KREBS- DETEKTIVE

Werbung
MEDIZIN ■ Brustkrebs
KREBSDETEKTIVE
Jeder Tumor ist anders.
Neue Gentests bringen seine speziellen Eigenschaften zutage.
Und können so vielen Brustkrebspatientinnen
unnötige Therapien ersparen
T E X T INA BRZOSKA
124
BRIGITTE
woman 05|16
Als die niedergelassene Ärztin ihr
anbietet, dieses Karzinom selbst
herauszuoperieren, fühlt Karen
O’Donoghue sich völlig überrum­
pelt. Hier, in dieser altmodisch
anmutenden Praxis? Sie war die
letzten Jahre hierhergekommen,
weil sie in der Nähe ihrer Woh­
nung lag. Aber hier kann doch
nicht ein so wichtiger chirurgi­
scher Eingriff vorgenommen wer­
den, denkt Karen O’Donoghue.
Sie ist zu dem Zeitpunkt 46 Jahre
alt, eine elegante Irin mit kräftig
braunem Haar und sorgsam gezo­
genem Lidstrich. Wenn sie in den
Spiegel schaut, sieht sie eine völlig
gesunde Frau. Eine, die das Abo
für das Fitnessstudio nutzt, die im
Sommer regelmäßig Rad und im
Winter Ski fährt. Diese Nachricht
passt so gar nicht in das Leben, das
Karen O’Donoghue sich in den
letzten Jahren aufgebaut hat. Sie
ist als Übersetzerin von Fachlite­
ratur gut gebucht. Sie genießt das
urbane Leben in München, sie ist
Single. Draußen riecht alles nach
Neubeginn – der Frühling hat ge­
rade begonnen. Ihr erster Gedan­
ke: Du stirbst jetzt. Doch sie weiß:
Jammern hilft nicht, sie muss kla­
re Gedanken fassen, Entschei­
dungen fällen. Du bist eine kluge
Frau, du wirst eine Lösung finden,
sagt sie sich.
Karen O’Donoghue weiß fast
nichts über Therapien bei
Brustkrebs. Dabei liest sie als
Übersetzerin gern und viel, ist in­
teressiert, in ihrem Freundeskreis
gibt es viele Ärzte. Im Nachhinein
denkt sie, dass sie es wohl ver­
drängt hat. Sowohl bei ihrer Mut­
ter als auch bei ihrer Cousine
wurde Brustkrebs diagnostiziert.
Bei ihrer Mutter, die relativ spät
Foto: Davies and Starr/Getty Images
A
m Anfang ist da die­
ser winzig kleine
Schatten.
Ein
dunkler Fleck an
der rechten Brust­
warze. Minuten­
lang hat Karen
O’Donoghue diesen Fleck un­
gläubig angestarrt. „Das muss
überprüft werden“, hatte ihre
Frauenärztin nüchtern kommen­
tiert. Sie schickt Karen O’Do­
noghue in ein medizinisches Ver­
sorgungszentrum, wo ihr mit
einer dünnen Nadel in die Brust
geschossen wird. Es knallt, als ob
jemand eine Pistole abfeuern
würde. Entnommen wird eine
stecknadelgroße Gewebeprobe.
Pathologen erkennen ein Karzi­
nom, 18 Millimeter, etwa so groß
wie ein Daumennagel. Noch
klein, aber die Diagnose ist ein­
deutig: Brustkrebs.
Ein Tumor?
Das wäre ein
Schock. Doch
heute sind oft
schonendere
Behandlungen
möglich als
Doch jetzt geht es um sie
selbst. Karen O’Donoghue re­
cherchiert im Internet, studiert
Bücher der Deutschen Krebshilfe.
Sie führt viele Telefonate – in ih­
rem Freundeskreis gibt es einige
Radiologen, auch eine Kollegin,
die bei einem Pharmakonzern ar­
beitet. Ihr werden einige soge­
nannte Brustzentren empfohlen,
Karen O’Donoghue macht gleich
mehrere Termine. „Ich brauche
ein zweites Paar Ohren“, sagt sie
zu ihrem Ex-Freund und bittet
ihn, sie zu begleiten. In Gesprä­
chen mit Ärzten fragt er für sie
mit, notiert Fakten, später sitzen
die beiden im Café und bespre­
chen, was unklar geblieben ist
und wie sie weiter vorgehen wol­
len. Wenn Karen O’Donoghue
heute Betroffenen einen Rat ge­
ben will, dann ist es dieser: „Hol
dir jemanden ins Boot, der mit dir
diese Termine macht, denn in die­
ser Situation lässt sich manchmal
kein klarer Gedanke fassen.“
Bis auf einen Kurzurlaub bei der
Familie in Irland macht Karen
O’Donoghue weiter wie bisher.
Die Arbeit gibt ihr die Struktur,
die sie jetzt braucht. Sie will dieser
Erkrankung, trotz des anfäng­
lichen Schocks, nicht zu viel
Bedeutung beimessen. Das ist
­
etwas, was du jetzt hinter dich
bringen musst, denkt sie.
Ihr dritter Arzttermin führt sie zu
Nadia Harbeck, Leiterin des
Brustzentrums und der onkologi­
schen Tagesklinik an der Frauen­
klinik der Universität München.
Ihre Praxis ist in einem Altbau mit
hohen Decken und weißen Flügel­
türen untergebracht. In langen
126
BRIGITTE
woman 05|16
„WAS
SIE HABEN,
IST EINE
HEILBARE
KRANKHEIT“
Fluren hängen Artikel zu neuen
Erkenntnissen in der Brustkrebs­
forschung. Herzlich und akade­
misch ist die Atmosphäre. Karen
O’Donoghue fühlt sich auf An­
hieb gut aufgehoben.
Gynäkologin Nadia Harbeck ist
eine resolute Bayerin mit Wu­
schelkopf, eine, der die Empathie
im medizinischen Alltag nicht
verloren gegangen ist. Weit über
1000 Brustkrebspatientinnen hat
sie bereits behandelt, sie weiß,
dass die Chancen auf Heilung
sich in den vergangenen Jahren
enorm verbessert haben, dass sie
inzwischen bei über 80 Prozent
liegen. Sie kann Karen O’Do­
noghue auf der Basis der bisheri­
gen Daten beruhigen. „Was Sie
haben, ist eine heilbare Krank­
heit“, sagt sie. Der Tumor wurde
früh erkannt, er sei noch sehr
klein. Die neuen Therapien seien
schonender geworden, es müsse
nicht sein, dass sie ihre Brust ver­
lieren würde. Eventuell könne
sie sich sogar die Chemotherapie
sparen. Neue Tests, sogenannte
Multigentests oder Gensignatur­
tests, könnten Aufschluss geben.
Ärztin Nadia Harbeck empfiehlt
Karen O’Donoghue, solch einen
Test machen zu lassen.
Seit mehreren Jahren leitet Pro­
fessorin Harbeck Studien mit
Brustkrebspatientinnen. Derzeit
läuft die sogenannte ADAPT-Stu­
die der Westdeutschen Studien­
gruppe (WSG), die an mehreren
Uni-Kliniken und über 80 Zent­
ren in Deutschland durchgeführt
wird – insgesamt rund 5000 Pati­
entinnen werden daran teilneh­
men. Bei den betroffenen Frauen
wird unter anderem der „Onco­
type DX-Test“ gemacht. Dazu
wird ein Teil der Gewebeprobe in
ein Spezial­labor geschickt, wo die
Aktivität von 21 Genen im Tumor
ausgelesen wird. Das Ergebnis
sagt unter anderem aus, wie
schnell, wie aggressiv und wovon
abhängig der Tumor wächst. ­
Karen O’Donoghue entscheidet
sich, den Test machen zu lassen.
Anhand des Ergebnisses kann
Professor Harbeck besser ein­
schätzen, wie groß die Wahr­
scheinlichkeit ist, dass der ­Tumor
nach der Operation zurückkeh­
ren könnte. Und davon hängt ab,
ob Karen O’Donoghue von einer
Chemotherapie profitieren würde
oder ob die Nebenwirkungen den
zu erwartenden Nutzen voraus­
sichtlich übersteigen. Eine Studie
aus dem vergangenen Jahr mit
Patientinnen ohne befallene
Lymphknoten zeigte: Unter den
Frauen, bei denen der Test ein
geringes Rezidivrisiko ergab, be­
kamen innerhalb von zehn Jahren
nur fünf Prozent einen Rückfall.
Von denjenigen Frauen, denen
eine mittlere oder hohe Wahr­
scheinlichkeit bescheinigt wor­
den war, erkrankten mit 17 Pro­
zent viel mehr Frauen erneut.
Was der Test ganz deutlich
macht: Brustkrebs ist nicht
gleich Brustkrebs. „Man kann
sich das so vorstellen, dass auf
den Krebszellen Antennen sit­
zen“, so Harbeck. Diese Anten­
nen locken Hormone oder andere
körpereigene Stoffe an, damit die
Tumorzellen sich unkontrolliert
Foto: Davies and Starr/Getty Images
erkrankte, redete sie sich ein, dass
es an der Hormonersatztherapie
während der Wechseljahre gele­
gen hatte. Bei der Cousine, bei der
der Krebs sogar in die Lymphbah­
nen metastasierte, dachte sie an
einen schlimmen Zufall.
vermehren können. Nicht jeder
Brustkrebs hat alle Antennen, da­
durch unterscheiden sich die ein­
zelnen Tumoren voneinander.
„Weil Ärzte anhand dieser Tests
voraussehen können, wie sich
ein bösartiger Tumor verhält, er­
zielen wir bei der Therapie von
Brustkrebs immer bessere Fort­
schritte“, erläutert Nadia Har­
beck. „Und die Behandlung wird
immer individueller.“
Bis vor wenigen Jahren hieß die
Standardtherapie: Operation, Be­
strahlung, Chemo und / oder Hor­
mone. Betroffene Frauen hatten
keine andere Möglichkeit. Haar­
ausfall, Übelkeit, Erschöpfung, all
das hatte Karen O’Donoghue bei
ihrer Cousine erlebt. „Es klingt
eitel, aber ich hatte Angst, dass ich
meine Haare verliere und dass ich
dick werde“, sagt sie. Eine Glatze
würde sie brandmarken, dachte
Karen O’Donoghue. Jeder würde
erkennen, dass sie Krebs habe. Sie
wollte keine mitleidigen Blicke,
die Krankheit sollte nicht zum
Stigma werden.
Weil sie familiär vorbelastet
ist, lässt Karen O’Donoghue ei­
nen weiteren Gentest machen:
den BRCA-Test, der Mutationen
der Gene BRCA1 und BRCA2 un­
tersucht. Trägerinnen der BRCAGenveränderungen haben ein er­
höhtes Risiko, im Laufe des Le­
bens an besonders aggressivem
Brust- oder Eierstockkrebs zu er­
kranken. Bekannt wurde dieser
Test, als Schauspielerin Angelina
Jolie öffentlich machte, dass sie
positiv getestet wurde und sich
deshalb vorsorglich die Brüste ab­
nehmen ließ. Dieser Test erfor­
dert Mut. Doch Karen O’Dono­
ghue möchte jetzt Klarheit.
Aufgrund der vorliegenden La­
bor­ergebnisse nach der Proben­
entnahme weiß sie bereits, dass
ihr Tumor hormonempfindlich
ist, wie mehr als zwei Drittel aller
Brusttumoren. Er wächst unter
dem Einfluss von weiblichen Hor­
monen, Gestagen und Östrogen.
Für Patientinnen ist das – wenn
sich das überhaupt sagen lässt –
eine gute Nachricht, denn hier
gibt es eine Therapie, die sehr er­
folgreich anschlägt. Werden die
Andockstellen für die weiblichen
Hormone blockiert, wächst der
Tumor nicht mehr oder nur noch
ganz langsam. Genau das ge­
schieht bei der Antihormonthera­
pie. Tamoxifen nennt sich das
Mittel, das auch Karen O’Dono­
ghue schon vor der Operation
verschrieben wird, es unterbindet
die Wirkung von Östrogen auf
den Tumor.
Drei Wochen muss Karen
O‘Donoghue auf die Entfernung des Tumors warten. Der
Eingriff verläuft gut. Nadia Har­
beck erkennt, dass das Medika­
ment angeschlagen hat, dass der
Krebs aufgehört hat zu wachsen.
Wenige Tage nach dem Eingriff
sitzt Karen O’Donoghue bei Na­
dia Harbeck in der Sprechstunde.
Die Ergebnisse des Oncotype DXTests sind da, und es gibt eine
Supernachricht: Der Tumor ist
nicht aggressiv, das Rückfallrisi­
ko sehr gering. Eine Chemo ist
nicht nötig. Karen kann ihre Haa­
re behalten. Das Tamoxifen wird
sie begleiten, ansonsten hat sie die
Behandlung überstanden.

Diese Gentests sind möglich
1/2
ANZEIGE
QUER
Genexpressionstest: In Deutschland gibt es eine Handvoll Anbieter, deren Genexpressionstests den medizinischen Leitlinien entsprechen. Sie werden an zertifizierten Zentren und Unikliniken angeboten. Diese Tests firmieren unter den Namen wie Endopredict,
Mammaprint, Prosigna und Oncotype DX. In den USA und in
Großbritannien zählen einige dieser Tests schon seit einigen Jahren zur Standardtherapie. Hierzulande wollen Krankenkassen –
zum Unverständnis vieler Ärzte und Patientinnen – noch neue Studien abwarten, die den Nutzen für Patientinnen erneut belegen.
Die Kosten für die Genexpressionstests liegen zwischen 2000 und
3000 Euro. Häufig werden sie von Krankenkassen auf Antrag erstattet. Sollte das nicht der Fall sein, gibt es an Universitätskliniken
unter Umständen die Möglichkeit, den Test im Rahmen wissenschaftliche Studien finanzieren zu lassen.
BRCA-Test: Dieser Bluttest untersucht genetische Veränderungen
oder Mutationen der Gene BRCA1 und BRCA2. Trägerinnen einer
­BRCA-Genveränderung haben ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres
Lebens an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken. Da die Gentests immer genauer werden, lässt sich das Risiko immer besser
bestimmen. In zertifizierten Brustzentren gibt es eine genetische
Sprechstunde, in der abgeklärt wird, ob ein solcher Test aufgrund
familiärer Vorbelastung Sinn macht. Ist das der Fall, übernehmen
viele Krankenkassen die Kosten. Der durch diese Genveränderung
bedingte Brustkrebs tritt aber sehr selten auf, bei etwa fünf bis
zehn von 100 Frauen mit Mammakarzinom.
Mehr Infos: Bei der Deutschen Krebsgesellschaft: http://www.
krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/brustkrebs/tumorbiologie.html
BRIGITTE
woman 05|16 129
1/3
ANZEIGE
RECHTS
Herunterladen