SWR2 Musikstunde

Werbung
SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Musiker auf Reisen (5)
Kalifornisches Exil: Mit Igor Strawinsky in
Hollywood (5)
Von Susanne Herzog
Sendung:
Freitag, 22. Mai 2015
Redaktion:
Ulla Zierau
(Wiederholung von 2012)
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD
von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst
in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
2
SWR 2 Musikstunde
Freitag, den 22. Mai 2015
Mit Susanne Herzog
Musiker auf Reisen
Kalifornisches Exil: Mit Igor Strawinsky in Hollywood
Igor Strawinsky mit nacktem Oberkörper, die welken Blätter eines
Rhododendronbusches abzupfend, im Garten seines Hauses am
North Wetherley Drive in Hollywood. Eine Photographie aus dem
Jahr 1946. Eine andere sechs Jahre früher zeigt den Komponisten
„just married“ in Mexico mit seiner zweiten Frau Vera: sie selbst in
die Kamera strahlend, überglücklich, elegant, fast wie ein
Hollywoodstar, Strawinsky sie im Arm haltend mit Sonnenbrille, Hut
und ziemlich ernst drein schauend. Dennoch: auch er wird
glücklich gewesen sein. Aus verschiedenen Gründen: erstens weil:
frisch verheiratet mit seiner langjährigen Freundin und zweitens
weil: in den USA und dem Krieg in Europa entronnen. 58 Jahre war
Strawinsky damals immerhin schon, bei der Reise in sein zweites Exil:
1914 hatte er bereits Russland den Rücken gekehrt, lebte in der
Schweiz und dann in Frankreich. 1938 und 39 starben seine Mutter,
seine erste Frau und seine Tochter, der zweite Weltkrieg stand vor
der Tür. Die Einladung zu einer Vorlesungsreihe an die Harvard
University kam zur rechten Zeit: im September 1939 reiste Strawinsky
in die Vereinigten Staaten und kehrte nie wieder zurück. In
Hollywood fand er im Kreis vieler Exilanten ein neues zu Hause,
aber auch mit 70, 80 Jahren unternahm er stets ausgedehnte
Konzertreisen durch die ganze Welt. Ein echter Kosmopolit also,
3
den die SWR 2 Musikstunde heute ins amerikanische Exil nach
Hollywood und auf seinen zahlreichen Reisen als Dirigent begleitet.
1„30
Musik 1
Igor Strawinsky
Tango
<6> 4„24
Stefan Hussong, Akkordeon
Titel CD: Whose Song, Akkordeonmusik des 20. Jahrhunderts
Thorofon, CTH 2184, LC 1958
WDR 5014 311
Ein Tango von Igor Strawinsky, für Akkordeon arrangiert und
gespielt von Stefan Hussong. Der vorerst „letzte Tango“ von
Strawinsky, ein Werk das ganz klar auf Publikumswirkung abzielte.
Geschrieben 1940, gerade in den USA angekommen.
Damals war Strawinsky bereits berühmt, aber das hieß nicht viel:
auch Arnold Schönberg hatte im kalifornischen Exil ums Überleben
zu kämpfen. Denn durch den Zweiten Weltkrieg bekam Strawinsky
keine europäischen Tantiemen und in den USA hatten seine Werke
kein Copyright. Als Einnahmequellen gab es zunächst zwei
Optionen: dirigieren oder Kompositionsaufträge annehmen. Und
die waren zum Teil recht skurril: So schrieb Strawinsky etwa die
Musik zu einem Elefantenballett für den New Yorker Zirkus Barnum
& Bailey. Eine Nummer, die dann 425 Mal sehr erfolgreich lief. Ob‟s
an Strawinskys Musik lag oder an der Choreographie des
berühmten George Balanchine oder dann doch an der Eleganz
und Beweglichkeit der Elefanten? Vielleicht kam alles zusammen.
Zuvor jedenfalls hatte der Komponist ganz genau nachgefragt,
4
was denn gewünscht sei. Folgendes Telefonat soll sich zwischen
Strawinsky
und
den
Auftraggebern
über
die
genauen
Musikwünsche abgespielt haben. Strawinsky: „Welche Art von
Musik?“, Antwort: „Eine Polka“, Strawinsky: „Für wen?“ Antwort:
„Elefanten“ Strawinsky: „Wie alt?“ Antwort: „Jung“ Strawinsky:
„Wenn sie jung sind, dann mach ich es.“ 1‟20
Musik 2
Igor Strawinsky
Circus Polka
<9> 3‟16
Süher Pekinel, Klavier
Güher Pekinel, Klavier
WDR Kompilation
WDR 5069 060
Cirkus
Polka,
von
Strawinsky
zunächst
für
Blasorchester
geschrieben, hier gehört in einem Arrangement für zwei Klaviere
mit Güher und Süher Pekinel.
Da Strawinsky sich mit seiner Frau Vera bald nach seiner Ankunft in
Hollywood niederließ, lag natürlich eine weitere Einnahmequelle
auf der Hand: die Filmmusik. Und Strawinsky liebte Filme sehr: gerne
wäre er jeden Tag ins Kino gegangen, am aller liebsten sah er
Western. Natürlich traten die Hollywoodbosse an den Komponisten
heran: 100 000 Dollar bot man ihm für eine Filmmusik. Strawinsky
lehnte ab, denn er war überzeugt davon, dass man nur an seinem
Namen interessiert war und keineswegs an seiner Musik. Wie recht
er hatte: nach seinem „Nein“ legte Hollywood nach: er könne für
die 100 000 auch nur seinen Namen geben, die Musik schriebe
dann jemand anderes…
5
Strawinskys Misstrauen war also berechtigt. Und er hatte ja auch
schon in Europa Erfahrungen mit Hollywood gesammelt: 1938
hatte Walt Disney ihm 5000 Dollar für sein „Sacre“ bezahlt und
damit Teile seines Films „Fantasia“ ausgestattet – laut Strawinsky als
Begleitung für „stumpfsinnig sterbende Dinosaurier und Pirouetten
schlagende Nilpferde“. Als Strawinsky dann das Ergebnis ein Jahr
später in den USA sah, bewahrheiteten sich seine schlimmsten
Befürchtungen: „Ich erinnere mich, dass jemand mir eine Partitur
anbot; als ich sagte, ich hätte meine eigene, sagte der Jemand:
‚aber sie ist ganz verändert„. So war es, in der Tat…“
Dennoch: immerhin begann Strawinsky manche Filmmusiken zu
schreiben, wenngleich letztendlich kein einziger Vertrag zu Stande
kam, weil die künstlerischen Bedingungen für den Komponisten
nicht haltbar waren. Einige der „Filmmusiken“ hat Strawinsky dann
aber in den Konzertsaal herüber gerettet. So etwa seine
„Norwegischen Impressionen“, geschrieben 1942, ursprünglich
gedacht für einen Film über die Nazi Invasion in Norwegen. 1„50
Musik 3
Igor Strawinsky
„Song“ aus: 4 Norwegian Moods
<14> 2„13
CBC Symphony Orchestra
Igor Strawinsky, Ltg.
Titel CD: Miniature Masterpieces, Igor Stravinsky Edition
Sony Classical, SMK 46296, LC 6868
WDR 5013 065
„Song“ aus den „Vier norwegischen Impressionen“ von Strawinsky,
ursprünglich für Hollywoods Filmindustrie geschrieben, letztendlich
aber dann im Konzertbetrieb verwendet. In unserer Aufnahme
6
spielte das CBC Symphony Orchestra unter dem Komponisten
selbst.
Dirigiert hat Strawinsky sein Leben lang, gerne auch immer wieder
seine eigenen Werke. Das Dirigieren war zudem ein wichtiger
Grund für seine ausgedehnten Reisen, die er auch vom
amerikanischen Exil aus weiterhin unternahm. Und das Dirigieren
war natürlich auch eine ganz entscheidende Einnahmequelle, so
lange seine Werke in den USA nicht geschützt waren. Das änderte
sich erst als der Komponist 1945 amerikanischer Staatbürger
wurde. Fortan flossen die Tantiemen auch in den Vereinigten
Staaten.
Auf dem Papier Amerikaner, das war gut für den Geldbeutel, aber
Strawinskys Herz schlug weiterhin „russisch“. In Hollywood lebten in
den 1940er Jahren viele russische Emigranten und so kam es, dass
Strawinsky in seinem Umfeld problemlos russisch sprechen konnte:
die meisten Freunde der Strawinskys kamen aus Russland wie etwa
der Choreograph George Balanchine oder der Schauspieler
Vladimir Sokoloff. Und sogar Ärzte, Köche, Gärtner und Schneider
waren angeblich alle Russen.
Natürlich gab es auch noch Emigranten aus anderen Ländern, mit
denen Vera und Igor Strawinsky verkehrten: man traf sich zu Partys
mit den Manns, den Werfels, mit Nadia Boulanger, Arthur
Rubinstein, Joseph Szigeti und vielen anderen. Später wurden die
Schriftsteller Aldous Huxley und Christopher Isherwood zu engen
Freunden von Strawinsky.
In diese Anfangsjahre in Hollywood gehört ein Werk, das zeigt,
dass Strawinsky trotz „russischer Seele“ von seiner amerikanischen
7
Umgebung beeinflusst wurde oder sich bewusst beeinflussen ließ.
1945 schrieb er das „Ebony Concerto“ für den Jazzklarinettisten
Woody Herman und dessen Big-Band. Strawinsky mochte Woody
Hermann sehr und hörte während der Komposition immer wieder
in die Aufnahmen seiner Band hinein. Es entstand ein Werk inspiriert
vom Jazz, dessen Farben, dessen Rhythmus, aber keineswegs ein
Jazz Stück mit Raum für freie Improvisationen: vielmehr quasi ein
sinfonisches Porträt dieser Musik. „Ein Jazz concerto grosso mit
einem langsamen Blues Satz“ wie Strawinsky selbst erklärte. 2„07
Musik 4
Igor Strawinsky
Ebony Concerto für Klarinette und Jazz-Orchester
<6> 3„24
<7> 2„16
<8> 3„14
Sabine Meyer, Klarinette
Bamberg Symphony Big Band
Ingo Metzmacher, Ltg.
Titel CD: Homage to Benny Goodman
EMI Classics, 7243 5 56652 2 5, LC 6646
WDR 5034 277
Das „Ebony Concerto“ von Igor Strawinsky. Es spielten Sabine
Meyer Klarinette und die Bamberg Symphony Big Band unter Ingo
Metzmacher.
Zwölf Jahre hat es gedauert bis Igor Strawinsky aus dem
amerikanischen Exil erstmals wieder nach Europa gereist ist: 1951
war das. Reisen bedeutete Strawinsky viel: sein Mitarbeiter Robert
Craft, ein junger Dirigent und eigentlich fast schon so etwas wie
ein Adoptivsohn, Robert Craft berichtete: „Auch während des
8
Komponierens geschieht es, dass er verreisen und einen Ruhetag
einlegen möchte, damit er das Werk dann mit einem neuen Blick
wieder aufnehmen kann.“
Zu Strawinskys Lieblingsstädten gehörten New York und Venedig.
Und eben der Lagunenstadt galt Strawinskys erste Europareise
1951. Über verschiedene italienische Städte reiste er gemeinsam
mit Ehefrau Vera und besagtem Robert Craft nach Venedig, um
dort die Premiere seiner Oper „The Rake`s Progress“ zu dirigieren.
Und Craft, der umfangreiche Gespräche mit Strawinsky und ein
Tagebuch über seine Jahre an der Seite des Meisters publiziert hat,
stellte fest, dass sich Strawinsky in Europa wohler fühle, als in
Übersee. Nichts desto trotz: mit seinem „Rake„s Progress“ hatte
Strawinsky, der gut französisch und auch deutsch sprach, eine
englische Oper geschrieben. Librettist war Wyston Hugh Auden,
sein Nachbar in Hollywood und enger Freund Aldous Huxley hatte
Auden empfohlen. Eine Kupferstichserie des englischen Künstlers
William Hogarth hatte Strawinsky zu dieser schwarzen Komödie
über den Wüstling Rakewell und seinen Pakt mit dem Teufel
inspiriert.
Die Musik neoklassisch: manchmal an Mozart, manchmal an
Händel, manchmal an andere erinnernd, aber letztlich natürlich
immer Strawinsky. Der Komponist selbst dirigierte die Uraufführung
im venezianischen Opernhaus La Fenice: eine halbe Stunde zu
spät betrat er das Podium, leitete das Orchester und die Sänger
etwas zaghaft – Opern hatte er selten dirigiert – dennoch:
insgesamt ein Erfolg. Danach – berichtete Craft – saßen sie noch
lange zum Essen beisammen und spielten Melodien raten: war hier
nicht ein bisschen Tschaikowsky dabei oder dort ein Spur Wagner?
9
Um sechs Uhr morgens fielen alle todmüde in ihre venezianischen
Betten. 2„14
Musik 5
Igor Strawinsky
Ausschnitt aus: The Rake‟s Progress
1. <20> Rezitativ „My father! Can desert him” 1‟01
1. <21> Cabaletta “I go, I go to him” 2‟42
Deborah York, Anne
London Symphony Orchestra
John Eliot Gardiner, Ltg.
Titel CD: Stravinsky: The Rake‟s Progress
DG, 459 648-2, LC 0173
WDR 5083 580
Rezitativ und Arie der Anne: das Mädchen, das den leichtfertigen
Tom Rakewell aus Strawinskys Oper „The Rake‟s Progress“ liebt. Es
sang Deborah York begleitet vom London Symphony Orchestra
unter John Eliot Gardiner. Bei der Uraufführung in Venedig
seinerzeit übrigens von Elisabeth Schwarzkopf gesungen.
1951: das Jahr der Premiere von Strawinskys Oper „The Rake‟s
Progress“ bedeutete eine Wende im Leben des Komponisten:
denn die Oper blieb sein letztes „neoklassisches“ Werk. Im
gleichen Jahr war Strawinskys Nachbar in Hollywood – Arnold
Schönberg –gestorben. Die beiden Giganten der Musik des 20.
Jahrhunderts hatten sich selten gesehen und wenn nur zufällig:
Strawinsky behauptete in einem Interview, die Frauen verstünden
sich nicht, was keineswegs den Tatsachen entsprach. Nach
Schönbergs Tod nun begann Strawinsky, sich mit dessen ZwölftonTechnik zu beschäftigen: ermutigt und durchaus auch angeleitet
durch seinen noch jungen Mitarbeiter Robert Craft, der ihm auch
die Werke Anton Weberns ans Herz legt. Bis an sein Lebensende
10
sollten dann serielle Techniken die Grundlage von Strawinskys
neuer Tonsprache bilden.
1964 schrieb er eine „Elegie für JFK“ nach dem Mordanschlag auf
Kennedy, tiefbewegt durch den Tod des Präsidenten, da hatte der
Komponist schon über zehn Jahre Erfahrung mit der neuen
Kompositionsmethode gesammelt. Tatsächlich war Strawinsky rund
zwei Jahre zuvor ins Weiße Haus eingeladen worden. Unter den
anderen Gästen übrigens auch Leonard Bernstein. Beim Dinner
hielt Kennedy eine kurze Ansprache auf Strawinsky. Nach dem
Essen gingen die Frauen in den Roten Salon, während die Herren
Cognac
und
Zigarren
genießen
sollten.
Strawinsky
wollte
unauffällig seiner Frau Vera folgen, denn sie flüsterte ihm immer
schnell auf Russisch zu, wenn er nicht richtig hörte. Man hielt den
Maestro jedoch zurück und platzierte ihn direkt beim Präsidenten:
Der fragte: „Wie fühlen Sie sich jetzt, Herr Strawinsky?“ die Antwort
des Komponisten: „Ziemlich betrunken, danke, Herr Präsident.“ Als
alles vorbei war, im Auto dann, resümierte Strawinsky: „Nette junge
Leute.“
Im Jahr danach das Attentat auf Kennedy und wenig später
komponierte Strawinsky seine „Elegie für JFK“. 2„01
Musik 6
Igor Strawinsky
Elegie für JFK für Mezzosopran und drei Klarinetten
<5> 2„16
Cathy Berberian, Mezzosopran
Hermut Gießer, Klarinette
Wilhelm Rupp, Klarinette
Willy Schulz, Klarinette
WDR Kompilation
WDR 5040 468
11
„Elegie für JFK“ von Igor Strawinsky für Mezzosopran und drei
Klarinetten. Es sang: Cathy Berberian.
In einem Dokument des Weißen Hauses, das den Präsidenten bei
Strawinskys Besuch über Leben und Werk des Komponisten vorab
informieren sollte, stand über die Strawinskys zu lesen: „Sie leben in
Kalifornien, obwohl sie wenig Zeit zu Hause verbringen.“ Will sagen:
dauernd auf Reisen. Und Strawinskys getreuer Mitarbeiter Robert
Craft berichtete über die gemeinsamen Reisen: „Obwohl seine
Begierde nach neuen Erfahrungen ebenso groß war wie meine,
hätte Strawinsky ohne mich wahrscheinlich keine afrikanischen
Wildparks und keine Inka-Ruinen besucht oder einen der ersten
Flüge über den Nordpol unternommen.“
Und wenn man den über Achtzigjährigen fragte, ob er das viele
Dirigieren und damit verbundene Reisen nicht langsam mal lassen
wolle, dann sagte er: „Was soll ich denn eurer Meinung nach tun
… in einer Laube sitzen und mich zu Tode langweilen?“
Konzerttourneen führten ihn in alle Welt, aber: „In Afrika braucht
man
mich
noch
nicht.“
erklärte
Strawinsky
„Da
gibt
es
ausgezeichnete Trommler und Balaphonspieler… Aber vielleicht
sollte ich ein Stück für Balaphonorchester und acht Trommler
schreiben… oder sollte ich das lieber den Jungens aus Darmstadt
überlassen?“
Auch wenn er afrikanische Musik den „Jungs aus Darmstadt“
überlassen wollte, natürlich hat Strawinsky seine zahlreichen Reisen
schon früh immer wieder musikalisch festgehalten. Hier der dritte
12
und vierte Satz seiner ersten Suite für Orchester mit den
Bezeichnungen: Espanola und Balalaika. 1„25
Musik 7
Igor Strawinsky
Suite Nr. 1 für kleines Orchester
<4> Espanola 1„07
<5> Balalaika 0‟52
CBC Symphony Orchestra
Igor Strawinsky, Ltg.
Titel CD: Miniature Masterpieces, Igor Stravinsky Edition
Sony Classical, SMK 46296, LC 6868
WDR 5013 065
Igor Strawinsky selbst am Pult des CBC Symphony Orchestra mit
dem dritten und vierten Satz seiner Suite Nr. 1, die einige seiner
Reisen widerspiegelt. Der letzte Satz „Balalaika“, eine Erinnerung
an Russland.
Und in Russland war Strawinsky ewig nicht mehr gewesen. „Ich
möchte vor dem Abtreten noch einmal in meine Heimat
zurückkehren.“
Geburtstag.
gespalten
verkündete
Obwohl
war:
der
sein
Komponist
Verhältnis
während
des
zu
vor
seinem
Russland
Zweiten
80.
durchaus
Weltkriegs
im
amerikanischen Exil verfolgte er enthusiastisch die Siege der Roten
Armee,
danach
wandte
er
sich
entschieden
gegen
die
Sowjetunion. Erst als man ihn einlud, als Staatsgast seinen 80.
Geburtstag in Moskau zu verbringen, wurde er schwach. Allerdings
reiste er dann doch erst nach seinem Geburtstag nach Russland
und war völlig hingerissen von Land und Leuten. An Nikolas
Nabokov, den Cousin des Schriftstellers, schrieb Strawinsky über St.
Petersburg: „Es ist superb, die schönste Stadt der Welt… ein
13
zweites, besseres Venedig!!!“ Und das sollte was heißen, schließlich
gehörte Venedig zu seinen absoluten Lieblingsstädten. Robert
Craft stellte fest, dass „ein halbes Jahrhundert im Exil nach einer
Nacht vergessen sein kann.“ Leicht amüsiert beschrieb Craft
Strawinskys wieder aufblühende Liebe zu seiner Heimat, bei einer
Episode
das
Essen
betreffend:
„Wenn
in
Hollywood
das
Abendessen nur fünf Minuten zu spät kommt, rollen Köpfe, aber
hier geht eine zweistündige Wartezeit als ‚exzellenter Service„
durch.“
Strawinsky gab Konzerte in Moskau und St. Petersburg, wurde von
Nikita Chruschtschow höchst persönlich empfangen und traf bei
einem Galadinner die führenden russischen Komponisten unter
ihnen Schostakowitsch und Chatschaturjan.
Strawinsky wurde in Russland gefeiert wie der heimgekehrte Sohn.
Bei einem seiner Konzerte in St. Petersburg erhoben sich die 3000
Leute des Publikums als er das Podium betrat. Strawinsky auf zwei
Stöcke gestützt, nahm einen davon, deutete auf den vierten Rang
und sagte auf Russisch: „Mit sechs Jahren habe ich da oben mit
meinem Vater das letzte Konzert von Tschaikowsky gehört.“ 2„02
Musik 8
Igor Strawinsky
„Pas de deux“ Orpheus und Euridice
aus: Orpheus
<36> 5„07
London Symphony Orchestra
Robert Craft, Ltg.
Titel CD: Stravinsky: Three Greek Ballets
Naxos, 8.557502, LC 05537
WDR 5161 407
14
Ein „Pas de deux“ aus der Ballettmusik Orpheus, von Strawinsky bei
seinem Besuch in Russland 1962 dirigiert. In unserer Aufnahme
leitete sein ständiger Begleiter Robert Craft das London Symphony
Orchestra.
Seine „letzte Reise“ sollte Igor Strawinsky schließlich nach Venedig
führen: im April 1971 starb der Komponist in New York im Alter von
89 Jahren. Von Hollywood nach New York war er nur wegen der
medizinischen
Betreuung
umgezogen,
hier
sollte
er
nicht
begraben werden. Stattdessen bestiegen seine Frau Vera und sein
enger Mitarbeiter und quasi Adoptivsohn Robert Craft eine
Maschine nach Italien: Strawinskys Leichnam an Bord. In Venedig
schließlich brachte ihn ein Leichenschiff – eine Gondel mit
goldenen Markuslöwen an den Seiten und rosa und weißen Rosen
geschmückt – zur Friedhofsinsel San Michele. Dort wurde Igor
Strawinsky neben seinem langjährigen Freund und Weggefährten
Serge Diaghilew bestattet: nach Europa zurückgekehrt aus dem
amerikanischen Exil, in das „italienische St. Petersburg“ - nach
Venedig – also irgendwie auch in die Heimat.
Und damit schließt unsere Musikstundenwoche über Musiker und
ihre Reisen in Venedig, der Lagunenstadt, die schon seit
Jahrhunderten viele Reisende in ihren Bann gezogen hat und bis
heute verzaubert. 1„17
15
Musik 9
Igor Strawinsky
Gloria aus: Messe
<6> 3„43
RIAS Kammerchor
musikFabrik
Daniel Reuss, Ltg.
Titel CD: Stravinsky: Cantat, Les Noces, Mass
Hmf, HMC 801913, LC 7045
WDR 5174 176
Musik ca. 38
Text ca. 15‟45
Herunterladen