Verdampfungsgleichgewicht

Werbung
Modul
Chemische Thermodynamik:
Verdampfungsgleichgewicht
M. Broszio, F. Noll, Oktober 2007, Korrekturen September 2008
Lernziele
Ziel dieses Versuches ist es einen Einblick in die Beschreibung von Phasengleichgewichten
durch die CLAUSIUS-CLAPEYRONsche Gleichung zu erhalten.
Stichworte zur Vorbereitung
Reversibler/irreversibler Prozess, chemisches Potential, Phasendiagramm, Dampfdruckkurve,
CLAPEYRONsche Gleichung, CLAUSIUS-CLAPEYRONsche Gleichung, ideales Gasgesetz.
1. Theoretischer Teil
1.1 Zustandsfunktionen
Bei einer Phasenumwandlung wie dem Übergang flüssig-gasförmig ändern sich stets mehrere
thermodynamische Größen. Die dem System zugeführte Wärme qrev kann in Arbeit W oder
Änderung der inneren Energie U resultieren.
δqrev = dU − δW
(1.1)
Erfolgt der Phasenübergang isobar (d.h. ohne eine Änderung des äußeren Drucks), wie es in
offenen Systemen der Fall ist, so handelt es sich bei der vom System geleisteten Arbeit um
Druck-Volumen-Arbeit
(1.2)
δW = − p ⋅ dV
Mit (1.1) ergibt sich aus (1.2)
δq rev = dU + p ⋅ dV
(1.3)
Die nach (1.3) gegebene, reversibel ausgetauschte Wärmemenge hängt nur von Zustandsgrößen ab und wird als Enthalpie H bezeichnet:
dH = dU + p ⋅ dV
(1.4)
Diese Äquivalenz von Wärmemenge und Enthalpie gilt bei isobarer und reversibler Prozessführung:
(∂H )P = δqrev
(1.5)
Für die reversibel ausgetauschten Wärme gilt nach CLAUSIUS
1
dS =
δqrev
T
(1.6)
Aus (1.3) und (1.6) folgt für die Entropie
T ⋅ dS = dU + p ⋅ dV
(1.7)
Nun kann nach GIBBS und HELMHOLTZ eine weitere Größe eingeführt werden – die freie
Enthalpie. Für sie gilt:
dG = dH − T ⋅ dS ≤ 0
(1.8)
Die freie Enthalpie muss kleiner oder gleich Null sein.
Da die bei einem Phasenübergang vom System aufgenommene oder abgegebene Wärmemenge der Umgebung entzogen oder zugeführt worden sein muss, steht einer Zunahme der
Entropie im System immer eine Abnahme der Entropie der Umgebung entgegen oder umgekehrt. Bei reversibler Prozessführung ist die Änderung der Gesamtentropie daher gleich null:
dS System + dSUmgebung = 0
(1.9)
Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik kann die Entropie in System und Umgebung niemals abnehmen. Daher kann (1.9) für irreversible Prozesse verallgemeinert werden
zu
(1.10)
dS System + dSUmgebung ≥ 0
Die Entropie der Umgebung muss analog zu (1.6) gegeben sein über
δqUmgebung
T
= dSUmgebung
(1.11)
Diese Umformung basiert auf der Näherung, dass die Umgebung ein sehr großer Thermostat
ist, und daher Wärmeübertragungen praktisch reversibel sind, auch wenn dies nicht für das
System gilt.
Es müssen außerdem die zwischen System und Umgebung ausgetauschten Wärmemengen
den gleichen Betrag und umgekehrte Vorzeichen haben, so dass gelten muss
δqUmgebung = −δqSystem
(1.12)
Wird (1.12) in (1.11) eingesetzt, und der so gewonnen Ausdruck wiederum in (1.10), so ergibt
sich
δq
dS system − System ≥ 0
(1.13)
T
Durch Multiplikation mit T ergibt sich
2
T ⋅ dS System − δq System ≥ 0
(1.14)
T ⋅ dS System − dH ≥ 0
(1.15)
dH − T ⋅ dS System ≤ 0
(1.16)
Mit (1.5) folgt
(1.16) ist aber gerade der Ausdruck für die freie Enthalpie des Systems. Nur wenn dG kleiner
als Null ist, kann mit dem spontanen Ablaufen eines Prozesses oder einer Reaktion gerechnet
werden: Nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik muss die Energie eines Systems
konstant bleiben.
Wird der in (1.3) auftauchenden Ausdruck für W aufgeteilt in
δW = − p ⋅ dV + δWsonst
(1.17)
wobei δWsonst die neben der Druck-Volumen-Arbeit geleistete Arbeit bezeichnet, so ergibt
sich
dU + p ⋅ dV = δqrev + δWsonst
(1.18)
Mit (1.4), (1.6) und (1.8) folgt
dH − T ⋅ dS = dG = δWsonst
(1.19)
Bei konstantem Druck und reversibler Prozessführung kann das System neben der DruckVolumen-Arbeit nur noch diejenige Arbeit leisten, welche der Änderung der GIBBS-Energie
entspricht.
1.2 Verdampfungsgleichgewicht
Aus einer Flüssigkeit können infolge der kinetischen Energie der Moleküle einzelne Teilchen
die intermolekularen Anziehungskräfte überwinden in die Gasphase übertreten. Der Partialdruck der Gasmoleküle der sich hierbei über der Flüssigkeit aufbaut wird als Dampfdruck bezeichnet. Er ist unabhängig vom Volumen der Flüssigkeit und des Dampfes und hängt nur von
der Temperatur ab (vgl. hierzu Temperaturabhängigkeit der BOLTZMANN-Verteilung).
Da beständig auch Moleküle aus der Gasphase wieder in die flüssige Phase übertreten, stellt
sich bei Kontakt zwischen der flüssigen und der gasförmigen Phase eines Reinstoffs in einem
geschlossenen System ein dynamisches Gleichgewicht ein, in welchem der Dampfdruck einen
charakteristischen Wert besitzt.
In einem solchen Gleichgewichtszustand muss gelten, dass das chemische Potential der einen
Phase dem chemischen Potential der anderen Phase entspricht. Anderenfalls wäre kein
Gleichgewicht gegeben, da Stoffe immer nach einem minimalen chemischen Potential streben.
Allgemein gilt für das chemische Potential eines Stoffes
3
⎛ ∂G ⎞
⎟
⎝ ∂n ⎠ p ,T
μ =⎜
(2.1)
(n Stoffmenge, p Druck, T Temperatur)
In Reinstoffen, wie sie bei dem Experiment betrachtet werden, entspricht das chemische Potential μ der freien Enthalpie:
⎛ ∂G ⎞
μ =⎜
(2.2)
⎟ = Gm
⎝ ∂n ⎠ p ,T
(Gm freie molare Enthalpie)
μ fl sei das chemische Potential der flüssigen Phase, μ gas das chemische Potential der
gasförmigen Phase. Wird eine Substanzmenge dn von der flüssigen in die Gasphase gebracht,
so ändert sich die Energie der flüssigen Phase um − μ fl ⋅ dn , die Energie der Gasphase nimmt
um μ fl ⋅ dn zu, so dass für die Gesamtenergie des Systems gilt
dG = ( μ gas − μ fl ) ⋅ dn
(2.3)
(G freie Enthalpie)
Nur wenn beide Phasen im Gleichgewicht stehen,
sind die chemischen Potentiale beider Phasen
gleich und dG = 0.
Die chemischen Potentiale im jeweiligen Aggregatzustand eines Reinstoffs sind von Temperatur T
und Druck p abhängig. Da bei unterschiedlichen
Drücken und Temperaturen unterschiedliche Aggregatzustände das niedrigste chemische Potential
besitzen, kommt es zu Phasenübergängen.
Sind flüssige und gasförmige Phase im Gleichgewicht, gilt
(2.4)
μ fl = μ gas
Abb. 1: Stabilität verschiedener Phasen bei
steigender Temperatur (schematisch) [1].
Somit sind auch
Die Änderung von Temperatur und Druck führt zu
einem neuen Gleichgewicht, für das gelten muss
μ fl + d μ fl = μ gas + d μ gas
(2.5)
d μ fl = d μ gas
(2.6)
Für beide Seiten kann das totale Differential aufgestellt werden. Hierbei gilt folgender Zusammenhang mit Entropie S und Volumen V
⎛ ∂μ ⎞
⎜
⎟ = −S
⎝ ∂T ⎠ p
(2.7)
4
⎛ ∂μ ⎞
⎜
⎟ =V
⎝ ∂p ⎠T
und
(2.8)
(Anm.: aus (2.7) erklärt sich auch die unterschiedliche Steigung in Abb. 1. Die Entropie ist für
ein Gas höher als für eine Flüssigkeit, somit nimmt μgas schneller bei wachsender T ab.)
Aus dem totalen Differential
⎛ ∂μ fl ⎞
⎛ ∂μ fl ⎞
⎛ ∂μ gas ⎞
⎛ ∂μ gas ⎞
⎜
⎟ ⋅ dT + ⎜
⎟ ⋅ dp = ⎜
⎟ ⋅ dT + ⎜
⎟ ⋅ dp
⎝ ∂T ⎠ p
⎝ ∂p ⎠T
⎝ ∂T ⎠ p
⎝ ∂p ⎠T
folgt die CLAPEYRONsche Gleichung
ΔS dp
=
ΔV dT
(2.9)
(2.10)
Da die Enthalpieänderung der beim Phasenübergang reversibel ausgetauschten Wärme entspricht, kann aus dieser Gleichung mit der Beziehung von CLAUSIUS
dS =
δ qrev
T
(2.11)
die CLAUSIUS-CLAPEYRONsche Gleichung erhalten werden:
dp
ΔH
=
dT T ⋅ ΔV
(2.12)
Vgas V fl
(2.13)
Unter der Annahme, dass
und unter Verwendung des idealen Gasgesetzes
V=
ergibt sich hieraus
n ⋅ R ⋅T
p
dp ΔH ⋅ p
=
dT
T²⋅R
(2.14)
(2.15)
Wird p in Abhängigkeit von T aufgetragen, ergibt sich die Dampfdruckkurve des Phasendiagramms.
Stellt Δp ΔT die Steigung des Graphen durch die Steigung der Sekante durch den jeweils
nächsten Messpunkt dar, so gilt für die Verdampfungsenthalpie Hvap
ΔH vap =
Δp R ⋅ T 2
⋅
ΔT
p
(2.16)
5
Für jeden Punkt auf dieser Kurve kann so
die Steigung ermittelt werden, woraus
sich die Enthalpie berechnen lässt.
Gleichung (2.15) kann jedoch noch weiter umgeformt werden. Es gilt
1
ΔH
⋅ dp =
⋅ dT
p
T²⋅R
(2.17)
Dieser Ausdruck kann integriert werden:
1
ΔH
∫ p dp = ∫ T ² ⋅ R dT
(2.18)
und man erhält
Abb. 2: Phasendiagramm (schematisch) nach [1].
⎛ p⎞
ΔH ⎛ 1 1 ⎞
ln ⎜ ⎟ = −
⎜ − ⎟ (2.19)
R ⎝ T T1 ⎠
⎝ p1 ⎠
Bei einer Auftragung von ln ( p p1 ) gegen 1/T ergibt sich eine Gerade, welche die Steigung
- ΔH/R besitzt. Durch Multiplikation der graphisch ermittelten Steigung mit –R kann daher
ebenso die Enthalpie ermittelt werden (p1 sei der niedrigste gemessen Druck im Versuch).
Für eine reversible Prozessführung ist zu erwarten, dass ΔG = 0. Wird dem System jedoch
weitere Arbeit zugeführt, so muss diese nach (1.19) der freien Enthalpie entsprechen. Im
Standardzustand muss der Dampfdruck p reversibel auf den Standarddruck pStandard gebracht
werden. Hierzu ist Arbeit notwendig. Im Standardzustand(Symbol °) gilt daher
⎛ p ⎞
ΔG° = −n ⋅ R ⋅ T ⋅ ln ⎜
⎟ = − n ⋅ R ⋅ T ⋅ ln { p}
⎝ pStandard ⎠
(2.20)
Mit dieser freien Standardenthalpie und der nach (2.19) ermittelten Standardenthalpie lässt
sich auch die Standardentropie berechnen. Es gilt analog zu (1.8)
ΔG° = ΔH ° − T ⋅ ΔS °
(2.21)
Dieser Ausdruck kann nach der Entropie umgeformt werden:
ΔS ° =
⎛ p ⎞
ΔH ° − ΔG° ΔH
=
+ n ⋅ R ⋅ ln ⎜
⎟
T
T
⎝ pStandard ⎠
(2.22)
6
2. Praktischer Teil
Die Dampfdruckmessung wird mit einem Isoteniskop (Abb. 3) durchgeführt. Die apparative
Anordnung zeigen Abb. 3 bis 5.
Abb. 4: Aufbau der Messapparatur
Das Isoteniskop (vorne rechts
bzw. Ausschnitt) wird mit der
zu untersuchenden Flüssigkeit wie gezeigt befüllt, an
die Vakuumapparatur mit
verschiedenen Ventilen (rot)
angeschlossen (sichern!) und
in den mit Wasser gefüllten
Thermostaten verbracht. Eine
große Waschflasche dient als
Sicherheitsflasche zwischen
der Wasserstrahlpumpe und
der übrigen Apparatur. Mit
den Hähnen 1 und 4, die mit
verschieden dicken Kapillaren verbunden sind, lässt
sich der Druck im
Innern der Apparatur
grob und fein regeln.
Durch die angeschlossene Pumpe kann der
Druck im System herabgesetzt werden.
Abb. 3: Isotheniskop.
Zur Entfernung der Luft
zwischen K und D wird
die Apparatur bei Zimmertemperatur vorsichAbb. 5: Schematische Darstellung der Messapparatur
tig evakuiert, bis keine
Gasblasen mehr austreten. Sodann stellt man K und D in den Thermostaten. Beim Erwärmen
des Thermostaten erhöht sich der Dampfdruck über der Flüssigkeit. Hierdurch wird die Flüssigkeit im Hilfsmanometer verschoben. Ist die gewünschte Untersuchungstemperatur erreicht
kann durch Öffnen der Ventile der Druck schrittweise so erhöht werden, dass die
7
Flüssigkeitsstände im Hilfsmanometer gleich sind – der Druck im System ist gleich dem
Dampfdruck über der Flüssigkeit.
3. Aufgaben
1. Für verschieden Flüssigkeiten (z.B. Benzol, Cyclohexan, Wasser, Ethanol) wird der
Dampfdruck p bei etwa 10 Temperaturen zwischen Zimmertemperatur und Siedetemperatur
der betrachteten Flüssigkeit bei Atmosphärendruck gemessen.
2. Man trage p in Abhängigkeit von T und ln ( p p1 ) in Abhängigkeit von 1/T auf. Es wird
∆H berechnet (2.12 und 2.19). Mit dem erhaltenen Wert sind ∆S° und ∆G° für verschiedene
Temperaturen zu berechnen. Die erhaltenen Größen sind mit ∆S und ∆G bei denselben Temperaturen zu vergleichen. Warum gibt es Unterschiede?
3. Für eine vorgegebene Temperatur ist die bei der Verdampfung vom System nach außen
geleistete Druck-Volumen-Arbeit zu berechnen und die Energie mit der dem System von außen zugeführten Wärmeenergie zu vergleichen.
4. Die CLAUSIUS-CLAPEYRONsche Gleichung kann auch auf andere Phasengleichgewichte
übertragen werden, etwa für den Übergang fest-flüssig. Für Wasser ist ΔH = 6,01 kJ mol-1
und ΔV = -1,62 cm3 mol-1. Bei welcher Temperatur schmilzt Eis, wenn es bei einem Druck
von 400 bar untersucht wird?
4. Literatur
[1] P.W. Atkins: Physical Chemistry, Eigth Edition, Oxford University Press 2006
[2] Skript zum Versuch „Verdampfungsgleichgewicht“ (Diplom), Marburg 2007
[3] G. Kortüm, H. Lachmann: Einführung in die chemische Thermodynamik. Verlag Chemie,
Weinheim 1981.
[4] W.A.P. Luck. Modellbetrachtung einfacher Flüssigkeiten. Angew. Chem. 91, 408 (1979).
[5] J. Walker: What Happens when Water Boils? Sci. Am. 247, 144, Dec. 1982.
[6] M.J. Perona: The Free Energy Change During the Vaporisation of a Liquid. J. Chem.
Educ. 56, 727 (1979).
8
Herunterladen