Deutsches Ärzteblatt 1988: A-1373

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DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
AKTU LLE MEDIZIN
Infektionen mit
Listeria monocytogenes
Übertragung des Erregers auch über Lebensmittel möglich
Durch eine Epidemie in den USA wurden frühere Vermutungen bestätigt, daß
die Listeriose auch durch Lebensmittel übertragen werden kann. Die Listeriose
ist eine vor allem durch Listeria monocytogenes hervorgerufene Infektionskrankheit bei Menschen und Tieren. Konstitutionelle und dispositionelle Faktoren begünstigen eine klinische Manifestation der Infektion.
Eberhard Bulling, Arno Schönberg und Heinz Paul Richard Seeliger
1 Einführung in die
3. derzeitige Problematik
Neunzehnhundertfünfundachtzig ist in den USA (Südkalifornien)
eine Listerioseepidemie mit 101 Erkrankungen, davon 30 mit tödlichem
Ausgang, aufgetreten, bei der eine
bestimmte Käseart als Überträger
von Listeria monocytogenes (L. m.)
verantwortlich gemacht wurde.
Durch diese gefährliche Epidemie
wurden frühere Vermutungen bestätigt, daß die Listeriose auch durch
Lebensmittel übertragen werden
kann Zur Zeit werden in verschiedenen Ländern Untersuchungen
über das Vorkommen von Listerien
in Lebensmitteln durchgeführt. Erste Ergebnisse zeigen, daß insbesondere in Lebensmitteln tierischer
Herkunft mit dem Vorkommen von
Listeria monocytogenes gerechnet
werden muß. Um die Diagnose der
Listeriose beim Menschen zu erleichtem und zu verbessern, werden
folgende Informationen und Empfehlungen gegeben.
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Bakteriologie
der Listerien
Die Listeriose ist eine vor allem
durch Listeria monocytogenes hervorgerufene Infektionskrankheit bei
Menschen und Tieren, die auch
Keimträger (Ausscheider) ohne klinische Krankheitszeichen sein kön-
Im Vergleich zur weiten Verbreitung von Listeria monocytogenes und der damit verbundenen
Möglichkeiten von Infektion und latenter Erkrankung ist die Zahl klinisch manifester Listeriose-Erkrankungen gering. Konstitutionelle
(Resistenzminderung) und dispositionelle Faktoren (Berufsexposition)
scheinen eine klinische Manifestation zu begünstigen.
Resistenzmindernd sind: virusbedingte Erkrankungen, chronische
Erkrankungen wie Tuberkulose,
Diabetes, Tumoren, kanzerotoxische beziehungsweise immunsuppressive Therapie; Lebensalter:
Neugeborene und Greisenalter,
Schwangerschaft. Die Inkubationszeit kann einige Tage bis mehrere
Wochen betragen.
3.1 Listeriose des Zentralnervensystems: Meningitis, Meningoenzephalitis, Enzephalitis
(Meldepflicht für Erkrankungsund Todesfall)
Je nach Lokalisation der Erkrankung leicht trüber, eiweißhaltiger eitriger Liquor mit meist starker
Leukozytose. Der Liquor-Zucker ist
überwiegend vermindert. Häufig besteht hohes Fieber. Der klinische
Verlauf der Meningitis entspricht in
der Regel dem anderer bakterieller
Meningitiden. Diese zentralnervöse
Form entsteht beim Früh- und Neugeborenen meist in Folge einer intrauterinen Infektion, im späteren
Kindesalter und beim Erwachsenen
hämatogen.
3.2 Konnatale Listeriose (akutseptische oder diaplazentare Listeriose): „Granulomatosis infantiseptica" (Meldepflicht für
Institut für Veterinärmedizin (Direktor und
Professor Dr. med. vet. Eberhard Bulling)
des Bundesgesundheitsamtes Berlin
Mutter (Schwangere): „grippaler Infekt" mit pyelonephritischen
oder enteritischen Zeichen, Tage bis
nen. Das Genus Listeria enthält L.
monocytogenes und L. ivanovii als
menschenpathogene Spezies neben
den apathogenen Arten L. innocua,
L. seeligeri und L. welshimeri Listerien sind bei Tieren und in der
Umwelt weit verbreitet. Die grampositiven, beweglichen Stäbchen
bieten mikroskopisch ein pleomorphes Bild; man findet kokkoide
Stäbchen, Diplo- und Kurzkettenformen beziehungsweise Fadenbildung. Die Listerien sind im Temperaturbereich von 4° C bis 39° C vermehrungsfähig. Pathogene Stämme
zeigen in der Regel auf Schafblutagar nach 24 Stunden eine Beta-Hämolyse, apathogene Arten sind dagegen nicht hämolysierend.
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Klinische
Erscheinungen
Erkrankungs- und Todesfall)
Dt. Ärztebl. 85, Heft 19, 12. Mai 1988 (63)
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-
Wochen vor Niederkunft, die meist
vor dem errechneten Geburtstermin
erfolgt. Verringerung der Kindsbewegungen.
Kind: Frühtotgeburt, Frühgeburt oder Geburt zum errechneten
Geburtstermin Mekoniumhaltiges
Fruchtwasser, Ikterus neonatarum,
Asphyxie, Dyspnoe, Zyanose,
Krämpfe (ZNS-Beteiligung), Granulombildungen unter anderem in
Leber, Milz, Lunge und Meningen.
3.3 Chronisch-septische
Listeriose
Sie kann sich entwickeln als
Komplikation bei Grundleiden anderer Ätiologie: „Typhus"-ähnlich,
auch als Endokarditis.
3.4 Glanduläre Listeriose
(mit dem Bild einer
infektiösen Mononukleose)
Lymphknotenschwellungen einschließlich Angina der Gaumentonsillen können beobachtet werden.
Differentialdiagnostisch ist vor allem die virusbedingte infektiöse Mononukleose abzugrenzen; es fehlen
aber heterophile Antikörper bei der
glandulären Listeriose. Eine Sepsis
muß befürchtet werden.
3.5 Lokale Listeriose
(kutane Listeriose)
Sie ist die Folge eines direkten
Kontaktes mit Listeria monocytogenes auf Schleimhäuten wie Conjunktiva oder Haut, Pusteln, Granulomen, meist als Folge einer beruflichen Exposition bei Tierhaltung
oder tierärztlicher Versorgung. Die
Gefahr einer Generalisierung oder
Beteiligung des ZNS besteht.
Übergänge der verschiedenen
klinischen Verlaufsformen sind
möglich; Sepsis zu Meningitis, lokale oder glanduläre Listeriose zu Sepsis oder Meningitis.
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Untersuchungsmaterial
Als zu untersuchendes Material
kommen Blut, Liquor, Mekonium,
Amnionflüssigkeit, Lochialsekret
und Stuhl in Frage. Bei der Untersuchung von Lebensmitteln entspreA-1374
chendes Probenmaterial, am besten
eine Packungseinheit. Zur Anzüchtung eignet sich Tryptoseagar, auf
dem Listerien-Kolonien durch die
von Henry eingeführte Schrägbeleuchtung leicht erkennbar sind. Die
Kolonien zeigen hinsichtlich Farbe
und Textur ein typisches Aussehen
(bläulich, irisierend). Zur Unterdrückung der Begleitkeime kommt
der Tryptoseagar auch in Kombination mit Hemmstoffen zur Anwendung (Untersuchungsmethode siehe
Zbl.Bakt. Hyg. I. Abt. Orig. A 253
(1982) 43-60.
5
Therapie bei
Listerien-Infektion
Aminopenicilline sind die Mittel
der Wahl. Die Therapiedauer richtet
sich nach dem klinischen Krankheitsbild: Meningo-Enzephalitis bis
zur Normalisierung des Liquors,
mindestens aber drei bis vier Wochen. Um einem Rezidiv vorzubeugen, empfiehlt sich nach zwei bis
drei Wochen eine Wiederholung der
Ampicillintherapie für weitere 14
Tage. Bei Sepsis beträgt die Dauer
der Therapie bis 21 Tage. Bei
Schwangeren-Listeriose mindestens
zwei bis drei Wochen, bei übrigen
Formen bis zur klinischen Heilung.
Intravenöse Dosierung bei meningo-enzephalitischer und septischer Verlaufsform:
Kinder: 200 bis 400 mg/kg,
Erwachsene: 6 bis 12 g pro Tag
in drei bis vier Einzelgaben.
Bei Schwangeren-Listeriose und
den übrigen Verlaufsformen 3 bis 6 g
pro Tag.
Bei Vorliegen einer PenicillinAllergie wird die Gabe von Erythromycin, gegebenenfalls auch Chloramphenicol empfohlen:
Kinder: 4 mg/kg,
Erwachsene: 0,2 g pro Tag.
6
Verhütung der
Lebensmittelinfektion
Auf Grund der möglichen, weiten Verbreitung von Listeria monocytogenes ist eine sichere Vorbeugung für den Menschen nicht gege-
(64) Dt. Ärztebl. 85, Heft 19, 12. Mai 1988
ben. Zu empfehlen ist eine hygienische Verhaltensweise beim Umgang
mit Lebensmitteln und die Vermeidung des Verzehrs roher Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Hackfleisch
und nicht pasteurisierte Milch durch
Schwangere. Auch sollte einem bestimmten Personenkreis wie Schwangeren und Immungeschwächten aus
Gründen der Vorsorge empfohlen
werden, beim Genuß von Käse auf
den Verzehr der Rinde bzw. der
Randschicht zu verzichten. Das mögliche Infektionsrisiko wird dadurch
wesentlich gemindert.
7 Verhütung der
Übertragung von
Tier auf Mensch
Viele Nutz- und Haustiere können Ausscheider von Listerien sein,
ohne selbst Krankheitszeichen zu
zeigen. Im Bereich der Tierhaltung
wird die Gefahr einer möglichen
Übertragung durch hygienische Verhaltensweisen im Umgang mit den
Tieren verringert.
Verhütung durch
Maßnahmen des
öffentlichen
Gesundheitsdienstes
Nach § 3 BSeuchG sind folgende Formen der Listeria-monocytogenes-Infektion meldepflichtig:
C) Erkrankung und Todesfall
an Listeriose im zentralen Nervensystem als Meningitis-Enzephalitis;
C Erkrankung und Tod an angeborener Listeriose.
Tätigkeits- und Beschäftigungsverbote beim Verkehr mit Lebensmitteln sowie Untersuchungspflichten bestehen bei Listeria-Infektionen nicht; ebenso gibt es hierbei keine zusätzlichen Vorschriften für
Schulen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen.
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Desinfektion
Zur Desinfektion können alle
Mittel und Verfahren verwendet
werden, die für den jeweiligen An-
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wendungsbereich als brauchbar und
wirksam für vegetative Bakterien
anerkannt sind (Desinfektionsmittel-Liste der Deutschen Gesellschaft
für Hygiene und Mikrobiologie*,
Desinfektionsmittel-Liste des Bundesgesundheitsamtes* *).
* VI. Liste der nach den „Richtlinien für die
Prüfung chemischer Desinfektionsmittel" geprüften und von der Deutschen Gesellschaft
für Hygiene und Mikrobiologie als wirksam
befundenen Desinfektionsverfahren (Stand: 31.
07. 1981). mhp-Verlags GmbH, WiesbadenNordenstadt (neue Ausgabe in Vorbereitung).
** Liste der vom Bundesgesundheitsamt geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel
und -verfahren (10. Ausgabe, Stand: 1. Juni
1987). Bundesgesundheitsbl. 30 (1987) 279-292.
Literatur
1. Geuenich, H.-H.; Müller, H. E.; Schrettenbrunner, A.; Seeliger, H. P. R.: Das Vorkommen verschiedener Listeria-Arten in
städtischem Abwasser. Zbl. Bakt. Hyg., I
Abt. Orig. B 181 (1985) 563-565
2. Nicolai-Scholten, M.-E.; Potel, J.; Natzschka, J.; Pekker, St.: Vermehrtes Auftreten
von Listeriose-Erkrankungen in Niedersachsen, 1983. Immun. Infekt. 13 (1985) 76-77
3. Schönberg, A.: Listeriosis in Animal Stocks
in the Federal Republic of Germany between
1980-1984 in Relation to Foodbome Infections. Proceedings Vol. I, 2nd World Congress Foodbome Infections and Intoxications, Berlin (West) (1986) 224-229
4. Schuster, G.; Borkhardt, H. L.: Gehäuftes
Auftreten von Listeriose-Erkrankungen im
Bezirk Magdeburg im Jahr 1985. Z. gesamte
Hyg. 33 (1987) 261-263
5. Seeliger, H. P. R.: Listeriose aktuell. Dtsch.
Med. Wschr. 112 (1987) 359-361
6. Simon, C.; Stille, W.: Antibiotika-Therapie
in Klinik und Praxis. Schattauer Verlag
Stuttgart—New York, 1985
7. Terplan, G.; Schoen, R.; Springmeyer, W.;
Degle, I.; Becker, H.: Vorkommen, Verhalten und Bedeutung von Listerien in Milch
und Milchprodukten. Archiv für Lebensmittelhygiene 37 (1986) 131-137. Dt. MolkereiZeitung 41 (1986) 1358-1368.
8. Infektion und Infektabwehr. Wissenschaftliche Konferenz anläßlich des 65. Geburtstages von H. P. R. Seeliger am 2. November
1985 in Würzburg. Schattauer Verlag Stuttgart—New York, 1986
9. World Health Organization: Report of the
WHO-Consultation an Prevention and Control of Listeriosis (Berlin [West]). 10-12 Dezember 1986. WHO/CDS/VPH/87.69, Genf
1987, abgedruckt in Vetmed-Hefte Nr. 5, Listeriosis compiled by A. Schönberg, Druck:
Bundesgesundheitsamt, Berlin (1987)
Anschrift für die Verfasser:
Professor Dr. med. vet.
Eberhard Bulling
Institut für Veterinärmedizin des
Bundesgesundheitsamtes Berlin
Postfach 30 00 13
1000 Berlin 33
A-1376
Neue Möglichkeiten
der Krebsnachsorge
12. Interdisziplinäres
Forum der
Bundesärztekammer
1988, Köln - Thema IV
D
as einfach erscheinende
Thema „Krebsnachsorge"
ist noch immer von Qualitäts- und Meinungsgegensätzen geprägt. Bei bestimmten Erkrankungen wie etwa den kindlichen Leukämien sind die Ambulanzen der Kliniken und großen Krankenhäuser
gefordert. Bei der Masse der Karzinome handelt es sich um eine Aufgabe des niedergelassenen Arztes, soweit er onkologisch ausgebildet ist.
Im Grundsatzreferat von Hubert
Poliwoda/Hannover wurden zunächst die Grundregeln der Nachsorge betont, soweit sie in die ärztliche Sprechstunde gehören. Primär
wurde davor gewarnt, durch Überdiagnostik die Forderungen der Tumornachsorge ärztlich und wirtschaftlich zu überschreiten. Jedem
Arzt, der Tumorpatienten betreut,
ist die Beteiligung an „Onkologischen Arbeitskreisen" sowie die
Mitarbeit an Nachsorgeregistern
oder Nachsorgeleitstellen dringend
anzuraten. Diese Einrichtungen leisten einen schnellen Wissenstransfer
aus den Onkologischen Zentren in
die Praxis und garantieren die Qualitätssicherung durch Rückmeldung
der Nachsorgeergebnisse. Poliwoda
mußte darauf hinweisen, daß es
auch im internationalen Schrifttum
noch keine größeren Studienergebnisse gibt, in welchem Ausmaß und
in welcher Qualität die Nachsorge
durchgeführt wird und welchen effektiven Vorteil nachgesorgte Patienten haben gegenüber solchen,
die sich der Nachsorge entziehen.
Die Erkennung von Metastasen, Rezidiven oder Zweittumoren ist nur
(66) Dt. Ärztebl. 85, Heft 19, 12. Mai 1988
eine Teilaufgabe der Tumornachsorge. Im übrigen gelten alle Grundprinzipien ärztlichen Handelns mit
den Grenzen der eigenen Kompetenz und dem Bemühen einer individuellen Patientenführung.
I
Schmerztherapie
Aus Sicht des Allgemeinmediziners betonte Hans Iselel Heidelberg
die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Klinik und Hausarzt
gerade beim schmerzgeplagten Tumorpatienten. Die Schmerztherapie, die nur bei konsequenter
Durchführung zu einem Ergebnis
führt, ist eine wichtige Aufgabe der
Tumornachsorge, nicht zuletzt, weil
der niedergelassene Arzt nicht selten den Tumorpatienten in seiner
terminalen Phase zu betreuen hat.
Der Hausarzt steht am Anfang und
am Ende eines Tumorleidens, und
während der Therapie — handelt es
sich nun um eine operative, eine radiologische oder chemotherapeutische — bleibt die Führung des Hausarztes in den Therapieintervallen eine besonders schwierige Aufgabe.
Hierzu gehören auch zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten mit Präparaten, bei denen eine unmittelbare
therapeutische Wirkung nicht bewiesen ist. Konsequent applizierte
Injektionen zum Beispiel von Mistel-Präparaten bieten dem Patienten eine längere Phase der psychischen Stabilisierung und des Wohlbefindens. Die Frage, ob damit eine
Stärkung der Immunabwehr verbunden ist, kann vorerst noch zurückgestellt werden. Das Wichtigste ist,
daß der Arzt dem Patienten auf
Nachfrage Hilfe geben kann, um eigene Aktivität gegen das Tumorleiden auch zwischen den klinischen
Behandlungsschritten zu ermöglichen. „Der Kranke soll in Behandlungspausen nicht allein gelassen
werden." >
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