96e Vitamine und Spurenelemente – Mangel und

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Robert M. Russell, Paolo M. Suter
96e
Vitamine und Spurenelemente –
Mangel und Überschuss
Für die deutsche Ausgabe Matthias Pirlich
Vitamine und Spurenelemente sind notwendige Bestandteile der
menschlichen Ernährung, da sie im menschlichen Körper entweder
unzureichend oder überhaupt nicht synthetisiert werden. Nur kleine
Mengen dieser Substanzen sind erforderlich, damit wesentliche biochemische Reaktionen ausgeführt werden können (z. B. in Form von
Koenzymen oder prosthetischen Gruppen). Ein deutlicher Mangel an
Vitaminen oder Spurenelementen ist aufgrund einer reichlichen, abwechslungsreichen und preisgünstigen Nahrungsversorgung sowie
durch die Anreicherung von Nahrungsmitteln und den Einsatz von
Nahrungsergänzungsmitteln in westlichen Ländern selten; dennoch
können multiple Nährstoffmängel bei chronisch kranken oder alkoholabhängigen Personen auftreten. Nach einer Bypassoperation des
Magens besteht ein hohes Risiko für zahlreiche Mangelzustände. Außerdem sind subklinische Mängel an Vitaminen und Spurenelementen recht verbreitet in der Normalbevölkerung, besonders bei älteren
Personen, wie sich in Laboruntersuchungen zeigt. Allerdings nimmt
die pathophysiologische und klinische Bedeutung der Toxizitäten von
Nährstoffen zu, weil sie so breitflächig eingenommen werden.
Von Hungersnot oder Katastrophen betroffene und vertriebene Bevölkerung und Flüchtlinge haben ein hohes Risiko für
eine Protein-Energie-Mangelernährung, klassische Mikronährstoffmängel (Vitamin A, Eisen, Iod) sowie für Mangelzustände
von Thiamin (Beriberi), Riboflavin, Vitamin C (Skorbut) und Niacin
(Pellagra).
Die Körperdepots von Vitaminen und Mineralien variieren erheblich. Die Speicher der Vitamine B12 und A etwa sind so groß, dass
beim Erwachsenen selbst unter ein- oder mehrjährig unzureichender
Aufnahme mit der Nahrung keine Mangelerscheinungen auftreten.
Die Körperreserven von Folsäure und Thiamin können dagegen innerhalb von Wochen entleert sein, wenn diese Substanzen in der Nahrung fehlen. Therapeutische Maßnahmen können Vorräte essenzieller
Nährstoffe im Körper erschöpfen; zum Beispiel gehen durch Hämodialyse wasserlösliche Vitamine verloren, die durch Supplemente ersetzt werden müssen.
Vitamine und Spurenelemente stehen in mehrfacher Hinsicht mit
Krankheiten in Verbindung: (1) Vitamin- und Mineralstoffmangel
kann durch eine Krankheit verursacht werden, wie etwa eine Malabsorption; (2) sowohl ein Mangel als auch ein Überschuss an Vitaminen und Mineralien kann eine Krankheit auslösen (z. B. VitaminA-Intoxikation und Leberkrankheit) und (3) Vitamine und Mineralstoffe können hoch dosiert als Medikamente verwendet werden (z. B.
Nicotinsäure bei Hypercholesterinämie). Die hämatologisch relevanten Vitamine und Mineralstoffe (Kap. 126, Kap. 128) werden in diesem Kapitel nur kurz gestreift oder übergangen, da sie an anderer
Stelle besprochen werden. Gleiches gilt für die im Knochenmetabolismus bedeutsamen Vitamine und Mineralstoffe (Vitamin D, Kalzium,
Phosphor; Magnesium; Kap. 423).
VITAMINE
Siehe auch Tabelle 96e-1 sowie Abbildungen 96e-1 und 96e-2.
& THIAMIN (VITAMIN B1)
Thiamin war das erste B-Vitamin, das identifiziert wurde. Deshalb
wird es auch als Vitamin B1 bezeichnet. Thiamin wirkt mit bei der
Decarboxylierung von α-Ketosäuren, wie Pyruvat, α-Ketoglutarat und
verzweigtkettigen Aminosäuren, und trägt so zur Energiegewinnung
bei. Außerdem ist Thiaminpyrophosphat als Koenzym einer Transketolasereaktion aktiv, welche die Umwandlung von Hexose- und
Pentosephosphaten vermittelt. Ferner wurde postuliert, dass Thiamin
eine Rolle bei der peripheren Nervenleitung spielt, obwohl die genauen chemischen Reaktionen, die dieser Funktion zugrunde liegen, unbekannt sind.
Vorkommen in der Nahrung
Die mittlere Thiaminaufnahme allein durch die Nahrung liegt in den
USA bei 2 mg/d. In Deutschland beträgt die tägliche mediane Thiaminaufnahme bei Männern 1,6 mg und bei Frauen 1,2 mg. Hauptnahrungsquellen für Thiamin sind: Hefe, Innereien, Schweinefleisch,
Hülsenfrüchte, Rindfleisch, Vollkornprodukte und Nüsse. Geschälter
und polierter Reis und Getreide enthalten, wenn überhaupt, wenig
Thiamin. Thiaminmangel kommt deshalb häufiger in Bevölkerungen
vor, in denen Reis ein Hauptnahrungsmittel darstellt. Tee, Kaffee (koffeinhaltig und koffeinfrei), roher Fisch und Krustentiere enthalten
Thiaminasen, die das Vitamin zerstören können. Daher kann ein
übermäßiger Konsum von Tee oder Kaffee theoretisch die Thiaminspeicher reduzieren.
Mangel
Die weltweit häufigste Ursache für Thiaminmangel ist eine thiaminarme Ernährung. In westlichen Ländern sind die Hauptursachen für
Thiaminmangel Alkoholismus und chronische Krankheiten wie
Krebs. Bekannt ist, dass Alkohol direkt in die Thiaminabsorption und
in die Thiaminpyrophosphatsynthese eingreift und die Harnexkretion
erhöht. Thiamin sollte Patienten mit Alkoholismus immer verabreicht werden, weil die Wiederauffüllung der Kohlenhydratreserven
ohne adäquate Thiaminzufuhr zu einem akuten Thiaminmangel mit
Laktatazidose führen kann. Weitere Risikogruppen sind Frauen mit
einer verlängerten Hyperemesis gravidarum, anorektische Patienten
mit einem allgemein schlechten Ernährungsstatus, die parenterale
Glukose erhalten, Patienten nach bariatrischen Bypassoperationen
(bariatrischer Wernicke) und Patienten unter chronischer Diuretikatherapie (z. B. wegen Hypertonie oder Herzinsuffizienz) wegen erhöhter Thiaminverluste mit dem Urin. Mütterlicher Thiaminmangel
kann zu kindlichem Beriberi bei Stillkindern führen.
Ein Thiaminmangel führt im frühen Stadium zu Anorexie und unspezifischen Symptomen (z. B. Reizbarkeit, Verschlechterung des
Kurzzeitgedächtnisses). Ein langfristiger Thiaminmangel verursacht
Beriberi, welche klassischerweise als trockene oder feuchte Variante
kategorisiert wird, auch wenn es dabei beträchtliche Überlappungen
gibt. Bei beiden Formen von Beriberi können Patienten über Schmerz
und Parästhesien klagen. Feuchte Beriberi äußert sich primär in kardiovaskulären Symptomen aufgrund eines beeinträchtigten Herzmuskelenergiestoffwechsels und Dysautonomie und kann nach 3 Monaten einer Thiaminmangelernährung auftreten. Die Patienten weisen
ein vergrößertes Herz, Tachykardien, eine Herzinsuffizienz, periphere
Ödeme sowie eine periphere Neuritis auf. Patienten mit trockener Beriberi zeigen eine symmetrisch periphere Neuropathie des motorischen und sensorischen Systems mit verminderten Reflexen. Die Neuropathie betrifft am deutlichsten die Beine, und die Patienten haben
Schwierigkeiten, aus hockender Position aufzustehen.
Alkoholiker mit chronischem Thiaminmangel können auch zentralnervöse Systemmanifestationen aufweisen, die als Wernicke-Enzephalopathie bekannt sind. Diese äußert sich durch horizontalen Nystagmus,
Ophthalmoplegie (aufgrund der Schwäche eines oder mehrerer extraokulärer Muskeln), zerebelläre Ataxie und geistige Beeinträchtigung
(Kap. 467). Kommt es zudem zum Gedächtnisverlust und einer konfabulatorischen Psychose, wird diese Form als Wernicke-Korsakow-Syndrom bezeichnet. Trotz typischer Klinik und Anamnese wird die Diagnose eines Wernicke-Korsakow-Syndroms immer wieder übersehen.
Die Labordiagnose eines Thiaminmangels wird normalerweise aufgrund eines funktionellen Enzymessays der Transketolase-Aktivität
vor und nach Zugabe von Thiaminpyrophosphat gestellt. Eine mehr
als 25%ige Stimulierung (also ein Aktivitätskoeffizient von 1,25)
durch den Zusatz des Thiaminpyrophosphats wird als pathologisch
angesehen. Um einen Mangel festzustellen, können Thiamin oder seine phosphorylierten Ester in Serum oder Blut auch durch Hochdruckflüssigkeitschromatografie bestimmt werden (HPLC).
96e-1
Teil 6
Ernährung
TABELLE 96e-1 Wesentliche klinische Symptome bei Vitaminmangelversorgung
Vitamin
Klinischer Befund
Tagesdosis, die beim Erwachsenen
Mangelsymptome auslöst
Faktoren, die zum Mangelzustand beitragen
Thiamin
Beriberi: Neuropathie, Muskelschwäche und -auszehrung,
Kardiomegalie, Ödem, Ophthalmoplegie, Konfabulation
< 0,3 mg/1000 kcal
Alkoholismus, Hyperemesis, Thiaminasen in der
Nahrung
Riboflavin
Magentarote Zunge, anguläre Stomatitis, Seborrhö, Cheilosis < 0,6 mg
Alkoholismus
Niacin
Pellagra: pigmentierter Ausschlag in den Sonnenlicht
ausgesetzten Hautbereichen, tiefrote Zunge, Diarrhö,
Apathie, Gedächtnisverlust, Orientierungsstörung
< 9,0 Niacinäquivalente
Alkoholismus, Vitamin-B6-Mangel, Riboflavinmangel, Typtophanmangel
Vitamin B6
Seborrhö, Glossitis, Krämpfe, Neuropathie, Depression,
Verwirrung, mikrozytäre Anämie
< 0,2 mg
Alkoholismus, Isoniazid
Folat
Megaloblastäre Anämie, atrophische Glossitis, Depression,
erhöhter Homocysteinspiegel
< 100 μg
Alkoholismus, Sulfasalazin, Pyrimethamin,
Triamteren
Vitamin B12
Megaloblastäre Anämie, Verlust der Vibrations- und Lageempfindung, Gehstörung, Demenz, Impotenz, Verlust der
Blasen- und Darmkontrolle, erhöhter Homocystein- und
Methylmalonsäurespiegel
< 1,0 μg
Magenatrophie (perniziöse Anämie), Erkrankung
des unteren Ileums, strikter Vegetarismus,
Säuresuppression (z. B. Protonenpumpenhemmer), Metformin
Vitamin C
Skorbut: Petechien, Ekchymosen, gekräuseltes Haar, entzündetes und blutendes Zahnfleisch, Einblutungen in
Gelenke, schlechte Wundheilung
< 10 mg
Rauchen, Alkoholismus
Vitamin A
Xerophthalmie, Nachtblindheit, Bitôt-Flecke, follikuläre
Hyperkeratose, eingeschränkte Embryonalentwicklung,
Immunstörungen
< 300 μg
Fettmalabsorption, Infektion, Masern, Alkoholismus, unzureichende Protein- und Energieaufnahme
Vitamin D
Rachitis: Skelettmissbildung, rachitischer Rosenkranz,
krumme Beine; Osteomalazie
< 2,0 μg
Altern, ungenügende Sonnenlichtexposition, Fettmalabsorption, dunkel pigmentierte Haut
Vitamin E
Periphere Neuropathie, spinozerebelläre Ataxie, Skelettmuskelatrophie, Retinopathie
Unbekannt ohne einen zusätzlichen
Faktor
Nur mit Fettmalabsorption oder bei genetisch
bedingter Störung des Vitamin-E-Stoffwechsels
oder -transports
Vitamin K
Erhöhte Prothrombinzeit, Blutungen
< 10 μg
Fettmalabsorption, Lebererkrankung, Antibiotikaeinnahme
BEHANDLUNG: THIAMINMANGEL
Bei akutem Thiaminmangel mit kardiovaskulären oder neurologischen Symptomen sollte Thiamin 3 × 200 mg/d intravenös gegeben werden, bis sich die akuten Symptome nicht weiter bessern;
anschließend sollte Thiamin bis zur vollständigen Heilung oral in
einer Dosis von 10 mg/d gegeben werden. Eine kardiovaskuläre
Besserung tritt innerhalb von 24 Stunden auf wie auch ein Rückgang von Augenmuskelparesen. Andere Manifestationen lassen
allmählich nach, obwohl die Psychose eines Wernicke-KorsakowSyndroms für einige Monate oder auch dauerhaft weiter bestehen
kann. Gleichzeitig sollten auch andere Nährstoffmangelzustände
behoben werden.
Toxizität
Obwohl über Anaphylaxien nach hohen intravenösen Thiamingaben
berichtet worden ist, gibt es keine Mitteilungen über ungünstige Wirkungen hoher Mengen in der Nahrung oder in Nahrungsergänzungsmitteln. In den USA können thiaminhaltige Nahrungssupplemente in
Dosierungen bis zu 50 mg/d rezeptfrei gekauft werden.
& RIBOFLAVIN (VITAMIN B2)
Riboflavin ist wichtig für den Stoffwechsel von Fett, Kohlenhydrat
und Eiweiß, und zwar in seiner Rolle als respiratorisches Koenzym
und Elektronendonator. Enzyme, die Flavinadenindinucleotid (FAD)
oder Flavinmononucleotid (FMN) als prosthetische Gruppe enthalten, werden als Flavoenzyme bezeichnet (z. B. Succinatdehydrogenase,
Monoaminoxidase, Glutathionreduktase). FAD ist ein Kofaktor der
Methyltetrahydrofolat-Reduktase und moduliert darüber den Homocysteinmetabolismus. Das Vitamin spielt außerdem eine Rolle im Medikamenten- und Steroidmetabolismus einschließlich verschiedener
Entgiftungsreaktionen.
Obwohl man viel über die chemischen und enzymatischen Reaktionen des Riboflavins weiß, sind die klinischen Manifestationen des
Riboflavinmangels unspezifisch und jenen anderer B-Vitaminmangelzustände ähnlich. Riboflavinmangel manifestiert sich vorwiegend
96e-2
durch Läsionen der Mundschleimhaut und der Haut. Neben den mukokutanen Läsionen sind korneale Vaskularisation, Anämien und Persönlichkeitsveränderungen bei Riboflavinmangel beschrieben worden.
Mangel und Überschuss
Zu einem Riboflavinmangel kommt es fast immer aufgrund von Nahrungsmangel. In den USA (und auch in Deutschland) sind Milch, andere Molkereiprodukte, Brot und Getreideprodukte die wichtigsten
Nahrungsquellen für Riboflavin, obwohl mageres Fleisch, Fisch, Eier,
Brokkoli und Hülsenfrüchte ebenfalls gute Lieferanten sind. Riboflavin ist extrem lichtempfindlich, und Milch sollte daher in Behältern
gelagert werden, die vor Photodegradation schützen. Ein Riboflavinmangel kann im Labor durch Messung der Riboflavinkonzentration
im Erythrozyten oder im Harn diagnostiziert werden oder durch Bestimmung der Erythrozyten-Glutathionreduktase-Aktivität vor und
nach FAD-Zusatz. Weil die Resorptionskapazität für Riboflavin im
Gastrointestinaltrakt limitiert ist (ungefähr 20 mg nach einer oral verabreichten Einzeldosis), ist eine Riboflavintoxizität nicht beschrieben
worden.
& NIACIN (VITAMIN B3)
Der Begriff Niacin bezieht sich auf Nicotinsäure und Nicotinamid sowie ihre biologisch aktiven Derivate. Nicotinsäure und Nicotinamid
dienen als Vorläufer der zwei Koenzyme Nicotinamidadenindinucleotid (NAD) und NAD-Phosphat (NADP), die für zahlreiche Oxidations- und Reduktionsreaktionen im Körper erforderlich sind. Außerdem sind NAD und NADP an der Adenindiphosphat-Ribose-Transferreaktion beteiligt, die bei der Reparatur der DNS und der Kalziummobilisierung eine Rolle spielen.
Metabolismus und Bedarf
Nicotinsäure und Nicotinamid werden gut im Magen und Dünndarm
resorbiert. Die Niacinbioverfügbarkeit ist hoch in Bohnen, Milch,
Fleisch und Eiern, in Getreide geringer. Seitdem Mehl mit „freiem“
Niacin (d. h. nicht der Koenzymform) angereichert wird, ist die Bioverfügbarkeit ausgezeichnet. In Deutschland findet keine Anreicherung von Mehl mit Vitaminen statt. Die Typenbezeichnung des Mehls
Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss
Aktive Form bzw.
Cofaktor
Vitamin
Thiamin (B1)
N
Coenzym für
Spaltung von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen;
Aminosäure- und
Kohlenhydratstoffwechsel
Flavinmononukleotid
(FMN) und Flavinadenindinukleotid (FAD)
Cofaktor für
Oxidations- und
Reduktionsreaktionen sowie als
prosthetische
Gruppe kovalent
an einige Enzyme
gebunden
CH3
N
N
S
CH2CH2OH
Riboflavin (B2)
O
N
N
N
N
O
Ribityl
Nicotinamid-adeninCoenzyme für
dinukleotidphosphat
Oxidations- und
Reduktionsreaktio(NADP) und Nicotinadenindinukleotid (NAD) nen
Niacin
O
C
Hauptfunktion
Thiaminpyrophosphat
NH2
96e
O
+
N
H
Vitamin B6
Pyridoxalphosphat
CH2OH
HO
CH2OH
Cofaktor für
Enzyme des
Aminosäurestoffwechsels
N
Folat
O
N
H
O
N
H2N
N
C
CH2
COOH
H
N
n
CH
CH2
CH2
N
C
O
COOH
N
H
Polyglutamatformen des Coenzym für den
(5,6,7,8)-Tetrahydrofolats Ein-Kohlenstoffmit gebundenen
Transport im
Kohlenstoffeinheiten
Nukleinsäure- und
Aminosäurestoffwechsel
CH
CH2
CH2
C
OH
O
Vitamin B12
CH2CH2CONH2
CONH2
HC
CH3 3 CH2CH2CONH2
CH2
CH2CH2CONH2
H3C
N
N
+
H3C
Co
CONH2
N
N
CH3
CH2
CH3
NHCOCH2CH2 CH3 CH3
CH2CH2CONH2
CH2
CHCH3
CH3
N
CH3
Coenzym der
Methioninsynthase
und der l-Methylmalonyl-CoAmutase
–
O
O
P
O
N
Methylcobalamin,
Adenosylcobalamin
O HO
O
HOCH2
OH
Cbl
Abbildung 96e-1 Struktur und Hauptfunktionen einiger Vitamine, die mit Erkrankungen des Menschen in Verbindung stehen. (Fortsetzung siehe Abbildung 96e-2.)
gibt allerdings Aufschluss über den Mikronährstoffgehalt des Mehls,
so ist z. B. Mehl Typ 405 besonders fein vermahlen und enthält wenig
Vitamine und Spurenelemente, wohingegen höhere Typen deutlich
mehr Mikronährstoffe enthalten. In den USA übersteigt die durchschnittliche Niacinaufnahme die Empfehlungen (RDA, Recommended Dietary Allowance) beträchtlich. Die Nationale Verzehrsstudie II
hat 2008 für Deutschland ähnliche Befunde erhoben: Die mediane
Niacinzufuhr liegt in allen Altersgruppen deutliche über den DACHReferenzwerten. Eine Mangelversorgung besteht daher nicht. Da Niacin eine geringe Toxizität aufweist, wurden Hypervitaminosen durch
übermäßige Aufnahme aus der Nahrung bisher nicht beschrieben.
Die Aminosäure Tryptophan kann mit einer Effizienz von 60 : 1 (in
Gewichtseinheiten) in Niacin umgewandelt werden. Deshalb wird die
empfohlene Niacinzufuhr in Niacinäquivalenten ausgedrückt. Allerdings findet sich eine niedrigere Umwandlungseffizienz von Tryptophan zu Niacin, wenn ein Patient einen Vitamin-B6- oder einen Riboflavinmangel aufweist oder in Gegenwart von Isoniazid. Zu den
Harnausscheidungsprodukten von Niacin zählen 2-Pyridon und 2Methylnicotinamid, deren Bestimmung zur Diagnose eines Niacinmangels herangezogen wird.
96e-3
Teil 6
Ernährung
Aktive Form bzw.
Cofaktor
Vitamin
Vitamin C
O
O
C
C
C
C
OH OH
C
CH2OH
Ascorbinsäure und
Dehydroascorbinsäure
Beteiligung als
Redoxpartner in
vielen biologischen Wasserstoffübertragenden
und Oxidationsreaktionen
Retinol, Retinal,
Retinsäure
Bildung von
Rhodopsin
(Sehfunktion) und
Glykoproteinen
(epitheliale Zellfunktion); auch
Regulation der
Gentranskription
1,25-Dihydroxy-7dehydrocholesterol
Aufrechterhaltung
des Kalzium- und
Phosphatspiegels
im Blut; antiproliferatives Hormon
Tocopherole und
Tocotrienole
Antioxidanzien
Vitamin-K-Hydrochinon
Cofaktor für die
posttranslationale
Carboxylierung
vieler Proteine,
einschließlich
essenzieller Gerinnungsfaktoren
OH
Vitamin A
(β-Carotene)
CH2OH
(Retinol)
Vitamin D
Hauptfunktion
OH
CH2
HO
OH
Vitamin E
O
CH2[CH2
CH3
CH2
CH
CH2]3H
HO
Vitamin K
O
R
O
Abbildung 96e-2 Struktur und Hauptfunktionen einiger Vitamine, die mit Erkrankungen des Menschen in Verbindung stehen. (Fortsetzung von Abbildung 96e-1.)
Mangel
Niacinmangel verursacht Pellagra, die hauptsächlich bei Personen
auftritt, deren Ernährung auf Mais basiert, wie in Teilen von China,
Afrika und Indien. In Nordamerika und Europa findet sich Pellagra
vornehmlich unter Alkoholikern, bei Patienten mit angeborenen Defekten in der Darm- und Nierenabsorption von Tryptophan (Hartnup-Krankheit; Kap. 434e) sowie bei Patienten mit einem Karzinoidsyndrom (Kap. 113), bei dem Tryptophan vermehrt in Serotonin umgewandelt wird. Das Tuberkulostatikum Isoniazid ist ein strukturelles
Analogon von Niacin und kann eine Pellagra auslösen. Bei Hungersnöten oder Vertreibung tritt Pellagra zum einen wegen des absoluten
Niacinmangels auf, zum anderen aber auch durch einen Mangel an
Mikronährstoffen, die für die Umwandlung von Tryptophan in Niacin
benötigt werden (z. B. Eisen, Riboflavin und Pyridoxin). Zu den frühen Symptomen von Pellagra gehören Appetitverlust, eine generelle
Schwäche und Reizbarkeit, Bauchschmerz und Erbrechen. Später entwickelt sich eine hellrote Glossitis, gefolgt von einem charakteristischen pigmentierten und abschilfernden Hautausschlag, besonders in
den Hautbereichen, die dem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Dieser Ausschlag – bekannt als „Casal-Kragen“, da er ringförmig im Nackenbereich auftritt – wird in fortgeschrittenen Fällen beobachtet. Auch
eine Vaginitis und Ösophagitis können auftreten. Durchfall (zum Teil
aufgrund der Proktitis, zum Teil aufgrund der Malabsorption), Depressionen, Anfälle und Demenz gehören ebenfalls zum Pellagra-Syndrom, das im angloamerikanischen Raum auch als „die vier Ds“ bezeichnet wird: Dermatitis, Durchfall und Demenz führen zum Tod
(Death).
96e-4
BEHANDLUNG: PELLAGRA
Die Behandlung einer Pellagra besteht darin, über 5 Tage eine orale Supplementierung mit 3 × 100–200 mg/d Nicotinamid oder Nicotinsäure vorzunehmen. Hohe Nicotinsäuregaben (2 g/d Nicotinsäure in retardierter Form) werden für die Behandlung erhöhter
Cholesterin- und Triglyzeridspiegel und/oder erniedrigter HDLSpiegel eingesetzt (Kap. 421). Allerdings musste das Kombinationspräparat Nicotinsäure/Laropiprant am 21.01.2013 wegen
schwerwiegender Nebenwirkungen vom Markt genommen werden.
Toxizität
Ein Prostaglandin-vermitteltes Hitzegefühl wird über eine Bindung
des Vitamins an einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor vermittelt
und kann bereits bei einer täglich verabreichten niedrigen Dosierung
von 30 mg Niacin entweder als Nahrungsergänzung oder als Therapie
einer Dyslipidämie beobachtet werden. Ein Beleg für eine toxische
Wirkung von Niacin aus Nahrungsquellen liegt allerdings nicht vor.
Die Flushsymptomatik beginnt grundsätzlich im Gesicht und kann
begleitet sein von Hauttrockenheit, Juckreiz, Parästhesien und Kopfschmerzen. Eine Prämedikation mit Nikotinsäure in Kombination
mit Laropiprant, einem selektiven Prostaglandin-D2-Rezeptor-1-Antagonisten, oder mit Aspirin kann diese Symptome lindern. Der Flush
unterliegt einer Tachyphylaxie und bessert sich oft mit der Zeit. Bei
ähnlichen Niacindosierungen können auch Übelkeit, Erbrechen und
Bauchschmerz auftreten. Eine hepatische Toxizität ist die dramatischste toxische Reaktion, die durch retardiertes Niacin verursacht
wird. Sie kann sich als Gelbsucht mit erhöhten Aspartat-Aminotrans-
Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss
ferase(AST)- und Alanin-Aminotransferase-Werten (ALT) zeigen. Einige Fälle einer fulminant verlaufenden Hepatitis, die sogar eine Lebertransplantation erforderlich machten, sind bei Dosierungen von
3–9 g/d beobachtet worden. Andere toxische Reaktionen offenbaren
sich als Glukoseintoleranz, Hyperurikämie, Makulaödem und Makulazysten. Die Kombination von Nikotinsäurepräparaten zur Behandlung der Dyslipidämie mit 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A(HMG-CoA)-Reduktasehemmern kann das Risiko für eine Rhabdomyolyse erhöhen. Die Obergrenze für die tägliche Niacineinnahme ist
bei 35 mg gesetzt worden. Allerdings betrifft diese Obergrenze nicht
therapeutische Anwendungen von Niacin.
& PYRIDOXIN (VITAMIN B6)
Der Begriff Vitamin B6 bezieht sich auf eine Familie von Verbindungen, die Pyridoxin, Pyridoxal, Pyridoxamin sowie ihre 5’-Phosphatderivate einschließen. 5’-Pyridoxalphosphat (PLP) ist ein Kofaktor für
mehr als 100 Enzyme, die mit dem Aminosäurestoffwechsel verbunden sind. Vitamin B6 ist auch an der Häm- und der Neurotransmittersynthese beteiligt sowie beim Metabolismus von Glykogen, Lipiden, Steroiden, Sphingoidbasen und mehreren Vitaminen einschließlich der Umwandlung von Tryptophan in Niacin.
Vorkommen in der Nahrung
Pflanzen enthalten Vitamin B6 in Form von Pyridoxin, während in
tierischem Gewebe 5’-Pyridoxalphosphat und Pyridoxaminphosphat
vorkommen. Das Vitamin B6 aus Pflanzen ist weniger bioverfügbar
als das aus tierischem Gewebe. Reich an Vitamin B6 sind: Hülsenfrüchte, Nüsse, Weizenkleie und Fleisch, wenngleich das Vitamin
auch in allen anderen Lebensmittelgruppen zu finden ist.
Mangel
Symptome eines Vitamin-B6-Mangels zeigen sich als Epithelveränderungen, wie sie auch beim Mangel an anderen B-Vitaminen häufig
sind. Bei einem schwerwiegenden Vitamin-B6-Mangel kommen weiterhin periphere Neuropathie, anomales Elektroenzephalogramm
(EEG) und Persönlichkeitsveränderungen einschließlich Depression
und Verwirrung hinzu. Bei Kleinkindern wurde über Durchfall,
Krampfanfälle und Anämie berichtet. Eine mikrozytäre, hypochrome
Anämie wird durch eine verminderte Hämoglobinsynthese ausgelöst,
weil das erste Enzym (Aminolävulinsäuresynthase), das an der Hämbiosynthese beteiligt ist, das PLP als Kofaktor erfordert (Kap. 126). In
einigen Fallberichten wurde auch über eine Plättchenfunktionsstörung berichtet. Da Vitamin B6 bei der Umwandlung von Homocystein in Cystathionin notwendig ist, kann ein chronisch geringgradiger
Vitamin-B6-Mangel zu einem erhöhten Homocysteinspiegel im Blut
führen und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen
(Kap. 291e und 434e). Unabhängig vom Homocystein sind niedrige
Spiegel an zirkulierendem Vitamin B6 mit Entzündungsreaktionen
und erhöhtem C-reaktivem Protein assoziiert.
Bestimmte Medikamente wie Isoniazid, L-Dopa, Penicillamin und
Cycloserin interagieren über Carbonylgruppen mit PLP. Pyridoxin
sollte daher gleichzeitig gegeben werden. Ein erhöhtes Verhältnis von
AST (oder SGOT) zu ALT (oder SGPT) in der Leber von Alkoholkranken spiegelt die relative Vitamin-B6-Abhängigkeit der ALT wider.
Vitamin-B6-abhängige Syndrome, die pharmakologische Dosierungen
von Vitamin B6 erfordern, sind selten. Zu ihnen gehören der Cystathionin-β-Synthase-Mangel, pyridoxinabhängige Anämien (in erster
Linie Sideroblastenanämien) und die Gyrusatrophie mit chorioretinaler Degeneration, die durch eine verminderte Aktivität des mitochondrialen Enzyms Ornithin-Aminotransferase verursacht wird. In diesen Situationen ist eine orale Behandlung mit 100–200 mg/d Vitamin
B6 erforderlich.
Hohe Dosierungen von Vitamin B6 wurden zur Therapie des Karpaltunnelsyndroms verwendet, gegen prämenstruelle Beschwerden,
Schizophrenie, Autismus und diabetische Neuropathie, aber ein überzeugender Effekt ließ sich nicht feststellen.
Die Labordiagnose eines Vitamin-B6-Mangels wird im Allgemeinen bei einem niedrigen Plasmawert des PLP gestellt (< 20 nmol/l).
Die Behandlung eines Vitamin-B6-Mangels erfolgt mit 50 mg am Tag.
Höhere Tagesdosen von 100–200 mg sind angezeigt, wenn der Vitamin-B6-Mangel mit einer medikamentösen Behandlung zusammenhängt. Vitamin B6 sollte nicht gleichzeitig mit L-Dopa verabreicht
werden, weil beide miteinander interferieren.
96e
Toxizität
Die sichere Obergrenze für Vitamin B6 ist auf 100 mg/d festgesetzt
worden, obwohl keine nachteiligen Wirkungen bei hoher Zufuhr über
Nahrungsmittel bekannt sind. Wenn eine Toxizität auftritt, löst diese
eine schwerwiegende sensible Neuropathie aus, die den Patienten
gehunfähig macht. Auch wurde über einige Fälle mit Lichtempfindlichkeit und Dermatitis berichtet.
& FOLAT, VITAMIN B12
Siehe Kapitel 128.
& VITAMIN C
Sowohl Ascorbinsäure als auch ihr Oxidationsprodukt Dehydroascorbinsäure sind biologisch aktiv. Zum Wirkungsspektrum des Vitamins
gehören antioxidative Aktivität, verbesserte Resorption von NichtHäm-Eisen, die Carnitinbiosynthese und die Umwandlung von Dopamin in Noradrenalin und die Synthese verschiedener Peptid-Hormone. Vitamin C ist auch für den Bindegewebsstoffwechsel und das
Cross-linking (Prolin-Hydroxylierung) wichtig und ist zudem ein Bestandteil vieler fremdstoffmetabolisierender Enzymsysteme, besonders des mischfunktionellen Oxidasesystems.
Resorption und Vorkommen in der Nahrung
Vitamin C wird nahezu vollständig resorbiert, wenn weniger als
100 mg in einer Einzeldosis verabreicht werden. Beträgt die Dosis jedoch über ein Gramm, werden nur 50 % oder weniger resorbiert. Bei
größeren Einnahmemengen kommt es zu erhöhtem Abbau und gesteigerter fäkaler und renaler Ausscheidung von Vitamin C.
Gute Nahrungsquellen für Vitamin C sind Zitrusfrüchte, grünes
Gemüse (besonders Brokkoli), Tomaten und Kartoffeln. Der Verzehr
von fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag liefert Vitamin C im
Überfluss gemäß den Zufuhrempfehlungen der DGE von etwa
100 mg/d (RDA in den USA: 90 mg/d für Männer und 75 mg/d für
Frauen. Ungefähr 40 % der US-Bevölkerung nehmen Vitamin C als
Nahrungsergänzung zu sich, wobei „natürliche Formen“ von Vitamin C nicht besser bioverfügbar sind als synthetische Formen. Rauchen, Hämodialyse, Schwangerschaft und Stress (z. B. Infektion, Trauma) steigern offenbar den Vitamin-C-Bedarf.
Mangel
Vitamin-C-Mangel verursacht Skorbut. In den USA tritt dies in erster
Linie bei armen und älteren Menschen sowie bei Alkoholikern auf,
die < 10 mg Vitamin C am Tag zu sich nehmen. Vitamin-C-Mangel
wird auch bei Personen beobachtet, die sich makrobiotisch ernähren,
sowie bei jungen Erwachsenen mit sehr unausgewogener Ernährung.
In Deutschland tritt ein manifester Vitamin-C-Mangel nur in Einzelfällen auf. Die mediane Vitamin-C-Zufuhr liegt deutlich über den
DACH-Referenzwerten, die allerdings von 32 % der Männer und 29 %
der Frauen nicht erreicht werden. Ein erhöhtes Risiko für erniedrigte
Vitamin-C-Spiegel wiesen allerdings ältere Männer und Raucher auf
(Heseker et al. 1992). Zusätzlich zu einer allgemeinen Erschöpfung
äußern sich Skorbutsymptome in erster Linie in einer beeinträchtigten Bildung des reifen Bindegewebes, wobei es zu Hautblutungen (Petechien, Ekchymosen, perifollikulären Hämorrhagien), entzündetem
und blutendem Zahnfleisch sowie Einblutungen in die Gelenke, in
den Peritonealraum, das Perikard und die Nebennieren kommen
kann. Bei Kindern kann ein Vitamin-C-Mangel das Knochenwachstum beeinträchtigen. Die Labordiagnose eines Vitamin-C-Mangels
wird gestellt auf der Basis erniedrigter Plasma- oder Leukozytenwerte.
Die Gabe von Vitamin C (200 mg/d) verbessert die Skorbutsymptomatik innerhalb einiger Tage. Eine hoch dosierte Vitamin-C-Supplementierung (z. B. 1–2 g/d) kann möglicherweise Dauer und Symptome
von Infektionen der oberen Atemwege geringfügig vermindern. Es gibt
auch Berichte, dass Vitamin-C-Supplementierung beim Chédiak-Higashi-Syndrom (Kap. 80) sowie bei der Osteogenesis imperfecta (Kap. 427)
vorteilhaft ist. Von einem hohen Gehalt an Vitamin C in der Nahrung
wird auch behauptet, das Auftreten von bestimmten Krebsarten, besonders von Ösophagus- und Magenkrebs, könne gesenkt werden. Träfe
dies zu, dann dürfte diese Wirkung darauf beruhen, dass Vitamin C die
Umwandlung von Nitriten und sekundären Aminen in karzinogene Nitrosamine verhindern kann. Allerdings fand eine Interventionsstudie in
China keinerlei protektive Wirkung des Vitamins C. Die parenterale
Gabe von Ascorbinsäure soll angeblich für die Behandlung fortgeschrittener Krebserkrankungen eine Bedeutung haben.
96e-5
Teil 6
Ernährung
Toxizität
Eine Einzeldosis von mehr als 2 g Vitamin C kann zu Bauchschmerz,
Durchfall und Übelkeit führen. Da Vitamin C zu Oxalat metabolisiert
werden kann, wurde von chronisch hoch dosierten Vitamin-C-Supplementierungen eine erhöhte Prävalenz von Nierensteinen befürchtet. Dies ließ sich jedoch in mehreren Studien nicht bestätigen, außer
bei Patienten, die bereits eine vorbestehende Nierenerkrankung aufwiesen. Daher ist es ratsam, Patienten mit Nierensteinen in der
Anamnese zu empfehlen, keine überhöhten Vitamin-C-Dosen zu sich
zu nehmen. Ein weiteres potenzielles, aber ebenfalls bislang ungeprüftes Risiko besteht in einer Überversorgung mit Eisen und Eisentoxizität bei dauerhaft hoher Vitamin-C-Aufnahme. Hohe Dosen von Vitamin C können bei Patienten mit Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel eine Hämolyse auslösen. Zudem können Dosen von
mehr als 1 g/d falsch negative Guajak-Reaktionen bewirken sowie mit
Tests für die Bestimmung der Harnglukose interferieren. Außerdem
können hohe Dosierungen die Wirkung bestimmter Medikamente
beeinträchtigen (z. B. Bortezomib bei Myelompatienten).
& BIOTIN
Biotin ist ein wasserlösliches Vitamin, das eine wichtige Rolle bei
Genexpression, Glukoneogenese und Fettsäuresynthese spielt und als
CO2-Carrier auf der Oberfläche sowohl zytoplasmatischer als auch
mitochondrialer Carboxylasen dient. Das Vitamin ist auch im Katabolismus von bestimmten Aminosäuren (z. B. Leucin) sowie über die
Biotynilierung von Histon bei der Genregulation aktiv. Hervorragende Nahrungsquellen von Biotin sind Leber, Soja und andere Bohnen,
Hefe und Eigelb. Eiklar enthält das Protein Avidin, das das Vitamin
stark bindet und seine Bioverfügbarkeit reduziert.
Ein Biotinmangel aufgrund zu geringer Zufuhr mit der Nahrung ist
selten, meist beruht der Mangel auf angeborenen Störungen im Metabolismus. Biotinmangel ließ sich herbeiführen durch experimentelle
Ernährung mit Eiklar und findet sich bei Patienten mit Kurzdarm, die
parenteral eine Biotin-freie Ernährung erhielten. Bei Erwachsenen
führt ein Biotinmangel zu geistigen Veränderungen (Depression, Halluzinationen), zu Parästhesien, Anorexie und Übelkeit. Ein sich schälender, seborrhoischer und erythematöser Ausschlag kann um Augen,
Nase und Mund und ebenso an den Extremitäten auftreten. Bei Säuglingen bewirkt ein Biotinmangel Hypotonie, Lethargie und Apathie.
Außerdem kann der Säugling eine Alopezie und einen charakteristischen Ausschlag entwickeln, der auch die Ohren einschließt. Die Labordiagnose eines Biotinmangels kann aufgrund einer verminderten
Harnkonzentration von Biotin (oder seinen Metaboliten), einer erhöhten Urinexkretion von 3-Hydroxyisovaleriansäure nach einer LeucinProbe oder der reduzierten Aktivität biotinabhängiger Enzyme in den
Lymphozyten (z. B. Propionyl-CoA-Ccarboxylase) gestellt werden. Die
Behandlung erfordert pharmakologisch wirksame Dosen von Biotin
von bis zu 10 mg/d. Eine toxische Wirkung ist nicht bekannt.
& PANTOTHENSÄURE
Pantothensäure ist ein Bestandteil des Koenzyms A und des Phosphopantetheins, die in den Stoffwechsel der Fettsäuren, die Synthese von
Cholesterin und Steroidhormonen sowie allen Verbindungen aus Isoprenoid-Einheiten eingebunden sind. Außerdem ist die Pantothensäure bei der Acetylierung von Proteinen beteiligt. Das Vitamin wird
mit dem Urin ausgeschieden, und die Labordiagnose eines Mangels
stützt sich auf eine niedrige Vitaminkonzentration im Urin.
Das Vitamin kommt in der Nahrung ubiquitär vor. Leber, Hefe, Eigelb, Vollkorn und Gemüse sind besonders gute Quellen. Ein Pantothensäuremangel ist beim Menschen nur durch experimentelle Pantothensäure-Mangel-Diäten demonstriert worden oder durch die Gabe
eines spezifischen Pantothensäure-Antagonisten. Die Symptome eines
Pantothensäuremangels sind unbestimmt und manifestieren sich unter anderem als gastrointestinale Störungen, Depression, Muskelkrämpfe, Parästhesien, Ataxie und Hypoglykämie. Vermutet wird,
dass das Burning-Feet-Syndrom bei Kriegsgefangenen im zweiten
Weltkrieg durch einen Pantothensäuremangel verursacht wurde. Über
eine Toxizität dieses Vitamins wurde bislang nicht berichtet.
& CHOLIN
Cholin ist ein Vorläufer von Acetylcholin, Phospholipiden und Betain. Cholin ist notwendig für die strukturelle Integrität der Zellmembranen, die cholinerge Neurotransmission, den Fett- und Cholesterinmetabolismus, den Methyl-Gruppen-Stoffwechsel und die transmem-
96e-6
branöse Signaltransduktion. Kürzlich wurde die Einnahmeempfehlung in den USA auf 550 mg/d für erwachsene Männer und auf
425 mg/d für erwachsene Frauen festgelegt, obwohl bestimmte genetische Polymorphismen den individuellen Bedarf an Cholin erhöhen
können. Eine Zufuhrempfehlung für die Länder des deutschen
Sprachraums existiert nicht. Cholin wird für einen „bedingt essenziellen“ Nährstoff gehalten, dessen De-novo-Synthese in der Leber zwar
stattfindet, unter bestimmten Stressbedingungen (z. B. alkoholbedingte Lebererkrankungen) den erhöhten Umsatz aber nicht abdeckt. Die
benötigte Zufuhr an Cholin hängt vom Status anderer Methyl-Gruppen-Donatoren (Folsäure, Vitamin B12 und Methionin) ab und kann
daher deutlich variieren. Cholin ist in der Nahrung in der Form des
Lecithins (Phosphatidylcholin) weit verbreitet (z. B. in Eigelb, Weizenkeimen, Innereien und Milch). Ein Cholinmangel ist bei cholinfrei
parenteral ernährten Patienten aufgetreten. Ein Mangel führt zu einer
Leberverfettung, erhöhten Serumtransaminasen sowie zu Skelettmuskelschäden mit hohen Kreatinphosphokinase-Werten. Die Diagnose
des Cholinmangels wird aufgrund niedriger Plasmawerte gestellt, obwohl auch unspezifische Faktoren (z. B. starke körperliche Betätigung) den Plasmaspiegel absenken können.
Die Toxizität von Cholin zeigt sich durch niedrigen Blutdruck, cholinerg ausgelöstes Schwitzen, Durchfall, Speichelfluss und einen fischigen Körpergeruch. Die Obergrenze der Cholinzufuhr wird mit
3,5 g/d angegeben. Therapeutisch wird Cholin eingesetzt bei Patienten mit Demenz und Patienten mit einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten aufgrund seiner Fähigkeit, den Cholesterinund Homocysteinspiegel zu senken. Jedoch muss ein derartiger Nutzen noch belegt werden. Cholin- und Betain-reduzierte Diäten haben
einen therapeutischen Stellenwert bei der Trimethylaminurie (Fischgeruch-Syndrom).
& FLAVONOIDE
Als Flavonoide wird eine große Gruppe von Polyphenolen bezeichnet,
die als Geschmacks-, Geruchs- und Farbstoffe von Obst und Gemüse
dienen. Zu bedeutenden Gruppen von Nahrungsflavonoiden gehören
die Anthocyanidine in Beerenfrüchten, die Catechine in grünem Tee
und Schokolade, Flavonole (wie Quercetin) in Brokkoli, Kohl, Lauch,
Zwiebeln sowie in der Schale von Trauben und Äpfeln sowie die Isoflavone (z. B. Genistein) in Hülsenfrüchten. Isoflavone haben eine
niedrige Bioverfügbarkeit und werden teilweise bereits durch die
Darmflora metabolisiert. Die Zufuhr an Flavonoiden mit der Nahrung wird auf 10–100 mg/d geschätzt, wobei diese Zahl sicherlich zu
niedrig angegeben ist, da eine genaue Kenntnis über den Gehalt an
Flavonoiden in vielen unserer Nahrungsmittel noch aussteht. Verschiedene Flavonoide weisen eine antioxidative Aktivität auf und können zelluläre Signalwege beeinflussen. In epidemiologischen Beobachtungsstudien sowie in kleineren klinischen Untersuchungen an Menschen und in Tierversuchen zeigte sich eine Bedeutung der Flavonoide in der Prävention verschiedener chronischer Erkrankungen,
einschließlich neurodegenerativer Krankheiten, Diabetes und Osteoporose. Die endgültige Bedeutung und der Nutzen der einzelnen Bestandteile bei Erkrankungen des Menschen müssen aber noch durch
weitere Studien geklärt werden.
& VITAMIN A
Streng genommen bezieht sich die Bezeichnung Vitamin A auf Retinol. Allerdings sind die oxidierten Metaboliten Retinal und Retinsäure
ebenfalls biologisch aktive Verbindungen. Der Ausdruck Retinoide beinhaltet alle Moleküle (einschließlich synthetischer Moleküle), die sich,
chemisch betrachtet, vom Retinol ableiten. Retinal (11-cis) ist die essenzielle Form des Vitamins A, die für den Sehvorgang benötigt wird,
während die Retinsäure für eine normale Morphogenese, normales
Wachstum und die Zelldifferenzierung erforderlich ist. Retinsäure hat
keine Funktion beim Sehvorgang und im Gegensatz zu Retinol ist sie
nicht an der Reproduktion beteiligt. Vitamin A spielt auch eine Rolle
bei der Eisenverwertung, der humoralen Immunität, der T-Zell-vermittelten Immunität, der natürlichen Killerzellenaktivität und der
Phagozytose. Vitamin A ist kommerziell wegen der dadurch erhöhten
Stabilität in veresterter Form verfügbar (z. B. als Acetat oder Palmitat).
In der Natur kommen mehr als 600 Carotinoide vor, von denen etwa 50 zu Vitamin A metabolisiert werden können. Beta-Carotin ist
das in der Nahrung vorherrschende Carotinoid mit Provitamin-AAktivität. Beim Menschen werden bedeutende Anteile von Carotinoiden intakt resorbiert und in Leber und Fettgewebe gespeichert. Äqui-
Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss
valent zu 1 μg Retinol sind schätzungsweise 12 μg oder mehr (Bereich
4–27 µg) des Beta-Carotins in der Nahrung beziehungsweise 24 μg
oder mehr von anderen Carotinoiden mit Provitamin-A-Aktivität
(z. B. Cryptoxanthin oder Alpha-Carotin). Die Vitamin-A-Äquivalenz eines Beta-Carotin-Supplements in Ölsuspension beträgt 2 : 1.
Metabolismus
Die Leber enthält etwa 90 % der Vitamin-A-Reserven und sezerniert
Vitamin A in Form von Retinol, und zwar gebunden an Retinol-bindendes Protein. Danach interagiert dieser Proteinkomplex mit einem
zweiten Eiweiß, dem Transthyretin. Dieser trimolekulare Komplex
hat die Aufgabe, die glomeruläre Filtration des Vitamins A in der
Niere zu verhindern, den Körper vor der Toxizität des Retinols zu
schützen und dem Retinol die zelluläre Aufnahme über spezifische
Zelloberflächenrezeptoren zu ermöglichen, die Retinol-bindendes
Protein erkennen. Eine gewisse Menge an Vitamin A gelangt in periphere Zellen, auch wenn es nicht an Retinol-bindendes Protein geknüpft ist. Nach Aufnahme von Retinol in die Zelle wird es an eine
Reihe von zellulären Retinol-bindenden Proteinen gekoppelt, die das
Sequestrieren und den Transport übernehmen, sowie als Koliganden
für enzymatische Reaktionen agieren. Bestimmte Zellen enthalten
auch Retinsäure-bindende Proteine, die die gleiche sequestrierende
Aufgabe und Transportfunktion für Retinsäure in den Zellkern besitzen und den Metabolismus ermöglichen.
Retinsäure ist ein Ligand für verschiedene Rezeptoren im Zellkern,
die als Transkriptionsfaktoren agieren. Zwei Rezeptorfamilien (RARund RXR-Rezeptoren) sind aktiv in der Retinoid-vermittelten Gentranskription. Retinoidrezeptoren regulieren die Transkription, indem
sie in Zielgenen als dimere Komplexe an bestimmte DNS-Stellen binden, die Retinsäure-Response-Elemente in Ziel-Genen (Kap. 400e).
Die Rezeptoren können nach erfolgter Ligandenbindung die Genexpression sowohl stimulieren als auch unterdrücken. RAR bindet alltrans-Retinsäure und 9-cis-Retinsäure, wohingegen RXR ausschließlich 9-cis-Retinsäure bindet.
Die Retinrezeptoren spielen eine wichtige Rolle bei der Kontrolle
der Zellproliferation und -differenzierung. Retinsäure ist bei der Behandlung der promyelozytischen Leukämie nützlich (Kap. 132) und
findet auch Anwendung in der Behandlung der zystischen Akne,
denn sie hemmt die Keratinisierung, vermindert die Talgsekretion
und verändert möglicherweise die entzündliche Reaktion (Kap. 71).
RXRs dimeriseren mit anderen Zellkernrezeptoren, um als Koregulatoren von Genen zu dienen, die auf Retinoide, Schilddrüsenhormon
und Calcitriol ansprechen. RXR-Agonisten führen experimentell eine
Insulinempfindlichkeit herbei, vielleicht weil RXR ein Kofaktor für
die Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Rezeptoren (PPAR) ist, die
ihrerseits Zielpunkte der Thiazolidindion-Medikamente wie Rosiglitazon und Troglitazon sind (Kap. 418). Aufgrund eines ungünstigen
Nutzen-Risiko-Profils wurde Troglitazon in Deutschland nicht zugelassen und Rosiglitazon vom Markt genommen. In Deutschland ist
daher nur noch Pioglitazon verfügbar, das nach Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses 2011 allerdings nur in begründeten
Ausnahmefällen bei Typ-2-Diabetikern verordnungsfähig ist.
Vorkommen in der Nahrung
Das Retinol-Aktivitäts-Äquivalent (RAE) wird verwendet, um den Vitamin-A-Gehalt der Nahrung auszudrücken. Ein RAE ist definiert als
1 µg Retinol (0,003491 mmol), 12 μg Beta-Carotin bzw. 24 μg anderer
Carotinoide mit Provitamin-A-Aktivität. In der älteren Literatur wurden Vitamin-A-Werte häufig durch internationale Einheiten (IU)
ausgedrückt, wobei 1 RAE etwa 3,33 IU Retinol und 20 IU Beta-Carotin entspricht. In der heutigen wissenschaftlichen Literatur finden
diese Einheiten jedoch keine Verwendung mehr.
Leber, Fisch und Ei sind ausgezeichnete Nahrungsquellen für Vitamin A. Als Gemüsequellen für Provitamin-A-Carotinoide kommen
dunkelgrüne und stark gefärbte Früchte und Gemüse infrage. Moderates Kochen des Gemüses verstärkt die Freisetzung der Carotinoide
für die Aufnahme im Darm. Durch Fett am Essen kann die Carotinoidresorption zusätzlich verstärkt werden. Kinder sind besonders
anfällig für einen Vitamin-A-Mangel, weil weder die Muttermilch
noch die Kuhmilch ausreichend Vitamin A liefert, um einen Mangel
zu verhindern. In Entwicklungsländern ist eine anhaltende Unterversorgung mit Nahrung der häufigste Grund für einen Vitamin-AMangel, der durch Infektionen noch verstärkt werden kann. In der
frühen Kindheit resultiert ein niedriger Vitamin-A-Spiegel aus einer
96e
inadäquaten Zufuhr an Nahrungsmitteln tierischer Herkunft und
Speiseölen, die kostspielig sind, sowie der saisonalen Nichterhältlichkeit von Gemüse und Früchten sowie einem Mangel an gefertigten
Nahrungsprodukten. Ein gleichzeitiger Zinkmangel kann die Vitamin-A-Mobilisierung aus den Leberdepots behindern. Alkohol beeinflusst die Umwandlung von Retinol in Retinal im Auge durch eine
Konkurrenz um die Alkohol-(Retinol-)Dehydrogenase. Medikamente,
die die Absorption des Vitamins A beeinflussen, beinhalten Mineralöl, Neomycin und Cholestyramin.
Mangel
Vitamin-A-Mangel ist in Gebieten endemisch, in denen eine
anhaltend schlechte Nahrungsversorgung der Bevölkerung
besteht, besonders in Südasien, in Afrika südlich der Sahara,
in einigen Teilen Lateinamerikas und in der Westpazifikregion einschließlich Teilen von China. Der Vitamin-A-Spiegel wird üblicherweise durch die Messung des Serum-Retinols (Normalwert 1,05–
3,50 μmol/l bzw. 30–100 μg/dl) oder des „Blood Spot“-Retinols oder
mittels Testung der Dunkeladaptation bestimmt. Stabile Isotopenmessung oder die invasive Leberbiopsie erlauben eine Schätzung der Vitamin-A-Körperreserven. Basierend auf einem erniedrigten Serumretinol (< 0,70 μmol/l bzw. 20 μg/dl) gibt es > 90 Mio. Kinder im Vorschulalter mit einem Vitamin-A-Mangel, von denen > 4 Mio. eine Augenbeteiligung in Form der Xerophthalmie haben. Dies beinhaltet
auch mildere Ausprägungen mit Nachtblindheit und konjunktivaler
Xerose mit Bitot-Flecken (weißen Flecken aus keratinisiertem Epithel
auf der Sklera), aber auch die seltenen Hornhautgeschwüre und -nekrosen, die zur Erblindung führen können. Die Keratomalazie (die
Aufweichung der Kornea) hat eine korneale Vernarbung zur Folge,
die bei mehr als 250.000 Kindern jährlich zur Erblindung und bei 4–
25 % zum Tode führt. Vitamin-A-Mangel geht in allen Stadien mit
einer erhöhten Sterblichkeit durch Diarrhö, Dysenterie, Masern, Malaria und Atemwegserkrankungen einher. Vitamin-A-Mangel kann
die Barrierefunktionen der Epithelien beeinträchtigen und das angeborene und erworbene Immunsystem schwächen. Eine Vitamin-ASupplementierung kann die Kindersterblichkeit in Prävalenzgebieten
deutlich reduzieren (im Durchschnitt um 23–34 %). Etwa 10 % der
Schwangeren in unterernährten Gebieten erleiden anamnestisch eine
Nachtblindheit in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft, und dieser
moderate Vitamin-A-Mangel ist mit einem erhöhten Risiko einer
mütterlichen Infektion und Sterblichkeit verbunden.
Die für Deutschland vorliegenden Daten zur Aufnahme von Vitamin A aus der Nationalen Verzehrsstudie II (2008) zeigen, dass die
mediane Zufuhr an Vitamin A deutlich über den DACH-Referenzwerten liegt und nur 15 % der Männer und 10 % der Frauen die Empfehlungen für eine bedarfsgerechte Zufuhr nicht erreichen. Andererseits ist bei einem Teil der Bevölkerung durch Nahrungssupplemente
von einer erhöhten Zufuhr auszugehen. Da die therapeutische Breite
von Vitamin A eng ist, sollte der Bedarf aus natürlichen Quellen gedeckt und von einer Anreicherung von Nahrungsmitteln abgesehen
werden.
BEHANDLUNG: VITAMIN-A-MANGEL
Bei Auftreten einer Augenmanifestation im Sinne einer Xerophthalmie sollte mit 60 mg Vitamin A (in einer öligen Lösung als
Weichgelatinekapsel) behandelt werden. Die gleiche Dosis wird einen und 14 Tage später wiederholt. Für Säuglinge zwischen 6 und
11 Monaten sollte die Dosis auf die Hälfte reduziert werden. Mütter mit Nachtblindheit oder Bitot-Flecken sollten entweder 3 mg/d
Vitamin A oder 2 × 7,5 mg/Woche erhalten. Dieses Therapieregime ist effizient und kostengünstig und besser verfügbar als Injektionslösungen mit Vitamin A. Eine übliche Vorgehensweise zur
Prävention ist die Gabe von Vitamin A in Hochrisikogebieten alle
4–6 Monate an Kleinkinder und Säuglinge (sowohl HIV-positive
als auch HIV-negative). Kinder im Alter zwischen 6 und 11 Monaten sollten 30 mg Vitamin A erhalten und Kinder im Alter von
12–59 Monaten 60 mg. Aus unbekannten Gründen konnte die
präventive Gabe von Vitamin A in Hochrisikogebieten die Morbidität und die Mortalität von Säuglingen im Alter von 1–5 Monaten
nicht reduzieren.
Ein unkomplizierter Vitamin-A-Mangel tritt in Industrieländern nur sehr selten auf. Eine Hochrisikogruppe stellen Kinder
96e-7
Teil 6
Ernährung
mit einem extrem niedrigen Geburtsgewicht (< 1000 g) dar, bei
denen ein Vitamin-A-Mangel anzunehmen ist und die für insgesamt 4 Wochen 3 × 1500 μg/Woche (oder RAE) Vitamin A erhalten sollten. Schwere Masernerkrankungen können zu einem sekundären Vitamin-A-Mangel führen. Kinder, die mit Masern stationär aufgenommen wurden, sollten an zwei aufeinander folgenden Tagen eine Dosis von jeweils 60 mg Vitamin A erhalten. Am
häufigsten tritt Vitamin-A-Mangel bei Patienten mit einer Malabsorption auf (z. B. Sprue oder Kurzdarmsyndrom), die eine pathologische Dunkeladaptation oder Symptome der Nachtblindheit,
aber ohne andere Augenveränderungen aufweisen. Typischerweise
werden diese Patienten für einen Monat mit 15 mg/d einer wässrigen Vitamin-A-Suspension behandelt. Dieser Therapie wird
dann eine niedrigere Erhaltungsdosis mit genau der Menge an Vitamin A angeschlossen, die sich aus dem Monitoring des SerumRetinols ergibt.
Es gibt keine spezifischen Mangelzeichen oder Symptome, die
aus einem Carotinoidmangel resultieren. Es wurde postuliert, dass
Beta-Carotin eine wirksame Prävention gegen Krebs sein könnte,
weil zahlreiche epidemiologische Studien eine Beziehung gezeigt
hatten zwischen einer Ernährung mit hohem Beta-Carotin-Anteil
und einer niedrigeren Inzidenz von Krebsarten des Atmungs- und
Verdauungssystems. Allerdings erbrachten Interventionsstudien
an Rauchern mit hohen Beta-Carotin-Dosen eher eine Häufung
von Lungenkrebs, verglichen mit der jeweiligen placebobehandelten Gruppe. Carotinoide ohne Provitamin-A-Funktion wie Lutein
und Zeaxanthin werden als Schutz vor einer Makuladegeneration
empfohlen, und eine großangelegte Interventionsstudie konnte
nur bei niedrigem Luteinspiegel einen Nutzen belegen. Dem
Nicht-Provitamin-A-Carotinoid Lycopin wird eine Schutzfunktion
gegenüber Prostatakrebs zugeschrieben. Die Wirksamkeit dieser
Agenzien ist jedoch bislang nicht durch Interventionsstudien bewiesen, und die Mechanismen, die diesen biologischen Effekten
zugrunde liegen, sind unbekannt.
Zuchtverfahren für Pflanzen, die den Provitamin-A-Gehalt von
Grundnahrungsmitteln erhöhen, können die Vitamin-A-Versorgung der einkommensschwachen Länder verbessern. Ein vor kurzem durch genetische Modifikation entwickelter Reis (Golden
Rice) weist zudem einen verbesserten Konversionsquotienten von
Beta-Carotin zu Vitamin A von etwa 3 : 1 auf.
Toxizität
Die akute Toxizität von Vitamin A wurde zuerst in der Arktis bei Forschungsreisenden nach dem Verzehr von Eisbärenleber beobachtet,
gleichfalls nach Aufnahme von 150 mg Vitamin A durch Erwachsene
und von 100 mg durch Kinder. Die akute Toxizität manifestiert sich
durch einen gesteigerten intrakraniellen Druck, Schwindel, Diplopie,
ein Anschwellen der Fontanellen bei Kindern, Anfälle sowie eine exfoliative Dermatitis. Dieser Zustand kann zum Tode führen. Bei Kindern, die gemäß oben stehendem Protokoll auf einen Vitamin-AMangel behandelt wurden, traten in 2 % der Fälle eine Vorwölbung
der Fontanellen und transiente Übelkeit sowie Kopfschmerzen in 5 %
der Fälle auf. Eine chronische Vitamin-A-Intoxikation ist in Industrieländern besorgniserregend und wurde bei Personen beobachtet,
die 15 mg/d (Erwachsene) beziehungsweise 6 mg/d (Kinder) Vitamin A über mehrere Monate aufnahmen. Als Manifestationen finden
sich trockene Haut, Cheilosis, Glossitis, Erbrechen, Alopezie, Entmineralisierung des Knochens sowie Skelettschmerzen, Hyperkalzämie,
Lymphknotenvergrößerung, Hyperlipidämie, Amenorrhö und Merkmale eines Pseudotumor cerebri mit gesteigertem intrakraniellem
Druck und Papillenödem. Außerdem kann im Ergebnis chronischer
Vitamin-A-Vergiftung eine Leberfibrose mit portaler Hypertension
sowie Knochendemineralisation auftreten. Wenn Vitamin A exzessiv
von Schwangeren aufgenommen wird, kann es zu spontanen Schwangerschaftsabbrüchen kommen oder es können beim Kind angeborene
Missbildungen wie kraniofaziale Abnormitäten und Herzklappenerkrankungen auftreten. In der Schwangerschaft sollte die tägliche Vitamin-A-Dosis daher 3 mg nicht übersteigen. Auch die kommerziell
erhältlichen Retinoidderivate sind toxisch, einschließlich der 13-cisRetinsäure, die mit angeborenen Fehlbildungen in Verbindung gebracht wurde. Daher sollte bei Frauen, die 13-cis-Retinsäure genommen haben, die Empfängnisverhütung wenigstens über 1 Jahr fortgesetzt werden, möglicherweise auch länger.
96e-8
Bei unterernährten Kindern wird die altersabhängige Gabe von Vitamin A (30–60 mg) in Zyklen von 2 Jahren erwogen, um die unspezifischen Wirkungen von Impfungen zu verstärken. Allerdings gibt es
aus unbekannten Gründen eine negative Auswirkung auf die Mortalität von unvollständig geimpften Mädchen.
Hohe Dosen von Carotinoiden führen nicht zu toxischen Symptomen, sollten aber von Rauchern aufgrund eines gesteigerten Lungenkrebsrisikos vermieden werden. Mit sehr hohen Beta-Carotin-Dosen
(etwa 200 mg/d) lassen sich die Hautausschläge bei erythropoetischer
Protoporphyrie verhindern und behandeln. Allerdings kann es zu einer Carotinämie, also einer charakteristischen Gelbfärbung der Haut
(besonders der Handflächen und Fußsohlen), aber nicht der Skleren,
nach einer regelmäßigen täglichen Aufnahme von mehr als 30 mg Beta-Carotin kommen. Hypothyreote Patienten sind für die Entwicklung einer Carotinämie besonders anfällig aufgrund der unvollständigen Aufspaltung von Carotin zu Vitamin A. Eine Carotinreduktion in
der Ernährung lässt die Gelbfärbung der Haut und die Carotinämie
innerhalb eines Zeitraums von 30–60 Tagen verschwinden.
& VITAMIN D
Der Metabolismus des fettlöslichen Vitamins D wird in Kapitel 423
ausführlich besprochen. Die biologischen Wirkungen werden von Vitamin-D-Rezeptoren vermittelt, die in den meisten Geweben vorkommen, sodass Vitamin D vermutlich auf fast alle Zellsysteme und Organe wirkt (z. B. Immunzellen, Gehirn, Mamma, Kolon und Prostata)
und klassische endokrine Wirkungen auf den Kalziumstoffwechsel
und die Knochengesundheit hat. Vermutlich dient Vitamin D zur
Aufrechterhaltung der normalen Funktion vieler nicht skelettaler Gewebe, wie Muskeln (einschließlich Herzmuskeln), Immunfunktion
und Entzündungsreaktionen sowie Zellproliferation und Differenzierung. Studien haben gezeigt, dass es als Begleittherapie zur Behandlung von Tuberkulose, Psoriasis, multipler Sklerose sowie zur Vorbeugung bestimmter Krebserkrankungen nützlich sein kann. Vitamin-DMangel kann das Risiko von Typ-1-Diabetes mellitus, Herz-KreislaufErkrankungen (Insulinresistenz, Bluthochdruck oder Low-grade-Entzündungen) sowie von Gehirnfunktionsstörungen (z. B. Depression)
erhöhen. Allerdings wurde die Bedeutung der physiologischen Rolle
von Vitamin D bei diesen nicht skelettalen Erkrankungen noch nicht
genau geklärt.
Eine wichtige Vitamin-D-Quelle ist seine Synthese in der Haut unter Einfluss von UV-B-Strahlen (Wellenlänge 290–315 nm). Abgesehen von Fisch enthalten Lebensmittel (sofern nicht künstlich angereichert) nur wenig Vitamin D. Vitamin D2 (Ergocalciferol) stammt
aus Pflanzenquellen und ist die chemische Form, die in vielen Nahrungsergänzungsmitteln genutzt wird.
Mangel
Der Vitamin-D-Status wird durch die Messung von 25-DihydroxyVitamin D (25[OH]2-Vitamin D) im Serum ermittelt. Es gibt aber
keine einheitliche Testmethode und keinen Konsens zum optimalen
Serumspiegel. Der optimale Serumspiegel hängt vom vorliegenden
oder vermuteten Krankheitsbild ab. Anhand von epidemiologischen
und experimentellen Daten reicht ein 25(OH)2-Vitamin-D-Spiegel
von > 20 ng/ml (≥ 50 nmol/l; zur Umrechnung von ng/ml in nmol/l
mit 2,496 multiplizieren) für eine gute Knochengesundheit aus. Einige
Experten befürworten höhere Serumspiegel (z. B. > 30 ng/ml) für andere wünschenswerte Vitamin-D-Wirkungen. Bei gesunden Männern
und prämenopausalen Frauen reicht die Evidenz für die Empfehlung
einer kombinierten Supplementation von Vitamin D und Kalzium als
primärer Präventionsstrategie zur Reduktion der Frakturinzidenz
nicht aus.
Risikofaktoren des Vitamin-D-Mangels sind hohes Alter, mangelnde Sonneneinstrahlung, dunkle Haut (vor allem bei Menschen in
nördlichen Breiten), eine Fettmalabsorption und Fettleibigkeit. Rachitis ist die klassische Erkrankung des Vitamin-D-Mangels. Mangelerscheinungen sind Muskelschmerzen, Schwäche und Knochenschmerzen. Einige dieser Effekte sind unabhängig von der Kalziumaufnahme.
Vor kurzem hat die US National Academy of Science festgestellt,
dass die meisten Nordamerikaner ausreichend Vitamin D zu sich
nehmen (RDA = 15 μg/d oder 600 IU/d; Kap. 95e). Für die Bundesrepublik Deutschland liegen aus dem Ernährungssurvey 1998 Daten
vor, die ein Risiko eines klinisch manifesten Mangels an Vitamin D
vor allem für Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder sowie
Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss
ältere Menschen nachweisen, wenn diese nur wenig dem Sonnenlicht
exponiert sind. Daten der Nationalen Verzehrsstudie II zeigen, dass
die empfohlene Zufuhr in allen Altersgruppen bei beiden Geschlechtern im Median deutlich unterschritten wird. Bei Menschen über
70 Jahre beträgt die RDA 20 μg/d (800 IU/d). Bei Menschen mit Risikofaktoren für einen Vitamin-D-Mangel sollte die Aufnahme von angereicherten Lebensmitteln sowie eine suberythemale Sonneneinstrahlung gefördert werden. Kann keine ausreichende Zufuhr erreicht
werden, sollten vor allem während der Wintermonate Vitamin-DPräparate eingenommen werden. Vitamin-D-Mangel kann durch die
orale Verabreichung von 50.000 IE/Woche für 6–8 Wochen, gefolgt
von einer Erhaltungsdosis von 800 IU/d (100 μg/d) aus der Nahrung
und Nahrungsergänzungsmitteln nach Erreichen des normalen Plasmaspiegels behandelt werden. Die physiologische Wirkung von Vitamin D2 und D3 ist identisch, wenn sie über längere Zeit eingenommen werden.
Toxizität
Die obere Aufnahmegrenze wurde mit 4000 IU/d festgelegt. Entgegen
früherer Annahmen ist eine akute Vitamin-D-Intoxikation selten und
entsteht meist durch die unkontrollierte und übermäßige Einnahme
von Nahrungsergänzungsmitteln oder die fehlerhafte Anreicherung
von Lebensmitteln. Typisch für eine Intoxikation sind hohe Plasmakonzentrationen von 1,25(OH)2-Vitamin D und Kalzium. Obligatorisch ist hier das Absetzen von Vitamin D und Kalzium, und eventuell erfolgt eine Behandlung der Hyperkalzämie.
& VITAMIN E
Vitamin E ist der Sammelbegriff für alle Stereoisomeren des α-Tocopherols und Tocotrienols, obwohl nur die 2R-Tocopherole für den
Menschen notwendig sind. Vitamin E agiert als ein kettenabbrechendes Antioxidans und ist ein effizienter Pyroxylradikalfänger, der Lowdensity-Lipoproteine (LDL) und mehrfach ungesättigte Fettsäuren in
Membranen vor einer Oxidation schützt. Ein Netz weiterer Antioxidanzien (z. B. Vitamin C und Glutathion) und Enzyme hält Vitamin
E in einem reduzierten Zustand. Vitamin E hemmt auch die Prostaglandinsynthese und die Aktivitäten der Proteinkinase C und Phospholipase A2.
Resorption und Metabolismus
Nach der Resorption wird Vitamin E aus den Chylomikronen von der
Leber aufgenommen, und ein hepatisches α-Tocopherol-Transportprotein vermittelt den intrazellulären Vitamin-E-Transport und die
Inkorporation in Very-low-density-Lipoproteine (VLDL). Das Transportprotein hat eine besondere Affinität zum RRR-Isomer des α-Tocopherols. Deshalb besitzt dieses natürliche Isomer die höchste biologische Aktivität.
Bedarf
Vitamin E ist in zahlreichen Lebensmitteln enthalten, besonders
reichlich in Sonnenblumenöl, Distelöl und Weizenkeimöl. α-Tocotrienole finden sich ausgeprägt in Soja- und Maiskeimöl. Vitamin E findet sich auch in Fleisch, in Nüssen und Getreide und in kleineren
Mengen auch in Obst und Gemüse. Vitamin-E-Tabletten mit Dosen
von 50–1000 mg werden in den USA von etwa 10 % der Bevölkerung
eingenommen. Die RDA für Vitamin E liegt bei 15 mg/d (34,9 μmol
bzw. 22,5 IU) für Erwachsene. Eine Ernährung, die reich an mehrfach
ungesättigten Fettsäuren ist, kann einen etwas höheren Bedarf an Vitamin E erfordern.
Ein Ernährungsmangel an Vitamin E existiert nicht. Ein Vitamin-EMangel wird nur bei schwerwiegenden und lang anhaltenden malabsorptiven Krankheiten gesehen, wie zum Beispiel bei der Zöliakie,
nach Dünndarmresektion oder bariatrischen Operationen. Kinder mit
Mukoviszidose oder anhaltender Cholestase können einen Vitamin-EMangel entwickeln, charakterisiert durch Areflexie und hämolytische
Anämie. Kinder mit Abetalipoproteinämie können Vitamin E nicht
resorbieren oder transportieren, sodass sie ziemlich rasch in einen
Mangelzustand geraten. Eine familiäre Form von isoliertem VitaminE-Mangel kommt ebenfalls vor. Dabei besteht ein Defekt im α-Tocopherol-Transportprotein. Ein Vitamin-E-Mangel verursacht eine axonale Degeneration der großen myelinisierten Axone und führt zu
Symptomen in der posterioren Wirbelsäule sowie im Kleinhirn. Eine
periphere Neuropathie wird anfangs durch eine Areflexie charakterisiert, die sich weiterentwickelt in einen ataktischen Gang, sowie durch
96e
ein vermindertes Vibrations- und Lageempfinden. Ophthalmoplegie,
Myopathie der Skelettmuskulatur und Retinopathia pigmentosa können ebenfalls durch einen Vitamin-E-Mangel verursacht sein. Bei Vitamin-E- und Selenmangel besteht eine erhöhte Mutationsrate von Viren und somit verstärkte Virulenz. Die Labordiagnose des Vitamin-EMangels richtet sich am niedrigen Blutspiegel von α-Tocopherol aus
(< 5 μg/ml oder < 0,8 mg α-Tocopherol pro Gramm Gesamtlipide).
Biochemische Untersuchungen zur Versorgung mit Vitamin E in
der Bundesrepublik geben keine Hinweise für das Vorliegen von Mangelzuständen, obwohl nach den Daten der Nationalen Verzehrsstudie II (2008) knapp die Hälfte aller Männer und Frauen die empfohlene Zufuhr der DACH-Referenzwerte nicht erreicht (Quelle: http://
www.bfr.bund.de).
BEHANDLUNG: VITAMIN-E-MANGEL
Ein symptomatischer Vitamin-E-Mangel sollte mit 800–1200 mg/d
α-Tocopherol behandelt werden. Patienten mit Abetalipoproteinämie können sogar einen Bedarf von 5000–7000 mg/d aufweisen.
Kinder mit symptomatischem Vitamin-E-Mangel sollten oral mit
400 mg/d in wässriger Suspension behandelt werden. Alternativ
können 2 mg/kg/d intramuskulär verabreicht werden. Vitamin E in
hohen Dosierungen kann vor einer oxidativ verursachten retrolentalen Fibroplasie und bronchopulmonalen Dysplasien sowie vor
schweren intraventrikulären Blutungen bei Frühgeburten schützen.
Vitamin E soll die sexuelle Leistung steigern, zur Behandlung einer
Claudicatio intermittens dienen sowie den Alterungsprozess verlangsamen, aber Beweise für diese Eigenschaften stehen aus. In
Kombination mit anderen Antioxidanzien kann Vitamin E einer
Makuladegeneration vorbeugen. Hohe Vitamin-E-Dosen (60–
800 mg/d) zeigten in kontrollierten Studien eine Verbesserung von
Immunparametern sowie ein vermindertes Auftreten von Erkältungskrankheiten bei Pflegeheimbewohnern, aber eine präventive
Wirksamkeit bei kardiovaskulären Erkrankungen oder Krebs hat
sich in Interventionsstudien nicht nachweisen lassen. Dagegen zeigte sich bei Dosen von mehr als 400 mg/d sogar eine erhöhte Sterblichkeit.
Toxizität
Alle Formen von Vitamin E werden resorbiert und können zur Toxizität beitragen. Allerdings scheint das Risiko für eine Toxizität bei
normaler Leberfunktion gering zu sein. Hohe Dosen von Vitamin E
(> 800 mg/d) können die Plättchenaggregation reduzieren und mit
dem Vitamin-K-Metabolismus interferieren. Sie sind deshalb bei Patienten, die Cumarine und Thrombozytenaggregationshemmer (wie
Aspirin und Clopidogrel) einnehmen, kontraindiziert. Über Übelkeit,
Flatulenz und Durchfall wurde bei Dosierungen von mehr als 1 g/d
berichtet.
& VITAMIN K
Es gibt zwei natürliche Formen des Vitamins K: Vitamin K I, auch als
Phyllochinon bezeichnet, das aus pflanzlichen und tierischen Quellen
stammt, sowie Vitamin K II oder Menachinon, das von der Darmflora
synthetisiert wird und sich in hepatischem Gewebe findet. Phyllochinon kann in einigen Organen in Menachinon umgewandelt werden.
Vitamin K ist für die posttranslationale Carboxylierung der Glutaminsäure notwendig, die wiederum die Kalziumbindung an γ-carboxylierte Proteine ermöglicht, wie bei Prothrombin (Faktor II), den
Faktoren VII, IX und X, Protein C, Protein S und Knochenproteinen
(Osteocalcin) sowie Proteinen der glatten Muskulatur von Gefäßen
(z. B. Matrix-gla-Proteine). Die Bedeutung von Vitamin K für die
Knochenmineralisation ist allerdings nicht bekannt. Cumarine hemmen die gamma-Carboxylierung, indem sie die Umwandlung von Vitamin K in seine aktive Hydrochinonform behindern.
Vorkommen in der Nahrung
Vitamin K kommt im grünen Blattgemüse vor, wie Grünkohl und
Spinat, aber auch in Margarine und Leber finden sich beträchtliche
Mengen. Vitamin K kommt in pflanzlichen Ölen vor, besonders
reichlich in Oliven-, Raps- und Sojaöl. Bei Amerikanern liegt die
durchschnittliche Aufnahme schätzungsweise bei 100 μg/d.
96e-9
Teil 6
Ernährung
Mangel
Die Symptome eines Vitamin-K-Mangels äußern sich primär in Hämorrhagien. Neugeborene sind besonders empfindlich wegen niedrigerer Fettdepots, niedrigem Vitamin-K-Gehalt der Muttermilch,
Sterilität des kindlichen Darmtrakts, Leberunreife und verminderten
Plazentatransports. Sowohl intrakraniale als auch gastrointestinale
und Hautblutungen können bei Säuglingen mit Vitamin-K-Mangel
1–7 Tage nach Geburt auftreten. Daher wird Vitamin K den Neugeborenen derzeit (0,5–1 mg i.m.) prophylaktisch nach der Geburt
gegeben. In Deutschland erhalten Neugeborene eine Vitamin-K-Prophylaxe mit 2 mg oral zur U1 direkt nach der Geburt, zur U2 am 3.–
10. Lebenstag und zur U3 in der 4.–6. Lebenswoche.
Ein Vitamin-K-Mangel wird bei Erwachsenen mit chronischer
Dünndarmerkrankung (z. B. Zöliakie, Crohn-Krankheit), bei Obstruktionen des Gallentraktes oder nach Dünndarm-Resektion gesehen. Breitspektrumantibiotika können durch eine Reduktion von
Darmbakterien, die Menachinon synthetisieren, sowie durch eine
Hemmung des Vitamin-K-Metabolismus einen Vitamin-K-Mangel
auslösen. Unter Cumarintherapie kann das Antiadiposum Orlistat gegen Fettleibigkeit durch eine Vitamin-K-Malresorption zu INR-Veränderungen führen. Die Diagnose eines Vitamin-K-Defizits wird normalerweise aufgrund einer erhöhten Prothrombinzeit oder erniedrigter Gerinnungsfaktoren gestellt. Vitamin K kann auch direkt durch
HPLC bestimmt werden. Die Behandlung eines Vitamin-K-Mangels
erfolgt durch eine parenterale Gabe von 10 mg. Bei Patienten mit
chronischer Malabsorption können oral 1–2 mg/d gegeben werden
oder parenteral 1–2 mg/Woche. Patienten mit Lebererkrankung können eine verzögerte Prothrombinzeit entweder infolge der Zerstörung
von Leberzellen oder eines Vitamin-K-Mangels aufweisen. Wenn eine
verzögerte Prothrombinzeit nicht auf eine Vitamin-K-Therapie anspricht, kann darauf geschlossen werden, dass sie nicht durch einen
Vitamin-K-Mangel ausgelöst wurde.
Toxizität
Eine Toxizität durch mit der Nahrung aufgenommene Phyllochinone
und Menachinone wurde bislang nicht beschrieben. Hohe Dosen von
Vitamin K können die Wirkung von oralen Antikoagulanzien beeinträchtigen. Bei der parenteralen Gabe von Vitamin K wurden schwere
anaphylaktische Reaktionen beschrieben.
MINERALSTOFFE
Siehe auch Tab. 96e-2.
& KALZIUM
Siehe Kapitel 423.
& ZINK
Zink ist ein integraler Bestandteil von vielen Metalloenzymen im Körper. Es ist an der Synthese und der Stabilisierung von Proteinen, DNS
und RNS beteiligt und spielt eine strukturelle Rolle in Ribosomen
und Membranen. Zink ist notwendig für die Bindung von Steroidhormonrezeptoren und einigen anderen Transkriptionsfaktoren an die
DNS. Es ist absolut notwendig für eine normale Spermatogenese, das
fötale Wachstum und die embryonale Entwicklung.
Resorption
Die Zinkresorption aus der Nahrung wird von Phytaten, Ballaststoffen, Oxalaten, Eisen und Kupfer sowie von bestimmten Medikamenten wie Penicillamin, Natriumvalproat und Ethambutol gehemmt. Fleisch, Meeresfrüchte, Nüsse und Hülsenfrüchte sind gute
Quellen von bioverfügbarem Zink, während Zink aus Getreide für die
Resorption nur in geringerem Maße verfügbar ist.
Mangel
Ein leichter Zinkmangel ist bei vielen Krankheiten beschrieben, darunter Diabetes mellitus, AIDS, Zirrhose, Alkoholismus, entzündliche Darmerkrankung, Malabsorptionssyndrom und Sichelzellanämie. Unter diesen Krankheiten kann ein leichter chronischer Zinkmangel das Wachstum von Kindern beeinträchtigen, die Geschmacksempfindung vermindern (Hypogeusie) und die
Immunabwehr beeinträchtigen. Schwerwiegender chronischer Zinkmangel ist als eine Ursache von Hypogonadismus und Zwergwuchs in
einigen Ländern des Nahen Ostens beschrieben worden. Bei diesen
96e-10
Kindern ist hypopigmentiertes Haar ein weiterer Teil des Syndroms.
Die Acrodermatitis enteropathica ist eine durch Abnormitäten in der
Zinkabsorption charakterisierte, seltene autosomal rezessive Störung.
Klinische Manifestationen sind Durchfall, Alopezie, Muskelmakulierung, Depression, Reizbarkeit und ein Ausschlag, der Gliedmaßen,
Gesicht und das Perineum betrifft. Der Ausschlag wird als blasenförmig und pustulär verkrustet mit Schuppenbildung und Erythem charakterisiert. Gelegentlich haben Patienten mit einer Wilson-Krankheit
einen Zinkmangel infolge einer Penicillamintherapie entwickelt
(Kap. 429).
Zinkmangel tritt in Entwicklungsländern häufig auf und ist meist
mit anderen Mikronährstoffmängeln vergesellschaftet (z. B. Eisen).
Zink (20 mg/d) kann als effektive Begleittherapie bei Durchfall und
Pneumonien von Kindern im Alter über 6 Monaten eingesetzt werden.
Die Diagnose eines Zinkmangels wird normalerweise anhand eines
Serumzinkwertes von unter 12 μmol/l (< 70 μg/dl) getroffen. Schwangerschaft und Kontrazeptiva können eine leichte Absenkung der
Zinkwerte verursachen, und eine Hypalbuminämie jeglicher Ursache
kann zu einer Hypozinkämie führen. In akuten Stresssituationen
kann Zink aus dem Serum in das Gewebe umverteilt werden. Zinkmangel kann mit 2 × 60 mg/d elementarem Zink oral (bezogen auf
die aufzunehmende Menge des Elements) behandelt werden. Von
Zinkgluconat-Tabletten (13 mg Zink alle 2 h während des Wachseins)
wurde – allerdings mit widersprüchlichen Ergebnissen – berichtet,
dass sie die Dauer und die Symptome einer gewöhnlichen Erkältung
beim Erwachsenen mindern.
Toxizität
Eine akute Zinktoxizität nach oraler Aufnahme verursacht Übelkeit,
Erbrechen und Fieber. Aufsteigender zinkhaltiger Dampf beim
Schweißen kann ebenfalls toxisch sein und Fieber, respiratorische Insuffizienz, übermäßigen Speichelfluss, Schweißausbrüche und Kopfschmerz verursachen. Chronisch hohe Dosen von Zink können das
Immunsystem negativ beeinflussen und eine hypochrome Anämie
auslösen als Folge eines Kupfermangels. Intranasale Zinkpräparate
sollten nicht gegeben werden, da sie zu irreversiblen Schäden der Nasenschleimhaut und Anosmie führen können.
& KUPFER
Kupfer ist ein integraler Bestandteil zahlreicher Enzymsysteme, darunter Aminooxidasen, Ferrooxidasen (Coeruloplasmin), Cytochromc-Oxidase, Superoxiddismutase und Dopaminhydroxylase. Kupfer ist
ebenfalls ein Bestandteil des Ferroproteins, eines Transportproteins,
welches am basolateralen Transport des Eisens während der Resorption durch den Enterozyten beteiligt ist. Als solches spielt Kupfer eine
Rolle im Eisenstoffwechsel, in der Melaninsynthese, in der Energiebereitstellung, in der Neurotransmittersynthese und bei der Funktion
des Zentralnervensystems sowie der Synthese und dem Cross-linking
von Elastin und Kollagen sowie beim Abfangen von Superoxidradikalen. Nahrungsquellen des Kupfers sind Meeresfrüchte, Leber, Nüsse,
Hülsenfrüchte, Kleie und Organfleisch.
Mangel
Ein ernährungsbedingter Kupfermangel ist relativ selten, beobachtet
wurde er allerdings bei Frühgeborenen, die mit Milchnahrungen gefüttert wurden, und bei Säuglingen mit Malabsorption (Tab. 96e-2).
Eine Kupfermangelanämie (die refraktär gegenüber der therapeutischen Gabe von Eisen ist) wurde bei Patienten mit malabsorptiven
Krankheiten und bei nephrotischem Syndrom gesehen. Auch kann sie
auftreten bei Patienten mit Wilson-Krankheit, die dauerhaft oral mit
hohen Zinkdosen behandelt wurden, was die Kupferabsorption behindert. Menkes Kraushaarsyndrom ist eine X-chromosomal vererbte
Störung des Kupfermetabolismus, die mit geistiger Retardierung, Hypocuprämie und einer verminderten Zirkulation von Coeruloplasmin
einhergeht (Kap. 427). Die Krankheit wird durch Mutationen im am
Kupfertransport beteiligten ATP7A-Gen verursacht. Kinder mit dieser
Krankheit versterben oft an einem dissezierenden Aneurysma oder
einem Herzriss im Alter bis zu 5 Jahren. Die Acoeruloplasminämie ist
eine seltene autosomal rezessiv vererbte Erkrankung, die durch eine
Eisenüberladung des Gewebes, mentalen Verfall, mikrozytäre Anämie
und niedrige Serumspiegel für Eisen und Kupfer charakterisiert wird.
Die Diagnose eines Kupfermangels wird normalerweise anhand erniedrigter Serumwerte von Kupfer (< 65 μg/dl) und Coeruloplasmin
Vitamine und Spurenelemente – Mangel und Überschuss
96e
TABELLE 96e-2 Mangel und Toxizität von Mineralstoffen
Element
Mangel
Toxizität
Tolerierbare Obergrenze der Aufnahme mit der Nahrung
Bor
Keine biologische Funktion bekannt
Entwicklungsstörungen, Sterilität des Mannes, Hodenatrophie 20 mg/d (extrapoliert aus Tierversuchen)
Kalzium
Reduzierte Knochenmasse, Osteoporose
Niereninsuffizienz (Milch-Alkali-Syndrom), Nierensteine, herabgesetzte Eisenresorption, Thiaziddiuretika
Kupfer
Anämie, Wachstumsverzögerung, gestörte Keratini- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Leberinsuffizienz, Tremor,
sierung und Pigmentierung der Haare, Hypothermie, geistiger Abbau, hämolytische Anämie, Nierenfunktionsstödegenerative Veränderungen im Elastin der Aorta,
rungen
Osteopenie, geistiger Abbau
Chrom
Verminderte Glukosetoleranz
Berufliche Exposition: Niereninsuffizienz, Dermatitis, Lungen- Nicht bekannt
krebs
Fluorid
Erhöhtes Kariesrisiko
Fluorose der Zähne und Knochen, Osteosklerose
10 mg/d (Fluorose)
Iod
Vergrößerte Schilddrüse, herabgesetzter T4-Spiegel
Schilddrüsenfunktionsstörung, Akne-ähnlicher Ausschlag
1100 µg/d (Schilddrüsenfunktionsstörung)
Eisen
Abnormalitäten im Muskel, Koilonychie, Pica, Anämie,
verminderte Leistungsfähigkeit, verminderte geistige
Entwicklung, vorzeitige Wehen, erhöhte perinatale
mütterliche Mortalität
Gastrointestinale Störungen (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö,
Verstopfung), Eisenüberladung mit Organschäden, akute
systemische Toxizität, erhöhte Suszeptibilität für Malaria,
erhöhtes Risiko bei bestimmten chronischen Krankheiten
(z. B. Diabetes)
45 mg/d elementaren Eisens
(gastrointestinale Störungen)
Mangan
Störung von Wachstum, Skelettentwicklung, Reproduktion, Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel; Ausschlag am Oberkörper
Generalisiert: Neurotoxizität, Parkinson-ähnliche Symptome
11 mg/d (Neurotoxizität)
Molybdän
Schwere neurologische Störungen
Störung der Reproduktion und der fötalen Entwicklung
2 mg/d (extrapoliert aus Tierversuchen)
Selen
Kardiomyopathie, dekompensierte Herzinsuffizienz,
Degeneration der quer gestreiften Muskulatur
Generalisiert: Alopezie, Übelkeit, Erbrechen, anomale Nägel,
emotionale Labilität, periphere Neuropathie, Mattigkeit,
Knoblauchgeruch im Atem, Dermatitis
400 μg/d (Veränderungen an Haar
und Nägeln)
2500 mg/d (Milch-Alkali-Syndrom)
10 mg/d (Lebertoxizität)
Berufliche Exposition: Enzephalitis-ähnliches Syndrom, Parkinson-ähnliches Syndrom, Psychose, Pneumokoniose
Berufliche Exposition: Karzinome in Lunge und Nase,
Lebernekrosen, Lungenentzündung
Phosphor
Rachitis (Osteomalazie), proximale Muskelschwäche, Hyperphosphatämie
Rhabdomyolyse, Parästhesie, Ataxie, Anfälle, Verwirrtheit, Herzinsuffizienz, Hämolyse, Azidose
4000 mg/d Phosphat
Zink
Wachstumsverzögerung, verminderter Geschmack
und Geruch, Alopezie, Dermatitis, Diarrhö, immunologische Funktionsstörung, Gedeihstörungen, Gonadenatrophie, angeborene Fehlbildungen
40 mg/d (gestörter Kupfermetabolismus)
Generalisiert: verminderte Kupferresorption, Gastritis,
Schweißausbruch, Fieber, Übelkeit, Erbrechen
Berufliche Exposition: Atemstörungen, Lungenfibrose
(< 20 mg/dl) erhoben. Der Kupferserumwert kann sich in der
Schwangerschaft oder während einer Stresssituation erhöhen, da Coeruloplasmin zu den Akutphaseproteinen gehört und 90 % des zirkulierenden Kupfers an Coeruloplasmin gebunden sind.
Toxizität
Zu einer Kupfervergiftung kommt es normalerweise nur versehentlich
(Tab. 96e-2). In schweren Fällen kann Nierenversagen, Leberausfall
und Koma auftreten. Bei der Wilson-Krankheit führen Mutationen im
kupfertransportierenden Gen ATP7B zu einer Kupferanhäufung in
Leber und Gehirn, die aufgrund eines verminderten Coeruloplasminspiegels mit niedrigen oder niedrig normalen Blutwerten einhergeht
(Kap. 429).
& SELEN
Selen, in der Form von Selenocystein, ist ein Bestandteil des
Enzyms Glutathionperoxidase, das dazu dient, Protein, Zellmembranen, Lipide und Nukleinsäuren vor oxidativen Molekülen zu schützen. In diesem Zusammenhang wird Selen derzeit intensiv als chemopräventives Agens gegen bestimmte Krebserkrankungen wie das Prostatakarzinom untersucht. Selenocystein kommt auch
in Deiodinaseenzymen vor, die die Deiodierung von Thyroxin zu Triiodthyronin vermitteln (Kap. 405). Nahrungsselen findet sich reichlich in Meeresfrüchten, Muskelfleisch und Getreide, obwohl der Selengehalt des Getreides von der Bodenkonzentration bestimmt wird.
Länder mit niedrigen Selen-Bodenkonzentrationen sind Teile von
Skandinavien, China und Neuseeland. Die Keshan-Krankheit ist eine
endemische Kardiomyopathie, die bei Kindern und jungen Frauen in
Regionen von China beobachtet wurde, wo die Selenaufnahme über
die Nahrung sehr niedrig ist (< 20 µg/d). Das gemeinsame Vorkommen eines Iod- und Selenmangels kann die klinischen Manifestationen des Kretinismus verstärken. Eine anhaltende Zufuhr von hohen
Dosen Selens führt zur so genannten Selenose, die durch brüchige
und ausfallende Haare und Nägel charakterisiert wird sowie durch
knoblauchartigen Mundgeruch, Hautausschlag, Myopathie, Reizbarkeit und andere Veränderungen des Nervensystems.
& CHROM
Chrom potenziert die Wirkung von Insulin bei Patienten mit beeinträchtigter Glukosetoleranz, vermutlich durch eine Steigerung von insulinrezeptorvermittelten Signalen, wenngleich sein Nutzen bei der
Behandlung des Typ-2-Diabetes noch unsicher ist. Außerdem wurde
bei einigen Patienten über eine Verbesserung der Blutfettprofile berichtet. Der Nutzen von Chrom-Supplementen für die Muskelbildung
ist nicht belegt. Reiche Nahrungsquellen für Chrom sind Hefe, Fleisch
und Getreideprodukte. Chrom im dreiwertigen Zustand findet sich in
Nahrungsergänzungsmitteln und ist im Wesentlichen nicht toxisch.
Sechswertiges Chrom, ein beim Schweißen von Edelstahl anfallendes
Produkt, gilt allerdings als ein bekanntes Lungenkarzinogen, das auch
Leber, Niere und das Zentralenervensystem schädigen kann.
& MAGNESIUM
Siehe Kapitel 423.
& FLUORID, MANGAN UND ULTRA-SPURENELEMENTE
Eine essenzielle Funktion von Fluor wurde für den Menschen bislang
nicht beschrieben, obwohl es der Strukturerhaltung von Zähnen und
Knochen dient. Eine Fluorose beim Erwachsenen äußert sich in fle-
96e-11
Teil 6
Ernährung
ckigen und enthärteten Defekten in Zahnschmelz und in spröden
Knochen (Skelettfluorose).
Auch ein Mangan- und Molybdänmangel wurden bei Patienten mit
seltenen genetischen Abnormitäten sowie bei einigen Patienten, die
über einen längeren Zeitraum parenteral ernährt wurden, beschrieben.
Mehrere manganspezifische Enzyme ließen sich identifizieren (z. B.
Mangansuperoxiddismutase). Manganmangel kann den Knochen demineralisieren, das Wachstum verlangsamen und zu Ataxie, zu Störungen im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel und Krämpfen führen.
Als Ultra-Spurenelemente werden die Elemente bezeichnet, deren
täglicher Bedarf unterhalb von 1 mg liegt. Die für Deutschland verbindlichen DACH-Empfehlungen nehmen eine andere Einteilung vor.
Hiernach sind Spurenelemente solche, deren Gehalt im Gewebe unter
50 ppm (also unter 50 μg/g Feuchtgewicht) liegt und deren Bedarf
beim Menschen die Menge von 50 mg am Tag unterschreitet. Als Ultra-Spurenelemente werden alle anderen Elemente bezeichnet, deren
Essenzialität tierexperimentell geprüft wurde, ohne dass allerdings ihre Funktionen im Körper bekannt sind. Zu den Ultra-Spurenelementen rechnet man Aluminium, Antimon, Arsen, Barium, Blei, Bor,
Brom, Cadmium, Caesium, Germanium, Lithium, Quecksilber, Rubidium, Samarium, Silizium, Strontium, Thallium, Titan, Vanadium,
Wismut und Wolfram. Dass sie essenziell sein könnten, ist für die
96e-12
meisten dieser Elemente nicht belegt, obwohl Selen, Chrom und Iod
zum Beispiel eindeutig lebensnotwendig sind (Kap. 405). Molybdän
ist für die Aktivität der Sulfit- und Xanthinoxidase erforderlich, und
ein Molybdänmangel kann zu Skelett- und Hirndefekten führen.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR
BIESALSKI HK et al: Water, electrolytes, vitamins and trace elements –
Guidelines on Parenteral Nutrition, Chapter 7. GMS German Medical Science 7:Doc 21, 2009
DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG, ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT
FÜR ERNÄHRUNG, SCHWEIZERISCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNGSFORSCHUNG, SCHWEIZERISCHE VEREINIGUNG FÜR ERNÄHRUNG (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Aufl., 1. Ausgabe. UmschauVerlag, Frankfurt a. M., 2015
HESEKER H et al: Vitaminversorgung Erwachsener in der Bundesrepublik Deutschland. In: Kübler W et al (Hrsg.): Vera Schriftenreihe,
Bd. IV, Wissenschaftlicher Fachverlag Dr. Fleck, Niederkleen, 1992
MAX RUBNER-INSTITUT (MRI): Nationale Verzehrsstudie II, Ergebnisbericht, Teil 2. 2008
MENSINK G et al: Was essen wir heute? Ernährungsverhalten in
Deutschland. Robert Koch-Institut Berlin, 2002
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