Auch Nichtinstrumentalisten können komponieren

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Auch Nichtinstrumentalisten
können komponieren
Komposition im Unterricht am Beispiel eines Barock-Themas
thorsten gietz
Das Komponieren im Unterricht gilt als schwer oder geradezu
unmöglich, schon gar für Schülerinnen und Schüler, die nie
außerhalb der Schule ein Instrument erlernt haben. Dass es
dennoch möglich ist und wie der Weg dahin aussehen kann,
soll hier anhand eines Barock-Themas gezeigt werden.
Voraussetzung für das Komponieren sind
grundlegende Notenkenntnisse. Wenn SchülerInnen ihre eigenen Kompositionen hören und
spielen, ist dies für sie ein sehr beglückendes und
motivierendes Erlebnis und immer auch eine
künstlerische Selbstäußerung. Ihnen wird deutlich, dass Musik kein mystisch-geniales Etwas ist,
sondern auch auf handwerklichen, durchschau-
baren Regeln aufbaut. Andererseits wird ihnen
bewusst, wie genial viele Kompositionen tatsächlich sind. Beim Komponieren und anschließenden Musizieren ihrer Komposition können Schümusik & bildung 2.15
28 PRAXIS
lerInnen im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“, wie ein barockes Thema, eine Chaconne,
eine Periode etc. gemacht sind. Mit der didaktischen Reduktion des zur Verfügung stehenden
Materials an Tönen, Rhythmen oder vorgegebenen Melodiebausteinen wird die Realisierung
einfacher. Je weniger vorgegeben ist und je freier
die Aufgabenstellung, umso schwerer ist in der
Regel die Umsetzung der Kompositionsaufgabe.
Ausgangspunkt ist ein Stück, in dem die SchülerInnen einige Kompositionsprinzipien selbst erkennen sollen. Dann erst wenden sie diese Prinzipien in ihren eigenen klanglichen Gestaltungen
an. Das Wechselspiel von eigenem Ausprobieren
(also Komponieren) und dem analytischen Betrachten gegebener Werke kann dabei in einer Art
Zirkel mehrfach durchlaufen werden.
EIN BAROCK-THEMA KOMPONIEREN
Bevor die Aufgaben des ersten Arbeitsblattes
gelöst werden, sollen die SchülerInnen das Rondeau von Henry Purcell aus der Bühnenmusik
Abdelazer zunächst hören oder sogar selbst spielen (HB 5).
Die erste Aufgabe umfasst die Analyse der Struktur
des sogenannten barocken Fortspinnungstypus
am Beispiel von Henry Purcells Rondeau (AB 1).
Fast immer finden die SchülerInnen die richtige
Einteilung des Stückes in Takt 1–2, 3–6 und 7–8.
Während die SchülerInnen im Leistungskurs die
Eigenschaften selber finden, können im Grundkurs folgende analytische Beschreibungen als
Beispiele an der Tafel (OHP oder Beamer) vorgegeben werden (möglicherweise auch eine deutlich reduziertere Auswahl), die dann den Ab-
5 6 7 8 9 10 11 12 13
Arbeitsblätter
s
QUINTFALLSEQUENZ
In einem weiteren Schritt wird die Fortspinnung
der Takte 3-6 untersucht. Entweder können die
Akkorde bestimmt werden (nicht als funktionsharmonische Analyse, sondern lediglich die Akkorde selbst, also d-Moll, g-Moll etc.), oder einfach nur die Basslinie (Quintschritte). Die SchülerInnen erkennen den mehrfachen Quintfall (dg-c-f-b-e-a-d) und die Sequenzierungen in der
Melodie.
Der mehrfache Quintfall des Basses kann am Klavier musiziert werden, zunächst in der gegebenen Tonart d-Moll, dann auch in anderen Tonarten (AB 1, Takte 3–6).
s
AB 1: Henry Purcell: Rondeau, aus:
Abdelazer, S. 30
AB 2: Barocker Fortspinnungstypus, S. 31
schnitten zugeordnet und aufgeschrieben werden sollen:
aufwärts strebende Töne,
Abschluss auf dem Grundton,
überwiegend kleinere Notenwerte,
charakteristisches Motiv am Anfang,
Motiv wird häufig sequenziert wiederholt,
erst längere Notenwerte, dann zunehmende
Verkürzung,
am Schluss eine Kadenz (Tonika – Subdomi
nante – Dominante – Tonika),
anfangs größere, dann zunehmend kleinere
Intervalle,
keine Sequenzierung, sondern Wiederholung
desselben Motivs auf gleicher Stufe,
harmonisch einfach, überwiegend nur Tonika,
Gang durch verschiedene Tonarten,
viele Dreiklangsbrechungen,
Die SchülerInnen sollen die Reihenfolge der Begriffe Vordersatz – Fortspinnung – Epilog selber
finden, um damit über den Sinn dieser Begriffe
nachzudenken. Nach der Besprechung und dem
Ergebnisvergleich erhalten die SchülerInnen ein
Informationsblatt zum barocken Fortspinnungstypus (AB 2).
Hörbeispiel – CD
s
HB 5: Rondeau, aus: Abdelazer
(Henry Purcell)
schott-musikpädagogik.de
s
Beitrag als PDF-Datei
musik & bildung 2.15
KOMPONIEREN EINER
EINTAKTIGEN MELODIE
Ausgehend von Purcells Beispiel wird das Prinzip
in der Melodie deutlich: Die eintaktige melodische Phrase in der Melodie wird jeweils um eine
Sekunde nach unten sequenziert, wobei der Bass
jeweils zwei Töne spielt. Die Schülerinnen komponieren nun eine kurze eintaktige Phrase,
zunächst nur mit dreiklangseigenen Tönen in
C-Dur, die dann dreimal jeweils um eine Sekunde nach unten sequenziert wird (Abb. 1).
Die Ergebnisse werden musiziert, einzeln, zu
zweit, von der Lehrkraft oder auch von allen gemeinsam.
Die Quintfallsequenz kann „verfeinert“ werden,
indem nun auch akkordfremde Töne verwendet
werden, wenn sie auf unbetonten Zählzeiten
stehen und sowohl schrittweise erreicht als auch
schrittweise verlassen werden (Durchgangsnoten). Außerdem kann die letzte Sequenz um
einen halben Takt verkürzt werden, sodass ein
Abschlusston auf der Tonika erklingt (Abb. 2).
Mit der Quintfallsequenz ist schon ein Teil des
barocken Fortspinnungstypus komponiert worden: die Fortspinnung.
KOMPONIEREN DES VORDERSATZES
Auch die Komposition eines Vordersatzes ist nicht
wesentlich schwieriger. Entscheidend ist die Reduktion der Vorgaben. Einfachste Variante: nur
dreiklangseigene Töne, nur Tonika, ohne Bass.
Abgesehen von dieser Beschränkung werden nun
die anderen Kriterien umgesetzt: aufwärtsstrebende Töne, zunehmende Verkürzung der Notenwerte, zunehmende Verkleinerung der Intervalle, Abschluss auf der Dominante (Abb. 3).
Für einen interessanteren Klang empfiehlt es
sich, zum Ende des Vordersatzes hin Durchgangsnoten einzufügen (Abb. 4).
Im Leistungskurs kann auch ein einfacher Bass
komponiert werden, der sich auf die Grundtöne
beschränkt (Töne der Tonika und am Ende der
Dominante) (Abb. 5).
KOMPONIEREN DES EPILOGS
Grob gesagt geht man hier den umgekehrten
Weg des Vordersatzes: zunehmende Vergrößerung der Notenwerte, allmähliche Beruhigung,
eher abwärts gerichteter Melodieverlauf, Schluss
auf der Tonika. Einfachste Variante: nur dreiklangseigene Töne, nur Tonika, am Ende die Verbindung Dominante – Tonika. Die anderen Kriterien entsprechen denen, die zuvor analysiert
wurden: häufige Wiederholungen auf derselben
Tonstufe, überwiegend kleinere Intervalle (Abb. 6).
Empfehlenswert ist es, vor der Dominante kurz
die Subdominante erklingen zu lassen, um damit
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eine stärkere Schlusswirkung zu erzielen. Statt
nur in der Tonika kann am Anfang im Wechsel
zwischen Tonika und Subdominante oder zwischen Tonika und Dominante komponiert werden. Auch dieser Teil wird interessanter, wenn
Durchgangsnoten und ein Bass hinzugefügt werden (Abb. 7).
BEWERTUNG
Häufig kommt die Frage auf, wie Kompositionen
bewertet werden können. Zum Einen durch die
MitschülerInnen, die schon vom Höreindruck erstaunlich sicher die Qualität einer Komposition
einschätzen können. Außerdem gibt es aber auch
folgende Kriterien mit jeweiliger Gewichtung:
Äußere Form (15%): korrekte Notation von
Takt, Rhythmus, Melodik, Tonart und Akkorden.
Einhaltung der formalen Vorgabe (20%):
Gliederung in Vordersatz, Fortspinnung und
Epilog, Angemessenheit der Proportionen.
Harmonik (15%): Anwendung funktionsharmonischer Regeln; Einhaltung der Harmonik
der erweiterten Kadenz, Dominante am Ende des
Vordersatzes und der Fortspinnung, Komponieren einer Quintfallsequenz innerhalb der Fortspinnung, deutliche Schlusskadenz am Ende des
Epilogs.
Rhythmik (20%): weder zu einfach noch zu
kompliziert, zunehmende Verkürzung der Notenwerte innerhalb des Vordersatzes, Verwendung
von Pausen und Zäsuren zwischen den Teilen.
Satztechnik (10%): Einhaltung von Stimmführungsregeln (Beachten von Konsonanz und
Dissonanz, Vermeidung von Quint- und Oktavparallelen, Gegenbewegung).
Charakteristische Gestaltung (Melodik) (20 %):
Schlüssigkeit der Gesamtgestaltung, Einhaltung
der Merkmale des barocken Fortspinnungstypus.
ABB. 1: QUINTFALL MIT FORTSPINNUNG
ABB. 2: QUINTFALL MIT FORTSPINNUNG UND DURCHGÄNGEN
ABB. 3: VORDERSATZ
ABB. 4: VORDERSATZ MIT DURCHGÄNGEN
ABB. 5: VORDERSATZ MIT BASS
ABB. 6: EPILOG
ABB. 7: EPILOG MIT DURCHGÄNGEN
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AB 1
HB 5
Henry Purcell: Rondeau, aus: Abdelazer
!
Hören oder spielen Sie zunächst das Rondo.
Teilen Sie das Rondo in sinnvolle Abschnitte.
Begründen Sie ihre Meinung, indem Sie die typischen Eigenschaften dieser Abschnitte benennen.
M: Henry Purcell
5
8
Was ist ein Rondeau oder Rondo? Recherchieren Sie gegebenenfalls!
Henry Purcell lebte von 1659 bis 1695 und galt
schon zu Lebzeiten als einer der bedeutendsten englischen Komponisten des Barock.
Er wurde mit dem Ehrentitel „Orpheus britannicus“ gewürdigt, weil seine Musik so
schön wie die des Dichters und Sängers Orpheus aus dem alten Griechenland angesehen wurde.
Purcell erhielt eine Ausbildung als Chorknabe
an der Chapel Royal in London und gehörte
somit zum Hofstaat des Königs. Mit 19 Jahren
wurde er Komponist des Streichorchesters des
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Königs; kurz darauf übertrug man ihm das
Organistenamt an der Westminster Abbey,
ebenfalls in London.
Schon in sehr jungen Jahren fing Purcell an
zu komponieren. Sein Werk ist angesichts der
Kürze seines Lebens sehr umfangreich und
reicht von geistlichen Werken über Opernund Schauspielmusik bis hin zu Kanons,
Liedern und Instrumentalmusik.
Portrait von John Closterman 1660–1711)
HENRY PURCELL
AB 2
31
HB 5
Barocker Fortspinnungstypus
BEGRIFFSERLÄUTERUNG
Das Thema eines Werks ist die musikalische Grundidee, auf der das Werk beruht und das in veränderter Form in diesem Musikstück immer wieder auftritt. Jede Epoche hat die für sie charakterlich typischen Themen. In der Klassik z. B. sind die Themen meist sehr klar, einfach und symmetrisch aufgebaut und von daher in sich geschlossen. Im Barock mit seiner überladenen, schwülstigen und verzierten Kunst ist das Thema sehr verspielt und
verziert.
Zwar lässt sich ein barockes Thema auch in Formabschnitte gliedern, diese sind aber nicht so klar abzugrenzen wie beispielsweise in der Klassik.
Während in der Klassik aufgrund der Symmetrie ein Thema meist 8 oder 16 Takte lang ist und die einzelnen Teile dann wieder gleich lang sind (also
z. B.: 2+2+2+2 Takte), besitzen die Formteile eines barocken Themas sehr unterschiedlich viele Takte (z. B. 3+5+6 Takte). Der Begriff barocco = schief,
rund) trifft also hier im engeren Sinn zu.
AUFBAU UND MERKMALE EINES BAROCKEN THEMAS
!
Ein barockes Thema ist oft aus drei Teilen aufgebaut:
1. charakteristischer, eröffnender Anfang: der Vordersatz,
2. sich daraus entwickelnde, weiterführende Fortspinnung,
3. abschließender Epilog.
Typische und häufig (nicht immer!) vorkommende Merkmale der einzelnen Teile:
Vordersatz:
Größere Intervalle (Sprünge)
aufwärts strebende Töne
charakteristisches Motiv
längere Notenwerte (Viertel und Achtel), dann zunehmende Verkleinerung der Notenwerte
harmonisch überwiegend einfach, oft nur Tonika
Diese Merkmale haben eine eröffnende Wirkung.
Fortspinnung:
Ein Motiv wird nun häufig wiederholt, in der Regel abgespalten und sequenziert („fortgesponnen“).
Durch die Sequenzierung ergibt sich ein harmonischer Gang durch verschiedene Tonarten.
Es sind oft Skalen (Tonleitern) vorhanden, daher also überwiegend kleinere Intervalle.
Die Notenwerte sind kleiner (oft Sechzehntel).
Diese Merkmale zeigen die motorische, forttreibende und verspielte Wirkung.
Epilog:
Am Schluss eine Kadenz
(Tonika – Subdominante – Dominante – Tonika oder
Tonika – Subdominantparallele – Dominante – Tonika ).
Oft Abschluss auf dem Grundton.
Keine Sequenzierung, sondern einfach Wiederholung desselben Motivs auf gleicher Tonstufe.
Allmähliche Beruhigung, also Vergrößerung der Notenwerte.
Diese Merkmale haben eine abschließende Wirkung.
musik & bildung 2.15
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