OTC-Analgetika

Werbung
41592_SAZ_7_s_254_257b
25.3.2004
15:57 Uhr
Seite 254
PHARMAZIE UND MEDIZIN
PHARMACIE ET MÉDECINE
Schmerzbehandlung nach der Gruppenrevision Analgetika
OTC-Analgetika
A
K
A
Forum
Nach dem Abschluss der GruppenFriedrich Möll,
Marianne Beutler revision der OTC-Analgetika per
Ende 2003 sind viele gewohnte
Arzneimittel nicht mehr erhältlich. Zur kurzfristigen Behandlung von leichten bis mässig starken Schmerzen sind zur Zeit fünf
verschiedene Wirkstoffe – mit ganz
wenigen Ausnahmen – als Monopräparate zugelassen. Mit der
profunden Kenntnis ihrer pharmakologischen, klinischen und pharmazeutischen Eigenschaften besteht für die Apotheker und Apothekerinnen die Gelegenheit, mit
einer guten Beratung den verunsicherten Patientinnen und Patienten
zu einer wirksamen und sicheren
Schmerztherapie zu verhelfen.
Die Kombinationsanalgetika wurden in
der Mehrheit der Fälle abregistriert,
weil der von Swissmedic geforderte
Beweis eines positiven Nutzen-/Risikoverhältnisses und eines Vorteils über die
Monopräparate nicht belegt werden
Derivate (22)
ASS
Lysinsalz
Carbasalat
Anzahl zugelassene Präparate inkl. Arznei- 24
formen und Kombinationen mit Coffein (22)
Maximale Anwendungsdauer
–
Äquipotenz postoperative Schmerzen (23) 1000 mg
konnte. Der Wissensstand für die noch
zugelassenen Analgetika ist, wenn auch
nicht überall befriedigend, doch deutlich besser. Die für die Beratung wichtigsten Fakten werden im Folgenden
zusammengestellt für die OTC-Dosierungen und -indikationen von Paracetamol und den nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) Acetylsalicylsäure
(ASS), Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac.
Pharmakologie
Die NSAR wirken antipyretisch, analgetisch und antiinflammatorisch, Paracetamol wirkt nur antipyretisch und analgetisch. Die hier zur Diskussion stehende antiinflammatorische und analgetische Wirkung kommt über eine
Blockierung der Cyclooxygenase
(COX) und der daraus resultierenden
Synthesehemmung von Prostaglandinen, Prostacyclin und Thromboxan zustande.
Die COX existiert in mindestens
zwei Isoformen (COX-1 und COX-2)
Paracetamol
Benorilat
mit unterschiedlicher Exprimierung
in verschiedenen Geweben. Für die
Schmerzempfindung sind beide Isoformen, für die Entzündungsprozesse
eher COX-2 verantwortlich. Die verschiedenen NSAR hemmen die COXIsoformen mit unterschiedlicher Selektivität, woraus ihr Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum resultiert. Neuere Hypothesen schreiben die Wirkung
von Paracetamol der Hemmung einer
weiteren Isoform, der COX 3 zu, die
eine hohe Aktivität im Hirn aufweist.
Die Analgesie dieser Wirkstoffe erreicht nach der Maximaldosis ein Plateau («ceiling effect»), d.h. eine weitere Dosissteigerung erhöht nicht den
analgetischen Effekt, sondern lediglich
das Risiko für Nebenwirkungen [1].
Analgetika richtig dosieren
(vgl. Tab. 1)
Acetylsalicylsäure wird schon in der
Darmschleimhaut relativ schnell zu der
ebenfalls analgetisch aktiven Salicylsäure metabolisiert. Durch die reduNaproxen
Natriumsalz
Diclofenac
Natriumsalz
Kaliumsalz
76
Ibuprofen
Natriumsalz
Lysinsalz
Argininsalz
28
1
2
–
1000 mg
–
400 mg
10 Tage
220 mg
3 Tage
25 mg
200 mg
400 mg alle 3–6 h
max. 1200 mg/24 h
220 mg
initial 440 mg,
nach 12 h 220 mg,
max. 660 mg/24 h
1250 mg
ab 16 J.
12,5–25 mg
25 mg alle 3–6 h,
maximal 75 mg/24 h
1–2 h
12–15 h
8–12 h
>95%
0,9
0,5 h
1–2 h
4–6 h
50–60%
1,0
500 mg
500 mg
Initial 1000 mg,
1000 mg,
dann 0,5–1 g alle 3–6 h max. 4 g/24 h
max. 3 g/24 h
Rx: Maximale Dosis/Tag
4g
4g
Zulassung für Kinder
0,5 g ab 12 J. (>40 kg) 0,5 g ab 12 J.
0,1 g ab 6 Monate
0,1 g ab 6 Monate
Tmax oral, nüchtern
ASS: 0,5 h / SS: 1–2 h
0,5–1 h
Plasmahalbwertszeit
ASS: 0,3 h / SS: 3 h
1,5–3 h
Analgetische Wirkdauer
3–6 h
2–4 h
Bioverfügbarkeit
50–80%
60–90%
Qo (extrarenaler Ausscheidungsanteil) (24) ASS: 1,0 / SS: 0,9
0,9
Angaben, wo nicht anders vermerkt, aus dem Arzneimittelkompendium der Schweiz, 2004
OTC: 1×-Dosierung leichte Schmerzen
OTC: Dosierung starke Schmerzen
2400 mg
ab 12 J.
(Rx: ab 6 J.)
1–2 h, Salze: 0,5–1 h
2–3 h
4–6 h
>95%
1,0
Tabelle 1: Dosierung und Pharmakokinetik
Journal suisse de pharmacie, 7/2004
254
200 mg
ab 14 J.
41592_SAZ_7_s_254_257b
25.3.2004
15:57 Uhr
Seite 255
PHARMAZIE UND MEDIZIN
PHARMACIE ET MÉDECINE
Wirkstoff
Form
Puffer
ASS
Ja
∆ Tmax
Minuten
Präparate
Alka-Seltzer Brausetabl.
Aspirin 500, -Instant, -Migräne, -Kautabl. Aspro Brausetabl. 0–15
Lysinat
Nein
Alcacyl-Pulver, Aspégic
0–15
Carbasalat
Ja
Alcayl Tabl.
–
Paracetamol
Paracetamol
Ja
Dafalgan Odis, -BT, KAFA Flashtabs Panadol Brausetabl.
0–15
Ibuprofen
Lysinat
Nein
Algifor Gran., Algifor L; Nurofen L Tabl. Sonotryl nF Tabl.
15–30
Arginat
Nein
Dolo-Spedifen
15–30
Natriumsalz
Nein
Saridon N Tabl.
0–15
Naproxen
Natriumsalz
Nein
Aleve Tabl.
–
Diclofenac
Kaliumsalz
Nein
Tonopan nF Tabl., Voltaren Dolo Tabl.
15–30
∆ Tmax: verkürztes Tmax (=früherer Wirkungseintritt) mit schnell löslichem/r Salz/Arzneiform
im Vergleich zur normalen Tablette bei Nüchterngabe (Angaben aus dem Arzneimittelkompendium der Schweiz, 2004)
NF: neue Formel; BT: Brausetabletten
ASS
Tabelle 2:
Präparate mit
schnell löslichen
Salzen und
Arzneiformen
zierte und zugleich variable Bioverfügbarkeit ist ein ausreichender Plasmaspiegel nicht immer gewährleistet. [2]
Paracetamol weist für Erwachsene
bis zu einer Grenzdosis von ca. 4 g/Tag
eine gute Verträglichkeit auf. Die Dosierung muss bei Leberinsuffizienz angepasst werden. Dank der guten Langzeiterfahrung und geeigneten Darreichungsformen kann es schon ab
dem Säuglingsalter gegeben werden.
Ibuprofen gewährt mit einer Bioverfügbarkeit von fast 100 Prozent, einer
linearen Dosis-Wirkungsbeziehung bis
800 mg und einer hohen analgetischen
Potenz eine zuverlässige analgetische
Wirkung. Die Kinetik ist auch bei älteren Patienten und bei Alkoholikern
(Leberinsuffizienz) nicht verändert.
Das hohe Sicherheitsprofil erlaubt die
Anwendung bei Kindern ab 12 Jahren
(Rx ab 6 Jahren) und die Gabe in Sirupform.
Naproxen ist nur als S-Enantiomer
im Handel, da das R-Enantiomer weitgehend inaktiv ist. Es unterscheidet
sich von den anderen NSAR durch eine
längere Plasmahalbwertszeit und die
lange Wirkdauer von 8 bis 12 Std. Obwohl Naproxen als Natriumsalz vorliegt
und somit besser im Magensaft löslich
ist, wird das Tmax auf nüchternen
Magen nicht schneller erreicht als mit
Ibuprofen.
Diclofenac unterliegt v.a. in niedriger Dosierung einem hohen First-passEffekt und führt daher in Dosierungen
unter 25 mg nicht zuverlässig zu ausreichenden Plasmaspiegeln [3]. Als
effektives Analgetikum muss es in einer
Dosis von 0,5–1 mg/kg KG dosiert werden, d.h. mindestens zwei Tabletten zu
12,5 mg für eine Person von 50 kg.
[4]
Rasche Schmerzlinderung
(vgl. Tab. 2)
Für eine schnelle Resorption und raschen Wirkungseintritt ist in erster Linie die Auflösungsgeschwindigkeit des
Wirkstoffes und die Dauer der Magenpassage bedeutsam. Zur Resorptionsbeschleunigung werden schnell lösliche Arzneiformen und leicht lösliche
Salzformen sowie die Kombination mit
prokinetischen Arzneimitteln wie Domperidon oder Metoclopramid empfohlen. Erstaunlicherweise wird dagegen
der Resorption verzögernde Einfluss
einer gleichzeitigen Nahrungsaufnahme bei Analgetika wenig beachtet.
Als schnell zerfallende Tablette eingenommen, ist auf nüchternen Magen
(1 Std. vor und 2 Std. nach dem Essen)
ein Wirkungseintritt nach 30 Minuten
bis 2 Stunden zu erwarten. Setzt man
bei ASS oder Ibuprofen besser lösliche
Salze wie z.B. das Lysin- oder Argininsalz ein, lässt sich nüchtern genommen
der Wirkungseintritt moderat beschleunigen (vgl. Tab. 2). Mit einer
Brauseformulierung lässt sich interessanterweise nicht allgemein ein schnellerer Wirkungseintritt erzielen. In der
Regel fällt nämlich der Wirkstoff im
sauren Magen wieder aus [5]. Diesem
Effekt versucht man durch Zugabe eines
Puffers, der die Lösung im Magen aufrechterhalten soll, entgegenzuwirken.
Bei Gabe mit oder nach der Nahrung
wird in erster Linie die Magenentleerung und somit ein Übertritt in den
Dünndarm – dem Ort der Resorption
– verlangsamt. Je nach Zusammensetzung der Nahrung, der Art der Arzneiform (Brausetablette, Salzform, Magensaftresistenz u.a.), der Krankheitssymptome (Migräne, Parkinson, Diabetes
u.a.) und der Komedikation (Opiate,
Antidepressiva, Anticholinergika, Calciumblocker u.a.) muss dabei eine deut-
255
Schweizer Apothekerzeitung, 7/2004
liche Verzögerung des Wirkungseintrittes von Stunden – bei nicht zerfallenden Arzneiformen sogar bis 10 Stunden - berücksichtigt werden. [6] Mit
der gut gemeinten Empfehlung, das
Analgetikum mit oder nach dem Essen
einzunehmen, wird der Zeitvorteil
einer Salzform wieder aufgehoben und
auch bei schnell zerfallenden Tabletten
kann der Wirkungseintritt um Stunden
verzögert sein.
Die rektale Applikation ist in der
Regel gekennzeichnet durch einen
langsameren Wirkungseintritt im Vergleich zu einer nicht retardierten oralen
Arzneiform. Für rektales Paracetamol
z.B. beträgt Tmax 3 h, zusätzlich ist die
Bioverfügbarkeit reduziert. [5,7]
Analgetika vor oder nach dem Essen?
– Wird ein Analgetikum zur schnellen
Schmerzbekämpfung gewünscht,
ist die Einnahme auf nüchternen
Magen mit viel Flüssigkeit zu empfehlen.
– Dass Analgetika mit dem Essen eingenommen besser verträglich seien
als auf den leeren Magen, wird von
Fachleuten nicht bestätigt.
– Für die Entwicklung von gastrointestinalen Blutungen ist vor allem
die systemische Prostaglandinhemmung verantwortlich. [6].
– Patienten, die über Magenprobleme klagen oder solche befürchten,
sollen ASS vermeiden und einen
gastrointestinal gut verträglichen
Arzneistoff, z.B. Paracetamol oder
Ibuprofen, wählen.
Sichere Schmerzbehandlung (vgl. Tab. 3)
Für den sicheren Einsatz sind individuell nach Alter und Gesundheitszustand
die unerwünschten Wirkungen, Vorsichtsmassnahmen und Interaktionen
der Arzneistoffe zu berücksichtigen.
Die allgemeine Verträglichkeit ist für
Paracetamol und Ibuprofen vergleichbar gut und signifikant besser als für
ASS. Dies zeigte die Pain Study, worin
8233 Patienten zur Behandlung von
leichten bis mässigen Schmerzen
während 7 Tagen mit den genannten
Analgetika in OTC-Dosierung behandelt wurden. [8]
Paracetamol
Paracetamol verursacht nur selten
gastrointestinale Beschwerden. Der
41592_SAZ_7_s_254_257b
25.3.2004
15:57 Uhr
Seite 256
PHARMAZIE UND MEDIZIN
PHARMACIE ET MÉDECINE
Unerwünschte
Wirkungen
Paracetamol
• Hepatotoxizität in hohen Dosen
• Nephropathie bei chronischer
Anwendung (?)
Interaktionen
• Keine relevanten Interaktionen
Schwangerschaft
Stillzeit
• Ja
• Ja
Tabelle 3:
Unerwünschte
Wirkungen,
Interaktionen,
Schwangerschaft
ASS, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen
• Übelkeit, Erbrechen, Durchfall:
Asprin/Naproxen > Diclofenac >Ibuprofen
• PUB: Perforationen, Ulkus, Blutungen
• Hautausschläge, Pruritus
• Benommenheit, Schwindel (v.a. Naproxen)
• Aspirinintoleranz
• Reye-Syndrom
• Blutungsgefahr erhöht: orale Antikoagulantien, niedermolekulare Heparine, orale Kortikosteroide
• Abgeschwächte Blutdrucksenkung: Antihypertensiva
• Risiko für Nierenversagen erhöht: Diuretika besonders
in Kombination mit ACE-Hemmern oder Sartanen
• Lithiumspiegel erhöht (gilt nicht für ASS)
• Methotrexat-Toxizität erhöht
1. + 2. Trimenon: ja, 3. Trimenon: nein
Ja, in niedrigen Dosen
Verdacht eines Nephropathie-Risikos
ist nicht gesichert aber auch nicht restlos beseitigt. Vor chronischer Einnahme hoher Dosen wird vorsichtshalber
abgeraten. Das Hauptproblem ist die
Hepatotoxizität bei Überdosierung. Bei
der Metabolisierung in der Leber entsteht in geringer Menge ein stark reaktiver Metabolit, der normalerweise
durch Glutathion sofort inaktiviert wird.
Überdosierung führt zu Glutathionmangel; der reaktive Metabolit kann
dann eventuell eine Leberzellnekrose
und ein akutes Leberversagen verursachen. Toxische Auswirkungen wurden
bei Erwachsenen bei Dosen über 6 bis
10 g beobachtet. Bei vorbestehender
Leberschädigung (z.B. bei Alkoholikern)
kann Paracetamol jedoch schon in
niedrigeren Dosen hepatotoxisch wirken. Personen, die regelmässig mittlere
bis grössere Alkoholmengen trinken,
sollen Paracetamol vorsichtig dosieren. NSAR sind als Alternative für diese
Patienten nicht besser geeignet, da Alkohol die Gefahr von Magen- und Varizenblutungen erhöht. Für Paracetamol
sind während der Schwangerschaft
und in der Stillzeit in therapeutischen
Dosen keine Risiken bekannt.
NSAR
Am häufigsten sind gastrointestinale
Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Duchfall und
Verstopfung. ASS verursacht diese unerwünschten Wirkungen am häufigsten, danach folgen mit absteigender
Häufigkeit Naproxen, Diclofenac und
Ibuprofen. [9, 10,11]
Die schwerwiegendsten unerwünschten Wirkungen der NSAR sind
die PUBs (Perforationen, Ulzera, Blutungen). Als Hauptursache gilt die systemische Hemmung der COX-1, das
bedeutet, dass auch bei rektaler und
parenteraler Applikation PUBs entstehen können. [12] Das Risiko ist umso
grösser, je höher die Dosierung und je
länger die Anwendungsdauer ist. Eine
regelmässige, chronische Einnahme ist
deshalb kritischer zu werten als eine
Kurzzeitanwendung. Weitere Risikofaktoren für PUBs sind:
– Alter >60 Jahre
– gleichzeitige Einnahme von Kortikosteroiden, Antikoagulanzien, weiteren
NSAR und Alkohol
– Ulzera und Magenblutungen in der
Anamnese
NSAR können zu Nierenversagen
führen. Ursache ist eine verminderte
Nierendurchblutung wegen der Hemmung von Prostaglandinen mit Gefäss
erweiternder Wirkung. Das Risiko ist
besonders vorhanden bei älteren Personen, Herzinsuffizienz, Hypertonie,
Diabetes, Diuretikabehandlung. Als
speziell gefährdend gilt die Kombination von NSAR mit Diuretika und ACEHemmern oder Sartanen. [13] Verschiede NSAR reduzieren in unterschiedlichem Ausmass die Wirkung
von Antihypertensiva. Eine Überwachung der Nierenfunktion und des
Blutdruckes ist für NSAR in OTC-Dosierung in der Regel bei einer Einnahmedauer von mehr als 1 bis 2 Wochen
notwendig (14).
NSAR hemmen die Thrombozytenaggregation und verlängern dadurch
die Blutungszeit. Die Aggregationshemmung dauert mit ASS ca. eine
Woche (kovalente Bindung an die
Cyclooxygenase), bei Naproxen, Ibuprofen und Diclofenac ca. 1–2 Tage
(reversible Bindung an die Cyclooxygenase). [3, 15, 16] Vor Operationen
wird empfohlen, die NSAR 7–10 Tage
vor dem Eingriff abzusetzen. [17]
Journal suisse de pharmacie, 7/2004
256
Ibuprofen kann ASS an den Bindungsstellen der COX konkurrenzieren
und dadurch die länger anhaltende antithrombotische Wirkung von ASS antagonisieren. [12] Wird ASS zur Thromboseprophylaxe eingesetzt, sollte es
nach dem heutigen Stand des Wissens
mindestens 2 Std. vor Ibuprofen geschluckt werden. [18]
Patienten, die NSAR und gleichzeitig
Lithium, Methotrexat, orale Antikoagulanzien, Heparine oder Kortikosteroide
anwenden, müssen überwacht werden.
Diesen Patienten sollen NSAR nicht aktiv empfohlen werden.
Die Aspirin-Intoleranz mit evtl. lebensbedrohlichen Bronchospasmen
kommt bei Personen mit Asthma, Nasenpolypen und Urtikaria gehäuft vor.
Alle NSAR sind kontraindiziert bei jenen Patienten, bei denen Aspirin oder
andere nichtsteroidale Antirheumatika
Asthmaanfälle, Urtikaria oder akute
Rhinitis auslösen.
Der Zusammenhang von ASS mit
dem Reye Syndrom (evtl. tödliche
Enzephalopathie und Hepatopathie) ist
nicht eindeutig gesichert. Trotzdem
wird empfohlen, bei Kindern unter
12 Jahren mit Virusinfektionen ASS zu
vermeiden.
NSAR können im 1. und 2. Trimenon der Schwangerschaft eingesetzt
werden. In den letzten drei Schwangerschaftsmonaten sollen wegen erhöhtem
Blutungsrisiko während der Geburt
und der Gefahr des vorzeitigen Verschlusses des Ductus Botalli keine
NSAR eingesetzt werden. Niedrige Dosen sind für stillende Mütter erlaubt.
Wahl des Analgetikums
Die von der Behörde zugelassenen Indikationen sind für alle Analgetika dieselben. Es sind dies Menstruationsschmerzen, Kopf- und Rückenschmerzen, Schmerzen im Bereich von Gelenken und Bändern, Schmerzen nach
Verletzungen und Zahnschmerzen.
Paracetamol gilt jedoch bei Schmerzen
mit Beteiligung von Entzündungsprozessen als weniger wirksam als die
NSAR. Inwiefern sich die einzelnen
NSAR bei den verschiedenen Indikationen in ihrer Wirksamkeit unterscheiden, kann auf Grund der vorhandenen
Studien nicht beurteilt werden. Als Kriterien für die Wahl des Analgetikums
sind deshalb vor allem die Verträglichkeit und Sicherheit, sowie der Wir-
41592_SAZ_7_s_254_257b
25.3.2004
15:57 Uhr
Seite 257
PHARMAZIE UND MEDIZIN
PHARMACIE ET MÉDECINE
kungseintritt und die Wirkungsdauer
massgebend.
Paracetamol ist am besten verträglich und führt zu keinen klinisch relevanten Interaktionen. Es ist das Mittel
der Wahl bei Erkältungen, für Säuglinge und Kinder, in der Schwangerschaft
und Stillzeit sowie bei Kontraindikationen der NSAR. Es kann als einziges
Analgetikum mit Antikoagulanzien
kombiniert sowie vor und nach Operationen und an Hämophilie-Patienten
gegeben werden.
Von den NSAR weist Ibuprofen das
beste Nutzen-Risikoverhältnis auf [3]
mit der geringsten Rate für gastrointestinale Probleme. Es eignet sich dank
der schnell löslichen Salzformen zur
schnellen Schmerzlinderung. [9,19]
Dank der langen Halbwertszeit ist
Naproxen bei länger anhaltenden
Schmerzen von Vorteil. Wegen der vergleichsweise schlechteren Verträglichkeit ist ASS trotz der guten analgetischen
Wirkung nicht ein NSAR der ersten Wahl.
Kopfschmerzpatienten
Der Verlust der gewohnten Medikamente hat vor allem bei Kopfschmerzpatienten grosse Verunsicherung und
Klagen über ungenügende Wirksamkeit
der Monopräparate ausgelöst. Mit Informationen zur richtigen Dosierung
und Anwendung der Monopräparate
durch die Apothekenmitarbeiter kann
das Kopfschmerzmanagement dieser
Patienten optimiert werden.
Die «Swiss Migraine Trust Foundation» (www.migraine-action.ch) [20]
empfiehlt in der Apotheke folgende
Therapie für akute Kopfschmerzen:
– Migräne: 20 mg Domperidon (Motilium®), nach 15 Minuten Ibuprofen,
ASS, Naproxen oder Paracetamol, an
maximal 14 Tagen pro Monat. (Dosierung: vgl. OTC-Dosierungen bei
starken Schmerzen in Tab. 1).
– Spannungkopfschmerzen: alle rezeptfreien analgetischen Wirkstoffe,
an maximal 4 Tagen pro Monat.
Für Patienten, die nach einer Versuchphase von adäquater Dauer mit der
Monotherapie keinen Erfolg haben, ist
ein Versuch mit einer Kombination mit
Coffein möglich. (Contraschmerz® plus
ASS + Coffein, Kafa® plus, Sanalgin® N:
Paracetamol + Coffein). Der Coffeinzusatz scheint durch die analeptische und
gefässtonisierende Wirkung einen Zusatznutzen bei Kopfschmerzen zu ha-
ben. [21] Allerdings enthält eine Tablette mit 50 mg Coffein weniger als eine Tasse Kaffee. Benorilat, ein Prodrug
aus ASS und Paracetamol, hat die gleichen Eigenschaften und Einsatzgebiete
wie die Metaboliten. Ein spezifischer
Vorteil für dieses Prodrug bzw. für die
Kombination von Paracetamol mit
NSAR konnte nicht identifiziert werden.
Rezeptiert ein Arzt eine der abregistrierten Kombinationen, z.B. Propyphenazon und Coffein, ist es erlaubt,
diese in der Apotheke herzustellen,
wenn die entsprechenden Arzneistoffe
in der Pharmacopoe beschrieben sind
und nicht aus der Stoffliste gestrichen
wurden.
Analgetika-Kombinationen werden
jedoch von den Fachgesellschaften
schon seit langem als Gefahrenquelle
für Abhängigkeit und chronische Kopfschmerzen identifiziert, besonders bei
regelmässiger und überhöhter Einnahme mit Ergotamin. Das Problem wird
durch Kombination mit zentral wirksamen Substanzen verstärkt, wobei auch
Coffein nicht unumstritten ist.
OTC-Analgetika –
alle Gefahren gebannt?
5 analgetische Arzneistoffe in 131 Spezialitäten (ASS 24, Paracetamol 75,
Ibuprofen 28) zur rezeptfreien Behandlung von Schmerzen. Dazu dieselben Arzneistoffe in diversen Grippemitteln und rezeptpflichtigen Antirheumatika und Analgetika. Damit besteht die
grosse Gefahr, dass die Patienten mehr
als ein Markenpräprarat mit dem gleichen Wirkstoff verwenden. Das kann
dazu führen, dass sie unwissentlich
höhere als die empfohlenen Dosen einnehmen und das Risiko für unerwünschte Wirkungen und Interaktionen, das bei OTC-Dosierungen in der
Regel klein ist, zunimmt. Um die Patienten vor Problemen zu schützen, ist
die Aufklärungsarbeit des Apothekenteams wichtig. Bei Analgetikaverkäufen
sollten den Patienten einige wichtige
Informationen vermittelt werden:
1. Analgetika, Grippemittel und rezeptpflichtige Antirheumatika können
die gleichen Wirkstoffe enthalten.
2. Die Wirkstoffe können auf der
Packung oder im Beipackzettel
identifiziert werden.
3. Arzneimittel mit gleichen Wirkstoffen
nicht gleichzeitig einnehmen, ohne
vorher eine Fachperson zu fragen.
257
Schweizer Apothekerzeitung, 7/2004
Das Thema – gleicher Wirkstoff verschiedene Markennamen – ist für die
Arzneimittelsicherheit von grosser Bedeutung, besonders auch im Hinblick
auf den zunehmenden Gebrauch von
Generika – und könnte in einer
schweizerischen Kampagne durch die
Apotheker aufgegriffen werden.
■
Korrespondenzadresse
Arzneimittelkommission der
Schweizer Apotheker AKA
Postfach 5247
3001 Bern
Tel. 01 994 75 63
Fax 01 994 75 64
E-Mail: [email protected]
Literaturverzeichnis auf Anfrage
Dieser Artikel wurde im Auftrag der AKA geschrieben von
Dr. Friedrich Möll, Spitalapotheker FPH
Kantonsspital-Apotheke Winterthur
Dr. Marianne Beutler, Geschäftsführerin AKA
Herunterladen