Zytokine und die immunmodulatorische Funktion des Vagusnervs

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Britische Zeitschrift für Anästhesie 102 (4): 453-62 (2009)
Vorabdruck 3. März 2009
Zytokine und die immunmodulatorische
Funktion des Vagusnervs
G. R. Johnston und N. R. Webster*
Institut für Medizinwissenschaften, Universität Aberdeen, Foresterhill, Aberdeen AB25
2ZD, UK
E-Mails sind zu richten an den Autor: [email protected]
Die Zytokinsynthese und -freisetzung sind die zentralen Aufgaben des angeborenen
Immunystems. Eine gestörte und überschießende Produktion führt zu einer
systemischen, den ganzen Körper betreffenden, Entzündungsreaktion, wodurch
Fernorgane geschädigt werden. Aus der jüngsten Forschung geht hervor, dass dem
Vagusnerv eine immunmodulatorische Funktion zukommt. Wird sein efferenter
Schenkel aktiviert, kommt es zur Regulierung der Zytokinproduktion. Diese
neuroimmune Kommunikation, als 'cholinerger antiinflammatorischer Weg' bezeichnet,
hilft dem Wirt rasch, von sich aus und örtlich begrenzt, die Immunantwort zu regulieren
und eine schwere Entzündung zu vermeiden. Die Stimulation des Vagusnervs verringert
die Zytokinproduktion und verbessert die Überlebenschancen im Experiment bei
Sepsis, beim hämorrhagischen Schock, bei einer Schädigung durch
Ischämie/Reperfusion und bei anderen durch Zytokinüberschuss verursachten
Erkrankungen. In der Forschung werden zur Zeit brandneue Therapeutika zur
Stimulation des Vagusnervs entwickelt. Diese stimulieren ihn entweder direkt oder
beziehen sich auf bestimmte Teile seiner Leitungsbahn.
Stichwörter: Komplikationen, Infektion; Immunreaktion; parasympatisches
Nervensystem, Vagus; Polypeptide, Zytokine
Die Überlebenschancen sind abhängig davon, ob das Immunsystem imstande ist, den
Körper gegen eindringende Pathogene und die Verletzung zu schützen. Das Ausmaß
dieser Reaktion ist dabei von entscheidender Bedeutung. Eine Unterreaktion kann
Sekundärinfektionen aufgrund einer Immunsuppression verursachen und eine
Überreaktion kann gefährlicher sein als die ursprüngliche Verletzung.
Die immunologische Reaktion kann in zwei verschiedene Reaktionstypen unterteilt
werden (Tabelle 1). Die angeborene (unspezifische) Reaktion findet schnell statt. Sie
unterscheidet nicht zwischen fremden Substanzen und steigert sich nicht, wenn ein
Kontakt mit dem selben Antigen erneut stattfindet. Sie funktioniert auf der Grundlage
natürlicher Killerzellen, welche von inflammatorischen Mediatoren und phagozytischen
Zellen, etwa Neutrophilen, Monozyten und Makrophagen, freigesetzt werden. Im
Gegensatz dazu wird die erworbene (spezifische) Immunreaktion durch Kontakt
hervorgerufen. Sie ist für jedes in Berührung gekommene Antigen spezifisch. Sie
verbessert sich, sobald ein neuerlicher Kontakt mit dem spezifischen Antigen
stattgefunden hat. Mithilfe der antigenspezifischen B- und T-Lymphozyten wird das
Antigen erkannt und eine Reaktion darauf ausgelöst.
Zytokine
Ein wesentliches Merkmal des angeborenen Immunsystems ist die Produktion und
Ausschüttung von Zytokinen. Zytokine sind niedrigmolekulare Proteine, die nach der
Bindung an bestimmte Rezeptoren die Immunzellteilung, Zellproliferation und -aktivität
beeinflussen. Sie werden nicht gespeichert, sondern während der Aktivierung der
Entzündungskaskade neu erzeugt und freigesetzt. Sie wirken multifunktional, aber im
wesentlichen dirigieren sie die Entzündungsreaktion auf Infektions- und
Verletzungsherde und verbessern ihre Wundheilung. Grob gesagt können Zytokine in
jene mit entzündungsfördernder und in jene mit entzündungshemmender Wirkung
unterteilt werden. Proinflammatorische Zytokine besitzen den Tumornekrosefaktor-α
(TNF-α), das Interleukin-1 (IL-1), IL-6, und lL-8. Antiinflammatorische Zytokine besitzen
den IL-1 Rezeptorantagonisten, IL-10, IL-13 sowie TNF-bindende Proteine 1 und 2.
Der Tumornekrosefaktor-α
Während der Infektion oder nach einer Verletzung ist TNF-α ein wichtiger und
wirksamer Entzündungsmediator. Er wird hauptsächlich mittels
Monozyten/Makrophagen und T-Zellen synthetisiert und hat innerhalb der Zirkulation
eine Halbwertszeit von <20 min. TNF-α hat im Rahmen der Zytokinkaskade eine
entscheidende Funktion, weil er die Entzündungsreaktion koordiniert und die distalen
Mediatoren aktiviert. Er veranlasst in hohem Maße auch die Ausschüttung anderer
proinflammatorischer Zytokine. TNF-α löst beträchtliche metabolische und
hämodynamische Veränderungen aus und ist imstande eine Endorgandysfunktion
hervorzurufen. Außerdem ist er verantwortlich für die Koagulationsaktivierung, den
Muskelkatabolismus und die Kachexie.
Interleukin-1
Es existieren zwei Formen von lL-1 (IL-α and IL-β), welche die selben
Zelloberflächenrezeptoren identifizieren und aus diesem Grund verschiedene
biologische Aktivitäten gemeinsam haben. IL-1 wird durch Monozyten, Leukozyten und
andere Zelltypen synthetisiert und hat eine Halbwertszeit von ~6 min. Beide, IL-α and
IL-β, rufen metabolische und hämodynamische Veränderungen, die jenen des TNF-α
ähnlich sind, hervor, aktivieren die Bildung anderer Zytokine und mildern das
Schmerzempfinden dadurch, dass sie die Freisetzung von β-Endorphinen fördern.
Tabelle 1 Bestandteile des Immunsystems
Angeboren
Primärer Abwehrmechanismus
Sofortige Reaktionszeit
Unspezifische Reaktion – wird infolge unterschiedlicher fremder Substanzen aktiviert
Kein immunologisches Gedächtnis
Bedient sich natürlicher Killer-, Mastzellen, eosenophiler, basophiler und phagozytischer
Zellen
Erworben
Zweite Verteidigungslinie
Maximale Reaktionsverzögerung
Spezifische Reaktion – antigen- und pathogen-spezifische Antwort verursacht durch
vorangegangenen Kontakt
Das immunologische Gedächtnis reagiert mit einer verbesserten Antwort auf
wiederholten Kontakt mit einem spezifischen Antigen
Bedient sich antigenspezifischer B- und T-Lymphozyten
Interleukin-6
TNF-α und IL-1 veranlassen die IL-6-Synthese aus vielen Zelltypen, wie etwa den
Lymphozyten, Fibroblasten und Monozyten. Diese Erscheinung kann 10 Tage nach der
Verletzung beobachtet werden. Dadurch wird eine Reihe von biologischen Wirkungen
hervorgerufen, wie etwa die Aktivierung von Neutrophilen, die Induktion einer
hepatischen Akut-Phase-Reaktion und die Aktivierung der Koagulation.
Interleukin-8
IL-8 ist ein Chemokin, das von einer Vielzahl von Zellen, wie etwa der Monozyten,
Leukozyten und der endothelialen Zellen, als Reaktion auf unzählige Reize, den TNF-α,
das IL-1 und das Endotoxin mit eingeschlossen, gebildet wird. IL-8 verursacht keine
hämodynamische Dekompensation wie sie beim TNF-α und IL- 1 beobachtet wird, aber
es aktiviert Neutrophile und zieht sie zu den Entzündungsherden.
Interleukin-10
Mit überwiegend antiinflammatorischer Wirkung unterdrückt IL-10 hochgradig die
Aktivierung von Makrophagen und blockiert ihre Eigenschaft, proinflammatorische
Zytokine zu bilden und zu sezernieren. In vitro kann das lL-10 die Bildung des TNF-α,
des IL-1, IL-6 und IL-8 hemmen. Deshalb ist es als der Zytokinsynthese-Inhibitionsfaktor
beschrieben worden.
lnterleukin-13
Ähnlich dem IL-10, gilt auch IL-13 als ein wirksames anti-inflammatorisches Zytokin,
das die Aktivierung von Makrophagen mit der daraus resultierenden
proinflammatorischen Zytokinbildung und -äußerung inhibiert. Zusätzlich kann IL-13 die
Stickoxidproduktion (NO) inhibieren und Neutrophile zur Bildung des
IL-1-Rezeptorantagonisten anregen.
Die Wirkung der proinflammatorischen Zytokine
In Phasen guter Gesundheit, aber auch Krankheit wird eine sensible Balance zwischen
den pro- und anti-inflammatorischen Zytokinen gewahrt. Dies wird als Zytokinbalance
bezeichnet. Proinflammatorische Zytokine wirken nahe an der Stelle, an der sie
freigesetzt wurden. Sobald sich jedoch die Entzündungreaktion der örtlichen Kontrolle
entzieht, wird eine systemische, den ganzen Körper betreffende, Reaktion ausgelöst.
Um dies auf ein Minimum zu beschränken, haben TNF-α und IL-1 eine kurze
Halbwertszeit. Ein System von Membranreservoiren halten die Zytokine nahe an der
Stelle ihrer Freisetzung und die antiinflammatorischen Zytokine ändern die
Entzündungsreaktion des Wirts.
Das Herz betreffend
TNF-α kann einen sofortigen wie auch verzögerten negativen inotropischen Effekt auf
das myokardiale Gewebe auslösen. Dies hat eine Dysfunktion des linken Ventrikels zur
Folge. TNF-α, IL-1β und IL-6 sind an der Myokarddepression beteiligt, indem sie die
Myozyten direkt beeinflussen. (Tabelle 2)
Die Gefäße betreffend
Proinflammatorische Zytokine haben eine signifikante Wirkung auf den vaskulären Ton,
hauptsächlich durch die Leitungsbahn des Stickoxids vermittelt, woraus eine
Vasodilatation resultiert. Es ist beobachtet worden, dass TNF-α und IL-1β beide die
Stickoxidproduktion ankurbeln. Es wurde berichtet, dass sie auf Vasokonstriktoren nicht
reagieren können, nachdem sie über eine länger andauernde Phase diesen Zytokinen
ausgesetzt waren.
Die Atemwege betreffend
Eine inflammatorische Lungenverletzung tritt auf, wenn aktivierte Neutrophile und
Makrophagen vom Lungengefäßsystem in Alveolar- und Interstitialräume wandern.
Makrophagen sekretieren TNF-α, IL-1 und IL-8, die ihrerseits mithilfe von
Lungenepithel- und Mesenchymzellen eine weitere Zytokinbildung anregen. Es hat sich
herauskristallisiert, dass IL-8 beim Auftreten eines Akuten respiratorischen
Distress-Syndroms (ARDS) eine pathogene Rolle spielt, indem es eine durch
Neutrophile vermittelte Lungenverletzung verursacht.
Tabelle 2 Die Wirkung proinflammatorischer Zytokine auf Organsysteme
Das Herz betreffend: Negative inotropische Wirkung auf den Herzmuskel
Linke ventrikuläre Dysfunktion
Die Gefäße betreffend: Vasodilatation
Die Atemwege betreffend: Akute Lungenverletzung
Pathogene Rolle bei ARDS
Die Nieren betreffend: Glomeruläre Verletzung
Tubulärer Zellschaden
Die Leber betreffend: Vermehrte Synthese von Akut-Phase-Proteinen
Koagulation: Regulierung extrinsischer Leitungsbahnen und jener des C-reaktiven Proteins
Rolle bei der Entwicklung einer disseminierten intravasalen
Koagulopathie
(DIC) und Thrombose
Die Nieren betreffend
Aus Tierversuchen geht hervor, dass TNF-α ohne vorangegangene Nierenerkrankung
glomeruläre Verletzungen der Nieren verursacht. Als Reaktion auf TNF-α und IL-6
produzieren glomeruläre Zellen freie Sauerstoffradikale, ein Komplement,
Arachidonsäurederivative und NO, das die lokale Entzündung mit der daraus
resultierenden glomerulären und tubulären Schädigung noch weiter verstärkt.
Die Leber betreffend
Vorwiegend IL-6, aber auch TNF-α und IL-1β stimulieren die Leber, um ihre
Synthesefunktion zu verändern und die Bildung von Akut-Phase-Proteinen, wie etwa
das Serum Amyloid A, α2-Makroglobuline und das C-reactive Protein (CRP), zu
steigern. Die Substrate werden für diese verstärkte Produktion mithilfe der Zytokin
vermittelten Skelettmuskelstörung ermöglicht. Daher wird TNF-α alternativ auch als
Kachektin bezeichnet.
Koagulation
Zytokine sind nicht direkt in die Koagulationsbahnen involviert, aber es ist festgestellt
worden, dass TNF-α und IL-1 die äußeren Leitungsbahnen der Koagulation und die
Leitungsbahn des C-reaktiven Proteins reguliert. Es gibt Anzeichen dafür, dass diese
Zytokine bei der disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC) und der Thrombose
eine wichtige Rolle spielen. Es hat sich auch herausgestellt, dass IL-1 eine Fibrinolyse
inhibiert.
Ältere Menschen
Die Folgen, die das Altern auf das Immunsystem hat, sind offensichtlich zu einem
Großteil für die Morbidität und Mortalität bei älteren Menschen verantwortlich. Die
TNF-α- und die IL-6-Konzentrationen sind bei älteren Menschen erhöht. Studien haben
gezeigt, dass ältere Menschen als Reaktion auf ein Operationstrauma eine verstärkte
und verspätete inflammatorische Zytokinreaktion haben.
Krankheiten aufgrund eines Zytokinüberschusses
Die Zytokinsynthese ist gestört, wenn eine exzessive oder ständige Aktivierung von
Makrophagen und Neutrophilen stattfindet. Entzieht sich dies der örtlichen Kontrolle,
gelangen Zytokine in die systemische Zirkulation. Dies führt zu einer umfassenden
Aktivierung von inflammatorischen Kaskaden und dem Systemischen
inflammatorischen Response-Syndrome (SIRS) (Abbildung 1). Dadurch wird eine
zusätzliche Freisetzung von inflammatorischen Zytokinen ausgelöst. Es wird eine
Abwärtsspirale von Organdysfunktionen in Gang gesetzt und schließlich kommt es zum
Multiplen Organdysfunktionssyndrom (MODS). Die durch MODS verursachte Mortalität
ist hoch. Bei Patienten mit ARDS allein beträgt die Mortalität etwa 50%. Mit jedem
zusätzlichen Organversagen multipliziert sich dieses Risiko.
Systemisches inflammatorisches Response-Syndrome
Infektiöse Erkrankungen
Sepsis - gram - ve
- gram + ve
Nicht-infektiöse Erkrankungen
Operation
Trauma
Hämorrhagischer Shock
Ischämie-Reperfusion
Pankreatitis
Verbrennungen
Abb. 1 Krankheiten bei Zytokinüberschuss. SIRS können entweder infektiöse oder
nicht-infektiöse Erkrankungen hervorrufen.
TNF-α, IL-1β IL-6 und IL-8 sind stark unter dem Verdacht, septische Mediatoren zu
sein. In Studien zur Sepsis sind erhöhte Konzentrationen zirkulierender Zytokine
festgestellt worden.
Weiters korrelieren anscheinend erhöhte proinflammatorische Zytokinwerte prinzipiell
mit dem Schweregrad der Krankheit und dem Ergebnis, wobei IL-6 am stärksten mit der
Mortalität verbunden wird. Erhöhte Plasmakonzentrationen proinflammatorischer
Zytokine finden sich nach größeren Operationen und das Ausmaß der
zytokin-vermittelten Entzündungsreaktion hängt offensichtlich damit zusammen, wie
stark der operative Insult war. Konkret beeinflussen vermutlich hohe
IL-6-Plasmakonzentrationen, die nach größeren Operationen auftreten, die
postoperative Mortalität. Nach einem schweren Trauma sind die Serumwerte des
TNF-α, IL-1β IL-6 und IL-8 bedeutend erhöht. Es gibt offenbar eine enge Beziehung
zwischen der freigesetzten Menge der proinflammatorischen Zytokine, dem
Schweregrad der Verletzung und der Krankenhausmortalität.
Hämorrhagie führt zu einer ausgesprochen hohen Ausschüttung von
proinflammatorischen Zytokinen in der Lunge und beeinflusst den Ausbruch von ARDS,
wobei TNF-α eine wichtige Rolle bei der Pathogenese einer akuten Lungenverletzung
nach einer Hämorrhagie sogar nach einer entsprechenden Reanimation innehat.
Antiinflammatorische Mechanismen
Es gibt eine Reihe von antiinflammatorischen Mechanismen infolge welcher
Entzündungsmediatoren nicht in die Zirkulation gelangen können und eine
unangemessene, überschießende Entzündungsreaktion vermieden werden kann.
Antiinflammatorische Zytokine, wie etwa IL-10, das TNF-bindende Protein, der
IL-Rezeptorantagonist (IL- 1RA) und der Transforming Growth Factor-β (TGF-β), die
infolge einer normalen Immunantwort gebildet werden, können die Freisetzung von
TNF-α und anderer proinflammatorischer Zytokine hemmen.
Das TNF-bindende Protein stört die Bindung von TNF an seinen Rezeptor und hemmt
damit seine Wirkung. 'Stress'-Hormone, wie etwa das Glucocorticoid, das Epinephrin,
Norepinephrin und das α-melanozytenstimulierende Hormon hemmen die
Zytokinbildung. Es ist nachgewiesen worden, dass zusätzlich zur TNF-α-hemmenden
Produktion die Stimulierung des β-Adrenergorezeptoren die Bildung des lL-10
hochreguliert, wodurch die antiinflammatorische Wirkung erhöht wird. Andere lokale
Effektoren, wie etwa Prostaglandin E2, Akut-Phase-Proteine, Hitzeschockproteine,
Spermin und Feutin haben alle Zusatzaufgaben, nämlich die Immunantwort zu drosseln.
Die Beeinträchtigung oder der Verlust einer dieser endogenen antiinflammatorischen
Leitungsbahnen ist imstande, eine normale selbst-limitierende Reaktion in eine
überschießende und potentiell schädigende umzukehren.
Neuronale Regulation der Immunantwort
Blalock wies darauf hin, dass das Immunsystem auch als Sinnesorgan fungiert. Es ist
das sechste Sinnesorgan, das Bakterien, Viren und andere potentielle schädliche Zellen
entdeckt, die er üblicherweise nicht sieht, hört, schmeckt, tastet oder riecht. Diese
Information würde dann an das Zentrale Nervensystem (ZNS) übertragen, um eine
entsprechende physiologische Antwort auszulösen.
Jüngste Forschungen haben überraschenderweise eine autonome neuronale
Leitungsbahn entdeckt, welche die Entzündungsreaktion beobachtet und reguliert.
Diese wird als der 'inflammatorische Reflex' bezeichnet und hat sowohl
immunsensorische als auch immunsuppressive Funktion. Verglichen mit den humoralen
antiinflammatorischen Mechanismen, die langsam, diffus und vom
Konzentrationsgradienten abhängen, ist die Leitungsbahn des inflammatorischen
Reflexes schnell, lokalisiert und integriert (Abb. 2).
DMN (Dorsaler Motonukleus)
Efferente Nervenbahn des Vagus
NTS (Nucleus tractus solitarii)
Afferente Nervenbahn des Vagus
Hemmt die Zytokinausschüttung
ACh
α7nAChR
Pathogene
Ischämie
Verletzung
Zytokinausschüttung
Makrophage
Abb. 2 Der inflammatorische Reflex. Pathogene, Ischämie und andere Formen von
Verletzungen verursachen eine Zytokinfreisetzung aus Immunzellen. Dies wird von
afferenten Nervenfasers des Vagus wahrgenommen. Diese Information wird an den
Nucleus tractus solitarii (NTS) und anschließend an den dorsalen Motonukleus
weitergeleitet, wodurch der Vagusnerv aktiviert wird. Die wird als der cholinerge
antiinflammatorische Weg bezeichnet. Die efferente Vagusnervaktivität hemmt die
Zytokinproduktion über den nikotinischen Acetylcholinrezeptor α7 (α7nAChR), der sich
in Makrophagen und anderen Immunzellen findet.
Der Name Vagusnerv leitet sich von der lateinischen Bezeichnung für 'umherschweifen'
ab. Er hat seinen Ursprung in der Medulla oblongata im Hirnstamm und innerviert die
inneren Organe, jene des retikuloendothelialen Systems miteinbezogen, wie etwa die
Leber und die Milz. Als solcher ist er perfekt angelegt, um Informationen zwischen dem
Immunsystem und dem ZNS weiterzuleiten. Er besitzt sowohl sensorische (afferente)
sowie motorische (efferente) Bestandteile. Sensorische Fasern leiten die Information
zum Hirn, worauf Fieber sowie andere Krankheitssymptome ausgelöst werden. Der
efferente Schenkel des Vagusnervs wird traditionellerweise mit physiologischen
Reaktionen, wie etwa der Bradykardie, Bronchokonstriktion, erhöhter gastrischer
Motilität und Myose assoziiert. Daraus geht hervor, dass der Vagusnerv eine wichtige
immunomodulatorische Rolle auch bei der Erkennung und Hemmung der
inflammatorischen Reaktion innehat.
Die immunsensorische Funktion der afferenten Fasern des Vagusnervs
Es ist nachgewiesen worden, dass proinflammatorische Zytokine Signale zum Gehirn
senden. Daran können mehrere Mechanismen beteiligt sein. Eine Reihe von humoralen
Mechanismen steuern die Kommunikation zwischen dem Immun- und Nervensystem.
Aus Studien geht hervor, dass TNF-α, IL-1 -α, IL-1β und IL-6 die Blut-Gehirn-Schranke
(BBB) mittels saturierender Transportsysteme passieren. Zytokine können auch über
zirkumventrikuläre Organe ins Gehirn gelangen, wie etwa über die Area postrema, wo
eine Blut-Gehirn-Schranke (BBB) fehlt. Man geht davon aus, dass sie hier ihre
Produktion starten und das Prostaglandin E2 (PGE2) freisetzen. In weiterer Folge
aktiviert dieses die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse.
Proinflammatorische Zytokine, speziell die Interleukine, können an zerebrale vaskuläre
Endothelzellen andocken und deren Metabolismus verändern. Dadurch werden
neuroaktive Substanzen auf der Gehirnseite der Blut-Gehirn-Schranke (BBB)
freigesetzt.
Aber für all die vorhin erwähnten Mechanismen sind die proinflammatorischen Zytokine
in der Zirkulation erforderlich, damit diese ins Gehirn gelangen können. Es ist jedoch
festgestellt worden, dass Entzündugsreaktionen auch ohne das Vorhandensein
nachweisbarer Zytokinwerte im Blut auftreten können.
Sensorische afferente Vagusfasern können jedoch niedrige Zytokinwerte und andere
Entzündungsmediatoren aufspüren und über die aufsteigenden Fasern das Gehirn von
der Entzündung an der Peripherie informieren. In der Tat reichen mitunter lokale
Zytokinkonzentrationen im Gewebe aus, damit die sensorischen afferenten
Vagusfasern aktiviert werden. Nicht immer ist ein systemischen Anstieg der
Zytokinwerte erforderlich. Es ist nachgewiesen worden, dass subdiaphragmatische
Vagotomie das Auftreten von Fieber bei Tieren, denen entweder niedere
Intraabdominal-Dosen des IL-1 oder des Endotoxins verabreicht wurden, verhindert.
Das Gehirn empfängt einfach nicht die Botschaft, dass hier eine Entzündung vorliegt.
Es ist auch gezeigt worden, dass Vagus-Neuronen sensorischer Natur das IL-1 und den
PGE2 Rezeptor mRNA wie auch IL-1 Bindungsstellen an Glomuszellen, die innerhalb
der mit dem Vagusnerv verbundenen Paraganglien lokalisiert sind, exprimieren.
Die Einbindung der afferenten und efferenten Bestandteile des inflammatorischen
Reflexes findet hauptsächlich im medullären Nucleus tractus solitarii (NTS) statt, dem
Hauptausgangspunkt der afferenten Fasern des Vagusnervs. Die NTS-Neuronen
projizieren dann zum dorsalen Motonukleus des Vagus (DMN), wo die meisten
efferenten präganglionischen Fasern des Vagusnervs ihren Ursprung haben.
Die immunsuppressive Funktion der efferenten Fasern des Vagusnervs
Der efferente Schenkel des antiinflammatorischen Reflexes ist als der 'cholinerge
antiinflammatorische Weg' bezeichnet worden, weil Acetylcholin (ACh) der wichtigste
Neurotransmitter des Vagusnervs ist. Makrophagen und andere Zytokin produzierende
Zellen exprimieren ACh-Rezeptoren und werden inaktiviert, wenn sie dem ACh
ausgesetzt sind. Studien zeigen, dass ACh posttranskriptionell die TNF-Synthese
unterdrückt und die Ausschüttung von IL-1β, IL-6 und IL-8 hemmt, ohne die Freisetzung
des antiinflammatorischen Zytokins IL-10 zu verhindern.
ACh-Rezeptoren werden in zwei Klassen unterteilt: die Muskarin- und die
Nikotinrezeptoren. Nikotinrezeptoren kann man des weiteren in α-Bungarotoxin
empfindliche (das wiederum in das α1, α7 und α9 klassifiziert wird) und
nichtempfindliche untergliedern.
Sowohl die Muskarin- wie auch die Nikotinrezeptoren sind im ZNS und der Peripherie
verteilt, jedoch auf verschiedenen synaptischen Standorten und mit vielfältigen
Aufgaben bezüglich der cholinergen Transmission. Erste Studien zeigten, dass ACh die
α-Bungarotoxin empfindlichen Nikotinrezeptoren menschlicher Makrophagen
beeinflusst, aber diese spezifische Rezeptorenuntergruppe war bis unlängst unbekannt.
Weiterführende Forschungen haben jedoch diese Rezeptorengruppe als den
nikotinischen α7-ACh-Rezeptor (α7nAChR) identifiziert. Es hat sich gezeigt, dass eine
elektrische Stimulation des Vagusnervs die TNF-Synthese in den Makrophagen von
Wildmäusen hemmt, allerdings nicht bei Mäusen mit einem α7-Mangel. Daraus geht
hervor, dass α7nAChR ein essenzieller peripherer Baustein des cholinergen
antiinflammatorischen Wegs ist.
Obwohl muskarinische Acetylcholinrezeptoren auch an Makrophagen und anderen
Zytokin produzierenden Zellen exprimieren, bremst die Blockade der peripheren
Muskarinrezeptoren nicht die antiinflammatorische Signalisierung des Vagusnervs.
Anscheinend sind periphere Muskarinrezeptoren für die Zytokinmodulation des
cholinergen antiinflammatorischen Weg nicht erforderlich. Unlängst ist dargelegt
worden, dass zentrale Muskarinrezeptoren bei der Hemmung der systemischen
Entzündung eine Rolle spielen. Es hat sich herausgestellt, dass die zentrale cholinerge
Aktivierung durch muskarinische Rezeptorliganden bei endotoxämischen Ratten
signifikant den systemischen TNF hemmt und die efferente Aktivität des Vagusnervs
aktiviert. Bakterien und Endotoxin bleiben in erster Linie auf die Makrophagen in der
Milz und Leber beschränkt. Aus Studien geht hervor, dass während der Endotoxämie
hauptsächlich in der Milz die systemische TNF-Produktion stattfindet. Jüngste
Forschungen zeigen, dass der cholinerge antiinflammatorische Weg funktionell fest mit
der Milz über den gewöhnlichen Vagusast des Plexus coeliacus verdrahtet ist. Dieser
vom α7nAChR abhängige Weg des Vagusnervs zur Milz kann die proinflammatorische
Zytokinproduktion während der lethalen Endotoxämie und der polymikrobiellen Sepsis
hemmen.
Auch die Aktivität des Vagusnervs kann eine systemische humorale
antiinflammatorische Antwort durch die Übertragung der Information an die medulläre
retikuläre Formation, den Hypothalamus und den Locus caeruleus, auslösen. Daraus
resultiert die Freisetzung des Adrenocorticotropins (ACTH) aus dem
Hypophysenvorderlappen.
Beweise für die Immunmodulation durch den Vagusnerv
Den überzeugendsten Beweis dafür, wie wichtig der Vagusnerv bei der Modulation der
Entzündungsreaktion ist, liefern Untersuchungen an Ratten, denen intravenös die
tödliche Dosis Endotoxin verabreicht wurde. Die elektrische Stimulation der efferenten
Fasern des Vagusnervs verringerte erheblich das TNF-α-Serum, reduzierte die
Synthese des TNF-α in der Leber und milderte das Auftreten eines endotoxischen
Schocks milderte. Im Gegensatz dazu führte eine Vagotomie zu wesentlich erhöhten
TNF-α-Serumwerten in der Leber und beschleunigte die Ausbildung eines Schocks. Im
Rahmen der Forschung wurde die Bedeutung des cholinergen antiinflammatorischen
Wegs während einer Infektion und nicht während einer sterilen Entzündung ermittelt. Es
wurde bei Mäusen mittels einer Intraperitonealinjektion von lebenden Escherichia coli
eine abdominelle Sepsis hervorgerufen. In dieser Studie führte die zervikale Vagotomie
zu einer verminderten Zytokinfreisetzung, einem Anstieg an Entzündungszellen, die an
das Peritoneum rekrutiert waren und zu einem ausgedehnten Leberschaden. Die
Aktivierung der peripheren Komponente des cholinergen antiinflammatory Wegs durch
Nikotin verursachte eine erhöhte Zytokinproduktion und einen reduzierten Zustrom von
Entzündungszellen. Ein Leberschaden blieb aus. Andere Untersuchungen zeigen, dass
eine Stimulation des Vagusnervs (VNS) bei der Endotoxämie von Ratten die Aktivierung
einer Koagulation und Fibrinolyse hemmt. Im Rahmen der Entzündung unterdrückt die
cholinerge Stimulation die Rekrutierung von Leukozyten und die Aktivierung von
endothelialen Zellen.
Es wurde auch untersucht, wie der Vagusnerv die Entzündung beim hämorrhagischen
Schock reguliert. Die VNS erhöhte beim tödlichen hämorrhagischen Schock von Ratten
wesentlich die Überlebensrate, schützte gegen das Auftreten einer Hypotonie und
verringerte TNF-α-Serumkonzentrationen. ACTH aktiviert den cholinergen
antiinflammatorischen Weg. Es ist gezeigt worden, dass ACTH die kardiovaskulären
und respiratorischen Funktionen verbessert, den Schockzustand beseitigt und die
Überlebensrate beim hämorrhagischen Schock in weiteren Tierversuchen erhöht.
Die VNS bei Tieren, bei denen durch einen vorübergehenden Aortenverschluss eine
Ischämie/Reperfusion herbeigeführt wurde, milderte wesentlich die Synthese des
TNF-α und das Auftreten eines Shocks. In einem Versuchsmodell verursachte die
Stimulation des Vagusnervs bei einer ischämischen Herzerkrankung während einer
Myokardischämie/Reperfusion eine Verringerung der Werte freier Radikale und
reduzierte bedeutend die Fälle schwerer Arrhythmien und die Letalitätsrate.
Der cholinerge antiinflammatorische Weg hat auch bei der Hemmung lokal auftretender
Entzündung eine besondere Bedeutung. Bei lokaler Entzündung milderte in einem
Versuchsmodell die VNS die Entzündungsreaktion und blockierte die Schwellung von
Pfoten bei muriner Arthritis von Labormäusen.
Mögliche therapeutische Auswirkungen der Immunmodulation des Vagusnervs
Mit der Entdeckung des cholinergen antiinflammatorischen Wegs bietet sich die Chance
zur Entwicklung von Therapien, die darauf abzielen, die Entzündungsreaktion zu
regulieren. Die Einschränkung der proinflammatorischen Zytokinproduktion kann
entweder durch die Veränderung der Aktivität des Vagusnervs oder durch das Targeting
spezifischer Teile des Weges erreicht werden.
Die Stimulation des Vaguservs
Direkte elektrische Stimulation des Vagusnervs verringert die Produktion des TNF-α bei
Versuchsmodellen im Falle der Endotoxämie, des hämorrhagischen Shocks und
anderer Erkrankungen, die durch einen Zytokinüberschuss ausgelöst werden. Die
Voltzahl und die Stimulationsfrequenz, die dazu dienen, den cholinergen
antiinflammmatorischen Weg zu aktivieren, sind unter dem Schwellenwert, der benötigt
wird, um die vagalen Herzfasern zu aktivieren. Aus diesem Grund sind keine
wesentlichen Folgen für die Herzfrequenz beobachtet worden. Die VNS ist in den USA
von der FDA, der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde, zur Behandlung von
refraktorischer Epilepsie seit mehr als 10 Jahren zugelassen und wird derzeit in
klinischen Experimenten bei resistenter Depression getestet. Die VNS erfordert die
Implantation eines kleinen pacemaker-ähnlichen Geräts, das sicher, effizient und gut
verträglich ist. Das VNS-Gerät wird durch einen Schnitt in den Nacken eingesetzt,
wobei Drähte an den Vagusnerv gelegt werden. Ein elektrisches Element wird unterhalb
des Schlüsselbeins implantiert. Komplikationen infolge des Implantationseingriffs sind
atypisch. Häufig berichtete Nebenwirkungen sind Heiserkeit, eine veränderte Stimme,
Hals- Kopf- oder Nackenschmerzen, Husten und Dyspnoe. Diese Nebenwirkungen
treten hauptsächlich während der Stimulation auf, können jedoch durch eine
Stimulationsveränderung verringert werden und lassen mit der Zeit nach.
Überraschenderweise waren die Werte der zirkulierenden pro- und
antiinflammatorischen Zytokine in einer Studie von VNS-Patienten mit einer resistenten
Depression deutlich erhöht. Weiters war der Anstieg, wie ihn die CRP-Werte zeigten,
kaum eine nicht-spezifische Entzündungsreaktion.
Transkutane nicht-elektrische VNS kann die Serumwerte des TNF-α verringern und die
Überlebenschancen von Labormäusen bei muriner Sepsis verbessern. Bei der
erwähnten Studie wurden wache Mäuse mit transkutaner Stimulation durch die
Veränderung des Direktdruckes senkrecht direkt neben dem Rand der Trachea
behandelt. Schwerkranke Patienten sind meistens schlechte Operationskandidaten,
sodass die Möglichkeit, den Vagusnerv über den transkutanen Pfad zu stimulieren,
klinisch wertvoll sein kann. Eine Massage des Sinus caroticus kann durchgeführt
werden, um Tachyarrhythmien durch die Aktivierung des efferenten Vagusnervreflexes
zu beenden. Weitere Daten werden benötigt, damit die immunologische Effizienz dieser
Methode beurteilt werden kann.
Zusätzlich könnten Akupunkturtechniken angewendet werden, um die
Immunomodulatorik des Vagusnervs zu stimulieren. Aus Studien geht hervor, dass
Akupunktur gegebenenfalls einen messbaren Anstieg der Aktivität des Vagusnervs
verursacht, sodass es wenigstens theoretisch möglich erscheint, dass auch Akupunktur
den cholinergen antiinflammatorischen Weg aktiviert und die Immunantwort reguliert.
Studien haben gezeigt, dass auch verschiedene Formen von Meditation den
parasympathischen Bereich hinsichtlich der Herzfrequenzschwankungen verändern und
vermutlich den autonomen Herzton positiv beinflussen können. Ähnlich können
Entspannungstherapien und Biofeedback den parasympathischen Einfluss auf
Herzfrequenzschwankungen signifikant erhöhen, was sich in einem Anstieg der Aktivität
des Vagusnervs wiederspiegelt.
Pharmakologische Agenzien
Es sind einige potentielle Therapeutika entwickelt worden, die auf dem Targeting des
cholinergen antiinflammatirischen Wegs beruhen, und zwar werden dabei zentrale
Muskarinrezeptoren oder α7nACh-Rezeptoren in der Peripherie aktiviert.
CNI-1493
Es ist gezeigt worden, dass CNl-1493, eine vierwertige Quanylhydrazonverbindung und
ein wirksames antiinflammatorisches Agens und bedeutender Aktivator der cholinergen
antiinflammatorischen Bahn aufgrund der Interaktion mit zentralen Muskarinrezeptoren
ist. CNI-1493 hemmt die proinflammatorische Ausschüttung der Zytokine aus
Monozyten und Makrophagen. Eine systemische Verabreichung ist bei der Behandlung
von Tieren mit Endotoxämie und Sepsis im Versuchsmodell wirksam gewesen. Weiters
ist beobachtet worden, dass eine intakte Nervenbahn des Vagus im ZNS notwendig ist,
damit CNI-1493 nach der Verabreichung antiinflammatorisch wirken und eine verstärkte
Aktivität des Vagusnervs stattfinden kann.
Nikotin
Nikotin ist ein relativ unspezifischer α7nAChR-Agonist, der nachgewiesenermaßen
wesentlich TNF-α und andere proinflammatorische Zytokine aus mit Endotoxin
stimulierten menschlichen Makrophagen hemmt. Darüber hinaus unterdrückt Nikotin
auch die Ausschüttung des High-Mobility-Group-Proteins B1 (HMGB1) aus den
menschlichen Makrophagen. Das HMGB1-Protein ist ein später Mediator der tödlich
verlaufenden systemischen Entzündung bei Sepsis und der in Tiermodellen durch
Versuche hervorgerufenen Sepsis. Durch die Behandlung mit Nikotin konnten die
HMGB1-Serumwerte herabgesetzt werden, die klinische Manifestation der Sepsis
gesenkt werden und die Überlebenschancen bei ausgeprägter Sepsis verbessert
werden. Mit einer Nikotingabe konnte der Tod abgewendet werden. Außerdem wurde
Nikotin erst 24 h nach der Induktion einer tödlich verlaufenden Peritonitis bei Mäusen
verabreicht, woraus man herauslesen kann, dass der cholinerge antiinflammatorische
Weg die Entzündungsantwort sogar bei schwerer Sepsis regulieren kann. Die
Nikotinverabreichung schien einen Langzeitschutz zu bieten, denn keines der Tiere
verendete im Nachhinein. Eine Entwicklung von Nikotin als therapeutische Intervention
ist wegen seiner toxischen Nebenwirkungen und pharmakologischen Unspezifität
eingeschränkt. Eine Studie zur Nikotinersatztherapie bei Rauchern, die stationär zu
intensivmedizinischer Betreuung zugelassen wurden, ergab, dass eine
Nikotinersatztherapie mit einer höheren Sterblichkeitsrate einher geht. Diese
Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass α7nAChR-Agonisten möglicherweise als
eine neue Klasse antiinflammatorischer Medikamente bedeutsam sind.
GTS-21
Ist auch als DMXB oder DMXBA bekannt. GTS-21 ist ein gezielter α7nAChR-Agonist
und wird im Gegensatz zu Nikotin von gesunden männlichen Probanden ohne
wesentliche klinische Nebenwirkungen gut vertragen. GTS-21 hat sowohl die
Serumwerte von TNF-α als auch HMGB1 verringert und bei der Sepsis von Mäusen
deren Überlebenschancen verbessert.
Ghrelin
Ghrelin ist ein endogener Ligand des Wachstumshormon-Sekretagog-Rezeptors
(GHSR). Die biologische Wirkung von Ghrelin wird wahrscheinlich durch GHSR erzielt.
GHSR wird weitreichend zentral und peripher verteilt und findet sich in afferenten
Neuronen des Ganglions nodosum. Nahe liegende Ghrelinsignale werden mittels
vagaler afferenter Fasern an das Gehirn weitergeleitet. Aus Tiermodellen geht hervor,
dass die Ghrelinkonzentration bei Sepsis in der Anfangs- und Schlussphase reduziert
wird, obwohl der Ghrelinrezeptor in der Anfangsphase überaus aktiv ist. Es ist auch
gezeigt worden, dass die vaskuläre Sensibilität bei Tieren aufgrund einer Stimulation
durch Ghrelin während der hyperdynamen Phase der Sepsis erhöht ist. In einer Studie
mit Ratten wurde gezeigt, dass eine Behandlung mit Ghrelin bei Sepsis die Serum- und
Peritonealflüssigkeitskonzentrationen von TNF-α und IL-6 bedeutet verringert, wobei
zusätzliche Forschungsergebnisse zeigten, dass ein intakter Vagusnerv für die
Hemmwirkung des Ghrelin auf die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine
essenziell ist.
Die Aktivierung und Manipulation der cholinergen antiinflammatorischen Bahn zur
Entzündungshemmung kann sowohl in Fällen von Zytokinüberschuss von Vorteil sein,
aber auch bei Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) eine Rolle spielen. Das
Auftreten einer Infektion ist eine häufige und ernste Komplikation nach einem SHT und
das Phänomen einer posttraumatischen Immunparalyse ist wahrscheinlich für die
erhöhte Infektionsrate bei diesen Patienten verantwortlich. Aus Studien geht hervor,
dass in der akuten Phase nach einem SHT die Immunantwort stark beeinträchtigt und
die vagale Aktivität verstärkt ist. Dies ist vermutlich die Folge des erhöhten
intrakranialen Drucks. Aufgrund dieser Beobachtungen ist die Annahme entstanden,
dass das steigende Risiko einer Infektion nach einem SHT auf der vagal verursachten
Suppression der Immunantwort beruht und das Eingreifen in den cholinergen
antiinflammatorischen Weg eine Chance ist, betreffenden Patienten helfen zu können.
Resümee
Trotz der jüngsten Fortschritte in der medizinischen Intersivbehandlung kann das
Multiorganversagen (MODS) wegen einer überschießenden und prolongierten
proinflammatorischen Zytokinausschüttung in Fällen wie etwa der Sepsis,
Ischämie/Reperfusion und dem hämorrhagischen Shock Ursache für eine hohe
Sterblichkeitsrate sein. Proinflammatorische Zytokine, wie zum Beispiel TNF-α und
IL-1β sind als 'frühzeitige' Mediatoren der Entzündungsreaktion identififiziert worden.
Sofern sie durch den Einsatz spezifischer Antikörper neutralisiert werden, können sie
einen septischen Schock, wie in Tiermodellen gezeigt wurde, verhindern. Leider sind
diese Methoden nicht in effiziente Therapien für schwer kranke Patienten umgesetzt
worden. Studien haben gezeigt, dass TNF-α-Antikörper unwirksam sind, wenn der
Behandlungsbeginn nach der Reinigung des TNF-α-Serums erfolgt. Aufgrund der
Identifizierung des HMGB1, das 'spät' als Entzündungsmediator auftritt, können
therapeutische Agenzien entwickelt werden, die speziell auf das HMGB1 abzielen und
das therapeutische Zeitfenster vergrößern.
Nun, da die immunmodulatiorische Funktion des Vagusnervs entdeckt wurde, bietet
sich die Chance zur Entwicklung neuer Therapeutika zur Behandlung von entzündlichen
Erkrankungen. Die Kenntnisse über die immunsuppressive Funktion der efferenten
Fasern des Vagusnervs, was als der 'cholinerge antiinflammatorische Weg' bezeichnet
wird, eröffnen einen neuen Zugang im Zusammenhang mit der Regulierung der
proinflammatorischen Zytokinproduktion. Es hat sich herausgestellt, dass die VNS die
Zytokinproduktion verringert, das Aftreten des Schocks mildert und die
Überlebenschancen bei Tieren mit einer Sepsis, einem hämorrhagischen Shock und
einer Ischämia/Reperfusion erhöht.
Der Vagusnerv kann direkt stimuliert werden, was bei refraktärer Epilepsie bereits
Anwendung findet. Dabei handelt es sich jedoch um eine invasive Technik. Andere
Methoden, wie zum Beispiel die transkutane Stimulation, verbessern die
Überlebenschancen bei muriner Sepsis. Es muss noch untersucht werden, ob diese
Methoden auch bei Menschen mit SIRS und MODS zur Behandlung eingesetzt werden
können. Akupunktur, Meditation, Biofeedback und andere Formen alternativer
Therapien verbessern dieVagusnervaktivität. Es wird interessant sein herauszufinden,
ob diese Methoden den cholinergen antiinflammatorischen Weg aktivieren können.
Der Vagusnerv kann chemisch stimuliert werden. Durch die Identifizierung bestimmter
Teile des cholinergen antiinflammatorischen Wegs sind neue Möglichkeiten zur
Entwicklung vielversprechender neuer Therapieansätze wie etwa Mittel, die auf wichtige
Muskarinrezeptoren und bestimmte α7nAChR-Agonisten wirken, eröffnet worden. Es ist
angeregt worden, eine neue Klasse antiinflammatorischer Präparate basierend auf dem
GTS-21-Molekül zu synthetisieren. Auch gängige Arzneimittel, zum Beispiel
Cholinergika, Anticholinergika, nicht-steroidale Antiphlogistika und Amiodarone, die alle
auf die Aktivität des Vagusnervs Einfluss nehmen, können den cholinergen
antiinflammatorischen Weg beeinflussen, was früher nicht erkannt wurde.
Die Entdeckung der immunmodulatorischen Funktion des Vagusnervs stellt ein
spannendes Unterfangen in der Entwicklung neuer Therapeutika zur Regulierung der
Immunantwort dar. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die VNS die
Standardbehandlung in der Internsivmedizin ersetzen wird, kann jedoch eine
Bedeutung in der Begleittherapie haben und zukünftigen Patienten zum Vorteil
gereichen.
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