurzer Leitungsstücke aufgefasst werden. Die bisherigen Erkenntnisse lassen sich deshalb auch auf die lange Leitung übertragen: • Ein Signal, das bei 2, 20 auftaucht, wurde vor einer gewissen Zeitspanne, der Laufzeit, bei 1, 10 eingespeist. • Das Verhältnis Spannung zu Strom ist überall auf der Leitung ZL . • Das Signal durchläuft die Leitung mit der Geschwindigkeit c. Wegen des letzten Punktes kann man auch von einer Welle sprechen, die die Leitung entlang läuft, deshalb heißt ZL im Deutschen auch meist Wellenwiderstand. Die obigen Aussagen treffen natürlich nur dann zu, wenn die Leitung mit ihrem Wellenwiderstand, also mit ZL abgeschlossen wird. Man nennt diesen Zustand Anpassung. Die Gl.11.5 kann für diesen Fall auf die lange Leitung übertragen werden, wobei der Index h für hinlaufende Welle steht. uh , ih (z = l, t) = u1 , i1 (z = 0, t − l/c) (11.6) 4 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN Abbildung 11.5: Momentanbilder eines nach rechts laufenden Impulses zu drei aufeinander folgenden Zeiten 11.2.2 Rücklaufende Welle Die Symmetrie der Leitungsstruktur legt es nahe, ausser der hinlaufenden Welle auch eine in umgekehrter Richtung laufende Welle, die rücklaufende, für möglich zu halten. Diese tritt tatsächlich auf, und zwar dann, wenn die Leitung nicht mit ZL , sondern mit einem anderen ohmsche Lastwiderstand abgeschlossen wird (Fehlanpassung). Ebenso führen abrupte Änderungen der Leitergeometrie zu Änderungen des Wellenwiderstandes und provozieren auf dem zuführenden Leitungsstück rückläufige oder reflektierte Wellen. . Abbildung 11.6: Fehlanpassung durch Beschaltung einer Leitung mit a) einer Last R oder b) einer Leitung anderen Wellenwiderstandes Die Belastung der Leitung nach Bild 11.6a beträgt R. Der Widerstand kann Spannung und Strom jedoch nur in einem bestimmten Verhältnis annehmen, dieses beträgt R. Andererseits liefert die Leitung Spannung und Strom im Verhältnis ZL an. Dies provoziert die rückläufige Welle: R= u(t, z = l) uh (t, z = l) + ur (t, z = l) = i(t, z = l) ih (t, z = l) − ir (t, z = l) Definiert man den Reflexionskoeffizienten r als das Verhältnis ur /uh = ir /ih dann ergibt 11.2. LÄNGERE LEITUNG 5 sich: R= 1 + ur /uh 1+r = ZL 1 − ir /ih 1−r woraus sich nach Umbau ergibt: r= Abschluss Reflexionsfaktor R − ZL R + ZL (11.7) Kurzschluß Anpassung Leerlauf R=0 R = ZL R=∞ r = −1 r=0 r=1 Die Last R sieht dabei links der Klemmen 220 einen Ersatzgenerator mit dem Innenwiderstand ZL . Um die Spannung 2R R − ZL = uh R + ZL R + ZL an R erzeugen zu können, braucht dieser Ersatzgenerator eine Leerlaufspannung von u = uh + ur = uh (1 + r) = uh 1 + ZL + R u = 2uh . (11.8) R Wenn anstelle des ohmschen Widerstandes R nun eine weitere Leitung 2 mit einem anderen Wellenwiderstand ZL2 = R folgt, ändert sich links der Klemmen 220 nichts. Rechts läuft eine Welle mit der Spannung ut und dem Strom it weiter, die man dann transmittierte Größen nennt. U0 = 11.2.3 Näherungen für elektrisch kurze Leitungsstücke Unter einem kurzen Leitungsstück soll hier verstanden werden, dass es kurz ist gegenüber den Abmessungen der auftretenden Impulse oder, bei zeitharmonischer Anregung, der Wellenlänge. Im Falle einer hochohmigen Last (R >> ZL )wird am Ausgang viel Spannung anliegen, aber wenig Strom fließen. Wegen der Kürze genügt als einziges Element aus Bild 11.3 a der Kondensator zur Beschreibung. Ein geringer Strom im L bedeutet, dass es kaum ins Gewicht fällt, während viel Spannung zu einem hohen Strom im Quer-C führt. Bei niederohmigen Lasten führt der hohe Strom durch L zu dessen erheblichen Einfluss, die niedrige Spannung erlaubt dagegen die Vernachlässigung von C. 6 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN Abbildung 11.7: Vereinfachungen für kurze Leitungen 11.3 Der Einschaltvorgang 11.3.1 Raumzeitliche Darstellung Das in Bild 11.8a dargestellte Leitungsstück wird an eine Gleichspannungsquelle mit der Spannung 1,333 V und dem Innenwiderstand 16,666 Ω geschaltet. Ausgangseitig ist die Leitung mit 150 Ω beschaltet. Die Reflexionsfaktoren r1 und r2 am Ein- und Ausgang der Leitung betragen deshalb: r1 = 1 16.7 − 50 =− 16.7 + 50 2 r2 = 150 − 50 1 = 150 + 50 2 Abbildung 11.8: Raumzeitliche Darstellung der Spannung auf einer a)beidseitig fehlangepassten Leitung b) beim Einschalten c) t = tf /2 d) t = 3tf /2 e) t = 5tf /2 11.3. DER EINSCHALTVORGANG 7 In der ersten Phase des Hinlaufs sieht der Generator lediglich den Wellenwiderstand ZL als Last. Dadurch läuft eine Stoßfront von 1V (Spannungteiler) in Richtung Last. Der Reflexionsfaktor von 1/2 reflektiert eine weitere Stoßfront ein Richtung Generator (Bild c), die nun der Reflexionsfaktor -1/2 erwartet. Dies erzeugt eine Front von -1/4 V in Richtung Last, usw. Am Lastwiderstand stellt sich deshalb die endgültige Spannung (Spannungsteilung zw. Last und Innenwiderstand) erst nach (theoretisch) unendlich vielen Reflexionen ein. Man nennt diesen Vorgang klingeln“ (ringing). Ursache ist die beidseitige ” Fehlanpassung, die man in der Praxis nach Möglichkeit vermeidet. Abbildung 11.9: Zeitabhängiger Verlauf der Spannung am Lastwiderstand 11.3.2 Das Bergeron Diagramm Abbildung 11.10: a) Ersatz der Leitung durch einen Lastwiderstand ZL b)u-i Kennlinien des Generators und der Last Das von dem französischen Wasserbau-Ingenieur Bergeron angegebene Diagramm kombiniert die u,i-Kennlinien von Generator und Last sowohl am Eingang als auch am Ausgang der Leitung. Wie aus Bild 11.10 hervorgeht, sind die Gleichungen 8 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN u = U0 − iRG und u = Ri für Generator und Last als Geraden dargestellt, deren Schnittpunkt (∞)die sich ergebenden Endwerte von u und i wiedergibt. Ersetzt man jetzt nach Bild 11.10 a die Last durch den in dem Zeitintervall der Bilder 11.8 b und c) wirksamen Wellenwiderstand, auf den der Generator bis zum Eintreffen einer Reflexion arbeitet, dann ergeben sich für dieses Intervall andere Werte (1). Verlagert man nun die Betrachtung an den Ausgang der Schaltung, dann stellt die Schaltung links der Klemmen 2, 20 einen Generator mit dem Innenwiderstand ZL und der Leerlaufspannung 2uh dar (Bild 11.8 bzw. 11.11 a). Am Ausgang stellen sich daher Spannung und Strom gemäß Punkt 2 in Bild 11.11 b ein. Abbildung 11.11: a) Ersatzschaltung für den Ausgang b) u,i Kennlinien für Generator und Last Für den Fall der Anpassung wären jetzt für Eingang und Ausgang die Endwerte erreicht. Da jedoch keine Anpassung vorliegt, setzt sich eine rückläufige Welle in Gang, die zur Zeit 2tf den Eingang erreicht und dort Spannung und Strom verändert (Punkt 3 in Bild 11.12). Der Ersatzgenerator hat nun die Leerlaufspannung 2ur und die Last besteht aus der ursprünglichen Spannungsquelle und deren Innenwiderstand RG . Man erkennt bei Betrachtung des Bildes 11.12, dass die Ermittlung der jeweiligen Leerlaufspannung eigentlich unnötig ist, da die Geraden mit den Steigungen entsprechend +ZL bzw. −ZL immer durch den vorher gültigen Punkt gehen und deshalb von dort aus konstruiert werden können. 11.4. LEITUNGSÜBERSPRECHEN 9 Abbildung 11.12: Bergeron-Diagramm nach 4tf . Der Endzustand ist noch nicht erreicht. 11.4 Leitungsübersprechen Der Begriff Übersprechen stammt aus der Fernmeldetechnik, als die Telephongespräche noch direkt auf parallel geführten Drähten liefen. 11.4.1 Kurze Leitungsstücke Wenn zwei Leitungen so eng nebeneinander verlaufen, dass magnetische Feldlinien der aktiven, also störenden Leitung die zweite durchfluten bzw. elektrische Feldlinien der ersten auf den Leiterbahnen der zweiten landen, dann muß dies durch Ersatzelemente 0 beschrieben werden. MK0 bzw. CK Abbildung 11.13: a) magnetische Feldlinien durchfluten eine zweite Leitung b) elektrische Feldlinien landen auf einer zweiten Leitung Ist das betrachtete verkoppelnde Stück beider beteiligten Leitungen kurz, genügt je ein Element nach Bild 11.14 dafür. Die Ersatzschaltbilder zweier Leitungsstücke werden also durch die Koppelelemente MK und CK , letzteres wegen der Symmetrie aufgeteilt, ergänzt. Im aktiven Kreis soll Anpassung herrschen, so dass dort nur eine hinlaufende Welle existiert und somit uh ZL · ih gilt. Der kapazitiv eingekoppelte Strom verteilt sich auf die Impedanzen Z3 = ZG und Z4 = ZZ des gestörten Kreises, während der induktiv eingekoppelte die beiden Impedanzen in Serie durchfließt: iC = duh 1 0 · CK · dz · dt 2 iM = dih 1 duh 1 · MK0 · dz · = · MK0 · dz · dt 2ZL dt 2ZL2 (11.9) 10 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN Abbildung 11.14: Kopplung durch ein kurzes Stück parallel geführter Leitungen Dadurch addieren sich die beiden Ströme bei 3 und subtrahieren sich bei 4. 11.4.2 Längere Leitungsstücke Nun muss die Koppelwirkung entlang einer längeren Strecke erfasst werden. Anstelle der Lasten ZG , ZZ tritt nun der Wellenwiderstand ZL . Nach rechts und links laufen nun die von dem betrachteten kurzen Stück übergekoppelten Wellen: duh 1 0 · (CK ZL ± MK0 /ZL ) · dz · dt 2 Umformung des in Klammern stehenden Terms ergibt unter Verwendung von dukh,r = ZL (ic ± il ) = ZL = q q 0 0 L0 /(C 0 + CK ) und v = 1/ L0 · (C 0 + CK ) 0 1 MK0 1 CK ± 0 (C 0 + CK )v L v Mit Hilfe der in Bild 11.14 definierten Koppelkoeffizienten km und ke ergibt dies: duh 1 1 (ke ± km ) · dz · dt v 2 Um die Auswirkung nach rechts zu erhalten (Fernnebensprechen, Vorwärtskopplung), muss noch über die alle Beiträge integriert werden. Für die Verzögerung jedes Beitrags gibt es zwei Ursachen: einmal die Laufzeit des störenden Signals auf der aktiven Leitung bis zur Koppelstelle und dann den Beitrag auf der passiven Leitung bis zum fernen Ende. Die Summe beider beträgt unabhängig davon, wo gekoppelt wird, l/c. dukh,r = l du1 1 (t − l/v) (ke − km )dz 2v 0 dt Da die Integrationsvariable z nirgendwo im Integranden auftaucht, ergibt die Integation das Ergebnis l : ukh = Z ukh = du1 1 (t − l/v) (ke − km ) · l dt 2v 11.4. LEITUNGSÜBERSPRECHEN 11 Beim völlig homogenen Dielektrikum wie bei der Triplate-Struktur gilt ke = km , es kommt also nichts an. Bei der Rückwärtskopplung (Nahnebensprechen) gibt es wieder zwei Ursachen für die Verzögerung der gekoppelten Beiträge : Die Verzögerung z/v bis zur Koppelstelle auf der aktiven Leitung, und dann die durch den Rückweg auf der passiven Leitung von derselben Größe. l du1 1 (t − 2z/v) (ke + km )dz 2v 0 dt Wegen des Arguments von du1 /dt entspricht eine Differenziation nach z aber ukr = Z du1 −2 du1 −2 du1 = · = · dz (.) v dt v sodass elementar integriert werden kann: 1 ukr = −(u1 (t − 2l/v) − u1 (t) (ke + km ) 4 Diese Ergebnis deutet auf Einkopplung des Originalsignals einmal am Begin der Koppelstrecke und einmal am Ende hin. Im Bild 11.15 ist dies für ein trapezförmiges Signal gezeigt. Abbildung 11.15: Vorwärts- und Rückwärtskopplung bei einem trapezförmigen Impuls 12 11.5 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN Leitungen mit Verlusten Verlustfreie Leitungen verändern die Form eines Signals bei seiner Wanderung entlang der Leitung nicht, d.h. alle spektralen Anteile werden gleich behandelt. Bei Leitungen mit Verlusten ist dies nicht mehr generell so. Ein Signal verlässt eine verlustbehaftete Leitung kleiner und unter Umständen sogar mit einem anderen Aussehen. Bei ersterem spricht man von Dämpfung, bei letzterem von Dispersion. Dispersionsfrei ist eine Leitung nur noch, wenn die Verluste entweder klein sind oder im gleichen Maße im Längs- und im Querzweig des Ersatzschaltbildes anfallen. Genau dies ist aber im technischen Bereich nicht der Fall. Abbildung 11.16: Skineffekt und Proximityeffekt a) realer Verlauf der Stromdichte ins Leitermaterial hinein b) äquivalente Leitschichtdicke c) Konzentration des Masse-Rückstroms unter der Leiterbahn Als Skineffekt wird die unangenehme Eigenschaft der Ströme bezeichet, sich um so mehr auf die Oberfläche der Leitermaterialien zurückzuziehen, je höher die Frequenz ist. Der an sich exponentielle Abfall der Stromdichte und der Felder ins Leitermaterial hinein nach Bild 11.16 a kann durch den Begriff der “äquivalenten Leitschichtdicke“ umgedeutet werden in eine gleichförmig durchströmte Schicht der Dicke (Bild 11.16 b)x0 . Für Kupfer q gilt z.B. x0 = 66mm/ f /Hz Frequenz 10 kHz Eindringtiefe 0,66 mm 1 MHz 66 µm 100 MHz 6,6µ m 10 GHz 0,66µm Dadurch wird oft nur ein kleiner Bruchteil des vorhandenen Leitermaterials ausgenutzt und die Verluste steigen mit der Frequenz rasch an. Durch den ebenfalls bei höheren Frequenzen stark zunehmenden Poximityeffekt“ werden ” nach Bild 11.16 c die auf dem Masseleiter fließenden Rückströme immer stärker unter die Leiterbahn gezwungen und können ebenfalls nicht das gesamte vorhandene Leitermaterial durchströmen. 11.5. LEITUNGEN MIT VERLUSTEN 11.5.1 13 Die schwach verlustbehaftete Leitung Die Analyse des schwach gedämpften Leitungsstücks unterscheidet in zwei Punkten von der des ungedämpften Leitungsstückes: • Zum Serien-L tritt der Verlustwiderstand R. • Der neue Wellenwiderstand ZLv bekommt einen Blindanteil hinzu. Abbildung 11.17: Schwach verlustbehaftetes Leitungsstück, abgeschlossen mit seinem Wellenwiderstand Die Ermittlung des Wellenwiderstandes kann nun nur noch im Frequenzbereich erfolgen: s ZLv = jωL + R = jωC s L · C s 1+ R jωL Solange R << ωL ist, spricht man von schwacher Dämpfung und kann die zweite Wurzel in eine Taylorreihe entwickeln: ZLv ≈ ZL 1 + 1 R R = Z L + ZL = ZL + jω2L jω2L jωCz Da sich ein frequenzunabhängiges zusätzliches Bauelement Cz ergeben hat, kann die Analyse wieder im Zeitbereich erfolgen. Mit dem jetzt etwas komplizierteren Zusammenhang zwischen u2 und i2 : u 2 = Z L i2 + 1 Z i2 dt Cz läuft die Analse analog zum verlustfreien Fall ab und wird nicht wiederholt. Resultat ist: i1 = i2 √ R di2 R 1 0 0 2 d2 i2 R 3 0 0 1+ + 1+ + ... L C dz + L C dz 1+ (11.10) 2ZL dt 2ZL 2 dt2 2ZL 2 Wieder erkennt man die ersten Glieder der Taylorentwicklung von i1 : dz α i1 (z = 0, t) = i2 (z = dz, t + dz/v) · 1 + ZL √ Die Laufzeit ∆t = l0 C 0 hat sich offenbar nicht verändert. Die angehängte Klammer zeigt aber an, dass i1 grösser ist als i2 , also eine Dämpfung vorliegt. Sie kann als die 14 KAPITEL 11. SIGNALÜBERTRAGUNG MITTELS LEITUNGEN ersten beiden Glieder einer Exponentialfunktion exp(αz) aufgefasst werden. Aus der Gl. 11.6 wird im Fall schwacher Dämpfung uh , ih = u1 , i1 e−αz f (t − z/v) (11.11) wobei α = R0 /(2ZL ) ist. Abbildung 11.18: Schwach gedämpfter Impuls zu verschiedenen Zeiten Es entsteht hier der Eindruck einer völlig frequenzunabhängigen Dämpfung. Dies stimmt nur, wenn R0 frequenzunabhängig ist. Bei höheren Frequenzen wird dies vom Skineffekt aber verhindert. Dort sinkt die Leitschichtdicke mit der Wurzel der Frequenz, was bei R0 √ und damit bei α zu einem Anstieg gemäß f führt. Diese Frequenzabhängigkeit ist der Grund, warum man bei Satellitenempfangsanlagen die ankommenden Kanäle von 12 GHz schon in der Empfangseinheit auf ca. 1 Ghz umsetzt und dann erst auf das Kabel zum Empfänger gibt. 11.5. LEITUNGEN MIT VERLUSTEN 11.5.2 15 Stark gedämpfte Leitung Der Einfluss einer stark gedämpften sog. RC-Leitung nach Bild 11.17b soll anhand eines praktisch wichtigen Beispiels, der Verbindung zweier Gatter in CMOS-Technik demonstriert werden. Abbildung 11.19: a) Stark verlustbehaftete Leitung zwischen zwei Gattern in CMOSTechnik b) Anstieg der Sprungantwort am Ausgang eines RC-Tiefpasses Sie erinnert stark an einen RC-Tiefpass mit dem Unterschied, dass die erste Hälfte der Leitungskapazität nicht am Ausgang liegt. Beim RC-Tiefpass mit nur einem C beträgt die Anstiegszeit auf 90% des Endwertes 2, 3RC (Bild 11.19b). Die komplette Verlagerung der vorderen Hälfte von C 0 l nach hinten würde für die Anstiegszeit erbringen: tA = (RG + R0 l) · (C 0 l + CDG ) · 2, 3 wobei RG der Innenwiderstand der treibenden Stufe und CDG die Drain-Gate Kapazität der nachfolgenden Stufe darstellt. Ausmultiplizieren ergibt einen Term, der nicht von der Leitungslänge l abhängt, zwei, die linear von l abhängen und einen, der vom Quadrat von l abhängt. tA = (RG C 0 l + R0 C 0 l2 + RG CDG + R0 lCDG ) · 2, 3 Die Verlagerung der ersten Hälfte der Leitungskapazität ans Ende verschafft dieser einen zu grossen Einfluss, so dass es nicht verwundert, wenn in der empirischen Formel der quadratisch von l abhängende Term geringer gewichtet wird: tA = (RG C 0 l) + RG CDG + R0 lCDG ) · 2, 3 + R0 C 0 l2 · 0, 9 Trotzdem muss dieser Term im Auge behalten werden, da er bei grösseren Leitungslängen einen immer grösseren Einfluss gewinnt.