„Momenti intimi“ für Cello und Klavier von Boris Kosak „with the keys and with the bow, nice and slow ...“ In den 36 einminütigen „Streicheinheiten“ für Cello und Klavier werden auf unterhaltsame Weise erotische und musikalische Themen miteinander „verkuppelt“. Die Zahl 36 ergibt sich aus „sechs mal die sechs“, der Nummer für die „gewissen Stunden“. Stilistisch bewegen sich die Stücke zwischen klassisch und modern und sind wegen einer starken Verführungsqualität für Minderjährige nicht geeignet. Heft I 01 Preludio ad libidum „Vorspiel nach Wunsch“ könnte das Eröffnungsstück heissen, wenn die Spielangabe wie üblich „ad libitum“ geblieben wäre. Durch eine unschuldige Wortspielerei wird aus dem „nach Belieben“ das wollüstige „nach Begehren“. Es entsteht eine Stimmung voller Lebenslust und unversteckter Begierden, die das weitere Geschehen musikalisch vorbereitet. Statt wie gewöhnlich im C-dur anzufangen, geht es hier in F-dur los, was auf eine dezente Weise das F-Wort andeutet. 02 Sin-copas Synkopen sind rhythmische Verschiebungen, die unbetonte Zählzeiten plötzlich hervorheben und dadurch eine Spannung erzeugen. Hier werden sie eingesetzt, um den sündigen Charakter der Verführung zu betonen, und heißen deshalb eben „sin“, Englisch für die Sünde. In Verbindung mit „copas“ (Spanisch für „Gläser“) wird deutlich, mit welcher Art von Genuss diese viel versprechende Stunde anfängt. Auch dem Barock angelehnter Beigeschmack aus Sehnsucht und Leidenschaft trägt zu der Erhabenheit des Bildes bei. 03 Mani glissandi „Die gleitenden Hände“ spielt mit der Spielanweisung Glissando, die ein kontinuierliches statt stufenoder sprungweises Verändern der Tonhöhe bezeichnet. Wenn die Hände zu frech werden, bekommen sie immer wieder einen deutlich hörbaren Klaps, der offensichtlich nicht ernst gemeint ist. 04 Major seduction „Die große Verführung“ könnte auch mit „Verführung in Dur“ übersetzt werden. Es ist eine hemmungslose Steigerung der vorherigen Stimmung, eine Art groß angelegte Offensive, denn die Festung muss um jeden Preis fallen! 05 French Keys Das romantische und etwas melancholische Stück evoziert die französische Art des Chanson und gleichzeitig den sinnlichen Zungenkuss. 06 Carpe dièse Die Aufforderung von Horaz, „den Tag zu nutzen“ (oder wörtlich „zu pflücken“) erlebt hier eine kleine Korrektur. Da „dièse“ für das Kreuz oder das Tonerhöhungszeichen steht, können hier die kleinen feinen Unterschiede im Melodieablauf gepflückt werden. Durch die ständige Wiederholung bekommt die Musik einen beschwörenden Charakter. 07 Tira-mi-dessous Das Ringen mit dem (wie so oft!) ungehorsamen Dessous verläuft im Tarantella-Rhythmus, einem traditionellen temperamentvollen Tanz aus Italien, dem Land, dem wir auch Tiramisù verdanken Italienisch für „zieh mich hoch“. 08 Tango de tanga Das winzige Stück Stoff hat nicht nur in Argentinien seine Anhänger, doch entspricht der leidenschaftliche Tango argentino wohl perfekt der dadurch ausgerufenen Explosion der Gefühle. 09 String habanera Dem in der sündigen Stadt Havanna entstandenen Habanera wird die ideale Verkörperung der Liebe im Tanz nachgesagt. In der schmalsten Version des Tangas, dem String, wird dagegen die Knappheit des Stoffs buchstäblich auf den Punkt gebracht. Kein Wunder, dass die Emotionen überlaufen. 10 À bas la basse „Runter mit dem Bass“ oder „mit den Strümpfen“ lautet hier die Devise, denn „bas“ bedeutet Strumpf. Die letzten werden ungeduldig hinuntergerollt, bis die letzten Hindernisse für die körperliche Vereinigung entfernt sind. 11 Amour plat-tonique Der Begriff „platonische Liebe“ beherbergt das Wort „plat“, Französisch für „flach“ oder „platt“, woraus folgt, dass eine flache Ebene die notwendige Voraussetzung für das Entstehen von allem Erhabenen ist. Das Stück wird die meiste Zeit im Piano gespielt, die letzte Spielanweisung kommt aus dem Italienischen und bedeutet sowohl leise als auch „flach“. Tonika, als der harmonische Mittelpunkt jeder Tonart bildet ebenfalls eine stabile Grundlage für das musikalische Geschehen und ist somit ein nettes Wortspiel. 12 Contrappunto 69 Kontrapunkt ist eine Kompositionstechnik, bei der mindestens zwei gleichwertige und unabhängige Melodien gleichzeitig miteinander kombiniert werden. Bei einer besonderen Variante, die als Krebs bezeichnet wird, wird die gleiche Melodie rückwärts gespielt. Eine klare Verwandschaft mit der Sexposition 69 wird schnell erkennbar, denn sie hat ihren Namen von der bildhaften Darstellung des Sternbilds Krebs erhalten. Heft II 13 Flautando fragile Zärtliches Flöten heißt der Titel auf Deutsch. Eine melodische Anspielung auf die Ballettszene „Tanz der seligen Geister“ aus der Oper „Orfeus und Eurydike“ von Ch.W.Gluck mit dem berühmten Flötensolo, evoziert die glücksbringenden Umstände im Elysion, dem griechischen Paradies. 14 Dominant tune Eine Dominante bezeichnet die fünfte Stufe einer Tonleiter und die Funktion aller darauf basierenden Akkorde. Sie liegt über der auf der ersten Stufe gebildeten Tonika, erzeugt die meiste harmonische Spannung und Instabilität und fordert eine Auflösung in die Tonika. „Tune“ steht sowohl für die Melodie als auch für die Stimmung, die dominanten Töne sind unüberhörbar. 15 Solo carne-vale „Nur das Fleisch zählt“ ist das Motto des Karnevals, bei dem das Körperliche und das Lustvolle zelebriert werden. „Viva Colonia“ darf hier ebenso wenig fehlen, wie die scherzhaften und etwas verkleideten Anspielungen an die Musik der Vergangenheit, unter anderem von Beethoven und Mozart. 16 Cantus firmus In der Musik des späten Mittelalters war es üblich, dass der Tenor (von Lateinisch „tenere“ für „halten“) die Hauptmelodie ständig wiederholte und die anderen Stimmen diese umspielten. Daher kommt auch der Ausdruck „fest stehende Melodie“, der dem Titel den Namen gab. Oft wurde die Melodie im Tenor zeitlich extrem gedehnt, wodurch sie ein majestätisches und würdevolles Fundament für das gesamte Klanggeschehen bildete. Es kommt zwar nicht auf die Länge an, doch auf die Festigkeit schon. 17 Moderato preservato „Mäßig zurückhaltend“ bezieht sich auf die notwendige Verhütung, die liebevoll angebracht wird, wo sie hingehört. Die Begeisterung hält sich zwar in Grenzen, doch sicher ist sicher. 18 Simple moves In den „einfachen Bewegungen“ wird der Flohwalzer umspielt, der in manch anderen Ländern auch als der „Hundewalzer“, „Katzenpolka“ oder sogar „Koteletts“ bekannt ist. Er ist so bequem und die Tastenverteilung so natürlich, dass ihn jeder fast sofort nachspielen kann. 19 Jeu de lit joli „Ein schönes Bettspiel“ hat den Charakter eines ruhigen barocken Pas de deux, einer Ballettszene für zwei, und das Spiel ist bekanntlich dann am Schönsten, wenn beide Seiten gewinnen. 20 Allegro con moto Der Titel ist eine weit verbreitete Tempobezeichnung „schnell, mit Bewegung“, wobei „Allegro“ auch noch „fröhlich“ bedeutet. Das Stück hat den Charakter eines Scherzos und bezeugt viel Elan und Tatendrang. 21 Duophonia con vibrato „Zweisamkeit mit viel Schwung“ (oder Vibration) ist voller zärtliche Töne, die Zuneigung bekunden und in die Tat umsetzen. 22 Sutra da cama „Sutra“ kommt aus dem Sanskrit und bedeutet „Faden“ oder „Kette“ und ist meistens ein einprägsamer Lehrtext in Versform, der mehrfach wiederholt vorgesprochen wird, damit der Geist der Lehre auf den Rezitierenden übergeht. „Cama“ steht auf Spanisch für „das Bett“, somit wird keiner mehr darüber Zweifel haben, um welche Lehre es geht. 23 Accordi tenuti Ein kurzes Innehalten tut auch bei einem Liebesspiel gut: bloß nichts überstürzen! Daher auch der Titel „verhaltene Akkorde“ oder auch „warmherziges Zusammensein“, denn „ad cor“ bedeutete ursprünglich „zum Herzen“. 24 G-pointillismus Der post-impressionistische Pointillismus ist als Stilrichtung relativ neu, die Suche nach dem sagenumwobenen G-Punkt gibt es dagegen schon seit geräumer Zeit, doch wer sucht, der findet! Heft III 25 One minute stand Auch eine einzige Minute kann die Ewigkeit erkennen lassen, wenn man genau reinfühlt. 26 Crescendo con speranza „Immer größer werdende Hoffnung“ ist voller Elan und Zuversicht. 27 Coitus sostenuto Hier haben wir es mit dem coitus interruptus, dem “unterbrochenen Geschlechtsakt” zu tun, der im musikalischen Kontext in der so genannten gebrochenen Kadenz eine Entsprechung findet, bei der die Dominante nicht in der Tonika aufgelöst wird, sondern erst mal zu der sechsten Stufe abweicht. Der Effekt ist der gleiche und eine Fortsetzung ist höchst erwünscht. 28 Fingered Bass Korrekt geschrieben müsste es „figured bass“ heissen, auf Deutsch entsprechend „Generalbass“, auch als „Basso continuo“ bekannt – eine Kompositionstechnik aus der Barockzeit. Hier bildet der Bass ununterbrochen das harmonische Fundament der Musik, wobei die zum musikalischen Ablauf passenden Akkorde nicht vollständig ausgeschrieben und nur „beziffert“ werden. Die genaue Realisierung der Akkorde ist dem Spieler überlassen. Durch den Zusatz „fingered“ wird in diesem Fall eine bestimmte Liebestechnik angedeutet. 29 Ancora una volta “Bitte noch eine Runde“ hat deutlichen lateinamerikanischen Einfluss im Rhythmus, vor allem aus dem dominikanischen Tanz Merengue. 30 La donna è mobile Jetzt wird auch die Dame beweglich, was seine unbeschreiblichen Vorteile mit sich bringt. Wer genau zuhört, erkennt auch die berühmte Arie aus Verdis Oper „Rigoletto“. 31 Stretta stringendo In einer Fuge ist Stretta die Stelle, wenn das Thema in mehreren Stimmen gleichzeitig durchgeführt wird und mehrere Motivstränge miteinander verwoben sind, wobei die melodischen Anfänge zeitlich leicht verschoben sind. 32 Tutti registri Kurz vor dem entscheidenden Höhepunkt werden noch mal „alle Register“ gezogen. 33 Cadenza celeste Eine musikalische Kadenz wird von einem oder mehreren Solisten gespielt, oft improvisiert oder eigenständig geschrieben. „Celeste“ bedeutet „himmlisch“ und verweist auf den ausgesprochen extatischen Charakter der Musik. 34 Fontana fulminante alla Respighi Die berühmten Brunnen von Rom wurden von Respighi in der gleichnamigen sinfonischen Dichtung besungen. Das natürliche Pendant ist nicht weniger beeindruckend und entfaltet sich in seiner stolzen Pracht zum Gipfel der Lebensfreude. 35 Sforzato maquiato Ein etwas besinnliches Stück getreu dem Satz von Ovid: Omne animal post coitum triste praeter gallum mulieremque (Nach dem Koitus ist jedes Tier traurig – außer der Hahn und die Frau). Mit „sforzato“ bezeichnet man durch die Lautstärke besonders hervorgehobene Töne, in diesem Fall sind sie auch noch „maquiato“, was „befleckt“ bedeutet. 36 Coda al corpus „Coda“ (Italienisch für „Schwanz“) ist der angehängte, ausklingende Teil der Komposition, der oft auch das ganze Stück zusammenfassende Charakterzüge trägt. Die Spielanweisung „al corpus“ schreibt das Berühren des Instrumentenkorpus vor. Mit diesem Nachspiel geht die Komposition dem wohl verdienten Ende zu.