Aktuelles Wissen – für Sie auf den Punkt gebracht Newsletter November 2012 Die metastasierte Brustkrebserkrankung Etwa jede 4. bis 5. Frau mit einem Mammakarzinom entwickelt eine Metastasierung. Das ist eine für die betroffenen Frauen sehr belastende Situation und die Behandlung und Begleitung dieser Patientinnen stellt Ärzte und Pflegepersonal vor große Herausforderungen. Hat sich ein entsprechender Verdacht ergeben, sollten einige grundsätzliche Überlegungen angestellt werden: • Ist die Diagnose einer Metastase plausibel? • P asst sie zur Grunderkrankung auch mit Rücksicht auf die ursprüngliche Tumorformel und Risikokonstellation? • Ist differentialdiagnostisch ein neuer Primärtumor in Erwägung zu ziehen? Oft ist es sinnvoll, den Verdacht histologisch zu sichern. Dabei sollte die Tumorbiologie (d.h. Hormonrezeptoren und Her2neu-Status) geprüft werden, da hier mitunter Veränderungen zu Primärtumor zu beobachten sind. Die palliative Therapie ruht dann auf einem sicheren Fundament und möglicherweise eröffnet eine Her2neu positive Situation eine unerwartete Therapieoption. In den Händen eines erfahrenen interventionellen Radiologen wird eine CT-gesteuerte Biopsie nur in sehr seltenen Fällen durch eine ungünstige Lokalisation unmöglich sein. Ist die Metastasierung nachgewiesen oder hinreichend plausibel, sollte ein komplettes Re-Staging erfolgen, also eine Knochen-Szintigraphie (beim Brustkrebs finden sich die meisten Metastasen in den Knochen), eine Sonographie der Leber bzw. des Oberbauches sowie ein Röntgen-Thorax. Bei jüngeren Frauen mit einem hohen systemischen Risiko kann auch ein CT des Schädels sinnvoll sein. In ausgewählten Situationen kann eine operative Resektion einer Metastase erwogen werden, besonders bei Vorliegen einer einzelnen Metastase. Ich habe erstaunlich gute Verläufe erlebt, wenn beispielsweise eine singuläre Hirnmetastase reseziert und anschließend eine Bestrahlung durchgeführt wurde. Natürlich müssen hier entsprechende Fachkollegen für die Indikationsstellung konsultiert werden. Eine palliative Bestrahlung kann bei Knochenmetastasen indiziert sein, wenn Schmerzen oder eine Gefährdung der Stabilität vorliegen. Die Bestrahlung ist dann in aller Regel der erste Behandlungsschritt und zeitnah zu veranlassen. In den letzten Jahren haben verschiedene Interventionen das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten bereichert. Dies betrifft besonders Lebermetastasen. Interventionelle Radiologen bieten Behandlungen durch Radiofrequenzablation (RFA) oder Laser-induzierte Thermotherapie (LITT) an. Die Indikation hängt von Zahl, Größe und Lokalisation der Filiae, aber natürlich auch von der onkologischen Gesamtsituation ab. In fortgeschrittenen Situationen kann auch eine selektive intrahepatische Radiotherapie (SIRT) sinnvoll sein. Natürlich sollten die Erwartungen an diese Methoden realistisch bleiben. Die Prognose bleibt schlecht und eine Intervention ersetzt keine systemische Therapie, sondern kann diese allenfalls ergänzen. Bei Pleuraergüssen ist meist eine Pleurodese ratsam, da hierdurch eine schnelle und nicht selten auch anhaltende Linderung der Luftnot erzielt werden kann. Eine weitere Intervention stellt die Kyphoplastie dar. Hier werden osteolytisch veränderte Wirbelkörper durch eine Injektion von Zement aufgedehnt, was durch eine Entlastung der Nervenkompression besonders zur Schmerzlinderung beitragen kann. Die entscheidende Säule zur Kontrolle einer Metastasierung ist die medikamentöse Tumortherapie. Ziel ist hierbei vor allem die Erhaltung der unter den gegebenen Umständen best möglichen Lebensqualität. Das bedeutet „soviel Therapie wie nötig, so wenig wie möglich“. Die Behandlung zielt nicht erster Linie auf Lebensverlängerung, sondern auf Symptomkontrolle. Je mehr die Erkrankung die Lebensqualität beeinträchtigt, desto eher ist auch nebenwirkungsreiche Chemotherapie zu vertreten. Sofern eine entsprechende Expression der Hormonrezeptoren es zulässt und der Remissionsdruck nicht ein ganz schnelles Ansprechen erfordert, sollte zunächst eine palliative endokrine Therapie erwogen werden, zumal bei rein ossärer Metastasierung. Wurde bis dahin nur Tamoxifen gegeben, wird die Behandlung mit einem Aromatasehemmstoff fortgeführt. Wurde beides schon adjuvant eingesetzt, wird überwiegend Fulvestrant (Faslodex®) empfohlen (500 mg alle 4 Wochen beidseits intramuskulär mit einmaliger Aufsättigungsdosis nach 2 Wochen). Der Verlauf sollte durch eine Bild gebende Darstellung einer Referenzmetastase alle 3–4 Monate überprüft werden, auch der Tumormarker (beim Brustkrebs Ca 15-3) kann eine Orientierung geben. Berücksichtigt werden muss dabei, dass eine endokrine Therapie nicht so schnell wirkt wie eine Chemotherapie d.h. nach frühestens 2–3 Monaten. Das Ausbleiben eines Tumorprogress ist als Ansprechen zu werten, also auch eine stable-disease Situation. Bei hohem Remissionsdruck (drohendes Organversagen oder belastende Symptome wie Luftnot) oder deutlichem Fortschreiten der Erkrankung unter einer endokrinen Therapie muss eine palliative Chemotherapie diskutiert werden, wobei meist Monotherapien einer Polychemotherapie vorgezogen werden. Die Auswahl der Substanzen hängt von der Vorbehandlung ab (wurden adjuvant Anthrazykline oder Taxane gegeben), von eventuellen Einschränkungen der Organfunktionen (z.B. keine Taxane bei stark eingeschränkter Leberfunktion) sowie den Wünschen der Patientin (z.B. Alopezie). Häufig eingesetzt werden Taxane (z.B. Paclitaxel 80mg/qm wöchentlich oder Nab-Paclitaxel/Abraxane®), Capecetabin (Xeloda®) als orale Chemotherapie über 14 Tage, peg-liposomales Doxorubicin (Caelyx®), Vinorelbin (Navelbine®) oral oder als Infusion oder Eribulin (Halaven®). Da die Lebensqualität das Ziel unserer Bemühungen darstellt, ist auf eine entsprechende supportive Behandlung zur Kontrolle möglicher Nebenwirkungen zu achten (z.B. effektive Antiemetika). Bei Patientinnen mit einer Her2neu positiven Erkrankung stehen Substanzen zur Verfügung, die sich auf den Her2-Rezeptor richten, weshalb von „zielgerichteten Substanzen oder Therapien“ gesprochen wird. Herceptin® (Trastuzumab) wird adjuvant aber auch palliativ (als Monotherapie oder in Kombination mit Chemo- oder endokriner Therapie) eingesetzt. Die Verträglichkeit ist meist sehr gut und die Remissionen sind oft lang anhaltend. Die Behandlung erfolgt bis zum Progress. Dann kann Tyverb® (Lapatinib) eine Option sein (zugelassen in Kombination mit Xeloda). Pertuzumab ist eine neue Substanz, die vermutlich in Zukunft in Kombination mit Trastuzumab die Wirksamkeit der Therapie weiter verbessern wird. Andere neue Substanzen richten sich auf andere Targets und es werden in den nächsten Jahren vermutlich noch einige hinzukommen. Bevacizumab (Avastin®) ist ein Angiogenesehemmstoff, der unter anderem zur Behandlung von Brust- und Eierstockkrebs zugelassen ist. Beim Mammakarzinom scheint die Wirkung bei aggressiven triple-negativen Tumortypen besonders gut zu sein. Everolimus (RAD-001 / Afinitor®) ist ein mTOR-Inhibitor, der (oral verabreicht) mit einer endokrinen Therapie kombiniert werden. Diese neuen Substanzen bringen teilweise auch ungewohnte Nebenwirkungen mit sich (wie die Stomatitis beim Everolimus). Bei Vorliegen von Knochenmetastasen ist die begleitende Gabe einer antiresorptiven Substanz obligat, um Komplikationen wie Schmerzen oder Frakturen vorzubeugen. Meist werden Bisphosphonate eingesetzt, überwiegend intravenös alle 4 Wochen (z.B. Zoledronat 4mg/Zometa®). Zu achten ist auf Zulassungskonformen Einsatz besonders in der Abgrenzung zur Osteoporose. Ein kürzlich zugelassene Alternative stellt die Substanz Denusomab dar (XGEVA®), die alle 4 Wochen subcutan verabreicht wird. Selbstverständlich ist bei Schmerzen eine begleitende Schmerztherapie zur Erhaltung der Lebensqualität von großer Bedeutung. Auch in der palliativen Situation gibt es komplementäre bzw. naturheilkundliche Behandlungsoptionen, sofern dies von der Patientin gewünscht wird. Eine Misteltherapie beispielsweise wird in diesem Fall von den Krankenkassen übernommen. Auch eine intravenöse Gabe von Mistelpräparaten kann im Sinne eines individuellen Heilversuches sinnvoll sein. Ich versuche, die Präferenzen der Patientinnen ernst zu nehmen, vorurteilsfrei zu beraten, aber auch die betroffenen Frauen vor wirtschaftlichem Schaden durch unseriöse Behandlungsangebote zu schützen. Das Auftreten einer Metastasierung bedeutet eine große seelische Belastung für die Patientin, ihre Familie und ihr soziales Umfeld. Wir gehen von einer nicht mehr heilbaren Erkrankung aus und darüber sollten wir auch sprechen. Die Kommunikation spielt in solchen Situationen eine extrem wichtige Rolle. Der Hoffnung können wir immer Raum geben, denn die Hoffnung muss sich nicht auf Heilung richten. In der Metastasierung hoffen die Menschen auf eine Wirkung der palliativen Therapie und ein Ansprechen der Erkrankung, aber auch auf Zuwendung, Aufrichtigkeit, Linderung von Schmerzen, Beistand und Frieden mit ihrem Leben und Sterben. Auch die Angehörigen sind belastet und dankbar für Zuspruch. Eine psychoonkologische Beratung kann hilfreich sein. Am Ende sind oft das Gespräch und die menschliche Begegnung wichtiger als Medikamente. Mit kollegialen Grüßen Dr. Axel Widing