3. Das Trockene Auge Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Krankheit „Trockenes Auge“, mit den Ursachen, die ihr zugrunde liegen, der Symptomatik und den therapeutischen Möglichkeiten, die dem Betroffenen zur Verfügung stehen. Definition: Das „Trockene Auge“ ist eine komplexe Störung von Tränenfilm und Augenoberfläche durch verminderten Tränenfluss oder vermehrte Verdunstung, welche mit physisch-psychischem Unbehagen oder visueller Beeinträchtigung einhergeht. Die Ursachen sind vielfältig. Die Bezeichnung „Trockenes Auge“ wird umgangssprachlich für Keratoconjunctivitis sicca verwendet. In diesen Begriff haben die lateinischen bzw. griechischen Worte: kerato – Hornhaut (gr.), conjunctiva – Bindehaut (lat.) und sicca – trocken (lat.) Eingang gefunden. 34 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Im täglichen Sprachgebrauch und auch in der Augenheilkunde hat sich der Begriff „Trockenes Auge“ oder „Dry Eye“ international durchgesetzt. Es handelt sich dabei um eine komplexe Erkrankung, die mit einer Verminderung der Tränenmenge oder einer veränderten Zusammensetzung des Tränenfilms einhergeht. Daher wird auch allgemein von einer Benetzungsstörung des Auges gesprochen. Weitere Synonyme für den Begriff „Trockenes Auge“ sind „Dry eye syndrome“ und „Sicca-Syndrom“. Häufig wird das „Trockene Auge“, oftmals von den Betroffenen selbst, bagatellisiert und als reine Befindlichkeitsstörung angesehen. Es ist jedoch mehr als das – in vielen Fällen handelt es sich um eine ernsthafte akute oder chronische Erkrankung. Betroffen sind vor allem Frauen, die sich in einer Phase der Hormonumstellung befinden (Menopause, Pille, Schwangerschaft) und ältere Menschen. Zunehmend klagen allerdings auch jüngere Menschen über diese Beschwerden. Computerarbeitsplätze, moderne, klimatisierte Bürobedingungen fördern die Entstehung eines Trockenen Auges. Ein derartig verursachtes „Trockenes Auge“ wird umgangsprachlich als „office eye syndrome“ bezeichnet. Auch die zunehmende Belastung durch Umweltschadstoffe und Zigarettenqualm hat einen wesentlichen Anteil an der Entstehung der Erkrankung. Leichte, gelegentliche Beschwerden (z. B. müde Augen durch PC-Arbeit) stellen noch keine ernsthafte Erkrankung dar und können durch die Gabe von künstlichen Tränen meist gut therapiert werden. Anders dagegen muss das „Trockene Auge“ bei chronischen, stärkeren Symptomen betrachtet werden. Dann stellt es eine ernsthafte Erkrankung dar, die unbehandelt unter Umständen schwere Folgeschäden am Auge verursachen kann! Zusammenfassung: Die Erkrankung „Trockenes Auge“ kann als chronisches oder akutes Phänomen vorliegen. Symptome können in verschiedenen Schweregraden auftreten. Eine schwerwiegende Benetzungsstörung des Auges kann unbehandelt unter Umständen zu schweren Folgeschäden am Auge führen. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 35 3.1 Epidemiologie Das „Trockene Auge“ ist eine häufig auftretende Erkrankung. Schätzungsweise einer von fünf Patienten, die beim Augenarzt vorstellig werden, hat entsprechende Beschwerden. Diese Verteilung spiegelt auch die Inzidenz (Anzahl an Neuerkrankungen) in der Bevölkerung wider: In der Altersgruppe zwischen 45 und 54 Jahren sind etwa 20 Prozent aller Frauen und 15 Prozent aller Männer betroffen. In der Altersgruppe ab 55 Jahren steigt der Anteil der Frauen, die am Trockenen Auge leiden. Insgesamt schätzen Experten die Zahl der Betroffenen in Deutschland auf etwa 10-12 Millionen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass gerade die Anzahl jüngerer Betroffener mit dem Grad der Umweltverschmutzung und der Veränderung der Lebensbedingungen (z. B. durch Bildschirmarbeit, Klimaanlagen, Tragen von Kontaktlinsen) weiter zunimmt. Betroffene finden sich oft mit einer vermeintlichen „Befindlichkeitsstörung“ ab. Aber auch sie profitieren, egal, ob sie nun an einem Trockenen Auge leiden oder tatsächlich „nur“ eine Befindlichkeitsstörung haben, von Tränenersatzmitteln. Der Markt für diese Präparate ist daher auch aus der Sicht der Apotheke sehr viel größer, als bislang angenommen. Zusammenfassung: Im Durchschnitt ist fast jeder fünfte Bundesbürger von Trockenen Augen betroffen. Die Tendenz ist durch die Veränderung der Umwelt- und Lebensbedingungen steigend. 36 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 3.2 Symptome Personen mit einem ausgeprägten Trockenen Auge haben eine eingeschränkte Lebensqualität, die mit der chronischer Schmerzpatienten vergleichbar ist. Die Symptome des Trockenen Auges schränken dabei ihr Leben z. T. erheblich ein. Sie beklagen ein intensives Fremdkörpergefühl im Auge (hier wird manchmal auch von „Sandkorn-Gefühl“ gesprochen). Jede Lidbewegung ist schmerzhaft und das Auge erscheint insgesamt stumpf, ohne den natürlichen Glanz. Ferner können kleine Verletzungen in der Cornea (Hornhaut) auftreten, die bei genauerem Hinsehen sichtbar werden. Beim morgendlichen Erwachen haften die Lider förmlich auf dem Augapfel, und einige Betroffene beklagen zudem eine ausgeprägte Lichtempfindlichkeit. Ein weiteres, durchaus häufiges Symptom sind tränende Augen. Oft sind Betroffene der Meinung, dass ihre tränenden Augen nichts mit einem Trockenen Auge zu tun haben können. Ein „Trockenes Auge“ kann allerdings auch durch eine Störung der Lipid-Komponente des Tränenfilms verursacht werden. Diese stabilisiert den Tränenfilm, hält ihn zusammen und schützt vor Verdunstung. Ist die Lipid-Komponente gestört, wird der Tränenfilm nicht mehr zusammen gehalten und „läuft aus“ – das Auge tränt und wird trocken. Wie bei der allergischen Konjunktivitis (siehe „Allergisches Auge“) kann sich auch beim Trockenen Auge die Bindehaut entzünden. Dies macht sich durch Brennen und Jucken im Auge bemerkbar. Neben den Symptomen schränken noch eine Reihe weiterer Begleiterscheinungen des Trockenen Auges das Leben der Betroffenen unter Umständen ein. Dazu gehört z. B., dass die meisten Personen mit Trockenen Augen Augenkosmetika nicht vertragen und oft auch Probleme beim Tragen von Kontaktlinsen haben. Diese schwimmen auf dem Tränenfilm und sind dadurch frei beweglich. Wenn der Tränenfilm aufgrund des Trockenen Auges zu dünn ist, kann dies zu einem unangenehmen Fremdkörpergefühl und in Verbindung mit Kontaktlinsen zudem zu einer verminderten Sauerstoffversorgung des Auges führen. Kontaktlinsen besitzen zudem materialbedingt geringfügig wärmedämmende Eigenschaften. Sie können daher die Temperatur der Hornhaut erhöhen, dies wiederum fördert die Verdunstung der Tränenflüssigkeit. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 37 Aus diesem Grund müssen selbst Kontaktlinsenträger mit gesunden Augen an Orten mit geringer Luftfeuchtigkeit (z. B. im Flugzeug) oft zusätzliche Maßnahmen zur Befeuchtung ihrer Augen (Nachbenetzung) ergreifen. Zusammenfassung: Das „Trockene Auge“ geht in der Regel mit einem oder mehreren der folgenden Symptome einher: Fremdkörpergefühl (Sandkorn-Effekt) Brennen und Juckreiz Schmerzen und Bindehautrötung Tränende Augen Verklebte Augenlider Lichtempfindlichkeit Unverträglichkeiten von Kosmetika (z. B. Kajalstifte) und Kontaktlinsen Wird ein „Trockenes Auge“ nicht oder unzureichend behandelt, kann sich die Symptomatik im Laufe der Zeit erheblich verschlimmern. Ist die Augenoberfläche über längere Zeit zu trocken, können kleine Verletzungen entstehen und die normalerweise transparente Hornhaut kann im Extremfall undurchsichtig werden. In der Hornhaut befinden sich keine Blutgefäße, damit eine klare Durchsicht möglich ist. Die Ernährung und Sauerstoffversorgung muss daher auf anderem Wegen erfolgen. Die Diffusionsprozesse durch den Tränenfilm sind dabei von essenzieller Bedeutung. In der Tränenflüssigkeit ist der Sauerstoff aus der Luft gelöst und bildet damit für die Hornhaut die Hauptsauerstoffquelle. Kann der Tränenfilm diese Aufgabe nicht mehr oder nur unzureichend erfüllen, muss die Hornhaut über die Bindehautgefäße mitversorgt werden. Weil die Blutgefäße in diesem Fall stark anschwellen, entwickeln die Betroffenen dann ein stark gerötetes Auge. Ein zu geringes Tränenvolumen geht immer auch mit einem Mangel der in der Tränenflüssigkeit vorhandenen keimtötenden Substanzen einher. Daher sind „Trockene Augen“ auch vermehrt infektionsgefährdet. Zusammenfassung: „Trockene Augen“ können als Komplikationen gerötete, entzündete Augen, Infektionen und eine Verletzung der Hornhaut zur Folge haben. 38 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 3.3 Ursache 3.3.1 Der Tränenapparat Ein ausreichendes Verständnis der krankhaften Vorgänge beim Trockenen Auge erfordert zunächst eine kurze Beschäftigung mit dem Aufbau und der Funktion des Tränenapparates. Tränensack Ausführungsgänge Tränenkanälchen Tränendrüse Tränenpünktchen Nur ein optimal funktionierendes Tränenflüssigkeitsbildungs- und -ableitungssystem kann die vielfältigen Aufgaben für das Auge bestmöglich erfüllen: Befeuchtung der Horn- und Bindehaut, Zufuhr von Sauerstoff und Nährstoffen, Ausgleich kleinerer Unebenheiten auf der Hornhaut- und Bindehaut, Abwehr von Bakterien und Viren durch Enzyme und Antikörper, Ausspülung von Fremdkörpern und abgeschilferten Zellen, Bildung der optischen Oberfläche des Auges. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 39 Für die Bildung der Tränenflüssigkeit, der wässrigen Komponente des Tränenfilms, ist vornehmlich die seitlich oberhalb des Auges gelegene Tränendrüse verantwortlich. Die dort produzierte Tränenflüssigkeit wird über viele kleine Kanäle in Richtung Augenoberfläche abgeleitet. Die Schleimkomponente des Tränenfilms wird vor allem in den Becherzellen der Bindehaut, die Lipid-Komponente in den Meibom-Drüsen am Lidrand gebildet. Der gesamte Tränenfilm wird mit jedem Lidschlag gleichmäßig über die Hornhaut verteilt. Über ein spezielles System wird die Tränenflüssigkeit dann wieder abgeleitet. Dazu passiert sie zwei kleine Öffnungen, die Tränenpünktchen, die in ein oberes und unteres Tränenröhrchen münden. Von dort erfolgt eine Entleerung in den Tränensack, der seinerseits in den Tränen-Nasengang mündet. Letztlich fließt die Tränenflüssigkeit in die untere Nasenmuschel ab. Die Funktion dieses Systems zeigt sich manchmal besonders eindrucksvoll: Beim Weinen werden vermehrt Tränen produziert. Die Auffangkapazität der tränenableitenden Wege ist jedoch begrenzt. Daher kommt es zum Rückstau. Die Tränen treten über den Lidrand und fließen die Wangen hinab. Dennoch arbeitet auch das ableitende System auf Hochtouren. Vermehrt findet daher Tränenflüssigkeit den Weg in die Nasenmuschel. Weinenden läuft aus diesem Grund meist die Nase. Zusammenfassung: Der Tränenapparat erfüllt vielfältige Hilfs- und Schutzfunktionen. Zu ihm gehören u. a. die Tränendrüse, die Becherzellen, die Meibom-Drüsen und die ableitenden Tränenwege. 3.3.2 Der Tränenfilm Bei einem gesunden, jungen Menschen benetzt der Tränenfilm das Auge gleichmäßig und überzieht die Binde- und Hornhaut. Bei der mikroskopischen Betrachtung der Hornhaut fällt auf, dass sich das Hornhautepithel durch eine ungewöhnliche Strukturbesonderheit auszeichnet: Es besitzt eine stark vergrößerte Oberfläche, die eine besonders intensive Sauerstoffversorgung gewährleisten kann. Dies wird durch eine starke Auffaltung über so genannte Mikrovilli (Zellfortsätze, die zur Oberflächenvergrößerung von Zellen und damit der Verbesserung des Stoffaustausches dienen) erreicht. Der Vorteil einer nunmehr größeren Oberfläche ist jedoch mit einem bedeutenden Nachteil verbunden. Denn Flüssigkeiten haften an derartig rauen Oberflächen sehr schlecht. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Wassertropfen nur an besonders glatten Oberflächen schnell abperlen. Auch mikroskopisch raue Oberflächen zeigen diese Eigenart. 40 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Direkt auf der Hornhaut befindet sich eine innere schleimige Komponente, die so genannte Mucin-Komponente. Diese hat eine Dicke von ca. 0,2 – 0,5 µm. Den volumenmäßig größten Anteil mit ca. 2,85 µm stellt die darauf liegende, mittlere wässrige Komponente (Tränenflüssigkeit) dar. Abgeschlossen wird der Tränenfilm durch einen dünnen Fettfilm, die sog. Lipid-Komponente mit einer Dicke von etwa 0,1 µm. Jede der drei Komponenten erfüllt spezielle Aufgaben, die in den folgenden Absätzen eingehender behandelt werden. Zusammenfassung: Der Tränenfilm benetzt die Horn- und Bindehaut. Er besteht aus drei unterschiedlichen Phasen. Die Hornhaut besitzt eine vergrößerte Oberfläche, die schlechter zu benetzen ist als eine glatte Oberfläche. Die Mucin-Komponente Mucine Einleitung Anatomie Microvilli Optik Trockenes Auge Die Mucin-Komponente ist die innere, schleimhaltige Komponente des Tränenfilms. Mit den enthaltenen sauren Mucopolysacchariden erhöht sie das Adhäsionsvermögen (Haftvermögen) der Hornhaut. Die langkettigen Moleküle der MucinKomponente glätten die raue Oberfläche der Hornhaut wirkungsvoll. Sie fließen in einer etwa 0,2 µm dicken, schleimartigen Schicht zwischen die Mikrovilli der Hornhaut und ermöglichen der darüber liegenden wässrigen Schicht eine verlässliche Haftung. Feine Unebenheiten der Hornund Bindehaut werden somit verlässlich ausgeglichen. Mucine entstehen größtenteils in speziellen Becherzellen, die in die Bindehaut eingebettet sind. Man unterscheidet Mucine, die im Hornhaut- und Bindehautepithel verankert sind von Mucinen, die in der wässrigen Komponete verteilt sind. Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 41 Die darüber liegende – knapp 2,85 µm starke – wässrige Phase, die den Hauptteil des Tränenfilms bildet, kann mittels der Mucin-Komponente auf der Hornhaut haften und gleiten, ohne abzuperlen. Die wässrige Komponente Wässrige Komponente Sie ist für die Befeuchtung des Auges und die Versorgung der Hornhaut zuständig. Dabei liefert sie der Hornhaut den notwendigen Sauerstoff und transportiert das Kohlendioxid ab. Außerdem schützt sie das Auge vor Infektionen. Dazu enthält die wässrige Komponente z. B. spezifische Lysozyme, die eine bakterizide Wirkung entfalten können. Eine weitere wichtige Funktion ist die mechanische Ausschwemmung von Fremdpartikeln und abgestoßenen körpereigenen Zellbestandteilen. Im Bedarfsfall kann die Sekretion der Tränenflüssigkeit schlagartig stark erhöht werden, so dass etwa ein auf das Auge geratenes Insekt im wahrsten Sinne des Wortes schnellstens wieder „ausgespült“ werden kann. Der mengenmäßig größte Teil der wässrigen Komponente entsteht dabei in der Haupttränendrüse. Ein kleines Volumen wird von einigen akzessorischen Tränendrüsen (spezielle Tränendrüsen in der Bindehaut der Augenlider) bereitgestellt. Lipid-Komponente Die Lipid-Komponente Die Verdunstung des Flüssigkeitsfilms (wässrige Phase) wird durch eine nur 0,1 µm dicke, abschließende Lipid-Komponente minimiert. Die Lipide wirken für die darunter liegenden Phasen gewissermaßen als Sperrschicht und vermindern deren Verdunstung erheblich. Außerdem haben sie eine hohe Oberflächenspannung. 42 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Um sich ein Bild von der Größenordnung dieser Verdunstungsgeschwindigkeit zu machen, genügt es, einen Tropfen Wasser (ca. 0,02 ml) auf eine etwa handwarme Fläche von 20 cm2 (etwas kleiner als eine Postkarte) zu verteilen. Die entstehende Schicht an Flüssigkeit hätte etwa die relative Dicke des Tränenfilms. Noch ehe die Wassermenge verteilt werden könnte, wäre ein großer Teil schon wieder verdunstet! Der Organismus müsste den Tränenapparat mit einer nahezu unerschöpflichen Produktionskapazität ausstatten, damit er die sich schnell verflüchtigende Tränenflüssigkeit in ausreichender Menge nachliefern könnte. Die Lipid-Komponente wirkt für die wässrige Phase gewissermaßen als „Sperrschicht“, sie „hält diese zusammen“. Sie besitzt eine hohe Oberflächenspannung, die ein Aufreißen des Flüssigkeitsfilms nahezu ausschließt. Somit ist auch einem Abfließen der wässrigen Phase über den Lidrand wirkungsvoll vorgebeugt. Die aus Wachsen, Cholesterin, Triglyzeriden und Phospholipiden bestehende Schicht bildet einen hydrophoben Abschluss des Tränenfilms gegen die Luft und bewirkt damit auch ein Abperlen fremder Flüssigkeiten. Die Lipid-Komponente wird hauptsächlich in den so genannten Meibom-Drüsen produziert, deren Öffnungen am oberen und unteren Rand der Lider sitzen. Sie entlassen das fetthaltige Sekret als schützende Komponente auf den Tränenfilm. Zusammenfassung: Die innere Mucin-Komponente verbessert die Benetzungsfähigkeit der Hornhaut. Die mittlere wässrige Komponente bildet den Hauptbestandteil des Tränenfilms und versorgt und schützt die Hornhaut. Die äußere Lipid-Komponente schützt die Tränenflüssigkeit vor zu rascher Verdunstung. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 43 3.3.3 Ursachen des Trockenen Auges Die Pathogenese (Entstehung) des Trockenen Auges ist bis heute noch nicht vollständig geklärt. Es existieren unterschiedliche Theorien zu den Ursachen des Trockenen Auges. Physiologisch hat der Tränenfilm des gesunden Menschen ein Volumen von etwa 6 bis 10 µl pro Auge. Dazu müssen pro Minute ca. 1 µl Tränenflüssigkeit produziert werden. Innerhalb von 5 bis 10 Minuten ist der gesamte Tränenfilm des Auges normalerweise einmal komplett ausgetauscht. Man unterscheidet endogene („von innen“) und exogene („von außen“) kommende Einflüsse, die ein „Trockenes Auge“ bedingen: Endogene Faktoren Bei den endogenen Einflüssen liegt häufig eine mangelnde Produktion einer der drei Bestandteile des Tränenfilms vor. Sowohl die Becherzellen der Bindehaut, die zuständig für die Bildung der Schleimkomponente sind, als auch die Haupttränendrüse, die zuständig für die Bildung der wässrigen Phase ist, oder die Meibomdrüsen, die zuständig für die Bildung der Lipid-Komponente sind, können eine Funktionsstörung zeigen. Im ersten Fall fließen erhebliche Mengen Tränenflüssigkeit einfach von der Hornhaut ab, ohne haften bleiben zu können. Das Auge tränt und die Diagnose „Trockenes Auge“ ist für den Betroffenen, der subjektiv das Gefühl einer vermehrten Tränenmenge hat, besonders schwer nachzuvollziehen. Bei einer gestörten Funktion der Haupttränendrüse fällt die Trockenheit des Auges hingegen unmittelbar auf, da nicht genügend Flüssigkeit für das Auffüllen der wässrigen Phase gebildet wird. Eine der häufigsten endogenen Ursachen für das „Trockene Auge“ ist die nachlassende Tränenproduktion mit zunehmendem Alter. Trotz intakter Mucin-Komponente und ausreichender wässriger Phase, kann aber auch ein chronisch entzündeter Lidrand, der zur Verklebung der Ausführungsgänge der Meibom-Drüsen und damit zu einer Störung der Lipid-Komponente führt, ein „Trockenes Auge“ hervorrufen. Die Folge ist hier eine übermäßige Verdunstung und der ungehinderte Abfluss von Tränenflüssigkeit über den Lidrand. Das „Trockene Auge“ geht auch häufig einher mit anderen Erkrankungen. Kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfälle, zahlreiche internistische Leiden, z. B. Diabetes mellitus, aber auch Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, wie die chronische Polyarthritis, können zu einem Trockenen Auge führen. 44 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Autoimmunerkrankungen und verschiedene Hautkrankheiten sind eine weitere bekannte Ursache für Benetzungsstörungen des Auges. Bezeichnenderweise sind gerade bei Neurodermitikern oder Menschen mit Schuppenflechte häufig Funktionsstörungen der Meibomdrüsen und damit ein „Trockenes Auge“ zu beobachten. Das „Trockene Auge“ tritt auch bei hormonellen Umstellungen vermehrt auf z. B. bei Schwangeren, Stillenden und Frauen in den Wechseljahren. Exogene Faktoren Zusätzlich gibt es einen ganzen Komplex vielfältiger äußerer Faktoren (exogen), durch die das „Trockene Auge“ begünstigt wird. Eine intensive Ozon- und Schadstoffbelastung der Luft ist ein Beispiel. Neben diesen Klima- und Umwelteinflüssen kann auch das lange Arbeiten an Computern die Entstehung von Benetzungsstörungen am Auge zur Folge haben: Die Blinkfrequenz, also die Häufigkeit des Lidschlages, ist bei Menschen, die vor Bildschirmen sitzen, um nahezu ein Drittel reduziert. Der Tränenfilm benetzt das Auge daher nicht mehr ausreichend. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 45 Für die Beratung in der Apotheke ist zudem wichtig, an mögliche Nebenwirkungen bestimmter Arzneimittel als Ursache für das „Trockene Auge“ zu denken. In diesen Bereich fallen z. B. Diuretika, Betablocker, Anti-Glaukomatosa atropinhaltige Medikamente, aber auch Tranquilizer und Kontrazeptiva („Pille“) Da die Ursachenfindung beim Trockenen Auges durch eine Symptombefragung allein häufig nicht möglich ist und sich die Abgrenzung zu einem Gereizten Auge manchmal schwierig gestalten kann, sollte im Zweifelsfall immer eine ärztliche Diagnostik erfolgen. Zusammenfassung: Zu den Ursachen für das „Trockene Auge“ zählen: Endogene Einflüsse Zunehmendes Alter Rheuma, Diabetes Hautkrankheiten (z. B. Neurodermitis) Hormonumstellungen (Schwangerschaft, Stillzeit, Wechseljahre) Nervenlähmungen infolge eines Schlaganfalls Exogene Einflüsse Umwelt-/Klimabelastungen (z. B. Ozon) Klimaanlagen, trockene Heizungsluft Bildschirmtätigkeit, Fernsehen Medikamente (z. B. Betablocker, Anti-Glaukomatosa, „Pille“) 46 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 3.4 Diagnose Die Diagnose des Trockenen Auges stützt sich in erster Linie auf subjektive Beschwerden und die Angabe typischer Symptome. Die Beschwerden der Patienten korrelieren oft nur unzureichend mit den klinischen Befunden. Einen einfachen, beweisenden Test gibt es noch nicht. Bei der Bestimmung des Schweregrades eines Trockenen Auges ist der Weg zum Augenarzt unumgänglich. Erste Linderung bringt Betroffenen aber auf jeden Fall der Einsatz von künstlichen Tränen, die sie selbst in der Apotheke kaufen können. Dem Augenarzt stehen verschiedene Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung, um festzustellen, ob und in welchem Stadium sein Patient an einem Trockenen Auge leidet. Zunächst werden mögliche Symptome mittels einer ausführlichen Anamnese abgeklärt. Dann werden Bindehaut, Hornhaut und die Schichten des vorderen Augenabschnitts auf Rötungen und Trübungen untersucht. 3.4.1 Schirmer-Test Um die produzierte Tränenmenge zu bestimmen, führt der Augenarzt den Schirmer-Test durch: Hierzu hängt er Filterpapierstreifen in das äußere Drittel der Unterlider beider Augen. Die Filterstreifen bleiben 5 Minuten im Unterlid und saugen sich mit Tränenflüssigkeit voll. Die Länge der befeuchteten Strecke beträgt beim gesunden Auge mindestens 10 mm. Werte darunter weisen auf ein „Trockenes Auge“ hin. Länge der befeuchteten Strecke < 10 mm / 5 min ≥ 10 mm / 5 min Hinweis auf Trockenes Auge Gesundes Auge Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 47 3.4.2 Break-Up-Time-Bestimmung (BUT) Mit der Break-Up-Time (Tränenfilmaufreisszeit) bestimmt der Arzt die Stabilität des Tränenfilms. Dazu wird der Farbstoff Fluorescein ins Auge geträufelt, der durch mehrmaligen Lidschlag im Auge verteilt wird. Der Betreffende wird nun aufgefordert, das Auge ohne Lidschlag offen zu halten, während der Arzt das Auge durch die Spaltlampe mit vorgeschaltetem Kobaltblaufilter beobachtet. Die Zeit, die dann bis zum Aufreißen des Tränenfilms vergeht (durch die Anfärbung entstehen dunkle Flecken auf der Hornhautoberfläche, wenn der Tränenfilm an diesen Stellen aufreißt), ist ein Maß für die Bewertung des Schweregrades. Bei Gesunden beträgt die Zeit ca. 20 Sekunden. Die Diagnose mittels der so genannten Tränenfilmaufreisszeit wird nach der englischen Bezeichnung („Break Up Time“) auch BUT-Bestimmung genannt. Theoretisch ist auch eine Beurteilung der Blinkfrequenz möglich: Ist die Tränenfilmaufreisszeit kürzer als das Lidschlagintervall, so müssen in der Zwischenzeit trockene Stellen (so genannte „Dry Spots“) entstanden sein. Das Blinkintervall liegt gewöhnlich bei etwa fünf Sekunden. Die Tränenfilmaufreisszeit z. B. bei 20 Sekunden. Der Quotient beider Werte beträgt 4 (20 s : 5 s = 4). Liegt dieser Wert, der so genannte Tränenfilmschutzfaktor (TFS), unter 1, gilt die Diagnose „Trockenes Auge“ als gesichert. 3.4.3 Bengalrosa-/Lissamingrün-Test Der Augenarzt bedient sich bestimmter Färbetechniken mit speziellen Farbstoffen, um Epitheldefekte und abgeschilferte Zellen von Horn- und Bindehaut besonders gut sichtbar werden zu lassen. Die beiden Farbstoffe, die hierfür herangezogen werden, sind Bengalrosa und Lissamingrün. Nach neueren Erkenntnissen soll Lissamingrün bei der Anwendung am vorderen Auge besser vertragen werden. Zudem haben aktuelle Untersuchungen gezeigt, dass Lissamingrün tatsächlich nur abgestorbene Epithelzellen mit Membrandefekten anfärbt. Epithelzellen der Hornhaut, die sich gerade im empfindlichen Stadium der Zellteilung befinden werden durch Lissamingrün weder angefärbt noch in ihrer Funktion beeinträchtigt. Zusammenfassung: Zur Diagnose des Trockenen Auges werden folgende Methoden verwendet: Anamnese Schirmer-Test BUT-Bestimmung TFS-Bestimmung Inspektion mit der Spaltlampe nach Einfärbung (Bengalrosa, Lissamingrün) 48 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 3.5 Therapie Die Therapie des Trockenen Auges kann sowohl ursächlich als auch symptomatisch erfolgen. Im ersten Falle werden die Ursachen therapiert, im zweiten werden die Symptome gemildert bzw. beseitigt. Ziel einer Therapie ist es, eine normale Tränensekretion zu ermöglichen und die natürliche Schutzfunktion des Tränenfilms wieder herzustellen. 3.5.1 Behandlung der Ursache Zunächst sollte versucht werden, den bzw. die auslösenden Faktor(en) der Benetzungsstörung zu finden. Dies kann sich als sehr schwierig und zeitaufwändig erweisen. Doch selbst wenn die Ursachen gefunden wurden, können sie leider nicht immer beseitigt werden. Während man auf bestimmte exogene Ursachen, wie z. B. zu trockene Raumluft oder zu geringe Flüssigkeitsaufnahme, recht schnell Einfluss nehmen kann, ist die Behandlung endogener Ursachen („von innen“) komplizierter. In den meisten Fällen kann auf bestimmte Medikamente, die als Nebenwirkung ein „Trockenes Auge“ verursachen, nicht verzichtet werden. Auch können bestimmte Erkrankungen, die als Begleiterscheinung ein „Trockenes Auge“ verursachen (z. B. Rheuma) nicht so gut behandelt werden, als dass die Krankheit und damit auch das „Trockene Auge“ geheilt wird. Tränenersatzmittel verschaffen hier durch die Benetzung der Oberfläche eine schnelle Symptomlinderung, sie können aber den durch das „Trockene Auge“ verursachten Entzündungsprozess nicht ursächlich bekämpfen. Regelkreis-Störung beim Trockenen Auge Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Durch diese Entzündungen kann wiederum der Tränenapparat weiter in Mitleidenschaft gezogen werden. Benetzungsstörung und Entzündung bedingen sich gegenseitig. Bei Menschen mit Trockenem Auge wird sowohl auf der Hornhaut als auch in der Tränendrüse eine erhöhte Produktion von Entzündungsvermittlern gemessen. Auch das Immunsystem ist bei diesen Menschen aktiviert. Zusätzlich zum Tränenersatzmittel kann also eine wirksame Entzündungshemmung bei der Indikation „Trockenes Auge“ sinnvoll sein. Dauergaben von Glucocorticoiden (Klasse von Steroidhormonen aus der Nebennierenrinde, die entzündungshemmend und immunsuppressiv wirken) sind jedoch wegen möglicher Nebenwirkungen enge Grenzen gesetzt. Allergisches Auge AMD Glaukom 49 Neueste Erkenntnisse belegen jedoch einen positiven Einfluss der Ernährung und spezifischer Mikronährstoffe auf das Entzündungsgeschehen sowie die Qualität und Menge des Tränenfilms. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen dabei essenzielle Fettsäuren (insbesondere Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren), die im Körper u.a. in anti-entzündliche Botenstoffe umgewandelt werden. Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, doch kann aufgrund der heutigen Ernährungsgewohnheiten die Zufuhr an diesen mehrfach ungesättigten Fettsäuren unzureichend sein. Omega-3-Fettsäuren, vor allem EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure) kommen in nennenswerten Mengen vor allem in fetten Kaltwasser-Fischsorten wie Thunfisch, Makrele und Hering, aber auch in pflanzlichen Ölen wie z. B. Kiwi-Samenöl vor. Omega-6-Fettsäuren (u. a. Gamma-Linolensäure) sind in Pflanzensamen von z. B. Borretsch oder Flachs vorhanden. 7,4 % 9 % 9,2 % 20,4 % 17,4 % 7,2 % 8,8 % Weltweit 16,4 % Fischanteil an der Gesamternährung in Prozent In den letzten 100 Jahren sank allerdings der Konsum an mehrfach ungesättigten Fettsäuren in der westlichen Welt um fast 80 %. Das Defizit ist sowohl ein Ergebnis des geringen Fischkonsums als auch der industriellen Aufarbeitung der Nahrungsmittel, bei der die physiologisch wichtigen ungesättigten Fettsäuren verloren gehen. 50 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Hinzu kommt: Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren sollen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander aufgenommen werden, weil sie nur dann wechselseitig ihre besonderen Funktionen entfalten können. Heutzutage wird jedoch in den westlichen Ländern ein viel zu hoher Anteil an Omega-6-Fettsäuren im Verhältnis zu Omega-3-Fettsäuren aufgenommen. Die essenziellen Fettsäuren benötigen noch weitere Mikronährstoffe, um ihre Arbeit im Körper optimal vollbringen zu können. Dazu gehören vor allem die Vitamine C und E, die helfen, den oxidativen Stress (u. a. ein Ergebnis des Entzündungsprozesses) zu reduzieren, sowie das Spurenelement Zink, das an den meisten Stoffwechselprozessen des Körpers beteiligt ist. Auch bestimmte B-Vitamine unterstützen das Zusammenspiel der ungesättigten Fettsäuren Für den Erfolg einer zusätzlichen Nahrungsergänzung mit diesen beiden Fettsäuren bei Betroffenen mit Trockenen Augen sprechen positive Erfahrungen aus der täglichen Praxis, aber auch eine Reihe von Studien: In der Women’s Health Study führte die orale Gabe von Omega-3-Fettsäuren in Untersuchungen an mehr als 32.000 Frauen nicht nur zu einer Reduktion der Entzündungen der Augenlider, sondern auch zu einem geringeren Risiko, ein „Trockenes Auge“ zu entwickeln. In einer anderen Studie konnte mit Gaben von Omega-6-Fettsäuren ebenfalls ein antiinflammatorischer (antientzündlicher) Effekt erzielt und die Symptomatik des Trockenen Auges gelindert werden. In einer Anwenderbefragung an Kontaktlinsenträgern mit Trockener Auge-Symptomatik konnte nach 12-wöchiger Einnahme von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren eine deutliche Reduktion der starken und moderaten Symptome beobachtet werden. Zusammenfassung: Nahrungsergänzungsmittel und ergänzende bilanzierte Diäten stellen leicht die Versorgung des Organismus mit wichtigen Substanzen sicher, die durch veränderte Ernährungsgewohnheiten fehlen könnten. Durch ihren Einsatz kann der Schutz des Augenlichts und die Behandlung von Augenleiden wie dem Trockenen Auge unterstützt werden. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 51 3.5.2 Behandlung der Symptomatik Die Basis jeder Trockenen-Augen-Therapie bildet heute die Gabe von Tränenersatzmitteln, sog. Künstlichen Tränen. Die Symptome des Trockenen Auges werden je nach Schweregrad durch künstliche Tränen in Form von Tropfen oder Gelen behandelt. Der Einsatz von Tränenersatzmitteln verhindert die Austrocknung der Horn- und Bindehaut und lindert so die Beschwerden. Eine symptomatische Behandlung muss in der Regel immer als Langzeittherapie geführt werden. Es gibt eine Reihe verschiedener Präparate, die als wirksamen Bestandteil ein Verdickungsmittel (Polymer) enthalten, welches dafür sorgt, dass das Tränenersatzmittel länger auf der Augenoberfläche haftet. Andere Inhaltsstoffe regulieren beispielsweise den Salzgehalt und den pH-Wert und passen diese an die natürliche Tränenflüssigkeit an. Tränenersatzmittel sind in der Regel sehr gut verträglich. Allergien gegen Bestandteile von Tränenersatzmitteln werden – auch bei häufiger Anwendung – sehr selten beobachtet. Gewöhnungseffekte sind nicht bekannt – die eigene Tränenproduktion lässt also auch bei regelmäßiger Anwendung von Tränenersatzmitteln nicht weiter nach. Diese wird, ganz im Gegenteil, durch häufiges Tropfen eher angeregt. Bei sehr häufiger Anwendung (öfter als 4-mal täglich) und für Kontaktlinsenträger sind generell unkonservierte Augentropfen angeraten. Neben dem allergenen Potenzial von Konservierungsmitteln, können diese bei dauerhafter, häufiger Anwendung zu einer Verschlechterung der Symptomatik des Trockenen Auges führen, bzw. können sich auch in die Matrix von weichen Kontaktlinsen einlagern und dadurch das Auge belasten. Tränenersatzmittel sollen den Eigenschaften der natürlichen Tränenflüssigkeit möglichst nahe kommen. Der natürliche Tränenfilm hat einen pH-Wert zwischen 7,1 und 7,4 und eine Osmolarität von ca. 300 mOsmol/l H2O. Trockenes Auge 52 Einleitung Anatomie Gesundes Auge Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Diese Werte sind maßgeblich für Tränenersatzmittel. Künstliche Tränen sollten zudem transparent sein, um Sehbeeinträchtigungen auszuschließen. Um das Sehen nicht zu beeinträchtigen, sollte der Brechungsindex dem der natürlichen Tränenflüssigkeit sehr nahe kommen. Viskosität Eine Kenngröße von besonderer Bedeutung ist die Viskosität. Die Viskosität bezeichnet die innere Reibung oder auch Zähigkeit einer Flüssigkeit. Die Viskosität von Tränenersatzmitteln rangiert in einem sehr weiten Spektrum von 2 mPa•s (niedrig viskös = dünnflüssig/wässrig) bis 6.000 mPa•s (hochviskös = sehr dickflüssig/gelartig). Ihr optimaler Wert ist stark von der Ausprägung der Erkrankung, aber auch von der individuellen Präferenz des Anwenders abhängig. Wasser würde z. B. wegen seiner geringen Viskosität zu keinem andauernden Effekt führen. Um Augentropfen überhaupt über einen längeren Zeitraum im Auge halten zu können, müssen sie die Viskosität steigernde Zusätze oder ein langkettiges Polymer enthalten. Dies garantiert eine lange Haftung an der Hornhaut und verzögert den Abfluss der Lösung. Die Dauer der Haftung der künstlichen Tränen hängt in entscheidendem Maße vom verwendeten Polymer und dessen Konzentration in der Lösung ab. Mittel mit längerer Verweildauer werden gerade wegen der lang anhaltenden Symptomlinderung bei schweren Formen des Trockenen Auges bevorzugt. In der Regel sind hochvisköse Gele länger haftend als niedrigvisköse Tropfen. Funktionsweise von Tränenersatzmitteln Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 53 Substanzen Die in Tränenersatzmitteln am häufigsten verwendeten Substanzen sind Povidon, Hypromellose (HPMC), Derivate der Polyacrylsäure (Carbomer) und Hyaluronsäure. Die schnelle Befeuchtung des Auges ist mit einem niedrig- bis mittelviskösen Tränenersatz, wie z. B. Povidon oder Hypromellose, einfacher. Niedrig- bis mittelvisköse Tropfen eignen sich vor allem zur Therapie einer leichten und gelegentlichen Symptomatik. Gute Verträglichkeit, einfache Handhabung und schneller Wirkeintritt sind ihre wichtigsten Vorteile. Sie gehen einzige mit dem Nachteil einher, eine nicht besonders lange Verweildauer am Auge zu besitzen, so dass, je nach Schweregrad des Trockenen Auges, häufig bis sehr häufig getropft werden muss. Hochvisköse Gele, wie z. B. Carbomer, gehen mit dem Nachteil einher, zunächst zur Schlierenbildung zu neigen. Nach ihrem Gebrauch ist zum Beispiel das Führen eines Kraftfahrzeugs oder die Arbeit am PC kurzzeitig beeinträchtigt. Gerne werden hochvisköse Gele als zusätzliche symptomatische Therapie über Nacht empfohlen, da sie besonders lange am Auge verweilen und so auch über Nacht eine lange Symptomfreiheit gewährleisten. Auch bei schweren Fällen von Trockenem Auge bringen hochvisköse Gele eine lange Linderung und senken die Tropffrequenz gegenüber niedrigviskösen Mitteln erheblich. Eine Besonderheit bilden Tränenersatzmittel mit Hyaluronsäure. Diese sind niedrig viskös, halten jedoch länger am Auge. Hyaluronsäure hat dabei drei entscheidende Vorteile: Zum einen ist die Hyaluronsäure mukoadhäsiv, d. h. sie haftet besonders gut an der Schleimkomponente, hat damit eine lange Verweildauer am Auge und unterstützt die Bildung eines stabilen Tränenfilms. Der zweite Vorteil der Hyaluronsäure besteht in ihrer Viskoelastizität, d. h. zwischen den Lidschlägen ist sie höher viskös, während des Lidschlags dagegen niedriger viskös. Tränenersatzmittel mit Hyaluronsäure sind effektiv wie ein Augengel, jedoch für den Patienten so angenehm wie Augentropfen und aufgrund dieser Wirkstoffeigenschaften für alle Formen des Trockenen Auges geeignet. 54 Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom Der dritte Vorteil, den die Verwendung von Hyaluronsäure mit sich bringt, ist ein zusätzlicher wundheilungsfördernder Effekt. Bei kleineren Verletzungen oder Reizungen im Auge, z. B. an der Hornhaut kann Hyaluronsäure den Heilungsprozess unterstützen. Wundheilungsgeschwindigkeit bei Applikation verschiedener Konzentrationen von Hyaluronan ➞ der maximale Effekt wurde bei 0,2 % Hyaluronan erzielt 120 Größe des Wundareals in % 100 80 60 Kontrollgruppe 40 0,015 % 0,1 % 20 0 0,2 % 0,4 % 0 12 24 36 48 Zeit in (h) Abbildung nach: Camillieri et al., Hyaluronan-Induced Stimulation of Corneal Wound healing is a Pure Pharmacological Effect, Journal of Ocular Pharmacology and Therapeutics, Volume 20, Number 6, 2004. Zusammenfassung: Tränenersatzmittel werden als symptomatische Therapie eingesetzt und müssen den natürlichen Eigenschaften der Tränenflüssigkeit so gut wie möglich entsprechen. Für die individuelle Therapie ist die Art des verwendeten Polymers und die Viskosität der Tränenersatzmittel entscheidend. Hyaluronsäure ist dabei, aufgrund seiner besonderen Eigenschaften, für alle Formen des Trockenen Auges geeignet. Einleitung Anatomie Optik Trockenes Auge Gereiztes Auge Allergisches Auge AMD Glaukom 55