1 Einleitung Listeria (L.) monocytogenes ist als Erreger der Listeriose des Menschen seit längerem bekannt. Unter den sechs anerkannten Listerienarten stellt L. monocytogenes lebensmittelhygienisch zweifelsfrei die bedeutendste Art dar. Gesundheitsschädliche Stämme dieser Spezies sind ubiquitär verbreitet und als sogenannte geophile Umweltkeime immer wieder in Lebensmitteln anzutreffen. Aus lebensmittelhygienischer Sicht von besonderer Bedeutung ist die Kältetoleranz des Erregers. So vermögen sich L. monocytogenesStämme bei üblichen Kühlschranktemperaturen zu vermehren, eine Eigenschaft, die als psychrophil (kälteliebend) bezeichnet wird. Daher sind Nahrungsmittel, in denen sich der Erreger trotz Kühlung vermehren kann, auch Hauptvektoren für Infektionen des Menschen. Ausbrüche sind in Europa, Nordamerika und Japan beschrieben worden. Obgleich Listerien einschließlich L. monocytogenes auch bei Tieren weit verbreitet sind, gibt es kaum Berichte über „Tier-zu-Mensch“-Infektionen. Der im Vordergrund stehende alimentäre Infektionsweg wurde erst relativ spät erkannt, obgleich SEELIGER bereits 1961 über ein Ausbruchsgeschehen, das sich in Deutschland über einen Zeitraum von 1949 bis 1951 erstreckte, berichtet hatte. Großen Verdienst hatten bezüglich der Listeriose-Forschung in Deutschland der Mikrobiologe Potel und der Pathologe Reiss. Beide, im Range eines Medizinprofessors an der Universität Halle, wiesen 1950 auf die ätiologische Bedeutung von L. monocytogenes bei der Granulomatosis infantiseptica, einer häufig zu Aborten führenden Infektion des Föten, hin. Aufgrund der weiten Verbreitung von L. monocytogenes im landwirtschaftlichen Produktionsbereich, kann der alimentäre Infektionsweg direkt und indirekt immer wieder unterhalten werden. Die Listeriose ist eine in mannigfaltiger Form verlaufende bakterielle Infektion beim Menschen sowie bei zahlreichen Tierarten (z. B. Rind, Schaf, Geflügel, Nager, Fische). Die Listeriose des Menschen ist eine invasiv verlaufende Erkrankung, vornehmlich bei Schwangeren, Neugeborenen, Kleinkindern und immungeschwächten Erwachsenen. Klinisch können Listeriosen bei Menschen u. a. als Meningitis und/oder Enzephalitis mit gelegentlicher Absiedlung auch in andere Organe in Erscheinung treten. Besonders gefürchtet sind Infektionen des Föten mit Septikämien und Listeriombildungen in den Organen. Nicht selten kann es bei Schwangeren zu vorzeitigen Wehen und Aborten kommen. Die Listeriosen weisen mit 91 % unter den bekannten Lebensmittelinfektionen die höchste Hospitalisationsrate auf (MEAD et al., 1999). Zunehmend werden auch nichtinvasive Erkrankungsverläufe bei immunkompetenten Erwachsenen beschrieben. Diese äußern sich als fieberhafte Gastroenteritis, die in aller Regel selbstlimitierend ist. Bei Tieren kommt es zumeist zu septischen Allgemeininfektionen, Meningitiden, Aborten sowie zu örtlichen Abszessen. Die bei Schafen auch als „Drehkrankheit“ bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts diagnostizierte Listeriose wurde sehr frühzeitig auf die Verfütterung von Silage zurückgeführt („Silofutterkrankheit“). Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hat es aber schon Berichte über Listerieninfektionen gegeben (GRAY und KILLINGER, 1966). Listeria monocytogenes 9 1 Einleitung Seit 1980 hat es wenigstens fünf größere Lebensmittelinfektionsausbrüche (mehr als 100 Erkrankte) durch L. monocytogenes gegeben. Der bisher größte Ausbruch mit 1.566 Erkrankten ereignete sich 1997 in Italien. Der erste größere Ausbruch, der das Interesse der Wissenschaft und der Öffentlichkeit auf diesen Erreger lenkte, war ein Ausbruch durch Weichkäse 1985 in Kalifornien mit 142 Erkrankten und 48 Todesfällen. Der Ausbruchsstamm konnte sowohl aus einer „Mexican-Style“-Käseprobe als auch aus dem entsprechenden Herstellungsbereich isoliert werden (LINNAN et al., 1988). Das in Europa von 1983 bis 1987 andauernde Ausbruchsgeschehen mit 122 Erkrankten, davon etwa die Hälfte Neugeborene, und 31 Todesfällen, hatte das Interesse bald auf Weichkäse (Vacherin Mont d’Or) als entscheidendem Vektor gelenkt (BILLE, 1990). Die statistisch signifikante Zunahme der humanen Listeriosen in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren (ANONYMOUS, 2007) dürfte weniger in einem geänderten Meldeverhalten oder einer Verbesserung der diagnostischen Verfahren begründet liegen; vielmehr könnten die Zunahme prädisponierender Grunderkrankungen in einer immer älter werdenden Gesellschaft, und dabei auch das Ernährungsverhalten der besonders häufig betroffenen älteren Menschen, eine bedeutsame Rolle spielen. Durchaus übliche Kühlschranktemperaturen um 8 bis 10 °C begünstigen eine Vermehrung der psychrophilen L. monocytogenes-Stämme. Untersuchungen in den USA ergaben, dass in immerhin 64 % der einbezogenen Kühlschränke mindestens ein Lebensmittel mit L. monocytogenes kontaminiert war. Es wird somit deutlich, dass sich hier – und zwar zwingend – das Erfordernis nach Information und Beratung, ganz im Sinne einer Risikokommunikation, ergibt. Obgleich andere Infektionswege existieren, muss die durch Lebensmittel getragene Listerieninfektion als eindeutig im Vordergrund stehend angesehen werden. Die hohe Prävalenz von L. monocytogenes in Lebensmitteln und die hohe Letalität bei Listeriose-Ausbrüchen von ca. 20-30 % und, je nach Risikogruppe, auch erheblich höher, gebietet eine intensive Befassung mit diesem Erreger und darauf ausgerichteten Präventionsmaßnahmen. Die vorliegende Broschüre möge hierzu einen Beitrag leisten. Sie ist gedacht für alle am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Personen, seien es Lebensmittelunternehmer, die für die Überwachung der Lebensmittel zuständigen Behörden, für Studierende der Veterinär- und Humanmedizin, der Ernährungs- und Haushaltswissenschaften sowie für Lebensmitteltechnologen und -chemiker. Literatur ANONYMOUS (2007): Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten. Epid. Bull. 38, 20 BILLE, J. (1990): Epidemiology of human listeriosis in Europe, with special reference to the Swiss outbreak. In: MILLER, A. J., BLANCO, M., FERNANDEZ-GARYZABAL, J. F., DOMINGUEZ, L., BRIONES, V., VAZQUEZBOLAND, J. A., BLANCO, J. L., GARCIA, J. A. und G. SUAREZ (1989): A technique for the direct identification of haemolytic-pathogenic listeria in selective plating media. Lett. Appl. Microbiol. 9, 125-128 10 Behr’s Verlag, Hamburg Literatur GRAY, M. L. und A. H. KILLINGER (1966): Listeria monocytogenes and listeric infections. Bact. Rev. 30, 309-382 LINNAN, M. J., MASCOLA, L., LOU, X. D., GOULET, V., MAY, S., SALMINEN, C., HIRD, D. W., YONEKURA, M. L., HAYES, P., WEAVER, R., AUDURIER, A., PLIKAYTIS, B. D., FANNIN, S., KLEKS, A., und C. V. BROOME (1988): Epidemic listeriosis associated with mexican-style cheese. N. Engl. J. Med. 319, 823-828 MEAD, P. S., SLUTSKER, S., DIETZ, V., MCCAIG, L. F., BRESEE, J. S., SHAPIRO, C., GRIFFIN, P. M. und R. V. TAUXE (1999): Food related illness and death in the United States. Emerg. Infect. Dis. 5, 607625 SEELIGER, H. P. R. (1961): Listeriosis. Hafner Press, New York 112-162 Listeria monocytogenes 11