S Y O B B AD I I O N A I P OF THE 30.05.2014 „Nimm keine Rücksichten auf das, was Du in der Klavierstunde gelernt hast. Überlege nicht lange, ob Du ‚Dis‘ mit dem vierten oder sechsten Finger anschlagen mußt. Spiele dieses Stück sehr wild, aber stets sehr stramm im Rhythmus, wie eine Maschine. Betrachte hier das Klavier als eine interessante Art Schlagzeug u. handle dementsprechend.“ Spielanweisung zu Paul Hindemiths „Ragtime“ aus der „Suite 1922“ für Klavier op. 26 BAD BOYS OF THE PIANO II 04 KONZERT 05 AN DER GRENZE DER SPIELBARKEIT AKUSTISCHE TÄUSCHUNGEN UND INSTRUMENTALES THEATER 11 12 15 BIOGRAFIEN VORSCHAU IMPRESSUM FREITAG, 30.05.2014 NDR, ROLF-LIEBERMANN-STUDIO 20 UHR | KONZERT KLAVIERDUO GRAUSCHUMACHER PHILIPPE MANOURY (*1952) Turbulences für zwei Klaviere (2014) KLAVIERDUO GRAUSCHUMACHER aus „Zones de turbulences“ MICHAEL BEIL, Live-Audio und -Video für zwei Klaviere und Orchester – Uraufführung – STEVE REICH (*1936) Piano Phase FRANZ LISZT (1811 – 1886) für zwei Klaviere (1967) Concerto pathétique für zwei Klaviere (1865/1877) mit neuer Kadenz versehen von „Les larmes“. Largo di molto Stefan Heucke (2008) aus der Suite für zwei Klaviere Nr. 1 op. 5 Allegro energico – Grandioso – Quasi fantasia – „Fantaisie-tableaux“ (1893) Andante sostenuto – Allegro agitato assai – Più moderato – Più mosso – Stretta – Andante, BAD BOYS OF THE PIANO II 04 K ON Z ER T BAD BOYS OF THE PIANO II GYÖRGY LIGETI (1923 – 2006) Drei Stücke für zwei Klaviere (1976) 1. Monument quasi marcia funebre – Cadenza Tempo giusto. Moderato – Allegro trionfante TRUMENTALES THEATER INS D UN N GE UN CH US TÄ E CH TIS US AK AN DER GRENZE DER SPIELBARKEIT 2. Selbstportrait mit Reich und Riley FREDERIC RZEWSKI (*1938) (und Chopin ist auch dabei) Winnsboro Cotton Mill Blues 3. In zart fließender Bewegung für zwei Klaviere (1980) „Betrachtet man die Finger eines wirklichen Konzertpianis- und ultramodernen Konzertprogrammen die Zeitgenossen; (North American Ballad No 4) ten“, schrieb George Antheil, „so fällt einem auf, dass sie weich Anfang der 1920er Jahre war er so berüchtigt, dass er bei Auf- Viertel = 88/92: Expressionless, machinelike und dicklich aussehen, doch das ist irreführend. Du nimmst ein- tritten einen Revolver in einem eigens von einem Berliner fach eine Glasscheibe, schiebst sie unter seine Hand und bittest Schneider angefertigten, seidenen Schulterhalfter bei sich trug: MICHAEL BEIL (*1963) ihn, den kleinen Finger so hoch zu heben, wie es möglich ist, „Eine ganze Reihe von Augenzeugen haben sich über meine Doppel ohne die anderen Finger von der Scheibe zu nehmen; und dann kühle Ruhe bei manchem lärmenden Skandal in Konzerten ge- für zwei Klaviere mit Live-Audio und Live-Video sagst du ihm, er soll ihn herunterschnellen lassen. Er wird die wundert, die ich während der ersten tumultuarischen Jahre (2009/2013) Glasplatte jedesmal zerbrechen. Das kann fast jeder Konzertpia- des Waffenstillstands zwischen den beiden Weltkriegen veran- nist, der wirklich Technik besitzt.“ Für Antheil, den selbsternann- staltete. Dafür gibt es einen triftigen Grund: Ich war bewaffnet.“ — Pause — ten „Bad Boy of Music“ (so der Titel seiner Autobiographie), wa- Das Konzert wird am 6. Juli 2014 ab 22 Uhr auf NDR Kultur gesendet. ren seine Pianistenfinger „Maschinengewehre“ und „Munition“ – Natürlich war Antheil, dessen Mut zum Vorbild für eine ganze kein Wunder also, dass er selbst mit einer Spezialtastatur arbei- Generation von amerikanischen Musikern wurde, im ersten „Bad tete, deren „Tasten so schwer niederzudrücken sind, dass du Boys of the Piano“-Konzert vertreten, das Andreas Grau und am Abend, wenn du dich an deinen Konzertflügel setzt, buch- Götz Schumacher in der Reihe NDR das neue werk Anfang Mai stäblich glaubst, auf einer Wattewolke zu reiten […].“ Auf seinem 2010 gaben. Nun widmen sich die beiden Pianisten (ohne Eiska- eigenen Instrument pflegte er zwei Wasserkaraffen mit Eis raffen und Revolver) einem weiteren Programm, in dem extrem zu platzieren, um bei Bedarf die heißgespielten Hände kühlen zu schwer zu spielende Werke für zwei Klaviere abseits des gän- können. Natürlich verstörte Antheil mit seinen hochvirtuosen gigen Repertoires zu hören sein werden. 05 BAD BOYS OF THE PIANO II SERGEJ RACHMANINOW (1873 – 1943) Eingeleitet wird der Abend von Steve Reichs „Piano Phase“. Wiederholung immer um eine Sechzehntelnote versetzt spielt. spielt. Die Noten scheinen sich periodisch zu wiederholen, einzumünden. Hierzu bemerkte Ligeti: „Als ich 1972 in Kalifor- In den Worten des Komponisten ist jenes Stück „das direkte Dabei beginnen beide Rhythmen zunächst synchron, um an- allerdings wie unterschiedliche Glocken in differierenden Ab- nien zum ersten Mal Musik von Terry Riley und Steve Reich Resultat meiner Arbeit der Jahre 1965/1966 an zwei simultan schließend, in schritt weiser Phasenverschiebung des zweiten ständen, die ihrerseits verschoben werden. Während des ge- hörte, war ich begeistert: Wir hatten ähnliche Einfälle […] unab- laufenden Bandgeräten mit identischen Tonschleifen, wobei durch Rhythmus’, asynchron und am Ende, nach dem Durchlauf sämt- samten Stückverlaufs durchlebt der Hörer einen Zustand von hängig voneinander, gleichzeitig, in geographisch weit voneinan- kaum merkliche Veränderungen der Bandgeschwindigkeiten licher Verschiebungsmöglichkeiten, wieder synchron werden. scheinbarer Ordnung (zu Beginn), der von einem komplexen der entfernten Gegenden. Deshalb sollte mein Klavierstück eine behutsame Phasenverschiebungen zwischen zwei gleichen, sich Während dieses Prozesses rückt das Originalpattern für den Chaos im ersten Drittel und patternhafter Abfolge nach etwa Hommage an die Verwandtschaft mit den beiden Amerikanern wiederholenden Mustern erzeugt wurden. […] Da der Vorgang Hörer zunehmend in den Hintergrund, da aus der Stimmenüber- zwei Dritteln abgelöst wird, bis die Klänge schließlich in völliger darstellen, und ich nannte es zunächst ‚Stilleben mit Reich und fortschreitender Phasenverschiebung eigentlich typisch für lagerung sogenannte inhärente Patterns entstehen, deren pul- Gleichförmigkeit zu erstarren scheinen. Während die Musik Riley‘. Dann dachte ich, ‚Stilleben‘ – nature morte – ist kein sehr Maschinen ist (Scheibenwischer an einem Bus, Signaltöne an sierende Gestalten wie in einem Vexierspiel changieren: „Das immer höhere Lagen erreicht, nimmt die Dynamik kontinuierlich liebenswürdiger Titel, wenn es sich um lebende Komponisten einem Eisenbahnübergang usw.), war ich nicht sicher, ob er von Stück“, so Reich, „ist in drei Abschnitte geteilt, die durch Wech- ab, bis das Stück im pianissimo in höchsten Höhen verklingt. handelt. So kam ich statt Stilleben zu ‚Portrait‘, doch da es kein zwei Personen dargestellt werden könnte.“ Allerdings wollte sel der Noten und Muster gekennzeichnet sind. Der erste be- „In ‚Monument‘“, so Ligeti, „habe ich mir eine riesige, statuari- Portrait von Reich und Riley war, sondern eine zum Teil mein Reich „kein Wissenschaftler sein, der in einem Labor voller steht aus zwölf Schlägen in natürlichem b-Moll, der zweite aus sche, imaginäre Architektur vorgestellt, mit der Interferenz von ‚Continuum‘ persiflierende Musik, wurde es zum ‚Selbstportrait Bandmaschinen bis ans Ende seines Lebens festhängt. Und wenn acht Schlägen, die einen scheinbaren Dominantakkord auf E sechs Schichten von Gitterstäben.“ mit Reich und Riley‘. Da ich als mechanische Selbstpersiflage ich das nicht in Live-Musik umsetzen kann, ist es keine Musik, bilden, und der letzte aus vier Schlägen in A (möglicherweise ist es nur elektronisch – letztendlich nur ein Trick.“ Dur, aber ohne eine klare Terz).“ am Ende des Stücks eine Allusion an Chopins berühmtes b-MollPresto einfügte (es ergab sich von selbst aus dem Wesen der Riley (und Chopin ist auch dabei)“ überschrieben, reflektierte Minimal Music), kam zum Titel noch die Ergänzung ‚und Chopin „Piano Phase“, ein Stück, in dem einfache Figuren gegenein- Bei Sergej Rachmaninows „Les larmes“ aus der ersten Suite der Komponist sein eigenes Cembalostück „Continuum“, in dem ist auch dabei‘.“ Das letzte Stück, „In zart fließender Bewegung“, ander verschoben werden, beansprucht trotz seiner Auffüh- für 2 Klaviere op. 5 handelt es sich um ein Werk, in dem die mittels Phasenüberlagerung ein flirrender Klang aus sich ständig ist schließlich als komplexer Spiegelkanon angelegt, in dem die rungsdauer von rund 20 Minuten nur 2 Notenseiten, wobei die genrehaft-programmatischen und tonmalerischen Tendenzen verschiebenden diatonisch-chromatischen Clustern erzeugt wird. unterschiedlichen Verlaufsschichten – intervallische, tonräum- BAD BOYS OF THE PIANO II 06 der ersten Schaffensperiode des Komponisten deutliche Spuren liche, rhythmische, dynamische oder artikulatorische Prozesse – hinterlassen haben. Jedem der vier Stücke des Zyklus’ ist ein stets in Bewegung gehalten werden. Text als Motto vorangestellt, wobei die Nummer 3, „Les larmes“ (Die Tränen), von dem gleichnamigen Gedicht Fjodor Tjutschews „Zones de turbulences“ nannte Philippe Manoury sein Konzert eingeleitet wird: „Menschentränen, Menschentränen, / Wenn es für zwei Klaviere und Orchester, das Andreas Grau und Götz nachtet, wenn es tagt, / Unbemerkt und ungesehen, / Nicht zu Schumacher gemeinsam mit dem von Brad Lubman dirigierten zählen, nicht zu wägen / Quellen fließen wie der Regen, / Strö- Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am 13. De- men in der Herbstesnacht.“ Der klavieristischen Elegie liegt ein zember 2013 im Münchner Herkulessaal uraufgeführt haben. absteigendes „Tränenmotiv“ aus vier Tönen zugrunde, das stän- In dem Werk ging es dem 1952 im zentralfranzösischen Tulle dig wiederholt und variiert, in unterschiedliche Harmonien ein- geborene Komponist, der sich frühzeitig in Klangstrukturen ver- getaucht und von kontrapunktierenden Stimmen ergänzt wird. tiefte und sie zu erforschen begann, um die paradox anmutende Dieser Ostinato-Charakter – in den Triolenbewegungen der oberen Steve Reich und mittleren Stimme ist auch eine Art von Glockenläuten zu Organisation von Turbulenzen – Gegensätze, die Manoury mit György Ligeti vernehmen – ist zwar eindeutig programmatisch motiviert, einer Gegenüberstellung von System und Rausch beschrieb. Ein Beispiel dieser Gegensätzlichkeit bietet auch Manourys notierten Takte „entsprechend der angegebenen Anzahl“ wie- deutet aber in seiner konsequent durchgehaltenen Anlage weit Im „Selbstportrait“ wird das Element der inhärenten Patterns Orches terstück „Sound and Fury“, dessen Verlauf sich „hin zu derholt werden müssen. Eine metrische Gliederung durch die in die Zukunft, was einmal mehr zeigt, dass Rachmaninow als erweitert, indem die Spieler bestimmte Tasten blockieren, die ständig heftigeren, erreg teren Strukturen voller Wut“ hinent- Betonung einzelner Zählzeiten ist beim Vortrag strikt zu vermei- Neuerer weit unterschätzt wurde. dann beim Anschlagen mit der anderen Hand stumm bleiben. wickelt, „die momenteweise durch eine immer ‚wildere‘ musi- Im vorgeschriebenen schnellen Tempo entstehen auf diese Weise kalische Übersättigung geprägt“ sind. „Diese Heftigkeit ist den, um die jeweiligen Taktverschiebungen nicht zu verdecken. Das gesamte musikalische Material, das zur Verfügung steht, Um ähnliche akustische Täuschungen, wie sie bei Steve Reichs extrem komplexe Rhythmen, die von den Pianisten allerdings indessen, wie immer bei mir, völlig durchorganisiert, sei es aus- ist ein fünftöniges Motiv, das vom ersten Pianisten wiederholt Phasenverschiebungen entstehen, geht es in György Ligetis nicht ausgezählt werden müssen, da sie „nur“ gleichmäßige gehend von einem Wachsen oder Wuchern eines klar struktu- wird (später kommt eine sechste Note a’ und die Oktavierung Drei Stücken für zwei Klaviere, in dessen erstem, „Monument“, Läufe zu spielen haben. Gegen Ende scheinen die Patterns in ein rierten Grundmaterials, sei es durch das plötzliche Einbrechen des e’ hinzu), während der zweite das gleiche Pattern bei jeder jedes Klavier Töne in festgelegten Oktavverdopplungen und -lagen Zitat aus dem Finale der b-Moll-Sonate von Frédéric Chopin eines Elements, dessen Auftritt nichts in diesem Kontext zuvor 07 BAD BOYS OF THE PIANO II Im zweiten Werk, ironisch mit „Selbstportrait mit Reich und erahnen ließ. Es ist, so hoffe ich, eine auskomponierte Gewalttä- bin wiederum ich!“ Auch war es Liszt, der als erster den Flügel wurde 1884 veröffentlicht, in der ein Abschnitt durch 39 von mentation, Diminuition, Transposition und Kompression ange- tigkeit.“ Von dieser Wechselbeziehung zwischen Schönklang und im rechten Winkel zum Publikum aufstellen ließ, wodurch die ge- Hans von Bülow neu komponierte Takte erweitert worden war wandt und die Umrisse der Melodie immer auf dem einen oder anarchischen Texturen, die Manoury als eine Art Dualität ver- öffnete Seite des Instruments den Zuhörern zugewandt war, was (in Takt 366 steht in beiden Stimmen zwischen den Systemen anderen Niveau beibehalten habe.“ Das vierte jener Werke, der steht, wie sie in einer klassischen Sonate mit ihren beiden zu einem deutlich besseren Klangergebnis führte. Neben atem- „(Bülow)“; in Takt 405 dieser Fassung heißt es dann entspre- im August 1980 in Montiano vollendete „Winnsboro Cotton Mill gegensätzlichen Themen anzutreffen ist, ist auch „Zones de beraubenden Galoppaden und kühnen Improvisationen spielte chend: „(Liszt)“.) Liszt hatte offenbar seinen Segen dazugege- Blues“, basiert Rzewski zufolge auf dem aus der Prohibitionszeit turbulences“ geprägt, „ein kurzes, wirkungsvolles, virtuoses er mit einer ungeahnten Anschlagskultur, weshalb er von den ben. Zudem hatten Richard Burmeister und Eduard Reuß eine stammenden „Alcoholic Blues“ des Broadway-Komponisten Al- Konzert für zwei Klaviere und Orchester“ (Götz Schumacher). Zeitgenossen als Pianist der Zukunft gefeiert wurde. Dabei mag Neufassung der Ausgabe von 1866 für Klavier und Orchester bert von Tilzer, auf den ein anonym gebliebener Arbeiter einen Im toccata-artigen Finale des Werks folgt nach einem kurzen Liszts Virtuosenleben seinen Teil dazu beigetragen haben, dass angefertigt, von denen Liszt die letzte 1886 selbst umfassend Text über die katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den Baum- Echo des vorangegangenen Satzes eine die Grenzen der Spiel- er das eigene Schaffen primär aus der Sicht des genialen Pianis- überarbeitete; in der posthum erschienenen Druckausgabe wird wollplantagen von North Carolina verfasst hat. Zu Beginn des barkeit berührende, überaus brillante Kadenz („Quasi cadenza“), ten und Improvisators sah, der kein Interesse an einer festen Ge- seine Beteiligung allerdings nicht erwähnt, weshalb das Stück Stücks imitieren die Clusterklänge im tiefen Register in äußer- in der die Pianisten nicht ganz synchron miteinander und frei stalt seiner Werke hatte. Jedenfalls lassen sich in seinem Schaffen bis heute in den meisten lisztschen Werkverzeichnissen zu ster rhythmischer Präzision („machinelike“) das laute Hämmern spielerisch agierend virtuose Klangkaskaden ausbreiten, denen immer wieder unterschiedliche Varianten ein und desselben Unrecht weggelassen wird. Damit war das letzte Wort in Sachen der Bolzen in einer Textilfabrik, aus dem sich, nach einem lan- das Orchester eine Art eigene Kadenz folgen lässt. Diese ful- Stückes finden – die Anzahl der Kompositionen, die in einer ein- „Concerto pathétique“ jedoch noch nicht gesprochen, da u. a. gen Crescendo, mit Blues-Anklängen versetzte Klanginseln he- minante Kadenz hat Philippe Manoury nun für Andreas Grau zigen Version vorliegen und nicht thematisch auf andere zurück- Ferruccio Busoni eine eigene Kadenz zu dem Werk komponierte rausbilden, die ihrerseits einem dynamischen Steigerungspro- und Götz Schumacher zu einem eigenständigen neuen Werk greifen, macht „nur wenig mehr als ein Fünftel des Gesamt- und Gábor Darvas 1952 eine weitere Version für Klavier und Or- zess unterworfen werden. („Turbulences“) erweitert, mit dem das Solistenduo einmal werks“ aus (Dorothea Redepenning). Liszt selbst bemerkte in chester anfertigte. Die (vorerst) letzte Bearbeitung für zwei Kla- mehr ausgiebig die Gelegenheit erhält, das eigene klavieris- einem Brief von 1863 an den Arrangeur und Herausgeber Karl viere und Orchester schrieb Stefan Heucke im Jahr 2008 mit der Deutete sich in Liszts „Concerto pathétique“ mit seiner Tendenz tische Können unter Beweis zu stellen. Klauser hierzu: „Es ist so, daß die Passion für das, was mir als Absicht, das eher schmale Doppelkonzert-Repertoire der Ro- zum „work in progress“ bereits eine Tendenz zum offenen stilistische Verbesserung erscheint, mich ganz besitzt und sich mantik zu erweitern. Dabei ließ Heucke die Klavierparts – bis auf Kunstwerk an, geht es in Michael Beils Stück „Doppel“ für zwei mit dem Alter noch steigert. Aber deshalb entschuldige ich mich die Interpolation einer gut einhunderttaktigen, hochvirtuosen nicht zu sehr, da es eben die kontinuierliche Suche nach dem und unüberhörbar zeitgenössischen Kadenz – unverändert, und Bestmöglichen ist, die den echten Künstler charakterisiert.“ ergänzte selbständig mit Hilfe thematischer und kontrapunk- 09 BAD BOYS OF THE PIANO II BAD BOYS OF THE PIANO II 08 tischer Stimmführungen einen neuen Orchesterpart. Im heuAuch bei Liszts ebenso virtuosem wie revolutionärem „Concerto tigen Konzert erklingt Liszts Variante für zwei Klaviere, die nun pathétique“ handelt es sich um ein solches „work in progress“, um Stefan Heuckes Kadenz ergänzt wird. das den Komponisten 35 Jahre lang beschäftigte: Als erste Version entstand ein „Grand solo de concert“, das um 1849/1850 Als Pianist, der seine Werke ganz auf das eigene virtuosen Kön- für einen Klavierwettbewerb des Pariser Conservatoire kompo- nen fokussiert, steht Frederic Rzewski ganz in der Tradition niert wurde; eine Orchesterfassung folgte. Da Liszt später die der großen Klaviervirtuosen des 19. Jahrhunderts, ohne dabei Soloversion des Stücks überarbeitete, ließ er weder die Solo- jedoch auch nur ansatzweise die bloße Präsentation seiner noch die Orchesterversion seines ersten Entwurfs drucken. Je- pianistischen Fähigkeiten zu verfolgen. Vielmehr versucht der nen erweiterte er schließlich um einen langsamen Satz, so dass 1938 in Westfield, Massachusetts, geborene Pianisten-Kompo- ein neues Werk entstand, welches 1851 als „Großes Konzertso- nist in seinen Stücken oftmals durch motorische Klangpassagen Franz Liszt ging als einer der größten Klaviervirtuosen aller lo“ für Klavier veröffentlicht wurde. 1856 nahm sich der Kompo- und kalkulierten Nachhall pulsierende Klangräume zu schaffen, Klaviere mit Live-Audio und -Video in den Worten des Kompo- Zeiten in die Musikgeschichte ein: als ein Pianist, der nicht nur die nist allerdings auch diese Version ein weiteres Mal vor, um sie zu die er mit seinen intendierten Ausdrucksgehalten ausfüllt. nisten weniger um „ein in sich abgeschlossenes Werk, sondern Klavier- und Pedaltechnik revolutionierte, sondern auch den seinem „Concerto pathétique“ für 2 Klaviere umzuarbeiten – Bei seinen „North American Ballads“ hat sich Rzewski erklärter- mehr eine Dokumentation seiner Entstehung“ – schließlich neuen Konzerttypus des Klavier-Rezitals schuf, bei denen er sei- zu einem Werk, in dem sich einmal mehr Liszts besondere Am- maßen „die Choralpräludien von Bach zum Vorbild genommen, können die einzelnen Stadien der Genese während der Auffüh- ne Programme ohne Mitwirkung anderer Künstler und ohne bition zeigt, Einsätzigkeit und Mehrsätzigkeit miteinander zu der in seinem kontrapunktischen Schaffen immer wieder aus rung hörend und sehend mit verfolgt werden: „Das Nachdenken Orchester präsentierte – ein absolutes Novum, bezüglich dessen verschränken. Obwohl das „Concerto pathétique“ erst 1866 im der grundlegenden Melodie motivische Konfigurationen bezieht. über das Klavierspielen, über die spezielle Situation und Aktion Hector Berlioz begeistert schrieb: „Du kannst frei nach Ludwig Druck erschien, erfreute sich das Stück unter den Liszt-Schülern Ich habe in jedem Stück auf ähnliche Art kontrapunktische auf der Bühne findet in ‚Doppel‘ keine endgültige Gestalt“, so XIV. sagen: Das Orchester bin ich! Der Chor bin ich! Der Dirigent allergrößter Beliebtheit: Eine zweite Ausgabe jener Version Strukturen aufgebaut, indem ich klassische Verfahren wie Aug- Beil. „Zu Beginn werden Materialentscheidungen getroffen und Philippe Manoury Frederic Rzewski den Pianisten je zwei Materialtypen zugeteilt. Im weiteren Ver- KLAVIERDUO GRAUSCHUMACHER lauf interpretieren die Pianisten nicht nur die notierte Musik, BAD BOYS OF THE PIANO II 10 setzt, mit gemeinsamen Auftritten bei den Europäischen Wochen Passau, im die sich aus dieser Anfangssituation allmählich entwickelt, sie Klug zusammengestellte Programme sind Schlosstheater Fulda und beim Schu- schlüpfen auch in eine Rolle.“ Ähnlich wie beim Kagelschen das Markenzeichen, mit dem sich Andreas mannfest in Düsseldorf. Den Hang zu aus- Instrumentaltheater übernehmen die beiden Pianisten in dem Grau und Götz Schumacher als eines der gefeilten Programmkonzepten dokumen- multimedialen Spiel gestische Aufgaben (Heben der Arme, international renommiertesten Klavierdu- tieren auch die CD-Einspielungen des Du- Spielen auf dem geschlossenen Klavierdeckel, zur Seite Drehen, os profiliert haben. Das weit reichende os. Ihre Aufnahme von Stockhausens Tauschen der Plätze usw.), die weit über das Klavierspielen Spektrum ihrer Ausdrucksmöglichkeiten „Mantra“ wurde von Le monde de la mu- hinaus gehen, woraus – in Verbindung mit der Live-Elektronik – ließ sie bald Gast bei diversen Festivals sique und Diapason ausgezeichnet. der vorrangige visuelle Aspekt des Stücks resultiert: „Es ist und Konzerthäusern werden (u. a. Berliner nicht das Video, es sind die Pianisten, die sichtbar gerade so Festwochen, Kölner Philharmonie, Berli- weit aus dem gewohnten Agieren heraus gehen, wie es nötig ist, ner Philharmonie, Rheingau Musik Festi- um an ihre Präsenz zu erinnern und an das, was sie eigentlich val, Schwetzinger Festspiele, Wiener Kon- tun. Die Videoebenen in ‚Doppel‘ sind dagegen nichts anderes zerthaus, Salzburger Festspiele, Tonhalle Michael Beil studierte in Stuttgart Klavier, als konkrete Erinnerungen, wie sie beim Komponieren und Zürich, Klavierfestival La Roque Musiktheorie und Komposition. Ab 1996 beim Hören vorkommen. Sie erinnern allerdings nicht nur an d’Anthéron) und mit Dirigenten wie Micha- unterrichtete er in Berlin Musiktheorie das Vergangene und seine Auswirkungen. Sie machen deutlich, el Gielen, Lothar Zagrosek, Emanuel Kri- und Komposition als Leiter der Abtei- dass in der Gleichzeitigkeit mehrerer musikalischer Ereignisse vine, Heinz Holliger, Kent Nagano, lungen für Neue Musik und Studienvorbe- auf der einen Seite beim Komponieren und auf der anderen Bertrand de Billy, Andrey Boreyko, reitung an den Musikschulen in Kreuzberg Seite beim Hören stets ein ganzes Netzwerk von Assoziationen Georges Prêtre und Zubin Mehta zusam- und Neukölln. Im Jahr 2000 gründete Mi- am Wirken ist. Interessant dabei ist für mich die Erfahrung, dass menarbeiten. Zu den jüngeren Projekten chael Beil zusammen mit Stephan Winkler ein momentaner Eindruck in der Musik, vom Komponisten kon- gehören Konzerte mit dem Deutschen die Gruppe Skart zur Konzeption von Kon- struiert, beim Hören wieder in seine Bestandteile dekonstruiert Symphonie-Orchester, dem Konzerthaus- zerten mit intermedialen Inhalten und or- wird. Dabei kann das Re sultat beim Hörer völlig anders aus- orchester Berlin, dem Radio-Sinfonieor- ganisierte zwischen 2000 und 2007 eine sehen als die Ausgangslage beim Komponisten und auch sehr chester Stuttgart und dem Bayerischen Reihe von Skart-Konzerten. In dieser Zeit verschieden bei jedem Hörer.“ Staatsorchester München, dem Radio- übernahm Michael Beil außerdem die symphonieorchester Wien und dem Or- künstlerische Leitung des Festivals Klang- chestre National de Lyon sowie Auftritte werkstatt. Neben zahlreichen Aufträgen beim Lucerne Festival, im Wiener Konzert- erhielt Michael Beil eine Auszeichnung im haus, in der Cité de la Musique, beim Kla- Kompositionswettbewerb Camillo Togni in rafestival, im Gewandhaus Leipzig und im Brescia, Stipendien für die Cité des Arts Concertgebouw Brügge. In die Saison in Paris, für das Künstlerhaus Wiepersdorf 2013/2014 startete das Duo mit Rezitalen und das Heinrich-Gartentor-Stipendium bei mehreren Sommerfestivals, darunter für Videokunst in Thun. 2007 wurde Mi- das Rheingau Musik Festival sowie die chael Beil an die Hochschule für Musik Festspiele Europäische Wochen Passau. und Tanz Köln als Professor für elektro- Es folgte die Uraufführung von Philippe nische Komposition berufen und leitet Manourys „Zones de turbulences“ bei der dort das Studio für Elektronische Musik. Harald Hodeige Musica Viva in München. Auch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Klaus Maria Brandauer wird in dieser Saison fortge- MICHAEL BEIL, Video BIOGR AFIEN 11 NDR das neue werk Zwei Konzerte am Beginn der neuen Konzertsaison Ihre nächsten Konzerte in der Reihe NDR das neue werk JACOB TV THE NEWS – REALITY OPERA NDR CHOR & RASCHÈR SAXOPHONE QUARTET PERFORMING COMPOSERS: THIERRY PÉCOU & MORITZ EGGERT ALFRED SCHNITTKE IN MEMORIAM Dienstag, 10.06.2014 NDR, Rolf-Liebermann-Studio Freitag, 27.06.2014 NDR, Rolf-Liebermann-Studio Mittwoch, 08.10.2014 NDR, Rolf-Liebermann-Studio Donnerstag, 06.11.2014 St. Johannis-Harvestehude 20 Uhr | Konzert 19 Uhr | Einführung 20 Uhr | Konzert 20 Uhr | Konzert 19 Uhr | Konzert ENSEMBLE RESONANZ, Hamburg ENSEMBLE VARIANCES, Rouen Dirigent: JONATHAN STOCKHAMMER THIERRY PÉCOU, Klavier MORITZ EGGERT, Klavier NDR CHOR Dirigent: PHILIPP AHMANN JACOB TER VELDHUIS, Leitung KRISTIEN KERSTENS, Video JAN BOITEN, Video HEIKO OSSIG, Gitarre KEVIN R. GALLAGHER, Gitarre und E-Gitarre Mitglieder des ENSEMBLE RESONANZ ENSEMBLE DER HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER ROSTOCK (Musikalische Leitung: BENJAMIN KÖTHE) 12 VORSCHAU JACOB TV Set 1: • Capriccio • The Body of your Dreams • String Quartet No. 3 • Grab it! Set 2: The News – Reality Opera In Kooperation mit Internationales Musikfest Hamburg NDR CHOR RASCHÈR SAXOPHONE QUARTET Dirigent: PHILIPP AHMANN IVAN MOODY Moons and Suns für Saxophonquartett und Chor IAN WILSON Little red Fish für Saxophonquartett und Chor Sowie Werke von JOHN TAVENER u. a. Das komplette Programm wird noch bekannt gegeben. In Kooperation mit NDR Chor THIERRY PÉCOU Les liaisons magnétiques (Deutsche Erstaufführung) Sextuor Lady’s Cowe ALFRED SCHNITTKE Zwölf Bußverse für gemischten Chor sowie Kammermusik von Alfred Schnittke In Kooperation mit NDR Chor MORITZ EGGERT 1, 2, 3 (Deutsche Erstaufführung) Croatoan II Aboriginal – Millennium Dance 13 schulkonzer t.ard.de 14 51 1 51 25 51 3 26 47 50 15 51 38 32 2 50 47 51 54 50 55 5 51 27 33 58 11 54 50 37 13 22 2 51 50 50 6 50 51 51 47 49 4 12 55 38 6 16 50 51 19 38 17 10 50 31 50 9 28 37 3 18 37 45 37 37 37 30 58 56 21 29 20 50 50 37 50 50 49 53 42 37 j e t z50 t 34 o n anme l l d e ni n e 35 38 IMPRESSUM 37 37 3 38 24 23 24 23 50 23 51 59 50 Herausgegeben vom Norddeutschen Rundfunk 7 57 58 38 freitag, 19.9.2014 11.15 uhr a n t o n í n dv o ř á k s i n f o n i e n r . 9 e - m o l l o p . 9 5 „ a u s d e r n e u e n w e l t “ n dr sinfonieorchester thomas hengel brock dirigent rolf-liebermann-studio des ndr l iv e a u f a l l e n a r d k u l t u r w e l l e n u n d a l s v i d e o - l iv e s t r e a m v o n a r t e Livestream unter concert.arte.tv 8 Leitung Bereich Orchester, Chor und Konzerte: Andrea Zietzschmann Redaktion NDR das neue werk: Dr. Richard Armbruster Koordination: Janina Hannig Redaktion des Programmheftes: Dr. Harald Hodeige Textnachweis: Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige ist ein Originalbeitrag für den NDR. Fotos: Dietmar Scholz (Umschlag) Wonge Bergmann (S. 6) Peter Andersen (S. 7) culture-images/Lebrecht (S. 8, S. 9) NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Druck: Nehr & Co. GmbH 15