Predigt zu EG 316 (317) „Lobe den Herren, den mächtigen König“ Festgottesdienst am Sonntag Lätare zum 150-jährigen Jubiläum des „Liederkranz e.V. Büchenbronn“ [Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.] I Liebe Festgemeinde, liebe Schwestern und Brüder, ein Lied rahmt die Predigt; ein Anlass bestimmt den Gottesdienst am heutigen Sonntag „Lätare“: in allem geht es um das Lob. Was den Anlass des Festgottesdienstes angeht, so ist es das Lob des Liederkranzes anlässlich seines 150-jährigen Bestehens; was die Rahmung der Predigt angeht, so ist es das Lob Gottes, „der alles so herrlich regieret“, wie es in Strophe 2 des Liedes „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ (EG 316/317) heißt. Und natürlich bietet es sich an, zum Festgottesdienst anlässlich eines so beeindruckenden Jubiläums eine Lied-Predigt zu halten. Oder vielmehr: eine „Lob-Lied-Predigt“. Denn es ist ja tatsächlich des Lobes wert, wenn ein Gesangsverein sein Jubiläum nicht nur mit einem Gesangsfest im Dorf feiert – das wird dann am 7. und 8 Juli 2012 sein! –, sondern sich in seinem Jubeljahr auch seiner Verbundenheit mit den christlichen Wurzeln und Kirchen besinnt, und wir deswegen heute einen Festgottesdienst in der Bergkirche Büchenbronn feiern. Danke; das ist nicht nur schön und festlich, sondern wirklich eines Lobes wert: weil es schlicht nicht selbstverständlich ist! – Und angesichts dieser Verbindung von Gesang und Fest, von Jubiläum und Gottesdienst, da bietet es sich ja wirklich an, eine sozusagen sprachlichmusikalische Predigt zu halten, zumal angesichts dessen, dass mir selbst die Musik in all ihren Facetten sehr am Herzen liegt. Das alte, bekannte, ökumenische und tiefsinnige Lied „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren“ bietet sich da tatsächlich an; es trifft die Sache gleich in mehrfacher Hinsicht. Es ist musikalisch interessant und vielfach beachtet; es ist textlich von großem Gewicht als Vertonung des Psalms 103, und der Liederdichter Joachim Neander, der mit seiner ganzen Biographie hinter dem Lied steht, ist auch eine sehr bedenkenswerte Person. 1 II Joachim Neander hieß eigentlich gar nicht Neander, sondern „Neumann“; seine Familie hat sich aber, einer damaligen Gepflogenheit folgend, umbenannt von „Neumann“ nach „Neander“: das klang „griechischer“, „antiker“ sozusagen – und deswegen gelehrter und edler. Damals: Das war im 17. Jahrhundert. Geboren ist er im Jahr 1650 in Bremen; er wurde nur 30 Jahre alt. Er war Pastor, und als solcher hat er auch komponiert und Liedtexte gedichtet. Mit nur 24 Jahren wurde er Rektor einer Lateinschule in Düsseldorf, blieb aber auch Prediger. Und er liebte offensichtlich „Gottesdienste im Grünen“, wie man heute sagen würde, denn er komponierte nicht nur gerne in der freien Natur, sondern hielt dort auch Gottesdienste, häufig in einer kleinen Schlucht in der Nähe von Düsseldorf. Die Leute muss das so beeindruckt haben, dass sie ihm zu Ehren das Tal „Neandertal“ nannten und eine dortige Höhle „Neandershöhle“; das war allerdings erst im 19. Jahrhundert. In diesem Tal wurden ebenfalls menschheitsgeschichtlich bedeutsame Skelettfunde gemacht – der bekannte Homo neanderthalensis, zu Deutsch: Neandertaler. Und so wurde ein Liederdichter und Pastor aus dem 17. Jahrhundert zum Namensgeber für eine Unterart der Hominiden. Ihr merkt, Gottesdienste im Grünen lohnen sich auch durchaus unter diesem Aspekt. Jetzt müssten wir nur noch bedeutsame Knochenfunde in Büchenbronn machen – wer weiß, wohin das führen könnte … „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ hat Neander im Jahr 1679 oder 1680 gedichtet, und es wurde zu seinem bekanntesten Kirchenlied, das bis heute nicht nur im evangelischen Gesangbuch steht, sondern auch im katholischen Gotteslob, im Gesangbuch der evangelisch-methodistischen Kirche und vielen anderen. Es war aber auch schon in früheren Zeiten so beliebt, dass es sich zum Beispiel häufig auch in „weltlichen“ Liederbüchern fand. Der Text wurde hier und da an unsere Sprache angepasst, und auch die Melodie durchwanderte eine gewisse Geschichte bis zur heutigen Form: Musikalisch eingängig, aber gar nicht so gewöhnlich, beginnt sie doch bei genauem Hinsehen ungewöhnlicherweise mit fünf zusammengehörigen Takten, was man in unserem Gesangbuch nicht recht erkennt, weil dort der ursprüngliche 3/4-Takt zu einem 9/4-Takt umgemodelt wurde. – Johann Sebastian Bach hat zu dem Lied eine kleine, aber feine und festliche Kantate geschrieben [BWV 137], viele moderne Komponisten haben sich von ihm inspirieren lassen [Zipp, Karg-Elert, Distler], und sogar Berthold Brecht und Kurt Weill haben den Choral parodiert [„Dankchoral“ / Berliner Requiem (1929)]. 2 III Es gäbe noch viel zu dem Lied und seiner Geschichte zu sagen, doch all das gehört gar nicht in eine Predigt hinein. Vorträge halten kann man über alles und jedes; Predigten nur über das Wort Gottes. Und auch eine musikalische Festpredigt anlässlich eines Jubiläums kann nur diese Ausrichtung haben. Gottes Wort hat nämlich den Anspruch, stets aufs Neue mit uns selbst sozusagen „ins Gespräch zu kommen“. Die Worte der Bibel werden dadurch lebendig, dass sie mit unserem Leben etwas zu tun haben oder doch etwas zu unserem Leben beitragen wollen. Das ist auch bei dem Lied mit der Nummer 316 so. Hinter dem Liedtext steht ein Psalm des Alten Testaments, dessen Beginn nicht nur in der Abendmahlsliturgie weit verbreitet ist, sondern der überhaupt im besten Sinne des Wortes „vielversprechend“ ist. Ich lese Psalm 103,1-5: „Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! 2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: 3 der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, 4 der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, 5 der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.“ Vielversprechend klingt das, und vielversprechend ist es gemeint. Der ganze Psalm 103 ist ein einziges Loblied auf Gottes Barmherzigkeit, auf seine Beständigkeit und Treue, auf seine Gerechtigkeit und liebevolle Zuneigung. Gott ist so sehr viel anders als wir Menschen: das ist das Grundbekenntnis dieses Beters, der den Dankhymnus niedergeschrieben hat. Gott ist wohl ein gerechter Richter, der Unrecht beim Namen nennt; aber sein Gericht ist keine Vernichtung, sondern kennt Vergebung und ist Bewahrung: so bekennt der Psalmbeter. Und der unausgesprochene Gedanke dahinter ist: wenn doch Gott so ist, dann sollt ihr Menschen auch etwas davon abbilden, zum Beispiel dadurch, dass ihr nicht unbarmherzig seid, sondern immer wieder bereit zur Vergebung und Versöhnung, aber auch dazu, gegen Unrecht anzugehen. Gott ist wohl mächtig und ein thronender Herrscher; aber seine Herrschaft ist eine von Liebe und Zuwendung bestimmte Herrschaft: so bekennt der Psalmbeter. Und der unausge3 sprochene Gedanke dahinter ist: wenn doch Gott so ist, dann sollt ihr irdischen Herrscher auch etwas davon abbilden. Gott ist wohl der Schöpfer all dessen, was kreucht und fleucht; aber er spielt nicht mit seinen Geschöpfen, sondern will Leben erhalten und bewahren: so bekennt der Psalmbeter. Und der nun laut und deutlich ausgesprochene Gedanke dazu ist: Deswegen „lobe den Herren“, mit deiner ganzen Existenz, mit Leib und Seele. Und wer den Liedtext von Joachim Neander genau liest, der merkt, wie umfassend er dieses Lob nachgedichtet hat. IV Liebe Gemeinde, Psalm 103 ist des Gotteslobes voll, und auch das Lied „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ ist des Lobes voll; beide speisen sich aus der Dankbarkeit für das, was Menschen im Guten erlebt haben. Mit dieser Botschaft passen sie ganz sicher zu unserem Festgottesdienst mit seinen verschiedenen Nuancen; damit geben sie uns selbst in unserem Leben etwas mit auf den Weg: nämlich immer wieder auch daran zu denken oder sensibel dafür zu werden, wie Gottes bewahrende Hand unser Leben immer wieder begleitet. Ich weiß sehr wohl, dass es oft genug Erfahrungen gibt, die dieser Botschaft ganz und gar widersprechen; wir müssen nur an den schrecklichen Unfall in der Schweiz denken und an die verzweifelten Eltern. Das wäre nun eine ganz andere Predigt, und gewiss keine Festpredigt. Jeder noch so sensible weitere Satz dazu wäre ein unzureichender, vielleicht gar unzulässiger: lasst uns das im Gebet vor Gott bringen. Ich will nur sagen: Ich weiß darum, dass einem Loblieder in der Kehle stecken bleiben können. Umso mehr ist es des Lobes und Dankes wert, wenn das nicht der Fall ist: Lasst uns auch das nie vergessen. Amen. 4