Schamanismus

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Begriff
Schamanismus bezeichnet weniger eine spezifische Religion als
vielmehr ein religiöses Phänomen, das als ein vielschichtiger
Komplex von Vorstellungen und Handlungen erklärt werden
kann, in dessen Zentrum die Person des Schamanen steht.
Der Begriff leitet sich etymologisch sehr wahrscheinlich von
dem Wort "Šaman" der sibirischen Ewenken ab, das mit
"jemand, der erregt, bewegt, erhoben ist" übersetzt werden kann.
Andere etymologische Herleitungen arbeiten mit dem Pali-Wort
"samana", was "Bettelmönch" sowie "Asket" bedeutet.
Die Schamanen verfügen über bestimmte kulturspezifische
Fähigkeiten und Techniken, mit denen sie Krankheiten
hervorrufen und heilen können. Sie sind dazu fähig, in einem
bewusst herbeigeführten Ekstasezustand mit Geistern zu
kommunizieren und diese zu beeinflussen.
Heute wird der Begriff des Schamanismus zur Beschreibung
unterschiedlicher Phänomene weltweit verwendet. Darunter
werden Bezeichnungen wie z.B. Medizinmann, Magier, Heiler
und Geisterbeschwörer subsumiert, die bei der Heilung und
Divination Techniken der Trance oder Ekstase anwenden.
Verbreitung
Nordeurasien wurde auf der Grundlage von verschiedenen
Berichten des 17.-19. Jahrhunderts von Forschern, Missionaren,
Reisenden und später durch Wissenschaftler als locus classicus
des Schamanismus beschrieben. Der Schamanismus wurde vor
allem durch die Erforschung indigener Kulturen Nordamerikas
und Sibiriens bekannt, es handelt sich aber nicht nur um ein
zirkumpolares, sondern um ein weltweites und zu allen Zeiten
verbreitetes Phänomen, was eine einheitliche Kategorisierung
erschwert. Schamanismus ist somit eine Technik, die in
verschiedenen Religionen und Kulturen praktiziert wird. In
seiner "klassischen" Form ist er vor allem für Jäger- und
Fischerkulturen Nordeurasiens, bei Bauernkulturen der
angrenzenden Himalayaländer und Südostasiens beschrieben
worden. Ebenso treten Schamanen in Wildbeuter- und
Pflanzergesellschaften in Nord- wie Südamerika auf. Ähnliche
Funktionsträger gibt es aber auch in Ozeanien, Australien und
Afrika. Die lokalen Modifikationen sind zahlreich.
Abkömmlinge des Schamanentums, vielfach mit christlicher
Überlagerung, sind auch in den säkularisierten Kulturen
Europas, Asiens, Nord- wie Südamerikas zu finden. Es
existieren somit auch Formen des Stadtschamanismus, die von
Indigenen aber auch von Menschen, die keiner indigenen Ethnie
angehören und in einer Stadt leben, praktiziert werden.
Der Schamanismus hat seit seiner Entdeckung in der
wissenschaftlichen Welt viele Erklärungsversuche
durchlebt, wurde z.B. in psychopathologisch orientierten
Forschungen unter dem Aspekt von Hysterie und
Schizophrenie untersucht.
Das Alter des Schamanismus ist umstritten. In
Höhlenmalereien von Jägerkulturen von vor ca. 40.000
Jahren vermuten Wissenschaftler erste Hinweise zu
schamanischen Trancerituale gefunden zu haben.
Grundelemente
Obwohl der Schamanismus als solcher nicht pauschal zu
kategorisieren ist, existieren Merkmale, die sich trotz
regionaler wie temporaler Unterschiede in den
schamanischen Kulturen finden lassen.
Zudem sind schamanische Kulturen für ihre
synkretistische Flexibilität bekannt. Das bedeutet, dass die
schamanischen Riten durch Anpassung an die jeweilige
Umwelt ergänzt bzw. abgewandelt werden.
Ein Schamane steht im Dienst für seine Gesellschaft und
übt spezielle sozio-religiöse und heilerische Funktionen
aus.
Er besitzt demnach einen besonderen sozialen Status
innerhalb seiner Gemeinschaft. Dabei ist der soziale Status
von seinem Wissen abhängig, welches er im Verlauf von
mehreren Ausbildungsstufen bei verschiedenen Meistern
oder in Visionen und Träumen erwirbt. Sowohl Männer als
auch Frauen können Schamanen sein.
Die wesentliche Aufgabe besteht darin als "Mittler
zwischen den Welten", also zwischen der Menschen- und
der Geisterwelt, zu agieren, wobei die Heilung von
körperlichen wie seelischen Erkrankungen im Vordergrund
steht. Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass Krankheiten
bei Mensch und Tier als von Geistern hervorgerufen
gedacht werden. Es gibt unterschiedliche Formen, wie ein
Mensch zum Schamanen berufen wird. Meist äußert sich
die Berufung als eine schwere Krankheit, die nur durch
das Einverständnis des Initianden, Schamane werden zu
wollen, geheilt werden kann. In vielen Kulturen stellt für
den Schamanen die Initiation ein einschneidendes Erlebnis
dar, bei der er in Visionen von Geistern zerstückelt und
darauffolgend wiederbelebt wird, somit also Tod und
Wiedergeburt erfährt. Die Berufung geschieht u.a. durch
Tiergeister oder Ahnengeister, die dem Schamanen im
Traum oder in der Vision erscheinen und diesem Wissen
vermitteln, das dem Wohle der Gemeinschaft dient. Mit
diesen Hilfsgeistern gelingt es dem Schamanen, Geister
der Krankheit zu erkennen und sie aus dem Patienten
herauszutreiben. Die Hilfsgeister muss sich der Schamane im
Verlauf seiner Ausbildung dienstbar machen.
Das Weltbild von schamanischen Kulturen basiert auf einer
animistischen Naturkonzeption, in der den Naturerscheinungen
materielle wie spirituelle Attribute zugesprochen werden.
Die Natur verfügt demnach über eine eigene spirituelle Qualität,
so dass Menschen persönliche und soziale Beziehungen mit
Wesen aus der Natur eingehen können. Die Verbundenheit
zwischen dem Menschen und der Tierwelt ist demnach eine
Grundlage des Schamanismus. Dies zeigt sich am Beispiel der
meist zoomorphen Hilfsgeister und am Glauben an ein tierisches
Alter Ego.
In dieser Kosmologie werden die Beziehungen zwischen
Mensch, Natur und Übernatürlichen dynamisch verstanden, das
bedeutet, dass die einzelnen Bereiche in diesem Gefüge nicht
scharf voneinander abgegrenzt werden, sondern ineinander
verwoben sind.
In vielen Kulturen wird der schamanische Kosmos in drei Zonen
gegliedert: in eine Ober- sowie Unterwelt, den Sphären der
Geister, und die diesseitige Mittelwelt, wobei diese
verschiedenen Ebenen durch einen Weltenbaum bzw.
Weltenachse u.ä. verbunden sind.
Als ein zentrales Element des Schamanismus gilt die rituelle
Ekstase des Schamanen, während der er auf Seelenreise geht
und die durch Musik, Tanz, das Tragen einer Maske und durch
die Einnahme von Tabak und halluzinogenen Pflanzen,
beispielsweise Ayahuasca oder Peyote, erzielt werden kann. Sie
gilt als wichtige Technik der Beherrschung und der
Kommunikation mit der übernatürlichen Welt.
Dies setzt eine Seelenkonzeption voraus, in der die Existenz je
nach Kultur von einer oder mehreren leibunabhängigen, also
vom Körper lösbaren, spirituellen Seelen, so genannten
"Freiseelen" angenommen wird, die in der Lage sind, den
diesseitigen Seinsbereich zu transzendieren.
Neben der Divination und der Funktion als Ritualleiter bei
kollektiven
Zeremonien
gehört
zu
den
weiteren
Handlungsräumen des Schamanen das Herstellen von
machttragenden Objekten, die Erfolg bei der Jagd, beim Feldbau
oder auch bei Liebesbeziehungen etc. erzielen sollen.
Der Schamane besitzt verschiedene besondere symbolbehaftete
Gegenstände, die für sein Wirken unentbehrlich sind. Dazu
gehören bzw. die Schamanentrommel oder Rasseln zum Anrufen
der Hilfsgeister oder als Hilfsmittel, um in Trance zu gelangen.
Zudem spielt das Schamanengewand mit Abbildern oder
Gegenständen seiner Hilfsgeister eine wesentliche Rolle.
Ebenso fungiert ein Schamane als Erzähler von Mythen und
Geschichten und nimmt für die Gemeinschaft die Rolle des
Bewahrers von traditionellem Wissen ein.
Neo-Schamanismus
Der Neo-Schamanismus ist eine Bewegung, die sich
ansatzweise in der Hippiebewegung der 1960er Jahre geformt,
sich aber vorwiegend in den 1990er Jahren in der Nachfolge des
New Age in Nordamerika und Europa entwickelt hat. Die
zunehmende Anzahl sowohl an wissenschaftlichen wie
belletristischen Publikationen demonstriert das westliche
Interesse am Schamanismus.
Die ethnologische Schamanismusforschung fungierte hierbei als
Katalysator. So waren Carlos Castanedas angeblich authentische
Feldforschungsberichte in den 1970er Jahren bestimmend für
die Entfaltung eines schamanischen Diskurses, der sich mit
außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen, nichtwestlichen
Deutungen der Wirklichkeit und einer Suche nach vertieftem
Wissen von den Zusammenhängen des Kosmos beschäftigt.
Kennzeichnend für den Neo-Schamanismus ist, dass sich aus
den Merkmalen des "traditionellen" Schamanismus neue
Handlungsmuster entwickelt haben, die im Rahmen von
Seminaren und Workshops u.a. in alternativen Tagungsorten
oder auch auf Festivals (z.B. Rainbow Gathering) erlernt
werden können. Sie dienen zur Vermittlung der für die
schamanische Arbeit notwendigen Techniken. So soll die
Fähigkeit zur Seelenreise oder die Verbindungsaufnahme zu
persönlichen Krafttieren individuell erlernbar sein.
Es ist ein immer größer werdendes Angebot an alternativen
Heil- und Selbstfindungsmethoden, die unterschiedlichste
spirituelle Ansätze bieten und somit an die individuellen
Bedürfnisse anpassbar sind. Zudem spielt die künstlerische
Dimension in den neo-schamanischen Praktiken eine gewichtige
Rolle.
Die neo-schamanische Szene ist – ganz im Sinne ihres
traditionellen Vorbilds – eine heterogene Bewegung ohne scharf
abgegrenzte Ränder und Strukturen, in der die Fluktuation der
Anhänger sehr hoch und wenig geregelt ist. Daher ist es z.B.
schwierig von einer spezifisch deutschen neo-schamanischen
Szene zu reden. Die entsprechenden Zentren und Netzwerke
sind kaum mehr zu überblicken, da sie aus diversen Subkulturen
wie Esoterikern, Künstlern, Friedens- und Umweltaktivisten bis
hin zu Ärzten bestehen und unterschiedliche Ideologien und
Bewegungen vereinen, z.B. auch im keltischen wie
germanischen Neuheidentum. Als einzelne Gruppierungen in
Deutschland bzw. Europa können die Erdtanzgemeinschaft,
Bärenstamm e.V. oder die Rainbow Family genannt werden, die
indigene Zeremonien wie u.a. die der Schwitzhütten und des
Medizinrades ausüben oder Trommelkurse anbieten.
Dem Neo-Schamanismus ist auch eine kulturkritische Haltung
eigen, wenn es beispielsweise um die westliche Schulmedizin
geht oder wenn die Entfremdung zur Natur bzw. deren
Zerstörung beklagt wird. Besonders in den USA wurde der
Neo-Schamanismus zu einer Gegenbewegung zur
Mainstream-Gesellschaft.
Manche problematisieren den Neo-Schamanismus. Zum
einen biete er Raum für "Scharlatane" oder er wird als
Regression in eine Wunschwelt kritisiert. Zum anderen
wird von der Ausbeutung und Vermarktung indigener
Spiritualität gesprochen, wodurch deren Recht auf Schutz
ihrer kulturellen Traditionen verletzt wird.
Links
www.thespiritfoundation.com/
www.schamanismus.org/
www.carlos-castaneda.de/
www.jangual.net
Literatur
Eliade, Mircea: Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Zürich 1957.
Hesse, Klaus: Schamanismus. In: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Hrsg. von Hubert
Cancik, Burkhard Gladigow, und Karl-Heinz Kohl.
Stuttgart / Berlin / Köln 2001.
Mayer, Gerhard: Schamanismus in Deutschland. Konzepte
- Praktiken - Erfahrungen. Würzburg 2004.
Müller, Klaus E.: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale.
München 1997.
Von Stuckrad, Kocku: Schamanismus und Esoterik.
Leuven 2003.
Zeitschrift
Naturel (www.naturel.biz)
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Universitätsstr. 55 - D-35037 Marburg
Tel. und Fax: 0 64 21 / 6 42 70 - [email protected] www.remid.de
Bearbeitung: Viviana Korn, September 2010
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Schamanismus
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