Regionale Themen als PDF - Meine Geschichtswerkstatt

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Regionale Themen:
Deutsch - Italienische Gesellschaft
März 2009
Hansjörg Frommer
24. Seminar zur italienischen Geschichte: Sizilien
Griechen, Karthager, Römer, Islam, Normannen, Spanier, Italiener
Literatur:
Klaus Galla: Sizilien – Insel zwischen Morgenland und Abendland. DuMont Köln 1978.
Eckart Peterich: Sizilien. Prestel München 1981.
Werner Huss: Die Karthager. C. H. Beck München 1994.
Hermann Bengtson: Griechische Geschichte. C. H. Beck München 1965/2009
Hermann Bengtson: Römische Geschichte. C. H. Beck München 1973/2001
Hannibal ad portas. Macht und Reichtum Karthagos. Katalog BLM, Karlsruhe 2004.
Reinhardt/Sommer: Sizilien. Eine Geschichte von den Anfängen bis heute. WBG 2010.
1. Vorgeschichte Siziliens
Karte aus "Putzger Historischer Schulatlas, 1918"
Sizilien: Ost-West-Ausdehnung 270 km, Nord-Süd-Ausdehnung 170 km, Umfang/Küstenlinie 720 km. Im Innern zum Teil schwer zugängliches Bergland: höchste Erhebung der Ätna
mit 3340 m. Die antike Zivilisation fand rund ums Mittelmeer statt, und Sizilien war darin nicht
in einer Randlage, sondern zentral, und war für die schon im zweiten Jahrtausend einsetzende Schifffahrt ein wichtiger Anlaufpunkt. Deshalb wurde der Besitz von Sizilien beim
Aufbau der Großmächte und bei ihren Auseinandersetzungen immer wichtiger, denn es lag
im Schnittpunkt von Griechen, Phöniziern/Karthagern und Römern.
Die ersten Zuwanderer waren die Sikaner, ethnisch nordafrikanischen Ursprungs, aus
Iberien zugewandert, Gründer von Himera, Hykarra, Indara, Makara (vor 1400).
Die Elymer, nach der Sage Flüchtlinge aus Troja, Gründer von Eryx und Segesta im
Nordwesten, Gegner der Griechen und Verbündete der Karthager und Römer.
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Die Sikuler sollen vom italienischen Festland nach Sizilien vertrieben worden sein. Als
Ackerbauern siedelten sie im Osten der Insel, wurden aber im 8. Jahrhundert durch die
Griechen ins Bergland verdrängt und vermischten sich mit den Sikanern.
Auch vom italienischen Festland stammten die Morgeten, die kurz nach den Sikulern im 11.
Jahrhundert zuwanderten und später die Stadt Morgantia (im Landesinnern, bei Aidone/
Piazza Armerina gründeten.
Die Phönizier drangen aus Tyrus und Sidon im heutigen Libanon ins ganze Mittelmeer vor
und siedelten seit etwa 1100 an der sizilischen Küste, also lange vor der Gründung von
Karthago (um 825). Die archäologischen Spuren dieser frühen Siedlungen sind sehr dürftig.
2. Die griechische Zuwanderung (900 – 600)
(Ernst Wilhelm Eschmann: Das Amerika der Griechen. Claassen Düsseldorf 1967)
Die frühen Griechen (Minoer, Ionier, Äoler) waren keine politische Einheit, sondern in Städte
und Landschaften gegliedert. Die Städte am Meer beschäftigten sich auch mit der Seefahrt
und der Erforschung des Mittelmeeres, insbesondere die Seefahrer aus Chalkis, die schon
im zehnten Jahrhundert Sizilien erreichten, kleine Stützpunkte gründeten und gute Beziehungen zu den Einwohnern aufbauten. Die Belege dafür sind das Vorkommen Siziliens in Ilias
und Odyssee (Scylla und Charybdis für die Meerenge von Messina, der Riese Polyphem).
Um 1000 drückt eine neue Einwanderungswelle, die dorische Wanderung, gegen die Griechen in Griechenland, die dem Druck weichen und auswandern, zuerst nach Kleinasien an
die "ionische Küste", wo sie großzügige Städte anlegen.
Nach 800 dehnt sich diese Auswanderungs- und Siedlungsbewegung auf das westliche
Mittelmeer aus, die italienische Küste (Tarent, Kyme, Neapel), die französische Mittelmeerküste (Marseille) und Sizilien. Diese Siedlungen waren planmäßige Städtegründungen,
ausgehend von einer griechischen "Mutterstadt", der sie verbunden blieben. Die eingessene
Bevölkerung wurde unterworfen und assimiliert oder ins Landesinnere vertrieben.
Die meisten griechischen Städtegründungen in Sizilien waren an der Ostküste:
Um 750 Megara Hyblaea (zwischen Catania und Siracusa), von Megara in Griechenland
aus gegründet, 214 a.C. zerstört und heute als archäologischer Park zu besichtigen.
Um 735 Naxos (südlich von Taormina), von Chalkis aus gegründet, 403 a. C. von Dionysios
I. zerstört und durch Taormina ersetzt. Ausgrabungsreste.
734 Syrakus von Korinth aus an einer sehr günstigen Stelle gegründet, wichtigste griechische Stadt im westlichen Mittelmeer mit wichtigen Bauwerken aus der klassischen
griechischen Zeit (Apollo-Tempel).
729 Catania, von Naxos aus gegründet, in der Mitte der Ostküste, 121 a.C. durch einen
Ätna-Ausbruch zerstört, die römischen Bauten aus der Zeit nachher sind erhalten.
690 Gela, an der Südküste, von Rhodos aus gegründet, im 5. Jahrhundert unter dem
Tyrannen Gelon zeitweilig wichtigste griechische Macht. Der Dichter Aischylos starb dort
456. 282 wurde die Stadt von den Mamertinern zerstört und nicht wieder aufgebaut.
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648 Himera (sikanischer Name), an der Nordküste, von Chalkis aus gegründet, 480 Ort des
großen Sieges der Griechen über die Karthager, heute nur noch spärliche Tempelspuren.
628 Selinunt an der Südküste fast an der Inselspitze, von Megara Hyblaea aus gegründet
(am Fluss Selinus, in Zusammenhang mit dem wilden Sellerie sélinon), heute noch einzelne
beeindruckende Tempelbauten.
582 Akragas/Agrigent an der Südküste, von Gela aus gegründet, eine der schönsten
griechischen Städte, von der noch heute viele Bauten und Reste in einer lebendig gebliebenen Großstadt zeugen.
3. Die phönikisch-karthagische Siedlung (900 – 550)
(Antonella Spanó Giamellaro: Phönizier und Punier in Sizilien, Katalog BLM, Karlsruhe 2004)
Auch die Phönizier siedelten ursprünglich um ganz Sizilien herum, aber sie suchten maritime
Stützpunkte und bauten keine großen Städte und erschlossen kein Land. Die archäologischen Spuren dieser Siedlung sind sehr spärlich. Wegen der griechischen Siedlungstätigkeit
zogen sich die Phönizier immer mehr auf die Nordwestspitze der Insel zurück.
Karthago war inzwischen zur phönizischen Großmacht im Westen herangewachsen. Der
Wegfall Siziliens wäre für die Sicherheit Karthagos und der karthagischen Seefahrt ein einschneidender Verlust gewesen. Deshalb begann Karthago, auf Sizilien einzugreifen und die
Phöniker auf der Nordwestspitze zu schützen. Das phönizische Städtedreieck Solus/Solunt,
Panormus/Palermo und Motye/Mozia wurde ausgebaut, später kam Lilybaion/Marsala
dazu. In allen diesen Städten finden sich phönizisch-karthagische Reste, in Mozia konnte der
Tophet, der heilige Hügel, identifiziert werden. Aber vieles wurde später überbaut, und die
karthagische Erinnerung galt nicht mehr sehr viel. Von den Ausgrabungen findet sich
wichtige Stücke im Museo Regionale von Palermo.
Die Phönizier standen im
Bund mit den Elymern, der
alten Bevölkerung, die sich
für Flüchtlinge aus dem
zerstörten Troja hielt und von
den Griechen nur Böses
erwartete.
Im Lauf der Zeit verloren
die Elymer einen Teil ihrer
Selbstständigkeit, weil
Karthago das Hinterland
der Städte immer mehr als
Kolonialbesitz betrachtete.
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4. Der karthagisch – griechische Konflikt auf Sizilien (550 – 270)
Um 550 führte der karthagische Feldherr Malchus einen mehrjährigen Krieg auf Sizilien, um
die karthagische Nordwestspitze vor dem griechischen Vordringen zu retten und zu sichern.
Die Selinuntier wurden vor den Toren der Stadt geschlagen. Ein Siedlungsversuch des
spartanischen Königssohnes Dorieus an der Nordwestspitze bei Eryx wurde erfolgreich
zurückgeschlagen.
Gelon, vorher Kommandeur der Kavallerie, folgte 491 dem Hippokrates als Tyrann von Gela.
488/487 a.C. wurde er Sieger im Wagenrennen bei den Olympischen Spielen. 485 nutzte er
den Hilferuf der oligarchischen Landeigentümer von Syrakus, die von der Bevölkerung vertrieben worden waren, um sich selbst zum Tyrannen zu machen. Von nun an widmete er
seine Zeit nicht mehr Gela (das er seinem Bruder Hieron übergab), sondern der Vergrößerung von Syrakus, das nun außergewöhnlichen Reichtum und Einfluss erlangte. Er stärkte
die Stadt und seine Macht dort durch die Umsiedlung der Hälfte der Einwohner von Gela
dorthin und baute das Heer und die Flotte aus. Als die Griechen seine Hilfe gegen Xerxes
erflehten, wies er sie zurück, weil sie ihm nicht das Kommando über die alliierten Kräfte
geben wollten.
Gegen den so entstehenden Druck rüsteten die Karthager eine gewaltige Armee aus
Söldnern, die 480 unter Hamilcar nach Panormus übersetzte und sich gegen Himera in
Bewegung setzte. Die karthagische Armee wurde bei Himera von Gelon und seinem
Schwiegervater Theron, dem Tyrannen von Akragas völlig geschlagen, Hamilcar nahm sich
das Leben, viele Söldner wurde gefangen genommen und als Sklaven verkauft. Die restliche
Armee kam auf der Flucht nach Karthago im Sturm ums Leben.
Die große Rüstung deutet darauf hin, dass Hamilcar mit dem Feldzug die karthagische Herrschaft in Sizilien erheblich ausweiten sollte und damit scheitete. Möglicherweise handelten
die Karthager sogar in Übereinstimmung mit dem Perserkönig, der 480 seinen Feldzug
gegen die Griechen begann und damit scheiterte. Der Frieden von Syrakus zwischen Gelon
und Karthago vom folgenden Jahr enthält keine territorialen Bestimmungen, ließ also die
Karthager im Besitz ihrer Inselspitze, aber die griechische Vorherrschaft war danach für
Jahrzehnte gesichert. Selbst als es um 450 zu einem gefährlichen Aufstand der zurückgedrängten Sikuler unter Duketios kam, hielt sich Karthago zurück.
Dabei war das Griechentum und vor allem die Herrschaft der Tyrannen keineswegs
gefestigt. Dem gewaltigen äußeren Aufwand standen innere Unruhen und die Bewegung für
mehr Demokratie entgegen. Der Philosoph Empedokles sagte über seine Landsleute: "Die
Akragantiner schwelgen, als ob sie morgen sterben müssten, und sie bauen, als ob sie ewig
leben würden". Als das ionische Leontinoi/Lentini vom dorischen Syrakus unterworfen wurde,
suchte es Hilfe nicht bei Karthago, sondern bei der Seemacht Athen, die seit 431 mit Sparta
um die Macht in Griechenland kämpfte. So wurde Sizilien von 426 bis 424 in den Großen
Peloponnesischen Krieg mit hineingezogen. Diese Auseinandersetzung endete unentschieden. 415 beschloss die athenische Volksversammlung unter Alkibiades, auf einen Hilferuf
von Segesta hin erneut mit großen Kräften in Sizilien einzugreifen. Die Ende 415 begonnene
Belagerung von Syrakus scheiterte endgültig im August 413, das Heer wurde auf dem
Rückzug dezimiert und gefangen genommen, die Gefangenen endeten als Sklaven in den
Steinbrüchen. Die Niederlage, "die schwerste Katastrophe, die je ein griechisches Heer
betroffen hat" (Bengtson), leitete den Niedergang Athens ein.
Die Athener hatten auch eine Gesandtschaft mit einem Bündnisangebot gegen Syrakus nach
Karthago geschickt, aber dort sah man lieber der Entwicklung zu. Erst als das ionische
Segesta erneut von Selinunt bedroht wurde und jetzt 410 die Karthager zu Hilfe rief, bekamen in Karthago die Interventionisten die Mehrheit. Unter dem Sufeten Hannibal (ein karthagischer Sufet ist wie ein römischer Konsul, es gilt Annuität und Kollegialität) wurde ein
großes Heer angeworben und eine Flotte ausgerüstet. Die Landung in Lilybaion erfolgte 409.
Selinunt fiel nach nur neuntägiger Belagerung. Hannibal erhielt Verstärkung von den Sikanern und Sikulern und zog vor Himera, wo 480 sein Großvater die entscheidende Niederlage erlitten hatte. Himera wurde eingenommen und zerstört, auf dem Schlachtfeld von 480
wurden 3000 Gefangene niedergemacht, um die Familienschande zu löschen. Damit war
das karthagische Gebiet an der Nordwestspitze mit Himera, Segesta und Selinunt wesentlich
ausgeweitet und das Kriegsziel erreicht.
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Nachdem eine Abteilung syrakusisch-himerisch-seguntischer Kämpfer unter dem Condottiere Hermokrates 408 den karthagischen Hafen Motye/Mozia überfallen und geplündert
hatte, griffen die Karthager 406 mit einem neuen Heer in Sizilien ein, um ihre Herrschaft zu
festigen. Der Feldherr war Himilco, ein Neffe des Hannibal. Ihm gelang 406/5 die Einnahme
von Akragas/Agrigent. In Syrakus führten die Auseinandersetzungen über die Niederlage zur
Wahl des Dionysios zum bevollmächtigten Feldherrn.
Himilco zog im Frühjahr 405 von Akragas, das er zerstören ließ, nach Gela. Dionysios, der
sich inzwischen zum Tyrannen von Syrakus aufgeschwungen hatte, versuchte mit großer
Truppen- und Flottenmacht, die Stadt zu befreien, aber er erlitt eine vernichtende Niederlage, und Gela fiel an die Karthager. Himilco begann mit der Belagerung von Syrakus, aber
eine Seuche zwang ihn zu einem Vergleich mit Dionysios. Syrakus blieb selbstständig, aber
sonst wurde die Oberherrschaft Karthagos über die Insel, allerdings in verschiedener Intensität, festgestellt und anerkannt.
Dionysios bereitete sich auf eine neue Auseinandersetzung mit Karthago vor. Er ließ Syrakus sehr viel stärker und sicherer befestigen, und er begann seit 402, autonome Griechenstädte zu unterwerfen. Er warb für einen neuen Bund mit dem Argument der Griechenfeindlichkeit der Karthager. 397 zog Dionysios mit einem starken Heer und einer Blockade-Flotte
gegen Motye/Mozia. Die Karthager begannen mit neuen Rüstungen, ihre Flotte unter Mago
zerstörte die Schiffe im Hafen von Syrakus, aber die Belagerung von Motye ging weiter. Die
Stadt wurde schließlich erobert und zerstört, die Bevölkerung getötet oder verschleppt. 396
landete Himilco mit seinem Heer in Panormus. Die von Syrakus erzwungenen Bündnisse
lösten sich auf, die alten Verbündeten Karthagos kehrten dorthin zurück. Die Ruinen von
Motye wurden zurück erobert und die neue Stadt, Festung und Hafenanlage Lilybaion gegründet. Himilco begann mit der Belagerung von Messana und konnte die Stadt zerstören
und damit einen Hafen für die Belagerung von Syrakus gewinnen. Die Syrakus-Flotte wurde
zerstört, und die Karthager konnten in den Hafen von Syrakus vordringen, und die Stadt
wurde von der Landseite her eingeschlossen. Den Umschwung brachte erneut der Ausbruch
einer Seuche. Himilco brach die Belagerung ab und kehrte überstürzt mit seinen Truppen
nach Karthago zurück. Dionysios rächte sich an den Verbündeten Karthagos auf Sizilien und
baute den Herrschaftsbereich von Syrakus wieder auf. Erst 393 griff Mago mit einer karthagischen Flotte wieder in Sizilien ein. Nach einer unentschiedenen Schlacht kam es 392 zu
einem neuen Friedensschluss, der nicht in allen Einzelheiten deutlich ist, aber faktisch eine
Teilung der Insel entlang dem Fluss Himera bedeutet.
Dionysios baute seine Macht zunächst durch ein Ausgreifen nach Süditalien aus, aber er
hatte auch Pläne für Westsizilien. Deshalb kam es zehn Jahre später zu neuen Schlachten
und 373 einem neuen Frieden, der den status quo bestätigte. Auch spätere Auseinandersetzungen konnten die Teilung der Insel nicht verändern.
315 ergriff der in Sizilien geborene Söldnerführer Agathokles mit demokratischer Hilfe die
Macht in Syrakus, ließ die oligarchischen Führer alle umbringen und machte sich zum
Tyrannen, seit 304 König. Er unterwarf die Städte im griechischen Sizilien und im angrenzenden Italien und baute einen straff regierten Großstaat auf. Seit 311 versuchte er auch, den
karthagischen Besitz in Sizilien zu erobern. 310 verlor Agathokles die entscheidende
Schlacht am Himeras, die zwangsunterworfenen Städte gingen zu Karthago über, und er
wurde in Syrakus eingeschlossen. Agathokles konnte mit einem Teil des Heeres und der
Flotte die Blockade durchbrechen und warf sich gegen Karthago. Sein Bruder konnte den
Belagerungsring um Syrakus sprengen und den karthagischen Feldherrn
Hamilkar töten. Agathokles blieb bis 307 in Afrika und bedrängte Karthago
konnte es aber nicht einnehmen. Nach weiteren Kämpfen kam es 306
zum Frieden, der die alte Teilung von Sizilien wieder herstellte. Danach
versuchte Agathokles, sein Reich nach Osten auszudehnen. Er starb
289 in Syrakus. Unter seinen Nachfolgern gab es vor allem Zusammenstöße mit Rom wegen des Besitzes in Unteritalien. Sein Schwiegersohn,
König Pyrrhus von Epirus, verstand sich als Verteidiger der GriechenStädte und erklärte sich zum König von Sizilien und Epirus. Er belagerte
Lilybaion, scheiterte aber an der starken Stellung der Karthager.
275 wure Pyrrhus bei Benevent von den Römern besiegt.
Münzbild Agathokles
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5. Rom greift nach Sizilien
Noch gegen König Pyrrhus waren Rom und Karthago miteinander verbündet, die italische
Landmacht und die Seemacht des westlichen Mittelmeers, aber schon 264 kam es zum
Krieg zwischen den beiden Mächten. Der Anlass für den Ersten Punischen Krieg war ein
Hilfsersuchen aus Messana an die Römer gegen Karthago. Der Krieg wurde auf dem Meer
entschieden, wo die Römer mit ihren Flotten die neue Taktik der Enterbrücke erfanden und
so zur Seemacht wurden. Er wurde aber auch die ganze Zeit durch auf Sizilien ausgefochten. Die Römer behandelten eroberte Städte als Kriegsbeute, verkauften die Einwohner als
Sklaven und stellten die Städte unter Besatzungsrecht. Deshalb blieben die Städte lieber mit
Karthago verbündet oder fielen wieder zu Karthago ab. 247, als die Karthager nur noch
Lilybaion hielten, wurde Hamilkar Barkas, der Blitz, zum neuen karthagischen Oberbefehlshaber und setzte sich im Nordwesten auf dem Berg Heirkte fest, von wo er die Römer in den
ehemals karthagischen Festungen Panormus belästigte. Im Frieden von 241 musste Karthago unter anderem auf ganz Sizilien verzichten und auch Lilybaion räumen.
In den folgenden Jahren übernahm Rom die Kontrolle über ganz Sizilien mit Ausnahme von
Syrakus, das unter seinem König Hieron II. als befreundeter Staat galt. Es gab Unterschiede:
- Civitates Foederatae, verbündete Städte, wie Messana und Taormina;
- Civitates Liberae atque Immunes, abgabenfreie Städte ohne besondere Verpflichtungen,
wie Panormus/Palermo und Segesta;
- Civitates Decumanae, ein großer Teil der Städte, mit sehr eingeschränkten Freiheitsrechten
und mit einem zehnprozentigen Steuersatz belastet (Agrigent, Gela, Megara Hyblea)
- Ager Publicus, das Umland und ganz entrechtete Städte die zu lange am Bündnis mit Karthago festgehalten hatten (Lilybaion, Megara, Selinunt), römischer Staatsbesitz, auf dem die
bisherigen Eigentümer nur noch Tagelöhner waren)
6. Sizilien wird die erste römische Provinz
Diese Behandlung führte zu ständigen Unruhen. 227 nahm Rom unter einem Vorwand den
Karthagern auch Sardinien und Korsika und bildete die beiden ersten römischen Provinzen,
Sizilien und Sardinien/Korsika. Jede Provinz stand unter einem allein für ein Jahr verantwortlichen Prätor, oberster Militär- und Zivilbeamter und oberster Richtet. Nach Ablauf der Amtszeit, die auch verlängert werden konnte, konnten Geschädigte den Proprätor vor einem römischen Gericht verklagen, aber selten mit Erfolg. Cicero erreichte 70 a.C. auf Antrag sizilischer Bürger die Verurteilung des Statthalters Verres, aber das war eine Ausnahme. Die
Übernahme einer prätorischen Provinz galt als Gelegenheit zur Entschuldung und Bereicherung, die Gerichte ließen sich nachher bestechen und die Prozesse verschleppen.
218 überquerte Hannibal, der Sohn des Hamilkar Barkas, der in Spanien ein neues karthagisches Kolonialreich aufgebaut hatte, mit einem Heer die Pyrenäen, die Rhone und die Alpen
und schlug drei römische Heere, das dritte und größte 216 in Cannae. Das ließ auch in Sizilien auf ein Ende der verhassten Römerherrschaft hoffen. Die meisten Städte, auch Syrakus,
traten in ein Bündnis mit Karthago ein. Die Römer ließen sich auf keine Schlacht mit Hannibal mehr ein, aber sie schlugen Abfallbewegungen brutal nieder. 214 führte Claudius
Marcellus ein römisches Heer nach Sizilien. Bei der Eroberung von Syrakus wurde der große
Mathematiker und Naturforscher Archimedes getötet. Einige Städte wie Megara Hyblaea
oder Lentini wurden völlig, andere nur teilweise zerstört. Mit der Eroberung durch Marcellus
wurden die Reste politischer Selbstständigkeit gründlich beseitigt, auch für Syrakus. Von
dieser Zeit an residierte der Prätor und ein Quaestor (Vertreter des Schatzamtes für die
Eintreibung des Zehnten) dort, der andere in Lilybaeum (die Ortsnamen wurden latinisiert).
Der Ager Publicus wurde gegen sehr geringen Zins an reiche Römer vergeben, die dort eine
großflächige Landwirtschaft mit Sklaven (Latifundienwirtschaft) aufzogen, um Rom mit
großem Gewinn mit Getreide zu beliefern.
Die römische Eroberung und faktische Versklavung des reichen und blühenden Sizilien mit
seiner großen griechischen Kultur ist ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Insel. Zwei
sizilische Sklavenaufstände, unter Eunus von 135 – 131, und erneut 104 – 101, wurden
äußerst brutal niedergeschlagen, ohne Korrekturen an den Zuständen.
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7. Sizilien in der Kaiserzeit
Erst die Reformen Cäsars und die Gründung des Imperiums unter Augustus führten zu einer
langsamen Verbesserung der sozialen Verhältnisse. So beschreibt ein Zeitgenosse, der
Geograph Strabo, in seiner Weltbeschreibung Sizilien wie folgt:
Lilybäum war und blieb eine wichtige Marinestation, auch wegen der Kontrolle des Seewegs
nach Africa, das Sizilien bei den Getreidelieferungen ersetzt und verdrängt hatte. Dass Sizilien arm ist an römischen Bauwerken der Kaiserzeit (ein Theater in Taormina, ein Kolosseum
in Syrakus), ist ein Beleg dafür, dass es ein Nebenland geworden ist, von Grundbesitzern in
Rom ausgenommen, verarmt, mit sinkender Bevölkerung, ohne kulturelle Bedeutung. Eine
Ausnahme ist die Kaiservilla "Herkulia" bei Piazza Armerina.
.
Wir wissen, dass Paulus nach seiner Gefangensetzung über Syrakus und Neapel nach Rom
gebracht worden ist und dass er in Syrakus gepredigt hat, aber in Puteoli von Brüdern, also
einer christlichen Gemeinde, in Empfang genommen worden ist . Wir haben eine Menge
frühchristlicher Legenden über Apostel und Märtyrer, aber keine belastbaren Zeugnisse über
das Vordringen des Christentums, auch nicht über Christenverfolgungen. Die Katakomben in
Syrakus waren allgemeine Begräbnisstätten, keine geheimen christlichen. Der dort gefundene Adelphia-Sarg um 340 mit biblischen Szenen ist ein Einzelfund. Nach der Legende soll
Marcian schon 44 in Syrakus das Christentum gepredigt und den Märtyrertod erlitten haben,
aber die St. Marcian-Krypta ist aus dem 3. Jahrhundert und war vermutlich zunächst ein
heidnisches Heiligtum. Die Christianisierung Siziliens war ein allmählicher und nicht sehr
auffälliger Vorgang, der vermutlich erst um 400 einigermaßen abgeschlossen war.
In der Spätantike gehörte Sizilien zum Vandalenreich, zum Ostgotenreich Theoderichs und
seit 534 zum oströmischen Reich, aber von der jeweiligen Herrschaft sind kaum Spuren zu
finden. Sizilien war ein unwichtiges Nebenland.
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8. Das islamische Sizilien (840/900 – 1070/1091)
Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam, Darmstadt 2001, Sizilien S. 68/69
Bernd Rill, Sizilien im Mittelalter: das Reich der Araber, Normannen und Staufer.
Stuttgart ; Zürich : Belser, 2000.
Mohammed einte die arabischen Stämme unter seiner Religion und Führung, und mit
seinem Tod 632 entwickelten diese eine ungeheure Expansionskraft. Palästina, Syrien,
Ägypten, Nordafrika vom byzantinischen Bereich 633 - 670, Mesopotamien, Iran, Westafghanistan 634 – 680, Spanien 711, Ostafghanistan, Nordwestindien 711. Die Araber eroberten,
aber sie bekehrten nicht. Die christliche Kirche Ägyptens fühlte sich freier als unter byzantinischer Herrschaft, und Ägypten war noch am Ende des Mittelalters mehrheitlich christlich.
Sizilien war für die islamische Seefahrt im südlichen Mittelmeer als Anlaufstelle plötzlich
wieder interessant. Aber erst nach 800, als es in Tunis zu Rebellionen und Flüchtlingsbewegungen kam, erfolgte eine Besiedlung durch Araber und Berber. Sizilien wurde nicht erobert,
sondern zwischen 827 und 934 stückweise von Westen nach Osten übernommen, neu besiedelt und landwirtschaftlich aufgewertet.
Palermo, 831 erobert, war die Hauptstadt des islamischen Sizilien. Messina wurde 843
erobert, von dort aus erfolgten die Raub- und Eroberungszüge nach Süditalien. Syrakus fiel
878, und Taormina wurde 902 blutig erobert und zerstört. Sizilien war von den Dynastien in
Ägypten und Tunis abhängig. 948 wurde al-Hasan Statthalter von Sizilien und Begründer der
Dynastie der Kalbiden. Sizilien galt als friedlicher, reicher und glücklicher Teil der islamischen Welt.
Knapp 200 Jahre arabisch-islamische Herrschaft bedeuteten für das über Jahrhunderte
durch Römer und Byzantiner ausgebeutete uneinige und vom politischen Chaos
gekennzeichnete Sizilien eine Epoche der Wiedergeburt geistigen und kulturellen
Lebens, von der uns leider nur schriftliche Zeugnisse überliefert sind. Ein fast unglaubliches Phänomen: Sizilien besitzt tatsächlich kaum mehr irgendwelche islamischen
Kunstwerke, obwohl wir genau wissen, dass die Insel einst eine Fülle von arabischislamischen Monumenten zählte, die jedoch aus unerklärlichen Gründen alle verloren
gegangen sind. Vergängliches Baumaterial allein kann nicht die Ursache für diesen
Verlust sein, vielmehr ist es denkbar, dass die sizilische Bevölkerung die arabischen
Bauten auch nach 200 Jahren immer noch als Fremdkörper empfand und sie nach dem
Niedergang der arabischen Epoche konsequent zerstörte und vernichtete.
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Der arabische Weltenbummler Ibn Haukal hat 974 Palermo und Sizilien bereist
und beschrieben (Übersetzung von A.Fr. Graf von Schack 1889):
Die Stadt Palermo ward früher verwüstet, und ihre Einwohner wurden von politischen Katastrophen betroffen, wie dies jedermann dort weiss. Jetzt besitzt sie mehr
als zweihundert Moscheen - eine so große Anzahl, wie ich sie nie, selbst in Städten
von doppelter Bevölkerung, angetroffen, noch sie auch von einer anderen Stadt als
von Cordoba angeführt habe. In bezug auf Cordoba stehe ich nicht für die Richtigkeit dieser Angaben ein; aber in Betreff Palermos habe ich mich selbst davon überzeugt, da ich die meisten Gotteshäuser mit eigenen Augen gesehen. Eines Tages,
als ich mich in der Nachbarschaft des Hauses des Rechtsgelehrten Abu Muhammed el Cassi befand, erblickte ich von seiner Moschee aus in der Entfernung eines
Bogenschusses etwa zehn weitere Moscheen vor mir, die eine der anderen gegenüber und gegenseitig durch eine Straße getrennt waren. Ich fragte nach dem Grunde hiervon, und man gab mir zur Antwort: hier wolle aus übermäßigem Stolz jedermann eine ausschließlich für ihn und seine Familie bestimmte Moschee haben. Es
käme nicht selten vor, dass von zwei Brüdern, welche in aneinander stoßenden
Häusern wohnten, ein jeder sich eine Moschee erbauen ließe, um sie allein für sich
selbst zu haben.
(Palermo) ist von länglicher Gestalt, (Die Stadt) enthält einen Markt, der sich von
Osten nach Westen hindehnt und welcher As Samat heißt. Er ist mit Steinen
gepflastert und von einem zum anderen Ende von mehreren Arten von Kaufleuten
bewohnt. Die Stadt ist von verschiedenen Flüssen umgeben, die von Westen nach
Osten strömen und solche Kraft besitzen, dass sie zwei Mühlsteine bewegen können. An ihrem Ufer erheben sich zahlreiche Mühlen. Die Gestade dieser Bäche sind
von ihrer Quelle an bis zur Einmündung in das Meer von sumpfigem Boden umgeben, auf welchem persisches Rohr wächst; doch hält man weder die Teiche noch
die trockenen Orte für ungesund.
In der Mitte des Landes liegt ein Tal, zum großen Teil mit Papyrus bedeckt - jenem
Rohr, aus welchem die Rollen zum Schreiben gemacht werden. Ich wüsste nicht,
dass der ägyptische Papyrus seinesgleichen auf der Erde hätte; nur der von
Sizilien erreicht ihn. Der größte Teil dieses Papyrus wird zu Seilen für die Schiffe
gewunden, der übrige dazu verwandt, um Papier für den Sultan zu fertigen.
9. Das normannische Königreich Sizilien
Die Eroberung Südtialiens und Siziliens durch die Normannen war vielleicht nicht nur die
beeindruckendste, sondern auch die romantischste ihrer politischen Lei'stungen... Das
Unternehmen lief unter den Augen und in Reichweite der vier größten Mächte der damaligen
Christenheit ab - des Byzantinischen Reichs irn Osten, des deutsche Kaiserreiches im
Westen, des Papsttums und der arabisch-islamischen Reiche - und war im Gegensatz zur
Eroberung Englands das Ergebnis rein privater Initiative: Einzelne Ritter und Rittergruppen
zogen von der Normandie aus, um ihr Glück im Süden zu machen.
So sieht Richard Allen Brown die Entstehung der normannischen Fürstentümer in Süditalien.
Und in der Tat ist der Aufstieg der Normannen eine kaum glaubliche und abenteuerliche Erfolgsgeschichte. Der Legende nach kam 999 eine Gruppe von vierzig normannischen Pilgern
auf dem Rückweg vom Heiligen Land nach Salerno und erlebte dort, wie kopflos die Bevölkerung auf einen sarazenischen Angriff reagierte. Sie bewaffneten sich und schlugen die
Sarazenen zurück. Zuhause in der Normandie erzählten sie von Südtitalien und von den
Möglichkeiten, die es beherzten und tatkräftigen Kämpfern bieten könnte. In den folgenden
Jahrzehnten kamen die jüngeren Söhne normannischer Barone in kleinen Gruppen ins Land,
verdingten sich als Söldner, gewannen an Macht und konnten sich als Landbesitzer etablieren. Sie kämpften mit den Byzantinern gegen Sarazenen und Langobarden, mit den Langobarden gegen Byzantiner und Sarazenen. 1030 wurde der Normanne Rainulf Graf von
Aversa, und sein Sohn Richard 1058 Fürst von Capua.
Eine besondere Rolle dabei spielten die Söhne des Tankred von Hauteville, eines wenig
begüterten, aber kinderreichen normannischen Adligen. Der erste, Wilhelm mit dem Beinamen Eisenarm, weil er im Zweikampf den Emir von Syrakus getötet hatte, erwarb die
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Bergfestung Melfi, der zweite, Drogo, erreichte 1047 von Heinrich III. die Bestätigung als
Graf der Normannen in ganz Apulien und Kalabrien, und der dritte, Humfried, war der Sieger
in der Schlacht von Civitate 1053, in der Papst Leo IX. in normannische Gefangenschaft geriet. Die Normannen behandelten ihn durchaus ehrerbietig, denn sie waren christlich fromm
im Sinn der westlichen Kirche, und sie wollten ihre Eroberungen lieber als Lehen vom Papst
als etwa von Byzanz oder vom Reich. In den Jahren des Investiturstreits waren sie die Verbündeten des Papstes und konnten ihre Herrschaft in Süditalien ungehindert und mit päpstlichem Segen ausbauen. Der größte Held der Familie, Robert Guiskard, kam 1046 allein und
mittellos an. Er war der erste Sohn der zweiten Frau Tankreds, und seine Halbbrüder unterstützten ihn nicht. Robert unterwarf sich Kalabrien und gewann nach dem Tod seiner Brüder
auch die Herrschaft über Apulien. 1071 fiel mit Bari die letzte byzantinische Festung, und
1081 besiegte er bei Durazzo in Albanien den byzantinischen Kaiser Alexios Komnenos.
Byzanz war sein Endziel, aber 1085 starb er auf der Insel Kephallonia am Typhus. Er wurde
in der Kirche von Avosa bei Melfi begraben, die er selbst als Grablege für seine Familie gegründet hatte. Aber Robert hatte nicht nur nach Byzanz geblickt. Auch die Eroberung des
sarazenischen Sizilien stand auf seinem Programm. Erleichtert wurde diese Aufgabe durch
die Uneinigkeit der Emire, die sich ihre Machtbereiche gegenseitig streitig machten und dabei auch nach Verbündeten suchten. Diese Aufgabe übertrug er seinem jüngeren Bruder
Roger, der 1056 angekommen war. Von den Byzantinern hatten die Normannen Schiffe
erobert und übernommen, und mit ihnen setzten sie unter Führung Rogers 1061 zum ersten
Mal nach Sizilien über. Mit 440 Rittern eroberte er im Handstreich Messina. 1072 wurde die
Hauptstadt Palermo eingenommen, und Robert ernannte Roger zum Grafen von Sizilien.
1087 fiel Syrakus, und 1091 wurde die letzte sarazenische Festung genommen. Die
Normannen unter Roger hatten nicht nur ihre Fähigkeiten im ritterlichen Kampf bewiesen,
sondern auch eine bemerkenswerte Geschicklichkeit bei der Logistik und der Organisation
von Flotten entwickelt.
Weder in Unteritalien noch in Sizilien traten die Normannen in großer Zahl auf. Sie waren
eine kleine Schicht grundbesitzender Barone, die sich in gewissem Maß mit dem vorhandenen Adel langobardischer und anderer Herkunft vermischten und das Land und die übrige
Bevölkerung kontrollierten. Unter ihrer Herrschaft existierten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit ihrem unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergrund weiter, die
Berührung, Gegnerschaft und gegenseitige Durchdringung griechischer, lateinischer und islamischer Traditionen. Die Normannen brachten ihre französische Sprache, ihr fränkisch geprägtes Christentum und eine rigide Auffassung vom Lehensstaat mit, in dessen normannischer Ausprägung den Rechten des Lehensmannes, vor allem der Erblichkeit, ein hartes
Zugriffsrecht des Lehensherren bei irgendwelchen Verstößen gegenüberstand. Den periodisch wiederkehrenden Aufständen der Barone entsprach das blutige Strafgericht, mit dem
der Lehensherr die abtrünnigen Barone immer wieder überzog. Rechtssätze und Konstitutionen, Güter- und Leistungsverzeichnisse, Rechtsschulen und Kanzleien gehörten zum Instrumentarium des Lehensfürsten, damit er seine Barone besser kontrollieren konnte.
Roger, der "große Graf, starb 1101. Seinem Sohn und Nachfolger, dem erst 1095 geborenen
Roger II. gelang es in den folgenden Jahren, die süditalienischen Besitzungen der Nachkommen Robert Guiskards in seinen Besitz zu bringen. Im Schisma der Päpste von 1130 verlieh
ihm Anaklet II. auf der Suche nach Verbündeten im Kampf gegen Innozenz II. das Recht,
sich König von Sizilien zu nennen und sich in Palermo krönen zu lassen. So war der Enkel
des Tankred von Hauteville zum Herrn des jüngsten Königreichs aufgestiegen. Papst
Anaklet endete schließlich als nicht anerkannter schismatischer Papst, und Innozenz wollte
durch einen Feldzug gegen Roger alles wieder rückgängig machen. Aber er wurde mit
seinem Heer geschlagen und fiel in normannische Gefangenschaft, und 1139 anerkannte
auch er Roger II. als König von Sizilien, Herzog von Apulien und Fürst von Capua. Um 1140
fasste der neue König die Gesetze des Königreichs in den Assisen von Ariano zusammen.
In Süditalien waren die normannischen Barone stärker und der lateinische Einfluß größer. In
Sizilien waren weniger Normannen, der größte Teil des Landes war Krondomäne, vom König
direkt bewirtschaftetes Gebiet. Die Griechen hatten dort die Normannen als Befreier begrüßt
10
und spielten in der neuen Verwaltung eine große Rolle. Aber auch die Sarazenen standen
unter dem Schutz des Königs und konnten ihrer Religion nachgehen und ihre Berufe weiter
ausüben. Griechisch, lateinisch und arabisch wurden in Kanzlei und Verwaltung gebraucht,
in Süditalien auch das normannische Französisch. Roger II. hatte ein Gespür für wirtschaftliche Entwicklungen. So verschleppten die Normannen 1147 die Seidenweber aus Theben
und Korinth nach Palermo, um diese Luxusindustrie unter ihre Kontrolle zu bekommen. Insgesamt wurden Handel und Gewerbe gefördert, und der sizilische Seehandel wurde zu einer
ernsten Konkurrenz für die großen italienischen Seestädte Genua, Pisa und Venedig. Mit
seiner Militärmacht und seiner starken Flotte war Roger II. ein gewichtiger Machtfaktor im
Zentrum des Mittelmeers, der sich gegen Byzanz wie gegen das Reich oder die islamischen
Küstenstaaten richten konnte.
Dem Papst hatte der König abgerungen, daß er als päpstlicher Legat die Oberaufsicht über
die Kirche in Sizilien und Süditalien ausüben konnte. Damit war er berechtigt, die Bischöfe
auszuwählen und zu investieren. Demgegenüber machte es wenig, dass der Papst als oberster Lehensherr anerkannt war, denn bei der strikten Erblichkeit und der starken Betonung
der Königsrechte hatte er wenig Gelegenheit, seine Oberherrschaft anzumahnen. Die normannischen Könige statteten ihre Bistümer großzügig aus und gründeten und beschenkten
viele Klöster. Aber die Kirche mit ihrem ganzen Reichtum war ein sicheres Instrument in der
Hand des Königs, solange er auch die päpstlichen Rechte für sich in Anspruch nehmen
konnte. Auch für die Wissenschaften interessierte sich Roger. Salerno wurde zu einer
bedeutenden Hochschule für Medizin.
Nachfolger Rogers II. wurde 1154 sein Sohn Wilhelm I. und nach dessen Tod 1166 Wilhelm
II., der Gute. Er war aufgewachsen mit der gleichaltrigen Konstanze, der nachgeborenen
Tochter Rogers II., und als seine Ehe kinderlos blieb, ließ er seine Barone die Eventualerbfolge seiner Tante beschwören. Die heiratete 1185 mit 31 Jahren den Staufer, Kaisersohn
und deutschen König Heinrich VI. Als Wilhelm 1189 ohne Erben starb, wollte Heinrich das
Erbe seiner Frau in Besitz nehmen, wurde aber zurückgeschlagen. König von Sizilien wurde
Tankred von Lecce, ein unehelicher Sohn Wilhelms I. Erst 1194 konnte Heinrich das Königreich erobern. Sein großer Plan war ein Reich aus Kaisertum und zwei Kronländern, Sizilien
und Schwaben. Seine Gegner waren der Papst und die norditalienischen Städte, die sich in
die Zange genommen fühlten. Sein Sohn Friedrich, 1194 geboren, Erbe von Sizilien und seit
1212 auch von Schwaben und Deutschland, gilt als "stupor mundi", Wunder der Welt. Er
erneuerte das Königtum in Sizilien (Konstitutionen von Melfi 1231), scheiterte aber am
Papsttum und an den lombardischen Städten. Heinrich VI. und Friedrich II. wurden als Könige im Dom von Palermo begraben. Friedrichs Hauptland war aber Apulien, nicht Sizilien.
10. Karl von Anjou, sizilianische Vesper und Aragon (1266 – 1516)
Friedrichs Sohn Manfred wurde sein Nachfolger in Apulien und Sizilien (Manfredonia), aber
er wurde 1266 bei Benevent von einem französischen Ritterheer unter Karl von Anjou, dem
Bruder des französischen Königs, geschlagen. Dem hatte der Papst das Königreich übertragen in der Hoffnung, dass er es auch erobern könne. Palermo und Sizilien mussten eine
großmäulige und schmarotzende französische Besatzung erdulden, jeder Widerstand wurde
erstickt. Deshalb wurden Kontakte zu König Peter von Aragon aufgenommen, dem Schwiegersohn König Manfreds. Am 31. 3. kam es zum Volksaufstand gegen die Franzosen in
Palermo, der sizilianischen Vesper. Ein religiöses Fest am Ostermontag lieferte den Vorwand für das Zusammenströmen der Massen. Die französischen Ritter wurden erschlagen,
der Hafen für die aragonesischen Schiffe geöffnet. Seither war das normannische Königreich
geteilt, Apulien blieb bei den Anjou, Sizilien gehörte zu Aragon, blieb aber ein Nebenland, bis
auf König Alfons V. (1435 – 1458), der nach Sizilien ging und viele Reformen und Modernisierungen einleitete. Er gründete 1435 die Universität Catania.
11. Die spanische Herrschaft (1516 – 1860)
Durch Heirat war auch Apulien an Aragon gekommen. Ferdinand, der letzte König von Aragon und erste König von Spanien, vererbte 1516 seine Kronen an seinen Enkel, den Habsburger Karl, König von Spanien und "beider Sizilien" und Erben des Habsburgerreiches und
des Kaisertitels. Sizilien war jetzt ein kleines Nebenland der spanischen Krone, das von
einem Vizekönig regiert und ausgebeutet wurde. Aufstände der Bevölkerung 1515 , 1523,
11
1647 wurden rücksichtslos niedergeschlagen, von der Regierung aus gab es keine Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur oder neue Bauwerke. Sizilien ist deshalb arm an
Bauten und Kunstwerken der Renaissance. Antonello da Messina gilt als großer Renaissancemaler, von dem einige Gemälde in Messina und Palermo im Mueum zu finden sind. .
1669 wurde Sizilien von einer schrecklichen Naturkatastrophe getroffen, dem Ausbruch des
Ätna, der Catania und das Umland vernichtete und 100 000 Menschenleben kostete.
Sizilien hat eine Reihe von Barockbauten, vor allem im Südosten. Dort wurde nach einem
verheerenden Erdbeben 1693 vieles neu aufgebaut. Vor allem die Stadt Noto wurde neu
gegründet und nach einem Reißbrettgrundriss einheitlich errichtet und gilt als Juwel eines
barocken Stadtgrundrisses.
Nach dem spanischen Erbfolgekrieg fiel Sizilien 1714 zunächst an Savoyen-Piemont, aber
1735 kam es als Nebenland an die spanische Krone zurück, inzwischen die spanischen
Bourbonen, die sich weiterhin nicht um das Land und seine Entwicklung kümmerten. König
Karl zusammen mit seinem florentinischen Minister Tanucci unternahm gewisse Reformen,
aber sein Sohn Ferdinand, verheiratet mit Caroline, einer Tochter Maria Theresias, nahm
alles wieder zurück. Auch die Auswirkungen der französischen Revolution, die ganz Italien
erschütterten, gelangten nicht bis Sizilien. Der Bourbonenkönig verlor zwar Süditalien an
Frankreich (zuerst war Napoleons Bruder Joseph König von Neapel, nachher sein Schwager
Murat). Aber auf Sizilien konnte sich der reaktionäre, kindische und grausame Bourbone
Ferdinand mit britischer Hilfe halten. Auf Druck des Adels und der Briten erließ er 1812 eine
Verfassung, aber nach dem Wiener Kongress begründete er 1816 das "Königreich beider
Sizilien" als Einheitsstaat und hob dafür die Verfassung wieder auf. Die Hauptstadt war
Neapel, das Hauptland Unteritalien, und auf Sizilien wuchs die Unzufriedenheit und der
Wunsch nach Unabhängigkeit. Das Königreich beider Sizilien war der größte Staat Italiens
und stand nicht wie Norditalien unter österreichischer Vorherrschaft. Aber es war gleichzeitig
der ärmste und der reaktionärste Staat, moderne Entwicklungen wie Industrialisierung,
Eisenbahn, Schule und Bildung gingen am Königreich vorbei. Politische Repression verhinderte Aufstände, etwa 1848. Ein Aufstand in Palermo, der für die Selbstständigkeit und die
Verfassung von 1812 eintrat, vertrieb den König Feridnand II., der Palermo dann von
neapolitanischen Kriegsschiffen beschießen ließ und dafür "re bomba" genannt wurde. Die
hartnäckige Verweigerung jeder Reform isolierte die Monarchie und trug zu ihrem kläglichen
Untergang bei.
12. Risorgimento und Königreich Italien (1860 – 1945)
Das Risorgimento, die italienische Bewegung für Einheit und Freiheit, fand in der Mitte des
Jahrhunderts immer mehr Anhänger, die meistens Republikaner waren, aber vernunftmäßig
zu dem liberalen Königshaus Savoyen-Piemont standen, weil sich das bourbonische Italien
völlig verweigerte. Guiseppe Garibaldi, einer der populärsten Führer des Risorgimento, zog
nach der Einigung Norditaliens 1859 eine Schar von Freiwilligen auf Sardinien zusammen
und landete mit ihnen 1860 an der Südwestspitze von Sizilien in Marsala. Er schlug die
schlecht geführten bourbonischen Truppen und setzte nach Unteritalien über. SavoyenPiemont erklärte den Bourbonen den Krieg und übernahm das Königreich als Teil des neuen
Königreichs Italien.
Im neuen Königreich blieb Sizilien ein ungeliebtes Randgebiet, rückständig, ungebildet, arm,
eigenen Traditionen verhaftet, sprachlich dem florentinischen Italienisch fern. Wohlmeinende
Regierungen versuchten, die Modernisierung zunächst durch das Zurückdrängen des Banditenwesens zu erreichen, wobei die Bandidaten das Wohlwollen des Volkes hatten und als
Robin Hoods galten. Da Sizilien sehr arm blieb und am Wirtschaftsaufschwung im neuen
Italien nicht teilnehm, war der Anteil an Sizilianern, die nach Amerika auswanderten, um dort
ihr Glück zu suchen, sehr hoch. Dabei halfen ihnen ihre Netzwerke untereinander, Familie,
Bruderschaft, Zusammenhalt. In den Zwanzigerjahren erwuchs daraus, vor allem wegen der
Prohibition in den USA, die organisierte Kriminalität der Mafia, die durch Geld und familiäre
Beziehungen nach Sizilien zurück wirkte und anfing, dort die ganze Politik zu unterwandern
und zu bestimmen. Mussolini war Norditaliener und bekämpfte die organisierte Kriminalität,
aber nicht den Entwicklungsrückstand des Südens.
12
13. Die Region Sizilien in der Republik Italien (seit 1945)
1943 bereiteten die Amerikaner in Sizilien ihre Landung mit schweren Bombenangriffen vor.
1946 wurde Sizilien eine autonome Region der Republik Italien, 1950 wurde die "Cassa per il
Messogiorno" als Entwiclungsbank gegründet. Gelder, Mafia und DC bilden ein unentwirrbares Konglomerat an Korruption. 1982 Ermordung des Präfekten Dalla Chiesa in Palermo.
Ist Italien überhaupt eine Nation?
Artikelserie von Roberto Saviano in der ZEIT, hier Nr. 41 vom 10. März 2011
... Die Briganten waren Bauern, Hirten und Handwerker, die sich gegen die gewaltsame
Einigung Süditaliens mit dem Königreich Piemont wehrten. In der offiziellen Geschichtsschreibung wurden sie später zu Kriminellen, zu Wegelagerern, die Reisekutschen überfielen, in
Wirklichkeit waren sie wohl eher eine Art Partisanen. Man muss wissen, dass die Repression,
die das piemontesische und spätere italienische Königshaus Savoyen in Kampanien betrieb,
im damaligen Europa einmalig war. In den Dörfern, wo sie Briganten vermuteten, töteten die
Soldaten der Savoyer alle männlichen Bewohner vom Kind bis zum Greis. Wenn die Historiker diese Gräueltaten später nur wirklich analysiert hätten, wenn es nachfolgenden Generationen nur möglich gewesen wäre, sachlich darüber zu reden — dann würde der ewige Konflikt
zwischen Nord- und Süditalien heute vielleicht nicht mehr weiter schwelen. Aber diese Geschehnisse wurden und werden schlicht verdrängt oder sogar geleugnet, und das macht sie
natürlich bis heute äußerst präsent.
So gibt es bis heute keine aufrichtige Debatte über das Risorgimento und die Reichseinigung. Die Verdrängung ist der Grund dafür, dass der Süden sich noch immer nicht als einen
allgemein respektierten und integrierten Teil Italiens betrachtet, sondern eher als gewaltsam
annektiertes, eigentlich von allen verachtetes Anhängsel. Von dieser tiefen Skepsis der Süditaliener gegenüber dem eigenen Staat profitiert letzlich die Mafia. Bis heute hält sich die Legende, dass die Briganten eine Art Camorra gewesen seien. Aber das ist nichts weiter als ein
Ammenmärchen: Die Camorra war stets eine bürgerliche Organisation im Dienste der Herrschenden, während es sich bei den Briganten keinesfalls um eine durchweg kriminelle Vereinigung handelte. Ein Brigant, der für seinen Partisanenkampf Raubzüge organisiert, ist nicht
mit einem Camorrista gleichzusetzen, der die Bauern mit Schutzsteuern ausbeutet. Persönlich
glaube ich an den Gerechtigkeitstrieb eines Brigantenführers wie Carmine Crocco, dessen
Schwester die Piemonteser Soldaten vor seinen Augen vergewaltigten. Vergewaltigungen
und das Niederbrennen ganzer Dörfer waren für das Heer an der Tagesordnung, und heute
sind in meiner Heimat die Straßen nach jenen Generälen benannt, die den Befehl zu solchen
Freveln gaben. Die Tatsache, dass die Süditaliener ihre Straßen und Plätze nicht nach ihren
Märtyrern benennen durften, sondern nach den Schlächtern, nährt den Groll des Südens.
Die ersten Konzentrationslager Europas haben die Savoyer in Süditalien errichtet, die dort
Bauern und Hirten einsperrten, aber auch Soldaten des Bourbonenheeres, die zu Briganten
geworden waren. Sie machten derart viele süditalienische Kriegsgefangene, dass sie diese
schließlich nach Piemont deportieren mussten. Doch auch dort waren die Gefängnisse bald voll.
Also schickten die Piemonteser Hunderte von Neapolitanern in den Süden der USA, wo sie im
Sezessionskrieg eingesetzt wurden. Die Süditaliener kämpften also auf einem anderen Kontinent
für einen anderen Süden, um auch dort geschlagen zu werden. Bis heute schwingen die Fans
des Fußballklubs SSC Neapel im Stadion das Südstaatenbanner. Sie wissen vielleicht gar
nicht, dass diese Fahne von der Expedition ihrer unglücklichen Vorfahren zeugt.
Der so genannte Mezzogiorno entstand also in einem Eroberungskrieg, nicht aus dem spontanen
Volkswillen heraus oder aus dem Wunsch nach einer vereinten Nation. Da gab es den Fall des
Neapolitaners Carlo Poerio, der eigentlich für die Reichseinigung war und deshalb unter den im
Königreich zweier Sizilien regierenden Bourbonenherrschern zehn Jahre im Kerker verbringen
musste. Als Poerio von Italiens erstem Ministerpräsidenten Graf Cavour das Schulministerium
angetragen wurde, lehnte der Neapolitaner mit der Begründung ab: »Das ist nicht unser Italien,
sondern das Italien der Savoyer.« Bis heute ist genau dieses Gefühl im Süden sehr verbreitet.
13
Deutsch - Italienische Gesellschaft
3. Dez.2005
Hansjörg Frommer
25. Seminar zur italienischen Geschichte:
Die Normannen in Süditalien und Sizilien
Themen
Nordmänner, Wikinger, Dänen, Norweger, Waräger
Im 9. Jahrhundert Überfälle der Normannen an der Nordsee, am Atlantik und im Mittelmeer
Die Waräger unter Rurik gründen nach 850 ihr Reich um Nowgorod und Kiew
Erik der Rote erreicht 984 Grönland, sein Sohn Leif Erikson um 1000 Amerika
Die Normandie (seit 911 im Vertrag von St. Clair sur Epte an Herzog Rollo verliehen)
Das Danelaw und das norwegisch-englische Reich König Knuts des Großen 1016 – 1035/42
Wilhelm der Eroberer und die Schlacht von Hastings 1066
Die Normannen in Süditalien
Eindringen und Landnahme seit etwa 1000. 1030 Rainulf Graf von Aversa
Die Söhne des Tankred von Hauteville: Wilhelm Eisenarm Herr von Melfi,
Drogo 1047 als Herzog aller Normannen in Süditalien, Humfried Sieger von Civitate 1053.
Robert Guiskard angekommen 1046, 1071 Eroberung der letzten byzantinischen Festung
Bari, 1081 Herr von Albanien, 1085 an Typhus gestorben. Seine Söhne:
Bohemund von Tarent, Fürst von Antiochia (1. Kreuzzug), gestorben 1111
Roger „Borsa“, Herzog von Apulien, gest. 1011
Sein Enkel Tankred, Fürst von Antiochia, gest. 1112
Roger, angekommen 1056, der „große Graf“, Eroberer von Sizilien 1061 – 1091, gest. 1101
Das Königreich Sizilien:
Roger II., der Sohn des großen Grafen, 1095 – 1154 sammelte das Erbe seiner Familie unter
seiner Herrschaft. Seit 1130 König von Sizilien mit Unteritalien.
Päpstliches Lehen, aber Verfügungsgewalt über die Kirche und die Bischöfe.
Hauptstadt Palermo
Zusammenwirken von lateinischer, normannischer, griechischer und islamischer Tradition.
1140 Assisen von Ariano (Gesetzessammlung)
König Wilhelm I. 1154 – 1166
1056 muss der Papst auch ihm die Verfügungsrechte über die Kirche zugestehen.
Er setzte gegen viele Aufstände eine zentrale bürokratische Verwaltung durch.
König Wilhelm II. „Der Gute“ 1166 – 1190, verheiratet mit Johanna von Plantagenet/England
1185 Konstanze, Tochter König Rogers II. mit dem Staufer Heinrich VI. verheiratet
Eventualerbfolge Konstanzes und ihres Mannes von den Adligen beschworen.
Tankred von Lecce, unehelicher Vetter von Wilhelm, König 1190 - 1194
1194 Eroberung Siziliens durch Heinrich VI. und Geburt Friedrichs II. in Jesi
Literatur:
Richard Allen Brown, Die Normannen, Artemis München und Zürich 1988
Hansjörg Frommer, Spindel, Kreuz und Krone. Herrscherinnen des Mittelalters.
Info Karlsruhe 1993. Darin: Konstanze, Gattin Heinrichs VI., S. 237 – 277.
Bernd Rill, Sizilien im Mittelalter: das Reich der Araber, Normannen und Staufer.
Stuttgart ; Zürich : Belser, 2000.
14
Stammbaum der Familie Hauteville / Altavilla (aus Robert Allen Brown)
15
Stammbaum der normannischen Könige von Sizilien
(Henry Benrath, die Kaiserin Konstanze)
Aus dem Teppich
von Bayeux
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Das normannische Königreich Sizilien
(aus Frommer, Spindel, Kreuz und Krone. Herrscherinnen des Mittelalters)
Die Eroberung Südtialiens und Siziliens durch die Normannen war vielleicht nicht nur die
beeindruckendste, sondern auch die romantischste ihrer politischen Lei'stungen... Das
Unternehmen lief unter den Augen und in Reichweite der vier größten Mächte der damaligen
Christenheit ab - des Byzantinischen Reichs irn Osten, des deutsche Kaiserreiches im
Westen, des Papsttums und der arabisch-islamischen Reiche - und war im Gegensatz zur
Eroberung Englands das Ergebnis rein privater Initiative: Einzelne Ritter und Rittergruppen
zogen von der Normandie aus, um ihr Glück im Süden zu machen.
So sieht Richard Allen Brown die Entstehung der normannischen Fürstentümer in Süditalien.
Und in der Tat ist der Aufstieg der Normannen eine kaum glaubliche und abenteuerliche Erfolgsgeschichte. Der Legende nach kam 999 eine Gruppe von vierzig normannischen Pilgern
auf dem Rückweg vom Heiligen Land nach Salerno und erlebte dort, wie kopflos die Bevölkerung auf einen sarazenischen Angriff reagierte. Sie bewaffneten sich und schlugen die
Sarazenen zurück. Zuhause in der Normandie erzählten sie von Südtitalien und von den
Möglichkeiten, die es beherzten und tatkräftigen Kämpfern bieten könnte. In den folgenden
Jahrzehnten kamen die jüngeren Söhne normannischer Barone in kleinen Gruppen ins Land,
verdingten sich als Söldner, gewannen an Macht und konnten sich als Landbesitzer etablieren. Sie kämpften mit den Byzantinern gegen Sarazenen und Langobarden, mit den Langobarden gegen Byzantiner und Sarazenen. 1030 wurde der Normanne Rainulf Graf von
Aversa, und sein Sohn Richard 1058 Fürst von Capua.
Eine besondere Rolle dabei spielten die Söhne des Tankred von Hauteville, eines wenig
begüterten, aber kinderreichen normannischen Adligen. Der erste, Wilhelm mit dem Beinamen Eisenarm, weil er im Zweikampf den Emir von Syrakus getötet hatte, erwarb die
Bergfestung Melfi, der zweite, Drogo, erreichte 1047 von Heinrich III. die Bestätigung als
Graf der Normannen in ganz Apulien und Kalabrien, und der dritte, Humfried, war der Sieger
in der Schlacht von Civitate 1053, in der Papst Leo IX. in normannische Gefangenschaft geriet. Die Normannen behandelten ihn durchaus ehrerbietig, denn sie waren christlich fromm
im Sinn der westlichen Kirche, und sie wollten ihre Eroberungen lieber als Lehen vom Papst
als etwa von Byzanz oder vom Reich. In den Jahren des Investiturstreits waren sie die Verbündeten des Papstes und konnten ihre Herrschaft in Süditalien ungehindert und mit päpstlichem Segen ausbauen. Der größte Held der Familie, Robert Guiskard, kam 1046 allein und
mittellos an. Er war der erste Sohn der zweiten Frau Tankreds, und seine Halbbrüder unterstützten ihn nicht. Robert unterwarf sich Kalabrien und gewann nach dem Tod seiner Brüder
auch die Herrschaft über Apulien. 1071 fiel mit Bari die letzte byzantinische Festung, und
1081 besiegte er bei Durazzo in Albanien den byzantinischen Kaiser Alexios Komnenos.
Byzanz war sein Endziel, aber 1085 starb er auf der Insel Kephallonia am Typhus. Er wurde
in der Kirche von Avosa bei Melfi begraben, die er selbst als Grablege für seine Familie gegründet hatte. Aber Robert hatte nicht nur nach Byzanz geblickt. Auch die Eroberung des
sarazenischen Sizilien stand auf seinem Programm. Erleichtert wurde diese Aufgabe durch
die Uneinigkeit der Emire, die sich ihre Machtbereiche gegenseitig streitig machten und dabei auch nach Verbündeten suchten. Diese Aufgabe übertrug er seinem jüngeren Bruder
Roger, der 1056 angekommen war. Von den Byzantinern hatten die Normannen Schiffe
erobert und übernommen, und mit ihnen setzten sie unter Führung Rogers 1061 zum ersten
Mal nach Sizilien über. Mit 440 Rittern eroberte er im Handstreich Messina. 1072 wurde die
Hauptstadt Palermo eingenommen, und Robert ernannte Roger zum Grafen von Sizilien.
1087 fiel Syrakus, und 1091 wurde die letzte sarazenische Festung genommen. Die
Normannen unter Roger hatten nicht nur ihre Fähigkeiten im ritterlichen Kampf bewiesen,
sondern auch eine bemerkenswerte Geschicklichkeit bei der Logistik und der Organisation
von Flotten entwickelt.
Weder in Unteritalien noch in Sizilien traten die Normannen in großer Zahl auf. Sie waren
eine kleine Schicht grundbesitzender Barone, die sich in gewissem Maß mit dem vorhande17
nen Adel langobardischer und anderer Herkunft vermischten und das Land und die übrige
Bevölkerung kontrollierten. Unter ihrer Herrschaft existierten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit ihrem unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergrund weiter, die
Berührung, Gegnerschaft und gegenseitige Durchdringung griechischer, lateinischer und islamischer Traditionen. Die Normannen brachten ihre französische Sprache, ihr fränkisch geprägtes Christentum und eine rigide Auffassung vom Lehensstaat mit, in dessen normannischer Ausprägung den Rechten des Lehensmannes, vor allem der Erblichkeit, ein hartes
Zugriffsrecht des Lehensherren bei irgendwelchen Verstößen gegenüberstand. Den periodisch wiederkehrenden Aufständen der Barone entsprach das blutige Strafgericht, mit dem
der Lehensherr die abtrünnigen Barone immer wieder überzog. Rechtssätze und Konstitutionen, Güter- und Leistungsverzeichnisse, Rechtsschulen und Kanzleien gehörten zum Instrumentarium des Lehensfürsten, damit er seine Barone besser kontrollieren konnte.
Roger, der "große Graf, starb 1101. Seinem Sohn und Nachfolger, dem erst 1095 geborenen
Roger II. gelang es in den folgenden Jahren, die süditalienischen Besitzungen der Nachkommen Robert Guiskards in seinen Besitz zu bringen. Im Schisma der Päpste von 1130 verlieh
ihm Anaklet II. auf der Suche nach Verbündeten im Kampf gegen Innozenz II. das Recht,
sich König von Sizilien zu nennen und sich in Palermo krönen zu lassen. So war der Enkel
des Tankred von Hauteville zum Herrn des jüngsten Königreichs aufgestiegen. Papst
Anaklet endete schließlich als nicht anerkannter schismatischer Papst, und Innozenz wollte
durch einen Feldzug gegen Roger alles wieder rückgängig machen. Aber er wurde mit
seinem Heer geschlagen und fiel in normannische Gefangenschaft, und 1139 anerkannte
auch er Roger II. als König von Sizilien, Herzog von Apulien und Fürst von Capua.
In Süditalien waren die normannischen Barone stärker und der lateinische Einfluß größer. In
Sizilien waren weniger Normannen, der größte Teil des Landes war Krondomäne, vom König
direkt bewirtschaftetes Gebiet. Die Griechen hatten dort die Normannen als Befreier begrüßt
und spielten in der neuen Verwaltung eine große Rolle. Aber auch die Sarazenen standen
unter dem Schutz des Königs und konnten ihrer Religion nachgehen und ihre Berufe weiter
ausüben. Griechisch, lateinisch und arabisch wurden in Kanzlei und Verwaltung gebraucht,
in Süditalien auch das normannische Französisch. Roger II. hatte ein Gespür für wirtschaftliche Entwicklungen. So verschleppten die Normannen 1147 die Seidenweber aus Theben
und Korinth nach Palermo, um diese Luxusindustrie unter ihre Kontrolle zu bekommen. Insgesamt wurden Handel und Gewerbe gefördert, und der sizilische Seehandel wurde zu einer
ernsten Konkurrenz für die großen italienischen Seestädte Genua, Pisa und Venedig. Mit
seiner Militärmacht und seiner starken Flotte war Roger II. ein gewichtiger Machtfaktor im
Zentrum des Mittelmeers, der sich gegen Byzanz wie gegen das Reich oder die islamischen
Küstenstaaten richten konnte.
Dem Papst hatte der König abgerungen, daß er als päpstlicher Legat die Oberaufsicht über
die Kirche in Sizilien und Süditalien ausüben konnte. Damit war er berechtigt, die Bischöfe
auszuwählen und zu investieren. Demgegenüber machte es wenig, dass der Papst als oberster Lehensherr anerkannt war, denn bei der strikten Erblichkeit und der starken Betonung
der Königsrechte hatte er wenig Gelegenheit, seine Oberherrschaft anzumahnen. Die normannischen Könige statteten ihre Bistümer großzügig aus und gründeten und beschenkten
viele Klöster. Aber die Kirche mit ihrem ganzen Reichtum war ein sicheres Instrument in der
Hand des Königs, solange er auch die päpstlichen Rechte für sich in Anspruch nehmen
konnte. Auch für die Wissenschaften interessierte sich Roger. Salerno wurde zu einer
bedeutenden Hochschule für Medizin. Der Astronom Aristippus, der auch Texte griechischer
Philosophen ins Lateinische übertrug, war der Lehrer des Kronprinzen, und der arabische
Geograph al-Idrisi arbeitete im königlichen Auftrag fünfzehn Jahre lang an seinem Buch über
die Beschaffenheit der Länder und Weltteile.
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Wilhelm II., König von Sizilien 1153 – 1189, weiht der Jungfrau Maria die Kirche von
Monreale. Mosaik des 12. Jahrhunderts in der Kathedrale von Monreale.
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Deutsch - Italienische Gesellschaft
4. Dez.2010
Hansjörg Frommer
26. Seminar zur italienischen Geschichte:
Die Staufer und Anjou in Süditalien und Sizilien
1. Die Könige von Sizilien:
Das normannische Haus Hauteville/Altavilla:
Roger II., König 1130 – 1154 (Königreich als päpstliches Lehen)
Wilhelm I. (1154 – 1166), Sohn Rogers II.
Wilhelm II. der Gute (1166 – 1189), Sohn Wilhelms I.
Tankred von Lecce (1189 – 1194) unehelicher Sohn eines Sohnes von Roger II.
Roger III., Sohn Tankreds und Mitkönig 1193, verheiratet mit Irene von Byzanz
Wilhelm III., Sohn Tankreds, geboren 1185, König 1194, geblendet und nach
Deutschland gebracht, gestorben in Gefangenschaft 1198
Staufer (la casata Hohenstaufen – Duchi di Svevia):
Heinrich VI. als Gemahl der Konstanze (1194 – 1197)
Friedrich Roger, ihr Sohn (König 1197 – 1212 und wieder 1220 – 1250)
Heinrich, Sohn Friedrichs (König 1212 – 1220)
Konrad, Sohn Friedrichs von Isabella von Brienne (König 1251 – 1254)
Manfred, Sohn Friedrichs von Bianca Lancia (König 1254/58 – 1266)
(seine Frau Helena und drei Söhne starben in Kerkerhaft)
Konradin, Sohn Konrads
hingerichtet 1268 in Neapel
Anjou (Conti d'Angiò):
Karl von Anjou (König 1266 – 1285)
Karl II., der Lahme, Sohn Karls I. (König 1285 – 1309)
Robert der Weise (König 1309 – 1343)
Aragon - Sizilien
Peter I. (1282 – 1285)
Jakob I. (1285 – 1291)
Friedrich II. (1291 - 1337
Peter II. (1337 – 1342)
Ludwig (1342 – 1355)
Friedrich III. (1355 – 1377)
Maria u.Martin (1377-1409)
Martin II. (1409 – 1410)
Ferdinand I. (1410 – 1416)
Johanna I. (Königin 1343 – 1382)
(adoptierte Ludwig von Valois-Anjou)
Karl III. von Durazzo (König 1382 – 1386)
Ladislaus (König 1386 – 1414)
Johanna II. (Königin 1414 – 1437)
René I. Valois-Anjou (König 1437 – 1442)
Alfons I. (1416 – 1458)
Alfons I. seit 1442 König von Sizilien und Neapel
Ferdinand I. (Ferrante) (1458 – 1494)
Alfons II. (1494 – 1495)
Ferdinand II. (1495 – 1496)
Friedrich I. von Neapel (1496 – 1500)
Karl VIII. König von Frankreich beansprucht Neapel als Erbe der Valois-Anjou 1492
Sein Nachfolger Ludwig XII. regierte in Neapel von 1500 – 1503. Nach der Niederlage
am Garigliano fiel das Königreich an die spanische Krone und damit 1516 an den
Habsburger Karl V. (Kaiser seit 1519).
2. Kaiser Heinrich VI.
Heinrich beanspruchte die Herrschaft über das normannische Reich aus dem beschworenen
Erbrecht seiner Frau Konstanze, aber auch mit dem Recht der kaiserlichen Oberherrschaft.
Beim zweiten Versuch der Eroberung überschritt Heinrich im Frühjahr 1194 die Alpen, feierte
mit seiner Gemahlin Konstanze das Pfingstfest in Mailand, ordnete Reichsangelegenheiten
in Nord- und Mittelitalien und begann im August mit dem Feldzug. Die Flotte aus Schiffen
von Pisa und Genua unter Markward von Anweiler lief schon am 23. August in Neapel ein
und erreichte am 1. September Messina. Die eingeschifften Truppen errangen einen Sieg
über das Heer der Königin Sibylla und eroberten Syrakus. Der Kaiser erreichte mit dem
Landheer Ende August Neapel und zerstörte am 17. September Salerno, das 1191 die
Kaiserin Konstanze verraten und ausgeliefert hatte. Am 21. Oktober traf er sich in Nicastro
23
mit dem Abt Joachim von Fiore, der damals und bis heute für seine Geschichtstheologie
bekannt war und ist. Ende Oktober setzte Heinrich nach Messina über. Er stellte der Stadt
große Privilegien als Handelsmetropole aus. Dann begann mit Heer und Flotte der Feldzug
gegen Palermo. Sibylle und ihr Sohn Wilhelm III. gaben auf und wurden dafür mit der
Grafschaft Lecce und dem Fürstentum Tarent belehnt.
Der Kaiser feierte indessen am 20. November 1194 seinen triumphalen Einzug in Palermo,
über den ein Augenzeugenbericht vorliegt und den Petrus von Eboli in einer seiner Miniaturen festgehalten hat. Es war ein Ambiente orientalischer Prachtentfaltung, das den Staufer
erwartete. Mit Teppichen und Blumengewinden waren die Häuser geschmückt, die Straßen
waren mit Palmen bestreut und dufteten nach Wohlgerüchen. Die Bürger selbst zogen in
Abteilungen gegliedert dem Herrscher entgegen, der Adel an der Spitze, dann der Reihe nach
die Ältesten, die Männer und die Jünglinge sowie die Knaben auf geschmückten Pferden in
bunter Kleidung, von Musik begleitet. Auch das deutsche Heer hatte sich für den Anlass
gerüstet. Die Rüstungen glänzten, als die Bewaffneten paarweise in die Stadt einrückten, zu
besonderer Disziplin verpflichtet. Heinrich selbst ritt in kaiserlichem Glanz inmitten seiner
Fürsten, die Volksmenge, die die Straßen dicht gedrängt säumte und den Zug mit Jubel
begrüßte, warf sich bei seinem Anblick iuxta morem illius terre, der Sitte des Landes gemäß,
zu Boden. Es musste ein gewaltiges Gefühl des Triumphes gewesen sein, als Heinrich von
seinem Pferd auf die gebeugten Nacken herabsah - er hatte ein Ziel kaiserlicher Politik erreicht,
welches selbst seine mächtigsten Vorgänger vergeblich zu erlangen getrachtet hatten.
(Peter Csendes: Heinrich VI. WBG Darmstadt 1993, S. 152)
Der Einzug Kaiser Heinrichs in Palermo
(Petrus von Eboli: Liber ad honorem Augusti, 1194 – 1196, Burgerbibliothek Bern)
Am 25. Dezember 1194 wurde Heinrich in Palermo gekrönt, umgeben von deutschen und
normannischen Baronen und geistlichen Würdenträgern. Am 29. Dezember wurde eine Verschwörung der Anhänger Tankreds aufgedeckt. Die Königin Sibylla und ihr Sohn Wilhelm III.
wurden gefangen gesetzt und nach Deutschland gebracht. Der Kindkönig wurde geblendet
und starb um 1198 in der Haft. Die Königin und ihre Töchter verschwanden in Klöstern. In
den folgenden Wochen wurden die Verhältnisse in Sizilien neu geordnet, Parteigänger Tankreds verloren ihre Lehen und Ämter, und in wichtige Stellen wurden Deutsche eingesetzt.
Der sizilische Kronschatz wurde inventarisiert und in einer Karawane nach Deutschland auf
den Trifels verbracht. Ende Januar war Heinrich wieder in Messina, und zu Ostern 1195 traf
er in Bari mit Konstanze zusammen, die am 26. Dezember in Jesi den Sohn Friedrich Roger
zur Welt gebracht hatte. Der Sohn blieb in Foligno bei der deutschen Familie des Herzogs
24
Konrad von Spoleto, während Konstanze als Regentin nach Palermo ging. Es gibt Vermutungen über Differenzen zwischen Heinrich und Konstanze über die richtige Behandlung der
opponierenden Barone, aber gesichert ist das nicht. Es gab auch eine gewisse Teilung. Konstanze regierte in Palermo, Vizekönig für Süditalien war Konrad von Spoleto. An Weihnachten 1196 wurde der kleine Friedrich Roger in Foligno getauft, da waren beide Eltern
anwesend. Im April 1197 kam Heinrich nach Palermo, um dort Ostern zu feiern. Er forderte
alle Lehens- und Würdenträger auf, ihre Privilegien zur Überprüfung vorzulegen. Das schürte
wohl die oppositionelle Stimmung. Anfang Mai ging der Kaiser nach Messina, wo sich die
Truppen für den Kreuzzug sammeln sollten. Da kam es zu einem neuen sizilischen Aufstand.
Heinrich sollte ermordet werden, der Führer der Aufständischen Konstanze heiraten und
neuer König werden. Aber der Anschlag wurde aufgedeckt, die Aufständischen wurden in
Catania geschlagen, und es folgte ein brutales Strafgericht. Heinrich misstraute den normannischen Baronen und war jetzt fast nur noch von Deutschen umgeben.
Der Kaiser regierte seine Länder auch dank eines hervorragenden Post- und Meldewesens
direkt, effektiv und mit harter Hand. Als er kurz vor dem Aufbruch zum Kreuzzug am 28. September 1197 in Messina vermutlich an einer verschleppten Malaria starb, 32-jährig und auf
der Höhe seiner Kaisermacht, ohne eine gesicherte Nachfolge, da brach die "deutsche"
Ordnung in Italien mit einem Schlag zusammen. Überall sahen die örtlichen Machthaber die
Chance, ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen und auszubauen, und der neue Papst
Innozenz III. beanspruchte nun wieder die Souveränität im Kirchenstaat und die Lehensherrschaft über das normannische Königreich.
3. König Friedrich (zum ersten Mal 1197 – 1212)
Konstanze ließ den toten Kaiser nach Palermo bringen und dort im Dom beisetzen. Sie
regierte zunächst allein, aber sie ließ ihren Sohn von zwei Vertrauten nach Palermo holen, In
ihren Urkunden aus Messina im Dezember 1197 wurde er als Mitregent aufgeführt, und an
Pfingsten 1198 wurde der noch nicht vierjährige Friedrich im Dom von Palermo zum König
gekrönt. Konstanze ließ den sizilischen Kanzler Walter von Pagliara einsperren und entfernte
Markward von Annweiler und die anderen Deutschen aus ihrer Umgebung. Aber ihre Herrschaft beschränkte sich auf Sizilien. In Süditalien kämpften die deutschen wie die normannischen Lehensträger um ihre Selbstständigkeit. Konstanze nahm auch Kontakt zum Papst
auf, um ihrem Sohn die Krone Siziliens zu sichern. Sie anerkannte den Papst als Lehensherren und übertrug ihm für den Fall ihres Todes die Vormundschaft. Auf Kontakte zum
deutschen Erbe Friedrichs, vor allem zu Philipp von Schwaben, verzichtete sie, ebenso auf
die weitgehenden Rechte der normannischen Könige bei der Besetzung der Bistümer. Konstanze starb am 27. November 1198, und Friedrich blieb als Mündel des Papstes und als
Spielball der verschiedenen Adelsgruppen zurück, die die Lehen und Besitztümer der Krone
unter sich aufteilten. Dem Papst ging es vor allem darum, seine eigene Position in Italien zu
stärken und dafür den deutschen Thronstreit möglichst lange hinzuziehen, denn so lange
würde kein Kaiser die Regentschaft über Italien einfordern. Den weitgehenden Zerfall des
Königreichs Sizilien nahm er billigend zur Kenntnis. Süditalien war in kleine autonome Herrschaften gespalten, die früher oder später vom Kirchenstaat aus unterworfen werden könnten, und auch in Sizilien beschränkte sich das Königreich bald auf Palermo, während die
Herren und Städte sich ihre Unabhängigkeit durch königliche Privilegien, die sie sich ausstellten, selbst bestätigten. Der Papst als Vormund sah untätig zu. Walter von Pagliara,
Markward von Annweiler, ein Schwiegersohn Tankreds von Lecce, sie alle mischten in
Sizilien mit und suchten vor allem ihren Vorteil. Markward von Annweiler, zeitweilig die
stärkste militärische Macht auf Sizilien, starb im September 1202. Sein Nachfolger als custos
regis war der Södnerführer Capparone.
Der kleine Friedrich, der vermutlich nicht ganz so frei und unabhängig aufwuchs, wie die
Legende will, war also nur ein Zaunkönig, aber ein guter Beobachter. Am 26. Dezember
1208 wurde Friedrich mit 14 mündig, und die päpstliche Vormundschaft endete. Er sah
genau, dass er einem Königreich vorstand, das nur noch auf dem Papier existierte. Zur
Stärkung seiner königliche Autorität waren Geld und Truppen nötig, und beides hatte er
nicht. Deshalb begrüßte er die päpstlichen Pläne zu seiner Heirat mit Konstanze, Tochter
des Königs von Aragon und Königinwitwe von Ungarn. Die Hochzeit fand am 15. August
25
1209 in Palermo statt. Der Bruder der Braut begleitete sie mit einem stattlichen Heer, Aber
es kam nicht zum geplanten Feldzug nach Süditalien, weil die Aragonesen dem Klima und
dem Fieber zum Opfer fielen. So konnte Friedrich nur seinen Einfluss über den Norden
Siziliens, von Palermo bis Messina, ausdehnen.
Papst Innozenz hatte im deutschen Thronstreit den Welfen Otto unterstützt und sich von ihm
Zusagen wegen der Verhältnisse in Italien machen lassen. Aber kaum war Otto IV. 1209 in
Rom zum Kaiser gekrönt, folgte er der staufischen Italienpolitik. 1210 schickte er sich an,
Süditalien als Reichsbesitz zu "rekuperieren", mit guten Aussichten auf Erfolg, weil die deutschen Herren dort bereit waren, mit ihm zu kooperieren und ihn als Herren anzuerkennen.
Die Bedrohung des Papsttums durch das staufische Kaisertum drohte erneut, und der Papst
sah als einzige Möglichkeit, den echten Staufer nach Deutschland zu schicken und dort
einen neuen Thronstreit anzuzetteln, um Otto zur Rückkehr und zur Sicherung seiner Basis
zu zwingen. Friedrich, der sich der Jämmerlichkeit seiner derzeitigen Position bewusst war,
nahm die Herausforderung an, überließ Sizilien seinem eben geborenen Sohn Heinrich und
seiner Frau Konstanze und ging auf die ungewisse Reise nach Deutschland.
4. König Heinrich (1212 – 1220)
Im März 1212 wurde der kaum einjährige Heinrich in Palermo zum König gekrönt, und wenig
später reiste sein Vater mit den geringen finanziellen Reserven ab. Er musste dem Papst
versprechen, nie gleichzeitig deutscher und sizilischer König zu sein. Die tatsächliche Regierung in Sizilien lag bei der Königin Konstanze, aber ihre Möglichkeiten waren äußerst beschränkt, und die königliche Autorität schrumpfte weiter. Nachdem Friedrich sich in Deutschland überraschend schnell und kampflos durchgesetzt hatte, ließ er 1216 Frau und Sohn
nach Hagenau im Elsass nachkommen. 1217 wurde Heinrich zum Herzog von Schwaben
ernannt, dafür entfiel der sizilische Königstitel, und im April 1220 erreichte Friedrich von den
deutschen Fürsten, dass sein achtjähriger Sohn zum deutschen König gewählt wurde.
Danach zog Friedrich mit Konstanze nach Italien, und im November wurde er in Rom vom
neuen Papst Honorius III. zum Kaiser gekrönt. Der Papst akzeptierte auch, dass er das
Königreich Sizilien als Erbe seiner Mutter wieder in Besitz nehmen durfte. Aber dieses
Königreich hatte durch die letzten Jahre weiter an Substanz verloren, und Friedrich machte
sich mit Ernst daran, sein Erbe wieder aufzubauen..
5. König Friedrich (zum zweiten Mal 1220 – 1250)
Im Dezember erließ Friedrich die Assisen von Capua, ein Bündel von 20 Gesetzen, die den
Rechtszustand unter den normannischen Königen wieder herstellen sollten. Alle Verleihungen und Privilegierungen, die nach dem Tod Konstanzes 1198 ausgesprochen worden
waren, wurden für ungültig erklärt, und alle Verleihungen und Privilegierungen mussten bis
Ostern 1221 zur Bestätigung vorgelegt werden, sonst waren sie verfallen. Damit wurde die
königliche Autorität mit einem Schlag wiederhergestellt, und die adligen Herren beeilten sich,
ihre Aufwartung zu machen. Auch die Städte, die sich an Selbstverwaltung und eigene Zollund Münzrechte gewöhnt hatten, wurden wieder an die Herrschaft von oben erinnert.
Friedrich zog im Frühjahr 1221 durch Apulien nach Kalabrien und setzte nach Messina über.
Dort erließ er noch vier zusätzliche Gesetze und forderte auch für Sizilien die Unterwerfung
unter den königlichen Willen. Gegen die sarazenischen Fürsten und Gebiete im westlichen
Hinterland führte er 1222/23 einen unbarmherzigen Krieg, in dem ihre Eigenständigkeit
vernichtet wurde. Um sie zu isolieren, drang er sogar mit einer Flotte bis nach Djerba in
Tunesien vor. Manche führen die Mafia auf diese Geschehnisse zurück. Die verbleibende
islamische Bevölkerung siedelte er nach Lucera in Apulien um, wo er ihnen die Ausübung
ihrer Religion erlaubte und sie zu seinem persönlichen Dienst und Schutz beschäftigte.
Für sein neues Reich brauchte Friedrich Gelehrte und Beamte, und dafür gründete er 1224
die Hohe Schule für Medizin in Salerno und die Universität in Neapel:
Aus der Gründungsurkunde der Universität Neapel (5. Juni 1224):
Mit der Gnade Gottes, durch den wir leben und regieren, dem wir alle Unsere
Taten weihen, dem Wir alles, was Wir tun, zuschreiben, wünschen Wir, dass es in
Unserem Königreiche durch eine Quelle der Wissenschaften und eine Pflanzschule der Gelehrsamkeit viele kluge und weitschauende Männer gebe, Männer,
26
Seiten aus dem Falkenbuch Friedrichs II. (Wikipedia Commons)
mit Friedrich II. (oben links) und seinem Sohn Manfred (oben rechts)
Exemplar Manfreds, heute Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom, Ms Pal. Lat. 1071
Süditalien, um 1260
27
die durch das Studium der Natur und die Erforschung des Rechts Gott dienen
können, dem alles dient, und die Uns durch die Pflege der Gerechtigkeit gefallen,
deren Vorschriften nach Unserem Willen alle gehorchen sollen.
Wir verfügen aber, dass in der lieblichen Stadt Neapel die Wissenschaften jeder
Art gelehrt werden und die Studien blühen sollen, damit alle, die hungrig und
durstig nach der Gelehrsamkeit sind, im Königreich selbst den Ort finden, an dem
ihre Begier gestillt werden kann, und damit sie nicht gezwungen sind, auf der
Suche nach Wissen auswärtige Völker aufzusuchen und in fremden Gegenden zu
betteln. Wir erstreben aber, dass dieses Gut Unserem Staatswesen zu Nutzen
gereiche, da Wir die Wohlfahrt der Untertanen in Unserer besonderen Huld im
Auge haben. Denn natürlich werden die Unterrichteten die besten Aussichten
haben und die meisten Güter erwarten können, während den Faulen kein Aufstieg
erwartet, dem der Adel folgt. Wer sich auf das Richteramt vorbereitet, den erwarten
Reichtümer in Fülle, dem steht Gunst und Gnade in Aussicht.
Ferner berufen Wir gelehrte Männer in Unsere Dienste, verdienstvolle und gepriesene,
und übertragen jenen, die sich ausgezeichnet haben durch die Beharrlichkeit ihres
Eifers, die Lehre des Rechts und der Gerechtigkeit. Fröhlich also und bereit zum
Unterricht, den die Studenten wünschen, mögen sich jene aufmachen, denen Wir da
einen Wohnplatz anweisen, wo alles zu haben ist, wo die Häuser hübsch und recht
geräumig und wo die Einwohner freundlich und gutartig sind; wo auch alles, was die
Menschen zum Leben brauchen, über Land und Meer leicht herangeschafft wird, wo
Wir selbst Unseren Unterhalt beziehen, bereiten wir Wohnungen vor, bestellen Wir
Lehrer, verheißen Wir Stipendien und versprechen Wir denen Geschenke, die Uns
ihrer würdig erscheinen. Indem Wir sie unter den Augen ihrer Eltern studieren lassen,
entheben Wir sie vieler Mühen und ersparen ihnen lange Reisen, oft sogar ins Ausland. Wir sichern sie vor den Nachstellungen der Räuber, und diejenigen, die ihres
Vermögens und Besitzes auf langen Landfahrten beraubt wurden, mögen sich freuen,
dass sie ihre Schulen unter geringeren Kosten und auf kürzeren Wegen durch Unsere
Freigebigkeit erreichen können ...
Wir wünschen also und befehlen Euch allen, die Ihr die Provinzen verwaltet und an der
Spitze der Behörden steht, dass Ihr dies alles allenthalben und öffentlich verkündet
und den Scholaren unter Androhung von Leibes- und Geldstrafen befehlt, dass keiner
seiner Studien wegen außerhalb des Königreichs zu gehen und anderswo zu lernen
und zu lehren wage. Wer aber aus dem Königreich außerhalb des Königreichs eine
Schule besucht, dessen Eltern sollt Ihr unter vorgenannter Strafe auftragen, dass er
bis zum Feste des heiligen Michael unverzüglich zurückkehre.
Überraschend schnell hatte Friedrich das Königreich reorganisiert, die königliche Autorität
wieder hergestellt, die Staatseinnahmen wesentlich erhöht, und mit der Universitätsgründung
auch neue Impulse gegeben. Nach dem Feldzug gegen die Sarazenen hielt er sich dann vor
allem in Apulien auf. Er begann dort mit einer regen Bautätigkeit, Städte, Burgen, Schlösser,
Straßen. Apulien war für kurze Zeit die Mitte der Welt, und Friedrichs Regierung war für
Apulien ein "Goldenes Zeitalter".
Friedrich ging 1228 als von Papst Gregor IX. Gebannter auf den Kreuzzug, und auf die
falsche Nachricht von seinem Tode hin versuchte der Papst, mit seinen Truppen das Königreich zu besetzen. Die harte Staats- und Finanzpolitik hatte dem König nicht nur Freunde
gemacht, und die Übernahme durch den Papst wurde vielerorts begrüßt. Aber Friedrich kam
im Mai 1229 als gekrönter König von Jerusalem zurück und vertrieb die päpstlichen Truppen
mit Leichtigkeit. 1230 erreichte er mit Gregor IX. den Frieden von San Germano, durch den
der Bann aufgehoben und Friedrich als Kaiser und König von Sizilien anerkannt wurde.
Im Sommer 1931 ließ Friedrich ein neues Grundgesetz verkünden, die Konstitutionen von
Melfi (bei den späteren Kommentatoren Liber Augustalis), die sehr viel stärker das Kaiserrecht Justinians in den Mittelpunkt stellten. Sie wurden für das Königreich Sizilien erlassen,
aber als römisches Recht waren sie tendenziell für das ganze Reichsitalien gültig und wurden von Friedrich im späteren Kampf gegen die Lombarden und den Papst auch so verstanden und benutzt.
28
Aus der Einführung zu den Konstitutionen:
Da nun das Königreich Sizilien, Unserer Majestät kostbares Erbteil, zunächst wegen unserer
jugendlichen Ohnmacht dann wegen Unserer Abwesenheit durch den Ansturm vergangener
Wirren bisher zerstritten war, hielten Wir es für geziemend, mit aller Kraft für dessen Ruhe
und Gerechtigkeit Vorsorge zu treffen, weil Wir es — bis auf einige Widersetzliche, welche
überdies weder zur Herde des vorerwähnten Königreiches noch zu der Unseren gehörten —
immer bereit zum Gehorsam gegen Unsere Durchlaucht und ergeben fanden. Wir wünschen
also, dass die vorliegenden, in Unserem Namen erlassenen Satzungen in Unserem Königreich Sizilien allein Geltung haben, und verordnen, dass diese künftig von allen unverbrüchlich zu beobachten sind. Die veralteten Gesetze und Gewohnheiten in Unserem vorerwähnten
Königreich, die diesen Unseren Konstitutionen entgegenstehen, sind hiermit aufgehoben. Wir
haben befohlen, dass frühere Gesetze der Könige Siziliens und eigene darin aufgenommen
würden, damit diejenigen, welche in der vorliegenden Sammlung Unserer Konstitutionen
keineswegs enthalten sind, weder Kraft noch Geltung innerhalb oder außerhalb der Gerichte
beanspruchen können. ...
Die römischen Bürger haben nicht ohne gewichtige Absicht und wohlerwogene Überlegung
durch die Lex Regia das Recht zur Gesetzgebung und die Herrschaft auf den römischen
Princeps übertragen: die Gerechtigkeit sollte eben von demjenigen, welcher mit Hilfe des ihm
übertragenen kaiserlichen Standes machtvoll über die Völker herrschte, ihren Ursprung
nehmen, von dem auch ihre Verteidigung ausging. Wenn nun in derselben Person diese
beiden, nämlich Ursprung und Hort des Rechts, zusammenfallen, so lässt sich von daher
nachweisen, dies sei nicht so sehr des Vorteils halber denn aus Notwendigkeit so eingerichtet, damit der Gerechtigkeit nicht die Strenge und der Strenge nicht die Gerechtigkeit abgeht.
Folglich muss der Kaiser der Gerechtigkeit Vater sein und auch Sohn, Herr wie Diener: Vater
und Herr durch Hervorbringen der Gerechtigkeit und danach durch deren Wahrung; zugleich
sei er in seiner Ehrfurcht vor der Gerechtigkeit Sohn und, indem er ihre Fülle darbietet,
Diener. ...
Vater und Sohn des Rechts ist der Kaiser, er ist der Mittler zwischen dem Gesetz und den
Menschen und damit eine Emanation, eine Verkörperung, Gottes: »Quell der Justitia ist
Gott«, hatte Augustin gelehrt, und die Juristen hatten es sich angewöhnt, vom Kaiser als der
»lex animata in terris«, dem »beseelten Gesetz auf Erden«, zu sprechen. Die Idee eines
Barbarossa, dass das Reich heilig sei, hat hier eine weitere Steigerung erfahren. Die Ideen
der Legisten von Bologna, die es sich angelegen sein ließen, ihren Stand mit einem Orden
und ihre Tätigkeit in der Tradition Justinians mit der von Priestern zu vergleichen, drangen
hier in einen glänzend formulierten Gesetzestext ein.
(Eva Sibylle und Gernard Rösch:
Kaiser Friedrich II. und sein
Königreich Sizilien.
Thorbecke Sigmaringen1995,
S. 101)
Liber Augustalis
Bibliotheca Vaticana
Proemium
Die Verfasser übereichen dem
Herrscher das Gesetzeswerk
29
Kathedrale von Bitonto (Kirchenprovinz Bari) in Apulien
Das bedeutendste Kunstwerk der Kirche ist die im Stein datierte Kanzel von Meister Nicolas
aus dem Jahr 1229. Das Kanzelrelief lässt sich mit einer im Juni 1229 nach der Rückkehr
Friedrichs vom Kreuzzug dort vor dem Kaiser gehaltenen Predigt verbinden, die zufällig
erhalten geblieben ist und die Staufer eschatologisch als das letzte Kaisergeschlecht vor
dem Ende der Welt deutet. Demnach würde es sich von links nach rechts um Friedrich I.,
seinen Sohn Heinrich, Friedrich II. und dessen Sohn Konrad handeln (den zweijährigen
Konrad und nicht den deutschen König Heinrich, weil er wie Friedrich König von Jerusalem
war). Dann wäre die Halbplastik am Kanzelaufgang ein Denkmal der staufischen Reichsmetaphysik.
Damit sind frühere Deutungen, die sich in manchen Reiseführern finden, hinfällig.
Hans Martin Schaller: Das Relief an der Kanzel von Bitonto: Ein Denkmal der Kaiseridee
Friedrichs II., Archiv für Kirchengeschichte XLV, 1963. Abgedruckt in:
Gunter G. Wolf (Hrsg): Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstaufen.
Wege der Forschung, 2. völlig neubearb. Auflage 1982, S. 299 - 323
Literatur zu Friedrich II.:
Ernst Kantorowicz: Kaiser Friedrich II. 2 Bände, Bondi Berlin 1927.
Wolfgang Stürner: Friedrich II. 1194 – 1250. WBG Darmstadt 2009.
Die Staufer und Italien: Tagungsband (2009) und Ausstellungskatalog. Mannheim 2010.
Olaf B. Rader: Friedrich II. – der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Beck München 2010.
30
6. König Konrad und König Manfred (1250 – 1266)
Kaiser Friedrich II. hatte die Ressourcen seines Königsreiches für den Kampf um die Kaisermacht gegen den Papst und die lombardischen Städte aufs äußerste beansprucht, und als
nach seinem Tod der Papst sein Lehen sofort beanspruchte und in Süditalien die direkte
Herrschaft zu übernehmen suchte, erklärten sich viele Herren und Städte für ihn. Kaiser
Friedrich hatte seinen Sohn Konrad zum Erben eingesetzt, aber weil der in Deutschland war,
seinen achtzehnjährigen halbehelichen Sohn Manfred, der immer um ihn war, zum Statthalter für das Königreich Sizilien gemacht.
Friedrich hatte den 1228 geborenen Konrad 1237 in Wien zum Römischen König wählen
lassen, aber der Sohn musste gleichzeitig schwören, dass er sich nicht in die Geschäfte
einmischen würde, und er wurde nicht gekrönt. Vermutlich hielt er sich die meiste Zeit am
wittelsbachischen Hof auf, wo er zuerst mit der älteren Tochter verlobt war, aber nach deren
Tod die jüngere Elisabeth heiratete. Reichsgubernator wurde der Erzbischof Siegfried von
Mainz. Seit 1241 wurden die päpstlichen Angriffe gegen Friedrich und die Staufer immer
stärker, und Siegfried von Mainz ging zur anderen Seite über und suchte nach einem Gegenkönig. Auch der Thüringer Landgraf Heinrich Raspe, Nachfolger als Reichsgubernator, ging
zur Gegenseite über und wurde 1146 zum König gewählt. Konrad musste nun die staufischschwäbische Gegenwehr organisieren, aber er versagte, und die schwäbischen Adligen,
voran die Grafen von Württemberg, sahen eine Chance zu mehr Unabhängigkeit. Nach dem
Tod Friedrichs versuchte Konrad zuerst, die Hausmacht in Deutschland zu stabilisieren, aber
weil er damit erfolglos blieb, verschaffte er sich durch Verleihungen und Schenkungen Mittel
und Anhängerschaft und zog 1251 nach Italien, um sein Königreich Sizilien in Besitz zu
nehmen. Dort musste er sich 1252 zunächst mit seinem Halbbruder Manfred auseinander
setzen, der den Kampf gegen den Papst auch für sich selber geführt hatte.
Da nach FRIEDRICHS Tod ein allgemeiner Abfall von der staufischen Sache einsetzte, beschloss KONRAD, den Norden vorerst aufzugeben und sein Glück im Süden des Reiches zu
machen. Er verschaffte sich Geld durch Verkauf und Verpfändung großer Teile des Reichsund Hofgutes und nahm den Kampf um sein sizilisches Erbe auf. Im Januar 1252 landete er
mit venezianischen Schiffen an der Küste Apuliens. Es gelang ihm, sich zum Herrn des
Landes zu machen und auch den bisherigen Statthalter, seinen Halbbruder Manfred, in die
Schranken zu weisen. Papst Innozenz IV. verweigerte jedoch die Belehnung und sprach den
Bann über den STAUFER aus. Das hinderte diesen jedoch nicht daran, seine Sache weiter
zu betreiben. Im Oktober 1253 nahm er Neapel ein und stand im Begriff, Truppen für einen
Feldzug gegen Norditalien zusammenzuziehen, als ihn im Frühjahr 1254 die Malaria dahinraffte. Er hinterließ aus seiner Ehe mit Elisabeth von Bayern (+ 1273) einen Sohn, Konradin,
der als letzter STAUFER 14 Jahre später noch einmal den Versuch machen sollte, das Erbe
FRIEDRICHS II. anzutreten.
(Friedemann Bedürftig, Taschenlexikon Staufer, S. 127)
In Dantes „Göttlicher Komödie“ trifft ihn der Dichter im Fegefeuer; der Tote, blond und schön,
weist auf seine Wunden und spricht: „Manfred bin ich!/ Als zweimal mich durchbohrt des
Feindes Schwert,/Da übergab ich weinend meine Seele/Dem Richter, der Verzeihung gern
gewährt.“ Zur Zeit, da diese Verse entstanden (Dante verfasste die „Divina Commedia“
zwischen 1313 und 1321), war in Italien die Erinnerung an den Untergang der STAUFER
noch mächtig, waren die traurigen Schicksale Enzios und Konradins jedermann geläufig, und
so auch der Schlachtentod des Kaiser-Sohns Manfred. Als Sproß aus der wohl später
legitimierten Verbindung FRIEDRICHS II. mit der Markgräfin Bianca Lancia wuchs Manfred
in der intellektuell anregenden Atmosphäre des sizilischen Hofes auf. Zeitweilig erteilte ihm
der Vater persönlich Unterricht, später zog er ihn auch zur Mitarbeit an seinem Falkenbuch
heran. 1250 erhielt er testamentarisch das Fürstentum Tarent und die Statthalterschaft in
Italien. Nach dem Tod seines Halbbruders KONRAD IV. am 21. Mai 1254 übernahm er für
dessen minderjährigen Sohn Konradin die Regentschaft. Als seine Gattin Beatrix von Savoyen starb (vermutlich 1257), heiratete er in zweiter Ehe Helena von Epiros. Die griechische
Prinzessin machte Manfreds süditalienische STAUFER-Residenz noch einmal zum Musenhof und Dorado für Spielleute, Dichter und Musiker – letzter Abglanz glanzvoller STAUFERKultur. Auf das Gerücht vom Tod Konradins wagte Manfred 1258 den Griff nach der Macht.
Er ließ sich zum König von Sizilien wählen und am 10. August 1258 in Palermo krönen.
31
Papst Innozenz IV., Lehensherr über Sizilien, sprach daraufhin den Bann über ihn aus. 1260
besiegten Manfreds Truppen im Bund mit der Stadt Siena die guelfischen Florentiner bei
Montaperti. Der STAUFER brachte den größten Teil der Toskana unter seine Herrschaft. Er
stand im Begriff, in die Lombardei zu marschieren, als Papst Urban IV. (1261-1264) Karl von
Anjou gegen ihn ins Land rief. Dem Franzosen wurde das Königreich Sizilien, das die Päpste
stets als ihr Eigentum betrachteten, zu Lehen gegeben. Bei Benevent kam es am 26. Februar 1266 zur Entscheidungsschlacht, die Karl gewann. Der Leichnam Manfreds wurde erst
nach zwei Tagen gefunden, der Sieger ließ ihn auf dem Schlachtfeld beisetzten. Von dort
soll der Bischof von Cosenza, ein STAUFER-Hasser, später die Gebeine entfernt und auf
ungeweihter Erde verstreut haben. Manfreds Familie wurde ins Gefängnis gesperrt, wo seine
Frau Helena und seine drei Söhne zugrunde gingen; einzig die Tochter Beatrix (* nach 1258,
+ vor 1307) wurde 1284 freigelassen. Die Historiker bescheinigen Manfred hohe geistige
Gaben und politisches Talent, daneben Skrupellosigkeit und Härte – Eigenschaften, die in
gleicher Weise seinem Vater eigen waren, nur dass Manfred nicht mit gleicher Autorität
auftreten konnte, da ihm die Legitimität fehlte und er obendrein durch sein Vasallenverhältnis
zum Papst in seinen Möglichkeiten eingeschränkt war.
(Friedemann Bedürftig, Taschenlexikon Staufer, S. 154)
Krönung König Manfreds
im August 1258
Nuova Cronica des
Giovanni Villani,
frühes 14. Jahrhundert.
Manfredonia
1223 verwandelte ein Erdbeben die Landschaft um die antike Stadt Siponto in der Provinz
Foggia in einen der Gesundheit der Bevölkerung unzuträglichen Sumpf; Malaria trat auf.
Deshalb legte König Manfred, der Sohn des Staufer-Kaisers Friedrich II., wenige Kilometer
nördlich 1256 den Grundstein zu einer neuen Stadt, der er seinen Namen gab. Dabei wurden
die Ruinen des benachbarten antiken Siponto in die Neuanlage mit einbezogen. Manfred
gab den Bau der Festung noch in Auftrag, erlebte aber ihre Fertigstellung nicht mehr, da er
1266 in der Schlacht von Benevent gegen Karl von Anjou fiel. Die Anjou, die die Festung
vollendeten, benannten die Stadt, um die Erinnerung an Manfred auszulöschen, in Sypontum
Novellum (Nuova Siponto) um, doch dieser Name konnte sich am Ende nicht durchsetzen.
Manfred begann auch mit dem Bau des Doms in Manfredonia.
Literatur
August Karst: Geschichte Manfreds 1250–1258, Berlin 1897
Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte:
Heft 23: Arnold Bergmann: König Manfred von Sizilien 1264 – 1266. 1909
Heft 31: Helene Arndt: Studien zur inneren Regierungsgeschichte Manfreds. 1911
32
Der Tod König Manfreds (Fresken von Pernes-les-Fontaines/Vaucluse)
In Pernes-les-Fontaines im Département Vaucluse in der ehemaligen päpstlichen Grafschaft
Venaissin, „Le Comtat“, ganz in der Nähe von Fontaine-de-Vaucluse mit dem Heim
Petrarcas, finden sich in der „Tour Ferrande“ bisher relativ unbekannte Fresken aus dem
13.Jahrhundert, die den Kampf von Karl von Anjou und seinen provenzalischen Rittern um
das staufische Königreich darstellen. Die Szenen zeigen die Krönung Karls durch den Papst,
vermutlich den Kampf von Barral des Baux gegen Manfred 1266 und dessen Tod und wie
der Tote vor Karl von Anjou geschleppt wird und dann die Hinrichtung Konradins 1268. Die
Fresken wurden wahrscheinlich auf Veranlassung von Barrals Sohn Bernard des Baux
gemalt. Sie sind wie frühe Comics als Fortsetzung angelegt, und ihr Erhaltungszustand ist
sehr unterschiedlich
Der Tod Manfreds im Zweikampf
(Lanze) und das Abschleppen der Leiche vor Karl von Anjou und die Hinrichtung Konradins:
33
Pernes les Fontaines en Comtat Venaissin, Provence
L a Tour Ferrande, une tour médiévale au sein de
la vieille ville de Pernes les Fontaines. Au troisième
et dernier étage des fresques du 13ème siècle
couvrent les murs de la salle. Elles sont de toute
beauté et sont parvenues jusqu'à nous dans un état
de conservation exceptionnel.
C'est une véritable bande dessinée qui illustre la
conquête des Royaumes de Naples et de Sicile par le
comte de Provence Charles d'Anjou. Avec le soutien du
pape, Charles, frère de Saint Louis, établit par ses
victoires, la domination angevine en Italie et en
Méditerranée.
Les couleurs aux tons ocres sont restées très vives, les
scènes de bataille surprenantes de précision. Les
fresques de la tour Ferrande de Pernes rappellent la
célèbre tapisserie de Bayeux qui raconte de la même
façon la conquête de l'Angleterre par Guillaume le Conquérant. La Tour Ferrande était une bibliothèque et un
lieu de réunion. Possession des chevaliers hospitaliers,
elle fut très probablement construite par Barral des Baux, un compagnon de Charles d'Anjou. Les fresques
furent probablement réalisées pour le mariage de son fils Bertrand.
reportage © photos & textes Vincent Flachaire / Office de Tourisme Pernes-les-Fontaines 2011
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7. Karl von Anjou
Karl von Anjou, geboren 1227, der ehrgeizige Bruder des französischen Königs Ludwigs IX.,
des Heiligen (König 1226 – 1270), besetzte 1245 die bis dahin mit Aragon verbundene Grafschaft Provence, heiratete die Erbin Beatrix und nahm die Grafschaft von seinem Bruder zu
Lehen, nicht von Kaiser Friedrich II. In den folgenden Jahren erweiterte er die Provence um
das Fürstentum Orange und um savoyische Gebiete. Als der Papst verzweifelt nach einem
Fürsten suchte, der bereit war, den Kampf mit den jungen Staufern aufzunehmen, bot er die
sizilische Krone auch Karl von Anjou an, der zunächst ablehnte, sich 1263 aber in Rom zum
Senator wählen ließ. Er erschien dort mit einem großen Gefolge französischer Ritter, und
1265 belehnte ihn Papst Clemens IV. mit Sizilien. Karl stellte ein Heer mit dem Kern der
französischen Ritterschaft auf und besiegte Manfred im Februar 1266 in der Schlacht von
Benevent. Am 7. März zog Karl in Neapel ein. Er ließ alle staufischen Familienangehörigen
und Freunde mit großer Grausamkeit beseitigen und versuchte, die Erinnerung an die staufische Herrschaft möglichst zu tilgen, aber er behielt den zentralisierten Beamten- und
Überwachungsstaat bei, ebenso die schwere Steuerbelastung. Doch an der Spitze standen
nun nicht mehr normannische, italienische oder deutsche Adlige, sondern französische Ritter
als Lohn für ihren militärischen Beistand.
1268 zog Corradino/Konradin, der 1252 geborene Sohn Konrads, nach Italien, um sein sizilisches Erbreich einzufordern. Er wurde von Karl von Anjou im August 1268 in der Schlacht
bei Tagliacozzo geschlagen, gefangengenommen und nach einem Schauprozess gegen das
Urteil der Richter auf Befehl Karls in Neapel hingerichtet.
Karls Pläne gingen viel weiter als Sizilien. Er wollte in der alten normannischen Tradition
Kaiser von Byzanz werden und den Kampf um das Heilige Land wieder aufnehmen. 1270/71
führte er einen Krieg um das byzantinische Albanien auf der anderen Seite der Adria und ließ
sich 1272 in Neapel zum König von Albanien ausrufen. Entsprechend hielt er sich nur in
Süditalien auf, nicht auf Sizilien. Dem Papst hatte Karl versprechen müssen, dass er nie
nach der deutschen und nach der Kaiserkrone streben würde. Aber trotzdem übernahm er
kaiserliche Positionen, etwa als selbsternannter Reichsvikar in der Toskana, und auch als
römischer Senator engte er den weltlichen Spielraum des Papstes ein.
In der Wirtschaft hielt Karl zunächst an den staatsmonopolistischen, merkantilistischen
Grundsätzen Friedrichs II. fest, durchbrach dann aber infolge des chronischen Geldmangels
dieses System durch Sonderverträge mit mächtigen mittel- und oberitalienischen Handelspartnern. Die ganz überwiegend landwirtschaftliche Struktur des Regno, basierend auf einer
wegen der Beschaffenheit des Bodens mehr extensiven als intensiven Landwirtschaft, wurde
beherrscht von der Domäne, dem Großgrundbesitz der Krone (der allerdings etwas zurück
ging), dem Besitz der Lehnsträger und der Kirche. Karl hat vor allem die Ausfuhr von Getreide
nach Mittelitalien und dem Adriagebiet gefördert. Demgegenüber blieb die Manufaktur unterentwickelt. Obschon der Anjou einiges zur Förderung der wirtschaftlichen Aktivität unternahm
- etwa durch den Ausbau der Straßen und der Küstenschiffahrt, durch die Einführung
besserer afrikanischer Schafarten, den Ausbau der Silberminen von Longobucco in Kalabrien
und durch die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten -, krankte die Wirtschaft einmal
daran, dass Handel und Manufaktur mehr und mehr in die Hände fremder Kaufleute aus
Genua, Venedig und vor allem Florenz übergingen, zum anderen am rigorosen Fiskalismus
der Krone, den hohen Zöllen und den übrigen Steuern, die nicht zuletzt das Ergebnis der
auf-wendigen Rüstungen zur Verwirklichung der Großreichpläne Karls im östlichen Mittelmeer
waren. Diese finanzielle Ausbeutung lastete auf der städtischen Bevölkerung schwerer als auf
den zumeist französischen und provenzalischen Baronen und den auswärtigen Händlern und
Bankiers, die sich mehr und mehr der Besteuerung zu entziehen wussten. Die Folge davon
war, dass in einer Zeit des rapiden wirtschaftlichen und demographischen Wachstums der
Städte Nord- und Mittelitaliens das kommunale Leben im Regno eher rückständig blieb, dass
sich - vielleicht mit Ausnahme von Amalfi - keine wirtschaftlich und politisch machtvolle
Stadtbevölkerung entwickelte, zumal die Städte dem Lehnsverband bzw. der königlichen
Verwaltung streng untergeordnet waren. Selbst in Neapel war die Bevölkerung trotz zeitweiliger Aufstände nicht in der Lage, sich politisch zu organisieren, und nur in den Städten der
Abruzzen wie in L'Aquila, die der klassischen italienischen Städtekultur Umbriens und der
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Toscana am nächsten lagen, kam es zu Ansätzen kommunaler Selbstverwaltung. Unter Karl
von Anjou begann die Zweiteilung Italiens in einen wirtschaftlich blühenden mittleren und
nördlichen Teil, der beherrscht wurde von mächtigen Kommunen und den sich daraus entwickelnden Signorien und Prinzipaten, und einen unterentwickelten agrarisch-feudalen Süden,
begann "la question méridionale", jenes bis heute andauernde Strukturproblem Italiens.
(Karl Erdle: Karl I. von Anjou. Urban Taschenbücher, Band 305, Stuttgart 1979, S. 80)
Die sizilianische Vesper 1282
(allgemein dazu: Steven Runciman, Die sizilianische Vesper. Eine Geschichte der
Mittelmeerwelt im Ausgang des 13. Jahrhunderts. Beck München 1959/1976)
Gegen die angiovinische Herrschaft entstand im vernachlässigten Nebenland eine Verschwörung, die an Ostern 1282 zum Aufstand führte. Der Legende nach löste ein französischer Ritter, der in Palermo ein Mädchen auf dem Weg zur Kirche belästigte oder vergewaltigte, die Sizilianische Vesper aus. Aber der Aufstand war lange vorbereitet durch Johann
von Procida, einen Arzt aus Salerno, der am Hof Friedrichs II. und Manfreds gedient hatte.
Der hatte Geld aus Byzanz erhalten und stand mit Peter von Aragon, dem Schwiegersohn
König Manfreds, in Verbindung. Er hatte die ghibellinischen Anhänger gesammelt und den
Ostertermin für ein gemeinsames Vorgehen festgelegt. In Palermo, Corleone und anderen
Städten fielen am Ostermontag, den 30. März die Aufständischen über die französischen
Ritter und ihre Parteigänger her. Messina schloss sich dem Aufstand einen Monat später an.
Angeblich wurden über 8000 Franzosen getötet. Peter von Aragon, politischer Gegner von
Karl von Anjou, landete im August und beendete damit die Belagerung von Messina durch
Karl. Peter erkärte sich in Palermo zum König, konnte aber noch nicht gekrönt werden, weil
kein Erzbischof da war. Peter und Karl vereinbarten eine Art Turnierduell mit je 100 Rittern,
das am 1. Juni 1283 unter englischer Aufsicht in Bordeaux stattfinden sollte. Beide Parteien
traten an, aber zu verschiedenen Zeiten, und jede zieh die andere Seite des Verrats und der
Feigheit. Faktisch wurde Sizilien ein Nebenkönigreich von Aragon, während Neapel weiter
bei den Anjou verblieb, die im folgenden Jahrhundert weiter auf den Balkan ausgriffen und in
Ungarn mehrere Könige stellten.
8. Die Nachfolger Karls in Neapel
Karl von Anjou starb 1285. Sein Sohn und Erbe Karl war 1284 bei dem Versuch, die aragonesische Blockade des Hafens von Neapel zu brechen, in Gefangenschaft geraten und kam
erst 1288 frei. Er war in die große Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Aragon verwickelt. Sein Vater und er waren daran beteiligt, dass die französische Partei im Kardinalskollegium immer stärker wurde. Nach einer zweijährigen Sedisvakanz trug Karl 1294 zur
Wahl eines Eremiten aus den Abruzzen als Papst Coelestin V. und nach dessen Rücktritt zu
der Bonifatius' VIII. bei. An der Verlegung des Papstsitzes nach Avignon 1309 war er nicht
beteiligt. Seine letzten Jahre verbrachte Karl ruhig in Neapel und befasste sich mit der Verschönerung seiner Stadt. Er konnte seine Herrschaft gegenüber der italienischen Bevölkerung stabilisieren, indem er sie im größeren Maße an der Macht beteiligte als sein Vater.
Auch senkte er die Steuerlast. Auf Betreiben des Papstes vernichtete Karl im Jahr 1300 mit
Lucera das letzte Zentrum des Islam in Italien, die muslimischen Einwohner wurden umgebracht oder versklavt. Sein ältester Sohn Karl Martell hatte in die ungarische Königsfamilie
eingeheiratet, so wurde nach seinem Tod 1309 Karls jüngerer Sohn Robert der Weise sein
Nachfolger.
Robert wurde bald zum Führer der norditalienischen Guelfen und übernahm in mehreren
Städten die Signoria. Damit wurde er zum Hauptgegner des römisch-deutschen Königs
Heinrich VII. von Luxemburg, der im Juni 1312 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde und eine
Restauratio imperii anstrebte. Neapolitanische Truppen kämpften gegen die kaiserlichen,
und das kaiserliche Gericht verurteilte Robert im Frühjahr 1313 wegen Majestätsverbrechen
zum Tode. Aber der Tod Heinrichs am 24. August 1313 beendete diese Episode. Zu einer
weiteren Konfrontation kam es 1328 mit Ludwig dem Bayern, der sich von den Römern zum
Kaiser hatte ausrufen lassen, Politisch war Robert nicht sehr erfolgreich, seinen Beinamen
der Weise verdankt er vor allem seinem Engagement für die schönen Künste. Er prüfte 1341
in Neapel Petrarca vor dessen Krönung zum Poeta laureatus auf dem Kapitol.
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9. Die beiden Johannas (1343 – 1442)
Robert setzte seine 1326 geborene Enkelin Johanna als Erbin ein, die 1333 mit dem Prinzen
Andreas von Ungarn verlobt wurde und ihn 1342 heiratete. Robert hinterließ bei seinem Tod
1343 eine genaue Regentschaftsregelung, aber der Papst als Lehensherr überging sie und
anerkannte auf Betreiben des älteren Bruders König Ludwig von Ungarn 1344 Andreas als
König an. In der Nacht vor der Krönung wurde Andreas auf Betreiben der Königin Johanna
am 13. September 1345 ermordet. Johanna heiratete im nächsten Jahr einen anderen
Anjou-Vetter, Ludwig von Tarent. König Ludwig von Ungarn landete in Neapel, um seinen
Bruder zu rächen. Johanna floh mit ihrem Ludwig in die Provence. Sie verkaufte Avignon an
den Papst und erreichte so ihre Rehabilitierung.1349 erkaufte sie sich den Frieden mit
Ungarn und konnte zurückkehren. 1354 begann sie mit päpstlicher Unterstützung die Rückeroberung von Sizilien. Sie zog in Palermo und Messina ein, konnte sich aber nicht halten.
1361 fiel Messina, 1362 starb Ludwig von Tarent, und unter Johannas Herrschaft verfiel das
Königreich Neapel immer mehr. 1363 heiratete sie auf Vermittlung des Papstes den König
Jakob von Mallorca, einen Gegner Aragons, aber sie beteiligte ihn nicht an der Macht, und er
verließ sie schon im folgenden Jahr. Nach seinem Tod heiratete sie 1376 einen deutschen
Söldnerführer, Otto von Braunschweig, Fürst von Tarent, der ihr half, das Königreich zu
befrieden. 1377 unterstützte Königin Johanna die Rückkehr des Papstes Gregors XI. von
Avignon nach Rom, aber 1378 überwarf sie sich mit dem neuen Papst Urban VI. und erklärte
sich im Schisma für den Avignon-Papst Clemens VII. Der römische Papst Urban VI. erklärte
sie deshalb zur Ketzerin und für abgesetzt, und er bot die Krone Karl von Anjou-Durazzo an.
Johanna suchte Schutz beim französischen König und adoptierte 1380 dessen Bruder Ludwig von Valois-Anjou. Aber das blieb wirkungslos. Karl von Durazzo besiegte 1381 Otto von
Braunschweig und wurde in Neapel zum König Karl III. gekrönt. Johanna wurde eingesperrt
und 1382 im Gefängnis erdrosselt. Ihr französischer Adoptivsohn Ludwig zog 1384 nach
Italien, starb aber in Bari. Seine Familie erbte die Provence und hielt auch am Erbanspruch
auf Neapel fest.
Karl von Durazzo ging 1385 nach Ungarn, um dort König zu werden, wurde aber schon 1386
ermordet. Sein Nachfolger in Neapel wurde sein zehnjähriger Sohn Ladislaus, für den
zunächst die Mutter regierte. Von 1390 bis 1399 versuchte Ludwig II. von Valois-Anjou, den
von seinem Vater geerbten Anspruch auf Neapel mit Hilfe des Papstes von Avignon durchzusetzen, aber er scheiterte. Ladislaus erwies sich als geschickter Politiker, der seine Macht
stabilisierte und vergrößerte. Er hielt im Schisma am römischen Papst fest, auch als sich die
anderen Mächte für den Rücktritt aussprachen. 1412 versuchte der Valois-Anjou Ludwig,
unterstützt vom Pisa-Papst Johannes XXIII., noch einen Angriff, besiegte Ladislaus militärisch bei Rocca Secca, konnte sich aber nicht durchsetzen. Da Ladislaus keine Kinder hatte,
folgte ihm 1414 seine Schwester Johanna nach. Johanna II., 1373 geboren, war beim Thronantritt verwitwet und hatte zwei Liebhaber, darunter den Condottiere Muzio Attendolo Sforza.
Ihre Barone zwangen sie zu einer Heirat, ihr Ehemann sperrte sie ein, aber sie wurde befreit.
1416 drang Sforza nach Rom vor, um dort die Position der Anjou wiederherzustellen.
Johanna verbündete sich mit dem neuen Konzilspapst Martin Colonna und ließ 1417 Sforza
fallen. Der rief daraufhin Ludwig III. von Valois-Anjou ins Land und kämpfte für seine Nachfolge. Johanna bat jetzt Peter von Aragon um Hilfe und adoptierte ihn 1420. Sforza ertrank
1423, Johanna war von Aragon enttäuscht und adoptierte 1423 Ludwig.
Danach war es neun Jahre lang ruhiger, bis 1432 die Ermordung ihres Liebhabers zu neuen
Aufständen führte. Johanna starb 1435, nachdem sie René von Valois-Anjou als Nachfolger
eingesetzt hatte. Aber auch Peter von Aragon erhob Ansprüche. René war zu der Zeit in
Lothringen gefangen. Seine Frau Isabelle eroberte das Königreich Neapel mit Hilfe der Visconti und der genuesischen Flotte. René kam 1438 nach Neapel und wurde gekrönt. Aber
die Visconti wechselten das Bündnis, René war wegen Lösegeldzahlungen verschuldet und
Alfons V. von Aragon verfügte über eine gewaltige Machtbasis. So musste René 1442 auf
Neapel verzichten, das Königreich Neapel-Sizilien wurde unter Alfons wieder vereinigt. Die
nun vereinigten Königreiche hatten unter dem Chaos gelitten, die königliche Macht war in
beiden Reichen durch die Barone und ihre Privilegien sehr eingeschränkt. Die Bevölkerung
war von 3,4 auf 1,7 Millionen zurückgegangen.
37
Königin Johanna I.
von Neapel
Gräfin der Provence
(1326-1382)
Illustration in einer
franz. Ausgabe von
Boccaccio
De mulieribus claris.
Der "gute König René"
Haus Valois-Anjou
König von Neapel
1437 - 1442
Herzog von Anjou
Graf von Provence
Herzog von Lothringen
Anonym 15. Jahrh.
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Deutsch - Italienische Gesellschaft
19. März 2011
Hansjörg Frommer
27. Seminar zur italienischen Geschichte:
Mailand unter den Visconti und Sforza 1277 - 1530
Mailand, Federzeichnung von Pietro de Massajo, Cosmographia des Tolomeo, 15. Jahrh.
Antonia Visconti. Begleitbuch zur Ausstellung. Hauptstaatsarchiv Suttgart 2005, S. 149
39
1. Die mailändischen Herrscher:
della Torre
....* Pagano della Torre 1237 – 1241 (Podestà von Mailand)
* Martino della Torre 1257–1263 (Signore von Mailand)
* Filippo della Torre 1263–1265
* Napoleone della Torre 1265–1277
Visconti
* Ottone Visconti, Erzbischof von Mailand 1277–1294
* Matteo I. Visconti 1287–1302 1294 Reichsvikar für die Lombardei
* Guido della Torre 1302–1310
* Matteo I. Visconti 1310–1322 (2. Mal)
* Galeazzo I. Visconti 1322–1328
* Azzone Visconti 1328–1339
* Luchino Visconti 1339–1349
* Giovanni Visconti, Erzbischof von Mailand 1349–1354
* Bernabò Visconti 1354–1385
* Galeazzo II. Visconti 1349–1378
* Matteo II. Visconti 1349–1355
* Gian Galeazzo Visconti 1378/1385–1402 (seit 1395 Herzog von Mailand)
* Giovanni Maria Visconti 1402–1412
* Filippo Maria Visconti 1412–1447
* Ambrosianische Republik 1447–1450
Sforza
* Francesco I. Sforza 1450–1466
* Galeazzo Maria Sforza 1466–1476
* Gian Galeazzo Sforza 1476–1494
* Ludovico Sforza 1494–1499
* Ludwig XII. von Frankreich 1499–1500
* Ludovico Sforza 1500
* Ludwig XII. von Frankreich 1500–1512
* Massimiliano Sforza 1512–1515
* Franz I. von Frankreich 1515–1521
* Francesco II. Sforza 1521–1535
Übergang des Herzogtums Mailand an Spanien 1535
2. Mailand am Ende der Stauferzeit
Mailand war die wichtigste und bedeutendste Stadt der Lombardei, versuchte aber auch, die
anderen Städte zu unterwerfen und zu beherrschen. Mailand war der Kern des Widerstandes
gegen Barbarossa und wurde deshalb 1162 zerstört und dann wieder aufgebaut. Im Frieden
von Konstanz 1183 wurde ein Kompromiss zwischen den Reichsrechten und dem Wunsch
der Städte nach Selbstständigkeit erzielt. Danach fand 1186 die Heirat König Heinrichs mit
Konstanze von Sizilien in Mailand statt, und auch Pfingsten 1194 feierte das Paar in Mailand,
bevor der Kaiser zum Feldzug gegen Sizilien aufbrach.
In den Jahren zwischen1197 und 1235 hatten sich die Städte ungestört von König und Kaiser weiterentwickeln können, und als Friedrich II. das Kaiserrecht in der Lombardei wieder
einzuführen versuchte, stieß er auf eine starke von Mailand geführte Opposition. In der
Schlacht von Cortenuova 1237 wurden die Städter vernichtend geschlagen, und der Mailänder Fahnenwagen, der Carrioccio, fiel dem Kaiser als Kriegsbeute zu. Mailand wurde
durch die Initiative und den Mut des Adligen Pagano de la Torre gerettet, der die Kräfte sammelte und neue Truppen ausbildete. Dafür wurde er zum Podestà, zum Führer der Stadtregierung gewählt. Della Torre vertrat eine Besitzsteuer, die alle gleichmäßig belastete, und
das machte ihn beim städtischen Adel verhasst. Sein Sohn Martin folgte ihm als podestà
nach und setzte dessen volksfreundliche Politik fort. Er führte als erster den Titel "Signore",
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Stadtherr. Das Haupt der adligen Opposition gegen die della Torre war seit 1262 der Erzbischof Oddone Visconti, aus einer lombardischen adligen Familie, die seit 1087 das Vizegrafenamt in Mailand innehatte. 1277 schlug Oddone Napoleone della Torre bei Desio und
übernahm danach die Herrschaft in der Stadt. Nach zehn Jahren setzte er seinen Großneffen Matteo als Signore ein. Der wurde 1302 vertrieben und durch Guido della Torre ersetzt.
Der letzte deutsche Kaiser, der sich um italienische Angelegenheiten kümmerte, Heinrich VII.
von Luxemburg, half ihm 1310 wieder an die Macht. Seither war die Stadtherrschaft über
Mailand eine Familienangelegenheit der Visconti.
3. Die Visconti – Bemerkungen zu Herrschaft, Familie und höfischer Kultur
(Barbara Beyer, in: Antonia Visconti – ein Schatz im Hause Württemberg. Stuttgart 2005)
... Der sagenhafte Aufstieg der Familie begann Ende des 13.Jahrhunderts, als es einem
der Vorfahren Antonias, dem Mailänder Erzbischof Ottone Visconti, gelang, nach einer
Reihe blutiger Auseinandersetzungen der Familie della Torre die Macht in Mailand zu
entreißen. 1277 zog er vorläufig als Stadtherr in Mailand ein. Doch die Auseinandersetzungen mit den Torrianern waren langwierig. Ottone übertrug seine weltliche Macht als
Signore von Mailand 1291 seinem Großneffen Matteo l. Visconti. Dieser begann sofort,
sein Territorium auszudehnen und erreichte 1294 seine Ernennung zum Reichsvikar der
Lombardei. Obwohl Matteo mittlerweile auch den Titel des „Capitano del Popolo" inne
hatte, wurde er 1302 von den Torrianern aus Mailand vertrieben und musste sich im Exil
in der Nähe von Verona aufhalten. Doch als Heinrich VII. auf dem Weg zur Kaiserkrönung
nach Rom 1310 in die Stadt einzog, konnte sich Matteo in seinem Gefolge wieder in
Mailand etablieren. Bald schon gelang es ihm, durch eine Intrige Guido della Torre und
dessen Gefolgsleute endgültig aus der Stadt zu vertreiben und mit entsprechenden
finanziellen Mitteln vom Kaiser das Reichsvikariat bestätigt zu bekommen. Bis 1315 beherrschte Matteo zusammen mit seinen Söhnen Galeazzo I., Marco, Giovanni, Luchino
und Stefano große Teile Norditaliens. Die gemeinsame Regierung mehrerer Brüder
sollte auch in den folgenden Generationen charakteristisch für die Herrschaft der
Visconti bleiben.
Die Schaukelpolitik der Visconti im Konflikt zwischen Guelfen und Ghibellinen, der
papst- bzw. kaisertreuen Partei, führte schließlich zu einem lange anhaltenden Konflikt
mit den Päpsten, in dessen Folge Johannes XXII. die gesamte Familie Visconti exkommunizierte und das Interdikt über Mailand verhängte. Um eine Ausweitung der Auseinandersetzung mit dem Papst zu verhindern, dankte Matteo l. zugunsten seines Sohnes
Galeazzo l. 1322 ab. Dieser starb jedoch nach nur sechsjähriger Regierungszeit; seine
Brüder Marco und Stefano wurden von Familienangehörigen ermordet. Auf Galeazzo l.
folgte dessen Sohn Azzone. Die Regierungszeit Azzones war geprägt durch eine ausgewogene Steuerpolitik, neue Statuten und zahlreiche städtebauliche Verbesserungen in
Mailand. Durch geschickte Diplomatie erkaufte sich Azzone nicht nur erneut das Reichsvikariat von Kaiser Ludwig dem Bayern, sondern erreichte auch beim Papst die Aufhebung
des noch immer über Mailand verhängten Interdikts. Trotzdem blieben die Visconti
weiter exkommuniziert. Als Azzone 1339 nach zehnjähriger Herrschaft ohne einen männlichen Erben starb, übernahmen nacheinander seine Onkel Luchino und Giovanni die
Herrschaft in Mailand. Erneute Machtkämpfe und Intrigen waren vorprogrammiert.
Bernabò Visconti - ein blutrünstiger Tyrann?
Bereits 1323 war Bernabò Visconti im Kloster S. Margherita, unweit von Mailand, geboren
worden. Seine Eltern, Stefano Visconti und Valentina Doria, die aus einer alten Genueser
Dogenfamilie stammte, hatten noch zwei weitere Söhne: Matteo II. und Galeazzo II. Als
Zweitgeborener für die kirchliche Laufbahn bestimmt, gab Bernabò jedoch sein theologisches und juristisches Studium bald auf und distanzierte sich programmatisch von
Papsttum und Klerus. Er verfolgte zahlreiche Bischöfe und Äbte, während sich die Päpste
wiederholt mit den herrschenden Adelsfamilien Norditaliens gegen die Visconti verbündeten. Zunächst wuchsen Bernabò und seine Brüder in der friedlichen Regierungszeit
Azzones heran. Als ihr Onkel Luchino die Herrschaft in Mailand übernahm, änderte sich
ihre Situation jedoch: Mit großer Härte begann Luchino, weitere Städte für Mailand zu
erobern, die er seinen „natürlichen", also illegitimen Söhnen unterstellte. Unter dem
41
Verdacht einer Verschwörung gegen den Onkel wurden Bernabò und seine Brüder 1346
ins Exil geschickt. Schon damals sollte sich der gewalttätige Charakter Bernabòs zeigen:
Aus verletztem Ehrgefühl erwürgte er eigenhändig einen Arzt, der ihn offenbar bei
seinem Onkel verleumdet hatte. Während Matteo relativ schnell wieder nach Mailand
zurückkehren konnte, zogen die beiden anderen Brüder in den folgenden Jahren heimatlos in den Nachbarländern umher. Vorübergehend fanden sie am Hofe Amadeus' VI.
von Savoyen und in Frankreich Unterschlupf.
1350, als Luchino gestorben war und in Mailand ihr nächster Onkel, Erzbischof Giovanni
Visconti, regierte, konnten Bernabò und Galeazzo II. zurückkehren. Beide hatten kurz
zuvor Frauen aus bedeutenden europäischen Fürstenhäusern geheiratet. Galeazzo II.
hatte sich mit der kunstsinnigen Bianca von Savoyen, der Schwester Amadeus' VI. vermählt. Die Gattin Bernabòs stammte aus der Herrscherfamilie Veronas: Beatrice della
Scala, auch Regina genannt, war die Tochter Mastinos II. della Scala, Cangrande della
Scala war ihr Bruder. Für Beatrice ließ Bernabò im Zentrum Mailands 1381 die Kirche
„Santa Maria in Porta Nuova" (oder „Santa Maria alla Scala"} erbauen, die im 18.Jahrhundert bereits wieder abgerissen wurde. An ihrer Stelle steht heute die letztendlich
nach Beatrice genannte Mailänder Scala. ...
Bernabò und seine Nachkommen
Ihre zahlreichen Kinder waren das größte Kapital der Visconti. Den aus ihrer expandierenden
Herrschaft gewonnenen finanziellen Reichtum setzten sie gezielt ein, um ihre Töchter mit
attraktiven Mitgiften auszustatten und mit dem europäischen Hochadel zu verheiraten. Als
der französische König während des sogenannten „Hundertjährigen Krieges" in die Gefangenschaft des Königs von England geriet, kaufte Galeazzo II. Visconti ihn unter der Bedingung
frei, seinen damals neunjährigen Sohn Gian Galeazzo mit der wenig älteren französischen
Königstochter Isabella zu verheiraten. Für 500.000 Goldgulden erreichte Galeazzo II. im Jahre
1360 dieses ehrgeizige Ziel. Dem wollte sein Bruder Bernabò nicht nachstehen. Auch er versuchte, möglichst viele seiner Kinder in die vornehmsten Dynastien nördlich der Alpen zu verheiraten. Auf Drängen seiner Frau Beatrice wurde entsprechend auch die bereits zwei Jahre
bestehende Ehe seines Erstgeborenen Sohnes Marco mit der Tochter Francesco Carraras aus
Padua wieder aufgelöst, um ihn besser - in diesem Fall mit dem Haus Wittelsbach - zu verheiraten. Bernabò führte im Gegensatz zu seinem Bruder Galeazzo das Leben eines Sultans: Die
Mailänder Chroniken schreiben ihm mehr als dreißig Nachkommen zu. Davon waren fünfzehn
ehelich, die anderen illegitim, in Italien als „natürliche" Kinder bezeichnet. Von seinen zahlreichen Geliebten, die in der Regel mit ihren Kindern bei ihm im Palast lebten, sind einige noch
namentlich bekannt: Schon vor seiner Ehe mit Beatrice della Scala hatte Bernabò mit Beltramola
de Grassi mehrere Kinder: Wie die meisten seiner Söhne unterstützte der älteste Sohn Ambrogio, 1343 geboren, seinen Vater bei seinen kriegerischen Handlungen und war als Söldnerführer tätig. Margherita, 1345 geboren, blieb als einzige Tochter Bernabòs unverheiratet
und wurde Äbtissin in jenem Kloster S. Margherita, in dem Bernabò geboren worden war. Als
Mitgift brachte sie dort 6.000 Goldgulden ein. Möglicherweise stammt aus dieser Verbindung
Bernabòs auch Elisabetta, die 1376 mit dem Condottiere Ludwig von Landau aus der württembergischen Seitenlinie verheiratet wurde. Für die Söldnerführer Bernabòs war es eine Auszeichnung, eine seiner „natürlichen" Töchter zur Frau zu bekommen, denn auch sie waren mit
einer beachtlichen Mitgift ausgestattet. Und schließlich bedeutete dies für Bernabò eine
zusätzliche Bekräftigung der Loyalität seiner Condottieri. Auch während seiner Ehe zeugte
Bernabò mit verschiedenen Frauen mehrere Kinder, darunter mit Montanina de Lazzari im Jahr
1350 Donnina, die 1377 mit dem berühmten englischen Söldnerführer Giovanni Acuto (John
Hawkwood) verheiratet wurde. Einem Bericht des Botschafters der Gonzaga zufolge waren
bei der Hochzeit Donninas auch Beatrice della Scala, die Stiefbrüder der Braut sowie sämtliche
verfügbaren Stiefschwestern anwesend. Beatrice überreichte der Braut nach dem Essen tausend Goldgulden in einer Vase. Von ihren Stiefbrüdern Ludovico und Marco erhielt Donnina
Perlen im Wert von jeweils dreihundert Goldgulden. Dies zeigt, wie anerkannt auch die un-
42
Bonino da Campione
Mailand 1363
Bernabò Visconti
Kopf des Reiterstandbildes
Drei Töchter Bernabòs waren mit
Wittelsbachern verheiratet, und
eine Enkelin Bernabòs aus
Bayern war die Königin Isabeau
von Frankreich, die Frau Karls VI.
(König 1380 – 1422)
Giov.Ambrogio de Predis
zugeschrieben
Gian Galeazzo Visconti
15. Jahrh.
Der Bruder Karls VI. von Frankreich,
Ludwig von Orléans, war seit 1389
mit Valentina Visconti, einer Tochter
Gian Galeazzos, verheiratet.
43
ehelichen Kinder Bernabòs im Hause Visconti waren. Von den legitimen Nachkommen, die
Beatrice della Scala ihrem Gemahl schenkte, sind insgesamt 15 namentlich bekannt: Neben den
fünf Söhnen Marco, Ludovico, Carlo, Rudolfo und Mastino erblickten zehn Töchter, Verde, Taddea, Valentina, Caterina, Agnese, Antonia, Maddalena, Anglesia, Lucia und Elisabetta das
Licht der Welt. Viridis, auch Verde genannt, die um 1351 geboren worden war, verheiratete
Bernabò 1365 mit dem Habsburger Herzog Leopold III. Die Hochzeit wurde am 23. Februar
1365 in Mailand gefeiert. Als Mitgift brachte Viridis 100.000 Goldgulden mit über die Alpen.
Sie starb 1414 in Mailand, nachdem sie ihrem Gemahl sieben Kinder geboren hatte und wurde
im Zisterzienserstift Sittich in Krain begraben. Gleich vier Heiraten arrangierte Bernabò mit
den Wittelsbachern: Sein ältester legitimer Sohn Marco, der 1353 geboren worden war und als
dessen Taufpate Petrarca fungierte, wurde 1367 zum zweiten Mal, jetzt mit Elisabeth, der
Tochter Herzog Friedrichs von Bayern-Landshut, verheiratet. Der Bruder Friedrichs, Stefan III.
von Bayern-lngolstadt, „der Kneissel" genannt, bekam im August 1367 die 1352 geborene Taddea zur Frau. Die Verbindungen mit den Wittelsbachern waren bereits 1382 durch den Tod von
Marco und Taddea hinfällig geworden und so beeilte sich Bernabò, dieses Bündnis zu erneuern: Maddalena heiratete ebenfalls in die Wittelsbacher Linie Bayern-Landshut ein. 1396
schließlich vermählte er Elisabetta mit Herzog Ernst von Bayern-München. Im Jahr 1380
konnte Bernabò gleich drei seiner legitimen Töchter auf dem Heiratsmarkt unterbringen. Ein
Jahr zuvor hatte er von den Veronesern 440.000 Goldgulden bekommen, damit er auf seine
mit der Heirat Beatrices erworbenen Ansprüche auf Verona verzichtete. Diese riesige
Summe wollte er bald in möglichst lukrative Heiratsprojekte für seine Töchter investieren. ...
Das Verhältnis zwischen Bernabò und seinem Neffen verschlechterte sich zusehends, bis
die Situation im Mai 1385 eskalierte: Unter dem Vorwand, zu einer nahe gelegenen
Wallfahrtskirche pilgern zu wollen, zog Gian Galeazzo nach Mailand. Ein Gefolge von
vierhundert Lanzenträgern begleitete ihn. Er forderte Bernabò auf, ihn vor den Stadtmauern zu begrüßen, um die Reise nicht unterbrechen zu müssen. Arglos ritt ihm dieser
entgegen und wurde gemeinsam mit seinen Söhnen Galeotto, Sagramoro, Rudolfo und
Ludovico gefangen genommen. Nach kurzem Widerstand ergaben sich die in der Stadt
gelegenen Festungen Bernabòs bereits am nächsten Tag. Gleichzeitig ließ sich Gian
Galeazzo zum alleinigen Herrscher über das gesamte Staatsgebiet ausrufen. Bereits wenige Wochen später hatte er alle Besitzungen Bernabòs und seiner Söhne unterworfen. In
einem Rundschreiben an die wichtigsten Städte rechtfertigte Gian Galeazzo sein Vorgehen, indem er sich als Opfer einer Verschwörung Bernabòs darstellte: "Wir nehmen an,
dass es Euch allen und der restlichen Welt bekannt sein wird, mit welchen unehrenhaften und grausamen Maßnahmen Bernabò vorgegangen ist, die nur teilweise öffentlich
verbreitet wurden, andere dagegen bleiben unnachweisbar." Auch den eigentlichen
Machtwechsel stellte Gian Galeazzo friedlich und von der Bevölkerung gewollt dar: „Wir
wurden beim Eintritt in die Stadt von den Adeligen und dem Volk herzlich empfangen,
und ohne jeglichen Widerstand durften wir das Stadtgebiet in Besitz nehmen. Aus diesem Grund haben wir Euch auf freundschaftlicher Basis mitgeteilt, was vorgefallen ist."
Bernabò wurde öffentlich der Prozess gemacht. Den Rest seiner Tage verbrachte er im
Schlossturm von Trezzo, hoch über der Adda zwischen Mailand und Bergamo gelegen,
bevor er dort im Dezember 1385 offenbar vergiftet wurde. Seine mit ihm verhafteten
Söhne wurden ebenfalls bis zu ihrem Tod in verschiedenen Schlössern von Gian Galeazzo
gefangen gehalten. Sein Grab fand Bernabò Visconti hinter dem Hauptaltar seiner Hauskirche San Giovanni in Conca, dort wo er schon zu Lebzeiten sein Reiterstandbild als mächtiges Grabmonument hatte aufstellen lassen.
(Zitat aus Barbara Beyer, in: Antonia Visconti. Hauptstaatsarchiv Stuttgart 2005)
Gian Galeazzo konnte in den nächsten Jahren die Herrschaft der Visconti zu ihrer größten
Blüte führen: Im Jahr 1395 erhob ihn der römisch-deutsche König Wenzel gegen eine Zahlung von 100.000 Florin zum Herzog von Mailand. 1399 kaufte Gian Galeazzo Pisa und
annektierte Siena, 1400/1401 eroberte er Perugia, Assisi, Lucca und Bologna. 1402 verstarb
er während der Belagerung von Florenz und wurde in Pavia bestattet.
44
Antonia Visconti. Begleitbuch zur Ausstellung. Hauptstaatsarchiv Suttgart 2005, S. 147
45
4. Die späten Visconti, Francesco Sforza und die Kriege mit Venedig
Nachfolger von Gian Galeazzo wurden seine Söhne, zunächst der 1388 geborene Giovanni
Maria Visconti, der geistesgestört und sehr brutal war. Als das Volk um Frieden bat, ließ er
das Wort "pace" bei Todesstrafe verbieten, auch die Priester durften nicht mehr "dona nobis
pacem" beten. Er wurde 1412 in Mailand umgebracht. Auf ihn folgte der 1392 geborene Filippo Maria Visconti, kaum weniger gestört und grausam als sein Bruder, der sich aber wenig
um Politik und Staatsgeschäfte kümmerte und die Geschäfte und Kriege von seinen
Condottieri (von condotta – Soldvertrag und dann Söldnertruppe) führen ließ.
Dabei ging es um die Vorherrschaft in Norditalien, denn Mailand wollte die Herrschaft über
die Lombardei. Ligurien, Genua und Pisa gehörten ebenso zum Machtbereich Gian Galeazzos wie Pavia und Bologna. Gegner der Ausdehnung Mailands waren Florenz und Venedig,
denn Venedig wollte seine terra ferma nach Westen erweitern und stieß dabei immer wieder
mit Mailand zusammen. Beide Seiten führten die Kriege und Feldzüge mit Condottieri und
Söldnertruppen, die dabei auch an ihr eigenes Fortkommen und Wohlergehen dachten und
so das Kriegsgeschehen noch undurchsichtiger machten.
Die Condottieri waren Heer- und Söldnerführer, aber auch auf den eigenen Nutzen bedachte
und bestechliche Politiker, oft Selfmademen aus einfachen Verhältnissen, auch Ausländer
wie der Deutsche Otto von Braunschweig im Dienst der Königin Johanna von Neapel oder
der Engländer John Hawkwood, Generalkapitän von Florenz. Eine der erstaunlichsten
Karrieren war die des Muzio Attendolo, 1369 in ärmlichen Verhältnissen in der Romagna
geboren, Führer einer Räuberbande, die er allmählich zu einer Söldnertruppe ausbaute. Er
erhielt den Namen Sforza – Trotzkopf, weil er schon jung seinem Oberbefehlshaber widersprochen hatte. Er wurde der Feldherr von Königin Johanna II. von Neapel, die ihn aber
immer wieder für ihre Liebhaber fallen ließ. So wandte er sich der Gegenseite zu und trat für
die Rechte Ludwigs von Anjou an Neapel ein. 1423 versöhnten sich Johanna und Ludwig,
und Sforza wurde ihr gemeinsamer Feldherr. Er ertrank 1424 im Fluss Pescara, beim
Versuch, einen Knappen vor dem Ertrinken zu erretten.
Sforza war nacheinander mit drei Frauen verheiratet, hatte aber auch mehrere Kinder aus
anderen Verbindungen. Sein tatsächlicher Erbe wurde der 1401 unehelich geborene
Francesco Sforza, der nach dem Tod des Vaters 1424 den Befehl und die Führung über die
Truppen unangefochten übernahm, zunächst wegen seiner Körperkraft, dann aber auch
wegen seines taktischen und politischen Geschicks. Er stieg unter Filippo Maria Visconti zum
Hauptfeldherrn und politischen Führer von Mailand auf und heiratete 1441 Bianca Maria
Visconti, die einzige (aber uneheliche) Tochter Filippos, der sich immer mehr auf die tatsächliche militärische und politische Führung durch Francesco verließ.
Filippo Maria Visconti versprach seinem Schwiegersohn Francesco die Nachfolge im
Herzogtum, aber nach seinem Tod 1447 hatten die Mailänder Bürger genug von den Visconti
und riefen die Ambrosianische Republik aus (nach dem Mailänder Bischof Ambrosius, der
den Kaiser Theodosius zur Kirchenbuße gezwungen und den Heiligen Augustinus getauft
hatte), die aber die anstehenden Aufgaben nicht lösen konnte. Sforza kontrollierte das
Umland und zog 1450 triumphierend und bejubelt als Herzog in die Stadt ein.
Francesco Sforza stand seit 1435 in freundschaftlicher und politischer Verbindung mit Cosimo de' Medici in Florenz, der die ständigen Kriege zwischen italienischen Nachbarn für
unnötig und sinnlos hielt und deshalb eine umfassende Friedensordnung anstrebte, die mit
dem unzuverlässigen Filippo nicht zu verwirklichen war, jetzt mit Francesco Sforza aber in
den Bereich des Möglichen rückte. Zwar musste Venedig zuerst von der Notwendigkeit eines
Friedens überzeugt werden, aber im Winter 1453/54 begannen die Verhandlungen. Zwischen Venedig und Mailand wurde eine Grenze festgelegt, strittige Gebiete wurden ausgetauscht, und Francesco wurde als Herzog von Mailand anerkannt. Der Friede von Lodi
zwischen Mailand und Venedig wurde am 9. April 1454 unterschrieben, und in der Folgezeit
schlossen sich ihm Florenz, der Kirchenstaat und Neapel an. Er brachte Italien eine fünzigjährige relative Friedenszeit, die Vorstellung von einer italienischen Friedensföderation und in
den Staaten eine kulturelle Blüte, vor allem in Florenz unter Cosimo und Lorenzo de' Medici
und in Mailand unter Francesco Sforza, der zeitweilig als arbiter Italiae galt.
46
Bonifazio Bembo ca. 1460
Pinacoteca di Brera, Milan
Francesco Sforza
Condottiere
Herzog von Mailand
Die Ermordung des
Herzogs
Galeazzo Maria Sforza
1476
47
5. Genua wird ein Lehen Francesco Sforzas
(Klaus Schelle: Die Sforza. Bauern – Condottieri – Herzöge. S. 127/128)
Der König von Frankreich und der Herzog von Mailand schlossen einen Freundschaftspakt, in welchem ausdrücklich vorgesehen war, dass Frankreich dem Mailänder freie
Hand in Italien lasse. ...
Savona wurde an Mailand übergeben, Sforza erhielt Genua als Lehen. Nun hatte der
Herzog freie Hand. Er entsandte — es war inzwischen Herbst 1464 geworden - Corrado
Foliado mit Truppen nach Süden, die zunächst Savona unter dem Jubel der Einwohner
besetzten. In Genua versuchte der Doge Paolo Fregoso Widerstand zu leisten, floh
aber bei der Annäherung der Mailänder. Seine Frau Bartolomea blieb in der Zitadelle
und versuchte, mit Sforzas Truppen zu verhandeln. Auch hier war es der goldene Esel,
der die Mauer überstieg: Die Festung wurde ohne Blutvergießen eingenommen.
Dies alles spielte sich weit weg von der lombardischen Hauptstadt ab, und Sforza
wollte die Übernahme Genuas, den größten Machtzuwachs seit Jahrzehnten, zu einem
Schaustück in Mailand ausbauen. 24 Genuesen aus allen Klassen und Schichten der
Bevölkerung, begleitet von einem 200köpfigen Gefolge, erschienen als Botschafter der
Stadt Genua in Mailand. Ein mailändisches Empfangskomitee, bestehend aus den
Spitzen der herzoglichen Verwaltung und den Söhnen Sforzas, geleitete die Gesandtschaft in die Stadt. Es folgten drei Tage mit Festereien und dann kam der sorgfältig
inszenierte Höhepunkt, der Empfang durch den Herzog selbst. Neben Francesco
Sforza sah man Bianca Maria, die Prinzen und die Prinzessinnen in Prunkgewändern,
auf einer Plattform den lombardischen Adel. Alles war mit Teppichen, Blumen und
Girlanden festlich geschmückt.
Die genuesischen Gesandten traten voll Würde, »wie der römische Senat«, schreibt
Mailands Historiograph Simoneta, ein. Mit einer Rede, in der sich das ganze Pathos
der Renaissance entfaltete, machte sich Baptista Goanna, ein Rechtsgelehrter, zum
Sprecher Genuas.
»Wir bitten Dich«, schloß Goanna seine Ansprache, »betrachte die Größe des Angebots, das wir Dir nun machen. Nimmst Du es an, wird Dir die größte Gelegenheit
geboten, Deine Talente und Deine Tugenden allen Nationen zu zeigen, und Du wirst
großen und unvergänglichen Ruhm erringen. Denke doch, welch edles Werk es für
Dich sein wird, die blutenden Wunden unserer Stadt zu heilen, die Feuerbrände des
Parteienstreits zu löschen und dafür zu sorgen, dass allen Menschen Gerechtigkeit
zuteil wird. Als Gegenleistung wirst Du die Herrschaft über die ganze Küste von
Ligurien bis hinunter zu den Grenzen von Pisa (haben) ... In all diesen großen
Städten, die von Genuesen in den entferntesten Teilen der Welt gegründet sind,
werden Deine siegreichen Standarten entrollt und wird Dein großer Name gefeiert
werden. Um kurz zu sein: Du wirst von allen Christen als einer angesehen, der in der
gegenwärtigen Zeit uns vom Himmel gesandt und wert ist, von allen bewundert zu
werden, auch von den Heiden.«
Das Zepter und das große Siegel der Republik Genua wurden dem Herzog zusammen mit den Schlüsseln der Stadt feierlich überreicht. Sforzas Antwort auf Goannas
Rede fiel erstaunlich nüchtern und ohne den üblichen antikisierenden Schwulst aus:
»Viele Gründe ließen es für alle Beteiligten ratsam erscheinen, dass beide, Mailand
und Genua, unter dem selben Herrscher sein sollten. Die lange Grenzlinie zwischen
beiden Staaten und der Handelsverkehr, der die Grenzlinie dauernd überschreitet,
machen es unmöglich, dass Glück oder Unglück dem einen begegnen, ohne dass der
andere auch davon erfasst wird. Wenn wir uns nun entschließen, Euer Angebot anzunehmen, so tun wir das nicht so sehr um der Ausdehnung unseres eigenen Reiches
willen, das der Allmächtige bereits hinreichend mächtig und geräumig gemacht hat,
sondern vielmehr, um Euch und unseren eigenen Untertanen Segen zu schaffen.
Natürlich wissen wir recht wohl, dass wir unsere eigene Würde und unsere Macht
dadurch stärken, und wir sind uns auch der Verantwortung bewusst, mit der wir uns
beladen. Deshalb werden wir uns bemühen, so gut wie möglich die Pflichten zu
erfüllen, die Ihr uns übertragen habt..«
48
6. Mailand unter den Sforza
(Klaus Schelle: Die Sforza. S. 133/134)
Francesco Sforza starb 1466, und sein Sohn Galeazzo Maria folgte ihm nach.
Der Machtwechsel in Mailand vollzog sich praktisch völlig reibungslos — ein Zeichen,
wie sehr Francesco Sforza die Herrschaft seines Hauses stabilisiert hatte. Galeazzo
Maria war am 24. Januar 1444 in Fermo, südlich Ancona in den Marken, geboren. Die
Betreuung während der ersten Jahre lag hauptsächlich in den Händen seiner Mutter
Bianca Maria. Dass der Erbe des Herzogtums humanistisch erzogen wurde, war
selbstverständlich. Unter seinen Lehrern war der berühmte Filelfo. Mit acht Jahren
durfte er bei der Krönung Kaiser Friedrichs III: dabei sein, mit 14 Jahren erlebte er die
Inthronisierung des Papstes Pius II.
Was war das nun für ein Staat, dessen Leitung der 22jährige antrat? Das Herzogtum
hatte mehr als eine Million Einwohner. Die Jahreseinkünfte des Herzogs erscheinen
mit etwa 300 000 Golddukaten niedriger als beispielsweise die Venedigs; auf die Kopfzahl der Einwohner umgerechnet, waren sie aber dreimal höher als in Frankreich. Das
Land war nach mehr als einem Dutzend Friedensjahren wieder wohlhabend geworden. Was früher mehr ein Konglomerat einzelner Städte und Herrschaften gewesen
war, die eifersüchtig auf ihre Sonderrechte pochten, wuchsen nun allmählich zu einer
Einheit zusammen. Mailand war jetzt die unumstrittene Metropole der Lombardei. Über die
Einwohnerzahl in der Stadt gehen die Berichte ziemlich weit auseinander. Die niedrigste
Schätzung nennt mehr als 50 000, die höchste nahezu 300 000. Zwei Wahrzeichen hatte
Mailand zu Galeazzo Marias Zeiten: das Castello Sforzesco an der Porta Giovia und den
Stolz der Stadt, den großen Dom.
Man zählte in der lombardischen Hauptstadt nicht weniger als 60 Wollweberbetriebe. Wirklich berühmt aber waren die Mailänder Waffenschmiede. Die Güte und die Präzision ihrer
Harnische und ihrer Handwaffen wurden in ganz Europa geschätzt. Auch Bombarden für die
noch im Entstehen begriffene neue Waffengattung der Artillerie produzierten die Mailänder
Werkstätten. Ein ganz neuer Gewerbezweig im Herzogtum waren die Druckereien. Mailand
war außerdem bekannt für die Herstellung von Spielkarten (Giuco di Tarrocchi - daher unser Tarock). Einige Spiele waren künstlerisch so wertvoll ausgestaltet, daß mancher ein
kleines Vermögen dafür zahlte. Die Banken, allen voran eine Niederlassung des Hauses
Medici, beherrschten den Zahlungsverkehr großer Teile Norditaliens und jenseits der
Alpen.
Man arbeitete, man feierte Feste, man tanzte: In Mailand war nicht schlecht leben. Das
Volk war fromm, vielleicht nicht frömmer als anderswo, aber die Obrigkeit sorgte für die
Einhaltung der religiösen Feste und Gebote. Unter den Orden herrschten die Kapuziner
und die Dominikaner vor. Von Demokratie war natürlich keine Rede. Der Fürst blieb absoluter Herrscher. Von den Organen der Staatsverwaltung war das bedeutendste das
Consiglio, bestehend aus Familienmitgliedern der Sforza und hohen Würdenträgern.
Galeazzo Maria hatte das Glück, in Cicco Simoneta (dem Bruder des Geschichtsschreibers) einen klugen, zuverlässigen Kanzler und Ratgeber vom Vater übernehmen zu können. Der Adel hatte sich offenbar an die Herrschaft der Sforza gewöhnt. In der Bürgerschaft war kaum mehr eine Spur von jener republikanischen Gesinnung übriggeblieben,
die nach Filippo Marias Tod seinerzeit so hohe Wellen geschlagen hatte. Auf zwei Dinge
war Galeazzo Maria besonders stolz: auf den Staatsschatz, den er gelegentlich prominenten Besuchern vorzeigte, und auf seine Miliz, die er sehr gut bezahlte. Sie bestand aus
2000 Mann Kavallerie, 4000 Mann Infanterie und einer hervorragenden Artillerie.
Eines der ersten ernsten Probleme, denen sich der junge Herzog gegenübersah, lag in der
eigenen Familie. Schon nach einem guten Jahr war das Einvernehmen mit seiner Mutter
dahin. Vielleicht hatte Bianca Maria Visconti-Sforza zuviel Neigung, sich in die Staatsgeschäfte einzumischen, vielleicht nahm sie auch Anstoß an den Weibergeschichten ihres
Sohnes. Jedenfalls wuchsen die Spannungen, es gab Wortgefechte, und schließlich musste
die Herzogin-Mutter den Mailänder Hof verlassen. Sie entschloss sich, nach Cremona zu
gehen, der Stadt, die einst ihre Mitgift gewesen war. Aber sie war kaum dort, als sie
plötzlich am 23. Oktober 1467 starb, nicht viel älter als 40 Jahre. Alsbald kam das Gerücht
auf, der rasche Tod Bianca Marias sei auf Vergiftung zurückzuführen.
49
Giovanni Ambrogio de Predis,
1483
(zugeschrieben)
Cleveland Museum of Art,
Ohio
Gian Galeazzo II. Sforza
als Heiliger Sebastian
Francesco Napoletano,
um 1494
Ausschnitt aus dem Sforza-Altar,
Pinacoteca di Brera, Mailand
Ludovico Sforza
il "Moro"
50
7. Ludovico il Moro als Herzog von Mailand
Herzog Galeazzo Maria, der mit Hilfe des vom Vater geerbten Kanzlers Cicco Simoneta nicht
ungeschickt regierte und im Bund mit Lorenzo de' Medici den Frieden bewahrte und die
Kultur förderte, wurde 1476 von drei jungen Adligen ermordet, die die Republik wieder
herstellen wollten. Sein Nachfolger wurde sein 1469 geborener Sohn Gian Galeazzo. Um die
Regentschaft stritten sich die Mutter und der jüngste Bruder des ermordeten Herzogs, wegen
seiner dunklen Hautfarbe Ludovico il Moro genannt. Der setzte sich durch und regierte seit
1481 Mailand für den Neffen, auch nach dessen Volljährigkeit und Heirat 1489. Aber die
Spannungen zwischen beiden nahmen allmählich zu, vor allem auch, weil Ludovicos Frau
Beatrice d'Este und Gian Galeazzos Frau Isabella d'Aragon miteinander aufgewachsen und
jetzt erbitterte Rivalinnen waren. 1494 starb der 25-jährige Gian Galeazzo, und natürlich
wurde sein Onkel verdächtigt, ihn vergiftet zu haben. Ludovico überging das Erbrecht seines
1490 geborenen Großneffen Francesco und ließ sich zum Herzog ausrufen. Nach der
vorausgegangenen Heirat seiner Nichte Bianca Maria mit Kaiser Maximilian und der sagenhaften Mitgift hatte er die kaiserliche Belehnung schon in der Tasche. Beim Papst war der
Moro durch seinen Bruder Ascanio, seit 1483 Kardinal, abgesichert.
Ludovico il Moro, seit 1481 tatsächlicher und seit 1494 auch offizieller Herzog, richtete in
Mailand einen glanzvollen Renaissancehof mit Dichtern und Künstlern ein. Er holte Leonardo
da Vinci, der 17 Jahre in Mailand blieb und unter anderem in Santa Maria delle Grazie das
Abendmahl schuf. Sein Bewerbungsschreiben von 1582, mit dem er sich als Ingenieur,
Erfinder, Konstrukteur von militärischem Gerät, Architekt und Künstler vorstellte, ist erhalten.
8. Der Beginn der Franzosenkriege und die "heilige" LIga
In Frankreich beschloss König Karl VIII., die Erbansprüche der Valois auf Neapel wieder
aufzunehmen. Nach dem Tod König Ferrantes 1494 beanspruchte er die Nachfolge und
rüstete dafür ein großes Heer mit Rittern, Fußsoldaten und modernster Artillerie aus. Diplomatisch sicherte er sich durch einen Ausgleich mit England und mit Maximilian, dem er aus
dem burgundischen Erbe die Franche Comté überließ.
Lodovico il Moro begrüßte zunächst die französische Invasion, empfing den französischen
König und garantierte den französischen Durchzug durch die Lombardei, der allerdings
wegen des furor francese für die Bevölkerung sehr belastend verlief. In Florenz führte die
Kooperation von Piero de' Medici mit den Franzosen zu seinem Sturz und zur zeitweiligen
Herrschaft des Dominikanermönchs Savonarola. Als den Franzosen auf dem Weitermarsch
sogar die junge Geliebte des Borgia-Papstes in die Hände fiel, verbreitete sich in Italien die
Gewissheit, dass mit der französischen Invasion die italienische Friedensgemeinschaft der
letzten fünfzig Jahre am Ende war. Karl VIII. zog in Neapel ein und ließ sich zum König Karl
Augustus ausrufen. Aber in der Zwischenzeit schlossen sich die italienischen Mächte, Venedig, der Papst und Mailand zu einer antifranzösischen "heiligen" Liga zusammen. Karl
musste sich mit seinem Heer nach Norden zurückziehen, um nicht abgeschnitten zu werden,
und das französische Heer wurde in der Schlacht von Fornova am Taro beim Zugang zur
Poebene von der Liga geschlagen, aber nicht vernichtet. Karl kehrte mit einem auch von der
Syphilis dezimierten Heer nach Frankreich zurück In Neapel konnte sich der französische
Vizekönig nicht halten, 1497 kapitulierten die letzten Franzosen in Tarent. Karl VIII. sammelte in Frankreich Kräfte für eine neue Invasion, aber er kam 1498 bei einem Unfall ums
Leben. Sein Nachfolger wurde sein "Vetter" Ludwig von Valois-Orléans, der von Valentina
Visconti abstammte und deshalb auch Erbansprüche auf Mailand vorbrachte.
Literatur
Barbara W. Tuchman: Der ferne Spiegel. Das dramat. 14. Jahrhundert. Düsseldorf 1980.
Klaus Schelle: Die Sforza : Bauern, Condottieri, Herzöge, Geschichte einer
Renaissancefamilie. Seewald Stuttgart 1980.
Peter Blastenbrei: Die Sforza und ihr Heer. Studien zur Struktur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Söldnerwesens in der italienischen Frührenaissance. Winter HD1987.
Ursula Patrucco: Die Geschichte der Visconti 1277 – 1450. Alberti Verbania 2001.
Ursula Patrucco: Die Frauen am Hofe der Sforza 1450 – 1535. Alberti Verbania 2004.
Antonia Visconti – ein Schatz im Hause Württemberg. Begleitbuch zur Ausstellung.
Hauptstaatsarchiv Stuttgart 2005.
51
9. Die weiteren Franzosenfeldzüge, das Ende des Moro und seiner Söhne
Ludwig XII. von Frankreich nahm die Italienpolitik seines Vorgängers auf und schickte 1499
ein neues Heer unter dem von Ludovico vertriebenen Gian Giacomo Trivulzio nach Italien.
Dieser besetzte und übernahm für Ludwig XII. das Herzogtum Mailand, militärisch auch zur
Sicherung seiner Rückzugslinien. Ludovico il Moro wurde vertrieben. Die Franzosen ließen
eine Besatzung zurück und zogen mit dem Hauptheer weiter nach Neapel. Ludovico einigte
sich mit den Schweizern, damals den besten Fußsoldaten, und konnte 1500 Mailand zurück
erobern. Das französische Heer, auch mit Schweizer Söldnern, kehrte zurück, und die
beiden Heere standen sich bei Novara gegenüber. Es gab lebhafte Verhandlungen, weil die
entsendenden Schweizer Kantone ("Tagsatzungen") nicht wollten, dass Schweizer gegen
Schweizer kämpften, und weil Moro seine Verpflichtungen nur unvollkommen erfüllen
konnte, beschlossen seine Schweizer, den angebotenen freien Abzug zu akzeptieren. Moro
verkleidete sich als Schweizer Söldner, wurde aber verraten und geriet in französiische Gefangenschaft. Das war der "Verrat von Novara". Moro wurde als Gefangener nach Frankreich
gebracht und starb 1508 in der Burg Loches im Loiretal. Auch Francesco Sforza, der Sohn
Gian Galeazzos II., wurde nach Frankreich gebracht und ins Kloster gesteckt. Er starb 1511
als Abt von Marmoutier/Mauersmünster im Elsass.
Ludwig XII. verlor gegen Aragon den Kampf um Neapel und musste sich nach der Schlacht
am Garigliano aus Sütialien zurückziehen. Das Königreich Neapel-Sizilien wurde damit ein
Nebenland von Aragon und seit dessen Vereinigung mit Kastilien von Spanien, und sein
Erbe wurde schließlich der 1501 geborene Karl von Habsburg, der spätere Kaiser Karl V.
Ludwig XII. verzichtete Spanien gegenüber im Vertrag von Blois auf alle Ansprüche wegen
Neapel.
Aber er blieb Herzog von Mailand, und das war unter geostrategischen Überlegungen ein
viel sicherer und leichter zu haltender Gewinn. Sein Statthalter wurde Gian Giacomo
Trivulzio, der unter anderem die Melioration und Entwässerung des Piano di Chiavenna in
Angriff nahm.
Venedig hatte die Schwächung Mailands dazu genutzt, seine Stellung in Norditalien und
seine terra ferma auszubauen und zu erweitern. Dagegen schlossen Papst Julius II., Kaiser
Maximilian als interessierter Nachbar in Tirol und Ludwig XII. von Frankreich als Herzog von
Mailand 1508 die Liga von Cambrai, und das französische Heer mit seinen Schweizer Söldnern besiegte die Venezianer in der Schlacht von Agnadello im Mai 1509. Danach erkannte
der Papst, dass er damit nur die französische Machtstellung gestärkt hatte, und er brachte
1511 eine neue "Heilige Liga" mit Maximilian und Spanien gegen Frankreich zusammen.
Damit geriet Frankreich in Mailand unter Druck.
Die Söhne des Moro, Massimiliano und Francesco, hatten sich an den Innsbrucker Hof
geflüchtet, wurden aber jetzt von den Schweizern, die politisch von Matthäus Schiner, dem
Kardinalbischof von Sitten/Sion geführt wurden und ihre eigenen Ziele verfolgten, protegiert.
Im Dezember 1512 gaben die Franzosen Mailand auf, und die Schweizer setzten Massimiliano Sforza als Herzog ein, der ihnen dafür wesentliche Zugeständnisse machte (Lugano,
Locarno, Domod'Ossola, Veltlin, Chiavenna, dazu hohe Zahlungen). Massimiliano war kein
glücklicher Herzog, er war von den Schweizern abhängig, und Mailand war umkämpfte
Kriegsbeute. Im Mai 1513 nahm ein französisches Heer Mailand wieder ein. Massimiliano
flüchtete nach Novara und rief die Schweizer um Hilfe. So kam es im Juni 1513 zur Schlacht
von Novara, in der die Schweizer die Franzosen (mit deutschen Landsknechten) schlugen
und Massimiliano im Triumph nach Mailand zurückführten.
Doch der neue französische König François Ier (seit 1515) verzichtete nicht auf Mailand,
sondern zog noch 1515 mit einem Heer gegen die Stadt. Massimiliano verzichtete und zog
sich mit einer Pension nach Frankreich zurück. Die Franzosen schlugen die Schweizer bei
Marignano und leiteten damit deren militärischen Niedergang ein. Mailand war wieder französisch, aber der Hauptgegner Frankreichs in Italien wurde nun immer mehr der Habsburger
Karl, seit 1516 König von Spanien und seit 1519 Kaiser. Den spanisch-kaiserlichen Truppen
gelang 1521 die Rückeroberung Mailands, und sie setzten Francesco Sforza, den jüngeren
Sohn des Moro, zum neuen Herzog ein. Aber er war völlig von seinen Beschützern abhängig, und nach seinem Tod 1535 verlieh der Kaiser das Herzogtum Mailand an seinen Sohn,
den späteren Philipp II. von Spanien.
52
Bernhard Strigel (1465–1528)
Bianca Maria Sforza (1472-1510)
Kaiserin
Zweite Gemahlin Kaiser Maximilians
Um 1506
Bianca Maria Sforza, geboren 1472,
Tochter von Galeazzo Maria Sforza,
von ihrem Onkel Lodovico il Moro
1494 mit Kaiser Maximilian
verheiratet. Mit einer gewaltigen
Mitgift für seine Nichte sicherte sich
der Moro die Anerkennung der
Nachfolge im Herzogtum.
Bianca Maria hatte keine gute
Ausbildung erhalten, und Maximilian
beklagte sich über ihr mangelndes
Interesse und ihre Dummheit. Die
Ehe blieb nach mehreren
Fehlgeburten kinderlos, und der Tod
Bianca Marias 1510 löste bei
Maximilian keine Trauer aus.
Bona Sforza um 1517
Holzschnitt Wkipedia
Bona Sforza, geb. 1494, war eine Tochter
Gian Galeazzos und wurde 1518 Gemahlin
des polnischen Königs Sigmund. Sie brachte
italienischen Einfluss, Renaissance
und italienische Küche nach Polen.
König Sigmund regierte von 1506 – 1548.
Seine Frau Bona kehrte 1556 nach Italien
zurück und wurde dort 1557 vergiftet. Ihr Sohn
Sigmund II. August, der letzte Jagiellone, starb
1572.
53
Deutsch - Italienische Gesellschaft
4. März 2006
Hansjörg Frommer
28. Seminar zur italienischen Geschichte:
Geschichte Sardiniens im Überblick
Vor- und Frühgeschichte
(aus dem Katalog „Die Kunst Sardiniens“, C.F.Müller Karlsruhe 1980)
vorindoeuropäisch, keine schriftlichen Quellen, nur archäologische Spuren
Erste menschliche Spuren vor 200 000 Jahren, bearbeitete Hirschknochen vor 15 000 Jahren
54
Die phönizisch - karthagische (oder punische) Zeit (9. Jahrhundert bis 238 a.C.)
Die großen phönizischen Handelsstädte Tyrus und Sidon (im heutigen Libanon) erlebten ihre
Blüte um 1000 a.C., als das Ende des Hethiterreiches und die Schwäche Ägyptens ihnen
eigene Entfaltungsmöglichkeiten bot. Sie trieben Handel und dehnten ihre Stützpunkte
immer weiter über das Mittelmeer aus, auch auf Sardinien.
Die ersten Stützpunkte waren kleine Siedlungen mit Hafenanlagen und Schutz für die Schiffe.
Als der Handel zunahm und auf der Insel Metallvorkommen bekannt wurden (Kupfer, Eisen,
Blei), wurden die Siedlungen wichtiger und größer, und es kam verstärkt zu kriegerischen
Zusammenstößen zuerst mit der Nuraghenkultur und dann mit den Bergvölkern im Inneren.
Karthago (gegründet 814), phönizisch Qart Hadasht, Neue Stadt, griechisch Karchedon,
lateinisch Karthago, übernahm im 6. Jahrhundert die phönizischen Siedlungen im westlichen
Mittelmeer und versuchte, sie zu einer Territorialherrschaft auszubauen. Damit wurden die
punischen Städte auch zu Zwingburgen. Die Niederwerfung erfolgte 520 bis 510 a.C. Auch
danach gab es immer wieder Aufstände gegen die karthagische Herrschaft.
Wichtigste punische Städte:
Tharros auf der Westseite, auf einer abgetrennten und gut zu schützenden Halbinsel, belegt
als phönizische Siedlung seit dem 8. Jahrhundert, punisch und später römisch überbaut, mit
Wehranlagen und Tophet (Begräbnishügel) nach 1000 wegen der Sarazenen aufgegeben.
Die behauenen Steine wurden großenteils nach Oristano mitgenommen.
Die Bucht von Sant‘ Antioco und Sulcis im Südwesten (Entfernung nach Karthago 180 km)
Nora am Eingang des Golfes von Cagliari. Eine phönizische Inschrift aus Nora im Nationalmuseum in Cagliari zeigt den Namen ‚Srdn‘ (das Phönikische schreibt keine Vokale).
Die Karthager haben die Eroberung und Sicherung Sardiniens mit Söldnertruppen betrieben.
Nach dem ersten punischen Krieg mit Rom (264 – 241) kam es dort zu einem Söldneraufstand. Die Römer griffen militärisch ein, um Karthago zu helfen, aber nach der Niederschlagung des Aufstandes beschloss der römische Konsul Titus Sempronius Gracchus, die Insel
für Rom zu behalten. So wurde Sardinien 238 a.C. römisch.
55
Die römische Zeit (238 a.C. – 440 p.C.)
Die römische Herrschaft war härter, ungerechter und willkürlicher als die punische und führte
deshalb zu Aufständen der „Fellsarden“ (Sardi pelliti bei Livius) oder „fellbekleideten Banditen“ (mastrucati latrunculi bei Cicero). 215, mitten im punischen Krieg, führte der sardische
Fürst und Großgrundbesitzer Hampsicora im Bunde mit Hannibal einen großen Aufstand an,
der aber von den Römern unter Titus Manlius Torquatus in der blutigen Schlacht bei Cornus
(an der Westküste) niedergeschlagen wurde.
178 brach ein neuer Aufstand aus, der die römische Herrschaft für drei Jahre vertrieb. Aber
Tiberius Sempronius Gracchus warf den Aufstand schließlich nieder und verkaufte so viele
gefangene Sarden als Sklaven, dass die „Sardi venales“ die Preise verdarben. 122 kam es
zu einem letzten Aufstand, der von Marcus Caecilius Metellus niedergeschlagen und 111 in
Rom mit dem achten Triumph über Sardinien beendet wurde. Seit 177 war Sardinien eine
römische Provinz. 55 vor Christus verteidigte Cicero den Prokonsul Marcus Aemilius Scaurus, der in Sardinien für eigene Bedürfnisse einen zusätzlichen dritten Zehnten erhoben
hatte, mit den übelsten antisardischen Ressentiments (und gewann den Prozess).
Im Bürgerkrieg stellte sich Cagliari auf die Seite Cäsars, Sulcis auf die des Pompeius.
Deshalb erhielt Cagliari 46 als erste Stadt auf Sardinien das römische Bürgerrecht. Unter
Augustus kam es zu einem weiteren Feldzug gegen die sardischen Banditen, die Bergbewohner der Barbagie.
In der Kaiserzeit erholt sich Sardinien schnell. Viele Bauwerke und neue Städte zeugen vom
Aufblühen der romanischen Kultur in den Küstengebieten. Romanisierung bedeutete auch
die Einführung des Lateinischen. Daraus entstand die eigenständige sardische Sprache im
Rahmen der vom Lateinischen abstammenden romanischen Sprachen.
(aus dem DuMont-Kunstreiseführer Sardinien)
In der Kaiserzeit erfolgt auch die Einführung des Christentums. Sardinien galt als Verbannungsort für Juden und Christen. Der legendäre St. Ephisius, der Heilige von Cagliari, soll 303
das Martyrium erlitten haben. 354 nahmen zwei sardische Bischöfe, Eusebius und Luciferus,
am Konzil von Arles teil. Spuren der frühen christlich-spätantiken Kunst gibt es nur wenige, so
die Ausgrabungen von Cornus/Santa Catarina (zwischen Bosa und Oristano) und die Kirche
von San Saturno in Cagliari, um 450 im Stil des Mausoleums der Galla Placidia errichtet.
56
Zwischen Vandalen, Byzantinern und Sarazenen (440 – 1000)
Die Richterzeit (vier Judikate Cagliari, Arborea, Torres und Gallura seit dem 9. Jahrhundert)
Zwischen Pisa und Genua, Aragon, den Staufern und den Päpsten (1016 – 1297)
In der späten Kaiserzeit verstärkte sich die Tendenz zum Großgrundbesitz in den fruchtbaren Regionen, zu reichen Grundherren mit abhängigen Bauern und eigenen Soldaten. Städte
und Stadtbevölkerung gingen zurück, ebenso Handel und Handwerk.
Die Vandalen, die unter ihrem König Geiserich 429 von Spanien nach Afrika übergesetzt
waren und 439 Karthago eroberten und zu ihrer Hauptstadt machten, richteten sich im
westlichen Mittelmeer als Seemacht ein und eroberten 440 Sardinien. Sie änderten nichts an
den sozialen Verhältnissen.
533/34 eroberte eine römisch-byzantinische Militäroperation unter dem Feldherrn Belisar
Karthago und den vandalischen Besitz zurück. 534 landete Belisar auf Sardinien. Von da an
gehörte Sardinien wie Sizilien und Süditalien zum oströmischen Reich. Dessen Hartnäckigkeit beim Eintreiben von Steuern war bekannt. Aber Byzanz nahm auch Einfluss auf die
Kirche. Papst Gregor VII. verlangte noch 1080 in einem Brief an den Richter von Cagliari,
dass der Erzbischof endlich seinen Bart abnehmen und die Geistlichen den Zölibat einhalten
müssten. Die damals gebauten Kirchen sind unbedeutend und im Stil von St. Saturno.
Die eigentlichen Erben der vandalischen Seemacht wurden die Araber, die 698 Karthago
und die Provinz Africa erobert hatten und seither das westliche Mittelmeer beherrschten.
Sizilien wurde von ihnen erobert und besiedelt, Sardinien vor allem geplündert und als Marinestützpunkt genutzt. Von Byzanz war dagegen keine Hilfe zu erwarten. Deshalb baten sardische Gesandte 815 den Kaiser Ludwig den Frommen um Hilfe, allerdings ohne Wirkung.
Die Sarden mussten sich also selber helfen. Sie räumten die gefährlichen Küstenregionen
und bauten sich sichere und befestigte Städte weiter im Inneren, zum Beispiel Oristano, das
mit den Steinen der punisch-römischen Stadt Tharros errichtet wurde und dort nur ein
Trümmerfeld zurückließ. Sie schritten auch zur Selbsthilfe und Selbstorganisation, vermutlich
unter der Führung von adligen Großgrundbesitzern, die den Titel Judex – Richter annahmen.
Die Richterzeit ist die einzige Selbstregierung der Sarden. Es entstanden im 9. Jahrhundert
vier Richterbezirke, im Nordwesten Logudoro/Torres, im Nordosten Gallura, im Südwesten
Arborea und im Süden/Südosten Cagliari. Das Amt war in den Familien erblich. Wir wissen
über die Abgrenzungen und das Funktionieren nicht sehr viel, aber es wurde Recht gesprochen und es wurden Urkunden ausgestellt. Wir kennen die Namen der Richter, vor allem aus
den Urkunden, aber wir wissen sonst zu wenig. Die beste Zeit der Judikate war zwischen
900 und 1015.
Doch am päpstlichen Hof hatte man Sardinien nicht vergessen. In die Urkunde, mit der
Kaiser Ludwig der Fromme die (gefälschte) Konstantinische Schenkung bestätigte, wurde
nachträglich in Rom der Besitz von Sizilien, Korsika und Sardinien mit eingefügt. Der Papst
wartete nur auf eine günstige Gelegenheit zum Eingreifen. Die ergab sich, als 1015 eine
Flotte aus dem islamischen Córdoba in Cagliari landete und den Südteil der Insel eroberte.
Der Papst forderte die Seerepubliken Pisa und Genua, die dabei waren, die maritime Kontrolle über das westliche Mittelmeer vom zerfallenden islamischen Großreich zu übernehmen, zum Eingreifen auf, und sie vernichteten 1016 die spanischen Araber unter Amiri.
Seither hielt sich der Papst für den Oberherrn der Insel und versuchte, vor allem die sardische Kirche unter seine Kontrolle zu bekommen. Genua und Pisa suchten nach Stützpunkten und Einfluss, und die Judikate bestanden weiter.
1157 heiratete der Richter von Torres, Barisone, eine katalanische Adlige aus der Familie
der Grafen von Barcelona. Barisone verband sich mit Genua und mit Friedrich Barbarossa
und wurde 1164 in Pavia zum ersten König von Sardinien gekrönt. Aber er konnte sich nicht
durchsetzen. Papst Innozenz III. versuchte, einen Neffen in eine Richterfamilie einheiraten
zu lassen. Der pisanische Adlige Ubaldo Visconti heiratete 1222 Adelasia, die Erbin von
57
Gallura und Torres. Als er 1237 starb, verheiratete Kaiser Friedrich II. seinen legitimierten
Sohn Enzio 1238 mit der Witwe und ernannte ihn zum König von Sardinien. Doch Enzio
musste nach der Heirat zu seinem Vater zurück und wurde 1249 gefangen genommen und
bis zu seinem Tod in Bologna festgehalten. Der Papst löste 1249 die Ehe auf, und Adelasia
heiratete in dritter Ehe den Seneschall und Statthalter König Enzios.
Das Judikat Gallura erlosch 1298 mit dem Tod Nino Viscontis, eines Freundes von Dante.
Das Judikat Cagliari wurde unter pisanische Adelsfamilien aufgeteilt, das Judikat Torres im
Nordwesten unter genuesische (Doria, Malaspina, Spinola). Nur das Judikat Arborea
bestand weiter. Berühmt ist die Richterin Eleonora d’Arborea, die von 1383 bis 1402 oder
1404 für ihren unmündigen Sohn die Regierung übernahm und 1392 die Carta de Logu
erließ, ein berühmtes Zvil- und Strafgesetzbuch, das später auf die ganze Insel ausgedehnt
wurde und theoretisch bis 1827 in Kraft war.
Das 11. bis 13. Jahrhundert brachte einen gewissen Aufschwung, weil der Mittelmeerhandel
insgesamt wieder zunahm und die Beziehungen zu Genua und Pisa sich positiv auswirkten.
Neue Städte wie Bosa unter der Burg der Malaspina oder Castelsardo um eine Burg der
Doria entstanden. Benediktiner von Montecassino und St. Victor in Marseille brachten das
Klosterwesen und das Wissen der Mönche um Landwirtschaft nach Sardinien. Neue Kirchen
im vom Kontinent eingeführten romanischen Baustil wurden errichtet, als erste San Pietro
extramuros bei Bosa. Bestes Beispiel der von St. Viktor beeinflussten sardischen Doppelapsiskirchen ist Santa Maria di Sibiola nördlich von Calgari. Viele große Kirchen Sardiniens
stammen aus dieser Zeit.
Der letzte Stauferkönig von Unteritalien und Sizilien, Manfred, hatte seine Tochter Konstanze
mit König Peter von Aragon verheiratet. Dieser konnte nach der sizilianischen Vesper 1282
Sizilien in Besitz nehmen. Aragon wurde damit im westlichen Mittelmeer zur wichtigsten
Seemacht. Deshalb übertrug Papst Bonifaz VIII. 1297 das Königreich Sardinien und Korsika
auf König Jakob von Aragon und Sizilien. 1323 führte der Infant Alfons ein Heer nach
Sardinien, und 1326 erkannte Pisa die aragonesische Herrschaft an. Aber die Sarden unter
der Führung der Richter von Arborea wehrten sich gegen die Fremdherrschaft. 1354 ließ
König Peter IV. von Aragon in Alghero im Nordwesten, 300 km von Barcelona entfernt, die
einheimische Bevölkerung vertreiben und die Stadt mit Einwanderern aus Aragon besiedeln.
Deshalb wird in Alghero bis heute katalanisch gesprochen. Doch der Widerstand der Sarden
hielt an. Erst mit der Niederlage von Sanluri 1408 unterlag das Judikat von Arborea, und die
aragonesische Herrschaft erstreckte sich über ganz Sardinien.
58
Die aragonesisch – spanische Herrschaft 1400 - 1714
Für die Krone von Aragon war Sardinien neben Sizilien und den Balearen ein wichtiger Teil
ihres Seeimperiums im westlichen Mittelmeer. Aber für das Land interessierten sich die Aragonesen nicht. Peter IV. führte nach aragonesischem Muster 1354 ein Ständeparlament
(Istamentos) ein. Der erste Stand war der Adel, der zweite der Klerus, der dritte die Vertreter
der Städte. Aber da der Großgrundbesitz an Adlige aus Aragon verteilt und die Bischöfe von
dort ernannt wurden, war dieses Parlament keine Vertretung der Sarden, sondern der
Besatzungsmacht und des Großgrundbesitzes. Ein letzter großer sardischer Aufstand unter
Leonardo Alagon, dem Markgrafen von Oristano aus der Familie Arborea, scheiterte 1478 in
der Schlacht von Macomer. Die Vernachlässigung der Insel und die Entrechtung der Bauern
gegenüber den Großgrundbesitzern schritten voran. Zur Eingliederung gehörte auch die
Einführung des Katalanischen und Spanischen als Verwaltungs- und Gerichtssprache.
1479 wurde Ferdinand König von Aragon. Er heiratete Isabella von Kastilien und die beiden
wurden die Begründer des Königreichs Spanien. Sie eroberten 1492 die letzte maurische
Enklave Granada und dehnten durch die Entdeckungen und Eroberungen des Kolumbus ihr
Reich über die neue Welt aus. Ihr Erbe wurde der Sohn ihrer Tochter Johanna, der Habsburger Karl, der auch die deutschen und österreichischen Besitzungen der Habsburger und die
Niederlande einbrachte. Karl war König von Spanien und damit gleichzeitig von Sizilien und
Sardinien und wurde nach dem Tod seines Habsburger Großvaters 1519 Kaiser Karl V.
Sardinien war ein uninteressantes Nebenland, das Steuern (das „donativo“) abzuliefern
hatte. Gleichzeitig hatte die Insel unter den Plünderungen der aufsteigenden türkischen
Seemacht zu leiden und wurde in die Auseinandersetzung zwischen Franz I. von Frankreich
und Karl V. hineingezogen. So besetzten und plünderten die Franzosen und Genueser unter
Andrea Doria 1527, im Jahr des Sacco di Roma, Sassari. Karl V. sah sich auch als Erbe der
aragonesischen Mittelmeermacht und führte 1535 eine Flotte (Admiral Andrea Doria) und ein
Heer nach Tunis, das er dem türkischen Admiral Khairuddin Barbarossa entreißen konnte.
1541 sollte ein weiterer Kriegszug nach Algier, wo viele aus Spanien vertriebene Mauren
eine neue Existenz gefunden hatten, diesen Erfolg sichern. Aber der Kriegszug begann zu
spät, erst im Oktober, die Flotte wurde durch einen Orkan vernichtet und der Kaiser musste
den Feldzug ergebnislos abbrechen. In der Folgezeit nahmen die Plünderungen durch die
Schiffe Barbarossas zu (unter anderen Terranova, das heutige Olbia). 1571 vernichtete die
christliche Flotte (Spanien, der Papst, Genua, Venedig) unter Don Juan d’Austria am
Eingang zur Adria die türkische Flotte. Trotz dieses großen Sieges bestand die Gefahr von
Piraten und Überfällen weiter. Deshalb ordnete König Philipp II. 1587 den Bau von
Schutzanlagen, den „Sarazenen-türmen“ an.
Ein wichtiges spanisches Herrschaftsinstrument war die Verfügung über die Kirche, und hier
waren die Jesuiten skrupellose, aber auch tüchtige Helfer. Sie gründeten 1562 in Sassari
eine Schule für loyalen und gebildeten Priester- und Beamtennachwuchs. Daraus erwuchs
die Universität Sassari, die 1620 durch eine Urkunde König Philipps III. genehmigt wurde. In
der Folgezeit kam es zu Spannungen mit der spanischen Krone, weil die Sarden, die über
die Universität den Zugang zu Bildung und Fortschritt gefunden hatten, die Zulassung zu den
oberen Ämtern und Ständen verlangten, die bisher Spaniern vorbehalten waren. Der Dom
von Alghero ist ein Beispiel katalanischer Gotik, der Dom von Sassari für spanischen Barock.
Die spanisch-habsburgische Machtkonzentration galt vielen Intellektuellen als gefährlich für
Europa. Zur allgemeinen Erleichterung spalteten sich die Habsburger in eine spanische und
eine österreichische Linie. Die spanischen Habsburger lieferten Prinzessinen für die französischen Könige, und als der letzte spanische Habsburger 1701 starb, waren die französischen Bourbonen die nächsten Verwandten, die Österreicher weitläufiger, aber in männlicher Linie. Im europäischen Sinn lag eine Aufteilung des Besitzes, aber dafür brauchte es
den spanischen Erbfolgekrieg von 1701 – 1714. Am Ende erhielten die Österreicher die Niederlande und Korsika-Sardinien, das bereits seit 1708 unter ihrer Herrschaft stand.
Schließlich wurde Sardinien 1714 im Tausch gegen Sizilien an den Herzog von SavoyenPiemont abgegeben, der seither den Titel König von Sardinien führen durfte.
59
Karte von Sardinien (Sebastian Münster, Cosmographia, Basel 1588)
60
Das Königreich Sardinien – Piemont 1714 - 1860
Savoyen-Piemont war ein zweitrangiges europäisches Fürstentum, das im Mittelalter zum
Königreich Burgund gehört hatte und jetzt sprachlich wie politisch zwischen Frankreich und
Italien stand. Es hätte gern als Preis für seine Beteiligung am Spanischen Erbfolgekrieg die
Toscana bekommen, aber es wurde mit Sardinien und dem Königstitel abgefunden. Dazu
wurde im Übergabevertrag festgelegt, dass die Privilegien der spanischen Adligen und
Großgrundbesitzer nicht angetastet werden dürften. Erst 20 Jahre später versuchte König
Carlo Alberto, die Feudalabgaben der Bauern abzulösen, aber nur gegen Entschädigung.
Die dafür notwendige Steuer verschärfte die Lage der Kleinbauern und Hirten. Ein Dekret
von 1726 führte das Italienische an Stelle des Spanischen und Katalanischen als Staats-,
Gerichts- und Schulsprache ein, während das Sardische weiterhin ignoriert oder unterdrückt
wurde. An König Carlo Alberto erinnert die Stadt Carloforte auf der Insel San Pietro im
Süden, wo 1738 ursprünglich aus Genua und Ligurien stammende Einwanderer angesiedelt
wurden, die zunächst auf einer Insel vor Tunis eine unsichere und gefährdete Heimat
gefunden hatten. 1789 wurde die Stadt von tunesischen Piraten überfallen und ausgeraubt.
Der König von Sardinien-Piemont sah sich beim Aufbau der Armee in der preußischen
Tradition, nicht aber bei Aufklärung und Reform. Es blieb alles beim alten. Doch die Ideen
der französischen Revolution, vor allem die Aufhebung aller Feudallasten, fand viele
Anhänger. Schon 1789 kam es zu Aufständen. Giovanni Maria Angioy, ein Richter aus
Calgiari, wurde 1795/96 zum Anführer der „sardischen Revolution“, die in Oristano von den
Truppen des Vizekönigs niedergeschlagen wurde. Angioy starb 1808 im Exil in Paris.
Frankreich hatte 1768 die Insel Korsika von Genua übernommen. Napoleon Bonaparte, 1769
in Ajaccio geboren, stieg in der Revolutionszeit zum Oberbefehlshaber in Italien und zum
Konsul und Kaiser auf. Er annektierte 1799 Savoyen-Piemont für Frankreich, und die Könige
Karl Emanuel IV. (1796 – 1802) und Viktor Emanuel I. (1802 – 1821) mussten unter englischem Schutz bis 1814 in Cagliari residieren, der erste Aufenthalt eines savoyischen Königs
in Sardinien. Nach dem Napoleon-Lexikon „Histoire et Dictionnaire du Consulat et de
l’Empire“ (Laffont Paris 1995) hat Napoleon in einem Winter auf Elba mehr Veränderungen
und Reformen in Gang gebracht als Viktor Emanuel in 12 Jahren in Sardinien. Nach der
Rückkehr ließ er allerdings die Veränderungen der Franzosenzeit in Turin ohne Rücksicht
rückgängig machen, sogar die Pflanzen im Botanischen Garten vernichten. Auf Sardinien ist
diese Königszeit durch die klassizistischen Fassaden an den großen Kathedralen in Sassari
und Calgiari, Nuoro und Oristano vertreten.
Der Kronprinz und Nachfolger Carlo Felice (Karl Felix, 1821 – 1831) kümmerte sich um
Sardinien. Unter ihm wurde die zentrale Straße von Cagliari über Oristano nach Porto Torres
begonnen, die Nord-Süd-Achse. Sein großes fehlgeschlagenes Reformwerk aber war der
Versuch einer Bodenreform durch den editto delle chiudende von 1820, der festlegte, dass
jeder Bauer in Sardinien das Land, das er bebaute, durch eine Abzäunung zu seinem Besitz
machen konnte. Das führte nicht nur zu den heute noch typischen tancas, den halbhohen
Steinmauern, sondern zu einer Erneuerung des Großgrundbesitzes und zum Verlust von
Weide- und Gemeindeland. Daraus ergab sich eine weitere Verelendung der Kleinbauern
und Hirten. Zwischen 1835 und 1839 wurden zwar die alten Lehenslasten abgeschafft, aber
gegen eine Abfindung der Großgrundbesitzer, die durch erhöhte Steuern aufgebracht
werden musste. Das führte zu einer ersten Auswanderungswelle und zur Ausbildung des
sardischen Banditentums in den unzugänglichen Bergregionen. Es führte auch zu einer
weiteren Entwaldung und Zerstörung der Natur.
Unter Karl Albert (1832 – 1849) und Viktor Emanuel II. (1849 – 1878) und seinem Minister
Cavour steuerte das Königreich Sardinien-Piemont auf die nationale Einigung zu. Dabei war
Sardinien unwichtig. Cavour war bereit, es an Frankreich abzutreten. Nur Garibaldi hielt an
Sardinien fest und zog sich seit 1865 auf die kleine Insel Caprera zurück, wo er 1882 starb.
Cavour verzichtete für die Unterstützung Frankreichs auf Savoyen und erhielt dafür 1861 die
Lombardei. Garibaldi stürzte die Bourbonenmonarchie in Süditalien und Sizilien, und Viktor
Emanuel II. wurde König von Italien, wenn auch noch ohne Venetien und den Kirchenstaat.
61
Sardinien im Königreich Italien (1861 – 1946)
Im neuen Einheitsstaat Italien war Sardinien eine verarmte und vernachlässigte Randprovinz
ohne große Entwicklungsmöglichkeiten. Während Norditalien einen Aufschwung mit Industrialisierung, Eisenbahnbau und wirtschaftlicher Entwicklung erlebte, verschärften sich auf
Sardinien die Gegensätze. Zwar wurde 1871 – 1884 eine Eisenbahnlinie gebaut, die Calgari
und Sassari mit dem Fährhafen Golgo Aranci verbindet, und auch der Bergbau wurde intensiviert, aber wie die Holzgewinnung ohne Rücksicht auf die natürlichen Grundlagen. Eine
norditalienische Gesellschaft sicherte sich sogar ein Monopol auf sardischen Käse. Aber die
Sarden hatten wenig von der Entwicklung, Armut, Banditentum und Auswanderung, jetzt vor
allem nach Norditalien nahmen zu.
1899 setzte die Regierung Militär zur Unterdrückung des Banditentums ein.
Im ersten Weltkrieg errang die Brigati Sassari einen legendären Ruf als Kampftruppe. Einer
ihrer Offiziere, Emilio Lusso, gründete 1921 den partito sardo d’azione, die Sardische
Aktionspartei, die für Autonomie eintrat und auf Anhieb auf 30 % kam. Die Machtergreifung
Mussolinis 1922 verhinderte die Weiterentwicklung. Die Partei wurde verboten, und Lusso
ging ins Exil. Der Sarde Antonio Gramsci, Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens,
wurde 1926 zu 20 Jahren Haft verurteilt und starb 1937 an den Folgen der Haft.
Entwicklungsprojekte in der Arborea und im Bergbau sollten den Sarden zeigen, wie wichtig
der faschistischen Regierung ihr Wohlergehen war. Es gelang, die Malaria, die Geißel
Sradiniens, zu beseitigen. Breite Straßen und große Plätze repräsentierten architektonisch
den Faschismus. Seit 1942 gab es auf Sardinien deutsche Truppen, zuerst als Verbündete.
1943 zerstörten alliierte Bombenangriffe große Teile von Cagliari.
Sardinien in der italienischen Republik (seit 1946)
1948 wurde Sardinien eine „autonome Region“in der Republik Italien. Aber die Führung der
Democrazia Cristiana arbeitete sehr eng mit der Zentralregierung in Rom zusammen, es gab
wenig wirkliche Autonomie. Verfehlte Industrialisierungsprojekte wie zwei große Raffinerien
halfen nicht, die Auswanderung (selbst von Hirten in die Toskana) hielt an (mit 400000 von
2 Mio). Die NATO und die USA richteten viele Militärbasen ein.
Erst der Tourismus brachte große wirtschaftliche Veränderungen und eine Konsolidierung,
auch wenn das Kapital anfänglich von außen kam, was in den 60er Jahren zu einem neuen
Banditentum mit Entführungen zur Erpressung von Lösegeld führte. Heute hat die Region
Sardinien politisch und kulturell ein stärkeres Eigenleben.
Wichtige Politiker aus Sardinien:
Antonio Segni, 1891 – 1972, seit 1946 Abgeordneter der DC, Minister, Ministerpräsident und
1962 – 1964 (Rücktritt wegen Krankheit) Präsident der Republik.
Francesco Cossiga, 1928 in Sassari geboren, einer der führenden Politiker der Democrazia
Cristiana in den 70er und 80er Jahren, Minister, Ministerpräsident, Senatspräsident und von
1985 bis 1992 Staatspräsident. In das letzte Jahr seine Amtszeit fiel die Krise und Auflösung
der Nachkriegsrepublik. Cossiga drängte auf Aufklärung, verließ die DC und forderte wegen
der Korruption ihre Abdankung von der Macht, vor allem die Andreottis .
Enrico Berlinguer 1922 - 1984, Vertreter des Eurokommunismus in der Kommunist. Partei.
Literatur:
Kunst und Kultur Sardiniens vom Neolithikum bis zum Ende der Nuraghenzeit.
Katalog zur Ausstellung im Badischen Landesmuseum. C.F.Müller Karlsruhe 1980.
Hannibal ante portas. Macht und Reichtum Karthagos. Katalog zur Ausstellung im Bad.
Landesmuseum. Theiss Verlag Stuttgart 2004. Darin:
Paolo Bernardini: Das phönizische und punische Sardinien, S. 142 - 183
Max Leopold Wagner: Geschichte der sardischen Sprache. Francke Verlag 2002
Rainer Pauli: Sardinien – Geschichte – Kultur – Landschaft. Entdeckungsreisen auf einer
der schönsten Inseln im Mittelmeer. Feengrotten, Nuraghen und Kastelle.
DuMont Kunst-Reiseführer Köln 1978
Marcella Schmidt di Friedberg: Sardinien – Auf den Spuren antiker Völker.
Droemer-Knauer München 1988
Eberhard Fohrer: Sardinien. Michael Müller Verlag (1983) 2005
Baedeker Reiseführer: Sardinien (neu bearbeitet 2005) Baedeker Ostfildern
62
Die sardische Sprache
Die sardische Sprache war im italienischen Nationalstaat nicht angesehen, sie wurde nie
offiziell gefördert. Es gibt keine Schriftsprache und eine sehr starke Differenzierung der
Dialekte. Erst in den letzten Jahren wird versucht, die Sprache zu erhalten und zu unterrichten. Der bedeutendste Erforscher des Sardischen war Max Leopold Wagner (1880-1962)
Antonio Casula 1922: Désulu (aus Wagner, Geschichte der sardischen Sprache)
Max Leopold Wagner 1958 (aus Wagner, Geschichte der sardischen Sprache)
63
Deutsch - Italienische Gesellschaft
17. März 2007
Hansjörg Frommer
29. Seminar zur italienischen Geschichte:
Die Geschichte von Savoyen - Piemont
Frühgeschichte und frühe Römerzeit
Aus der Eisenzeit seit dem 8. Jahrhundert a. C. gibt es Nekropolen der ligurischen Bevölkerung (Kultur von Golasecca unter etruskischem Einfluss mit etruskischen Schriftspuren).
Diese Bevölkerung vermischte sich mit eindringenden Kelten (archäologisch ist kein Bruch
festzustellen). Für die Römer galt das Gebiet nördlich des Po als keltisch.
Die Römer unterschieden Gallia cisalpina und Gallia transalpina. Die Grenze war der Alpenkamm, die Wasserscheide zwischen Rhonetal und Poebene. Der Alpenkamm ist hier
besonders hoch und unzugänglich mit wenigen Passstrassen: Großer St. Bernhard, Kleiner
St. Bernhard, Mont Cenis, Mont Genèvre (und heute die großen Tunnnels wie Mont Blanc).
Diese Grenze trennt die nach Südosten zum Po geneigte Landschaft des Piemont („Fuß der
Berge“) von der nach Nordwesten geöffneten Landschaft der Sapaudia, Savoyen.
Die geographische Kenntnis der Hauptstadtrömer über diese Gegend war auch zur Zeit des
Augustus nicht sehr gut, denn der Bericht des Tituts Livius (gest. 17 n.C.) über den Alpenübergang Hannibals im Herbst 218 a. C. berichtet zwar über unmenschliche Strapazen und
große Verluste, lässt aber den genauen Weg nicht einmal ahnen. Sicher ist nur, dass sich
das Heer Hannibals in Taurasia, der Hauptstadt der Tauriner, dem heutigen Turin, sammelte.
Römische Kaiserzeit und der Übergang zum Mittelalter
Mit der Eroberung ganz Galliens durch Cäsar 58 bis 50 a.C. wurde der Ausbau der Militärstraßen über die Alpen immer wichtiger. Dazu gehört auch die systematische Neuanlage von
Turin. Der militärische Ursprung der Stadt ist im regelmäßigen Grundriss bis heute sichtbar.
Das römische Nordtor, die Porta Palatina, römisch Porta Principalis Sinistra, wurde 1911
restauriert. Die reichen Funde der Römerzeit sind im Museo di Antichità neben dem Palazzo
Reale zu besichtigen. Die Via Garibaldi folgt noch heute der Trasse der alten Handelsstraße
nach Frankreich. Die Orte an den alten Straßen zeigen an ihren Namen noch die römische
Herkunft. Aosta kommt von Augusta, Fréjus heißt Forum Julii, Grenoble Gratianopolis.
Da in der großen Zeit von Turin alles neu gebaut wurde, ist aus der späten Römerzeit, dem
frühen Christentum, der Zeit der Ostgoten und Theoderichs nichts direkt erhalten. Kirchlich
gehörte Piemont zum Erzbistum Mailand. Der älteste Kirchenbau in Piemont ist das
Baptisterium in Novara aus der Zeit um 400. Als nach dem Ende der Ostgoten 568/9 die
Langobarden unter Alboin Italien eroberten, wurde Turin als starke Grenzbefestigung zu
einem langobardischen Herzogtum. 774 ließ sich Karl der Große in Pavia mit der eiseren
Krone der Langobarden krönen, und das Langobardenreich wurde in das fränkische Reich
eingegliedert. Damit verloren die Herzogtümer ihre herausragende Stellung. Das Land wurde
in Grafschaften gegliedert, und die Grafen, anfänglich Königsboten, die den Willen der
Regierung durchzusetzen hatten, wurden zu Adligen, die vor allem ihren Besitz und ihre
Macht zu sichern und zu mehren versuchten.
Piemont im Mittelalter
Im neunten Jahrhundert zerfiel das Karolingerreich in vier Teilreiche, neben dem ostfränkischen und dem westfränkischen Burgund und Italien, und der Alpenkamm wurde zur Grenze
zwischen Italien und Burgund. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts stiegen die Markgrafen von Ivrea zur wichtigsten Familie in Norditalien auf. 950 machte sich Berengar von
Ivrea zum König von Italien, konnte sich allerdings nicht halten, als die Witwe seines Vorgängers den ostfränkischen König Otto heiratete und so die Verbindung von Deutschland,
Italien und Kaisertum eröffnete. Unter den Nachkommen Berengars zerfiel die Markgraf64
schaft und ging schließlich in Montferrat auf.
Der burgundische Adlige Aleram wurde 961 zum Markgrafen von Montferrat ernannt, und auf
ihn geht die Familie der Grafen von Montferrat zurück, die im 12. und 13. Jahrhundert eine
große Rolle spielten. Der bekannteste war Konrad von Montferrat (1146 – 1192), Teilnehmer
am Dritten Kreuzzug und 1192 König von Jerusalem.
Hundert Jahre nach Berengar war die Markgräfin Adelheid von Turin – Susa (gest. 1091)
eine der wichtigsten Stützen der Salier bei der Festigung der Kaisermacht in Italien. Heinrich
III. hielt sich 1055 bei seinem zweiten Italienaufenthalt bei ihr auf und verlobte seinen fünfjährigen Sohn mit ihrer Tochter Bertha, und 1077 vermittelte Adelheid vor Canossa zwischen
ihrem Schwiegersohn Heinrich und Papst Gregor. Adelheids zweiter Ehemann war Graf Otto
von Savoyen, und mit dieser Heirat begann der territoriale Einstieg der Savoyer in Piemont.
Savoyen im Mittelalter
Die Grafschaft Savoyen gehörte zum Königreich Burgund (und damit seit 1033 auch zum
deutsch-italienischen Kaiserreich). Sie wurde 1003 an Humbert Weißhand (aux blanches
mains) verliehen und blieb fortan in dieser Familie. Nachdem die Anjou im 13./14. Jahrhundert auch in Piemont Einfluss gewonnen hatten, gelang es den Savoyern allmählich, Piemont
unter ihrer Herrschaft zu einigen, insbesondere seit dem „grünen Grafen“, dem Conte verde
Amadeo VI. (1343 – 1383)
Dessen Enkel Amadeus VIII. der Friedfertige, wurde 1416 während des Konstanzer Konzils
von Kaiser Sigismund zum Herzog von Savoyen erhoben und 1439 vom Basler Konzil zum
(Gegen-)Papst Felix V. bestimmt. Deshalb trat er 1440 als Herzog zurück.
Philibert II. der Schöne, Herzog von Savoyen 1497-1504, war mit Margarete von Habsburg,
der Tochter Kaiser Maximilians, verheiratet, die ihrem Gatten nach dessen Tod das prächtige
Grabmal in Brou bei Bourg ein Bresse im style gothique flamboyant bauen ließ.
65
Seit 1494 war Piemont einer der Schauplätze der französisch-habsburgischen Kriege.
Die Grafen und Herzöge von Savoyen bemühten sich mit Erfolg darum, in der Verwaltung,
bei Steuern und Abgaben und beim Militär moderne staatliche Strukturen einzuführen.
Der Alpenkamm ist auch die Sprachgrenze zwischen Französisch und Italienisch. Aber der
Dialekt des Piemont hat viel Ähnlichkeit mit dem Rätoromanischen, dem Alpenromanisch,
das in Graubünden als vierte Amtssprache der Schweiz gepflegt und erhalten wird. SavoyenPiemont war also ein zweisprachiger Staat.
66
Die Verlegung der Hauptstadt nach Turin
1563 verlegte Emanuel Philibert (Eisenkopf), Herzog von 1553-1580, seine Hauptstadt von
Chambéry nach Turin. Das war eine grundsätzliche Entscheidung für den politischen
Schwerpunkt des Landes auf der italienischen Seite. Allerdings war es auch schwerer, auf
der französischen Seite in Konkurrenz zum König von Frankreich, der im ausgehenden
Mittelalter große Teile des Königreichs Burgund an sich gezogen hatte, eine politische Rolle
zu spielen, und Italien bot viel interessantere Möglichkeiten. Emanuel Philibert kämpfte auf
der Seite Karls V. und schlug 1557 die französischen Truppen unter Gaspard de Coligny in
der Schlacht bei St. Quentin. Mit dem folgenden Frieden von Cateau-Cambrésis erhielt er
seine Länder mit Ausnahme der Stadt Genf wieder zurück. 1574 und 1575 erwarb er darüber
hinaus Pinerolo und Asti.
Emanuel Philibert setzte in Verwaltung und Rechtspflege die italienische Sprache als Amtssprache durch. Er kümmerte sich sehr um die Neuordnung seines Staates und um die Verbesserung der durch die ausländischen Truppen verwüsteten Landwirtschaft und Manufakturbetriebe. Er förderte auch das Bankwesen nachhaltig. Damit schaffte er sich die Grundlagen für den Aufbau einer kleinen, aber disziplinierten Armee, die sich auf ein nach Provinzen
geordnetes Milizsystem stützte. Turin wurde zur Festung ausgebaut. Die kleine piemontesische Marine nahm 1571 an der Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken teil.
Sein Nachfolger Karl Emanuel I., der Große, Herzog von 1580-1630, führte SavoyenPiemont durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die zeitweilig zu einer erdrückenden
spanisch-habsburgischen Übermacht von Mailand her und zur spanischen Besetzung des
Veltlin führten. Karl Emanuel schwankte zwischen Frankreich und Spanien, verband sich
aber schließlich mit Spanien, und so wurde sein Land von französischen Truppen besetzt.
Sein Nachfolger Viktor Amadeus I., Herzog von 1630 bis 1637, erhielt 1631 zwar Montferrat,
musste aber den Franzosen die Festungen Pinerolo und Perosa überlassen, die damit die
Türe für ein Eingreifen in Savoyen-Piemont und Italien offen hielten. Erst der Pyrenäenfrieden von 1659 zwischen Spanien und Frankreich stellte die Souveränität des Herzogs von
Savoyen-Piemont, Karl Emanuel II., 1638-1675 wieder her.
Die Nebenlinie Savoyen-Carignano: Türkenlouis und Prinz Eugen
Ein Neffe von Karl Emanuel I., Thomas Franz von Savoyen-Carignano (einem Ort südlich
von Turin) lebte in Paris am französischen Hof und war mit Maria von Soissons aus der
Familie Condé, einer Seitenlinie der Bourbon, verheiratet. Sie hatten drei Kinder. Ihr Sohn
Emanuel Philibert von Savoyen-Carignano ist der Stammvater einer Nebenlinie, die mit Karl
Albert I. 1831 im Königtum Sardinien nachrückte. Ihre Tochter Marie Louise Christine
heiratete 1654 den Erbprinzen Ferdinand Maximilian von Baden und wurde die Mutter des
1655 geborenen Wilhelm Ludwig von Baden, des Türkenlouis. Der jüngere Sohn Eugen
Moritz von Savoyen-Carignano, diente am französischen Hof als Kommandeur der Schweizer Garde und heiratete Olympia Mancini, eine Nichte des Kardinals Mazarin, in die Ludwig
XIV. zeitweilig heftig verliebt war. Der fünfte Sohn aus der 1657 geschlossenen Ehe war
Prinz Eugen von Savoyen-Carignano (1663-1736), den Ludwig XIV. wegen seiner Kleinwüchsigkeit ins Kloster stecken wollte und der seit 1683 in der österreichischen Armee
Karriere machte und zum berühmtesten Feldherrn seiner Zeit wurde.
Der spanische Erbfolgekrieg und seine Folgen
Der letzte spanische Habsburger machte 1701 kurz vor seinem Tod ein Testament zu
Gunsten eines französischen Prinzen, des Enkels Ludwigs XIV. Gegen diese Konstellation
wehrte sich eine europäische Koalition aus den Niederlanden, Großbritannien und den
Habsburgern mit dem deutschen Reich. Herzog Viktor Amadeus II. (seit 1675) verband sich
zuerst mit Frankreich, verhandelte aber seit 1702 im geheimen mit den Habsburgern. Als die
Franzosen davon erfuhren, entwaffneten sie 1703 die piemontesischen Truppen und
besetzten Teile des Landes. Erst 1706 konnte Viktor Amadeus zusammen mit dem Prinzen
Eugen bei Turin das französische Belagerungsheer vernichtend schlagen. 1707 mussten die
Franzosen in Italien kapitulieren, und Habsburg wurde zur stärksten Kraft. Die „Kriegsbeute“
für Viktor Amadeus war 1714 zunächst Insel und Königreich Sizilien, aber 1718 wurde erneut
verhandelt, das habsburgische Königreich Neapel-Sizilien wieder hergestellt und 1720
Savoyen-Piemont mit Insel und Königreich Sardinien abgefunden.
67
Das Königreich Sardinien-Piemont
Sardinien hatte zwar den Königstitel gebracht, blieb aber ein ungeliebtes Nebenland. Das
Kerngebiet des Königreiches war Piemont. Es war ein moderner Verwaltungsstaat mit
funktionierender Polizei, Steuer- und Finanzverwaltung und einem absoluten Monarchen an
der Spitze, der in seinem Sinn das Beste für Land und Leute machte, im 17. Jahrhundert
noch im göttlichen Auftrag, im 18. im Sinne der aufklärerischen Vernunft. Fernhandel und
Warenverkehr trugen weiter zur Förderung von Handel und Gewerbe bei. Das aufstrebende
Turin mit seinen repräsentativen Bauten zeugt vom Reichtum dieser Epoche.
König Karl Emanuel III. (1730-1773) versuchte, sein Land im Bund mit Frankreich gegen
Österreich zu vergrößern. Für seinen Sieg bei Guastalla (1734) wurde er mit dem Herzogtum
Mailand belohnt, das er aber mit dem Frieden von Wien 1736 bis auf Novara und Tortona
wieder abgeben musste. Der Friede von Aachen 1748 brachte Piemont einen neuen
Gebietszuwachs bis zum Laggo Maggiore.
Die Regierungszeit von Karls Sohn Viktor Amadeus III. (1773-1796) war eine Zeit der Dekadenz. Der König war unfähig und verschwenderisch und ernannte ebenso unfähige Minister.
Beim Ausbruch der Französischen Revolution ergriff er für die Royalisten Partei und kam
schließlich in Konflikt mit der französischen Republik. Da die Armee demoralisiert und die
Schatzkammer leer war, wurde das Königreich 1792 eine leichte Beute für die republikanischen Truppen. Savoyen wurde das 84. französische Département „du Mont Blanc“. Die
piemontesischen Truppen kämpften trotz wiederholten Niederlagen vier Jahre lang tapfer
weiter, bis der König schließlich 1796 den Waffenstillstand von Cherasco unterzeichnete und
damit auf Savoyen und Nizza verzichtete. Viktor Amadeus starb bald darauf.
Die napoleonische und nachnapoleonische Zeit 1792 - 1831
Sein Sohn und Nachfolger Karl Emanuel IV. (1796-1802) ließ sich auf eine Konföderation mit
Frankreich ein. Dazu gab er den Franzosen die Zitadella von Turin, was ein Ende der Unabhängigkeit seines Landes bedeutete. König Karl Emanuel zog sich nach Sardinien zurück.
Piemont wurde zum Aufmarschgebiet für die französischen Armee in den italienischen Kriegen Napoleons gegen Österreich, und 1799 sollte es nach einer skandalösen Volksabstimmung an Frankreich angegliedert werden. Doch die Österreicher konnten die Franzosen verdrängen, und erst nach Napoleons glänzendem Sieg bei Marengo 1802 wurde Piemont in 6
französische Départements umgewandelt.
Im französisch gewordenen Piemont wurden die Reste des Ancien Régime und der absoluten Monarchie beseitigt und die Gesetze der französischen Revolution eingeführt, vor allem
das neue Zivilrecht des Code Napoléon. In Turin ließ Napoleon die Befestigungen einreißen
und schuf so Platz für neue breite Alleen.
Karl Emanuel IV. dankte 1802 ab und trat dem Jesuitenorden bei. Er starb 1819 in Rom.
Sein Bruder und Nachfolger Viktor Emanuel I. blieb in Sardinien, bis er durch die Schlussakte des Wiener Kongresses am 9. Juni 1815 wieder in Savoyen-Piemont eingesetzt wurde,
das um Genua erweitert worden war. Er war ein verbitterter und reaktionärer Herrscher, der
die Spuren der Revolutionszeit möglichst tilgen wollte und deshalb beim Volk unbeliebt war.
Nach einem Aufstand der Carbonari dankte er am 13. März 1821 als König von Sardinien
zugunsten seines Bruders Karl Felix ab (blieb aber bis zu seinem Tode 1824 Herzog von
Savoyen). Weil der Bruder noch nicht anwesend war, ernannte er zunächst den späteren
Erben Karl Albert aus der Nebenlinie Savoyen-Carignan zum Regenten, der umgehend
Maßnahmen zur Liberalisierung einleitete und eine Verfassung erließ. Wenige Tage später
jedoch traf Karl Felix mit einem österreichischen Heer ein. Er machte die Maßnahmen von
Karl Albert rückgängig und schickte ihn nach Spanien. Eine kleine Gruppe Bewaffneter, die
für die neue Verfassung kämpfe, wurde am 8. April 1821 in Novara von den Österreichern
geschlagen; die Beteiligten wurden vor Gericht gestellt und verurteilt.
Karl Felix hatte sich als Statthalter auf Sardinien 1817-1821 einige Verdienste erworben
(„Carlo Felice“ für die Hauptstraße Cagliari – Sassari). Als König war er konservativ und
arbeitete eng mit den Österreichern zusammen. So machte er das Recht zum Besuch der
Schule von einem ansehnlichen Schulgeld abhängig.
Da er kinderlos war, fiel die Krone nach seinem Tod an Karl Albert.
68
Risorgimento und italienische Einigung 1831 - 1870
Karl Albert führte zunächst die konservative Politik seines Vorgängers fort und hielt am antiliberalen Bündnis mit dem Österreich Metternichs fest. Gleichwohl verwirklichte er während
seiner Regierungszeit eine Reihe von Reformvorhaben, schuf ein Gesetzbuch nach dem
Vorbild des Code Napoleon, ordnete das Militär neu und unterstützte Kunst und Wissenschaft. Seit 1840 nahm er Kontakt zu moderaten Liberalen auf und wandte sich mehr und
mehr gegen Österreich. 1847 gründete der Liberale Camillo Benso Graf von Cavour in Turin
die Zeitung „Il Risorgimento“, die die Erneuerung Italiens von Piemont aus forderte.
Am 4. März 1848 stimmte der König einer Verfassung zu, die die konstitutionelle Monarchie
einführte. Nach dem Ausbruch einer Revolution im von Österreich beherrschten Königreich
Lombardo-Venetien erklärte er, von Cavour beeinflusst, am 23. März 1848 Österreich den
Krieg. Trotz Anfangserfolgen (Schlacht von Goito) erlitt das piemontesische Heer in der
Schlacht bei Custozza gegen Josef Graf Radetzky eine schwere Niederlage und schloss am
9. August 1848 einen Waffenstillstand. Nach einem Aufstand in der Toskana kam es erneut
zum Krieg, in dem Karl Albert am 23. März 1849 bei Novara von Radetzky geschlagen
wurde. Daraufhin dankte er zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel ab. Er starb noch im
gleichen Jahr in einem Kloster in Porto.
Viktor Emanuel musste zunächst mit Österreich Frieden schliessen, setzte aber die Politik
seines Vaters fort, mit der er Piemont-Sardinien zunehmend an die Spitze der italienischen
Einigungsbewegung setzte. Seit 1852 war Camillo Benso Graf von Cavour Ministerpräsident.
Die Hoffnung der Italiener auf eine geeinte Nation ruhte nun auf Viktor Emanuel und man
konnte immer wieder auf den Ausspruch Viva VERDI stoßen, was wie eine Huldigung an den
damals erfolgreichen Komponisten klang, aber in Wirklichkeit ein Abkürzung für Vittorio
Emanuele Re d'Italia war. Die Armee wurde neu organisiert, die Finanzen geregelt, der
Handel gefördert. 1855/56 stand Piemont-Sardinien auf der Seite von Frankreich und
Großbritannien im Krimkrieg, um Verbündete gegten Österreich zu gewinnen.
Viktor Emanuel wollte ein vereinigtes Italien, dem die österreichische Vorherrschaft in Oberitalien im Wege stand. Mit Hilfe der französischen Politik unter Napoleon III. wurden die
Österreicher1859 in den blutigen Schlachten von Magenta und Solferino besiegt (die zum
Engagement von Henri Dunant für das Rote Kreuz führten). Österreich trat die Lombardei an
Napoleon ab. Der gab sie an Savoyen-Piemont weiter und ließ sich dafür das Herzogtum
Savoyen abtreten, das zusammen mit Nizza nach einer Volksabstimmung 1860 endgültig zu
Frankreich kam.
Das Haus Habsburg musste in der Folge hinnehmen, dass in der Toskana und in Modena
die habsburgischen Erzherzöge durch Volksabstimmungen abgesetzt und der Anschluss an
Italien beschlossen wurde. Nachdem Giuseppe Garibaldi mit seinen Freischaren 1860/61
Sizilien und Neapel von den Bourbonen befreit hatte, sprach sich auch dort die Bevölkerung
in einem Plebiszit für die Vereinigung mit Italien aus. Am 17. März 1861 wurde Viktor
Emanuel offiziell zum König von Italien proklamiert.
Zur Einheit Italiens fehlten nur noch das vorerst weiterhin unter habsburgischer Herrschaft
stehende Venetien und der Kirchenstaat unter dem Pontifikat von Papst Pius IX., der unter
dem Schutz Frankreichs stand. 1866 führte Italien im Bündnis mit Preußen Krieg gegen
Österreich, und erreichte trotz der Niederlagen von Custozza und Lissa (italienische gegen
österreichische Flotte) die Abtretung von Venetien. Der Kirchenstaat wurde 1870 von italienischen Truppen eingenommen, nachdem die französische Schutztruppe nach Ausbruch
des preußisch-französischen Krieges abgezogen waren.
Für das Piemont und Turin bedeutete die italienische Einheit den Verlust der Zentralfunktion.
Die Hauptstadt Italiens wurde 1861 zunächst Florenz und 1870 Rom. Dort starb Viktor
Emanuel II. am 9. Januar 1878. Zu seinen Ehren und der Erinnerung an das Risorgimento
wurde in Rom das Monumento Vittorio Emanuele II. errichtet.
Piemont im 20. Jahrhundert
Turin erhielt einen Ausgleich durch die Industrialisierung, vor allem die Fiat-Werke seit 1899.
Das Königreich Italien war ein Zentralstaat, aber im Rahmen der Regionalisierung in der Republik wurde Turin die Hauptstadt der Region Piemont und die durch die europäische
Einigung von einer Grenzregion zu einer wichtigen Brückenregion.
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Deutsch - Italienische Gesellschaft
März/April 2008
Hansjörg Frommer
30. Seminar zur italienischen Geschichte:
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Literatur:
Ferdinand Gregorovius: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. 4 Bände 1859 – 1872.
Sonderausgabe dtv 1978. Beck München 1988.
Gregorovius lebte vor allem in Rom. Er wurde 1876 Ehrenbürger der Stadt.
Jérôme Carcopino: Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit. Reclam Stuttgart 1977.
Richard Krautheimer: Rom. Schicksal einer Stadt 312 – 1308. Leipzig / Beck München 1987
Volker Reinhardt/Michael Sommer: Rom. Geschichte der ewigen Stadt.
Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt 2008.
Bevölkerung Roms:
(mit Bürgern, Frauen, Kindern, Fremden, Freigelassenen und Sklaven)
nach Schätzung von Carcopino zur Zeit des Augustus (um 0)
1 000 000 Einwohner
Höchststand um 200 p.C.
1 300 000 Einwohner
Regierungszeit Constantins um 330
1 000 000 Einwohner
Am Ende der Regierungszeit des Theodosius (um 400)
400 000 Einwohner
Am Ende der Gotenherrschaft (um 540)
100 000 Einwohner
Zwischen 650 und 1000
20 000 Einwohner
Zwischen 1000 und 1300 allmähliche Zunahme auf bis zu
50 000 Einwohner
Nach Avignon und dem Einbruch der Pest nach 1348 um 1400
20 000 Einwohner
Vor der Erstürmung und Plünderung Roms 1527
60 000 Einwohner
Karte Roms (nach Krautheimer)
70
1. Die aurelianische Mauer
272 gab Kaiser Aurelian den Befehl zur Befestigung Roms vor allem zum Schutz vor den
Alamannen. Die Mauer wurde zwischen 273 und 279 errichtet. Die Mauer ist 18 km lang und
wurde zweimal erhöht, 309 und 402. Sie hatte 16 mit Doppeltürmen gesicherte Tore für die
großen Ausfallstraßen. 380 quadratische vor der Mauer stehende Türme sicherten die
Mauern durch Kreuzfeuerposition. Für die Verteidigung hätte man viel mehr Menschen
gebraucht, als im Mittelalter zur Verfügung standen, aber die Mauer verteidigte sich selbst.
2. Die letzte Phase großer öffentlicher Bautätigkeit unter Konstantin
Maxentius war der letzte Kaiser, der in Rom residierte, und Konstantin, der ihn 312 vor den
Toren von Rom besiegte, errichtete in Rom große und repräsentative öffentliche Bauten,
nicht nur christliche, obwohl er gleichzeitig seine neue Hauptstadt Konstantinopel plante und
baute.
Zu den größten Projekten gehört der Lateranbereich. Der Lateran bezeichnet den Bezirk, der
seit dieser Zeit der offizielle Sitz der Päpste ist. Zum Lateran gehören die antike Patriarchalbasilika San Giovanni in Laterano, das dazugehörige antike Baptisterium, die Reste des
mittelalterlichen Papstpalastes mit der Scala Santa, der Papstkapelle Sancta Sanctorum und
dem Leonischen Triclinium sowie dem Lateranpalast aus dem 16. Jahrhundert und dem
größten Obelisken Roms. Die Lateranbasilika ist die Kathedrale des Bistums Rom und eine
der sieben römischen Pilgerkirchen. Der Lateranpalast lag gleich neben dem Kaiserpalast,
der in Teilen in der Kirche Santa Croce in Gerusalemme weiterexistiert. Die Lateranbasilika
war diejenige von den drei konstantinischen Großkirchen, die innerhalb der Stadtmauern lag
und somit als Kathedrale diente. Die Petersbasilika und Sankt Paul vor den Mauern befanden sich über den Gräbern der Apostel außerhalb der Stadt. Darum ist die Kirche noch
immer die offizielle Bischofskirche des Papstes und trägt als solche den Ehrentitel „Omnium
urbis et orbis ecclesiarum mater et caput“ – Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt Rom
und des Erdkreises, weswegen sie die ranghöchste Patriarchalbasilika ist. Sie wurde ursprünglich dem Erlöser (lat. Salvator) geweiht und später zusätzlich unter das Patronat des
Heiligen Johannes' des Täufers (ital. San Giovanni) gestellt.
71
Die Alt St- Peterskirche, italienisch: San Pietro in Vaticano, lateinisch: Sancti Petri in
Vaticano oder Templum Vaticanum ließ Konstantin um 324 als Grabeskirche über dem
vermuteten Grab des Apostels Simon Petrus errichten. Aufgrund der Ausgrabungsbefunde
ist zu vermuten, dass nach dem Toleranzedikt von Mailand des Jahres 313 die Christen
Kaiser Konstantin das Grab vorwiesen, das von alters her als Petrusgrab verehrt worden
war. Um auf dem Vatikanischen Hügel eine ebene Baufläche für eine monumentale Basilika
in der Hanglage zu erhalten, ließ Konstantin die Gräber unterhalb des verehrten Grabes
zuschütten und den Hügel hinter dem Grab abtragen, so dass schließlich nur noch das
Grabmal allein in der Apsis der künftigen Kirche stand, mit kostbarem Marmor verkleidet.
Die fünfschiffige Basilika mit einschiffigem Querhaus wurde 326 geweiht und 468 durch
Papst Simplicius umgebaut, um nicht nur am Grab selbst, sondern auch für eine größere
Menge über demselben auf einer erhöhten Altarinsel Eucharistie feiern zu können. Da das
Grab weiterhin umschreitbar sein sollte, wurde ein Gang unter dem neuen erhöhten
Altarraum gebaut, der zur Urform der Krypta wurde. In den folgenden Jahrhunderten wurde
der Bau durch die Wirren der Geschichte und zahlreiche kriegerische Ereignisse stark
beschädigt, wurde aber auch immer wieder restauriert. Zeitgenossen berichten von einer
verwirrenden Vielzahl von Seitenaltären und Grabkapellen innerhalb des Kirchenbaus.
Sankt Paul vor den Mauern (italienisch: San Paolo fuori le Mura, lat. Sancti Pauli extra
muros) ist eine der vier Patriarchalbasiliken von Rom. Sie ist seit dem Abschluss der
Lateranverträge eine exterritoriale Besitzung des Heiligen Stuhls und eine der sieben
Pilgerkirchen von Rom. Die erste Sankt-Pauls-Basilika wurde im Auftrag Konstantins über
dem Grab des Apostels Paulus errichtet (vermutlich 324 geweiht) und diese Kirche bereits
386 erheblich vergrößert. Bis zum Bau des Petersdomes war sie von der Grundfläche her
die größte Kirche der Welt. 1823 brannte die Kirche aus und wurde im alten Grundriss
wieder aufgebaut.
Der Konstantinsbogen wurde 312 begonnen und am 25. Juli 315 geweiht. An diesem Tag
feierte Konstantin den Beginn seines zehnten Regierungsjahres (decennalia). Auftraggeber
für das Werk war der Senat. Der Bogen wurde an prominenter Stelle errichtet: Er überspannt
in unmittelbarer Nähe des Kolosseums die Via Triumphalis, die sich nur wenige Meter nach
dem Bogen mit der Via Sacra verbindet. Die Darstellung des Siegeszugs beginnt an der
westlichen Schmalseite mit dem "Aufbruch aus Mailand" (profectio), dann folgen an der
Südseite die Belagerung einer Stadt, wohl Verona (obsidio) und die Darstellung der Schlacht
bei der Milvischen Brücke (proelium). An der Ostseite ist der Einzug des siegreichen Kaisers
in Rom abgebildet (adventus), und an der Nordseite die Rede des Kaisers auf dem Forum
Romanum (oratio) sowie die Verteilung von Geldgeschenken an das Volk (largitio).
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3. Von Theodosius zu Papst Leo dem Großen
Die römische Senatsaristokratie war gegen die Einführung des Christentums als Staatsreligion, die von Theodosius betrieben wurde. Sie erhob 392 aus ihren Reihen den Gegenkaiser Eugenius, der von Theodosius besiegt wurde. In Rom mussten sich die Senatoren
taufen lassen, und der Tempel der Siegesgöttin wurde endgültig geschlossen. Nachdem die
römische Aristokratie christlich geworden war, übernahm sie auch schnell die Führungspositionen in der römischen Kirche.
403 zog sich Kaiser Honorius von Rom ins uneinnehmbare Ravenna zurück. Dort wurde 408
der Oberbefahlshaber Stilicho ermordet, und die Westgoten unter König Alarich durchzogen
Italien und belagerten Rom. Einen teuer erkauften Abzug lehnte Honorius im sicheren
Ravenna ab, und die getäuschten Goten belagerten Rom erneut und nahmen es am 24.
August 410 durch Verrat ein. Rom wurde zum ersten Mal geplündert.
431 starb der Bischof Augustinus während der Belagerung von Hippo Regius in Nordafrika
durch die Vandalen, die sich dort ein eigenes Reich aufbauten (König Geiserich).
440 wurde Leo I. zum Papst gewählt. Er stammte aus der römischen Aristokratie, war hoch
gebildet und ein glänzender Redner, und er vertrat den Primat des päpstlichen Stuhles. Als
Gesandter des Kaisers trat er 452 vor Mantua dem Hunnenkönig Attila entgegen und bewog
ihn zur Umkehr.
455 besetzten die Vandalen Geiserichs Rom, um dessen Forderungen nach einen Friedensvertrag Nachdruck zu verleihen. Leo trat auch Geiserich entgegen und erreichte, dass die
Stadt nur geplündert, aber nicht verbrannt und zerstört wurde. Zur vandalischen Beute
gehörte auch der Tempelschatz von Jerusalem.
4. Das Ostgotenreich Theoderichs und seiner Nachfolger bis 555
In den folgenden Jahren erlebte Rom eine Reihe von Kaisern und Gegenkaisern, die sich
nicht halten konnten, bis 475 der Germanenführer Odoaker den letzten Kaiser Romulus
Augustulus absetzte und Italien von Ravenna aus als Söldnerführer und König regierte.
Auch der Ostgotenkönig Theoderich herrschte seit 491 von Ravenna aus als König der
Goten und als Stellvertreter des Kaisers. Als solcher bestätigte er auch die gewählten Päpste
oder lehnte sie ab. 500 besuchte Theoderich die Stadt Rom und ließ den Zustand der
Monumente überprüfen und Reparaturen und Sanierungen durchführen. Seine Anweisungen
und Reskripte sind in den Variae des Cassiodor erhalten. Aus dieser Zusammenstellung
kann man ersehen, wieviel an Bauten und Denkmälern trotz der zwei Plünderungen noch
erhalten war.
536 hielt der oströmische Feldherr Belisar nach einem Siegeszug durch Süditalien seinen
Einzug in Rom. Es folgte die denkwürdige fast zweijährige, aber erfolglose Belagerung durch
den ostgotischen König Witichis. Nachdem 539 Ravenna an die Byzantiner gefallen war,
residierte der Ostgotenkönig Totila 445 – 452 in Rom. Der Sieger Narses belagerte Rom und
ließ es nach der Einnahme plündern.
Der menschliche Geist ist unfähig, sich in die Seele des Römers aus der Zeit des Narses zu
versetzen und nachzuempfinden, was er empfand, wenn er das verwitternde Rom durchwanderte und die weltberühmten Werke des Altertums, alle die zahllosen Tempel, Triumphbogen, Theater, Säulen oder Standbilder zugrunde gehen oder schon hingestürzt liegen sah.
Die Verödung Roms nach der epochemachenden Katastrophe unter Totila, in der ersten Zeit
der byzantinischen Herrschaft, als sich das an Zahl geringe Volk, von Hungersnot und Pest
gegeißelt und vom Schwert der Langobarden bedroht, in der weiten Stadt der Cäsaren verlor, zu schildern, mag sich die Phantasie bemühen, doch ihr wird die Kraft versagen, ein so
furchtbares Nachtgemälde darzustellen. Rom verpuppte sich zugleich und verklösterte sich
auf seltsame Weise. Die Metropole der Welt wurde eine geistliche Stadt, worin Priester und
Mönche rastlos Kirchen und Klöster bauten und das ganze städtische Leben beherrschten.
Aber das bürgerliche Volk der Römer, jeder politischen Kraft beraubt, tief herabgekommen,
ein Haufe moralischer Ruinen, scheint in den Trümmern des großen Altertums einen Schlaf
von Jahrhunderten zu schlafen, bis es im VIII. Jahrhundert durch die Stimme des Papsts zu
neuer Tätigkeit erweckt wird. ...
Das politische Leben Roms wurde mit dem Sturze jener Goten beschlossen, welche noch
die Staatseinrichtungen der Römer eine Zeitlang aufrecht gehalten hatten. Indem wir nun die
73
Geschichte der Stadt fortsetzen, treten wir schon in die Periode ihres päpstlichen Mittelalters
ein. Denn alle Lebenskraft, die noch den Römern geblieben war, wurde jetzt in den ausschließlichen Dienst der Kirche hinübergeleitet, während die bürgerlichen Triebe abstarben.
Nachdem die Herrlichkeit Roms versunken war, stand nur sie, die Kirche, lebenskräftig da.
Sie allein hielt die moralische Einheit Italiens zusammen, sobald der römische Staat zertrümmert war; und dies verlieh ihr eine imperatorische Kraft. Die geistliche Macht pflanzte ihr
heiliges Banner auf dem Schutte des Altertums auf, und sie verschanzte sich hier hinter den
Mauern Aurelians, deren weltgeschichtliche Wichtigkeit wir schon bemerkt haben. Sie rettete
in diesen Mauern auch das lateinische Prinzip der Monarchie, das römische Zivilgesetz und
die Überlieferungen der antiken Kultur. Sie unternahm von hier aus den Kampf mit den
Barbaren, welche das große Reich zertrümmert hatten; sie zivilisierte diese durch das
Christentum und unterwarf sie dem Kanon der Kirchgesetze.
(Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, Buch III, Kapitel 1)
5. Unter langobardischem Druck (bis 750)
Italien war seit 555 als Nebenland wieder unter kaiserlich-byzantinischer Verwaltung. Regiert
wurde es vom obersten Statthalter, dem Exarchen in Ravenna. Aber seit 568 drangen die
germanischen Langobarden von Nordosten her in Italien ein und errichteten in Norditalien
ein langobardisches Königreich mit der Hauptstadt in Pavia. Sie versuchten von dort aus,
Ravenna, den Exarchat und Rom zu erobern, allerdings vergeblich. Rom blieb unter der
dortigen Aristokratie und den Päpsten weitgehend selbstständig, aber unter der Aufsicht des
byzantinischen Kaisers und des Exarchen von Ravenna.
Papst Gregor I. der Große, aus der römischen Aristokratie stammend, um 540 geboren,
Papst von 590 bis 604, fasste die Territorien rund um Rom zum Patrimonium Petri mit einer
gemeinsamen Verwaltung zusammen und wurde so zum Begründer des Kirchenstaates. Er
förderte die Gründung von Kirchen und Klöstern aus privaten Schenkungen, unter anderem
seinem eigenen Vermögen.Mit den Langobarden schloss er 594 einen Waffenstillstand und
zum byzantinischen Kaiser Phokas, der seinen Vorgänger Mauritius beseitigt hatte, ebenso
wie zur umstrittenen merowingischen Fürstin Brunichilde wahrte er gute Beziehungen. Er
leitete die Christianisierung der Langobarden wie der Angelsachsen ein und begann so eine
neue germanische Gefolgschaft für das Papsttum. Beim Exarchen bemühte Gregor sich um
die Wiederherstellung der römischen Wasserleitungen, die nicht mehr funktionierten, aber
vergeblich.
So sparsam die Nachrichten über die Regierung Roms zu jener Zeit auch sind, so steht doch
dieses fest: die militärische, zivile und politische Gewalt in der Stadt wurde durch Offizianten
des Kaisers ausgeübt, und dem Papst stand gesetzlich eine gewisse Beaufsichtigung und
der Rekurs an ihn zu. Im übrigen finden wir ihn auf die Kirche und ihre Gerichtsbarkeit beschränkt; aber dennoch war Gregor durch das Zusammentreffen seiner Fähigkeiten mit den
Umständen in eine Stellung gebracht, die ihn ausnahmsweise zum stillschweigend anerkannten Oberhaupt Roms machte, und mit vollem Recht ist er als Gründer der päpstlichen
Herrschaft weltlicher Natur anzusehen.
(Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, Buch 3, Kapitel 2)
In der Mitte des siebten Jahrhunderts wurden die Sarazenen, die durch den Islam geeint
waren und ganz Nordafrika erobert hatten, durch Raubzüge und Plünderungen von der See
her zu einer großen Gefahr. Der byzantinische Kaiser Constans kam 663 zu ihrer Abwehr
nach Rom. Er nahm viele Kunstschätze aus Rom mit. Seine Beute lagerte er in Syrakus.
Dort fiel sie nach seinem Tod in die Hände der Sarazenen.
Als 726 Kaiser Leo sein Edikt gegen die Bilder erließ, verband sich Papst Gregor II. mit den
Langobarden gegen Byzanz. Ravenna wurde von König Liutprand eingenommen, Rom
konnte sich halten. Aber weil der Druck durch den Langobardenkönig Aistulf zunahm,
wandte sich Papst Zacharias (741 – 752) an den fränkischen Hausmeier Pippin. Sein
Nachfolger Stephan II. reiste ins Frankenreich und krönte Pippin und seine Söhne zu
Königen. Pippin wurde zum Patricius und Schutzherrn Roms. Er zog 754 mit einem Heer
nach Italien (Konstantinische und Pippinische Schenkung).. Eine Belagerung Roms durch
den Langobardenkönig machte einen zweiten Italienzug Pippins notwendig. Der neue
Langobardenkönig Desiderius unterwarf sich 758.
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Von den Päpsten des 8. Jahrhunderts war der Vatikan rund um die Peterskirche zu einem
Palast und auch einer Festung ausgebaut worden.
6. Die Einbeziehung Italiens und Roms ins fränkische Reich
Karl der Große (768 – 814), der Sohn König Pippins, zog 773 nach Italien und belagerte
Pavia. Zu Ostern 774 zog er mit seinem Gefolge als Pilger nach Rom. Er wurde empfangen
als Beschützer der Stadt und der Kirche, als Patricius, der Papst empfing ihn auf der Treppe
der Peterskirche, aber Karl wohnte im Lateranpalast. Karl bestätigte Schenkungen seines
Vaters, behielt sich aber die Landeshoheit in und um Rom vor, die vom Papst und den
Großen Roms beschworen wurde. Zurück in Pavia krönte sich Karl nach dem Fall der Stadt
mit der eisernen Langobardenkrone. Papst Hadrian (772 – 795) anerkannte die Oberherrschaft des Königs, erhielt aber dafür freie Hand. Er erneuerte die Stadtbefestigung und
baute und restaurierte Kirchen. Seit 781 datierte er die Papsturkunden nicht mehr nach den
byzantinischen Kaisern, sondern nach seinen Regierungsjahren. Sein Nachfolger Leo III. war
sehr umstritten und lehnte sich deshalb stark an den Frankenkönig an. 799 floh er zu Karl.
Dieser kam im November 800 nach Rom, um eine Untersuchung gegen den Papst zu leiten.
Der reinigte sich durch einen Eid in der Kirche und überraschte Karl am 24. Dezember mit
der Kaiserkrönung.
Mosaik im Triclinium Leos III: Der Heilige Petrus, der Papst und der Kaiser
75
Der Zerfall des Karolingerreiches nach dem Tod Karls des Großen 814 lockerte die Bindung
zwischen dem Frankenreich und Rom. Ludwig der Fromme kam nie nach Rom. Sein ältester
Sohn und Mitkaiser Lothar versuchte 824, in Rom die Kaisergewalt wieder auszuüben
(Edictum Lotharii). Aber das blieb Episode. Rom und das Papsttum wurden wieder weitgehend von der römischen Aristokratie bestimmt. Die große Gefahr und Aufgabe wurde
immer mehr die Abwehr der Sarazenen, die Sizilien und Teile Unteritaliens beherrschten und
ihre Raubzüge ohne Gegenwehr durchziehen konnten.
Der wichtigste Papst dieser Zeit war Leo IV. 847 – 855. Von seiner umfassenden Bautätigkeit in Rom und Umgebung hat besonders die 848 - 852 errichtete sogenannte Leostadt
(»civitas Leonina«) um St. Peter seinen Nachruhm begründet, die er mit einer Mauer ausstattete und so zu einer eigenen Festung ausbaute. Aber auch die aurelianische Mauer
stellte er wieder her. Gegen die Sarazenen bewährte sich Leo 849 mit süditalienischer Hilfe
bei Ostia. In Zusammenarbeit (850 Kaiserkrönung Ludwigs II. zum Mitkaiser), aber auch in
Auseinandersetzung mit der kaiserlichen Gewalt steigerte Leo das päpstliche Ansehen und
brachte diese Autorität auch gegenüber dem Ost- und Westfrankenreich sowie gegenüber
England zur Geltung, vor allem auch gegenüber den sehr unabhängigen Erzbischöfen des
Frankenreichs wie Hinkmar von Reims.
Aus der Romkarte von A. Strozzi 1474: St. Peter und die Leostadt. Die Karte ist nicht nach
Norden, sondern nach Süden ausgerichtet. Der Tiber, die Engelsburg und die übrige Stadt
sind am linken Bildrand, St. Peter in der Mitte.
7. Die Herrschaft der Aristokratie bis 961
Ohne Anlehnung an einen starken Schutzherrn blieb Rom unter dem Einfluss der Aristokratie. Um 900 trat ein Theophylakt als Konsul und Senator der Römer auf. Er war vielleicht aus
einer ursprünglich byzantinischen Familie, die in Rom geblieben war. Seine Frau Theodora
war aus einer anderen vielleicht noch bedeutenderen Aristokratenfamilie. Sie trug den Titel
senatrix und soll die Päpste zu Beginn des 10. Jahrhunderts ausgesucht haben, vor allem
Johannes X. (914 – 928), der unter anderem einen erfolgreichen Sarazenenkrieg führte. Ihre
Tochter Marozia hatte angeblich aus einem Verhältnis mit Papst Sergius III. einen Sohn, den
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späteren Papst Johannes XI. (931 – 935). Sie heiratete um 914 den Markgrafen Alberich von
Spoleto, der bis 926 zusammen mit seinem Schwiegervater Theophylakt Rom regierte und in
Ordnung hielt. Sein Sohn Alberich ergriff 932 in Rom die Herrschaft, nachdem er seinen
Stiefvater Hugo I., den dritten Gemahl seiner Mutter, aus Rom vertrieben hatte. Er ließ seine
Mutter und seinen Halbbruder Papst Johannes XI., einkerkern und beendete so das Zeitalter
der „Pornokratie“.
Über 22 Jahre war er als princeps ac senator omnium Romanorum Herrscher über Rom und
das Papsttum. Alle während seiner Regierung inthronisierten Päpste (Leo VII., Stephan VIII.,
Marinus II., Agapitus II.) waren von ihm ausgesucht und abhängig. 951 widersetzte er sich
dem Versuch des deutschen Königs Ottos I., zur Kaiserkrönung nach Rom zu kommen. 954
ließ er vor seinem Tod zur Sicherung der weltlichen und geistlichen Herrschaft seines
Hauses den römischen Adel schwören, bei der nächsten Besetzung des päpstlichen Stuhles
seinen Sohn und Erben Oktavian zum Papst zu wählen. Oktavian wurde 954 sein Nachfolger
als weltlicher Herrscher und 955 als Johannes XII. der Nachfolger von Papst Agapitus II.
Weil er weder eine starke Herrscherpersönlichkeit noch ein geistlicher Führer war, fand er
immer mehr Widerstand und rief deshalb 961 König Otto von Ostfranken und Italien zu Hilfe.
8. Die Verbindung von Rom, Papsttum und Kaisertum mit den deutschen Königen
Otto und seine burgundisch-italienische Ehefrau und Königin Adelheid kamen 962 nach Rom
und wurden vom Papst zum Kaiser und zur Kaiserin gekrönt. Sie blieben bis 972 vor allem in
Rom. Papst Johannes XII. zettelte einen Aufstand an und wurde endgültig abgesetzt.
Nachdem Otto mit dem von ihm ausgesuchten Papst Leo VIII. (963 – 965) wenig Glück
hatte, arrangierte er sich mit dem römischen Adel. Die Familien der Creszentier und der
Grafen von Tusculum stellten die Kardinäle und den Papst und übten in Rom die weltliche
Herrschaft aus, aber sie anerkannten die kaiserliche Autorität, und die neuen Päpste suchten
um Genehmigung nach. Die Päpste nahmen zu dieser Zeit regelmäßig einen neuen Namen
an, in der Regel Benedikt und Johannes.
In dieser Zeit der Herrschaft der Aristokratie wurde natürlich auch die Stadt neu aufgeteilt,
und die herrschenden Familien errichteten Geschlechtersitze, die ebenso der Verteidigung
wie der Repräsentation dienten, zum Teil als Einbauten in antike Gebäude und immer mit
antikem Baumaterial.
Nur Otto III., der Sohn Ottos II. und der
Byzantinerin Theophanu, sah den Mittelpunkt seines Reiches in Rom und griff bei
der Papstwahl ein. 996 setzte er seinen
Onkel Brun als Gregor V. durch, und 999
seinen Lehrer Gerbert von Aurillac als
Silvester II. Aber seine Nachfolger Heinrich und Konrad kehrten zur alten Praxis
zurück, die Papstwahl und Rom der römischen Aristokratie zu überlassen. Die
Päpste hießen wieder Johannes und
Benedikt.
Otto III. auf dem kaiserlichen Thron.
Evangeliar Ottos III.
Bayrische Staatsbibliothek München
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Romkarte
M. Cartaro 1576
Ausschnitt Vatikan – Engelsburg
Leontinische Mauer
und Leostadt (die eigentliche Papststadt seit dem 9. Jahrhundert
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9. Der Aufbau der Adelsherrschaft
Nach dem Tod Ottos III. übernahmen
2 Adelshäuser, beide vermutlich Nachkommen von Alberich und Theodora, die.
Macht. Zunächst waren es die Crescentier. Einer war von Otto III. hingerichtet
worden. Ein anderer wurde 1003 Senator,
und die Päpste bis 1012 waren Schützlinge der Crescentier. Dann setzten sich
die Grafen von Tusculum durch. Ihr Führer Alberich wurde Consul und Dux, und
sein Bruder Papst Benedikt VIII., der von
König Heinrich II. anerkannt wurde und
ihn 1014 zum Kaiser krönte. Er kämpfte
gegen Sarazenen und gegen Byzanz und
suchte dafür 1020 Hilfe bei Heinrich II. in
Bamberg. Der gemeinsame Feldzug 1022
führte zu keinem Erfolg.
Die Adelsfamilien kontrollierten ihre Bezirke in Rom und bauten sich dort ihre
Festungen und Geschlechtertürme. Das
älteste dieser Bauwerke ist die Casa di
Crescenzio, aus dem 11. Jahrhundert
und ersichtlich auf antiken Mauern und
mit antikem Material erbaut.
Johannes XIX. (1024 – 1032)war der
Bruder von Benedikt VIII. und vorher
Consul und Dux gewesen. Er wurde am selben Tag zum Priester geweiht und zum Papst gekrönt. Er verkaufte ohne Rücksicht alle Ämter, über die der Papst verfügen konnte. Das galt
in den Augen der Kirchenreformer als Simonie und schwere Sünde.
Johannes XIX. krönte 1027 Konrad II. und seine Frau Gisela zu Kaiser und Kaiserin. Dabei
kam es zur üblichen Schlägerei zwischen den Deutschen und den Römern, angeblich um
eine Kuhhaut.
Der Nachfolger Benedikt IX. (1032 – 1045) war der Neffe des vorherigen Papstes und bei
seiner Krönung erst fünfzehn. Seine Amtsführung war ausschließlich auf seine Interessen
und die seiner Familie ausgerichtet. Im Mai 1045 verkaufte er sein Amt an einen Angehörigen des ursprünglich jüdischen Adelshauses der Pierleoni, der als Gregor VI. Papst wurde.
Daneben gab es noch einen Gegenpapst der Crescentier, und Benedikt IX. bereute seinen
Rückzug und beanspruchte von neuem das Papsttum.
10. Der Einzug der Kirchenreformer in die Kurie
König Heinrich III., ein Anhänger der Kirchenreform, kam 1046 nach Italien. In Sutri, vor den
Toren Roms, untersuchte er auf einer Synode die Ansprüche und setzte alle drei Päpste ab,
zuerst Benedikt und den Gegenpapst Silvester, später auch Gregor VI., weil er Benedikt das
Papsttum abgekauft hatte. Gregor durfte nicht nach Rom zurück, sondern musste nach Köln
in die Verbannung, wo er 1047 starb. Die Synode unter König Heinrich bestimmte den
Bischof Suitger von Bamberg zum neuen Papst. Am Tag nach seiner Erhebung krönte er
Heinrich und seine Frau Agnes zum Kaiser und zur Kaiserin.
Damit beginnt eine Reihe von deutschen und lothringischen Päpsten, denen es gelang (vor
allem Leo IX. 1049 – 1054), die Kurie mit ihren Leuten zu besetzen und damit der Kirchenreform zum Durchbruch zu verhelfen. Die römischen Adelsparteien wehrten sich heftig dagegen und stellten gelegentlich Gegenpäpste, aber die Reformer setzten sich durch. Der wichtigste Reformpapst ist Gregor VII. (1073 – 1085), der den deutschen König Heinrich IV. 1077
zum Gang nach Canossa zwang. 1084 nahm Heinrich Rom ein, und der Gegenpapst Clemens III., Wipert von Ravenna, krönte Heinrich zum Kaiser. Gregor saß eingeschlossen in
der Engelsburg und wurde vom Normannenherzog Robert Guiscard befreit, der bei dieser
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Gelegenheit 1084 die Stadt plünderte. Gregor musste mit den Normannen abziehen und
starb 1085 in Salerno. Erst 1092 konnte Urban II.mit normannischer Hilfe Rom zurückgewinnen, der Gegenpapst floh nach Ravenna. Dafür legalisierte Urban die Normannenherrschaft in Süditalien und Sizilien.
Die Adelshäuser, die in Rom ihre Geschlechtertürme hatten und die Stadt weitgehend beherrschten, wenn nicht normannische oder deutsche Truppen anwesend waren, fanden sich
mit den Reformpäpsten ab, neue Parteien bildeten sich, so die Frangipani und die Pierleoni.
Der zu den Frangipani gehörende Papst Honorius II. machte den Normannen Roger II. zum
Herzog von Apulien. Nach seinem Tod 1130 wählten die Frangipani überstürzt den zu ihnen
gehörenden Innozenz II., die Pierleoni einen Tag später Anaklet II., für den sich die meisten
Kardinäle entschieden. Rom hielt zu Anaklet, der den Normannenherzog Roger zum König
machte, aber Innozenz fand Anerkennung in Frankreich und Deutschland. Der deutsche
König Lothar brachte ihn 1133 nach Rom, aber nur in den Lateran, wo Lothar zum Kaiser
gekrönt wurde. Anaklet behielt mit normannischer Hilfe den Vatikan. Nach dem Tod Anaklets
1138 setzte sich Innozenz als Papst durch. Er wollte die Normannen bestrafen, scheiterte
aber und akzeptierte schließlich Roger als König.
11. Die erste Volksherrschaft: Arnold von Brescia
Die Frangipani stellten zwar die Päpste, aber die Herrschaft über Rom hatten sie verloren.
Giordano Pierleoni, der Bruder Anaklets, erhob sich zum Patricius und förderte eine römische Republik. Ihr Vordenker wurde Arnold von Brescia, ein Augustinermönch und Schüler
Abaelards, der die Abschaffung des weltlichen Besitzes der Kirche forderte.
In Rom hatte sich schon seit dem Beginn der 1140er Jahre eine kommunale Bewegung nach
dem Vorbild der norditalienischen Städte gebildet. Die Situation hier unterschied sich jedoch
von Anfang an in drei wesentlichen Punkten von der im Norden Italiens: Erstens handelte es
sich beim weltlichen Oberherren von Rom nicht um irgendeinen Bischof, sondern um den
Papst; das allein macht den Konflikt zwischen Kommune und Bischof zu einem Problem
europäischer Dimension, der nicht zuletzt früher oder später auch den Kaiser auf den Plan
rufen musste. Zweitens war die Römische Kommune von den Pilgern finanziell abhängig; die
Quelle dieses Reichtums war jedoch der Papst selbst, denn nur seine Präsenz in der Stadt
zog diese Pilger auch hierher. Das führte in den Jahren der Erhebung zur merkwürdigen
Situation, dass sich Papst und Kommune gerade zu den Festtagen um Ostern und Weihnachten auf einen Frieden einigten, während sich die Kommune ansonsten kampfbereit
zeigte. Der dritte Punkt, der die Römische Kommune von den Kommunen des Nordens
abhob, war ihr dezidierter Rückgriff auf ihre antike Größe, der sich gerade in ihren Schreiben
an König Konrad III. ausdrückte. In dieser Situation trat nun Arnold von Brescia mit seiner
Forderung nach Abschaffung der weltlichen Macht der Kirche für die Kommune ein. Es
dauerte nicht lange, und er wurde selbst zu deren regem Unterstützer. Nachdem mehrere
Päpste den Konflikt mit der Kommune nicht zu lösen im Stande waren, erkannte Papst
Hadrian IV. nach dem Antritt seines Pontifikats gerade in Arnold von Brescia jene Person,
die einer Einigung am meisten im Wege stand. Er belegte die Heilige Stadt mit dem Interdikt
und forderte die Verbannung Arnolds; dieser Forderung kamen die Römer, die durch diese
Maßnahme ja erneut um den Zustrom von Pilgern und damit ihre ökonomische Basis fürchten mussten, schließlich nach. Arnold verließ die Stadt und zog Friedrich Barbarossa entgegen, der ihn gefangen nahm und 1155 aufhängen ließ. Barbarossa half dem Papst, seine
Macht in Rom wieder zu festigen und wurde dafür zum Kaiser gekrönt. Die folgenden Päpste
mussten oft im Exil regieren, weil sich in Rom die städtische Republik unter einem eigenen
Senat festigte. Erst Clemens III. konnte 1187 nach Rom zurückkehren, nachdem er mit der
Stadt einen förmlichen Vertrag abgeschlossen und die Republik anerkannt hatte.
12. Die römische Stadtverfassung von 1188 (nach Gregorovius, Buch VIII, Kapitel 2)
Im ganzen trat Rom zum Papst in dasselbe Verhältnis, wie es die lombardischen Städte
zum Kaiser sich errungen hatten, oder man kehrte zu den Verträgen aus der Zeit
Eugens III. und Alexanders III. zurück. Die Urkunde, welche der römische Senat im 44.
Jahre seines Bestehens, am letzten Mai 1188, aufsetzte und beschwor, ist uns glücklicherweise erhalten. Nach den Artikeln dieses in männlicher Sprache durch Autorität des
heiligen Senats dekretierten Friedens wurde der Papst als Oberherr anerkannt; er in80
vestierte den Senat auf dem Kapitol, der ihm den Eid der Treue schwören musste. Er
erhielt das Recht zurück, die Münze zu schlagen, von der jedoch der dritte Teil an den
Senat fiel. Alle ehemals päpstlichen Einkünfte kamen wieder an den Papst, nur die Lukanische Brücke behielt sich der Senat vor wegen seiner Fehde mit Tivoli. Über die
Rückgabe dessen, was dem Heiligen Stuhle zu Recht stand, sollten Instrumente aufgesetzt werden. Ferner: der Papst entschädigt den Römern den Kriegsverlust; er verpflichtet sich, den Senatoren und Senatsbeamten wie den Richtern und Notaren die üblichen
Geldgeschenke zu geben; jährlich bewilligt er 100 Pfund zur Herstellung der Stadtmauern. Die römische Miliz kann vom Papst zur Verteidigung seiner Patrimonien aufgeboten werden, wobei er die Kosten bezahlt. Kein Artikel stellte fest, ob die Republik das
Recht hatte, mit ihren Feinden ohne Rücksicht auf den Papst Krieg und Frieden zu machen, aber dies verstand sich von selbst, denn Rom war frei und der Papst in seiner
Stadt nur in den Verhältnissen anderer Bischöfe in freien Städten, obwohl mit den Titeln
und Ehren weltlicher Gewalt achtungsvoll ausgestattet. Ein förmliches Abkommen wurde
sogar wegen der jetzt päpstlichen Städte Tusculum und Tibur getroffen, denn der Hass
der Römer gegen jene war der wesentliche Grund ihres Vertrages mit dem Papst. Um
den Preis friedlicher Rückkehr nach Rom opferte Clemens III. das unglückliche Tusculum, welches sich unter die Flügel der Kirche geflüchtet hatte, gewissenlos auf. Er stellte den Römern nicht nur den Krieg gegen dies Kastell frei, sondern versprach ihnen, mit
seinen Vasallen behilflich zu sein; ja er verpflichtete sich, die Tusculanen in den Kirchenbann zu tun, wenn sie nicht bis zum 1. Januar den Römern sich würden ergeben haben.
Die unselige Stadt sollte zerstört werden, Güter und Volk dem Papst verbleiben.
Ein besonderer Vertrag mit den Capitanen stellte ihr Verhältnis zur römischen Gemeinde
fest. Wir haben von seinen Artikeln nicht genauere Kenntnis, aber ohne Zweifel wurde
der große Geschlechteradel gezwungen, den Senat anzuerkennen, in die Gemeinde
sich als cives einzuordnen und so die Kommune im großen und ganzen zu bilden.Je
zehn Mann aus jeder Straße (contrada), jeder Region Roms sollte der Papst auswählen,
von denen ihm je fünf den Frieden zu beschwören hatten; das Instrument selbst beschwor der gesamte Senat. Es ergibt sich hier, dass er aus 56 Mitgliedern bestand, von
denen einige den regierenden Ausschuß der Consiliarii bildeten.
Nachdem seit der Aufrichtung der freien römischen Gemeinde im Jahre 1144 die eigentliche Stadt eine neue Einteilung erhalten hatte, bestand sie aus 12 Regionen. Diese
hatten keine Ordnungszahlen, sondern lokale Namen und zwar folgende: Montium et Biberatice; Trivii et Vie Late; Columpne et St. Marie in Aquiro; Campi Martis et St. Laurentii in
Lucina; Pontis et Scorteclariorum; St. Eustachii et Vinea Teudemarii; Arenule et Caccabariorum; Parionis et St. Laurentii in Damaso; Pinee et St. Marci; St. Angeli in Foro Piscium; Ripe
et Marmorate; Campitelli et St. Adriani. Die Leonina blieb als ein durchaus päpstlicher Bezirk aus diesen Regionen ausgeschlossen, aber nicht Trastevere und die Tiberinsel.,
welche beide einst zwei Regionen, dann aber nur eine, die dreizehnte, bildeten.
Die Konstitution von 1188 war ein wichtiger Fortschritt des römischen Gemeinwesens.
Als vollkommen überwunden zeigte sich darin sowohl die kaiserliche Gewalt der karolingischen Epoche als die patrizische der fränkischen Zeit. Überhaupt wurde des
Kaiserrechts nicht mehr gedacht. Der Zusammenhang Roms mit dem Reiche war
gelöst, seitdem die Päpste ihre Wahl frei gemacht hatten.
13. Der Aufstieg der Orsini und Colonna
Unter Papst Innozenz III. (1198-1216) gelang eine gewisse Stabilisierung. Der kaiserliche
Stadtpräfekt und der römische Senator schworen dem Papst den Treueid. Doch die Kämpfe
der Adelsfamilien wurden immer intensiver. Die Orsini, Schützlinge des letzten Papstes (ursprünglich vielleicht von einem ottonischen Sachsen, Ursus, abstammend), verdrängten die
zu Papst Innozenz zählenden Familien aus der Stadt.
1225 vertrieb der Senator Parentius Papst Honorius und schloss mit den Städten Perugia,
Todi, Narni und Spoleto ein Bündnis. Sein Nachfolger Angelo de Benincasa söhnte sich
1226 mit dem Papst aus. Als Friedrich II. als Gebannnter auf dem Kreuzzug war und Papst
Gregor IX. mit Truppen in Unteritalien einrückte, wurde er 1228 von den Anhängern des
Kaisers aus Rom vertrieben und konnte erst 1230 zurückkehren. Gregor führte auch in Rom
81
die Inquisition ein, als Ketzerjagd, aber auch als Herrschaftsinstrument. 1234 beanspruchten
die Römer den Kirchenstaat als ihr Herrschaftsgebiet, wurden aber von Papst und Kaiser
geschlagen. Die Familie Colonna stammte ursprünglich aus der Stadt Colonna und hatte ihre
Basis in Palestrina. Sie gewannen jetzt als Anführer der kaiserlichen Partei, als Ghibellinen
an Bedeutung.
1252 beriefen die Römer den Bologneser Edelmann Brancaleone degli Angelò zum Senator, vielleicht um die Gegensätze zu überbrücken. Er stellte die Ordnung wieder her und
regierte kraftvoll und gerecht. Er beteiligte die Kaufleute und die Zünfte an der Regierung. Er
trug den Titel "Capitano del Popolo". 1255 wurde er vom Adel gestürzt. 1257 kehrte er an die
Macht zurück und ließ die Geschlechtertürme und Festungen des Adels zerstören. Brancaleone starb schon 1258. Unter ihm wurde der neue Palazzo del Senatore begonnen..
Nach dem Ende der Staufer wurde sowohl das Papsttum wie die Herrschaft über Rom immer
mehr zum Kampf zwischen den Orsini und den Colonna, gleichzeitig Guelfen und Ghibellinen. Die Verhältnisse in Rom waren anarchisch, die Päpste residierten meistens außerhalb.
1294 setzte sich Benedikt Gaëtani als Papst Bonifatius VIII. durch. Er führte einen Kreuzzug
gegen die Colonna und zerstörte ihre Stadt Palestrina. Er war tyrannisch und gewalttätig,
aber er sorgte als erster Papst 1295 für die Päpstliche Bibliothek und wurde so zum
Begründer der Bibliotheca Vaticana. Nachdem die berühmtesten Universitäten in Paris,
Bologna und Neapel waren, gründete Bonifatius VIII. 1303 die Universität Sapienza in Rom,
mit allen Statuten für Selbstverwaltung, eigene Gerichtsbarkeit und die Freiheit der
Scholaren. Für das Jahr 1300 rief der Papst ein Jubeljahr aus: Alle Pilger, die nach Rom
kamen, erreichten dadurch einen Ablass ihrer Sünden.
Ein ganzes Jahr lang war Rom ein völkerwimmelndes Pilgerlager und von babylonischer Sprachenverwirrung erfüllt. Man sagt, dass täglich 30000 Pilger aus- und einzogen
und dass 200000 Fremde sich täglich in der Stadt befanden. Der Umfang Roms wurde
nach langer Zeit zum erstenmal wieder hinreichend belebt, wenn auch nicht ausgefüllt.
Eine musterhafte Verwaltung sorgte für Ordnung und für billige Preise. Das Jahr war
fruchtreich; die Campagna und die nahen Provinzen schickten Vorrat in Fülle. Ein pilgernder Chronist erzählt: „Brot, Wein, Fleisch, Fische und Hafer waren reichlich und
billig auf dem Markt, das Heu aber sehr teuer; die Herbergen so kostbar, dass ich für
mein Bett und für die Stallung meiner Pferde, außer dem Heu und Hafer, täglich einen
Torneser Groschen bezahlen musste. Als ich am heiligen Christabend Rom verließ, sah
ich einen großen Pilgerschwarm fortziehen, den niemand berechnen konnte. Die Römer
wollen im ganzen zwei Millionen an Frauen und Männern gezählt haben. Oft sah ich
Männer wie Weiber unter die Füße getreten, und mit Mühe entkam ich selbst einige
Male dieser Gefahr."
Der Weg, welcher aus der Stadt über die Engelsbrücke zum St. Peter führte, war zu
eng; man eröffnete daher in der Mauer, nicht weit vom alten Grabmal Meta Romuli, eine
neue Straße am Fluß. Um Unglücksfälle zu verhüten, traf man die Vorrichtung, dass die
Hinziehenden auf der einen, die Herkommenden auf der andern Seite der Brücke
gingen, welche damals, mit Buden bedeckt, der Länge nach in zwei Hälften geteilt war.
Prozessionen zogen ohne Aufhören nach St. Paul vor den Toren und nach St. Peter, wo
man die schon hochberühmte Reliquie, das Schweißtuch der Veronika, zeigte. Jeder
Pilger legte eine Opfergabe am Apostelaltar nieder, und derselbe Chronist von Asti versichert als Augenzeuge, dass am Altar in St. Paul Tag und Nacht zwei Kleriker standen,
die mit Rechen in der Hand zahlloses Geld zusammenscharrten. Der märchenhafte
Anblick von Geistlichen, welche lächelnd Geld wie Heu aufschaufelten, veranlasste
boshafte Ghibellinen zu behaupten, dass der Papst das Jubeljahr nur um des Geldgewinnes ausgeschrieben habe.
(Gregorovius, Buch X, Kapitel 6)
14. Rom ohne Papst: Cola di Rienzo
Bonifatius VIII. wurde 1303 von Sciarra Colonna und dem französischen Notar Guillaume de
Nogaret gefangen genommen und eingesperrt. Er starb nach der Freilassung. Sein Nachfolger starb nach wenigen Monaten. Nachdem es mehrere Monate lang zu keiner Neuwahl
kam, wählten die Kardinäle schließlich als Kompromiss den Erzbischof von Bordeaux,
Bertrand de Goth, der als Clemens V. zur Krönung nach Lyon einlud. Er kam nie nach Rom
82
und entschied sich 1309 für Avignon, das wie Lyon damals zum Königreich Burgund und
damit zum Reich gehörte. Damit begann die avignonesische Gefangenschaft der Päpste,
weil die Mehrheit der Kardinäle Franzosen waren und immer wieder einen Franzosen
wählten. Aus Rom zogen viele größere und kleinere Leute, die für die Kurie arbeiteten, nach
Avignon, so der Vater von Petrarca, der deshalb in Carpentras aufwuchs.
In Italien empfanden die Ghibellinen besonders stark den Verlust an Einheit und ersetzten
ihn durch die Frührenaissance, den Glauben an die antike Größe. Die Hauptstadt dieser
geistigen Bewegung wurde Florenz. Rom war im XIV.Jahrhundert keine Führungsmacht.
Immerhin gelang es, die Herrschaft der Adelsgeschlechter zu überwinden und die Volksherrschaft besser zu etablieren, auch wenn die Orsini und Colonna immer noch eine große Rolle
spielten. Heinrich VII. wurde in Rom vom päpstlichen Legaten gekrönt, aber im Lateran, weil
die Vatikanstadt von Robert von Neapel, dem vom Papst ernannten Senator, gehalten
wurde. Ludwig der Bayer, von Papst Johannes XXII. nicht anerkannt, zog trotzdem nach
Rom und wurde dort 1328 von Sciarra Colonna, als Capitano del popolo der Vertreter des
republikanischen Rom, zum Kaiser gekrönt.
Cola di Rienzo, eigentlich Laurentii, der Sohn des Laurentius, wurde 1313 in Rom geboren.
Trotz seiner einfachen Herkunft erhielt er eine gründliche Ausbildung mit einer erstaunlichen
Kenntnis klassischer römischer Autoren und antiker Inschriften. Dies ermöglichte ihm einen
gesellschaftlichen Aufstieg und die Heirat mit der Tochter eines Notars. Er selbst ergriff den
Beruf des Notars und war bald auch politisch aktiv. Im Jahr 1343 war er Mitglied einer Delegation der römischen Volkspartei, die den in Avignon weilenden Papst Clemens VI. zur
Rückkehr nach Rom bewegen sollte. Clemens wollte nicht in das kaum noch bevölkerte, von
Familienfehden zerrissene und vollkommen heruntergekommene Rom zurückkehren. Doch
er ernannte di Rienzo zum Notar der städtischen Kammer in Rom.
Nach seiner Rückkehr nach Rom 1344 konnte di Rienzo dadurch tiefe Einblicke in die
marode wirtschaftliche und finanzielle Situation der Stadt gewinnen. Dem Bewunderer des
untergegangenen Römischen Reichs waren die Ursachen für die Misere klar. Die gewaltsamen Kämpfe zwischen den Familien Colonna
und Orsini um die Macht in Rom führten zu großen
Zerstörungen in der Stadt sowie zu Angst und
Schrecken in der Bevölkerung. Durch die Abwesenheit des Papsttums, welches die Ewige Stadt durch
das Mittelalter begleitet hatte, verfielen Verwaltung
und Bausubstanz gleichermaßen. Doch als größtes
Problem sah Cola di Rienzo den römischen Adel.
Im Jahr 1347 prangerte di Rienzo die Situation in
Rom an, machte den Adel dafür verantwortlich und
zog so das ohnehin murrende Volk auf seine Seite.
Er hatte schnell Erfolg, denn schon am 20. Mai „eroberte“ er mit dem revoltierenden Volk im Rücken
das Kapitol und vertrieb den verhassten Stadtadel
aus Rom. Er rief die Republik nach altrömischem
Muster aus und die Römer verliehen ihm zum Dank
den Titel „Tribun der Freiheit und erlauchter Befreier
der römischen Republik dank der Autorität unseres
gnädigen Herrn Jesus Christus“. Seinen Machtanspruch begründete di Rienzo insbesondere auf eine
mit der Schrift nach innen in einem Altar der Lateran
kirche verborgen gewesenen Bronzetafel mit der
„Lex de imperio Vespasiani“, die er entdeckt hatte.
Dieses Gesetz übertrug im Jahr 69 Vespasian die
kaiserlichen Vollmachten. Cola di Rienzo packte um
gehend seine neuen Aufgaben als Machthaber in
der Stadt Rom an. Er erließ Verordnungen und
Gesetze zum Schutz der Bürger, sorgte für eine
83
gewisse Rechtssicherheit und die Sanierung von Verwaltung und Finanzen. Tatsächlich
folgte diesen Maßnahmen ein wirtschaftlicher Aufschwung, die Preise für Lebensmittel sanken und die Bürger lebten zunehmend ohne Angst. Di Rienzo fand auch prominente Bewunderer wie den Dichter Francesco Petrarca, der sich als Schützling der Familie Colonna 1341
in Rom zum Poeta laureatus hatte krönenlassen und sich jetzt mit ihnen überwarf.
Doch di Rienzos Ziele wurden nicht von jedem geteilt: Er forderte die Souveränität des römischen Volkes gegenüber Papst und Kaisertum sowie die Einigung Italiens. Damit machte er
sich sowohl bei Papst Clemens als auch beim römisch-deutschen König (und zukünftigen
Kaiser) Karl IV. verdächtig. Schließlich wurde ihm jedoch sein offenbar beginnender Größenwahn zum Verhängnis. Er ließ sich am 1. August 1347 mit einer feierlichen Zeremonie in der
Kirche San Giovanni in Laterano zum Ritter weihen. Fortan trug er den selbst verliehenen
Titel „Kandidat des heiligen Geistes, Ritter Nicolaus der Gestrenge und Gnädige, Befreier
der Stadt, Eiferer für Italien, Freund des Erdkreises, erhabener Tribun“. Seine Prunksucht
und theatralischen Selbstinszenierungen wurden in Verbindung mit den verordneten Steuererhöhungen bald sogar den Römern zu viel. Die ursprünglich verfeindeten römischen
Adelsfamilien verbündeten sich gegen den Tribun, der sich nur noch im Triumphzug und in
eine altrömische Toga gewandet durch die Stadt bewegte. Am 20. November 1347 kam es
an der Porta San Lorenzo zu einer blutigen Auseinandersetzung. Fast 5000 Adelsanhänger
attackierten di Rienzo und seine Anhänger, wurden jedoch abgeschlagen. Fast 100 Tote
blieben auf den Straßen zurück. Kurz darauf traf di Rienzo der Bannstrahl des Papstes, und
er verließ am 15. Dezember überstürzt die Stadt. Für drei Jahre lebte er bei Eremiten in den
Abruzzen, was ihm wohl das Leben rettete, denn im Jahr 1348 rollte eine Pestwelle über
Europa. Im Frühjahr 1350 kehrte di Rienzo verkleidet nach Rom zurück, um den Feierlichkeiten zum Heiligen Jahr beizuwohnen. Im Juli desselben Jahres floh er weiter an den Hof
von Kaiser Karl IV. in Prag. Er versuchte ihn zu einem Feldzug nach Rom zu überreden.
Doch Karl konnte sich verständlicherweise nicht für di Rienzos Ideen von der Volkssouveränität begeistern und lieferte ihn im Juni 1352 an Papst Clemens in Avignon aus. Doch die
Ereignisse überstürzten sich: Clemens starb noch im selben Jahr und sein Nachfolger
Innozenz VI. plante, die immer noch hohe Popularität di Rienzos zu nutzen. Um den Volkstribun auf Linie zu halten, stellte ihm der Papst den spanischen Kardinal Albornoz als
Aufpasser zur Seite. Der Spanier Ägidius Albornoz war schon an der Reconquista beteiligt,
er pflegte Kontakte zu den europäischen Herrscherhäusern und war ein wichtiger Diplomat
im Dienst des Papstes. Er wurde mit der Aufgabe nach Rom gesandt, di Rienzo im Auge zu
behalten und die Rückkehr des Papstes nach Rom vorzubereiten. Beide Aufgaben erfüllte er
recht erfolgreich. Er ernannte di Rienzo zum Senator und ermöglichte so seine triumphale
Rückkehr nach Rom am 1. August 1354 – exakt sieben Jahre nach seiner spektakulären
Ritterweihe. Doch di Rienzo hatte kaum eine Chance, seine Aufgabe als Senator auszuüben.
Seine Amtsführung war tyrannisch, er neigte zu ungerechten Entscheidungen. Aufgehetzt
von seinen Feinden im Adel revoltierte das Volk von Rom erneut. Am Morgen des 8. Oktober
1354 wurde di Rienzo vom Aufstand überrascht und verhaftet. Man wollte ihn vor Gericht
stellen, doch kaum hatte der Prozess begonnen, wurde der Volkstribun von einem Handwerker hinterrücks ermordet, seine Leiche geschändet und öffentlich zur Schau gestellt.
Albornoz stellte im Kirchenstaat und auch in Rom die päpstliche Autorität wieder her und
wusste durch Erteilung der Vikariatsrechte auch viele Dynasten, wie die Malatesta von Rimini, die Montefeltro von Urbino, die Ordelaffi von Forlì, sowie mehrere Städte, wie Bologna,
zur Anerkennung der päpstlichen Oberhoheit zu bewegen. Er ordnete die Verwaltung des
Kirchenstaats und gab ihm neue Gesetzbücher (die „Egidianen“). So ermöglichte er Papst
Urban V. 1367 die Rückkehr nach Italien und begrüßte ihn noch in Viterbo, bevor er im
August 1367 starb. Seither war Rom wieder die Stadt des Papstes. Trotzdem kehrte Urban
V. nach Avignon zurück und starb dort.
Für die Rückkehr des Papstes nach Rom setzte sich auch die Heilige Katharina von Siena
ein, die deshalb 1376 nach Avignon reiste und Gregor XI. 1377 zur Rückkehr nach Rom
bewegte. Auf seinen Wunsch zog sie nach Rom, wo sie 1380 starb. Gregor starb 1378 in
Rom. Die überwiegend französischen Kardinäle wählten den Erzbischof von Neapel zum
neuen Papst Urban VI.
84
15. Das Große Schisma
Vier Monate nach der Wahl von Papst Urban fühlten sich die französischen Kardinäle von
ihm unterdrückt und erklärten seine Wahl für ungültig wegen des Drucks der römischen Bevölkerung. Sie wählten den Kardinal Robert von Genf zum Papst, und dieser Clemens VII.
nahm seinen Sitz in Avignon. Italien und Deutschland hielten zu Urban, Frankreich, England,
Aragon und Kastilien zu Clemens. Die lateinische Christenheit war gespalten.
Der römische Papst hatte seine Hauptstütze beim König von Neapel, der in der Regel auch
Senator von Rom war, und als 1409 die Kardinäle beider Päpste in Pisa einen neuen Papst
wählten, blieb dem römischen Papst Gregor XII. eigentlich nur der Kirchenstaat und das
Königreich Neapel. Auf dem Konzil von Konstanz 1414 sollte die Frage endgültig geklärt
werden. Die Päpste von Pisa und von Avignon wurden abgesetzt, und Gregor XII. trat von
sich aus zurück. Am 11. November 1417 wählte das Konzil den Kardinal Oddone Colonna
zum neuen Papst.
16. Rom im XV. Jahrhundert
Wegen der unsicheren Zustände residierte Martin V. bis 1420 in Florenz, bevor er in Rom
einziehen konnte. Damit wurde die Stadt wieder zum Mittelpunkt. Papst Martin V. war ein
guter und kluger Administrator für Rom und den Kirchenstaat, auch wenn er die Angehörigen
seiner Familie besonders förderte. Mit Martin V. begann eine umfangreiche Bautätigkeit in
Rom, die den mittelalterlichen Charakter der Stadt grundlegend verändern sollte. Er behielt
die Selbstverwaltung der Stadt bei, allerdings blieb die Verantwortung und die politische
Kontrolle ganz beim Papst.
Sein Nachfolger Eugen IV. begann 1431 sein Pontifikat mit der Zerschlagung der Machtpositionen der Familie Colonna, auch mit Hilfe der Orsini. Das war die letzte große Auseinandersetzung zwischen den beiden Familien.
1454 entstand mit dem Frieden von Lodi zwischen Mailand und Venedig und der folgenden
Lega Italica eine Phase des Gleichgewichts und der Kooperation der fünf italienischen
Mächte, neben Venedig und Mailand noch Florenz, Neapel und der Kirchenstaat mit Rom.
Die herausragende Gestalt dieser Epoche des Friedens und der Renaissance in Italien war
Lorenzo il Magnifico, aber auch in Rom wurde unter den nachfolgenden Päpsten der Staat
gestärkt und in der Stadt gebaut. Wenn auch Savonarola 1494 in Florenz ein asketischlebensfeindliches Christentum zu verwirklichen versuchte, hatte doch insgesamt das der
Kunst zugewandte lebensfrohe römische Christentum eine große Ausstrahlungskraft. So war
der junge Augustinermönch Martin Luther 1510 auf Pilgerreise in Rom.
Das System des italienischen Gleichgewichts zerbrach 1492. In Rom konnte sich der spanische Kardinal Rodrigo Borja mit viel Geld zum Papst wählen lassen und versuchte danach
mit allen Mitteln, seinem Sohn Cesare Borgia ein mittelitalienisches Territorium aus dem
Kirchenstaat und angrenzenden Gebieten zu schaffen. Der Borgia-Papst war auch ein
bedeutender Bauherr, der in Rom für große Veränderungen sorgte.
Im gleichen Jahr griff der französische König Karl VIII. militärisch in Italien ein, weil er
Erbansprüche auf Neapel durchsetzen wollte. Mit dieser Intervention begann eine Phase
fremder militärischer Einmischung, die mit der Abhängigkeit Italiens von der spanischen
Krone endete. 1499 eroberte der neue französische König Ludwig XII. Mailand und gliederte
es nach Frankreich ein. 1503 wurden die Franzosen bei Garigliano von den Spaniern geschlagen, die das Königreich Neapel beanspruchten. 1515 siegten die Franzosen bei Marignano unter Franz I. erneut, 1525 wurden sie bei Pavia von den Spaniern geschlagen. 1527
rückte das kaiserlich-spanische Heer unter dem Connétable von Bourbon eigenmächtig nach
Süden vor. Die Landsknechte hatten keinen Sold erhalten. Rom war nicht auf Verteidigung
eingerichtet, und am 6. Mai 1527 fiel die Armee plündernd in Rom ein. Ein Ritter Schertlin
schrieb in seinen Aufzeichnungen: "Den 6. Tag May haben wir Rom mit dem Sturm genommen, ob 6.000 Mann darin zu todt geschlagen, die ganze Stadt geplün-dert, in allen Kirchen
und ob der Erd genommen was wir gefunden, einen guten Teil der Stadt abgebrannt."
Der Sacco di Roma ist die letzte und schwerste Plünderung Roms.
85
17. Gestalt der Stadt Rom um das Jahr 1500 nach ihren Regionen.
Wir schließen die Betrachtung der Renaissance Roms mit einer Darstellung der Stadt
überhaupt um das Jahr 1500, und dieses unvollständige Gemälde werden wir nach den
Regionen zu entwerfen suchen. Das Gesamtbild Roms stellte sich damals minder
prächtig dar, als heute, wo die vielen Kirchenkuppeln dieser Stadt den unvergleichlichen
Charakter der Vollendung und Majestät verleihen. Wenn der Pilger des Jubeljahres 1500
einen Flankenturm des Senatspalasts auf dem Kapital bestieg, um Rom zu betrachten,
so entdeckte er kaum als fremdartige Erscheinungen die niederen Kuppeln einiger
sixtinischen Kirchen. Er sah nur altertümliche Glockentürme oder Türme der Adelsburgen
in den blauen Himmel emporsteigen. Sein Blick fiel zunächst auf die Wildnis zu seinen
Füßen nieder, wo sich einst der Mittelpunkt aller Größe der Römer befunden hatte; er sah
das von Ziegen umkletterte Kapitol mit seinen schwarzen Tuffwänden, seinen Gärten und
elenden Häuserklumpen, seinen Trümmern und Tempelresten. Er betrachtete das von
Rindern belebte Forum mit seinen uralten Kirchen, zerstörten Triumphbogen, Tempeltrümmern und einzelnen halbverschütteten Säulen. Er sah den verlassenen Palatin mit
den riesigen von Efeu umschlungenen Mauern des Cäsarenpalasts und tiefer die
zerbröckelten Mauerringe des Colosseum. Wenn sein Blick den ganzen Umkreis Roms
umfasste, staunte er, dass dieses große Gebiet einem Gefilde glich, worin sich gleichsam
zerstreute Ortschaften unter Trümmern angesiedelt hatten. Die Gegensätze der Vergangenheit und Gegenwart traten in diesem zaubervollen Bilde Roms damals noch schärfer
hervor, obwohl auch noch heute die Stadt in zwei Hälften auseinanderfällt.
Wenn der Pilger in das bewohnte Rom hinabsah, erblickte er die dichten Viertel im
Marsfelde., schwarze Häusermassen und labyrinthische Gassen, gegen die untere Via
Lata immer lockerer werdend. Als hervortretende Gestalten zeigten sich ihm die vielen
Türme Trasteveres und hoch droben die Gärten des Janiculus mit S. Onofrio; irn Borgo
der alte St. Peter mit dem Obelisk zur Seite, die schon großartige Masse des Vatikan,
das Belvedere, die Rundtürme der Leonischen Mauer, in der Tiefe das langgestreckte
Hospital Santo Spirito und die finstere Engelsburg. In der eigentlichen Stadt stellten sich
ihm als bedeutende Erscheinungen dar der orsinische Palast auf Monte Giordano, das
Pantheon mit seiner flachen Kuppel, die Minerva, der Platz Navona, die Säule Marc
Aurels ohne Statue auf ihrer Spitze und einzelne meist betürmte Paläste, die Cancelleria, die Universität, die Paläste Borgia, Massimi, Nardini, Valle, Caffarelli, Cesarini und
der größte Roms, der von San Marco. Er sah den Corso als eine lange lückenhafte
Straße mit einigen Kirchen, Gebäuden und zertrümmerten Triumphbogen und mit vielen
Gärten gegen den Platz del Popolo sich fortziehen und das bewohnte Rom begrenzen.
Denn darüber hinaus erblickte er nur Gärten bis zum Pincio und Quirinal und kaum hie
und da eine kleine Kirche, wie die im Bau begriffene S. Trinità auf dem Pincio, und
sparsam zerstreute Häuser.
Wenn er seinen Blick den Tiber abwärts schweifen ließ, sah er in einem hinreißend
schönen Gemälde die grauen Kirchen des Aventin, unten den Monte Testaccio mit dem
schwarzen Tor St. Paul und der Pyramide des Cestius. Über die alten Fora hinaus erblickte er eine wundervolle Landschaft von Hügeln, aus welcher rötliche Trümmermassen
von Thermen und Wasserleitungen und uralte Kirchen vielgestaltig hervorragten. Dort
waren Ruhepunkte für sein Auge der große Milizenturm, der Turm der Conti, die Masse
der Diokletiansthermen, die hohen Reste der Titusthermen, S. Pietro in Vincula, S. Martino, die Türme des Lateran und der Santa Maria Magiore, die Kirchen auf dem Coelius.,
die zersplitterten Kolosse der Caracalla-Thermen, während auf den Höhen die palastartigen Villen fehlten, welche sich unter Pinienwipfeln heute so herrlich darstellen. Der
Pilger hatte schönere Städte gesehen, zumal Venedig, das Wunder jener Zeit, und doch
musste er sich sagen, dass dieses schwarze, regellose und halbversunkene Rom mit
dem blauen Lichthimmel über sich durch die Großartigkeit seiner Gestaltung und die Verbindung von Leben und Wildnis, von Trümmerwelt und anmutiger, wie erhabener Natur
alle anderen Städte als Totalgemälde weit übertraf.
Gregorovius, 13. Buch, Kapitel 5
86
Deutsch - Italienische Gesellschaft
November 2008
Hansjörg Frommer
Seminar zur italienischen Geschichte:
Geschichte der Stadt Rom in der Neuzeit
Literatur:
Ferdinand Gregorovius: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. 4 Bände 1859 – 1872.
Sonderausgabe dtv 1978. Beck München 1988.
DuMont Kunst-Reiseführer Rom. Köln 1977.
Rudolf Lill: Die Macht der Päpste. Topos Verlag 2006.
Volker Reinhardt/Michael Sommer: Rom. Geschichte der ewigen Stadt.
Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt 2008.
Bevölkerungsentwicklung
Datum
1526
1528 (Sacco di Roma)
1750
1850
31. Dezember 1861
31. Dezember 1871 (Hauptstadt)
10. Februar 1901
Einwohner
60.000
20.000
156.000
175.000
194.500
212.432
422 411
1. Dezember 1921
21. April 1931
21. April 1936
4. November 1951
24. Oktober 1971
20. Oktober 1991
31. Dezember 2005
660.235
930.926
1.150.589
1.651.754
2.781.993
2.775.250
2.547.677
Die Baustelle Peterskirche 1506 - 1626
Nikolaus V. hatte mit Leone Battista Alberti die Wiederherstellung der konstantinischen Basilika im Stil der Renaissance geplant, aber Bramante und Julius II. wollten
ein antikisches Monument (Zentralbau) nach dem Vorbild des Pantheons errichten;
schon dass sie dafür die alte Peterskirche (zunächst nur deren Chorpartie) zerstörten,
belegt ihr neuartiges Selbstbewusstsein. Weitere leitende Baumeister waren Raffael,
der auch das Langhaus neu erbauen wollte, Giuliano da Sangallo und Baldassare
Peruzzi; nach dem Sacco di Roma trat eine längere Unterbrechung ein. Erst Paul III.
und Michelangelo (seit 1546 Baumeister an St. Peter) griffen das große Projekt
wieder auf. Sie kehrten zum Zentralbau zurück und wollten darin nun die äußersten
Konsequenzen aus der ganzen Architektur-Entwicklung der Renaissance ziehen: vor
allem mit der gigantischen, 136 m hohen Kuppel, die Vorbild für alle weiteren Bauten
dieser Art geworden ist; Sixtus V. hat ihre Vollendung maßgeblich gefördert. Paul V.
ließ durch Carlo Maderno das 1614 vollendete Langhaus hinzufügen und damit das
Monument zur übergroßen barocken Kirche erweitern. Bernini schuf für Urban VIII.
die bis ins letzte durchdachte Ausstattung, für Alexander VII. bis 1657 den elliptischen
Platz, dessen Arme die ganze Kirche zu umfassen scheinen, nachdem dort bereits
Michelangelos Schüler Domenico Fontana 1586 im Auftrag Sixtus' V. den großen
vatikanischen Obelisken als Zeichen päpstlichen Triumphes über das Heidentum
wieder aufgerichtet hatte.
Aus Berninis Ausstattung ist in unserem Zusammenhang hervorzuheben, dass der
Papstaltar in der Vierung, das größte nachantike Bronze-Monument, über dem wahrscheinlichen, aber (entgegen vatikanischer Behauptung) nie sicher bewiesenen Ort
des Petrusgrabes steht, dass seine geschraubten Säulen an den Tempel Salomons
erinnern sollen und dass er von vier Pfeilern mit den Emporen zur Zeigung der
großen, auf Christus selbst und den Petrus-Bruder Andreas verweisenden Reliquien
umstanden ist. Über dem Papstthron in der Hauptapsis befinden sich eine angebliche
»Cathedra Petri« und ein Fenster mit dem Symbol des Hl. Geistes; er ist umstanden
von den Kolossalfiguren der vier größten lateinischen und griechischen Kirchenlehrer
(Ambrosius, Augustinus, Athanasius, Johann Chrysostomus). Die ganze Tradition des
Christentums wird also für die Repräsentation von Papst und Papstthron in Anspruch
genommen!
(Rudolf Lill, die Macht der Päpste, Exkurs Die neue Peterskirche)
87
Die Baustelle Peterskirche als Ruine 1546. Zeichnung von Marten van Heemskerk
Päpste und Nepoten
Giulia Farnese war die Geliebte Papst Alexanders VI., und so machte er 1493 ihren Bruder
Alessandro mit 25 Jahren zum Kardinaldiakon und Generalschatzmeister. 1534 wurde der
zum Papst gewählt. Als Papst war Paul III. ein klassischer Vertreter des Nepotismus, am 18.
Dezember 1534 ernannte er drei seiner Enkel (14 und 16 Jahre alt) zu Kardinälen, auch
verschaffte er dem Haus Farnese viele und reiche Vergünstigungen. Seinen Sohn Pier Luigi
machte er zum Gonfaloniere der Kirche und schuf für ihn 1545 aus Gebieten des Herzogtums Mailand das Herzogtum Parma, das bis zu ihrem Aussterben 1731 im Besitz der Farnese blieb. 1555 wurde Paul IV. aus dem Hause Carafa Papst. Er förderte unter zahlreichen
Nepoten, von denen er drei zu Kardinälen erhob, vor allem Carlo Carafa, einen gewissenlosen, verrohten Abenteurer und Condottiere, der Kardinal-Staatssekretär wurde, während
es sein ihm wesensähnlicher Bruder Giovanni zum Herzog von Paliano brachte. Sein Nachfolger Pius IV. brachte vor allem die Kinder seiner Schwestern unter, die Familien Serbelloni,
Hohenems und Borromeo, insgesamt 20 Nepoten. Papst Sixtus V. machte 1585 seinen
fünfzehnjährigen Neffen Alessandro zum Kardinal. Er selber ließ die römischen Wasserleitungen restaurieren oder neu bauen, woran der Mosesbrunnen bis heute erinnert.
Klemens VIII. machte 1592 zwei Neffen aus dem Hause Aldobrandini, Cinzio und Pietro, zu
Kardinälen und Gian Francesco zum Militärführer. Der Papst und seine Schützlinge gelten
als die großen Mäzene zum Anfang des Barock in Rom (vatikanischer Palast, Vergoldung
der Peterskuppel, Lateranbasilika). Paul V. machte 1605 seinen 27jährigen Neffen Scipione
zum Kardinal und gab ihm den Namen Borghese, den großen Barockmäzen und Erbauer der
Villa Borghese, aber auch den Schatzmeister der Kirche und Begründer des Familienreichtums. Von Urban VIII. aus der Familie Barberini, der 1623 Papst wurde, heißt es, sein Nepotismus kannte keine Grenzen. Damit begründete er das Fürstenhaus Barberini. Ebenso stieg
mit Innozenz X. 1644 das Haus Pamfili und mit Alexander VII. 1655 das Haus Chigi zu
Reichtum und Macht auf.
Die Päpste waren die großen öffentlichen Bauherren von Rom, die in großem Stil an Kirchen
und Palästen bauten, weiterbauten, ausmalen und verschönern ließen. Sie beschäftigten die
großen Architkekten und Künstler, und sie sorgten auch durch die Gestaltung ihrer Grabmäler für ihren Nachruhm. So widmete sich Gregor XIII., Papst von 1572 bis 1585, nicht nur
88
dem Weiterbau der Peterskirche, dem Vatikan und der Ausgestaltung des Kapitols, sondern
begann auch mit dem Bau des Quirinalpalastes. Aber erst die Nepoten, die neuen Familien,
die dank ihres Papstes Karriere machten und Reichtümer sammelten, veränderten mit ihren
Villen und Prachtbauten Rom über den offiziellen Rahmen hinaus.
Palast des Alessandro Farnese, heute die Französische Botschaft
Renaissance und Barock im Rom der Päpste
Die Architektur des Barock prägt unübersehbar das Stadtgefüge von Rom. Während
die Renaissance der mittelalterlichen Stadt einzelne Paläste, Kirchen und gerade
Straßenzüge eingefügt hatte, versuchte die barocke Architektur große Zusammenhänge zu schaffen. Straße und Platz, Fassaden, Kuppeln, Türme, Treppen und Brunnenanlagen sind in neuer Weise aufeinander bezogen. Die topographische Situation
der Stadt auf den Hügeln begünstigte die einzigartige Vielfalt des barocken >Stadtbilds<.
Papst Sixtus V. (1585—90) hatte den Anstoß zur Neugestaltung der Stadt gegeben,
indem er die großen Kirchen S. Giovanni in Laterano, S. Maria Maggiore, S. Croce in
Gerusalemme und Trinità dei Monti durch geradlinige Pilgerstraßen perspektivisch erschloss. Er ließ als erster Papst die großen Obelisken der Antike in Rom wieder aufrichten. Gekrönt mit einem Kreuz wurden sie zu Siegeszeichen der Kirche; Dreiberg
und Stern aus dem Wappen des Papstes unter dem Kreuz erinnern an seine Familie.
Papst Urban VIII. Barberini (1623-44) legte die Piazza Barberini und Innozenz X.
Pamphili (1644—55) die Piazza Navona als Forum seiner Familie an. Das Vor- und
Zurückschwingen der Barockfassaden steigerte ihre Verbindung mit dem umliegenden urbanen Bereich, so bei Pietro da Cortonas Fassaden- und Platzgestaltung vor S.
Maria della Pace 1654 oder bei Berninis Fassaden von S. Andrea al Quiriale und dem
Palazzo Montecitorio. Gegenüber der Porta del Popolo bildeten die Zwillingskirchen
von S. Maria di Montesanto und S. Maria dei Miracoli den perspektivischen Angelpunkt dreier Straßen und des Platzes. Auch große Brunnen- und Treppenanlagen
steigerten den städtebaulichen Zusammenhang. Den Höhepunkt barocker Urbanistik
stellt die Spanische Treppe dar (1721—25 von Specchi und De Sanctis), welche die
Kirche Trinità, den Brunnenplatz und die Via Condotti malerisch verbindet. Auch die
Treppen des Quirinal oder die Treppenflut um den Chor von S. Maria Maggiore sind
aus einem ähnlichen Gestaltungswillen entstanden.
(DuMont Kunstreiseführer Rom 1977)
89
Vor und nach der französischen Revolution
Nach der Niederlage der habsburgisch-katholisch-spanischen Partei im Dreißigjährigen Krieg
und dem politischen Niedergang Spaniens verlor das Papsttum erheblich an Bedeutung. In
den katholischen Ländern setzte sich die Tendenz zur Nationalkirche durch(Gallikanismus in
Frankreich, Febronianismus in Italien und Deutschland) und das Verfügungsrecht des
Papstes über die Kirche wurde bestritten. Die Einkünfte des Papstes beschränkten sich mehr
und mehr auf den meistens schlecht verwalteten Kirchenstaat. Dafür wurde der Papst in die
territorialen Auseinandersetzungen in Italien mit hieneingezogen.
So rückte 1708 im Spanischen Erbfolgekrieg, der ja auch um Neapel-Sizilien ging, der Kaiser
Josef I. vor Rom, weil der Papst die französische Erbfolge in Spanien vermittelt und anerkannt hatte, und 1721 wurde Rom von kaiserlichen, neapolitanischen und spanischen Soldaten geplündert, bevor im Friedensschluss Neapel-Sizilien an den Habsburgerkaiser Karl VI.
und Sardinien mit dem Königstitel an Savoyen-Piemont ging, ohne dass der Ppst als
eigentlicher Lehensherr auch nur gefragt worden wäre.
Kardinal Giulio Alberoni, der mit der neuen spanischen Königin Elisabeth Farnese nach Spanien gegangen und dort die Finanzen reformiert hatte, aber mit seiner abenteuerlichen
Außenpolitik den Krieg von 1720 provoziert hatte, kehrte nach seinem Sturz nach Italien
zurück und trug mit seinen Reformen in Bologna zur Gesundung des Kirchenstaates bei.
Der Josefinismus in Österreich seit 1790 und dann die Französische Revolution förderten
eine Verstaatlichung des Kirchenbesitzes und eine sehr weitgehende Kontrolle des Staates
durch die Kirche. Papst Pius VI. (1775 – 1799) lehnte diese Entwicklung ab und suchte Hilfe
in Österreich. Napoleon schlug die Österreicher, und 1798 besetzte General Berthier Rom
und nahm den Papst gefangen. Die Kunstschätze in Rom wurden in Kisten gepackt und als
Beutekunst nach Paris verbracht, auch die Mona Lisa. Zum größeren Teil wurden sie 1814
zurück gegeben. Rom und der Kirchenstaat wurden Republik und führten die revolutionäre
französische Gesetzgebung ein, so die Gleichberechtigung der Bürger. Der Papst starb 1799
als Gefangener in Valence.
Erst neun Monate später wählten die verbliebenen Kardinäle unter österreichischem Schutz
in Venedig einen neuen Papst. Mit dem Frieden von Lunéville konnte Pius VII. im Februar
1801 in einen verkleinerten Kirchenstaat zurückkehren. Napoleon schloss mit ihm ein Konkordat, das die katholische Kirche in Frankreich anerkannte, aber unter starker staatlicher
Aufsicht. Pius VII. musste ständige französische Übergriffe hinnehmen, 1808 wurde Rom
wieder besetzt und 1809 das Ende des Kirchenstaates verkündet. Der Papst wurde nach
Savona verschleppt und eingesperrt, 1812 nach Fontainebleau. Napoleon beherrschte Italien
und dirigierte die katholische Kirche in Frankreich und Italien.
Restaurationszeit und Risorgimento
Nach dem Sturz Napoleons konnte Pius VII. nach Rom zurückkehren, und der Wiener
Kongress stellte den Kirchenstaat wieder her. Pius VII. regierte als aufgeklärter und liberaler
Monarch und behielt die gleichen Rechte der französischen Revolution bei. Erst sein Nachfolger Leo XII., Papst von 1823 – 1829, führte die Restauration ein, hob die Gleichberechtigung der Juden auf und sperrte sie wieder ins Ghetto. Die Pockenschutzimpfung wurde verboten, die Inquisition zur politischen Repression eingesetzt. Verwaltung und Finanzen
wurden völlig zerrüttet. Gregor XVI., Papst von 1831 – 1846, führte diesen Kurs verstärkt
weiter. Jeder Fortschritt wurde verfolgt, die Gebildeten und Intellektuellen wandten sich ab
und wanderten aus. Die Staatsschulden wuchsen unkontrolliert.
In diese Zeit fällt der Kauf des Geländes am Kapitol für die preußische Botschaft und die
Gründung des Deutschen Archäollogischen Institutes 1829.
Giuseppe Mazzini war der Gründer des "jungen Italien" und des Risorgimento, der Bewegung für Einheit und Freiheit in Italien. Er hoffte kurzfristig auf den neuen Papst Pius IX.
(1846 – 1878), aber als der sich 1848 verweigerte, rief Mazzini am 9. Februar 1849 die
Republik im Kirchenstaat aus. Pius IX. konnte erst 1850 unter dem Schutz französischer
Truppen zurückkehren und war von da an autoritär und fortschritts- und einheitsfeindlich.
90
Rom vor und nach 1870/71
(Rudolf Lill, die Macht der Päpste, Exkurs)
Rom war bis 1870 monumentaler und malerischer, aber auch rückständiger als die
Hauptstädte der anderen historischen Staaten Italiens. Bauten, Straßen und Plätze der
Vergangenheit - von der Antike bis zum Barock - bestimmten die Maße der Stadt, die
das Innere der um 270 n. Chr. von Kaiser Aurelian errichteten Mauer und deren barocker Erweiterung um den Gianicolo bei weitem nicht mehr ausfüllte und 1870 ca.
200.000 Bewohner, darunter über 7000 Geistliche, zählte. Im. Zentrum, d. h. im Wesentlichen in der unter den Päpsten des 16. und 17. Jahrhunderts neu bebauten Tiberniederung inclusive Borgo (Vatikan) lagen barocke Plätze und enge Gassen dicht beieinander. Um den Lateran, auf den sieben Hügeln und zwischen ihnen standen die
frühchristlichen Basiliken und mittelalterlichen Kirchen; außerhalb der Mauern dominierten die antiken Aquaedukte und Gräber sowie die noch unverbauten Coemiterialabasiliken S. Paolo, S. Sebastiano, S. Lorenzo und S. Agnese; Villen fürstlichen Zuschnitts, von Kardinalsfamilien errichtete, gab es innerhalb und außerhalb der Mauern.
Die urbanistischen und sozialen Transformationen des 19. Jahrhunderts hatten die
Hauptstadt des Kirchenstaates nicht erreicht, und es gab keine nennenswerte Industrie. Von den nur drei Brücken über den Tiber war die jüngste unter Sixtus IV. 1475 errichtet, der antike Ponte Milvio immerhin unter Plus IX. restauriert worden. Er sorgte
auch noch für den Bau eines Zentralbahnhofs (an der Stelle der späteren Stazione
Termini) und einer ersten modernen Straße dorthin (später Via Nazionale). In diesem
Zusammenhang hatte Prälat de Merode einen Gesamtbebauungsplan erarbeitet, an
den man nach 1870 anschließen konnte.
Die für Europa singuläre Symbiose geistlicher und weltlicher Elemente wurde seit dem
Sommer 1871, in dem Italien seine Hauptstadt von Florenz nach Rom verlegte, aufgelockert. Die nationale Aneignung der langen Vergangenheit wurde zunächst dadurch
dokumentiert, dass König Viktor Emanuel II. den Quirinalspalast der Papste bezog.
Auch andere staatliche Institutionen wurden in kirchenstaatlichen Palästen oder enteigneten Klöstern untergebracht, so die Kammer im Palazzo Montecitorio (früher Sitz
von Gerichtsbehörden), der Senat irn Palazzo Madama und das Außenministerium im
Palazzo della Consulta (Quirinal), die Sapienza wurde königliche Universität. Nach
dem Tode Viktor Emanuels II. 1878 wurde das Pantheon, obwohl seit ca. 1200 Jahren
Kirche S. Maria ad Martyres, zur Grabstätte der italienischen Könige bestimmt. Unangetastet blieben nur diejenigen päpstlichen Gebäude, welche der Kirchenregierung
dienten, auch außerhalb des Vatikans.
Ein neues Regierungsviertel außerhalb der Mauern kam nicht zustande, weil es zu
teuer gewesen wäre und schlecht zur Idee des »dritten Rom« gepasst hätte, welche
die historische Stadt für den Nationalstaat beanspruchte. Einige historistische Neubauten für Ministerien entstanden daher innerhalb des Mauerrings, so an der vom Quirinal
zur Porta Pia führenden Straße (nun Via 20 Settembre). In den achtziger Jahren
begannen die Tiberregulierung sowie Straßendurchbrüche (Corso Vittorio Emanuele,
Corso del Risorgimento, Via Cavour, Via del Tritone), welche schöne historische Ensembles zerstört haben. Auch große Villen wurden für neue Wohngebiete geopfert,
zunächst noch innerhalb der Mauern und unmittelbar davor (Caelius, Esquilin, Ludovisi, Parioli, Prati di Castello, Trastevere, Monteverde). Bis 1900 verdoppelte sich die
Einwohnerzahl auf ca. 400.000. Die Bauindustrie wurde (und blieb) dominierend, die
Grundstücksspekulation ein Dauerproblem.
In den achtziger Jahren wurden die Alleen mit den Büsten der Risorgimento-Kämpfer
auf dem Gianicolo und auf dem Pincio eröffnet. Der Gianicolo war 1849 der Ort der
Kämpfe um Rom gewesen; nun (und dann wieder unter Mussolini) wurden dort die
damaligen Helden geehrt, an der höchsten Stelle stand seit 1895 das Denkmal für
Garibaldi, demonstrativ oberhalb des Vatikans! Ebenso erhebt sich über Roms ganze
frühere Geschichte das Nationaldenkmal (1885-1911) in der Mitte der Stadt, die Foren und das Kapitol in den Schatten stellend - das größte in ganz Europa! Solcher
Nationalismus wurde seit den 1880er Jahren mit antiklerikaler Zuspitzung in Rom
von Linksliberalen propagiert, die infolge der Zuzüge an Zahl zunahmen und auch
infolge der päpstlich verordneten Stimmenthaltung vieler Katholiken bis 1913 die
91
Stadtverwaltung beherrschten. Ihr bekanntestes Werk wurde das Denkmal für Giordano Bruno (1887), ihr bedeutendster Exponent der Mazzinianer Ernesto Nathan
(Oberbürgermeister 1907-1913), der immerhin mit den alten Bauten behutsamer umgehen wollte als seine Vorgänger. Aber eine beachtliche Minderheit der Bevölkerung
hielt weiterhin demonstrativ zum Papst, engagierte sich auch in dessen Diensten, z.
B. die Familie Pacelli; die Mehrzahl der Adeligen (daher nun »nobilità nera« genannt)
ging bis zur »Conciliazione« von 1929 nicht an den Hof des Königs.
92
Stadtplan von Rom 20.Jahrh.(die alte Stadtmauer ist noch zu erkennen, aber auch die Bahn)
Die Zeit Mussolinis und der Ausgleich mit dem Vatikan
Für ein Buch von Sepp Schüller – Rom Mussolinis - Roma Mussoliniana von 1943 wird als
Inhalt angegeben: Moderne Architekturleistungen des neuen Staates. Vom römischen bis
zum futuristischen Rom. Schwarz-weiße Fotos der neuen Wohnhäuser, Kaufhäuser, Sanatorien sowie heroische Fotos aus "Forum Mussolini", dem Stadion, Mussolini-Monolith, die
"Principe - Amedeo - Savoia - Aosta - Brücke". Ebenso die schöne Architektur vom "Heim
der Jugend", mit Innenansicht, Palast der Weltausstellung u.v.a.m.
Für Mussolini war das antike Rom Vorbild für die neue imperiale Größe. Das Monumento
Vittorio Eamuele II. wurde zwar schon 1911 eingeweiht, aber erst 1927 fertiggestellt. Der
Durchbruch durch das Forum Romanum schuf eine wichtige Aufmarschstraße. Mussolinis
Amtssitz in Rom war das Palazzo Venezia an der Piazza Venezia neben dem Monumento
und nördlich vom Forum Romanum. Vom Balkon des Palazzo Venezia redete Mussolinmi
zum Volk.
Nach den Verhandlungen seit 1926 wurden 1929 die Lateranverträge unterzeichnet, die den
Konflikt zwischen dem Königreich Italien und dem Vatikan endlich beilegten, im Prinzip mit
der schon 1871 vom Staat vorgeschlagenen Lösung der Doppelstaatlichkeit.
Der Vatikan ist ein souveräner Staat mit allen Rechten und eigener diplomatischer Vertretung. Das Verhältnis zu Italien (Währung, Polizeirecht usw. ist im Einzelnen geregelt.
Das neue Staatsterritorium umfasst das mit einer Mauer umfriedete Gebiet des vatikanischen Hügels. Es ist von römischem Stadtgebiet umgeben. Auf dem 0,44 km² großen Areal
der Vatikanstadt befindet sich der Papstpalast, der Petersdom mit dem Petersplatz, die
vatikanischen Museen (mit der Pinakothek), die vatikanischen Gärten, das Governatoratsgebäude, die Kaserne der Schweizergarde, die Druckerei des Osservatore Romano, ein
kleiner Teil der Audienzhalle Pauls VI. sowie weitere Verwaltungsgebäude.
93
Folgende Gebiete und Gebäude haben exterritorialen Status (die Aufzählung ist nicht
erschöpfend):
(Wikipedia)
innerhalb des Stadtgebiets von Rom:
- die Patriarchalbasiliken San Giovanni in Laterano, Santa Maria Maggiore und San Paolo
fuori le Mura
- der Palast der Glaubenskongregation, der größere Teil der Audienzhalle Pauls VI. sowie
der Campo Santo Teutonico und das deutsche Kolleg (Germanicum) in der Nähe des
Petersdoms
- der Palazzo di Propaganda Fide an der Piazza di Spagna
- das Gebiet, das den nordwestlichen Teil des Gianicolo-Hügels einnimmt
- der Palazzo di San Callisto in Trastevere
- der Palazzo della Cancelleria am Corso Vittorio Emanuele II.
- sowie zahlreiche weitere Gebäude, die Dikasterien der Kurie beherbergen.
außerhalb von Rom:
- der Papstpalast, die Villa Barberini und die Villa Cybo in Castel Gandolfo
(Sommerresidenz des Papstes)
- das Sendezentrum von Radio Vaticano in Santa Maria di Galeria
Die Gesamtfläche dieser exterritorialen Areale beträgt 0,7 km².
Außerdem ist jede Kirche innerhalb Italiens, in der der Papst religiöse Zeremonien durchführt
und zu der die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat, während dieses Zeitraums exterritorial.
94
DIG – Seminar zur Geschichte
März 2010
Hansjörg Frommer
31. Seminar Das südliche Latium
(zur Vorbereitung der Studienreise in die Ciociaria)
1. Latium und Rom – die Antike
Die Völkergruppierung in Italien ist nach einer langen Unruheperiode zwischen 1200 und 800
weitgehend abgeschlossen. Die meisten Bewohner Italiens gehörten danach zu den Italikern, nach heutigen Vorstellungen entstanden aus der Vermischung einheimischer Volkselemente mit Zuwanderern. Die Sprachen der Italiker sind indoeuropäisch. Ein Sonderfall
sind die Etrusker, die wohl auch erst in Italien entstanden sind, aber aus einer sehr prägenden und noch nicht identifizierten Zuwanderung vermutlich aus dem Osten. Wir können das
Etruskische zwar lesen, aber nicht verstehen. Die Gesellschaften waren aristokratisch.
Zu den Italikern gehören die Latiner:
Die wichtigsten Latinergemeinden sind Rom, Praeneste, Tibur, Norba, Signia, Bovillae, Lavinium, Ardea, Gabii, Cora, Lanuvium; sie werden mit dem Begriff der prisci Latini, ihr Land,
das sich vom unteren Tiber bis nach Circei erstreckt, als Latium vetus bezeichnet. Der
latinische Stamm gliedert sich in eine Reihe von Volksgemeinden (populi), die in der Regel
nach dem Vorort benannt worden sind. Gelegentlich finden sich auch Doppelnamen, so die
Laurentes Lavinates und der populus Ardeatis Rutulus, sie müssen wohl historisch erklärt
werden. Lavinium und Ardea sind wohl später für die alten populi der Laurenter und Rutuler
eingetreten.
(Bengtson, Römische Geschichte, S. 13)
Die Etrusker übten zeitweilig die Oberherrschaft auch über Latium aus. Für Rom sind die Legenden über die Königszeit eine Verbrämung der etruskischen Herrschaft, und auch in
Latium gibt es etruskische Spuren.
Putzger, Geschichtsatlas, 1918: Latium in der Antike
95
Die Aeneas-Sage
Aeneas war nach der Sage ein Sohn des trojanischen Königs Priamos, der mit seinen
Leuten zunächst zur Königin Dido nach Karthago geflohen war, diese dann aber verließ, um
sich in Latium niederzulassen.
Dass Aeneas Lavinium gegründet hat, weiß man seit zehn Jahren, als die Ausgrabungen, zu
denen die Luftfotografie den Weg gewiesen, ihren Anfang nahmen, ohne zu Ende geführt worden zu sein. Die Stadt nannte er nach Lavinia, der Tochter des Königs Latinus, dem das kleine
Gebiet gehörte, wo er italischen Boden betrat. Latinus regierte in Laurentum, dessen Reste am
Meer südlich vom Lido Ostias man gleichfalls ausgegraben hat. Lavinia wurde die dritte Frau
des flüchtigen Helden von Troja. ...
Als das große Werk der Gründung der ersten Hauptstadt Latiums vollendet war, führte Äneas
die zur Festigung der neuen Herrschaft noch notwendigen Kriege mit den benachbarten Rutulern, die im befestigten Ardea am Fosso dell'Incastro südlich von Lavinium saßen und deren
König Turnus mit Recht empört darüber war, den Fremdling die bereits ihm selber versprochene schöne Lavinia heiraten zu sehen. Äneas blieb Sieger
Was von Lavinium bisher ans Licht gebracht worden ist, sind dreizehn gleiche quadratische
Altäre aus Tuff in einer Form, die noch einige Male in Rom selber erscheint. Haben so die Altäre
von Troja ausgesehen? Sind diese Altäre, die in regelmäßigen Abständen genau von Süden
nach Norden in einer Reihe liegen, die letzte Erinnerung der Flüchtlinge an die verlorene, verbrannte Königsstadt am Skamandros? ...
Zerstört haben Lavinium erst die Sarazenen - sehr wahrscheinlich in den Augusttagen des Jahres
846, als sie zum erstenmal an der Tibermündung landeten, flussaufwärts fuhren und Rom selber bedrohten. Im Mittelalter. erbauten die Massimi sich einen Feudalsitz an der Stelle, wo
Aeneas den Penaten (Hausgöttern), die Troja nicht hatten retten können, neue Stätten der
Verehrung gegründet hat. Votivtafeln und Bronzen, die nach Troja weisen, sind in Pratica di
Mare gefunden worden. Wird einmal eine Inschrift bezeugen, wann Äneas gelebt und in
Latium geherrscht hat ?
Einsame, möglichst zwischen Flüssen liegende steile Tufffelsen haben schon die vorrörnischen
Stämme Latiums für ihre Städtegründungen bevorzugt. Ardea ist die erste so gebaute Stadt
gewesen. Ihre architektonischen Grundsätze haben das ganze mittelalterliche Bauen Latiurns
mitbestimmt. Nach der Sage ist Ardea eine Gründung des Perseus, des Sohnes der Danae und
des Zeus. Danae gebar jedoch von dem ländlichen Dämon Pilumnus in Latium noch einen Sohn,
Turnus, den Rutulerkönig von Ardea und Gegner des Aeneas. Gräber bei Ardea lassen darauf
schließen, dass die Rutuler den Etruskern verwandt waren.
(Kühner, Latium, S. 20)
Rom übernimmt Latium
Der Sohn des Aeneas, Askanius, gründete Alba Longa, vermutlich das heutige Castel
Gandolfo, Hauptort eines aus dreißig Städten bestehenden Bundesstaates. Einer seiner
Nachfahren, der König Prokas, hatte zwei Söhne, Numitor und Amulius. Amulius stürzte
den älteren Bruder und machte dessen Tochter Rhea Silvia zur Priesterin der Vesta, die
zur Ehelosigkeit verpflichtet war. Als diese trotzdem Zwillinge zur Welt brachte, ließ der
böse Onkel sie in den Tibersümpfen aussetzen. Eine Wölfin fand sie und säugte sie. Als
sie groß wurden, bauten sie am Tiber die Stadt Rom. Remus wurde von Romulus im
Streit erschlagen, und unter den ersten Königen wurde Rom an der Stelle von Alba
Longa zur Hauptstadt von Latium. Die Namen der Könige sind etruskisch, was darauf
hindeutet, dass auch Latium zeitweilig unter etruskischer Herrschaft stand. Das angebliche Gründungsdatum von Rom ist 753, die Vertreibung der Könige 510.
Die Herrschaft Roms über Latium war nicht immer friedlich. Die Rivalin Alba Longa
wurde im 7. Jahrhundert völlig zerstört, der letzte König Tarquinius Superbus kämpfte
gegen einen Latinerbund, und nach 500 sollen die Römer am See Regillus omne Latium
besiegt haben. Danach kam es zu einem Bündnisvertrag:
Die Vertragsurkunde stand noch zu Ciceros Zeiten auf einem Bronzepfeiler hinter der
Rostra auf dem Forum Romanum. Rom und die Latiner schlossen einen ewigen Frieden,
sie verpflichteten sich, keine Feinde gegeneinander heranzuführen, sondern sich gegenseitig beizustehen, falls sie angegriffen würden. ... In der Überlieferung ist dieses wichtige
Bündnis mit dem Namen des praetor maximus Spurius Cassius (493) verbunden. Dies
dürfte historisch sein, ebenso wie der Abschluss eines Bündnisses zwischen Rom und
den Hernikern, gleichfalls durch Spurius Cassius, angeblich im Jahre 486. Aus dem römisch96
latinischen Zweibund war damit ein Dreibund geworden, in dem alle Partner gleiche
Rechte besaßen ... Die Herniker waren eine Art Eidgenossenschaft, sie saßen im Tal
des Trerus (Sacco); ihre Hauptorte waren Anagnia, Aletrium, Ferentinum und Verulae, sie
standen, ebenso wie die Römer und Latiner, in entschiedenem Gegensatz zu den
Aequern und Volskern, was den Abschluss des Bundesvertrages hinreichend erklärt.
(Bengtson, Römische Geschichte, S. 30)
In der Folgezeit wurde Rom immer stärker und bestimmender, Latium zum römischen
Hinterland. Das führte zum Aufstand der Latiner von 340:
Von großer geschichtlicher Bedeutung Ist dagegen der Aufstand der Latiner gegen Rom im
Jahre 340. Es ist dies eine Bewegung, die nicht nur die altlatinischen Gemeinden, sondern
auch die latinischen Kolonien erfasst hat. Nur wenige Orte sind in der Not den Römern treu
geblieben, unter ihnen Ardea, Lavinium, dazu die Kolonien Sutrium und Nepet. Angeblich
haben die Latiner die Forderung an die Römer gerichtet, hinfort den einen Consul und die
Hälfte der Senatoren stellen zu dürfen. Während sich die Latiner der Hilfe der Volsker,
Aurunker und Sidiciner zu versichern wussten, hatten die Römer in den Samniten Bundesgenossen. Wo die entscheidende Feldschlacht geschlagen worden ist, bleibt ungewiss,
vielleicht bei Sinuessa am Mons Massicus. Roms Sieg brachte die Auflösung des politischen
Latinerbundes, der von nun an nur noch als sakrale Vereinigung weiterbestanden hat. Rom
aber ging dazu über, sein Verhältnis zu den einzelnen latinischen Gemeinden auf Grund
ihres Verhaltens in der vorausgegangenen Auseinandersetzung zu regeln: die einzelnen
Gemeinden wurden zunächst isoliert, commercium und conubium, ebenso gemeinsame
Landtage zwischen ihnen (concilia) untersagt. Die Latinerstädte erscheinen in drei verschiedene Kategorien eingeteilt, die erste von ihnen ist die kleine Gruppe der autonomen
Städte wie Tibur, Praeneste, Lavinium und Cora. Die Bürger der zweiten Gruppe wie die von
Aricia, Lanuvium, Nomentum, Pedum u. a. fanden Aufnahme in das römische Bürgerrecht,
Tusculum erhielt als Gemeinde Verzeihung, seine Bürger behielten die civitas Romana.
Schlechter gestellt waren dagegen Gemeinden wie Fundi und Formiae, dazu die campanischen Städte Capua, Cumae und Suessula: all diese sind nur in den Besitz des römischen
Halbbürgerrechts (civitas sine suffragio) gelangt; Fundi und Formiae entbehrten dazu der
Selbstverwaltung, die vielmehr in die Hände römischer Magistrate gelegt wurde.
Latium wurde immer mehr zum römischen Hinterland, die Einwohner waren römische
Bürger in ländlichen Tribus, die reichen Römer hatten Grundbesitz und Villen in den
Albaner Bergen oder in Tusculum, z. B. Cicero, der seiner Villa in einem seiner
philosophischen Spätwerke Tusculanae Disputationes – Gespräche in Tusculum ein
Denkmal setzte. Den Zugang sicherte die Via Appia. Sie wurde 312 von Appius
Claudius Caecus angelegt. Ursprünglich führte die Via Appia nur über 195 Kilometer bis
Capua. Um 190 wurde die Straße bis Brundisium (heute Brindisi) verlängert, dem bedeutendsten Umschlagplatz für Waren und Sklaven aus dem Orient. Die Via Appia
wurde damit zu einer der wichtigsten Handelsstraßen Italiens und erhielt schon in der
Antike den Beinamen Regina Viarum, Königin der Straßen. Als der Apostel Paulus am
Ende der Apostelgeschichte als Gefangener nach Rom gebracht wurde, kam er über die
Via Appia, und die römischen Christen erwarteten ihn in Tres Tabernae, heute Cisterna.
So ist Latium südlich von Rom reich an Erinnerungen an die Antike, an archäologischen
Funden und Wundern. In Sperlonga hat sich Kaiser Tiberius 21 n. Chr. ein Jahr lang in
einer Höhle verkrochen, tiefenpsychologisch gedeutet, um den Konflikt mit seiner übermächtigen Mutter Livia aufzuarbeiten. Bei einem Einsturz in der Höhle rettete ihn der
Gardeoffizier Sejanus, der danach zu seinem Vertreter aufstieg und in Rom tyrannisch
regierte, während Tiberius in seiner Villa auf Capri lebte. 31 erkannte Tiberius die
Gefahr und ließ ihn verhaften und hinrichten. In Subiaco ließ Kaiser Nero den Fluss
Aniene aufstauen und Teiche anlegen, um in ihnen mit goldenen Netzen Forellen zu
fangen. Spuren seiner gigantischen Villa sind noch heute zu sehen. Die riesige Tempelanlage in Palestrina, die die Sortes Praenestini, die Orakelstäbe von Praeneste
beherbergte, wurde im 1. oder 2. Jahrhundert gebaut. Aber Latium war ein Anhängsel
an Rom, es hatte kein Eigenleben und hat keine eigene Geschichte mehr.
97
2. Spätantike, Papstgeschichte und Mittelalter
Nach dem Ende der Ostgotenherrschaft 553 verfiel Rom, sowohl als politisches Zentrum
wie von der Einwohnerzahl her, die von einer geschätzten Million um 300 auf 20 000 um
650 zurückging. Rom und sein Umland hatten keine Bedeutung mehr, und die einzige
überregionale Institution war der Papst, der als Haupt der lateinischen Kirche galt und
das Land um Rom als seinen Herrschaftsbereich ansah, als Patrimonium Petri. Gleichzeitig war aber das Land herrenlos, weil offiziell zum byzantinischen Kaiser gehörend,
und Adlige bauten sich Burgen und sammelten Besitzungen. Als die fränkischen Könige
den Schutz des Papstes gegen die Langobarden übernahmen und Karl der Große 800
zum Kaiser erhoben wurde, legte der Papst eine von seiner Kanzlei gefälschte Urkunde
vor, die Konstantinische Schenkung, die behauptete, Kaiser Konstantin habe ganz Italien dem Papst zur weltlichen Herrschaft überlassen. Weder die Karolinger noch später
die deutschen Könige akzeptierten diese Forderung, aber sie gestanden dem Papst eine
weltliche Herrschaft zu, und zwar den früheren Exarchat von Rom bis Ravenna. Doch
war das Patrimonium Petri auf jeden Fall kein unabhängiges Territorium, sondern unter
kaiserlicher Autorität. Auch beanspruchte der Kaiser das Recht, als Vogt für den Papst
die tatsächliche Herrschaft auszuüben. Darüber gab es viel Streit.
Um 800 wurde Rom von dem Adligen Theophylakt, vermutlich byzantinischer Herkunft,
beherrscht, und er gilt als Stammvater der Grafen von Tusculum, die von ihrer festen
Burg aus Latium beherrschten und im Rom des 10. bis 12. Jahrhunderts entscheidenden Einfluss hatten:
Sie stellten sieben Päpste, darunter den kriminellen Sergius III., der seine beiden Vorgänger ermordete, aber auch den integren Benedikt VII., der tatkräftig die cluniazensische Kirchenreform unterstützte. Die Mehrzahl der tusculanischen Päpste waren
jedoch eher fragwürdige Gestalten. 1191 zerstörten die Truppen Heinrichs VI. die Stadt;
die Römer hatten den Kaiser zu dieser Aktion gedrängt, um sich der tusculanischen
Einflüsse ein für allemal zu entledigen. Die wenigen überlebenden Einwohner gründeten
Frascati, Tusculum wurde nie wieder aufgebaut.
(Christoph Hennig: Latium. Dumont)
Von 1200 an kontrollierten zwei Adelsfamilien die römische Politik, die stadtrömischen
Orsini und die Colonna, die seit 1043 die Herren von Palestrina waren und in Latium
großen Besitz hatten. Der schreckliche Papst Bonifatius VIII., der 1294 seinen Vorgänger Coelestin V. aus dem Amt gedrängt und im Castel Fumone eingesperrt hatte, verfolgte die Colonna mit allen Mitteln, ließ viele Familienmitglieder töten und ihr Zentrum
Palestrina 1298 dem Erdboden gleich machen.
98
Anagni spielt in der mittelalterlichen Papst- und Kirchengeschichte eine große Rolle, hatte
sogar den Titel Città dei Papi. Der Dom von Anagni, zwischen 1074 und 1104 gebaut und im
13. Jahrhundert hochgotisch erneuert, hat vieles gesehen:
Otto von Bamberg, vom deutschen Kaiser Heinrich IV. zum Bischof von Anagni erhoben, ließ
sich hier 1104, kurz nach Fertigstellung der Kathedrale, zum (Gegen-)Papst weihen – erfolglos, der legitime Papst Paschalis II. war nicht zu verdrängen. Alexander III., Gegenspieler
Friedrich Barbarossas, hielt sich jahrelang in der Stadt auf; im Dom exkommunizierte er 1160
den Kaiser. In Anagni führte er nach langen Kämpfen die Friedensverhandlungen mit den
Gesandten Barbarossas; der ausgehandelte Vertrag von 1176 hieß pactum anagninum. Der
aus Anagni stammende Gregor IX. exkommunizierte im Dom zweimal den Stauferkaiser
Friedrich II. (1227 und 1239); zwischendurch traf er sich mit dem Kaiser am gleichen Ort zu
Friedensgesprächen (1230). 1243 fand die Wahl des Papstes Innozenz IV in der Kathedrale
statt, 1255 wurde Klara, die spirituelle Weggefährtin des hl. Franziskus, hier heiliggesprochen.
Christoph Hennig, Latium
Der Papst Bonifatius VIII. kam zum Sommerurlaub in den päpstlichen Palast seines Geburtsortes, so auch 1303. Dort wurde er von einem französischen Justizbeamten, Guillaume de
Nogaret, wegen Beleidigung des französischen Königs festgenommen. Als "Hilfssheriff"
hatte der sich den Sciarra Colonna mitgebracht, der das Gemetzel in Palestrina vor fünf
Jahren überstanden hatte und sich an Bonifatius rächen wollte. Bonifatius VIII. überlebte den
Anschlag und wurde nach zwei Tagen von den Orsini befreit und nach Rom zurückgebracht,
wo er aber nach wenigen Wochen starb. Das war der schiaffo di Anagni, die Ohrfeige von
Anagni.
3. Die Anfänge des Mönchstums und des Benediktinerordens
In Ägypten hatte sich im 4. Jahrhundert entwickelt, dass Menschen, um gottgefällig zu sein,
aus dem Alltagsleben ausschieden und sich nur noch auf Gott, das Gebet und die Vorbereitung auf das ewige Leben konzentrierten, als Einsiedler, sogar als Säulenheilige, Enthaltsamkeit und asketisches Leben gelobten. Das Einsiedlerwesen als gottgefällige Lebensform
dehnte sich über die Christenheit aus. Seit 320 gab es in Ägypten auch Gemeinschaften von
Einsiedlern, die sich für ihre Gemeinschaft bestimmte Regeln gaben.
Im lateinischen Bereich ist das Mönchs- und Klosterwesen von Benedikt von Nursia geprägt
und fest geordnet worden. Seine Benediktinerregel hat das abendländische Mönchstum auf
Jahrhunderte hinaus festgelegt, und diese Entwicklung ging vom südlichen Latium aus.
Benedikt wurde in Nursia (ital.: Norcia) bei Perugia um 480 als Sohn eines reichen Landbesitzers geboren. Seine Zwillingsschwester war die später ebenfalls als Heilige verehrte Scholastika. Nach der Schulzeit schickten Benedikts Eltern ihren Sohn zum Studium nach Rom.
Von der Sittenlosigkeit seiner Mitstudenten enttäuscht, ging er aber bereits nach kurzer Zeit
in die Berge nach Enfide (dem heutigen Affile) und lebte mit einer Gruppe von Einsiedlern,
bevor er sich 3 Jahre lang in eine Höhle bei Subiaco östlich von Rom zurückzog. Über dieser
Höhle wurde im 12. Jh. das Kloster San Benedetto, auch Sacro Speco genannt, gegründet.
99
In dieser Zeit wurden immer mehr Menschen auf Benedikt aufmerksam, und bald wurde er
gebeten, dem nahe gelegenen Kloster in Vicovaro vorzustehen. Benedikt willigte ein und versuchte, das Leben im Kloster neu zu ordnen. Dabei stieß er auf großen Widerstand der
Mönchsgemeinschaft, die sogar versuchte, ihren unbequemen Abt mit vergiftetem Wein
umzubringen. Benedikt kehrte wieder in das Tal von Subiaco zurück und gründete in einem
Gebäude der Nerovilla das Kloster San Clemente sowie zwölf weitere, kleine Klöster - unter
ihnen der als einziges noch heute erhaltene Konvent Santa Scolastica. Der Legende nach
sollen ihn die Intrigen des neidischen Priesters Fiorenzo von Subiaco von dort wieder vertrieben haben.
Benedikt zog nach traditioneller Sichtweise 529 mit einer kleinen Schar treuer Anhänger auf
den 80 km südöstlich gelegenen Monte Cassino und gründete dort das Kloster, das als
Mutterkloster der Benediktiner gilt. Er führte selbst dort die Gemeinschaft. Für sie schrieb er
auch seine berühmte „Regula Benedicti". Benedikt war bei der einheimischen Bevölkerung
sehr beliebt. Er stand den Menschen in Notzeiten bei. Auch von Heilungen, sogar von Totenerweckungen berichten die Legenden. Benedikt gilt als Begründer der organisierten klösterlichen Pflege. In Monte Cassino starb Benedikt schließlich am Gründonnerstag des Jahres
547, dem 21. März, während er am Altar der Klosterkirche betete - der Überlieferung nach
stehend, auf seine Mönche gestützt. Seine Mitbrüder berichteten laut Gregor dem Großen,
sie sahen, wie Engel ihn auf teppichbelegter, lichterfüllter Straße in den Himmel trugen.
Sein Leben wurde um 600 von Papst Gregor dem Großen aufgeschrieben.
Die Benediktinerregel
Benedikt, berühmt wegen seiner Benediktusregel, auf deren Grundlage sich die Benediktiner, Benediktinerinnen und später aus dem Orden hervorgegangenen Reformklöster
(Zisterzienser) gründeten, war vom spätantiken Mönch- und Eremitentum des oströmischen
Reiches inspiriert worden und übertrug Teile dieser Ideen durch seine Regel in den Westen.
Benedikt hat einige Klöster, allerdings keine Ordensgemeinschaft gegründet. Für die verschiedenen Gruppen von Männern, die sich um ihn ansammelten, entwickelte er ein Konzept
von Zucht und Maß:
zölibatäres Leben, einfache Ernährung (auf das Fleisch vierfüßiger Tiere wird verzichtet, maximal eine gekochte Hauptmahlzeit am Tag, Beschränkung des Weinkonsums), feste Zeiten
für Gebet, Lesung, Arbeit und Schlaf. Das Modell des monastischen Lebens für Benedikt war
die Familie mit dem Abt als Vater und den Mönchen als Brüdern.
Benedikt war ein Mitglied der gesellschaftlichen Elite, aber er hielt für sich und für seine
Mönchsgemeinscahft die körperliche Arbeit für wichtig. Dabei ist der irrtümlich oft ihm selbst
zugeschriebene benediktinische Grundsatz „Ora et labora (et lege)" („Bete und arbeite (und
lies)") erst Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen. Benedikt selbst verbindet in seiner
Regel Arbeit mit Lesung (RB 48) und gibt dem Tag eine klare Struktur. Auch im weiteren
Umfeld dieser Ordensgemeinschaften wurde diese Grundhaltung rezipiert und bis heute wird
seine Ordensregel auch als Maßstab für intelligentes Wirtschaften angesehen. Der 1098 in
Cîteaux in Burgund gegründete benediktinische Reformorden der Zisterzienser hat die
körperliche Arbeit und das intelligente Wirtschaften neben dem Gebet noch stärker in den
Mittelpunkt gestellt und so in ganz Europa zur landwirtschaftlichen Erschließung ärmlicher
und abgelegener Gebiete beigetragen.
(Texte nach Wikipedia)
Monte Cassino I
Die Wahl des Monte Cassino für die Mönchsgemeinschaft war kaum zufällig und wurde gewiss nicht von Benedikt allein vorgenommen. Der Monte Cassino hat für Italien große strategische Bedeutung. Er beherrscht die beste Landverbindung zwischen Latium und Kampanien,
d. h. zwischen Nord- und Süditalien. Östlich davon erstrecken sich die unzugänglichen Abruzzen, im Westen verhinderten die malariaverseuchten Sümpfe der Pontinischen Ebene den
Durchmarsch. Noch in den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs wurde die strategische Bedeutung sichtbar. Diese militärisch-politisch wichtige Region war um 530 von einer Bevölkerung
besiedelt, die noch weitgehend heidnischen Kulten huldigte; das Gebiet wurde von dem
nominellen Herrscher, dem Exarchen von Ravenna, und von der Kirche nicht kontrolliert. Die
100
Ansiedlung einer Mönchsgemeinschaft auf dem Monte Cassino, mit dem doppelten Ziel der
Christianisierung der Bevölkerung und der Besetzung eines strategisch wichtigen Postens,
konnte nur im Interesse des Exarchen und des Papstes liegen. Benedikt hat mit seiner Klostergründung gewiss nicht auf eigene Faust gehandelt, zumal undenkbar ist, dass »eine
strategische Position von solcher fundamentaler Bedeutung wie dieser Berg von irgendeinem
Privatmann besetzt werden konnte, wie edle Beweggründe auch immer er haben mochte«
(C. d'Onofrio/C. Pietrangeli).
Zweimal wurde die Abtei zerstört und neu gegründet. 581 eroberte der Langobardenherzog
von Spoleto das Kloster; die Mönche flohen. Erst 718 entstand auf dem Monte Cassino wieder
ein Konvent. Nach einer Blütezeit (787 Erhebung zur Reichsabtei durch Karl den Großen; Ersetzung der einfachen älteren Kirche durch eine dreischiffige Basilika) setzten 883 die Sarazenen dem Klosterleben erneut ein Ende. Die Neugründung fand 950 statt. Im 11. Jh. ließ
Desiderius, der bedeutendste der Äbte von Montecassino und spätere Papst Viktor III., einen
großen romanischen Kirchenbau errichten, der im Grundriss (dreischiffige Basilika mit Atrium,
davor eine säulengeschmückte Vorhalle) Ähnlichkeiten mit dem heutigen Nachfolgerbau aufwies. Zur Weihe des mit Fresken, Mosaiken und Statuen prunkvoll ausgestatteten Gotteshauses 1071 erschienen neben Papst Alexander II. fünf Kardinäle, zehn Erzbischöfe, zweiundvierzig Bischöfe und die Vertreter fast aller Fürsten Italiens – Macht und Ansehen Monte
Cassinos waren auf einem Höhepunkt angelangt.
Christoph Hennig: Latium, S. 219
Die Sarazenen
Zwischen 800 und 1000 hatten die Sarazenen einen großen Einfluss in Süditalien und auch in
Latium. 846 landeten sie in der Tibermündung und plünderten St. Peter und St. Paul, 883 zerstörten sie Monte Cassino, und auch an anderen Stellen gibt es Spuren:
Der Name Saracinesco ist die deutlichste, wenn auch nicht die einzige Erinnerung an die
Sarazenen, die im 9. Jahrhundert Latium ganz beherrschten, Festungen errichteten und sogar
hofften, die grüne Fahne des Propheten auf der Peterskirche in Rom aufpflanzen zu können;
viel hätte nicht gefehlt, und es wäre ihnen gelungen. Eine ihrer Gründungen ist das fast tausend
Meter hoch auf einem Bergkegel liegende Saracinesco.
(Kühner, Latium, S. 149
Der Kirchenstaat
Latium gehörte zum Patrimonium Petri und machte dessen wechselvolle Geschichte mit. Die
Päpste waren die Herren der Kirche, aber auch des Kirchenstaates. Oft hatten sie keine Zeit,
sich um den zu kümmern, sie überließen ihn immer wieder den Kämpfen der Adligen und
verschenkten Besitz an ihre Familienmitglieder. Der Kirchenstaat wurde meistens eher
schlecht regiert. Für die Bevölkerung war es deshalb höchste Zeit, als der Kirchenstaat mit
der italienischen Einigung 1870 endlich endete.
Monte Cassino II
Die Schlacht um Monte Cassino (17. Januar bis 18. Mai 1944) war mit vier Monaten Dauer
eine der längsten und blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges, mit schweren Verlusten auf beiden Seiten. Aus strategischen Gründen waren die deutschen Stellungen hier im
Westen Italiens am stärksten ausgebaut, denn das Vordringen der Alliierten durch das LiriTal in Richtung Rom sollte verhindert werden. Tatsächlich kam deren Vorstoß trotz enormer
Übermacht an Mensch und Material Ende 1943 an der Linie vor Cassino zum Stillstand.
Die Amerikaner bombardierten die deutschen Stellungen und zerstörten dabei das Kloster,
das heute wieder aufgebaut ist. Die Deutschen verloren 20 000, die Alliierten 12 000 Mann.
Bei der Eroberung des Monte Cassino spielte eine polnische Legion eine besondere Rolle.
Die Eroberung von Monte Cassino öffnete den Alliierten den Weg nach Rom.
Literatur:
Bengtson, Römische Geschichte. Beck München 1985.
Hans Kühner: Latium. Land im Schatten Roms. Hegner Köln 1967.
Christoph Hennig: Latium. Das Land um Rom. Dumont Ostfildern 2006
Georg Henke/Franz Schwarz: Latium mit Rom. Handbuch für individuelles Entdecken.
Reise Know-How Bielefeld 2009
101
VHS und DIG
Vortrag 24. Juli 2012
Hansjörg Frommer
32. Geschichte Italiens: Das Hinterland Venedigs
(zur Vorbereitung der Studienreise nach Friaul im September)
1. Römische Spuren – Aquileia
Aquileia wurde 181 a.C. vom römischen Staat als Militärkolonie zum Schutz Italiens von
illyrischen und anderen Fremdvölkern gegründet. Es entwickelte sich zum Handelsstützpunkt, und als im zweiten Jahrhundert der germanische Druck auf die Donaugrenze immer
stärker wurde (Markomannenkriege), hatte Kaiser Marcus Aurelius sein Hauptquartier 168
n.C. in Aquileia. In den Jahrhunderten danach war Aquileia ein strategisch wichtiger Militärund Nachschubplatz. 452 wurde es zum ersten Mal zerstört, von den Hunnen Attilas.
Aquileia wurde auch früh christianisiert, der Legende nach vom Evangelisten Markus im Auftrag von Petrus. Es gab eine frühe christliche Gemeinde, die einen hohen Stellenwert hatte.
Der Bischof der Stadt war einer der wenigen frühchristlichen Patriarchen des lateinischen
Christentums, im fünften Jahrhundert in Konkurrenz zu Rom.
Entsprechen hat Aquileia eine große lateinische Tradition im Boden, und überall stößt man
auf römische und frühchristliche Reste, die zum Teil als Freilichtmuseum und zum Teil in
Museen zu besichtigen sind.
Innenraum des Doms von
Aquileia mit FußbodenmosaikenI
Schon früh wurde von Aquileia aus ein Hafen an der
Adria mit Stufen in Stein
angelegt, - gradus – das
spätere Grado, Flucht und
Rückzugsort der Bürger von
Aquileia und des Patriarchen, zum ersten Mal nach
der Eroberung durch die
Hunnen. Sie kehrten zurück
und bauten Aquileia und den
Dom wieder auf. Aber bei
den ständigen Wanderzügen
und Plünderungen blieben
sie schließlich nicht in Aquileia, sondern zogen sich ins
sicherere Grado zurück, der
Patriarch baute sich einen
Dom in Grado und wurde
zum Patriarchen von Grado,
bis 1451 Grado mit Venedig
zusammengelegt wurde und
der Titel als Ehrentitel an
den Bischof von Venedig
fiel, der ihn bis heute trägt.
Auch San Marco, der
Gründer des christlichen
Aquileia, ist in Venedig
präsent: 828 wurde sein
Körper aus Alexandria nach
Venedig entführt. Venedig
war der Erbe von Aquileia.
102
2. Cividale del Friuli und die langobardische Landnahme
Aquileia war als Grenzstation gegen die Illyrer gegründet worden und später im römischen
Kaiserreich an der Nahtstelle zwischen dem östlichen und dem westlichen Reichsteil
gelegen. Eine weitere römische Gründung war Forum Julii, von Caesar als Statthalter der
Provinz Gallia Cisalpina 50 a.C. errichtet, in der Kaiserzeit von geringer Bedeutung. Am
Ende der Kaiserzeit gehörten Aquileia und Forum Julii zum Ostgotenreich, und danach zu
Byzanz. Aber 568 drangen die germanischen Langobarden mit dem ganzen Volk, mit Frauen
und Kindern, Ochsenkarren und Rinderherden von Ungarn und Serbien her durch Slowenien
über den Birnbaumer Wald nach Italien. Das erste Herzogtum, das der langobardische König
Alboin auf italienischem Boden einrichtete, war Forum Julii – Friaul. Er gab es an seinen
Gefolgsmann und Neffen Gisulf. (Die Langobarden. Das Ende der Völkerwanderung. Katalog
zur Ausstellung im Rheinischen Landsemuseum Bonn 2008/2009).
Die Karte der langobardischen Gräberfunde zeigt die dichte Besiedlung von Friaul
Von dieser dichten langobardischen Besiedlung finden sich in Cividale noch bedeutende
Reste dieses frühen langobardischen Herzogsvorortes, zum Teil im Museum, aber auch im
tempietto longobardo, dem Oratorium Santa Maria in Valle aus dem 8. Jahrhundert.
103
Das langobardische Herzogtum Friaul spielte in der
langobardischen Geschichte immer wieder eine bedeutende Rolle. Um 610 wurde Cividale von den Awaren
geplündert, und ihr Herzog Gisulf II. fiel im Kampf. Angeblich hatte seine Frau Romhild den Awaren die Tore
geöffnet. Der berühmte langobardische Geschichtsschreiber Paulus Diaconus (725–799) stammt aus Cividale, und
744 wurde Herzog Ratchis von Friaul König der
Langobarden. Nachdem Karl der Große das Königreich
der Langobarden übernommen hatte, setzte er Hrodgaud
zum Herzog ein. Dieser rebellierte 776 und wurde
abgesetzt, das bisherige Herzogtum als Mark Fraul ins
Frankenreich eingegliedert. Karls Sohn Pippin führte von
Friaul aus Krieg gegen Byzanz und eroberte Istrien. Aber
dann anerkannte Byzanz das Kaisertum Karls des Goßen,
und die alte Grenze wurde wiederhergestellt. Um 900
gehörte Friaul zum Patriarchat von Aquileia, 962 wurde es
an die Markgrafschaft Verona angegliedert, also eine frühe
und geheimnisvolle Verbindung zu Baden.
Paulus Diaconus
Aus der Romanisierung der Langobarden und der Vermischung der Völker entstand eine
eigene alpenromanische Sprache, das Furlanische oder Friaulische, nicht nur ein Dialekt des
Italienischen, sondern eine eigene romanische Sprache mit Beziehungen zum Ladinischen
und zum Raetoromanischen und mit deutlichen germanischen Einflüssen, eine Sprache, die
noch heute von über einer halben Million Menschen gesprochen wird und als Amts- und
Schulsprache anerkannt ist. (Fausto Zof: Gramatiche pratiche de lenghe furlano, 2002).
3. Die Terra ferma und das Veneto
Im italienisch-deutschen Kaiserreich war Verona ein bedeutendes Territorium gewesen.
Noch 1268 reiste Rudolf von Habsburg mit dem jungen Konradin bis Verona, bevor er zu
seinen Aufgaben nach Deutschland zurückkehrte. Im 14. Jahrhundert hatte das Reich in
Norditalien noch die formelle Oberherrschaft, aber es bildeten sich neue Staaten und Machtkonstellationen. Venedig erwarb 1337 Mestre auf dem Festland, nachdem es sich vorher in
Italien isoliert und seine Mittelmeerbeziehungen gepflegt hatte. 1377 versuchten sich die
Gegner Venedigs in Chioggia festzuzsetzen, aber 1379 gelang es den Venezianern, im
Chioggia-Krieg, die Gegner zu vertreiben und in den folgenden Jahrzehnten ein ansehnliches Territorim zu erwerben und zu verteidigen, die terra ferma, das Veneto, und es in
Kriegen mit dem Mailand der Visconti, mit Kaiser Siegismund, der zugleich König von
Ungarn war, und mit anderen wie den Scaligern in Verona auszudehnen und zu festigen.
Während der Kriege mit Sigismund wurde Friaul 1426 mit dem Patriarchat von Aquileia
venezianisch. 1437 anerkannte Kaiser Siegismund die terra ferma als Reichslehen. Sie
wurde sehr systematisch erobert und unter venezianische Verwaltung gestellt.
Die Karte Italien um 1380 zeigt, wie Venedig seinen Besitz nach 1400 ausdehnt
104
Die vorhandenen Adelsstrukturen blieben meist erhalten, aber sie wurden von Provveditori
überwacht und die oberen Beamten waren Venezianer. Die Steuerbelastung war erheblich,
und Venedig investierte nicht genug in die Infrastruktur. Seit dem 16. Jahrhundert engagierten sich reiche Venezianer privat in der Landwirtschaft und beuteten die terra ferma aus. Ob
mit dem Erwerb der terra ferma eine Schwächung der venezianischen Seemacht einherging,
ist bis heute umstritten.
Der Palazzo Pretorio oder Palazzo dei Provveditori Veneti in Cividale wurde nach 1565
angeblich nach enem Entwurf von Palladio erbaut. In Udine, das unter den deutschen Kaisern und Fürsten zur bedeutendsten Stadt in Friaul anwuchs, wurde das Rathaus, die Loggia
del Lionello, um 1450 in venezianischer Gotik erbaut. Die terra ferma blieb venezianisch bis
zur Zeit Napoleons, Friaul war also über 350 Jahre eine von Venedig geführte Provinz.
Eine besondere Aufgabe war in der frühen Neuzeit der Schutz der Ostgrenze vor türkischen
Angriffen, Überfällen und Eroberungszügen. Dazu gehört der Festungsbau von Palmanova.
Er wurde seit 1593 nach einem genauen geometrischen Plan errichtet und sollte zunächst
gegen die Türken genutzt werden. Später diente die Festung zum Schutz der Grenze gegen
die Habsburger in der Grafschaft Görz, aber sie errang nie die Bedeutung, die ihr bei der
Planung und beim Bau ausgerechnet worden war. Sie ist ein Wunder der modernen Festungsbaukunst, der wir bei uns fast 100 Jahre später die Vauban-Festungen (Neuf-Brisach)
verdanken, und sie zeigt uns, wo Vauban seine Ideen und Grundsätze her hatte.
Der Grundriss (hier nach einem Stich des 17. Jahrhunderts) ist ein neunzackiger Stern, die
Straßen sind radial angelegt mit einem großen Platz in der Mitte. Von außen her ist eine
äußere Mauer, über die man hinwegschießen kann, ein Graben und dann die eigentliche
Befestigung mit den 9 Vorwerken, um das Vorland und den Graben beschießen zu können.
Zwischen den Radialstraßen sind Verbindungsstraßen, die das Neun-Eck wiederholen und
Kasernen wie Bürgerhäuser und Lagerhäuser umschließen. Palmanova ist eine großartige
militärische Planung, die aber ihr Ziel, den großen Aufmarsch gegen die Türken verfehlte.
105
4. Die Grafschaft Görz - Gorizia
Das Gebiet weiter östlich, die Grafschaft Görz und das östliche Friaul, fielen nach dem Ende
des Patriarchats Aquileia 1437 um 1500 an Maximilian von Habsburg. Für die Habsburger
hatten Görz und Triest mehrere wichtige Funktionen. Sie hielten den Weg zur Adria offen
und waren damit auch Vorposten und Aufmarschgebiet in einem möglichen Krieg gegen
Venedig. Sie waren aber auch österreichisches Aufmarschgebiet in einem Türkenkrieg, der
mit Unterbrechungen von Skanderbeg (gestorben 1468) bis zum Prinzen Eugen (gestorben
1736) um den westlichen Balkan geführt wurde, von Albanien bis Ungarn, und in dem es
zuerst um Schutz und Verteidigung ging, dann um den status quo und seit dem Türkenlouis
und Prinz Eugen um ein roll back, das Zurückdrängen der Türken.
1508 drangen venezianische Truppen zum ersten Mal nach Görz vor und nahmen die alte
Festung der Grafen von Görz ein, aber nach 14 Monaten wurde Görz wieder österreichisch.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bevorzugten die Habsburger die Jesuiten für
Kirche und Schule, ihre Spuren sind in Görtz überall zu finden, aber die Jesuiten bevorzugten und förderten in Kirche und Schule das Italienische und trugen so zur Dreisprachigkeit
bei. Görz entwickelte sich in der frühen Neuzeit zu einer blühenden Stadt, die im äußeren
Erscheinungsbild dem österreichischen Mutterland viel verdankt, aber innerlich dieser eigenartigen kulturellen Zwitterstellung (mit dreisprachigen Ortsnamen) verpflichtet blieb. Das
italienische Risorgimento blieb nicht ohne Auswirkung, und als das neue österreichische
Schulgesetz von 1908 den muttersprachlichen Unterricht garantierte, entschieden sich die
meisten für Italienisch. Nach den unsinnigen Leiden des Ersten Weltkriegs, den zwölf
Isonzoschlachten zwischen 1915 und 1918, wurde im Pariser Friedenskongress im Frieden
von St. Germain mit Österreich entschieden, dass Trient und Triest, das Trentino mit Südtirol
und Triest mit Görz als Gorizia zu Italien kommen sollten, das Grenzland Slowenien zu
Serbien – Jugoslawien. Fiume und Istrien blieben umstritten.
106
5. Das österreichische Venetien
Bis zu den Feldzügen Napoleons waren das Veneto und Friaul unter der Herrschaft Venedigs, das aber im 18. Jahrhundert zu keinen Reformen mehr fähig war. Im Frieden von
Campo Formio 1797 und Lunéville 1801 musste Österreich die Lombardei abtreten und
erhielt dafür Venedig und Venetien, mit der Grenze am Adige. Von 1805 an gehörte Venetien
und Friaul zum (napoleonischen) Königreich Italien, Napoleons Vertrauter Duroc bekam den
Titel eines Herzogs von Friaul, aber beim Wiener Kongress 1814/1815 erhielt Österreich
ganz Norditalien und fasste es in dem neuen von Wien aus regierten Königreich LombardoVenetien zusammen, das militärisch durch Truppen aus den östlichen Reichsteilen (Kroaten
und Ungarn) und durch das Festungsviereck Mantua – Peschiera del Garda – Verona –
Legnago beherrscht wurde. Die Aufstände von 1831 (Carbonara) und 1848/9 wurden niedergeschlagen. Der legendäre Radetzky war von 1831 – 1857 Generalkommandant der
österreichischen Armee und errang die Siege von 1848/9. Aber durch das Risorgimento
wuchs die Sehnsucht nach nationaler Einheit und die Ablehnung der österreichischen
Fremdherrschaft. Nach der Schlacht von Solferino 1859 verlor Österreich die Lombardei und
nach der Niederlage von Königgrätz gegen Preußen 1866 Venetien und Venedig, obwohl der
Admiral Tegetthoff die Seeschlacht von Lissa gegen die italienische Flotte gewann.
Es blieb die Italia Irredenta, das Gebiet um Trient und Triest, von Friaul aus gesehen die
Grafschaft Görz und die Abgrenzung zwischen Italien, Österreich, Slowenien und Kroatien
in einer volksmäßig und sprachlich multikulturellen Landschaft.
6. Das vereinigte Italien und der Erste Weltkrieg
Seit 1866 gehört Friaul zum Königreich Italien und dort zum prosperierenden Norditalien,
aber am Rande. Wirtschaft ist nicht wie in der Lombardei von der Großindustrie geprägt,
sondern von Kleinunternehmen. Weinbau und der Schinken von San Daniele sind wesentliche Exportträger der Landwirtschaft. Auch der Tourismus spielt heute eine große Rolle.
Österreich war im Einigungsprozess der Hauptgegner und im Ersten Weltkrieg der Hauptgrund für den Kriegseintritt Italiens 1915. Italien erklärte nur Österreich den Krieg, aber es
zwang damit den Österreichern einen Zweifrontenkrieg auf, der zum Kriegseintritt Deutschlands führte. Der Krieg fand von 1915 – 1917 in 12 Schlachten am Isonzo statt. Die Österreicher konnten, auch mit deutscher Hilfe, die italienischen Angriffe zurückweisen und nach
der letzten Schlacht sogar bis an den Piave vorrücken, weil sich die italienische Armee
weitgehend auflöste. Die Verluste (zwischen 15 000 und 170 000 pro Schlacht für die
Italiener, ähnlich für die Österreicher) wurden potenziert durch Krankheiten, vor allem die
Ruhr, und auch durch die Auflösungserscheinungen bei beiden Armeen. Eine Offensive über
den Piave im Juni 1918 gelang den Österreichern nicht, und eine alliierte Offensive führte im
Oktober 1918 zum Zusammenbruch der Front und zur Niederlage Österreichs.
Nach dem Krieg gehörte Italien zu den Siegermächten, und der italienische Ministerpräsident
Orlando war einer der Großen Vier beim Friedenskongress in Paris. Italien konnte in Südtirol,
im Kanaltal zwischen Goricia und Österreich österreichische Minderheiten und bei Triest
slowenische Minderheiten dazu gewinnen. Mussolini versuchte ihnen gegenüber eine
massive Italianisierungspolitik.
Im zweiten Weltkrieg gehörte Italien zu den Verlierern. Die Sieger entschieden, aus Triest
eine besondere internationale Zone zu machen, das Freie Terrritorium Triest (1947 – 1954).
Als das auch wegen des Ost-West-Konfliktes nicht funktionierte, kamen die Mächte überein,
Triest und die Zone A an Italien und die Zone B an Jugoslawien zu übergeben mit der Verpflichtung zum Minderheitenschutz. Deshalb wurde 1963 die Autonome Region Friaul –
Julisch Venetien gegründet, die auch diesen Minderheitenschutz verwirklichen sollte und für
die Region vier Sprachen zugelassen hat, auch als Schulsprachen: Italienisch, Furlanisch,
Slowenisch und Deutsch. Hauptstadt der Region ist Triest. Die Region ist gegliedert in vier
Provinzen, Pordenone und Udine in Friaul, Goricia und Triest. In Udine, Goricia und Triest
gibt es anerkannte slowenische Minderheiten.
Das Ende des Ost-West-Konfliktes gibt der Ostgrenze Italiens und der Hafenstadt Triest
ganz neue Entwicklungsmöglichkeiten.
107
Viersprachenstein des Regionalrats von Friaul – Julich Venetien in Triest
108
DIG Karlsruhe
Vortrag 23. Juli 2013
Hansjörg Frommer
32. Geschichte Italiens: Die Marken
(zur Vorbereitung der Studienreise in die Marken)
Italiker und Etrusker um 500
1.Italiker, römische Bundesgenossen, Römer
Italien war um 500 geteilt in das Siedlungs- und Herrschaftsgebiet der Etrusker und in das der Italiker, in
verschiedene Stämme aufgeteilt, im Osten an der Adria
die Picenter. Dazu kamen griechische Städte an der
Küste, vor allem das 387 von Syrakus aus gegründete
dorische Ancona. Das Land wurde in verschiedenen
Kriegen von Rom unterworfen (der Hafen von Ancona im
3. Illyrischen Krieg 178 als Zugang nach Dalmatien) und
die Bewohner wurden „Bundesgenossen“ der Römer,
aber tatsächlich ziemlich rechtlose Untertanen. Rom
beanspruchte viel Land als „ager publicus“ für öffentliche
Aufgaben, aber tatsächlich vor allem als faktischen Großgrundbesitz für die Senatoren. Dafür wurde 287 die römische Kolonie Sena Gallica, heute Senigallia gegründet.
Im Tal des Metaurus schlugen die Römer 207 den Hannibalbruder Hasdrubal. Die „Bundesgenossen“ wehrten
sich gegen die Unterdrückung und wollten Gleichberechtigung. Aber die Versuche der Gracchen und des Livius
Drusus (91 a. C. vom Senat ermordet) scheiterten, und
es kam deswege zum „Bundesgenossenkrieg“ 91-89, den
der römische Aristokrat Lucius Cornelius Sulla erbarmungslos niederschlug. Sein grausamer und korrupter
Feldherr für das Picenum war Gnaeus Pompeius Strabo
aus einer romanisierten picenischen Adelsfamilie, dessen
Vater schon römischer Magistrat gewesen war.
Der Bundesgenossenkrieg führte nach der blutigen Niederschlagung zur Übertragung des römischen Bürgerrechts auf die früheren Bundesgenossen und damit zur
allmählichen Gleichberechtigung.
Der Sohn Gnaeus Pompeius Magnus wurde zum berühmtesten Feldherrn und Gegenspieler Cäsars.
Ager Romanus um 218
2. Die römische Kaiserzeit
Unter Augustus wurde Italien neu gegliedert und in 11
Regionen eingeteilt. Die fünfte Region war Picenum, die
sechste Umbrien. Die alte Hauptstadt der Picener war
Asculum, heute Ascoli Piceno, das aber schon von
Pompeius Strabo ausgeplündert und zerstört worden war.
Eine wichtige römische Siedlung ist das 124 a. C. von
Gaius Grachus gegründete Forum Sempronii, heute
Fossombrone, dessen römische Vergangenheit aber in
den Langobardenkriegen weitgehend zerstört wurde.
Die wichtigste Stadt blieb jedoch die Hafenstadt Ancona,
über die die kürzeste Verbindung nach Illyrien-Dalmatien
lief (heute noch ein wichtiger Fährhafen). Von Kaiser
Trajan wurde deshalb der Hafen erheblich ausgebaut,
und daran erinnert bis heute der 115 n. Chr. erbaute
Mittelitalien zur Zeit des Augustus kolossale Thriumphbogen. Die römische Vergangenheit
ist in den Marken nicht mehr sehr präsent.
109
3. Völkerwanderungszeit, Langobarden und Exarchat
Im 3. Jahrhundert kam das Christentum von Griechenland über die Adria, so der sagenhafte
San Leo. Als im fünften Jahrhundert die Germanen nach Italien vorstießen, war das Land
völlig christianisiert. Um 500 gehörte es zum Gotenreich Theoderichs, das von Ravenna aus
regiert wurde. Nach dem langen „Kampf um Rom“ 535-552 wurde Italien byzantinisch, aber
schon 568 drangen die Langobarden über die Ostalpen nach Italien vor, konnten aber nur
den Norden erobern. Mittelitalien blieb byzantinisch und wurde als Exarchat von Ravenna
aus regiert. Aber das Exarchat wurde für Byzanz immer unwichtiger, der Druck der Langobarden wurde größer, und der Papst wurde immer mehr zur eigentlichen Autorität. 751
wurde Ravenna von den Langobarden erobert, und der Papst rief gegen die Langobarden
den fränkischen König Pippin um Hilfe. Der übergab in der Pippin‘schen Schenkung dem
Papst das Exarchat, den späteren Kirchenstaat. Sein Sohn Karl wiederholte die Schenkung,
aber er wurde dafür 800 vom Papst zum Kaiser gekrönt und war damit auch oberste Autorität
im Kirchenstaat. In den karolingischen Erbauseinandersetzungen stieg Herzog Wido von
Spoleto sogar 891 zum vom Papst gekrönten Kaiser auf, konnte sich aber nicht durchsetzen
4.Die konstantinische Schenkung
Die Päpste benutzten zur Unterstützung ihrer Ansprüche eine vermutlich im achten Jahrhundert gefäschte Urkunde, nach der Kaiser Konstantin dem
Papst Silvester, der ihn vor dem Auzssatz gerettet
hatte, ganz Italien als eigene Herrschaft überließ. Die
Gültigkeizt der Urkunde wurde nie angezweifelt, aber
die fränkischen Könige überließen dem Papst nur den
Exarchat und beanspruchten als Kaiser die Oberherrschaft. Die Urkunde wurde erst im fünfzehnten Jahrhundert von Lorenzo di Valla und Nikolaus von Cues
als Fälschung enttarnt.
Süditalien war eine Art Niemandsland, von Byzanz wie
von den Westkaisern beansprucht, weitgehend sarazenisch beherrscht, seit 1030 von normannischen
Adligen erobert (Robert Guiskard), die unter dem
großen Grafen Roger auch Sizilien zurückeroberten.
Sein Sohn Roger II. brachte Süditalien und Sizilien
unter seine einheitliche Herrschaft und erreichte 1130
die Anerkennung als König durch den Papst, der sich
damit über die Reichsansprüche wegsetzte und einen
wertvollen Verbündeten im Kampf gegen die salischen
Kaiser gewann.
Mittelitalien um 1300
5. Die ostfränkisch-deutschen Kaiser
Der ostfränkische König Otto übernahm 951 das lombardische Königreich (Nord-)Italien und
wurde 962 in Rom zum Kaiser gekrönt. Er erneuerte die karolingischen Schenkungen (Ottonianum), beanspruchte aber als Kaiser die oberste Autorität. Gegen das unsichere Süditalien richtete er drei Grenzbezirke ein, die Marken von Camerino, Fermo und Ancona, die
dann in der einen Marc Ancona aufgingen und von denen der Name Marken herrührt.
In der Zeit der Salier und Staufer war das Gebiet des Kirchenstaats zwischen Kaiser und
Papst umstritten, aber unter Barbarossa und Heinrich VI. war es weit mehr Kaiserland, der
Kaiser verlieh die Lehen an Italiener oder Deutsche, so das Herzogtum Spoleto an den Ritter
Konrad von Urslingen (Irslingen bei Rottweil). Friedrich II. wurde 1194 in Jesi in den Marken
geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Foligno im Herzogtum Spoleto. Nach
dem Tod Heinrichs VI. und während des langen Thronstreits von 1197 – 1208 konnte der
Papst Innozenz III. seine Herrschaft im Kirchenstaat festigen, aber Friedrich II. brauchte die
Marken als Brücke zwischen Reichsitalien und dem normannischen Königreich. So regierte
er dort und ernannte er zum Beispiel 1213 den ersten Montefeltre zum Herzog von Urbino.
110
6.Signorien und Städte im spätmittelalterlichen Kirchenstaat
Natürlich versuchten die Päpste, nach dem Ende der Staufer ihre Herrschaft im Kirchenstaat
zu festigen, aber ihre Gegner waren Städte und Territorien, die möglichst unabhängig bleiben wollten. Daher kommt die politische Kleinteiligkeit in den Marken, die vielen befestigten
Städte (wie Mondavio) und Herrensitze. Die päpstliche Zentralverwaltung hatte vor allem
gegen die überall um sich greifenden Herrengeschlechter, die Signorie, zu kämpfen, so die
Este in Ferrara, die Montefeltre in Urbino, die Malatesta seit 1280 in Rimini:
Was die Wendung zur Signorie aber für die Kurie zu bedeuten hatte, sollte sich schnell genug zeigen. Bereits zu Anfang der achtziger Jahre, als der Franzose Martin IV. die Tiara trug
und eine Reihe kirchenstaatlicher Ämter in französischen Händen lag, erhebt sich die ganze
Romagna sowie der nördliche Teil der Mark Ancona in einem mächtigen Aufstand, dessen
Seele und Anführer der berühmte Kriegsheld Guido von Montefeltre war.
(Michael Seidelmayer, Geschichte Italiens, Kröner Stuttgart 1962, S. 201)
Der Umzug der Päpste nach Avignon 1309 verstärkte diese Tendenz der Signorien zur
Selbstständigkeit, und für den Kirchenstaat ist auf dem Weg zur Renaissance das Nebeneinander von Herrengeschlechtern und päpstlichem Herrschaftsanspruch typisch.
Mondavio erbaut von Francesco di Giorgio Martini. Zeichnung von 1626
Mondavio präsentiert mit seiner zwischen dem 1482 und 1489 erbauten Rocca Roveresca
ein Paradebeisdpiel für Francesco di Giorgio Martinis Militärarchitektur, zumal dieses
Festungsexemplar in seiner langen Geschichte von Feuersbrünsten und Bombenschäden
verschont geblieben war. (Dumont Reise-Taschenbuch Marken 2010, S. 157)
Francesco di Giorgio Martini (1439 – 1501) war in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
als umfassender Renaissancekünstler in Nord- und Mittelitalien tätig, als Festungsbaumeister, Erfinder der Minen, Schriftsteller (Trattato di architettura civile e militare) und
Architekt (Modell für die Kuppel des Mailänder Doms).
111
7. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino (1422 – 1482)
Federico wurde 1422 in eine Verbindung seines Vaters mit einer Hofdame seiner Gemahlin
geboren und 1424 legitimiert. Als er 1444 als Nachfolger seines ermordeten Halbbruders
Herr von Urbino wurde, hatte er schon aus eigener Kraft einigen Besitz erworben und war
ein bekannter Condottiere geworden. In den Kämpfen war ihm die Nase gebrochen worden
und er hatte das rechte Auge verloren. Auch als Herr von Urbino setzte Federico seine
Karriere als Condottiere und Söldnerführer erfolgreich fort, für Neapel, Florenz und den
Papst, in einer Zeit, als Italien nach dem Frieden von Lodi nach einem inneren Gleichgewicht
suchte. 1473 erhob der Papst Urbino zum Herzogtum. Federico vertrieb die Malatesta aus
Rimini und war auch Graf von Ancona, er beherrschte die Marken.
Federico verdiente mit seiner Auftragskriegsführung viel Geld, und das investierte er in den
kulturellern und künstlerischen Ausbau seiner Hauptstadt Urbino, die sich unter ihm zu einer
der bedeutendsten Renaissance-Residenzen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
entwickelte. Dazu gehört vor allem der herzogliche Palast. Dort wollte Federico die größte
Bibliothek Italiens nach der des Vatikan haben, und Bücher waren für ihn keine Druckware,
sondern individuelle Handschriften, die er von Kopisten in einer eigenen Werkstatt anfertigen
ließ. Die Handschriften kamen später in den Besitz des Vatikans und gehören heute mit der
Palatina aus Heidelberg zu den wertvollsten Schätzen der dortigen Bibliothek. Im Herzogspalast können sie nur noch virtuell gezeigt werden. Aber auch mit Kunst und Luxus wurde
der Palast reich ausgestattet, und Federico war ein großer Förderer und Mäzen. Er starb
1482, und im folgenden Jahr wurde in Urbino Raffael als Sohn eines Hofmalers des Montefeltro geboren. Federicos Nachfolger wurde sein Sohn Guidobaldo, der wie sein Vater ein
großer Mäzen und Förderer war, aber kränklich und kein Politiker und Condottiere.
Battista Sforza und Federigo da Montefeltre
Doppelportrait von Piero della Francesca 1465
112
8. Cesare Borgia als Herzog der Romagna (1499 – 1503)
1492 wurde Rodrigo Borgia zum Papst Alexander VI. gewählt, und seit 1499 unterstütze er
die Bemühungen seines Sohnes Cesare, sich mit allen Mitteln ein mittelitalienisches Reich
zu verschaffen. Er ernannte ihn zum Herzog der Romagna und überließ ihm weite Gebiete
des Kirchenstaates. Der Florentiner Macchiavelli, der dies aus nächster Nähe verfolgen
konnte, hat dem <politischen Genie Cesare> in seiner Schrift „Il Principe“ ein literarisches
Denkmal gesetzt. Cesare vertrieb seit 1499 die Malatesta aus Rimini und eroberte Pesara,
Forli und Imola. Sein Ziel war ein mittelitalienisches Königreich, aber er vergrößerte seinen
Besitz im Auftrag des Papstes. 1502 nahm er San Leo ein, verdrängte Guidobaldo und
übernahm Urbino. Um die Marken
ganz unter seine Kontrolle zu
bekommen, lud er seine übrigen
Gegner am 31. Dezember 1502 zu
Gesprächen nach Senigallia und ließ
sie dort alle ermorden, unter anderem
mehrere Orsini. Damit beherrschte
Cesare die Romagna, die Marken,
Umbrien und Latium. Die Borgia
versuchten jetzt, das Erreichte zu
stabilisieren und abzusichern. Es gab
Verhandlungen mit Frankreich, mit
Spanien und mit den überlebenden
Orsini, die einen Teil ihres Landes in
der Campagna zurück erhielten. Aber
im August starb der Papst plötzlich,
und auch Cesare wurde schwer
krank, und als er nach vier Wochen
wieder aktiv wurde, war der ganze
Besitz neu verteilt oder an die alten
Eigentümer zurückgegeben. Cesare
musste aus Italien fliehen und ging
nach Spanien, wo er 1507 als königlicher Soldat ums Leben kam.
Der gewalttätige Versuch Cesares,
Mittelitalien zu einen und davon ausgehend für Italien eine neue politische Form zu finden, wurde von
Macchiavelli in seiner ganzen GeniaPortrait of Cesare Borgia in the Palazzo Venezia in Rome
lität erkannt und gewürdigt.
9. Die Marken im Kirchenstaat
Guidobaldo wurde wieder Herzog von Urbino und adoptierte einen Neffen des neuen Pastes
Julius II., Francesco Rovere als Nachfolger, der 1508 Herzog wurde. Als die Rovere 1631
ausstarben, fiel das Herzogtum direkt an den Kirchenstaat (wie Ancona schon 1532). Die
Päpste standen unter spanisch-gegenreformatorischem Einfluss und unterdrückten alle
Modernisierungsbestrebungen. Schätze wie die Bibliothek Federicos wurden nach Rom gebracht, und das Land wurde systematisch ausgeplündert. Erst unter Papst Clemens XI., der
1649 in Urbino geboren und 1700 zum Papst gewählt wurde, gab es Verbesserungen, neue
Kirchen, Straßen, Neubauten. Unter Clemens XII. wurde Ancona 1732 zum Freihafen und
nahm einen gewissen Aufschwung. Aber insgesamt war die reaktionäre und zentralistische
Politik im Kirchenstaat für die eigene Entwicklung der Marken eine Katastrophe.
Als Italien durch Napoleon „befreit“ wurde, lernten die Marken eine moderne Gesetzgebung
kennen, und als nach 1815 der Kirchenstaat restauriert und dann immer reaktionärer wurde,
schlossen sich die Bewohner der Marken den Ideen der Einheitsbewegung an. 1849 wurde
das Land deshalb von österreichischen Truppen besetzt und zur kirchenstaatlichen „Räson“
gebracht. Aber 1859/60 schloss es sich begeistert dem neuen Königreich Italien an.
113
10. Die Marken im neuen Italien seit 1860
Die Hauptstadt wurde 1860 von Turin nach Florenz und 1870 nach Rom verlegt. Das Königreich entwickelte sich wirtschaftlich sehr intensiv, etwa durch den Eisenbahnbau, aber vom
Norden nach Süden. Der Norden industrialisierte sich, die Hauptstadt Rom wurde bürokratischer Mittelpunkt, aber in Mittel- und Süditalien gab es große soziale Spannungen und viel
Auswanderung, etwa nach Frankreich und Deutschland, aber vor allem in die USA.
Cenerontola – Aschenbrödel – so nannte ich einmal die Marken im Gespräch mit einem
Kenner. Er nickte heftig und setzte mir auseinander, le Marche seien das Tertia Italia, das
dritte Italien, das sich selbt überlassen sei. Der industrialisierte Norden könne sich allein
helfen, und der Süden, das Mezzogiorno, erhalte Hilfe vom Staat. Was in der Mitte liegt,
Latium, Umbrien, die Toskana, die Emilia und die Marken, sei von der Welt vergessen. Er
meinte, man müsse sich eben selber helfen, und das habe auch seine Vorteile.
(Karl Heinz Ritschel: Le Marche – Unbekanntes Italien. Zsolnay Wien 1974, S. 13)
11. Die Republik von San Marino
San Marino soll angeblich von dem Steinmetzen
Marinus gegründet worden sein, als er 301 vor der
Christenverfolgung unter Diokletian floh. Aber erst
um 1200 wuchs eine Stadtgemeinde mit Selbstverwaltung heran, die auch das Umland in Besitz
nahm. Seit 1243 werden zwei gleichberechtigte
capitani reggenti für sechs Monate als gleichberechtigtes Staatsoberhaupt gewählt. 1295 wurden
die Stadtrechte aufgezeichnet und in der folgenden Zeit verfeinert und weiterentwickelt. So gab es
schon früh Regelungen über Abwasser und
Abfälle.
San Marino liegt am Nordrand der Marken
westlich von Rimini und konnte seine Unabhängigkeit und Selbstständigkerit immer behaupten,
auch wenn der Papst, die Malatesta oder Cesare
Borgia es unter ihre Herrschaft zwingen wollten.
Als der Kirchenstaat im 19. Jahrhundert immer
reaktionärer wurde und die Menschen wegen der
politischen Entrechtung auf die italienische Einheit
hofften, wurde San Marino Zufluchtsort, hielt sich aber politisch zurück. Die Republik schloss
sich dem neuen Königreich Italien nicht an, sondern blieb selbstständig. 1862 wurde ein
Vertrag mit der italienischen Regierung abgeschlossen, der das gegenseitige Verhältnis auf
der Basis gleichberechtigter Partnerschaft festschrieb.
San Marino hat 32.471 Einwohner (Stand 31. Dezember 2012). Davon leben in der
Hauptstadt San Marino 4.214. Die größte Siedlung ist Serravalla mit 10.571 Einwohnern. In
Borgo Maggiore leben 6.609, in Domagnano 3.256, in Fiorentino 2.548, in Acquaviva 2.096,
in Faetano 1.180, in Chiesanuovo 1.087 und in Montegiardino 910 Personen. Weiterhin
leben 12.800 Staatsbürger im Ausland, vor allem in Italien, den USA, Frankreich und
Argentinien. (Wikipedia)
San Marino hat den Euro, ist aber nicht Mitglied der EU. Es hat eigenen Rundfunk und
Fernsehen. Katholisch ist Staatsreligion, Neutralität Staatsräson. Der Staat ist schuldenfrei,
die Steuern sind sehr niedrig. Früher war San Marino ein Agrarland mit Oliven und Wein,
heute ist der Tourismus mit 2 Millionen Besuchern im Jahr Haupteinnehmequelle
(vermutlich auch Steueroase, denn der Dienstleistungssektor ist mit 52% sehr hoch).
San Marino hat ein eigenes Parlament, eigene Gerichtsbarkeit und konsularische Beziehungen mit über 60 Lädern. Es ist Mitglied in der UNO und im Europarat, hat eine eigene
Fussball-Liga und nimmt am Europa-Cup teil.
114
DIG Karlsruhe
Dezember 2013
Hansjörg Frommer
33. Geschichte Italiens: Der Kirchenstaat
1.Langobardeneinbruch, Exarchat, Gregor der Große, Pippinsche Schenkung
Zwischen 535 und 555 eroberte Byzanz in einem zwanzigjährigen Krieg Italien von den
Ostgoten, und danach regierte der Vertreter des Kaisers als Exarch von Ravenna aus die
Präfektur Italien. Aber schon 568 brachen die Langobarden vom Plattensee und Ljubljana
aus nach Italien ein und wollten Italien vom Norden her erobern, doch der Exarch konnte
Rom und Ravenna halten, und so entstand eine Militärgrenze quer durch Italien. Doch bald
entstanden südlich davon die langobardisches Herzogtümer Spoleto und Benevent, und
dann breiteten sich in Süditalien die Sarazenen aus, und der Exarchat blieb als Riegel mit
einer sehr schmalen Mitte bei Perugia übrig. Der Exarch saß in Ravenna und hatte sich
immer wieder gegen langobardische Angriffe zu wehren, und im Land bildeten sich neue
Verwaltungs- und Wehr-bezirke unter einem Dux. Das galt besonders für den römischen
Bezirk, den Ducatus Roma-nus, und in dem spielte der Papst als Autorität eine immer
größere Rolle, aber nie als Dux. Das gilt insbesondere für Gregor den Großen, Papst von
590 bis 604, aus einer römischen Senatorenfamilie stammend, der 593 gegen den Willen
des oströmischen Kaisers einen Friedensvertrag mit den Langobarden aushandelte und die
Getreideversorgung und die Armenfürsorge in Rom organisierte, beides eigentlich
kaiserliche Aufgaben. Auch organisierte er die Kirche in Italien neu (in Sardienien empfahl er
Zwangsmaßnahmen gegen hartnäckige Heiden) und schickte eine Mission zu den
Angelsachsen, und sein Legat Augustinus wurde der erste Bischof von Canterbury.
Nach dem Vordringen des Islam (Palästina und Syrien 636, Ägypten und Nordafrika 645,
Belagerung von Byzanz 674 und 718, Spanien 711, Sizilien und Süditalien 8. Jahrhundert)
kämpfte Byzanz gegen die islamische Expansion und der Exarchat verlor weiter an Wichtigkeit. Dazu kam der Ikonoklasmusstreit. Die Kaiser waren gegen die Bilderverehrung und
setzten ihr Verbot in der Kirche durch, und nur der Papst stellte sich offen gegen diesen
Bildersturm. Die Langobarden wollten die Gelegenheit nutzen und Ravenna (die Hauptstadt
des Reiches seit 425 und der Präfektur Italien unter Theoderich) endlich erobern. Um 725
eroberte der bedeutende Langobardenkönig Liutprand Ravenna und beanspruchte die
Herrschaft über ganz Italien. In dem Zusammenhang übergab er 728 die Ortschaft Sutri als
Besitz an den Papst, das gilt als Anfang des Kirchenstaates. Liutprand zog 742 vor Rom,
Atlas des Bayrischen Schulbuchverlags, Band Mittelalter, Karte 88 b/c
115
aber der neugewählte Papst Zacharias konnte ihn zu einem Friedensvertrag überreden, der
die Selbstständigkeit des römischen Dukats anerkannte und dem Papst einen großen Teil
der zum Kaiser gehörenden Eroberungen übertrug. Bei einer weiteren Unterredung konnte
der Papst in Pavia Liutprand davon überzeugen, dass er alle kaiserlichen Gebiete über den
Papst an den Kaiser zurückgab. Möglicherweise ist die Konstantinische Schenkung, nach
der Kaiser Konstantin aus Dankbarkeit für die Heilung vom Aussatz dem Papst Silvester die
Herrschaft über Italien übertrug, schon in dem Zusammenhang gefälscht worden.
Papst Zacharias hatte 751 gut geheißen, dass der Karolinger Pippin den letzten Merowinger
absetzte und sich selber zum König machte. Als der neue Langobardenkönig Aistulf 751
Ravenna einnahm und den ganzen kaiserlichen Besitz für die langobardische Krone
beanspruchte, ließ sich der neue Papst Stephan II. in Rom vom "Volk" dazu ermächtigen,
dem Frankenkönig den Schutz Roms und das Amt des Patricius anzutragen. Er reiste über
die Alpen und traf in Ponthion mit Pippin zusammen. In Quierzy handelte der Papst mit
Pippin eine nicht erhaltene Schenkungsurkunde aus, die ihm den ehemaligen kaiserlichen
Besitz zusicherte. Danach krönte er am 28. Juli 754 Pippin ein zweites Mal, in St. Denis und
zusammen mit seinen Söhnen. Pippin wurde "Patricius" der Römer und Defensor der Kirche.
Im August 754 zog Pippin mit einem fränkischen Heer über die Alpen. Er schlug das Langobardenheer und begann mit der Belagerung Pavias. Darauf bat Aistulf um Frieden und versprach, alle Eroberungen herauszugeben. Pippin kehrte ins Frankenreich zurück, aber Aistulf
weigerte sich, den Vertrag auszuführen und zog mit seinem Heer in den römischen Dukat.
Im Januar 756 begann die Belagerung Roms. Stephan rief erneut die Franken, und auf die
Nachricht von ihrem Anrücken zog sich Aistulf wieder nach Pavia zurück. Dort kapitulierte er
im Sommer 756. Er wurde Pippin tributpflichtig und musste den ehemals kaiserlichen Besitz
an den Papst herausgeben. Die Ansprüche des byzantinischen Kaisers auf die rückeroberten Gebiete wies der Frankenkönig zurück, er habe für den Heiligen Petrus und sonst für
niemand gekämpft.
So sind die Jahre 754 und 756 die Geburtsstunde des >Kirchensstaates< geworden, wie er aus
dem allgemeinen Zusammenbruch der Ostgotenkriege in langsamem Wachstum erstand.
Aber auf lange Jahrhunderte hinaus wird er die Merkmale seiner besonderen Geburtsweise
noch deutlich an sich tragen. Einmal bleibt es auch jetzt noch sehr schwierig, den territorialen Umfang dieses neuen Staatsgebildes genau zu bestimmen. Seine zwei Hauptkomplexe
sind der Ducatus Romanus und das Exarchat mit der Pentapolis. Beide verbindet, entsprechend dem bisherigen byzantinischen Besitzstand, ein schmaler Streifen mit Perugia als
wichtigster Stadt; er war völlig ungenügend, um die zwei Komplexe zu einer lebensfähigen
Einheit zusammenzuschweißen. Machtpolitisch ist das Ganze ein unmögliches Gebilde gewesen. So gingen die adriatischen Gebietsteile praktisch auch sehr schnell wieder verloren: sie
galten im frühen und hohen Mittelalter fast ausschließlich als Reichsland; dem Papst blieb nur
der Dukat selbst. Daher spielt auch der Papst in diesen frühen Jahrhunderten auf Grund
seines <Staates> im machtpolitischen Getriebe der Halbinsel nur eine sehr untergeordnete
Rolle. Und von ähnlich unbestimmtem Charakter ist die rechtliche Stellung des neuen Staates.
Der Frankenkönig hatte ihn, unabhängig vom Kaiser, ja gegen ihn, für den Papst geschaffen.
Aber endgültig hat der Papst mit der byzantinischen Oberhoheit doch erst an Weihnachten 800
gebrochen. Vor allem aber: bereits als <Patricius Romanorum> hat Pippins Sohn Karl seine
Herrschaftsrechte im Patrimonium grundsätzlich betont. … Genauso wie das oströmische hat
auch das fränkisch-deutsche Kaisertum Anspruch auf universale Geltung erhoben ; so wenig
wie irgend ein anderes christliches Reich ist der Kirchenstaat samt der Stadt Rom, trotz aller
Schenkungserneuerungen von Seiten der Kaiser, von ihrem Herrschaftsanspruch ausgenommen gewesen. Vielmehr blieb das Land – rechtlich und praktisch – ein Gebiet der
gemischten Herrschaft von Kaiser und Papst und war nicht ein solches der ausschließlichen
Souveränität des letzteren.
(Michael Seidlmayer, Geschichte Italiens, Kröner 1962, S. 63)
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2. Alberich, Johannes XII. und Otto der Große
Die dunkelste Zeit Roms ist die ausgehende Karolingerzeit, auch die Zeit der angeblichen
Päpstin Johanna. Um 900 bestimmte die Adlige Marozia die weltliche wie die geistliche
Führung in Rom. 932 ergriff ihr Sohn Alberich die Macht und versuchte, als princeps ac
senator omnium Romanorum die Ordnung in Rom wieder herzustellen und die Kirche im
Sinn der cluniazensischen Reform zu erneuern. Seine Mutter und ihren Sohn, den Papst
Johannes XI., seinen Halbbruder, ließ er einsperren. Die vier folgenden Päpste waren von
ihm ausgesucht und abhängig. 951 verhinderte er einen Romzug des ostfränkischen Königs
Otto, der eben in Pavia zum König von Italien gekrönt worden war. Als er 954 den Tod nahen
fühlte, ließ er seine Anhänger schwören, seinen Sohn Oktavian nicht nur als seinen Nachfolger anzuerkennen, sondern ihn bei nächster Gelegenheit auch zum Papst zu wählen. So
wurde 955 der römische Dux als Johannes XII. auch Papst. Aber er hatte weder die politische Größe seines Vaters noch die sittliche und geistliche Persönlichkeit für einen Papst.
Bischof Liutprand von Cremona, der als Geschichtsschreiber gerne von Skandalen berichtete, weiß von Mord, Verstümmelungen, Ehebruch, Inzest, Verkauf von Kirchenämtern, Jagdund Spielleidenschaft, Meineid und Gotteslästerungen. Deshalb riefen seine Gegner
Berengar von Ivrea zu Hilfe, um ihn zu stürzen. Da rief Johannes den ostfränkischen König
Otto, um sich zu retten. Otto zog im Herbst 961 nach Italien und wurde zusammen mit seiner
Frau Adelheid am 2. Februar 962 von Johannes zu Kaiser und Kaiserin gekrönt.
Im Privilegium Ottonianum bestätigte Otto am 13. Februar die Pippinsche Schenkung, legte
aber im gleichen Dokument fest, dass der Papst zwar vom Volk und vom Klerus Roms gewählt werden sollte, aber erst nach der Ablegung eines Treueids vor kaiserlichen Gesandten
geweiht werden dürfte. Papst Johannes schwor vor dem Kaiser diesen Treueid, und Otto
ging nach Pavia zurück, um den Kampf mit Berengar zu beenden, brach der Papst seinen
Treueschwur, plünderte den päpstlichen Schatz und verband sich mit Berengars sohn Adalbert. Otto kehrte nach Rom zurück, und gegen den Papst wurde ein förmliches Absetzungsverfahren eingeleitet. In der Anklageschrift heißt es:
Wisset denn, nicht wenige, sondern alle, sowohl Weltliche als auch Geistliche, haben Euch
angeklagt des Mordes, des Meineids, der Tempelschändung, der Blutschande mit Eurer
eigener Verwandten und mit zwei Schwestern. Sie erklären noch anderes, wovor das Ohr
sich sträubt, dass Ihr dem Teufel zugetrunken und beim Würfeln Zeus, Venus und andere
Dämonen angerufen habt.
Johannes wurde abgesetzt, und sei Nachfolger wurde ein Laie, der am selben Tag zum
Priester, Diakon, Bischof und Papst geweiht wurde. Otto ließ die Römer einen Treueid
schwören und übernahm durch kaiserliche Beauftragte die Verwaltung Roms. Die folgenden
Päpste kamen aus zwei adligen Familien, den Creszentiern und den Tuskulanern. Bei der
Schwäche des Kaisertums nach dem Tod Ottos III. übernahmen die Creszentier auch die
weltliche Macht, aber 1014 wurde Heinrich II. Patronus der Römer. Die Selbstständigkeit des
Papstes wuchs jeweils mit der Schwäche des Kaisertums, so im Investiturstreit, aber die
staufische Politik unter Friedrich Barbarossa und Heinrich VI. schränkte die weltliche Macht
der Päpste erheblich ein. So verhandelte Heinrich VI. mit dem Papst sogar über die Ablösung der weltlichen Rechte durch regelmäßige Zahlungen.
3. Der Kirchenstaat unter Papst Innozenz III.
Kaiser Heinrich VI. starb am 28. September in Messina mit nur 32 Jahren, und sein Tod löste
den totalen Zusammenbruch der kaiserlichen Oberherrschaft in Italien aus. Sein hartnäckiger
und hinhaltender Gegner Papst Coelestin III. starb am 8. Januar 1198, und zum Nachfolger
wurde Lothar von Segni als Innozenz III. gewählt. Innozenz, der sich als <Stellvertreter
Christi> sah, nutzte die kaiserlose Zeit, um die weltlichen Grundlagen des Papsttums auszubauen und zu sichern. Geschickt verlängerte er den Thronstreit zwischen Philipp von
Schwaben und dem Welfen Otto von Braunschweig bis 1209, und von seinem Schützling
Otto ließ er sich alle möglichen Zusicherungen geben und verbriefen. Doch als Innozenz ihn
1210 zum Kaiser gekrönt hatte, riet ihm Otto, seine Zugeständnisse zu vergessen und kehrte
in die Bahnen der staufischen Kaiserpolitik zurück. Um das Erreichte zu retten, holte Innozenz den unter seiner Vormundschaft stehenden Staufer Friedrich, den Sohn Heinrichs VI.,
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aus seinem normannischen Erbe in Palermo und brachte ihn nach Deutschland, wo der
zwischen 1212 und 1214 den Thronstreit für sich entschied. Innozenz hatte von Friedrich die
gleichen Zusagen verlangt, dazu das Versprechen, nie gleichzeitig König von Sizilien und
deutscher König zu sein.
Was hat nun Innozenz für den Kirchenstaat erreicht? Einmal hat er ihn um Spoleto und die
Mark Ancona erweitert, also die machtstrategische Engstelle in der Mitte beseitigt und das
Partimonium Petri zu einem Reichsitalien abschließenden Riegel ausgebaut. Südlich davon
war nur noch das normannische Königreich, ein päpstliches Lehen, das vom Reich getrennt
war und es nach dem Willen des Papstes auch bleiben sollte. Rechtlich wollte er die Unabhängigkeit vom Reich, den Papst als obersten Lehensherrn, der die einzelnen Herrschaften
an seine Anhänger verleihen konnte.
Von jetzt ab ist der Kirchenstaat ein Land ausschließlich päpstlicher Souveränität geworden. Freilich wird sich in der Folgezeit noch zur Genüge zeigen, dass die praktische Ausübung dieser Souveränität für Menschenalter hindurch durch die lokalen Mächte, die Städte
und insbesondere die neuaufstrebende oberitalienische Herrschaftsform der Signorie, aufs
schwerste bedrohe wurde. Aber die Auseinandersetzung mit diesen Gewalten war keine
Frage des Rechtes mehr, sondern eine Frage der realen Machtverhältnisse. Immerhin ist
gleich hier festzuhalten: Innozenz III. hat zwar das kirchenstaatliche Gebiet aus dem kaiserlichen Machtbereich herausgelöst, aber weder ihm noch seinen nächsten Nachfolgern ist es
gelungen, es zur >Staatlichkeit< im vollen Sinn auszubauen: ein erster bedeutungsvoller
Punkt, an dem das Ziel nur zum Teil und bruchstückhaft erreicht wurde. …
Im ganzen gesehen hat so die mittelitalienische Machtsphäre, bisher die unklarste und unbestimmteste auf der ganzen Halbinsel, ein völlig neues Gesicht bekommen – zunächst
wenigstens theoretisch und staatsrechtlich. Und trotz der zahllosen inneren Wandlungen
und Veränderungen, die dieser Kirchenstaat in der künftigen Geschichte noch erleben wird,
bleibt er in seiner äußeren Form so wie ihn Innozenz, sein >zweiter Begründer<, geschaffen
hat, bis tief ins 19. Jahrhundert unverändert bestehen.
(Michael Seidlmayer, Geschichte Italiens, Kröner 1962, S. 141)
Friedrich II. umging seinen Schwur, indem er seinen Sohn Heinrich zum deutschen König
wählen ließ und selber vom normannischen Königreich aus als Kaiserrecht die Herrschaft auch
über den Kirchenstaat beanspruchte. Für die nachfolgenden Päpste wurde er deshalb zum
<Antichrist>, und sie bekämpften ihn und seine Nachkommen mit allen Mitteln. So belehnte
der Papst unter Nichtachtung aller staufischen Ansprüche 1265 das normannische Königreich
an Karl von Anjou. Aber auch der und sein Nachfolger versuchten sich als Senator von Rom
und als Reichsvikar in der Romagna (der früheren Pentapolis um Bologna) in die Politik
einzumischen. Dabei half ihnen die Rivalität zwischen zwei römischen Adelsfamilien, den
Orsini und den Colonna. Ein Orsini konnte als Papst Nikolaus III. 1278 das Senatorenamt auf
sich übertragen und an den römischen Adel binden. Damit begründete er die direkte weltliche
Herrschaft des Papstes über Rom. Wegen der Rivalität zwischen den Orsini und Colonna
wurde die Lage in Rom immer schwieriger, und der neugewählte Clemens V., bisher Bischof
von Bordeaux, entschloss sich, jenseits der Alpen zu bleiben und verlegte die päpstliche
Residenz nach Avignon. Der Kirchenstaat verfiel, Rom stand unter dem Einfluss der Anjou und
versuchte unter Cola di Rienzi den Weg eines republikanischen Stadtstaates zu gehen
4.Die Rekonstrultion des Kirchenstaates unter Albornoz
1353 bestellte Papst Innozenz VI. den spanischen Kardinal Gil (Egidius) Álvarez de Albornoz
zum päpstlichen Legaten für den Kirchenstaat. Albornoz hatte mit dem König von Kastilien
gegen die Mauren gekämpft, flüchtete aber dann zum Papst nach Avignon und wurde von
Clemens VI. zum Kardinal ernannt. Albornoz, nach Ferdinand Gregorovius der genialste
Staatsmann, der je im Kollegium der Kardinäle gesessen hat, kam in den Kirchenstaat und
stellte dort mit Klugheit und Augenmaß, aber auch mit Druck und Gewalt die päpstliche Autorität wieder her. Albornoz bezeichnet man deshalb als den dritten Gründer des Kirchenstaates. Wenn die adligen Stadtherren die päpstliche Oberhoheit anerkanntern, verlieh er
ihnen den Besitz (den sie schon hatten), aber mit entsprechenden Auflagen. Wenn sie sich
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aber weigerten, überzog er sie mit Krieg und Belagerung und entzog ihnen das Lehen. Auch in
Rom selber setzte er sich durch und übernahm
nach dem Ende Cola di Rienzis 1354 im Namen
des Papstes wieder die Regierungsgewalt.
Albornoz‘ größte Leistung war die Ausarbeitung
einer einheitlichen Rechtsordnung für den ganzen
Kirchenstaat, den Egidianen von 1357:
Von überragender Beachtung ist die Gesetzgebung des Kardinals, die bis 1816 in Kraft blieb und
die Rechtsverhältnisse des Kirchenstaates gleichförmig regelte. Dabei blieben die Provinzen allerdings voneinander unabhängig und waren nach
wie vor nur durch das Papsttum zu einem »Staat«
zusammengehalten. Der 1357 auf einem parlamentum in Fano erlassene Liber Constitutionum
Sanctae Matris Ecclesiae umfasst sechs Bücher:
Buch 1 beginnt mit der Vollmacht des Legaten
selbst und enthält weitere allgemeine päpstliche
Erlasse (wobei deren Bestimmungen, die ursprünglich nur für eine Provinz galten, durch die
Aufnahme in das Gesetzbuch auf alle Provinzen ausgedehnt wurden). Buch 2 regelt die
Verwaltungsorganisation der Provinzen, Buch 3 enthält religiöse Bestimmungen, Buch 4
behandelt das Strafrecht, Buch 5 das Zivilrecht, Buch 6 das Prozessrecht. Von besonderem
Interesse sind Buch 6, Kapitel 26, das eine Hierarchie der Rechtsvorschriften festlegt (beginnend mit päpstlichen Erlassen bis hinunter zum Gewohnheitsrecht), und Buch 4, Kapitel
17, dessen Arenga die Existenz eines unabhängigen weltlichen Herrschaftsgebietes des
Papstes geradezu als heilsnotwendig bezeichnet.
(reclam, kleine italienische Geschichte, 2002, S. 114)
Albornoz konnte 1367 noch Papst Urban V. in Viterbo begrüßen, starb aber dort am 24.
August und konnnte ihn nicht mehr nach Rom begleiten.
5. Der Kirchenstaat in der frühen Neuzeit
Im großen Schisma seit 1378 wurde der römische Papst immer mehr vom Königreich Neapel
abhängig. Seit dem Konzil von Pisa 1409 war sein Amtsbezirk auf Neapel und den Kirchenstaat beschränkt. In Konstanz wurde 1418 ein Angehöriger der Colonna-Familie zum neuen
Papst gewählt. Seine Nachfolger nutzten den Kirchenstaat vor allem, um ihre Familien und
ihre Anhänger zu belohnen. Der Zusammenhalt im Kirchenstaat wurde schwächer, und bedeutende Renaissancefürsten wie der Herzog von Urbino Federigo de Montefeltre wahrten
ihre Selbstständigkeit. 1492 wurde Rodrigo Borgia zum Papst Alexander VI. gewählt, er tat
alles für seine Familie, und seit 1499 unterstütze er die Bemühungen seines Sohnes Cesare,
sich mit allen Mitteln ein mittelitalienisches Reich zu verschaffen. Er ernannte ihn zum
Herzog der Romagna und überließ ihm weite Gebiete des Kirchenstaates. Der Florentiner
Macchiavelli, der dies aus nächster Nähe verfolgen konnte, hat dem <politischen Genie
Cesare> in seiner Schrift „Il Principe“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Cesare vertrieb seit
1499 die Malatesta aus Rimini und eroberte Pesara, Forli und Imola. 1502 nahm er San Leo
ein, verdrängte Guidobaldo von Montefeltre und übernahm Urbino. Um die Marken ganz
unter seine Kontrolle zu bekommen, lud er seine übrigen Gegner am 31. Dezember 1502 zu
Gesprächen nach Senigallia und ließ sie dort alle ermorden, unter anderem mehrere Orsini.
Damit beherrschte Cesare die Romagna, die Marken, Umbrien und Latium. Alexander starb
1503, auch Cesare war krank, und sein Reich zerfiel. Der Nachfolger des Papstes starb zwei
Monate später, und ihm folgte der alte Gegner Rodrigo Borgias, Giulio delle Rovere als
Julius II. nach massiven Bestechungen. Ungerührt erklärte er 1505 alle Papstwahlen, die
durch Bestechung erfolgten, für ungültig. Julius stellte als großer Kriegsherr in seinem zehnjährigen Pontifikat den Kirchenstaat, den seine Vorgänger hatten verfallen lassen, in seinen
alten Grenzen und Abhängigkeiten wieder her:
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Er setzte aber alle verfügbaren
diplomatischen und militärischen
Mittel ein, um den Kirchenstaat,
den die Borgia veräußert hatten,
wiederherzustellen und zu vergrößern sowie in einem von
Fremdherrschaft freien Italien ein
starkes, unabhängiges Papsttum zu errichten. Nachdem er
sich des noch immer gefährlichen
Cesare Borgia (gest. 1507) geschickt entledigt hatte, indem er
ihm Italien verleidete, bedrängte er
Venedig vergebens, die Landstriche der Romagna zu räumen,
die es 1503 besetzt hatte. Doch
als er sich mit Frankreich und
Deutschland verbündete, konnte
er 1504 die ganze Romagna mit
Ausnahme von Rimini und Faenza zurückgewinnen. 1506
entriss er Perugia und Bologna
den örtlichen Tyrannen in einem
glänzenden Feldzug, den er
selbst in voller Rüstung
anführte. …
1510 eroberten seine Truppen
Modena, und im Januar 1511
nahmen sie unter seiner Führung
Mirandola ein. Es gelang ihm
jedoch nicht, Ferrara zu gewinnen,
JULIUSGRABMAL VON MICHELANGELO
und er musste zusehen, wie Bologna vorübergehend an Frankreich fiel. Er selbst entging
knapp der Gefangennahme. Inzwischen ging Ludwig XII. von Frankreich (1498-1515) zum
Gegenangriff über, indem er in Tours eine Synode (Sept. 1510) abhielt, auf der die Pragmatische Sanktion von Bourges erneuert wurde, und - im Namen einer Gruppe aufsässiger
Kardinale - ein Konzil zur Absetzung des Papstes nach Pisa (1. 9. I511) einberief. Das Konzil
trat am 1. Oktober zusammen, hielt mehrere Sitzungen ab und beschloss die Suspendierung
des Papstes. Julius begegnete der Gefahr - Kaiser Maximilian unterstützte das Konzil von Pisa indem er für 1512 das 5. Lateranum nach Rum einberief. A u f politischer Ebene gründete er
mit Venedig und Spanien die Heilige Liga (Okt. 1511) zur Verteidigung des Papsttums, der im
Lauf des Jahres auch Heinrich VI I I. von England (1509-47) beitrat. Das Heer der Liga erlitt bei
Ravenna (11.4. 1512) eine schwere Niederlage, doch wendete sich das Blatt mit dem Eintreffen
schweizerischer Truppen, noch vor Ablauf des Jahres 1512 mussten die Franzosen den
italienischen Boden verlassen. Parma, Piacenza und Reggio Emilia wurden dem Kirchenstaat
einverleibt. Damit hatte Julius Anspruch auf den Titel des Neubegründers des Kirchenstaats.
(Reclams Lexikon der Päpste, Aretikel Julius II., S. 273)
Zwischen 1530 und 1700 standen Italien und der Papst ganz unter spanischem Einfluss,
denn der König von Spanien war auch König von Neapel und Herzog von Mailand, und in
Italien war ohne spanische Zustimmung nichts möglich. Die Päpste und die Kirche standen
im Zentrum der katholisch-spanische Politik: Jesuiten, Konzil von Trient, Gegenreformation,
Einführung von Inquisition und Index, Festgeläute nach der Bartholomäusnacht in Frankreich, Prozesse wie gegen Giordano Bruno und Galilei. Sie hatten deshalb wenig Zeit und
Lust, sich außer um die Ausgestaltung Roms um die gute Ordnung und Verwaltung des
Kirchenstaats zu kümmern. Unter Papst Innozenz XIII. (1721 – 1724) begannen die
Debatten über den Jesuitenorden, aber er kümmerte sich auch um die wirtschaftliche und
120
kulturelle Entwicklung des Kirchenstaates. Sein Nachfolger Benedikt richtete durch einen
Günstling seinen Staat finanziell zugrunde. Unter Klemens XII. (1730-1740), der als
Apostolischer Kämmerer Erfahrung in Finanzsachen hatte, wurde die Verwaltung reformiert:
Zu den von ihm ergriffenen Maßnahmen zählte die Neugründung der Staatslotterie, die
Benedikt XIII. verboten hatte, die Ausgabe von Papiergeld, Ausfuhrbeschränkungen für
Wertsachen und neue Einfuhrsteuern. In Ancona wurde ein Freihafen geschaffen und
Versuche unternommen, Handel und Industrie anzukurbeln.
(Reclam, Lexikon der Päpste, Klemens XII., S. 313)
Auch sein Nachfolger Benedikt XIV. (1740-1758), einem Brieffreund Friedrichs des Großen,
wurde die Verwaltung des Kirchenstaates modernisiert. Er senkte trotz der Schuldenlast die
Steuern und förderte Landwirtschaft und Handel. Dafür setzte er den Militärhaushalt drastisch herab. Unter Klemens XIV. (1769-1774) wurde der Druck der Mächte, vor allem der
spanischen, die auch Könige von Neapel waren, so groß, dass der Papst 1773 den Jesuitenorden verbieten musste. Pius VI. (1775-1799) fiel in das alte Laster des Nepotismus zurück
und ruinierte damit und mit seiner Bau- und Repräsentationssucht die Finanzen des Kirchenstaates. 1797 wurde der Kirchenstaat von Napoleon besetzt. Der Past floh nach Florenz und
wurde auf Befehl der französischen Regierung nach Frankreich verbracht. Er starb auf dem
Weg am 13. Juli 1799 in Valence. Das Papsttum schien am Ende.
6.Die Franzosenzeit und die Restauration
Napoleon sah, dass er Österreich durch einen Angriff auf die dominierende Stellung in Italien
entscheidender treffen konnte als am Oberrhein, wo der Kampf bisher ausgetragen worden
war. Aus Piemont, der Lombardei und der Romagna wurde die Cisalpinische Republik gebildet, die die französische Gesetzgebung mit bürgerlichen Rechten und Freiheiten, Zivilehe,
Ehescheidung und Trennung von Staat und Kirche übernahm, aber gleichzeitig mit hohen
Steuern und Abgaben belegt wurde. Napoleon forderte hohe Kontributionen für die Armee
und ließ Kunstwerke beschlagnahmen und nach Frankreich transportieren. Politische Entscheidungen behielt Napoleon sich vor. Mit dem Frieden von Lunéville 1801 kam die Toskana zur Republik Italien dazu, Österreich erhielt als Ausgleich das weniger entwickelte
Venetien. 1805 wurde die Republik zum Königreich Italien, Napoleon war König, sein Stiefsohn Eugène Vizekönig, die Regierung aus Franzosen und Italienern saß in Mailand, die
französische Gesetzgebung und Verwaltung wurde vollständig übernommen. Neben der
hohen Steuerlast war vor allem die bis dahin unbekannte allgemeine Wehrpflicht bedrükkend: Italienische Soldaten kämpften in Spanien, in Russland und bei Leipzig.
Der verkleinerte Kirchenstaat blieb bestehen, allerdings unter französischer Aufsicht. Rom
wurde zur zweiten Hauptstadt erklärt, der 1811 geborene Erbe war König von Rom, der in
Venedig unter österreichischem Schutz gewählte Papst Pius VII. (1800-1823) schloss 1801
ein Konkordat mit Napoleon, aber als sich der Papst weigerte, mit dem Kirchenstaat der
Kontinentalsperre gegen England beizutreten, besetzten kaiserliche Truppen Rom, und Pius
wurde unter Arrest gestellt, zuerst bei Genua und dann in Fontaineblau. Erst als sich das
Kriegsglück gegen Napoleon gewendet hatte, durfte Pius am 24. März 1814 wieder in Rom
einziehen. Beim Wiener Kongress erreichte der bedeutende Kardinalstaatssekretär Ercole
Consalvi die völlige Wiederherstellung des Kirchenstaates. Allerdings erhielt Österreich das
Recht auf Militärgarnisonen in Ferrara und Comacchio und damit eine Art Militäraufsicht..
Unter Pius und Consalvi fand ein wohlüberlegter Ausgleich zwischen der bürgerlich-französischen und der alten Ordnung statt. Das kanonische Recht wurde wieder zur Grundlage,
und die wichtigsten Stellen fielen an Geistliche adliger Herkunft. Aber gleichzeitig versuchte
Consalvi eine Verwaltungs- und Finanzreform des Kirchenstaates nach französischem
Muster. Auch galt eine gewisse geistige Liberalität. Aber damit waren die <Zelanti>, die
Anhänger der alten Ordnung und ihrer Privilegien, nicht zufrieden, und nach dem Tod des
Papstes stellten sie mit Leo XII. (1823-1829) den Nachfolger. Unter ihm und noch mehr unter
Gregor XVI. (1831-1846) setzte sich die engstirnige Restauration durch, und nachdem es
1831 in den Marken und in der Romagna zu Unruhen und zur Bildung einer provisorischen
Regierung gekommen war, verfolgte Gregor in seiner Bulle Mirari vos Rationalismus, Indifferentismus, Gewissens- und Meinungsfreiheit und jede Auflehnung gegen die legitime
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Autorität. Die Geheimpolizei war überall, und die Gefängnisse füllten sich. Eisenbahnbau und
Pockenschutzimpfung waren verboten. Unter Gregor war der Kirchenstaat in ständiger
Unruhe und am Rand der Rebellioin, und nur die österreichische Besatzung und französische Einheiten in Ancona erzwangen die äußerliche Ruhe.
Sein Nachfolger Pius IX. (1846-1878) galt als gemäßigter Liberaler. Er öffnete die Gefängnisse für politische Gefangene, er galt als Befürworter der italienischen Einheit, und der
Neoguelfismus sah eine mögliche italienische Einheit unter dem Papst als Führer. Aber als
er 1847 über eine Verfassung diskutierte, machte er klar, dass er seine von Gott verliehene
Macht nicht mit einem Parlament teilen konnte oder wollte. 1848 verweigerte er sich dem
revolutionären Beschluss eines nationalen Kriegs gegen Österreich und musste deshalb
verkleidet nach Gaeta fliehen. Als er 1849 im Schutz französischer Truppen zurückkehrte
und die Herrschaft im Kirchenstaat wieder übernahm, machte er deutlich, dass er auf seine
weltliche Macht nicht verzichten könnte und deshalb den Kirchenstaat nie für die italienische
Einheit herausgeben würde. Auch setzte die politische Repression wieder verstärkt ein, weil
jedes Nachdenken über dfie italienische Einheit zum Hochverrat geworden war. Nach der
Schlacht von Solferino 1859 fiel die staatliche Ordnung der Restauration in sich zusammen,
das Königreich Italien bildete sich, und auch der Kirchenstaat wollte sich anschließen.
Cavour sicherte dem französischen Kaiser Napoleon zu, auf Rom zu verzichten, das dem
Papst mit einer französischen Besatzung erhalten blieb. Der Rest des ehemaligen Kirchenstaats fiel an das neue Königreich Italien.
7.Das Ende des Kirchenstaats
Das Königreich Italien hatte den Anspruch auf Rom prinzipiell nicht aufgegeben, aber
dessen Realisierung auf Drängen Napoleons III. für unbestimmte Zeit zurückgestellt
und deshalb 1864 seine Hauptstadt in Florenz eingerichtet. Doch der Sturz des Kaisers
schuf eine neue Situation. Diese war auch insofern günstig, weil Pius IX. sich durch
seine Intransigenz - vom Syllabus bis zum Unfehlbarkeitsdogma - politisch insgesamt
isoliert hatte; selbst Österreich hatte im August I870 das 1855 geschlossene Konkordat
gekündigt. Andererseits forderten seit Sedan die Garibaldiner die sofortige Eroberung
Roms und rüsteten zu eigenen Aktionen, denen die Regierung in Florenz mit dem darin
führenden Außenminister Emilio Visconti-Venosta unbedingt zuvorkommen wollte, ja
musste. Denn nur so konnte sie eine Machtverschiebung nach links und draußen den
Eindruck verhindern, dass im neuen Italien Revolutionäre bestimmten. So unternahm
sie noch in der ersten Septemberwoche einen letzten, vergeblich bleibenden Versuch,
dem Papst gegen die Garantie seiner geistlichen Unabhängigkeit die Zustimmung zur
Besetzung Roms abzuringen. Schon vorher hatte sie die europäischen Regierungen
von ihrer Absicht informiert, im Interesse der inneren Ordnung und mit den genannten
Garantien Italiens den Rest des Kirchenstaats zu besetzen. Sie stieß nirgends auf
ernsthaften Widerspruch, wenngleich an mehreren Höfen, selbst im evangelischen Berlin, Bedenken gegen die Verletzung des konservativen Prinzips aufkamen, welche die
geplante Aktion zweifellos bedeutete.
Seit Mitte September 1870 rückten italienische Truppen in das päpstliche Gebiet ein.
Pius IX. und Antonelli wollten demonstrieren, dass sie nur der Gewalt wichen. Der Papst
ordnete daher mehr symbolischen Widerstand seiner ihm nach dem Abzug der Franzosen verbliebenen kleinen Armee an, welcher eingestellt wurde, sobald die Italiener am
20. September in die römische Stadtmauer die »historische« Bresche bei der Porta Pia
geschossen hatten. Die tausendjährige weltliche Herrschaft der Päpste war gebrochen,
die Säkularisation der europäischen Staatenwelt, mit der die Französische Revolution
und Napoleon I. begonnen hatten, gewaltsam zum Abschluss gebracht. Nur der Vatikan verblieb dem Papst. Pius IX. bezeichnete sich sogleich als den »Gefangenen im
Vatikan« und exkommunizierte ein weiteres Mal alle, die beim Raub des »Patrimonium
Petri« mitgewirkt hatten; immerhin widerstand er der Versuchung, außerhalb Italiens,
etwa in Österreich, um Asyl zu bitten; am dringendsten riet ihm Kardinal Antonelli zum
Bleiben in Rom.
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Italiens Regierung und Parlament versuchten seit der Jahreswende 1870/71,
das Verhältnis zum Papst einseitig, aber
gesetzlich zu regeln. Das »Garantiegesetz« vom 11. Mai 1871 sicherte
dem Papst die ungestörte Kirchenregierung und seine persönliche Stellung
als Souverän mit aktivem und passivem
Gesandtschaftsrecht zu, außerdem den
exterritorialen Besitz des Laterans, des
Vatikans und der Villa in Castel Gandolfo sowie eine jährliche Dotation in der
Höhe seiner bisherigen Einnahmen.
Doch Pius bestand auf seinem eigenen
Recht, steigerte aber dessen erneute
Bekundung ganz im Sinne jener Intransigenz, mit der er nun schon seit gut
zwei Jahrzehnten auftrat. In seinen Enzykliken Respinentes ( 1 . November
I870) und Ubi nos (15. Mai 1871) behauptete er nämlich, dass die göttliche
Vorsehung den Päpsten die weltliche
Herrschaft verliehen habe, dass diese
unabdingbar für die Ausübung seines
geistlichen Amtes sei und dass darum
das Garantiegesetz sowohl dem katholischen Glauben wie dem natürlichen
Recht zutiefst widerspreche. Den
Katholiken, welche die große Mehrheit
des italienischen Volkes bildeten, wurde
die Beteiligung am politischen Leben
des neuen Staates untersagt, und dieses
Pius IX. im frühen Pontifikat
Verbot (<Non expedit>) wurde 1874 bekräftigt;
ihre Integration in den italienischen Staat ist zum Schaden beider Seiten fast ein halbes
Jahrhundert verzögert worden! Antonelli hatte 1870 nur und erfolgreich wegen der
Herausgabe der vielen <Peterspfennige> (ca. fünf Millionen Lire) verhandeln dürfen, die
bei der römischen Staatsbank eingelegt waren. Aber grundsätzlich blieben die
Reaktionäre im Vatikan auch wegen des Kirchenstaates ganz auf ihrer traditionalen und
nun pseudotheologisch überhöhten Positionen.
(Rudolf Lill, die Macht der Päpste, topos plus 2006, S. 106-108)
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