Neue Medikamente - Orthopädie am Grünen Turm Ravensburg

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Fortbildung
Pharmakologische Schmerztherapie, Teil 4
Methocarbamol
W. Ziegelgänsberger 1 , M. Strohmeier 2
Abbildung 1
Neben primärafferenten Fasern
und segmentalen
Interneuronen
erhalten Nervenzellen im Hinterhorn
des Rückenmarks
auch synaptischen
Zustrom von deszendierenden Bahnsystemen.
Neocortex
Limbisches
System
Thalamus
Schmerzreize aktivieren
Nozizeptoren
(freie Nervenendigungen im Gewebe)
Es entstehen Aktionspotenziale,
die zum Rückenmark laufen, umgeschaltet
und zum Thalamus und Neocortex
weitergeleitet werden...
segmentale
Interneurone
kontrollieren die
Weiterleitung
© Prof. Dr. Zieglgänsberger, München
gemeinsam mit
deszendierenden
Bahnsystemen
Nozizeptor
Rückenmark
Der erste Beitrag zur Substanzgruppe der „Muskelrelaxantien“
beschäftigt sich mit der
Wirkungsweise von Methocarbamol.
1
2
Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Schmerzzentrum Bodensee-Oberschwaben
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N
ervenzellen im Zentralnervensystem befinden sich in einem
dauernden Wechselspiel zwischen dem Einstrom erregender Signale
aus der Peripherie und dem steuernden
Einfluss von Interneuronen. Interneurone üben ihren meist hemmenden Einfluss auf allen Ebenen der Neuraxis aus.
Sensorische Afferenzen aus der Peripherie und den inneren Organen enden mit
ihren präsynaptischen Terminalen an
Nervenzellen im Hinterhorn des Rückenmarks oder den analogen Strukturen im
verlängerten Mark (Kerngebiet des N.
trigeminus, spinaler Anteil). Neben primär-afferenten Fasern und segmentalen
Interneuronen erhalten diese Neurone
auch synaptischen Zustrom von deszendierenden Bahnsystemen (Abb. 1). Lang
anhaltende oder häufig wiederkehrende
Schmerzreize verändern die Reaktions-
OCH3
O
O
O
OH
C11H15NO5
Abbildung 2: Strukturformel von
Methocarbamol
ORTHOPÄDIE & RHEUMA
2·2007
NH2
Abbildung 3
deszendierende
Bahnsysteme
Interneuron
Interneuron
Interneuron
Tr. spinothalamicus
© Prof. Dr. Zieglgänsberger, München
bereitschaft sowohl des peripheren als
auch des zentralen Nervensystems. Die
Funktion des Zentralnervensystems verschiebt sich damit deutlich: Vom rein
passiven Überträger und Empfänger peripherer Schmerzsignale wird es nun zum
aktiven Bearbeiter der ihm zufließenden
Impulse. Die Schmerzwahrnehmung ist
ein dynamischer Prozess, in den die Auswirkungen früherer Erfahrungen einfließen („Schmerzgedächtnis“). Spinale
Projektionsneurone (multirezeptiv;
WDR-Neurone; wide dynamic range)
im Hinterhorn des Rückenmarks fungieren also nicht mehr als rein passive
Schaltstelle, sondern als Integrationsund Modulationsstationen für Schmerzimpulse. Eine Abschwächung von Interneuronsystemen, die γ-Aminobuttersäure (GABA) und Glyzin (vorwiegend auf
Rückenmarksebene wirksam) als hemmende Überträgerstoffe verwenden, kann
zur Verstärkung der Schmerzempfindlichkeit führen und letztendlich die Entstehung chronischer Schmerzen begünstigen. Die durch Glyzin-Rezeptoren
vermittelten, hemmenden Effekte auf
spinale Projektionsneurone werden
durch Prostaglandine (PGE-2) sehr spezifisch unterdrückt.
Projektionsneuron
Rückenmark
Im Hinterhorn des Rückenmarks modulieren Interneurone die Aktivität
von Projektionsneuronen, deren Axone zu rostralen Hirnstrukturen ziehen.
Abbildung 4
Substanzeigenschaften
ORTHOPÄDIE & RHEUMA
2·2007
deszendierende
Bahnsysteme
Tr. spinothalamicus
Projektionsneuron
segmentale
Interneurone
Nozizeptor
α-Motoneurone
werden über
Kollateralen
aktiviert
© Prof. Dr. Zieglgänsberger, München
Die Substanz Methocarbamol (Abb. 2)
ist seit vielen Jahren als „Muskelrelaxans“
bekannt und weltweit etabliert. Neuere
Studien im Rahmen der Nachzulassung
zeigen gegenüber Plazebo neben einer
besseren Beweglichkeit der Patienten
(Zielparameter: Muskelentspannung) vor
allem eine signifikante Schmerzreduktion
unter Methocarbamol. Da Methocarbamol weder die gestreifte Muskulatur
noch die motorische Endplatte direkt
beeinflusst und zu keiner direkten Entspannung kontrahierter Skelettmuskulatur führt, wurde bereits früh vermutet,
dass dieses Pharmakon seine therapeutischen Wirkungen über einen zentralen
Angriffspunkt entfaltet. Die hemmende
Wirkung von Methocarbamol auf polysynaptische Reflexe unterstützte diese
Annahme. Bereits bei diesen frühen Untersuchungen wurde beobachtet, dass die
deutliche Schmerzreduktion durch Methocarbamol nicht mit einer Veränderung der Vigilanz des Patienten einhergeht.
Der Muskeltonus
erhöht sich
Rückenmark
Muskeltonuserhöhung durch Aktivierung von Kollateralen der
aszendierenden Bahnsysteme
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Fortbildung
Meth oca r b a m o l
Abbildung 5
Wirkung von Methocarbamol
Gehirn
Rückenmark
GABA-Rezeptoren
+++
++
Glycin-Rezeptoren
+/–
+++
Methocarbamol-Wirkung
+/–
+++
Die Wirkungen der inhibitorischen Neurotransmitter GABA und Glycin
werden durch Methocarbamol verstärkt.
ven Steigerung des Muskeltonus bis hin
zum Muskelspasmus.
Da Methocarbamol in den verwendeten Dosierungen keine Veränderung
der Vigilanz auslöst (Studie des TÜV
Rheinland), kann man davon ausgehen,
dass entweder die GABA-ergen Hemmvorgänge durch Rezeptoren vermittelt
werden, die sich aus Untereinheiten zusammensetzen, die nicht oder nur in
geringem Ausmaß in Strukturen vorkommen, die mit kognitiven Funktionen und
Vigilanz assoziiert sind, oder dass der
Anteil der durch Glycin vermittelten
Hemmvorgänge auf Rückenmarksebene
im Vordergrund steht.
Muskeltonus:
Fazit
Vigilanz:
hellwach
Lernen:
ermöglicht
Multimodale Therapie:
ermöglicht
Neueste Versuchsergebnisse lassen
den Schluss zu, dass die Schmerzreduktion durch Methocarbamol auf einer
direkten Verstärkung der hemmenden
Wirkung von Interneuronen im Rückenmark (Abb. 3) und der daraus resultierenden Verminderung der Weiterleitung von nozizeptiven Signalen aus
dem Hinterhorn des Rückenmarks beruht. Unter Methocarbamol kommt es
zu einer Vergrößerung der durch GABA
und Glycin an spinalen Neuronen aus-
Praxistipp zur Dosierung
von Methocarbamol
Gerade in der Praxis sind über die
Darreichungsform als Infusion auch
schwere Schmerzustände (akut und
längerdauernd) schnell und erfolgreich behandelbar. Bei oraler Anwendung wird im Gegensatz zur Infusion
(1.000 mg) höher dosiert (anfangs
3-mal 2 Tabletten à 750 mg), wobei die
Wirkung oft nicht so schnell wie bei
der parenteralen Anwendung eintritt.
Aufgrund der Vigilanzerhaltung eignet sich die orale Anwendung hervorragend für die Langzeittherapie. mst
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lösbaren Leitfähigkeitserhöhung für
Chlorid-Ionen. Die in ihrem Wirkmechanismus sehr nahe verwandten inhibitorischen Neurotransmitter GABA
und Glycin – beide erhöhen die postsynaptische Leitfähigkeit für ChloridIonen – sind hierbei als Gegenspieler
zum Glutamat zu sehen, das als erregender Neurotransmitter aus nozizeptiven Afferenzen freigesetzt wird.
Die Hemmung des nozizeptiven Einstroms reduziert auch den – vermutlich
über Kollateralen der aszendierenden
Bahnsysteme vermittelten – aktivierenden Einfluss auf Motoneurone, was
dann eine augenfällige Muskelentspannung mit sich bringt (Abb. 4).
Das balancierte Zusammenwirken
zwischen hemmenden Interneuronen
und spinofugalen Projektionsneuronen
ist eine wesentliche Voraussetzung für
eine funktionierende Kontrolle nozizeptiver Information auf Rückenmarksebene. Bemerkenswert ist, dass durch Methocarbamol auch Glycin-erge Hemmvorgänge verstärkt werden – Hemmvorgänge, die bereits in zahlreichen früheren
Untersuchungen bevorzugt im Rückenmark gefunden wurden. Eine Reduktion
dieser Strychnin-sensitiven Hemmung
führt zu Schmerzen und zu einer massi-
Methocarbamol scheint insgesamt
weniger ein primäres Muskelrelaxans
als vielmehr ein potentes und nebenwirkungsarmes Schmerzmittel zu sein,
das nicht müde macht und damit die
Kooperationsfähigkeit und die für die
Rehabilitation so wichtige Lernfähigkeit (Relearning) des Patienten erhält
(Abb. 5).
Prof. Dr. med. Walter Zieglgänsberger
Leiter Klinische Neuropharmakologie
Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Kraepelinstr. 2 –10, 80804 München
Dr. med. Martin Strohmeier
Facharzt für Orthopädie –
Spezielle Schmerztherapie
Schmerzzentrum Bodensee-Oberschwaben, Grüner-Turm-Str. 4– 10
88212 Ravensburg
028880907/UV
Schmerzen:
ORTHOPÄDIE & RHEUMA
2·2007
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