16 Originalia Central Pattern Generators und ihre Bedeutung für die fötale Motorik Central Pattern Generators and Their Significance for the Foetal Motor Function Autoren C. Einspieler, P. B. Marschik Institut Institut für Physiologie, Zentrum für Physiologische Medizin, Medizinische Universität Graz, Österreich Schlüsselwörter ▶ General Movements ● ▶ Hirnläsion ● ▶ Lokomotion ● ▶ Modulation ● ▶ neuronales Netzwerk ● ▶ Spontanbewegungen ● Zusammenfassung ▼ Abstract ▼ Auch wenn die Existenz der Central Pattern Generators (CPGs) schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt ist, ist man noch immer weit davon entfernt, die präzise Funktion dieser faszinierenden neuronalen Netzwerke zu verstehen. CPGs generieren endogen – in der Abwesenheit oszillatorischer Inputs – rhythmische Bewegungsmuster. Einige CPGs sind kontinuierlich aktiv, wie zum Beispiel der CPG für den Atemrhythmus; andere CPGs (wie jene für Lokomotion oder rhythmische Aktivitäten der Nahrungsaufnahme) müssen erst neuronal und/ oder hormonell getriggert werden. Damit rhythmisches Verhalten an die Umgebungsbedingungen angepasst werden kann, bedarf es modulierender Inputs von supraspinalen Strukturen und der Peripherie. In der frühesten Entwicklung erzeugen die noch unreifen CPGs spontane embryonale/fötale Bewegungen, die ihrerseits die Reifung der sich entwickelnden Strukturen gewährleisten. Die Beurteilung früher fötaler und neonataler Bewegungen ist von klinischer Relevanz, da Hirnläsionen den modulierenden Input auf den CPG reduzieren. Die daraus resultierende Monotonie der Bewegungen ist ein zuverlässiges Zeichen neurologischer Beeinträchtigung. Although evidence for the existence of endogenously generated motor activity goes back to experiments conducted more than a century ago, a lot remains to be learnt about the fascinating network that is the central pattern generator (CPG). CPGs are neuronal circuits that can produce rhythmic motor patterns in the absence of oscillatory input. Some CPGs operate continuously (e. g., breathing movements); others are activated to perform specific behavioural tasks (e. g., locomotion). In order to lend flexibility to the motor output, supraspinal projections activate, inhibit, and, most of all, modulate the CPG activity, as does the sensory feedback. Embryonic and foetal motor patterns have all the characteristics of being endogenously generated. At no other stage of development is the neural structure so closely related to its own function. It only takes a few neurons to generate basic movements, which are, in turn, necessary for further development of the structure. Apart from the general interest in the evolution of early motor activity, the observation and assessment of spontaneous foetal and neonatal motility has also clinical implications, since a reduced CPG modulation results in less variable movements and indicates foetal or neonatal compromise. Central Pattern Generators (zentrale Mustergeneratoren; CPGs) sind neuronale Verschaltungen, die in der Abwesenheit jeglicher oszillatorischer Inputs rhythmische Bewegungsmuster generieren. Einige CPGs sind kontinuierlich aktiv, wie zum Beispiel der CPG für den Atemrhythmus [1]; andere müssen erst neuronal und/oder hormonell getriggert werden. Beispiele dafür sind die CPGs für Lokomotion (Gehen, Schwimmen, Hüpfen, Fliegen) oder für Nahrungsaufnahme (Saugen, Lecken, Kauen) [2, 3]. Auch das rhythmische Vokalisieren wird bestimmten CPGs zugeschrie- ben: bei Amphibien und Vögeln ist es vor allem das androgenabhängige Vokalisieren [4]; beim Menschen ist es das sogenannte kanonische Lallen, darunter versteht man frühkindliches Vokalisieren wie zum Beispiel/mama/oder/dadadada/ [5]. Bei Vertebraten sind die CPGs im Hirnstamm oder Rückenmark lokalisiert. Glutamat, GABA und Glyzin sind die CPG relevanten Neurotransmitter; als Neuromodulatoren werden vor allem Dopamin, Serotonin (5-HT), aber auch Neurotensin, Somatostatin, und Tachykinine (vor allem Substanz P) genannt [6]. Key words ▶ brain lesion ● ▶ general movements ● ▶ locomotion ● ▶ modulation ● ▶ neuronal network ● ▶ spontaneous movements ● Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0031-1286264 Online-Publikation: 27.12.2011 Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 1434-0275 Korrespondenzadresse Ao. Univ. Prof. Dr. C. Einspieler Institut für Physiologie Zentrum für Physiologische Medizin Medizinische Universität Graz Harrachgaße 21 8010 Graz Österreich [email protected] [email protected] Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21 Originalia 17 Wie funktioniert ein Central Pattern Generator? ▼ CPGs bestehen entweder (a) aus Neuronen (Renshaw Zellen, Ia Interneuronen, Motoneuronen [7]), die von sich aus und in der Abwesenheit von synaptischen Interaktionen rhythmische Akti▶ Abb. 1a); oder (b) aus einem Netzwerk von vität generieren (● Neuronen, die isoliert tonische Spikes generieren und erst in ihrem synaptischen Zusammenspiel zu einer rhythmischen Akti▶ Abb. 1b) [2, 8]. Das Timing eines CPGs hängt vität gelangen (● von den intrinsischen Eigenschaften der einzelnen Neuronen ab, aber auch von den Eigenschaften ihrer synaptischen Verschaltungen. Im Wesentlichen gibt es 2 Mechanismen für die Generierung von rhythmischen Bewegungen: (1) Ein Netzwerk wird durch einen Schrittmacher angetrieben ▶ Abb. 2a). Dabei agieren ein oder auch mehrere Neuronen (● als Core-Oszillator und bewirken, dass Neuronen, die an sich Abb. 1a Rhythmische Aktivität entsteht durch die intrinsischen Eigenschaften eines Neurons. Spannung a Zeit nicht oszillatorisch feuern würden, rhythmische Aktivität generieren [9]. Dieser Mechanismus kommt vor allem dann zum Tragen, wenn die durch den CPG generierte Aktivität kontinuierlich ist, zum Beispiel Atembewegungen [1]. (2) Ein Rhythmus entsteht erst durch die synaptische Verbindung von Neuronen, die isoliert nicht rhythmisch feuern ▶ Abb. 2b) [9]. Dabei spielt reziproke Hemmung würden (● eine entscheidende Rolle, wobei der Übergang von Aktivierung zur Hemmung (oder umgekehrt) unterschiedliche Mechanismen hat: (a) ein Neuron mit Adaptation für die SpikeHäufigkeit hört zu feuern auf und beendet damit die Hemmung des anderen Neurons; oder (b) das inhibierte Neuron kommt durch Änderung seiner Membraneigenschaften aus dieser Hemmung heraus und inhibiert nun seinerseits das eben noch feuernde Neuron [10]. Letzterer Mechanismus spielt vor allem bei der Lokomotion eine Rolle. Die ersten Experimente, um CPGs nachzuweisen, wurden an deafferentierten Tieren durchgeführt. So konnte Wilson z. B. zeigen, dass eine de-afferentierte Heuschrecke rhythmische Flugbewegungen macht, wenn man sie nicht-rhythmisch stimuliert [11]. Die stärksten Argumente für die Existenz von CPGs kommen sicherlich von jenen Experimenten, bei denen man ein Stück Nervensystem isoliert und in eine physiologische Kochsalzlösung legt. Unter diesen Bedingungen gibt es weder sensoAbb. 1b Rhythmische Aktivität ist die Folge einer synaptischen Interaktion von Neuronen, die isoliert nur tonische Spikes generieren (schematische Darstellungen; mit Erlaubnis von [2]). Spannung Spannung b Zeit Zeit a Spannung gekoppelt Spannung nicht gekoppelt Zeit Zeit Abb. 2b Rhythmische Aktivität entsteht erst durch die synaptische Verbindung von Neuronen, die isoliert nicht rhythmisch feuern. Ihre rhythmisch alternierenden Entladungen sind eine Folge reziproker Hemmung (schematische Darstellungen; mit Erlaubnis von [9]). Reziproke Hemmung b Spannung gekoppelt Spannung nicht gekoppelt Abb. 2a Das Schrittmacher-Neuron (rot) kann durch synaptische Verschaltung einen Antagonisten (grün), der an und für sich nicht rhythmisch feuern würde, dazu bringen, alternierend zum Schrittmacher-Neuron rhythmisch zu feuern. Schrittmacher Zeit Zeit Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21 18 Originalia rische Afferenzen noch zeitgebende Information aus der Umgebung. Auf diese Weise hat man sogenannte fictive motor patterns (fiktive Bewegungsmuster) nachgewiesen, die von der Peripherie ausgeführt würden, wäre eine solche vorhanden. Erich von Holst demonstrierte schon 1939 an isolierten Regenwurmsegmenten Entladungen, die jenen eines intakten kriechenden Wurms entsprachen und nannte diesen Mechanismus „zentrale Automatie“ [12]. Bei all diesen Experimenten hat sich aber auch gezeigt, dass es bestimmter Neuromodulatoren bedarf, die im intakten Organismus über absteigende Bahnen auf den CPG einwirken, um rhythmisch generierte Aktivität zu modulieren und damit das Verhalten an Umgebungsbedingungen anpassen [9]. Die Variabilität innerhalb der rhythmischen Aktivität ▼ Es ist grundsätzlich möglich, dass dieselben Neuronen oder Neuronengruppen mehreren CPGs zugehörig sind [9]. Somit kann ein Netzwerk von CPGs unterschiedlichstes Verhalten generieren oder auch ein und dasselbe Verhalten modulieren (z. B. die Anpassung des Gangmusters an unterschiedliche Bodenbedingungen). Die Modulation kann dabei nicht nur im CPG Netzwerk selbst erfolgen (entweder direkt in den beteiligten Motoneuronen oder in jenen Neuronen, die die rhythmische Aktivität an die ausführenden Motoneuronen weiterleiten), sondern auch durch die auf den CPG projizierenden absteigenden Bahnen ▶ Abb. 3a); bei Säugetieren (und dem Menschen) sind das vor (● allem Projektionen vom Kleinhirn, den Basalganglien und dem sensomotorischen Kortex [9]. Die modulierenden Neuronen können ihrerseits wieder moduliert werden, womit wesentlich mehr Variabilität und Flexibilität in einem mehr oder weniger rhythmischen Verhalten entsteht [6]. Für die Anpassung des Verhaltens an die Umgebungsbedingungen ist natürlich auch das Feedback der sensorischen Afferenzen auf den CPG essentiell ▶ Abb. 3a) [13]. (● Spinale Central Pattern Generators und Lokomotion ▼ Schon vor 100 Jahren haben Sherrington’s Ergebnisse an Spinalpräparaten von Katzen und Hunden gezeigt, dass das isolierte Rückenmark in der Lage ist, Schreitbewegungen zu generieren [14]. Sein Mitarbeiter Graham Brown konnte damals bereits nachweisen, dass de-zerebrierte de-afferentierte Katzen, sogenannte Tx-Katzen, in der Abwesenheit von jeglichem sensorischen Input Schreitbewegungen ausführen. Damit hatte er bereits 1914 die Hypothese, dass Lokomotion nur auf Kettenrefle▶ Abb. 4a), zurückgewiesen [15]. Zur Erxen beruhen würde (● klärung seiner Ergebnisse hat Graham Brown ein half-center oscillator Modell vorgeschlagen: 2 (Inter)neuronen(gruppen) inhibieren einander reziprok und generieren damit den Basis▶ Abb. 2b; ● ▶ Abb. 4b). Etwa 50 Jahre rhythmus fürs Gehen (● später bestätigten Lundberg und Mitarbeiter Graham Brown’s Modell mithilfe von L-DOPA und Nialamide Injektionen ins Rückenmark von Tx-Katzen [16]. In den 70er Jahren wurde von Grillner und Mitarbeitern das unit burst generator Modell vorgestellt [17], das Lokomotion nicht mehr nur als strenges Alternieren von Flexor- und Extensorak- CPG a ZNS MN Modulation Modulation Muskulatur variable Bewegung MN CPG b Läsion im ZNS reduzierte Modulation MN reduzierte Muskulatur Modulation monotone Bewegung Abb. 3a Die Aktivität eines Central Pattern Generators (CPG) wird sowohl durch Inputs aus anderen Teilen des Zentralnervensystems (ZNS) als auch durch sensorisches Feedback aus der Peripherie moduliert; variables Verhalten bzw. variable Bewegung entsteht. MN = Motoneuron Abb. 3b Im Falle einer Läsion im Zentralnervensystem (ZNS), reduziert sich der modulierende Input auf den CPG; das Verhalten bzw. die Bewegung wird monoton; das wiederum reduziert die Modulation durch sensorisches Feedback. MN = Motoneuron. MN a b CPG Reflex IN MN MN SN SN IN MN MN Abb. 4a Das Kettenreflex-Modell. Sensorische Neuronen (SN) eines kontrahierten Muskels projizieren auf Interneuronen (IN), die die Motoneuronen (MN) des Antagonisten aktivieren. Abb. 4b Central Pattern Generator (CPG). Ein zentrales Netzwerk generiert rhythmische Aktivität in den Motoneuronen (MN) von antagonistischen Muskeln (mit Erlaubnis von [9]). Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21 Originalia 19 tivität ansieht, sondern der Tatsache Rechnung trägt, dass bestimmte Motoneuronenpools sowohl während der Flexions- als auch der Extensionsphase eines Schritts aktiv sein können. Das unit burst generator Modell nimmt getrennte Module an, deren Aktivität einerseits während der Lokomotion eng gekoppelt wird, andererseits durch supraspinalen Input individuell kontrolliert werden kann, um eine gewisse Variabilität zu gewährleisten. In der Folge wurden noch einige andere Modelle zur Erklärung der zentral generierten Aktivität präsentiert, die allesamt zwar nicht widerlegt wurden, aber auch keinen Konsens erhielten. In jedem Fall ist ein CPG im intakten Organismus wesentlich komplexer als er von einem Modell dargestellt werden kann [7]. Von pharmakologischen Experimenten an in vitro Präparaten oder Tx-Katzen, -Ratten und –Mäusen wissen wir, dass vor allem das noradrenerge und adrenerge System aber auch Serotonin und seine Agonisten, NMDA, sowie Dopamin für die Lokomotionsrhythmen eine Rolle spielen [6, 7, 16]. In der frühesten Entwicklung erzeugen die noch unreifen CPGs spontane Bewegungen, die ihrerseits die Reifung der neuronalen Netzwerke gewährleisten [19–21]. Besonders die axonale Zielführung aber auch die Feinabstimmung der synaptischen Verbindungen sind aktivitätsabhängig. Wenn man zum Beispiel bei Hühnerembryonen Glyzin- und GABA-hältige Synapsen blockiert, verändert man die Spontanaktivität so, dass sogenannte pathfinding errors (fehlerhafte axonale Zielführungen) passieren, die zu fehlplazierten Somata von Motoneuronen führen [20]. Durch experimentelle Wiederaufnahme eines normalen Aktivitätsniveaus werden diese Errors jedoch wieder korrigiert, was den dynamischen Prozess dieser frühen Funktions-Struktur-Beziehung unterstreicht [22]. Auch der genetisch programmierte Zelltod der Motoneuronen ist stark von der CPG Aktivität abhängig. Immobilisiert man Hühnerembryonen, kommt es aufgrund eines stark reduzierten programmierten Zelltodes zu einer pathologischen Erhöhung der Anzahl der Motoneuronen. Stoppt man dann die Applikation des immobilisierenden Agens, erhöht sich die Motilität wieder und das Zuviel an Motoneuronen erfährt einen verspäteten Zelltod, der dann aber mehr Motoneuronen betrifft als dies normalerweise der Fall ist [23]. Zu einer Verzögerung im physiologischen Abbau der frühen multiplen motorischen Endplatten zum Beispiel bei jungen Ratten kommt es durch Sehnendurchtrennung und die damit ausgelöste Immobilität [24]. Umgekehrt, wird dieser Abbau beschleunigt, wenn man die Muskelaktivität durch elektrische Stimulierung erhöht [25]. Im letzteren Fall spielt aber sicher auch die erhöhte Ausschüttung proteolytischer Enzyme für die Reduktion von überflüssigen motorischen Endplatten und deren Innervierung eine Rolle. Auch das sich entwickelnde Transmittersystem ist von einer moderaten CPG Aktivität abhängig. Beim Xenopus, zum Beispiel, führt eine Abnahme der frühen Aktivität zu einer vermehrten Bildung von Neuronen mit erregenden Transmittern und zu einer Reduktion der Bildung von Neuronen mit hemmenden Transmittern. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn die frühe CPG Aktivität verstärkt wird [26]. Die Funktion der Central Pattern Generators während der Entwicklung ▼ Der Physiologe William T. Preyer war der erste, der die embryonale Aktivität einem endogenen Rhythmusgenerator zugeschrieben hatte [18]. Schon 1885 beobachtete er, dass sich Hühnerembryonen bewegen bevor die sensorische Afferenz den Reflexbogen schließt. Inzwischen hat eine Vielzahl an Studien über embryonales/fötales Verhalten diese ersten Beobachtungen bestätigt [19]. Heute weiss man, dass die embryonale/fötale Motorik notwendig ist, damit sich Skelett-, muskuläres und Nervensystem angemessen entwickeln können – oder umgekehrt: normale fötale Entwicklung bedarf einer angemessenen fötalen Motorik. Funktion ist somit ein wesentlicher Bestandteil normaler Entwicklung und der pränatale Gebrauch einer noch unreifen Struktur ist für die Ausreifung eben dieser Struktur unumgänglich [19]. • • • 8 Startles (kurze Zuckungen) General Movements Schluckauf • Isolierte Armbewegungen • Isolierte Beinbewegungen • Atembewegungen • Rhythmisches Seitwärtsbewegen des Kopfes • Ante- und Retroflexion des Kopfes • Kieferöffnen • Handbewegungen zum Gesicht (evtl. Daumen zum Mund) • Öffnen und Schließen der Finger • Sich Strecken • Gähnen • Isolierte Fingerbewegungen • Zungenprotrusion • Saugen und Schlucken • Langsame Augenbewegungen 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 • Schnelle Augenbewegungen • Blinzeln 21 22 23 Gestationsalter in Wochen Abb. 5 Das erste Auftreten von endogen generierten Bewegungsmustern beim menschlichen Fötus [19]. Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21 20 Originalia Die endogen generierte humane Fötalmotorik ▼ Die embryonale/fötale Motorik hat alle Charakteristika von CPG Aktivität. In diesem Zusammenhang sind vor allem fötale Atembewegungen zu nennen, die beim menschlichen Fötus erstmals zwischen der 8. und 12. Gestationswoche zu beobachten sind ▶ Abb. 5) [19]. Sie sind essentiell für die Entwicklung des Lun(● gengewebes aber auch für die Lungenreifung. Die Differenzierung von Typ I und Typ II Pneumozyten geschieht zum Beispiel nur, wenn Atembewegungen in einem ausgewogenen Ausmaß vorhanden sind [27]. Ab der 14. Gestationswoche hat der menschliche Fötus Saug▶ Abb. 5) [19]. Neben der Regulation und Schluckbewegungen (● des Fruchtwassers, sind diese Bewegungen notwendig, damit sich die Kiefer adäquat formen, aber auch für die Feinabstimmung der neuronalen Innervation des Gastrointestinaltrakts ▶ Abb. 5 zeigt das (mittels wöchentlicher Ultraschallun[28]. ● tersuchungen erhobene) erste Auftreten weiterer zentral genierter fötaler Bewegungsmuster [19]. Besonders erwähnenswert sind dabei die sogenannten general movements. Während der oft bis zu einigen Minuten dauernden general movements ist der ganze Körper in Bewegung. Aufgrund des modulierenden Inputs auf den general movement CPG (der sich hypothetisch im Hirnstamm befindet) ist die Sequenz der einzelnen Bewegungskomponenten in Armen, Beinen, Nacken und Rumpf äußerst variabel. Zudem variieren Intensität, Geschwindigkeit, Amplitude und räumliche Ausrichtung der einzelnen Komponenten. Der Anfang und das Ende der general movements sind fließend und nur sehr selten abrupt; den komplexen Extensions- und Flexionsbewegungen sind elegante Rotationen überlagert [29]. Diese endogen generierten Bewegungen dauern auch nach der Geburt an, und zwar bis zum 5. Lebensmonat. Zu diesem Zeitpunkt dominiert die Willkürmotorik, die sich ab dem 3. Lebensmonat zu entwickeln beginnt [30]. Die klinische Beurteilung dieser general movements ist ein etabliertes Verfahren innerhalb der neurologischen Untersuchung des Früh- und Neugeborenen sowie des jungen Säuglings [29] und stützt sich auf die Kenntnis der normal modulierten CPG Aktivität bzw. der Reduktion dieser Modulation. Hirnläsionen reduzieren die Modulation der CPG Aktivität ▼ Beobachtungen an anencephalen Föten implizieren, dass der CPG für general movements im Hirnstamm angenommen werden kann. Fehlen die rostralen Strukturen, sind die general movements abrupt, exzessiv und völlig monoton [31, 32]; man könnte auch sagen, sie sind Ausdruck unmodulierter CPG Aktivität. In einem intakten Nervensystem, modulieren – wie schon oben gesagt – Inputs aus anderen supraspinalen Hirnregionen sowie das sensorische Feedback aus der Peripherie die CPG Ak▶ Abb. 3a). Eine Hirnläsion (wie z. B. periventrikuläre tivität (● Leukomalazie, Hirnblutung, Basalganglienläsion oder cerebelläre Läsion) reduziert den modulierenden Input auf den CPG ▶ Abb. 3b) und die general movements verlieren ihre Variabili(● tät [29]. Das trifft nicht nur auf die Spontanbewegungen des Neugeborenen und jungen Säuglings zu, sondern auch auf die Fötalmotorik. Monotone, fragmentierte, eckige, abrupte fötale general movements sieht man daher bei Föten mit erworbener Hirnläsion, aber auch bei Föten, die plazentadurchgängigen Me- dikamenten oder Drogen ausgesetzt waren, Föten von diabetischen Müttern, oder wachstumsretardierten Föten [33]. Insofern läßt sich die Kenntnis der CPG Aktivität und ihrer (reduzierten) Modulation als funktionelle neurologische Untersuchung des sehr jungen Nervensystems zuverlässig einsetzen [19, 29]. Bestimmte abnormale general movements sagen äußerst valide spätere neurologische Beeinträchtigungen voraus und ermöglichen somit eine gezielte Frühtherapie [29]. Danksagung ▼ Wir bedanken uns bei Ing. Gunter Vogrinec für die Erstellung der Abbildungen. Unterstützt von: Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF-P19581-B02), Franz-Lanyar Stiftung (P325, P337), Theodor Körner Fonds, Land Steiermark und Stadt Graz. Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikt bestehen. 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