Blindheit durch ein Mantelzell-Lymphom

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Schweiz Med Forum 2007;7:485–487
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Blindheit durch ein Mantelzell-Lymphom
Julia Collecutta, Monika Jermanna, Niels Willib, Lorenz Josta
a
b
Onkologie, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Bruderholz
Kantonales Institut für Pathologie, Kantonsspital Liestal
Summary
Blindness Resulting from Mantle Cell Lymphoma
A 62-year-old patient presented with bilateral swelling of the upper lateral
eyelids, submandibular and cervical lymphomas, and B symptoms. Lymph node
and bone marrow biopsies and CT scans of the neck, thorax, and abdomen
confirmed stage IVB mantle cell lymphoma with blastoid cells. Partial remission was achieved after six cycles of chlorambucil and prednisone. However,
systemic and mediastinal recurrences were diagnosed 9 and 17 months later,
respectively, and were treated with various chemotherapy regimens. Nine
months after completing the systemic therapy, the patient presented with a personality change, unsteady gait, and weight loss. Lymphomatous infiltration
of the leptomeningeae was diagnosed. Complete remission was achieved with
intrathecal chemotherapy and whole-brain irradiation. A further orbital relapse accompanied by loss of vision occurred four months later and proved
refractory to a therapy with bortezomib. The patient died shortly thereafter
from progressive systemic lymphoma. Mantle cell lymphomas (MCL) account
for about 6% of all lymphomas. A blastoid variant is found in 20% of cases and
is characterized by a shorter median survival. Loss of vision due to orbital
lymphoma has mostly been attributed to nerve compression whereas our case
exhibited not only CNS involvement (which is rare in MCL, occurring in only
about 4%) but also direct lymphomatous infiltration of the optical nerves.
Fallbeschreibung
Ein 62jähriger Mann präsentierte sich mit Schwellungen an beiden oberen Augenlidern und beidseits submandibulär und zervikal vergrösserten
Lymphknoten. Es bestanden ein Gewichtsverlust
von 5 kg in vier Monaten und Nachtschweiss.
Der Visus und die Motilität des rechten Auges
waren durch die Schwellung beeinträchtigt.
Links bestand seit 1964 eine Amaurosis infolge
einer traumatischen Korneaperforation. Im Augenspital wurde eine Konjunktivitis diagnostiziert mit indolenten, harten und verschieblichen
Resistenzen in beiden lateralen Oberlidern. Eine
Magnetresonanztomographie des Neurokraniums
(Abb. 1 x) zeigte ausgedehnte multifokale Tumormanifestationen innerhalb des Conus muscularis im Bereich des Oberlids beidseits, links mit
Verdrängung des Nervus opticus nach medial
und rechts mit Volumenvermehrung des Nervus
opticus.
Im Röntgen-Thoraxbild zeigten sich beidseits
polyzyklisch vergrösserte Hili. Zur Diagnostik
erfolgte eine inguinale Lymphknotenexzision.
Die Histologie und die flowzytometrische Analyse ergaben die Diagnose eines blastären Mantelzell-Lymphoms (CD19, CD20, Cyclin D1 stark
positiv, CD23 schwach positiv und CD10 negativ)
(Abb. 2, 3 x).
Das zum Staging durchgeführte CT von Hals,
Thorax und Abdomen ergab vergrösserte Lymphknoten zervikal, supra- und infraklavikulär, axillär, mediastinal, hilär, paraaortal und inguinal
sowie eine leichtgradige Splenomegalie. Im Blutbild war eine leukämische Ausschwemmung
nachweisbar (36,5% von 9300 x 109/L Leukozyten). Bei unserem Patienten bestand somit initial ein Stadium IV B eines blastären MantelzellLymphoms.
Es wurde eine Chemotherapie mit sechs Zyklen
Chlorambucil (Leukeran®) und Prednison durchgeführt, die radiologisch zu einer guten Partialremission führte. Neun Monate später wurde bei
einem Rezidiv in beiden Orbitae, das sich mit
einer progredienten Schwellung jedoch ohne
Visusbeeinträchtigung manifestierte, eine perkutane Radiatio beider Orbitae mit 40 Gy in
20 Fraktionen durchgeführt.
Wiederum neun Monate später kam es zu einem
ausgedehnten Rezidiv mit multiplen mediastinalen, abdominalen und peripheren Lymphomen
und einer Splenomegalie ohne B-Symptomatik.
Es wurde erneut eine Chemotherapie mit sechs
Zyklen R-CHOP (Rituximab, Cyclophosphasmid,
Doxorubicin, Prednison und Vincristin) durchgeführt, was radiologisch zu einer partiellen Remission führte.
Acht Monate später traten mediastinal ein Lokalrezidiv und B-Symptome auf. Nach einer Drittlinienchemotherapie mit sechs Zyklen R-ESHAP
(Rituximab, Etoposid, Methylprednisolon, Ara-C,
Cisplatin) wurde erneut eine gute partielle Remission dokumentiert. Für eine beim MantelzellLymphom nicht erwiesen wirksame Erhaltungs-
Abbildung 1
Initiales Schädel-MRI: lymphomatöse Infiltration
beider Orbitae.
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Abbildung 2
Histologie des inguinalen Lymphknotens: blastäres
Mantelzell-Lymphom mit grossen rundlich bis ovalen
und zum Teil gekerbten Zellkernen und prominenten
Nukleolen (Vergrösserung 400x).
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rungen auf. Im MRI ergab sich der Verdacht
einer leptomeningealen Lymphominfiltration
entlang des Hirnstamms, der Medulla oblongata
und des Rückenmarks. Im Liquor waren maligne
Zellen nachweisbar (Zellzahl 192/mm3; Normalwert: 93/mm3), davon 10% Segmentkernige und
90% Mononukleäre. Es erfolgten eine Ganzhirnradiatio mit 40 Gy in 20 Fraktionen unter Auslassung der Orbitaregion sowie eine intrathekale
Chemotherapie mit Ara-C, Methotrexat und
Hydrocortison während fünf Monaten mit nachfolgend kompletter Remission. Vier Monate später trat orbital erneut ein Rezidiv auf, das trotz
Behandlung mit drei Zyklen Bortezomib im Verlauf zur Erblindung des funktionellen rechten
Auges führte. Der Patient verstarb einige Wochen später an seinem generell progredienten
Tumorleiden.
Kommentar
Abbildung 3
Immunhistochemische Reaktion: Positivität für Cyclin D1
in der Lymphknotenhistologie (Vergrösserung 400x).
Abbildung 4
Nervus opticus mit peri- und neuraler Lymphominfiltration (dunkelblau) in der Autopsie (Vergrösserung 40x).
therapie mit Mabthera bestand nur eine befristete Kostengutsprache. Neun Monate nach dem
Ende derselben traten eine Gangunsicherheit,
eine Wesensveränderung und mnestische Stö-
Das Mantelzell-Lymphom (MCL) gehört zur
Gruppe der B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome mit
einem tiefen Malignitätsgrad (WHO-Klassifikation 2001). Ungefähr 6% aller Lymphome sind
MCL. Die jährliche Inzidenz liegt bei 2:100 000
mit einer Prävalenz des männlichen Geschlechts
(3:1) und einem Altersmedian von 65 Jahren.
Etwa 85% der Patienten befinden sich bei der
Erstdiagnose in einem fortgeschrittenen Erkrankungsstadium (III oder IV). Bei ungefähr 60% der
Patienten besteht bereits bei der Diagnosestellung eine Knochenmarkinfiltration und bei etwa
25% auch eine leukämische Ausschwemmung.
Die mediane Überlebenszeit liegt bei unter drei
Jahren.
Das klinische Bild ist meist durch vergrösserte
Lymphknoten und eine Splenomegalie (45–60%)
geprägt. Extranodale Manifestationen sind beim
MCL häufiger als bei anderen Lymphomsubtypen. Gehäuft tritt insbesondere ein gastrointestinaler Befall auf. Zu den Differentialdiagnosen
gehören die chronisch lymphatische Leukämie
und andere Lymphomsubtypen. Eine definitive
Diagnose ist oft erst durch eine immunhistochemische Bestimmung bzw. eine flowzytometrische Analyse möglich.
In 85–90% der Fälle [1] kommt es zu einer charakteristischen Translokation t(11;14)(q13;q32).
Diese chromosomale Aberration führt zu einer
Deregulation und einer Überexpression von
Cyclin D1, was eine Tumorzellproliferation verursacht [2].
Bei unserem Patienten wurde histologisch und
immunhistochemisch die Diagnose eines blastären MCL gestellt, eine Variante des MCL, welche
in ungefähr 20% nachweisbar ist [3]. Der Verlauf
der blastären Variante ist aggressiver und die
mediane Überlebenszeit kürzer. Gegenüber der
normalen Variante wird die Überexpression von
Cyclin D1 und/oder CDK4 vermehrt gefunden,
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und der Proliferationsindex (MIB-1 = Ki67-Expression) beträgt statt ungefähr 30% meist etwa
50–80%. Zusätzlich besteht ein komplexeres
zytogenetisches Profil [4] mit tetraploiden Chromosomen, Cyclin-D1-Amplifikationen, einer
höheren p53-Mutationsrate und einer höheren
Inzidenz an p16-Deletionen.
Unser Patient zeigte nicht nur die seltene Diagnose eines blastären Mantelzell-Lymphoms und
dessen seltenen ZNS-Befall [5], sondern auch
einen Befall beider Nervi optici (Abb. 4 x).
In der neueren Literatur wurde bei einem Orbita-
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befall durch Mantelzell- [6, 7] oder die häufigeren diffus-grosszelligen sowie vor allem durch
die MALT-Lymphome vom Marginalzonentyp
[8, 9] wegen des Drucks infolge eines Lymphombefalls anderer orbitaler Stukturen eher Schädigungen des Nervus opticus beschrieben, während in unserem Fall eine klare lymphomatöse
Infiltration nachweisbar war. Ein Befall des
ZNS scheint gemäss retrospektiven Daten wie
bei unserem Fall bei blastären Varianten und
leukämischer Ausschwemmung gehäuft vorzukommen [10].
Literatur
Korrespondenz:
Dr. med. Lorenz Jost
Onkologie
Medizinische Universitätsklinik
Kantonsspital
CH-4101 Bruderholz
[email protected]
1 Thieblemont C, Nasser V, Felman P, Leroy K, Gazzo S, et al.
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