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Jahrbuch 2009/2010 | Schorpp, Michael | Von Fischen lernen: Thymusentw icklung beim Zebrabärbling
Von Fischen lernen: Thymusentwicklung beim Zebrabärbling
Learning from Fish: Thymus Development in the Zebrafish
Schorpp, Michael
Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik, Freiburg
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Der Thymus ist das Organ, in dem die für die Immunabw ehr unentbehrlichen T-Lymphozyten reifen. Es w urden
etw a 40 mutante Zebrafischlinien mit aberranter Thymusentw icklung erzeugt. Die bisher identifizierten
mutierten Gene zeigen, dass sich der Zebrafisch hervorragend dazu eignet, um bisher unbekannte genetische
Faktoren zu identifizieren, die bei der Thymusentw icklung eine Rolle spielen. Live-imaging-Studien mit diesen
Mutanten und neuen transgenen Fischlinien erlauben eine direkte Beobachtung und Charakterisierung
entscheidender Schritte der Thymusentw icklung.
Summary
The thymus is a primary lymphoid organ w hose function is to provide mature and self-tolerant T lymphocytes
required to fight infection and maintain tissue integrity. About 40 mutant zebrafish lines w ith aberrant thymus
development have been established. The mutant genes so far identified show that the zebrafish model is an
excellent tool to define novel genetic pathw ays important for T cell development. Live imaging analysis w ith
these mutants and novel transgenic fish lines is used to examine the genetic basis of essential steps of
thymopoiesis and to unravel their spatial and temporal characteristics.
Immunologische Forschung w ird nur zum Teil am Menschen durchgeführt, für die meisten Experimente w erden
Tiermodelle verw endet. Typischerw eise sind die immunologischen Tiermodelle Nagetiere, und zw ar in erster
Linie Maus und Ratte. W ährend der letzten 50 Jahre w urden viele bahnbrechende Entdeckungen der
Immunologie mit Untersuchungen an diesen Tierarten gemacht. Das Repertoire an Methoden und Reagenzien
für immunologische Experimente ist für keinen anderen Modellorganismus so reichhaltig w ie für diese
Nagetiere. Warum also macht man sich die Mühe, mit dem Zebrabärbling einen bis vor w enigen Jahren nur für
Studien zur Embryonalentw icklung verw endeten Zierfisch als w eiteren Modellorganismus in das Feld der
Immunologie einzuführen?
Warum an Fischen forschen?
Der Zebrabärbling (Danio rerio, Abb. 1) w urde bereits vor seiner „Entdeckung“ als Versuchstier für die
W issenschaft häufig als Aquarienfisch gehalten, da er recht anspruchslos und ausgesprochen leicht zu züchten
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ist. Für die Forschung interessant ist er vor allem aus folgenden Gründen:
Erwa chse ne r Ze bra bä rbling (Danio rerio, hie r e ine Unte ra rt m it
sta rk ve rlä nge rte n Flosse n). De r Ze bra bä rbling wird 4 bis 6 cm
la ng. Ursprünglich sta m m t de r tropische Süßwa sse rfisch a us
de n Ge wä sse rn Indie ns und se ine r Na chba rlä nde r.
© com m ons.wik im e dia .org
Zebrabärblinge sind außerordentlich fruchtbar. Ein gesundes Weibchen kann im Abstand von zw ei Wochen bis
zu 700 Eier legen. Für genetische Studien w ie etw a die Kartierung von mutierten Genen mittels
Kopplungsanalyse ist dies ein großer Vorteil, da die für genetische Untersuchungen in der Regel notw endige
hohe Zahl an Nachkommen in kürzester Zeit erreicht w erden kann.
Die Sequenzierung des Genoms des Zebrabärblings hat gezeigt, dass er sich, w as Zahl und Art der Gene
angeht, w eit w eniger von höheren W irbeltieren unterscheidet, als man zunächst denken könnte. Mittlerw eile
hat man auch eine Reihe von menschlichen Erkrankungen im Zebrabärbling „nachbilden“ können (zum Beispiel
Hautkrebs, Leukämie, verschiedene Kardiomyopathien etc.), und eine ganze Reihe von Erbkrankheiten zeigen
beim Zebrabärbling dasselbe Erscheinungsbild und beruhen auf Defekten der gleichen Gene w ie beim
Menschen. Daher hat sich der Zebrabärbling in den letzten Jahren auch zu einem Modellorganismus für die
biomedizinische Forschung entw ickelt, der sich gegenüber anderen Modellorganismen nicht zuletzt durch
geringeren Platzbedarf und Pflegeaufw and auszeichnet.
W ie bei den meisten Knochenfischen findet beim Zebrabärbling die gesamte Entw icklung von der befruchteten
Eizelle bis zur fertig ausgebildeten Larve außerhalb des Muttertieres statt. Dieser Prozess kann daher bei
diesen Fischen – anders als bei höheren W irbeltieren w ie etw a Maus oder Mensch – ohne w eiteres
beobachtet und vor allem auch manipuliert w erden. Von großem Vorteil für die Forscher ist darüber hinaus die
außerordentliche Geschw indigkeit der Embryonalentw icklung beim Zebrabärbling: Innerhalb w eniger Tage
entw ickelt sich aus dem Ei eine freischw immende Larve, die bereits fast alle Organe ausgebildet hat, die ein
W irbeltier besitzt. Diese Eigenschaften machen den Zebrabärbling zu einem beliebten Untersuchungsobjekt
für
die
Entw icklungsbiologie,
w eil
von
der
ersten
Zellteilung
an
bis
zur
Organogenese
alle
Entw icklungsvorgänge live beobachtet w erden können.
Welche Funktion hat der Thymus?
Im
Überlappungsbereich
der
drei
bisher
erw ähnten
Forschungsfelder
Genetik,
Biomedizin
und
Entw icklungsbiologie sind auch die Projekte der Forschungsgruppe um Michael Schorpp angesiedelt. Im
Mittelpunkt ihres Interesses steht der Thymus, ein Organ von zentraler Bedeutung für das Immunsystem. Eine
der beiden Zellpopulationen, die bei der Immunabw ehr die Hauptrolle spielen, w ird im Thymus gebildet. Diese
sogenannten T-Zellen kommen in unserem Körper hauptsächlich in zw ei Formen vor: als Killerzelle und als
Helferzelle. Killerzellen eliminieren zum Beispiel Zellen, die mit Viren infiziert sind. Helferzellen aktivieren
diejenigen Zellen des Immunsystems, die Antikörper herstellen, und steuern zahlreiche andere Prozesse der
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Immunreaktion. Es muss sichergestellt sein, dass beide Zelltypen nur körperfremdes Material erkennen und
angreifen. Da das Oberflächenmolekül, mit dem eine Killer- oder Helferzelle körperfremdes Material als solches
erkennt, aber nach dem Zufallsprinzip aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt w ird, ist es
unvermeidlich, dass aus Zufall auch Zellen entstehen, die körpereigenes Material erkennen. Diese müssen
aussortiert w erden, bevor sie im Immunsystem aktiv w erden können. Die Eliminierung von solchen
autoreaktiven T-Zellen ist die Aufgabe des Thymus. Gleichzeitig fördert der Thymus aber die Reifung
derjenigen T-Zellen, die diese Auslese überstanden haben. Menschen, denen der Thymus von Anfang an fehlt
oder bei denen seine Funktion gestört ist, leiden daher entw eder unter schw eren (meist tödlichen) Defekten
der Immunabw ehr oder unter Autoimmunkrankheiten. Um solche Krankheiten verstehen und behandeln zu
können, muss man zunächst einmal verstehen, w ie der Thymus beim gesunden Menschen entsteht und
funktioniert.
Kann man Entstehung und Funktion des Thymus an Fischen studieren?
Schlüsseleigenschaften des Immunsystems höherer W irbeltiere finden sich auch beim Zebrabärbling. So ist
zum Beispiel eine Reihe von Genen, die bei der Bildung der T-Zellen bei höheren W irbeltieren eine Rolle spielen
(z. B. ikaros, gata3, lck, rag1), auch beim Zebrabärbling in Gew eben aktiv, in denen die T-Zellen entstehen. Das
foxn1-Gen, das bei der Maus für die Entw icklung des Thymus unentbehrlich ist, braucht auch der
Zebrabärbling, um dieses Organ ausbilden zu können. Daraus lässt sich schließen, dass T-Zell- und
Thymusentw icklung in Knochenfischen und Säugetieren im W esentlichen gleich ablaufen.
Nach Genen für den Thymus fischen
Ge ne tische De fe k te störe n die Thym use ntwick lung. Die
Ak tivitä t e ine s Ge ns lä sst sich bioche m isch na chwe ise n: In
Abb. 2a sind die T-Ze lle n im Thym us (P fe il) e ine r fünf Ta ge
a lte n Ze bra bä rbling-La rve ge fä rbt, die ge ra de da s
O be rflä che nm ole k ül he rste lle n (da s soge na nnte TC R be ta P rote in), m it de m sie k örpe rfre m de s Ma te ria l e rk e nne n. In
Abb. 2b ist e ine m uta nte La rve a us de m Tübinge n2000-Screen zu se he n, die a ufgrund e ine r Ve rä nde rung in
ihre m Erbgut k e ine n Thym us a usbilde n k a nn. Da he r
e ntste he n in die se m Tie r k e ine Ze lle n m it die se m
O be rflä che nm ole k ül, ihm fe hle n a lso funk tionie re nde TZe lle n. Zie l de s Tübinge n-2000-Screens ist e s, in m öglichst
vie le n ve rschie de ne n m uta nte n Ze bra fischlinie n je we ils da s
Ge n zu ide ntifizie re n, da s in de n e inze lne n Linie n von de r
Ve rä nde rung be troffe n ist und de n De fe k t ve rursa cht. Erge bnis
die se r Studie n ist e ine Liste de r Ge ne , die für die
Thym use ntwick lung e sse ntie ll sind.
© Ma x -P la nck -Institut für Im m unbiologie ; na ch [1]
Um herauszufinden, w elche w eiteren Gene außer den bisher bekannten an der Entstehung des Thymus
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beteiligt sind, w urde im Zebrabärbling ein sogenannter Mutagenese-Screen durchgeführt. Dabei sucht man in
vielen verschiedenen mutierten Zebrabärblingen, bei denen die Thymusentw icklung gestört ist (Abb. 2), nach
dem jew eils veränderten Gen. Maßgeblich für die Unterscheidung zw ischen W ildtyp und Mutante ist dabei eine
veränderte Expression von rag1, einem Gen, das spezifisch in T-Zellen im Thymus aktiv ist. In einem
Pilotexperiment konnten drei thymusspezifische Mutanten identifiziert w erden. Im sogenannten Tübingen2000-Screen w urden in Zusammenarbeit mit dem MPI für Entw icklungsbiologie in Tübingen und der Exelixis
Germany GmbH etw a 40 w eitere Mutanten isoliert. Die Mutationen in den einzelnen mutanten Linien w erden
gegenw ärtig mithilfe der Kopplungsanalyse genetisch kartiert. Bisher konnten auf diese Weise zw ölf Gene
identifiziert w erden, deren Inaktivierung zu Störungen der Thymusentw icklung führen – neben einigen bereits
bekannten vor allem solche, die bisher mit dem Thymus noch nicht in Verbindung gebracht w orden w aren. Das
nächste Ziel ist, w eitere thymusspezifische Gene zu entdecken, um ein möglichst komplettes Bild davon zu
bekommen, w elche genetischen Faktoren die Thymusbildung kontrollieren. Sind diese Gene erst einmal beim
Zebrabärbling bekannt, w eiß man aufgrund der großen genetischen Ähnlichkeit auch beim Menschen, in
w elchen Genen man den Fehler suchen muss, w enn erbliche Immundefizienzen auftreten.
Organogenese live
Der Thymus entsteht bereits in einem sehr frühen Stadium der Embryonalentw icklung. Vorläufer der T-Zellen
w andern zunächst von den Orten, an denen die Blutbildung stattfindet, zur Thymusanlage. Weil dieser
Prozess im Embryo stattfindet, kann er bei höheren W irbeltieren w ie etw a der Maus nicht direkt beobachtet
w erden. Eine Alternative bietet hier der Zebrabärbling. Weil er sich außerhalb des Muttertieres entw ickelt,
kann seine Embryonalentw icklung leicht beobachtet und manipuliert w erden. W ill man die Entstehung des
Thymus im lebenden Fischembryo beobachten, muss man allerdings die beteiligten Zellen von den anderen
Zellen im Embryo unterscheiden können. Mittels gentechnischer Methoden ist es möglich, Fischlinien zu
erzeugen, bei denen ein fluoreszierendes Protein ausschließlich in den Zellen hergestellt w ird, deren Verhalten
man beobachten möchte. Unter dem Fluoreszenzmikroskop können diese Zellen dann im lebenden Embryo
verfolgt w erden. Doppelfärbungen verschiedener Zellpopulationen sind möglich, indem man zw ei Fischlinien
miteinander kreuzt, bei denen die beiden Populationen verschiedenfarbig fluoreszierende Proteine herstellen.
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O rga noge ne se live : Abge bilde t sind von obe n na ch unte n vie r
Em bryona l- bzw. La rve nsta die n de s Ze bra bä rblings: von 24
Stunde n bis 96 Stunde n na ch de r Be fruchtung (hpf = hours
post fertilisation). Auf de r link e n Se ite sie ht m a n da s je we ilige
Sta dium na ch e ine m bioche m ische n Na chwe is de r Ak tivitä t de s
ikaros-Ge ns. Da s ikaros-Ge n ist be re its in de n Vorlä ufe rn de r
T-Ze lle n a k tiv, die in de n be ide n frühe re n Sta die n (24hpf und
48 hpf) noch nicht in de n Thym us e inge wa nde rt sind, sonde rn
in de n hä m a topoe tische n Ge we be n de s Fische s, de r IC M (inner
cell mass) bzw. C HT (caudal hematopoietic tissue) zu finde n
sind. Ab 72hpf e rsche ine n sie da nn im Thym us (Kre is). Auße r
in de n T-Ze lle n ist da s ikaros-Ge n in de n be ide n spä te re n
Sta die n (72hpf und 96 hpf) a uch im Auge und im Ge hirn
a k tiv. Im Ge ge nsa tz zu de n Abbildunge n a uf de r link e n Se ite
sind die Aufna hm e n re chts a n le be nde n Em bryone n bzw.
La rve n unte r de m Fluore sze nzm ik rosk op ge m a cht worde n. Die
T-Ze lle n und ihre Vorlä ufe r sind sichtba r, we il in de r für die se
Aufna hm e n ve rwe nde te n Fischlinie die Ak tivitä t de s Ge ns für
e in fluore szie re nde s P rote in von ge na u de n Abschnitte n de s
Erbguts k ontrollie rt wird, die die Ak tivitä t de s ikaros-Ge ns
ste ue rn. Da he r sind in die se n Tie re n die se lbe n Ze lle n
m a rk ie rt wie be i de r bioche m ische n Fä rbung link s – nur da ss
be i de r Fluore sze nzfä rbung ihr Ve rha lte n im le be nde n Tie r
be oba chte t und m a nipulie rt we rde n k a nn (Größe nsk a la 50
µm ).
© Abbildung na ch [2]
Um das Verhalten der T-Zellen bereits dann studieren zu können, w enn sie noch als Vorläufer auf dem Weg
zur Thymusanlage sind, w urden Zebrabärblinge generiert, die ein grün fluoreszierendes Protein in eben
diesen T-Zell-Vorläufern produzieren. Diese Fischlinie bietet zum ersten Mal die einzigartige Möglichkeit, die
Einw anderung einzelner Vorläuferzellen in die Thymusanlage zu beobachten (Abb. 3). Das Verhalten dieser
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Zellen kann in diesen Tieren aber nicht nur beobachtet, sondern auch manipuliert w erden: In die Eizelle des
Zebrabärblings lassen sich Substanzen einbringen, die w ährend der Entw icklung des Embryos sehr spezifisch
die Aktivität einzelner Gene verstärken (sog. messenger RNA) oder verringern (sog. antisense-Morpholinos).
Werden diese Experimente an den Fischen mit grün fluoreszierenden T-Zell-Vorläufern durchgeführt, lassen
sich die Effekte dieser Substanzen live studieren. Man kann auf diese Weise sehr schnell herausfinden, ob und
in w elchem Stadium das jew eilige Gen an der Thymusbildung beteiligt ist.
In naher Zukunft w erden auch Zebrabärblinge zur Verfügung stehen, bei denen das Ziel der T-Zell-Vorläufer,
die Thymusanlage, rot fluoresziert. Mithilfe der beiden Fischlinien w ird es dann möglich sein, sow ohl Herkunft
und Verhalten der Vorläufer und Entstehung der Organanlage, als auch frühe Interaktionen zw ischen beiden
Zelltypen im lebenden Embryo auf zellulärem Niveau zu beobachten und zu analysieren.
Originalveröffentlichungen
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[1] M. Schorpp, M. Bialecki, D. Diekhoff, B. Walderich, J. Odenthal, H. M. Maischein, A. G. Zapata, T.
Boehm:
Conserved function of ikaros in vertebrate lymphocyte development: genetic evidence for distinct larval
and adult phases of T cell development and two lineages of B cells in zebrafish.
Immunology 177, 2463-2476 (2006).
[2] B. Bajoghli, N. Aghaallaei, I. Hess, I. Rode, N. Netuschil, B. H. Tay, B. Venkatesh, J. K. Y u, S. L.
Kaltenbach, N. D. Holland, D. Diekhoff, C. Happe, M. Schorpp, T. Boehm:
Evolution of genetic networks underlying the emergence of thymopoiesis in vertebrates.
Cell 138 (1), 186-197 (2009).
© 2010 Max-Planck-Gesellschaft
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