Jahrbuch 2009/2010 | Bamberg, Ernst | Lichtgesteuerte Membrankanäle und Ionenpumpen als W erkzeuge für die Neurow issenschaft Lichtgesteuerte Membrankanäle und Ionenpumpen als Werkzeuge für die Neurowissenschaft Light-driven channels and ion pumps as tools for neuroscience Bamberg, Ernst Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt am Main Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Lichtsteuerung von Nervenzellen mithilfe des Ionenkanals Channelrhodopsin2 (ChR2) und der Cl- -Pumpe Halorhodopsin (NphR) erfüllt einen lang gehegten W unsch von Neurobiologen, denn mithilfe dieser Proteine können Neuronen in Kultur oder im Gehirn lebender Tiere, frei von jeder mechanischen Störung, mit bisher nicht erreichter Ortsauflösung durch Licht an- und abgeschaltet w erden. Damit ergeben sich viele Anw endungen in der Grundlagenforschung bis hin zur Biomedizin, und der Grundstein w ar gelegt für das heute w eltw eit sich mit hohem Tempo entw ickelnde Gebiet der Optogenetik. Summary Remote control of neural cells by light by means of the light-gated cation channel Channelrhodopsin2 (ChR2) and of the light-driven Cl- pump Halorhodopsin (NphR) fulfils a long lasting desire of neurobiologists. W ith this method neurons in culture as w ell as in the brain of living animals can be activated or inactivated at different w avelengths of the exciting light in a non invasive, electrode free manner w ith high temporal and even more important w ith an up to now unknow n spatial resolution. This new technique has set the basis for the fast developing field of optogenetics. Einführung Der lichtaktivierbare Ionenkanal Channelrhodopsin2 (ChR2) aus der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii findet auf Grund seiner einzigartigen Eigenschaft, dass mit ihm elektrisch erregbare Zellen durch Licht depolarisiert und damit angeschaltet w erden können, große Beachtung. Obw ohl ChR2 w eltw eit in vielen Labors verw endet w ird [1, 2], sind die molekularen Eigenschaften des 2003 entdeckten Proteins w enig erforscht. Daher haben w ir uns einerseits verstärkt dem molekularen Mechanismus von ChR2 zugew andt, andererseits w urden von uns auf der Basis der mikrobiellen Rhodopsine neue Werkzeuge zur Lichtsteuerung von Neuronen entw ickelt, die einerseits eine erhöhte Lichtempfindlichkeit haben und andererseits eine höhere ortsspezifische Auflösung gestatten. So w urde der Photozyklus des ChR2 analysiert und der Offenzustand des Kanals bestimmten Zw ischenprodukten des Photozyklus zugeordnet. Im Einklang mit dem Photozyklus konnte © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/4 Jahrbuch 2009/2010 | Bamberg, Ernst | Lichtgesteuerte Membrankanäle und Ionenpumpen als W erkzeuge für die Neurow issenschaft gezeigt w erden, dass ChR2 eine Protonenpumpe ist und die Kanaleigenschaften auf ein Leck des Proteins zurückzuführen sind. Die Einzelkanaleigenschaften, w ie Leitfähigkeit, Spannungsabhängigkeit und Kinetik, w urden mithilfe einer stationären Rauschanalyse bestimmt. Molekulare und funktionelle Eigenschaften von Channelrhodopsin2 W ie alle mikrobiellen Rhodopsine besitzt ChR2 als w esentliches Strukturelement sieben membranüberspannende α-Helices. Der Chromophor Retinal ist an ein Lysin der Peptidkette in Helix7 über eine Schiff’sche Base an das Protein gebunden. Um Informationen über das spektrale Verhalten von ChR2 zu erhalten, w urde eine zeitaufgelöste Blitzlichtphotolyse durchgeführt. Für diese Experimente w urde ChR2 heterolog in einem geeigneten Organismus exprimiert; als optimal erw ies sich die Hefe Pichia pastoris, aus der nach mehreren Reinigungsschritten das Protein in ausreichenden Mengen erhalten w urde. Die photometrischen Experimente zeigten einen sequenziell zw ei Photonen absorbierenden Photozyklus [3]. Der Vergleich mit zeitaufgelösten Strommessungen ergab die Identifizierung eines Offenzustandes von 10 ms Lebensdauer mit einer Rotverschiebung des Absorptionsmaximums von 470 nm im Grundzustand nach 520 nm im Offenzustand. In Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen von Joachim Heberle, Bielefeld/Berlin, und Georg Nagel, W ürzburg, konnte mithilfe der Infrarotspektroskopie gezeigt w erden, dass ChR2 beim Übergang vom Grundzustand in den Offenzustand eine vergleichsw eise große Konformationsänderung durchläuft, ein Ergebnis, das mit den Ionenkanaleigenschaften im Einklang steht. Wesentliche Eigenschaften von ChR2, nämlich die Einzelkanalleitfähigkeit und das für die Anw endung w ichtige Gleichrichterverhalten des Kanals, w urden mithilfe einer stationären Rauschanalyse untersucht [4]. Die Kenntnis der Einzelkanalleitfähigkeit und der aus der Kinetik des Gesamtstroms bestimmten Lebensdauer der Kanäle erlaubt eine genaue Abschätzung, w ie viele Kopien von ChR2 in der zu untersuchenden W irtszelle aktiv sind - eine Information, die für die Optimierung bei der Expression von ChR2 in Neuronen w ichtig ist, w obei es natürlich von Interesse ist, das molekulare Verhalten dieser einzigartigen Ionenkanäle genau zu kennen und zu verstehen. Mit der herkömmlichen patch-clamp-Methode konnten einzelne ChR2-Kanäle nicht bestimmt w erden. Daraus w urde geschlossen, dass die Einzelkanalleitfähigkeit extrem niedrig sein muss. In der Tat ergab die Rauschanalyse eine Leitfähigkeit von 40 Femtosiemens. Dieser Wert entspricht einem Einzelkanalstrom von 4 * 10 -15 Ampere bei einer Potenzialdifferenz von 100 mV. Der durch ChR2 induzierte elektrische Strom ist einw ärts gerichtet, eine w ichtige Voraussetzung für die Anw endung in Nervenzellen, da somit unter physiologischen Bedingungen nur die durch Licht induzierte Depolarisierung auf Grund des Natriumionen Einstroms und die daraus folgende Aktivierung der Zellen möglich ist. Durch Vergleich der Spannungsabhängigkeit der makroskopischen Ströme mit den Einzelkanalströmen von ChR2 ergab sich, dass das Gleichrichterverhalten sow ohl auf die Spannungsabhängigkeit der Stromamplitude der Einzelkanäle als auch auf eine veränderte Offenw ahrscheinlichkeit zurückzuführen ist. Die Ergebnisse können mit einem einfachen Barrierenmodell für die Ionentranslokation interpretiert w erden. ChR2 w eist in den für seine Funktion w ichtigen Aminosäure-Sequenzabschnitten eine hohe Homologie mit den entsprechenden Abschnitten der lichtgetriebenen Protonenpumpe Bakteriorhodopsin aus dem Archebakterium Halobacterium salinarum auf. Daher w urde geprüft, ob auch ChR2 als Protonenpumpe agieren kann, nicht zuletzt auch desw egen, w eil auf Grund der gew onnenen spektroskopischen Resultate der Photozyklus des ChR2 ebenfalls eine große Ähnlichkeit mit dem des Bakteriorhodopsins aufw eist, nämlich die De- und Reprotonierung der Schiff’schen Base, über die der Chromophor Retinal an die Peptidkette (Opsin) gebunden ist. Dieser Prozess ist in der Regel bei mikrobiellen Rhodopsinen mit einem gerichteten Protonentransport verbunden. In der Tat konnte gezeigt w erden, dass bei Wegnahme des elektrischen (ΔΨ=0) und des © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/4 Jahrbuch 2009/2010 | Bamberg, Ernst | Lichtgesteuerte Membrankanäle und Ionenpumpen als W erkzeuge für die Neurow issenschaft chemischen Gradienten (Δμ=0) ChR2 als ausw ärts gerichtete Protonenpumpe arbeitet, w obei jedoch die Kanaleigenschaften des Proteins auf eine hohe passive Permeabilität für Kationen zurückzuführen sind, die, w ie bereits früher gezeigt, exakt dem elektrochemischen Gradienten folgen. Neue Werkzeuge für neurobiologische Anwendungen Obw ohl der W ildtyp von ChR2 bereits ausgezeichnete Ergebnisse bei vielen neurobiologischen Arbeiten geliefert hat, ist es w ünschensw ert, verbesserte Versionen mit Hilfe von Punktmutationen oder, in Kombination mit der Cl- Pumpe Halorhodopsin (NphR,), Fusionsproteine, so genannte Tandemmoleküle, zu erzeugen. In einer früheren Arbeit w ar gezeigt w orden, dass NphR durch den Cl- Einw ärtsstrom Nervenzellen hyperpolarisiert und damit stilllegt. Tandemmoleküle aus ChR2 und NphR haben den Vorteil, dass eine äquimolare Expression, auch ortsspezifisch, in der Zelle gew ährleistet ist, das heißt, Zellen können mithilfe der Tandemmoleküle mit hoher räumlicher Präzision durch ChR2 mit blauem Licht einerseits depolarisiert und damit angeschaltet w erden, andererseits mit gelbem Licht durch NphR hyperpolarisiert und damit abgeschaltet w erden (Abb. 1). De r optogenetic approach: Sche m a tische Da rste llung de r Funk tion von C ha nne lrhodopsin2 und Ha lorhodopsin in Ne rve nze lle n. a Auslöse n von Ak tionspote nzia le n durch C hR 2 (bla ue s Licht) und de re n Inhibie rung durch NphR (ge lbe s Licht) in k ultivie rte n Hippok a m pus Ze lle n. b Aufze ichnung de r e ntspre che nde n Ak tionspote nzia le a n de r ne urona le n Ze lle . © Ma x -P la nck -Institut für Biophysik /Ba m be rg In Experimenten am Gehirn von Nagern ist eine erhöhte Lichtsensitivität dann w ünschensw ert, w enn nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Innern des Gehirns Untersuchungen vorgenommen w erden sollen, da die Lichtdurchlässigkeit des Gehirngew ebes äußerst gering ist. Durch Studien an der noch hypothetischen Struktur von ChR2, die bislang nur aus der bekannten Struktur des Bakteriorhodopsins abgeleitet w erden konnte, w urde beispielsw eise eine ChR2 Mutante spektroskopisch und elektrophysiologisch charakterisiert, bei der sich der Kanal nach einem kurzen Lichtpuls permanent im Offenzustand befindet [5]. Durch geeignete Wahl des Belichtungsprogramms kann somit sogar in bestimmten Zeitintervallen der Kanal ein- bzw . abgeschaltet w erden. Durch diese freie W ählbarkeit der Lebensdauer des Kanalzustands ist auch eine W ählbarkeit der Lichtempfindlichkeit gegeben. Laufende und zukünftige Projekte Die Abteilung ist in zw ei größere Projekte zu neurodegenerativen Krankheiten involviert, bei denen die optogenetischen Werkzeuge angew endet w erden. Das erste Projekt beschäftigt sich mit der Anw endung von © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/4 Jahrbuch 2009/2010 | Bamberg, Ernst | Lichtgesteuerte Membrankanäle und Ionenpumpen als W erkzeuge für die Neurow issenschaft ChR2 und einiger Mutanten zur W iederherstellung des Sehens, w ährend im zw eiten Projekt nach Alternativen zu der bisher auf Elektroden basierenden Tiefen Hirnstimulation“ bei der Behandlung der Parkinsonschen Krankheit gesucht w ird. Ferner bestehen im Bereich der Grundlagenforschung eine Reihe von Kollaborationen im Bereich der Spektroskopie, der Strukturforschung und der Neurobiologie. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter (Employee Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung [1] G. Nagel, T. Szellas, W. Huhn, S. Kateriya, N. Adeishvili, P. Berthold, D. Ollig, P. Hegemann, E. Bamberg: Channelrhodopsin-2, a directly light-gated cation-selective membrane channel. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 100, 13940-13945 (2003). [2] F. Zhang, L. P. Wang, M. Brauner, J. F. Liewald, K. Kay, N. Watzke, P. G. Wood, E. Bamberg, G. Nagel, A. Gottschalk, K. Deisseroth: Multimodal fast optical interrogation of neural circuitry. Nature 446, 633-639 (2007). [3] C. Bamann, T. Kirsch, G. Nagel, E. Bamberg: Spectral characteristics of the photocycle of channelrhodopsin-2 and its implication for channel function. Journal of Molecular Biology 375, 686-694 (2008). [4] K. Feldbauer, D. Zimmermann, V. Pintschovius, J. Spitz, C. Bamann, E. Bamberg: Channelrhodopsin-2 is a leaky proton pump. Proceedings of the National Academy of Sciences USA 106, 12317-12322 (2009). [5] C. Bamann, R. Gueta, S. Kleinlogel, G. Nagel, E. Bamberg: Structural guidance of the photocycle of channelrhodopsin-2 by an interhelical hydrogen bond. Biochemistry 49, 267-278 (2010). © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/4