Funktionelle Architektur und die Entwicklung des Großhirns

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Jahrbuch 2015/2016 | Fitzpatrick, David | Funktionelle Architektur und die Entw icklung des Großhirns
Funktionelle Architektur und die Entwicklung des Großhirns
Functional Architecture and Development of Cerebral Cortex
Fitzpatrick, David
Max Planck Florida Institute for Neuroscience, FL 33458, USA
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Das Labor von David Fitzpatrick konzentriert sich auf das Verständnis von Nervenschaltkreisen im Großhirn, der
größten und kompliziertesten Struktur im Gehirn und ein Netzw erk aus Nervenzellen, deren präzise Funktion
entscheidend für unsere Sinnesempfindung, motorische Kontrolle und das Bew usstsein ist. Mit hochmoderner
in vivo Mikroskopie studieren die Forscher Nervenzellverschaltungen im Sehzentrum, die es ermöglichen,
umfangreiche Lichtmuster, die auf die Netzhaut fallen, zu erkennen und interpretieren.
Summary
The Fitzpatrick Lab is focused on understanding neural circuits in the cerebral cortex, the largest and most
complex area of the brain, a neuronal netw ork w hose proper function is critical for sensory perception, motor
control, and cognition. The lab uses state of the art in vivo imaging techniques to study the synaptic
interactions in the visual cortex that enable our remarkable abilities to detect, interpret, and interact w ith the
information-rich patterns of light that fall on the retina.
Entwicklung der visuellen Informationsverarbeitung im Großhirn
Die Anordnung von Neuronen in der Großhirnrinde in Form von säulenförmigen Arealen, die die Eigenschaften
verschiedener Stimuli in einer geordneten Art und Weise abbilden, ist ein fundamentales Prinzip in der
Organisation des Großhirns. Obw ohl diese Areale bei allen Säugetieren existieren, ist es noch völlig unklar, w ie
diese Karten und Areale zur Funktion und Funktionalität des Großhirns beitragen.
Im Laufe der Embryonalentw icklung w ird die korrekte Ausbildung der Nervenzellvernetzung im Großhirn von
einer komplexen Sequenz verschiedener Ereignisse koordiniert. Diese involvieren bei der Ausbildung
synaptischer Plastizität sow ohl molekulare Orientierungshilfen als auch aktivitätsabhängige Mechanismen.
Untersuchungen der spezifischen Eigenschaften der Nervenzellen im Sehzentrum und deren Selektivität für die
Ausrichtung von Stimuli und Bew egungen im visuellen Sichtfeld haben beträchtliche Fortschritte für das
Verstehen der aktivitätsabhängigen Entw icklung der Nervenzellvernetzung im Großhirn ermöglicht.
Das Erkennen der Funktion solcher geordneten, säulenartig aggregierten Muster und deren Signifikanz
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erfordert eine hochauflösende Kartographie auf zellulärem Niveau über den gesamten Zeitraum der
Gehirnentw icklung. Im Laufe der letzten zw ei Jahre haben die W issenschaftlerinnen und W issenschaftler eine
hochauflösende
Langzeit in vivo-Mikroskopie Methode mit Frettchen als Versuchstieren etabliert, die es
erstmals ermöglicht, die Entw icklung von funktionellen „Abbildungen“ visueller Information im Großhirn auf
Säulen- und zellulärem Niveau zu untersuchen [1].
Mit dieser Methode konnten jetzt neue Muster spontaner Nervenzellaktivität visualisiert w erden, die schon vor
der
Augenöffnung
der
Jungtiere
existieren,
deren
Einfluss
auf
die
endgültige
Ausbildung
der
„Abbildungskarten“ allerdings noch besser untersucht w erden muss.
Entwicklungsbiologische Veränderungen der Eigenschaften von Nervenzellschaltkreisen
A bb. 1: Die Eige nscha fte n de r Ne rve nze llsigna le ä nde rn sich
dra m a tisch na ch de r Ö ffnung de r Auge n. (a) Ex pe rim e nte lle
Ze itschie ne . R e k om bina nte GC a MP 3 e x prim ie re nde Ade no
Assoziie rte Vire n wurde intra cortica l m ik roinjizie rt und 7 bis 14
Ta ge spä te r m itte ls Zwe i-P hotone n Mik rosk opie zur Ana lyse
ve rwe nde t. Die Ve rsuchstie re wurde n e ntwe de r im
Entwick lungssta dium P 29–32 (Na ive ), P 32–36 (Juge ndliche )
ode r P 48–50 (Erwa chse ne ) a na lyisie rt. (b) Typische
Antwortm uste r von Tie re n in de n ve rschie de ne n Alte rsgruppe n.
Link s, ohne Stim uli. Mitte , Antwort a uf e inze lne n Stim ulus
(m a x im a le P roje k tion übe r ge sa m te Stim ulusda ue r). R e chts,
m a x im a le Antwort übe r a lle Stim uli und Ve rsuche . EO , Ta ge
na ch Ö ffnung de r Auge n. Ma rk e rlinie : 50 μm . (c)
Antwortm uste r für individue lle Ne rve nze lle n, die in b durch
Kre ise m a rk ie rt sind. Link s, Antwort a uf 8 richtungsge bunde ne
Stim uli (Durchschnittswe rte a us ve rschie dne n Ve rsuche n).
R e chts, Anpa ssungsk urve n, e rha lte n durch e ine Zwe i-Gipfe l
Ga ussia n Be re chnung. Die horizonta le Linie ze igt die
Durchschnittsa ntwort zu le e re n Stim uli.
© Ma x P la nck Florida Institute for Ne uroscie nce /Sm ith,
Fitzpa trick
Die genaue visuelle Unterscheidungsfähigkeit hängt besonders von spezifischen Reaktionen der Nervenzellen
im Sehzentrum des Großhirns auf spezielle Muster im Gesichtsfeld, w ie zum Beispiel der räumliche Verlauf von
Kanten und Ecken und der Richtung ihrer Bew egung ab. Ebenso sind zeitliche und räumliche Muster in der
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visuellen Unterscheidungsfähigkeit von Nervenzellaktivitäten enorm w ichtig. Diese Muster beinhalten die
Variabilität,
die
Anzahl
an
reagierenden
Nervenzellen
und
den
Grad
an
Übereinstimmung
in
der
Nervenzellantw ort – also sämtlichen Faktoren, die die Kodierung von Nervenzellpopulationen im fertig
entw ickelten Sehzentrum beeinflussen. W ie diese Faktoren allerdings in den Nervenzellarealen ausgebildet
w erden und w ährend der Entw icklung des Sehzentrums einen ausgereiften Zustand erreichen, ist bis heute
unklar.
Um sich der Beantw ortung dieser Frage zu w idmen, haben sich die Forscher der sogenannten 2-Photonen in
vivo Calcium Mikroskopie bedient, um räumliche und zeitliche Komponenten der Reaktionen in einer großen
Anzahl individueller Nervenzellen im Sehzentrum von Frettchen zu studieren und zu bew erten, w ie sich diese
Faktoren w ährend der Entw icklung der Tiere nach der Geburt verändern (Abb. 1).
A bb. 2: Entwick lung von Großhirn-Ne rve nze llscha ltk re ise n zur
Be we gungsunte rsche idung. (a) 2-P hotone n Bilde r zu
unte rschie dliche n Ze itpunk te n na ch Be ginn e ine s visue lle n
Stim ulus ze ige n e ine we lle na rtige Antwort de r Ne rve nze lle n im
Großhirn. Die W e ite rle itung de r Ak tivitä t ist re chts a ls Gra die nt
von bla u bis ora nge da rge ste llt. Ma rk e rlinie : 50 μm . (b) Die
Fre que nz a usge löste r W e lle n nim m t m it de m Alte r a b. (c) Die
Dichte de r R e a k tione n, a lso die Fra k tion von a k tive n
Ne rve nze lle n in e ine m ge ge be ne n Ve rsuch und a lle n da be i
ide ntifizie rte n R O Is (Region of Interests) m it m inde ste ns e ine r
Ne rve nze lla ntwort, nim m t von na ive n und une rfa hre ne n
Ve rsuchstie rgruppe n zu de n e rfa hre ne n Gruppe n signifik a nt
a b. (d) Korre lie rte s Hinte rgrundra usche n (Background Noise)
nim m t m it zune hm e nde r Erfa hrung und zune hm e nde m Alte r
a b. (e) Die R ichtungse m pfindlichk e it von Einze lze lle n e rhöht
sich signifik a nt von na ive n zu de n juge ndliche n und
e rwa chse ne n Ve rsuchstie rgruppe n.
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Fitzpa trick
W ährend einer kurzen Periode nach dem Öffnen der Augen erfahren die Nervenzellen im visuellen Kortex der
Frettchen eine Reihe von Veränderungen, die deren Kapazität, verschiedene Stimuli zu unterscheiden, deutlich
erhöhen. Zu der zuvor dokumentierten verbesserten Richtungsempfindlichkeit w urde beobachtet, dass sich die
aktiven Nervenzellpopulationen in den ersten zw ei bis drei Wochen nach dem Öffnen der Augen drastisch
verändern. Am Anfang zeigen viele Zellen ein synchronisiertes Basisniveau an Hintergrundrauschen mit einer
w ellenähnlichen Dynamik. Dieses Rauschen entw ickelt sich dann nach Augenöffnung zu einer differenzierteren
und selektiven Reaktion einzelner Nervenzellen, w ährend sich gleichzeitig das Hintergrundrauschen verringert
(Abb. 2).
In naiven Versuchstieren scheint die visuelle Erfahrung eine große Rolle für diese Prozesse zu spielen:
Erfahrungen mit sich bew egenden im Gegensatz zu statischen Stimuli beschleunigen und verbessern die
Entw icklung von Richtungsselektivität und reduzieren gleichzeitig das korrelierte Hintergrundrauschen, w as
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Entw icklung von Richtungsselektivität und reduzieren gleichzeitig das korrelierte Hintergrundrauschen, w as
w iederum eine Verbesserung der Selektivität zur Folge hat [2, 3].
Alle diese Ergebnisse aus Versuchen mit Frettchen unterstreichen, dass kurz nach dem Öffnen der Augen
schnelle und massive Veränderungen in der Kapazität, verschiedene Stimuli zu unterscheiden, stattfinden. Sie
dienen vor allem der Unterscheidung von Bew egungen im visuellen Feld.
Literaturhinweise
[1] Huang, X.; Elyada, Y .M.; Bosking, W.H.; Walker, T.; Fitzpatrick, D.
Optogenetic assessment of horizontal interactions in primary visual cortex
The Journal of Neuroscience 34, 4976-4990 (2014)
[2] Smith, G.B.; Sederberg, A.; Elyada, Y .M.; Van Hooser, S.D.; Kaschube, M.; Fitzpatrick, D.
The development of cortical circuits for motion discrimination
Nature Neuroscience 18, 252-261 (2015)
[3] Smith, G.B.; Whitney, D.E.; Fitzpatrick, D.
Modular representation of luminance polarity in the superficial layers of primary visual cortex
Neuron 88, 805-818 (2015)
© 2016 Max-Planck-Gesellschaft
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