Geisteswissenschaft Patrick Weber Globale distributive Gerechtigkeit Eine Auseinandersetzung mit der moralischen Begründbarkeit einer globalen Konzeption der distributiven Gerechtigkeit Studienarbeit GLOBALE DISTRIBUTIVE GERECHTIGKEIT Eine Auseinandersetzung mit der moralischen Begründbarkeit einer globalen Konzeption der distributiven Gerechtigkeit Philosophisches Seminar Universität Zürich Seminar: Weltarmut und Ethik Sommersemester 2006 Autor: Patrick Weber Patrick Weber Globale distributive Gerechtigkeit Inhalt PROLOG 2 GRUNDLAGEN DER DISTRIBUTIVEN GERECHTIGKEIT 2 PLATON, ARISTOTELES UND CICERO VON HOBBES BIS RAWLS GLEICHHEIT UND DISTRIBUTIVE GERECHTIGKEIT BESTIMMUNG DISTRIBUTIVER GERECHTIGKEIT 3 4 4 6 GLOBALE PERSPEKTIVE DISTRIBUTIVER GERECHTIGKEIT HILFSPFLICHT UND DISTRIBUTIVE GERECHTIGKEIT DAS RECHT DER VÖLKER DER ZWEITE URZUSTAND NATIONALE IDENTITÄT NATION ALS TEMPORÄRE REALITÄT GLOBALE MORAL GLOBALE BEWUSSTSEINSBILDUNG GLOBALE REALITÄT BEITRAGSGERECHTIGKEIT DIE LEISTUNG EINER NATION MORALISCHE RELEVANZ DER RESSOURCEN LANGFRISTIGE BEITRAGSGERECHTIGKEIT ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNGEN DER GLOBALE LEVIATHAN NEGATIVE PFLICHT 8 8 9 10 11 12 13 14 15 15 15 16 17 19 19 20 EPILOG 23 ANHANG 25 LITERATUR 25 1 Patrick Weber Globale distributive Gerechtigkeit Prolog „Denn die Gleichheit und Gerechtigkeit wollen, sind immer die Schwächeren, während die Stärkeren sich über diese Dinge keinen Kummer machen.“1 Es steht ausser Zweifel, dass in der gegenwärtigen globalen Gesellschaft die Forderung nach Gleichheit nicht erfüllt ist. Auch wenn das durchschnittliche Einkommen pro Kopf in den ärmsten Ländern gestiegen ist, sich die Menge der Personen, welche unter einem Dollar pro Tag leben, verringert hat, die globale Kindersterblichkeit abgenommen hat, und man durchaus behaupten kann, im Durchschnitt sei es den Menschen noch nie besser gegangen als in der heutigen Gesellschaft,2 zeichnen diese Zahlen ein trügerisches Bild der Verhältnisse auf unserer Erde. Besonders die Verfechter einer globalisierten Welt, basierend auf den Idealen des Liberalismus und des Kapitalismus, werden nicht müde, den unglaublichen Fortschritt der globalen Gesellschaft zu betonen. Dabei wird nur zu gerne übersehen, dass die Globalisierung auch Opfer fordert. Die Vertreter der Gewinner orientieren sich in ihren Darstellungen an absoluten und isolierten Zahlen, welche die Zunahme des Handels oder des Bruttoinlandsproduktes illustrieren. Diejenigen hingegen, welche sich für die Bedürfnisse der Ärmsten einsetzen, bevorzugen relative Zahlen. War das Einkommensverhältnis zwischen den ärmsten 20% und den reichsten 20% der Menschheit im Jahre 1960 noch 1:30, stieg es in den Jahrzehnten des gewaltigen Wirtschaftswachstums bis ins Jahr 2000 auf rund 1:80 an. Das Vermögen der 200 reichsten Menschen der Welt hat zwischen 1994 und 1998 von rund 440 Milliarden Dollar auf über eine Trillion zugenommen,3 während dem beinahe 50% der Menschheit unterhalb der 2 „Dollar/Tag-Grenze“ leben muss. Rund 50'000 Menschen sterben täglich infolge der Armut,4 derweilen in den wohlhabenden Ländern Unsummen für Schönheitsoperationen ausgegeben werden oder die Menschen an Übergewicht leiden. Die Frage ist also nicht, ob auf der Welt eine zunehmende Ungleichheit herrscht, sondern ob diese Ungleichheit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit entspricht und sich rechtfertigen lässt; oder ob wir, die Reichen, vielleicht etwas an unserem Tun verändern müssen, um ein moralisch integres Leben zu führen. Dazu werden wir in einem ersten Teil der Arbeit untersuchen, was in unserer Gesellschaft unter distributiver Gerechtigkeit verstanden wird. Im zweiten Teil der Arbeit soll es darum gehen, ob unsere Vorstellung von distributiver Gerechtigkeit auch auf einer globale Ebene Gültigkeit hat und schliesslich stellt sich generell die Frage, ob die gegenwärtige globale Ordnung den Anspruch erheben kann, sie sei gerecht. Grundlagen der distributiven Gerechtigkeit Für diese Arbeit setze ich voraus, dass Menschen moralische Wesen sind und daher eine Pflicht haben, moralische Grundsätze zu akzeptieren und ihr Leben danach auszurichten – lehnen wir diesen Grundsatz ab, erübrigt sich jegliches Nachdenken über ethische Prinzipien und wir können getrost zurückkeh1 2 3 4 Aristoteles; Politik; 1318b; Vergleiche: Risse, Mathias (2004); How Does the Global Order Harm the Poor; in Philosophy and Public Affairs 4, Seite 370 Gerster, Richard (2001); Globalisierung und Gerechtigkeit; Bern Vergleiche: Pogge, Thomas (2002); World Poverty and Human Rights; Cambridge; Seite 2 2