UNTERWEGS Poecilia mexicana Wenn das Licht ausgeht: Mollys in Extremhabitaten Licht ist einer der wichtigsten Taktgeber der Natur und ermöglicht überhaupt erst das Leben – als Energiegrundlage für die Photosynthese der Pflanzen. Im Tagesverlauf beeinflusst es die Aktivitätsmuster der Tiere. Für den Menschen als tagaktives Von Michi Tobler und Martin Plath Säugetier ist ein Leben in dauerhafter Dunkelheit kaum auszumalen. T atsächlich finden sich aber im Grundwasser und in Höhlen an vielen Orten auf der Erde Lebensräume, in die nie auch nur ein Quäntchen Licht gelangt. Teilweise findet man darin sogar komplexe Lebensgemeinschaften. Im Vergleich zu oberirdischen Habitaten zeichnen sich Höhlenhabitate dadurch aus, dass die Biomasse viel geringer ist. Selbstredend findet man in den dunklen Lebensräumen keine Pflanzen, und folglich fehlt auch die Primärproduktion, so dass Höhlen meist sehr nährstoffarm sind und auf den Eintrag von Nährstoffen aus Oberflächenhabitaten angewiesen sind. Durch den Mangel an Nahrung sind gerade größere Lebewesen wie Fische oder Salamander in Höhlen nur in geringen Stückzahlen vorhanden. Die Cueva del Azufre Eine interessante Ausnahme ist eine Kalksandsteinhöhle in Südmexiko (Tabasco): die Cueva del Azufre (oder Cueva de la Sardina). Die Höhle wurde bereits in den 1960er Jahren durch Gordon & Rosen beschrieben und ist nur etwa 500 Meter lang. Auf der gesamten Länge ist die Höhle von einem kleinen Bach durchflossen, der zehn Zentimeter bis zwei Meter tief und ein bis acht Meter breit ist. Gespeist wird er von mehreren Quellen. Einige der Quellen geben Wasser ab, das eine hohe Konzentration von Schwefelwasserstoff aufweist. Einerseits handelt es sich dabei um eine für Tiere akut toxische Substanz (chronisch toxisch in geringeren Konzentrationen), andererseits ist der Schwefel aber Grundlage des üppigen Höhlenlebens. Schwefelbakterien, die den Schwefelwasserstoff oxidieren und daraus Energie gewinnen können, übernehmen die Rolle der Pflanzen und bilden die Nahrungsgrundlage der anderen Höhlenbewohner. In der Höhle sind daher 76 Oktober 2007 · DATZ alle Steine mit einer schleimigen Bakterienschicht überzogen. Der Schwefelbach verlässt schließlich die Höhle (von da an heißt er El Azufre) und mündet nach etwa eineinhalb Kilometern über einen Wasserfall in den Río Oxolotán, der zum Río-Grijalva-Flusssystem gehört. Um zur Höhle zu gelangen, ist zunächst eine kurze Bootsfahrt auf dem Río Oxolotán nötig. Nach einem kleinen Fußmarsch erreicht man den milchig weißen, teilweise sogar hellblau erscheinenden El Azufre und schließlich den Höhleneingang. Schon in einiger Distanz kann man die Schwefelverbindungen riechen – ein penetranter Geruch von faulen Eiern liegt in der Luft. Die Höhlenbewohner Wie bereits erwähnt, findet sich in der Höhle eine Lebensgemeinschaft, die für einen solchen Lebensraum zwar eine relativ hohe Biomasse aufweist, aber dennoch aus nur wenigen Arten besteht. Über dem Wasser wird man von großen Mückenschwärmen belästigt. Zudem findet man Vogel- und Geißelspinnen sowie Fledermäuse, die die Höhle als Tagesquartier nutzen. Im Wasser fanden wir die Larven einer Mücke (Tendipes fulvipilus, Chironomidae), eine Raubwanze (Belostoma sp.) und eine Krabbe (Hyphoboluocera sp.). Die dominierende Tierart ist eine Höhlenform des in Mexiko weit verbreiteten Atlantikkärpflings (Poecilia mexicana): der Höhlenmolly. Im Licht,… Poecilia mexicana ist auf der atlantischen Seite Mittelamerikas weit verbreitet. Auch in den Oberflächenhabitaten rund um die Cueva del Azufre ist die Art in kleinen Bächen und im großen Río Oxolotán präsent. Es handelt sich um einen Lebendgebärenden Zahnkarpfen mit einer grauen, je nach Lichteinfall bläulich schimmernden Grundfärbung. In der Regel sind drei bis fünf Reihen von dunklen Punkten entlang den Flanken zu sehen, und die Afterflosse ist bei Weibchen oft orange gefärbt. Der Arroyo Cristal ist ein schwefelloser Zufluss des Río Oxolotan. In den Abschnitten mit geringer Strömung kann man Poecilia mexicana gut beobachten. ’Cichlasoma’ salvini war neben P. mexicana die einzige Fischart, die wir im Schwefelwasser von El Azufre fanden. Steckbrief Atlantikkärpfling Atlantik Name: Poecilia mexicana SteindachNa me: ner, 1863; poikilia (gr.) = „Buntheit, Mannigfaltigkeit“; Mannig alt eit mexicana (lat.) ig = “; k nach der Herk Herkunft. u Vorkommen: Atlantische Vor k Seite Mittelommen amerikas am as von Nordm Nordmexiko o bis erik in den Männchen von P. mexicana aus Oberflächengewässern ohne Schwefel sind oft prächtig gefärbt. exik Norden Costa Ricas. Die Art bewohnt von Bergbächen bis zu Küstenflüssen ein weites Spektrum an Habitaten, scheint aber flache Zonen mit schwacher Strömung zu bevorzugen. Größe und Geschlechtsunterschiede: Männchen bis sieben, Die Männchen sind durch die umgewandelte Afterflosse (Gonopodium) leicht von den Weibchen zu unterscheiden. Große, territoriale Männchen weisen zudem eine ausgeprägte Orangefärbung der Rückenund Schwanzflosse auf, die mit schwarzen Pigmenten durchsetzt ist. Bei territorialen Männchen im natürlichen Habitat kann die Körpergrundfärbung viel dunkler sein, so dass sie fast schwarz erscheinen. Poecilia mexicana scheint sich vor allem in Bereichen geringerer Strömung aufzuhalten. In Gruppen schwimmen die Tiere meist dicht über dem Grund und picken unablässig in den Algenpolstern. In den Habitaten um die Cueva del Azufre fanden wir viele Tiere, die an der Schwarzfleckenkrankheit litten. Sie wird durch parasitische Würmer ausgelöst, die sich in der Schwefel- und Sulfatverbindungen verleihen El Azufre eine bläuliche Färbung. Haut der Fische einnisten und die Produktion einer schwarz gefärbten Cyste anregen. In den schwefelfreien Oberflächenhabitaten ist neben P. mexicana eine ganze Reihe von Fischarten zu finden. Besonders häufig waren die Lebendgebärenden Zahnkarpfen Heterandria bimaculata, Priapella cf. compressa und Gambusia vittata, die Cichliden Thorichthys helleri und Vieja bimaculata sowie der Salmler Astyanax cf. fasciatus und Ährenfische der Gattung Atherinella. Weibchen bis neun Zentimeter Stan- … im Dunkeln… Pflanzenkost! Weibchen werfen mehr- Bisher ist die Cueva del Azufre die einzige Höhle, in der die Höhlenform von P. mexicana nachgewiesen wurde. Wie viele andere Höhlenfische bewohnt auch der Höhlenmolly ein kleines Verbreitungsgebiet. Der Höhlenmolly unterscheidet sich von den Oberflächentieren in verschiedenen Merkmalen. Höhlentiere weisen reduzierte, aber noch sichtbare und funktionelle Augen mals jährlich 15 bis 60 Junge; Aufzucht dardlänge; Männchen mit Gonopodium und gelben und schwarzen Farbelementen in den unpaarigen Flossen und auf dem Körper. Pflege: Aquarien ab 80 Zentimeter Länge mit Steinen, Wurzeln und Pflanzen (> 4 °dGH; pH > 7; 20 bis 30 °C); pro Männchen mehrere Weibchen. Frisst alle üblichen Futtersorten, auch in versteckreicher Umgebung einfach. Besonderes: Es gibt einige nah verwandte Arten, die sich im Aquarium kreuzen („Black Mollys“ sind meist Hybriden aus Poecilia sphenops und Poecilia velifera). Schwefelhabitate •Neben Poecilia mexicana und ’Cichlasoma’ salvini aus der Cueva del Azufre und dem El Azufre in Tabasco sind bis heute nur wenige Fischarten bekannt, die die toxischen Auswirkungen von Schwefelwasserstoff tolerieren und dauerhaft in Schwefelhabitaten leben. Poecilia sulphuraria (Poeciliidae) und Gambusia eurystoma (Poeciliidae) sind von den Baños del Azufre in Südmexiko (Tabasco) bekannt (Alvarez 1948; Miller 1975). Limia sulphurophilia (Poeciliidae) wurde aus einer Schwefelquelle in der Dominikanischen Republik beschrieben (Rivas 1980). Zudem beschrieb Werner (1929) Aphanius ginaonis (Cyprinodontidae) aus heißen Quellen im Iran; zumindest einige dieser Quellen scheinen Schwefelverbindungen zu enthalten (Schulz 2004). • • • DATZ · Oktober 2007 77 UNTERWEGS Bei einigen Höhlentieren sind die Augen stark reduziert und sogar von einer feinen Haut überwachsen. Der Sexualdimorphismus ist bei Höhlentieren sehr schwach ausgeprägt – auffällige Farbornamente fehlen; im Bild ein Männchen der goldenen Morphe. Auch Weibchen der goldenen Morphe kommen in der Höhle vor. Manche von ihnen zeigen eine kissenartige Wucherung um die Gonopore herum, das sogenannte Genitalkissen. Die Mollys aus dem El Azufre gleichen auf den ersten Blick den Tieren aus anderen Oberflächenhabitaten. Sie teilen aber auch Merkmale mit den Höhlentieren. auf. Die Reduktion ist nicht bei allen Tieren gleich fortgeschritten, so dass man Individuen mit relativ großen Augen findet, gleichermaßen aber auch solche mit sehr kleinen Augen, die teilweise sogar von einer feinen Haut überwachsen sind. Weibchen zeigen zudem oftmals kissenartige Wucherungen um die Geschlechtsöffnung herum. Auch die Pigmentierung ist bei den Höhlentieren weitgehend reduziert. Die meisten Individuen weisen eine blasse Rosafärbung auf, und die Flossen sind farblos. Einige Literatur • Alvarez, J. (1948): Descripción de una nueva especie de Mollienisia capturada en Baños del Azufre, Tabasco (Pisces, Poeciliidae). Anales de la Escuela Nacional de Ciencias Biológicas 5 (1/2): 275–281. • Gordon, M. S., & D. E. Rosen (1962): A caverniculous form of the poeciliid fish Poecilia sphenops from Tabasco, México. Copeia: 360–368. • Miller, R. R. (1975): Five new species of Mexican poeciliid fishes of the genera Poecilia, Gambusia and Poeciliopsis. Occ. Pap. Mus. Zool., University of Michigan 672: 1–44. • Plath, M., J. Parzefall & I. Schlupp (2003): The role of sexual harassment in cave and surface dwelling populations of the Atlantic molly, Poecilia mexicana (Poeciliidae, Teleostei). Behav. Ecol. Sociobiol. 54: 303–309. • –, –, K. E. Körner & I. Schlupp (2004): Sexual selection in darkness? Female mating preferences in surface and cave dwelling Atlantic mollies, Poecilia mexicana (Poeciliidae, Teleostei). Behav. Ecol. Sociobiol. 55: 596–601. • Rivas, L. R. (1980): Eight new species of poeciliid fishes of the genus Limia from Hispaniola. Northeast Gulf Sci. 2 (2): 98–112. • Schulz, T. (2004): Iran – der dritte Versuch. D. Aqu. u. Terr. Z. (DATZ) 57 (9): 24–27. • Tobler, M., I. Schlupp, F. J. Garcia de Leon & M. Plath (eingereicht): Toxic sulfur, darkness and the fish communities of a Mexican cave (Cueva del Azufre) and surrounding waters. Ecology of Freshwater Fish. • Werner, F. (1929): Drei neue Fischformen aus Persien. Anzeiger 66: 62–64. 78 Oktober 2007 · DATZ Tiere in der Höhlenpopulation – Weibchen wie Männchen – haben jedoch eine goldene Körpergrundfärbung, die an Kopf und Flossenansätzen besonders ausgeprägt ist. Auffallend ist, dass die meisten Tiere extrem dünn sind. Betrachtet man sie von oben, ist ihre breiteste Stelle zumeist der Kopf. Bei gesunden Oberflächentieren ist es hingegen die Bauchregion – ein Indiz dafür, dass die Nahrung in der Höhle knapp ist. Die Dichte der Höhlenmollys variiert selbst über kurze Distanzen stark. In einigen Zonen nahe dem Höhleneingang findet man oft mehrere Dutzend Tiere pro Quadratmeter, während man um die Schwefelquellen herum nur einzelne Individuen sieht. Möglicherweise meiden die Tiere aktiv Bereiche mit hohen Konzentrationen von toxischem Schwefelwasserstoff und sammeln sich in Habitaten mit besseren Bedingungen. Die hinterste, durch einen kleinen Wasserfall isolierte Kammer der Höhle ist interessanterweise die einzige Stelle, an der es keine messbaren Schwefelwasserstoffkonzentrationen gibt. Obwohl die Wasserbedingungen hier wahrscheinlich innerhalb der Höhle am besten sind, ist die Population nur klein, was möglicherweise mit extremer Futterknappheit zusammenhängt; Schwefelwasserstoff ist schließlich die Grundlage der Primärproduktion in der Höhle! Die Höhlenmollys unterscheiden sich auch in verschiedenen Verhaltensweisen UNTERWEGS Die Autoren In der Höhle fließt der schwefelhaltige Bach durch zerklüftete Gesteinsformationen. Fotos: M. Tobler An manchen Stellen der Höhle kommt der Höhlenmolly in hohen Populationsdichten vor. Betrachtet man die Tiere von oben, sieht man, wie mager sie sind. von den Oberflächenformen (Plath et al. 2003, 2004). Beispielsweise sind das Aggressionsverhalten und die sexuelle Aktivität weitgehend reduziert. Ob es sich dabei um eine Anpassung an das Leben in Dunkelheit handelt oder ob es damit zu tun hat, dass die Fische in einer toxischen Umwelt leben, ist bislang noch nicht geklärt. Im Gegensatz zu den oberirdischen Tieren sind die Höhlenmollys oft an der Wasseroberfläche bei der Oberflächenatmung zu beobachten. Dieses Verhalten scheint eine wichtige Anpassung für das Überleben im toxischen Wasser zu sein, da die Tiere rasch sterben, wenn der Kontakt zur Wasseroberfläche unmöglich ist. Wie genau die Höhlenmollys in diesem giftigen Habitat überleben, ist aber nach wie vor unbekannt. wiesen jedoch nie Höhlentiere im El Azufre oder umgekehrt nach. Noch ist unbekannt, ob es sich bei den verschiedenen Formen um genetisch getrennte Populationen handelt oder ob Umwelteinflüsse die Entwicklung beeinflussen, so dass ein Individuum – je nachdem, wo es aufwächst – den einen oder den anderen Phänotypen ausprägt. Außer P. mexicana kommt im El Azufre noch eine Buntbarschart (’Cichlasoma’ salvini) vor (Tobler et al., eingereicht). Da wir neben adulten Tieren auch Jungfische fangen konnten, ist anzunehmen, dass diese Art dauerhaft im El Azufre lebt. Im Gegensatz zu der aquaristisch verbreiteten Form, die durch ihre kräftige, zitronengelbe Färbung besticht, haben die Tiere aus dem El Azufre (und anderen schwefelfreien Habitaten um den Río Oxolotán) eine braune Grundfärbung, sind sehr hochrückig und wirken dadurch eher bullig. Über einen Austausch mit anderen Personen – ob Aquarianern oder Ichthyologen –, die ebenfalls Fische in Schwefelhabitaten beobachten konnten, würden wir uns sehr freuen. Schließlich ist nur sehr wenig über die Biologie solcher Arten bekannt, und selbst die grundlegenden Mechanismen, wie diese Fische ihr Überleben in einer toxischen Umwelt sichern, liegen nach wie vor – buchstäblich – im Dunkeln (Kontakt: [email protected] oder mplath@ zimserver.zoologie.uni-hamburg.de). N … und im El Azufre Im El Azufre kommt P. mexicana ebenfalls in hohen Dichten vor. Auf den ersten Blick sehen die Tiere hier wie andere Oberflächenfische aus, bei genauerer Betrachtung nehmen sie aber eine intermediäre Stellung zwischen Fluss- und Höhlenfischen ein. Auch im El Azufre sind chronisch toxische Konzentrationen von Schwefelwasserstoff nachzuweisen, so dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass diese Individuen Gemeinsamkeiten mit den Höhlentieren haben. Theoretisch könnten sich Höhlenmollys und Tiere aus El Azufre vermischen. Wir Michi Tobler Der Schweizer Biologe arbeitet an der Universität von Oklahoma und interessiert sich für alles, was im Wasser lebt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Ökologie und in der Evolution von mittelamerikanischen Süßwasserfischen und Wirbellosen. Martin Plath ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam. In seiner Forschung beschäftigt er sich hauptsächlich mit evolutionsbiologischen Themen zu mexikanischen Süßwasserfischen, aber auch zu europäischen Amphibien und zu afrikanischen Säugetieren. DATZ · Oktober 2007 79