Zum Einfluss der Amygdala auf das Gedächtnis Die Amygdala und deren Einflussfaktoren beim emotionalen Lernen Seminar «Einführung in die Neurophysiologie II», SS 97 Referat von Christian Fichter, 16. Mai 1997 Prof. Dr. M.-C. Hepp-Reymond Dr. F. Mast Adrenalin und Glucocorticoide beeinflussen also scheinbar die Amygdala bei emotionalem Lernen, und diese beeinflusst wiederum andere Hirngebiete, die Informationen abspeichern. Doch es gibt Unterschiede zwischen den Stresshormonen: Adrenalin z.B. durchquert die Blut-Hirn-Schranke kaum oder gar nicht und muss daher von Aussen auf die Amygdala Einfluss nehmen, wohingegen Glucocorticoide direkt in der Amygdala wirken können. Ausgangspunkte Während Jahrzehnten hat man sich die Frage gestellt, ob die Amygdala etwas mit Gedächtnisprozessen zu tun haben könnte. Diese Frage konnte man nach Läsionsstudien mit «ja» beantworten. Es wurde vermutet, dass die Amygdala die Verknüpfung zwischen Reiz und Belohnung festigt und dass sie ein Ort von Neuroplastizität sein könnte, der aversives Lernen vermittelt. Die Ergebnisse von M CGAUGH , CAHILL und ROOZENDAAL (1996) gehen aber mehr in eine andere Richtung: Die Amygdala reguliert die Speicherung oder Konsolidierung von Information in anderen Hirngebieten. Zentrale Hypothese: Emotionale Erregung aktiviert die Amygdala, welche dann einen modulierenden Einfluss auf Gedächtnisspeicherungsprozesse nimmt, die in von der Amy gdala beeinflussten Hirnregionen stattfinden. Folgende Beobachtungen stützen diese Hypothese: - Die Amygdala vermittelt Effekte von Stresshormonen auf den Lernvorgang. - Für die Erinnerung von Gelerntem ist eine intakte Amygdala nicht nötig. - Anschauliche Untersuchungen an Menschen bestätigen die bei Tierversuchen gemachten Erfahrungen. Funktional betrachtet liegt der Sinn des Ganzen darin, dass Gedächtnisinhalte in Relation zu ihrer emotionalen Bedeutung abgespeichert werden. Wichtig: Im Gegensatz zur Abspeicherung von Information spielt die Amygdala keine Rolle beim Abrufen und Anwenden der gespeicherten Information; auch dann nicht, wenn die Information in einer affektiv aktivie rten Situation aufgenommen wurde. Einflüsse von Stresshormonen auf Speicherungsprozesse Schon einige Zeit weiss man, dass Stimulantien des ZNS, wie Adrenalin und Glucocorticoide, den Lerneffekt von Vermeidungsaufgaben im Tierversuch verbessern. Dass diese Substanzen auch endogen eine Rolle bei emotionalem Lernen spielen, ist bekannt. Injiziert man den Ratten in Lernsituationen Noradrenalin, so verbessert sich deren Lernleistung ebenfalls; das Gleiche gilt für Glucocorticoide. Die Lernleistung ist dann am grössten, wenn die Stresshormone nur in moderaten Dosen und unmittelbar nach der Lernsituation gegeben werden. Einflüsse von Adrenalin Die Autoren berichten folgende wichtige Fakten: - Unterbindung der Adrenalinproduktion des Nebennierenmarks und Adrenalininjektion ändern die Effekte, die elektrische Stimulation der Amygdala auf Speicherungsprozesse hat. - Die Effekte von Adrenalin auf das Lernen werden blockiert, wenn die Amygdala oder die Stria Terminalis (wichtiger Efferenzstrang der Amygdala) Läsionen aufweisen. - Die Effekte von Adrenalin auf das Lernen werden ebenfalls blockiert, wenn unmittelbar nach der Trainingseinheit und vor der Adrenalininjektion der Betablocker Propanolol injiziert wird. Dass β-Blocker, die man in die Amygdala bringt, den lernverstärkenden Effekt von Adrenalin verhindern, lässt darauf schliessen, dass die nun blockierte Noradrenalinausschüttung in der Amygdala den Adrenalineffekt auf das Gedächtnis vermittelt. Umgekehrt sollte auch eine Gabe von Noradrenalin in die Amygdala selber einen lernverstärkenden Effekt zeigen; und das ist auch der Fall. Eine Implikation dieser Ergebnisse ist, dass bei Lernversuchen, wie sie oft mit Ratten durchgeführt werden, kurz nach dem Stimulus die Noradrenalinkonzentration in der Amygdala erhöht sein sollte. Mittels Microdialyse am lebenden Tier und Analyse des Blutes konnte dies bestätigt werden. Gibt man den Betablocker Propanolol extern, also nicht direkt in die Amygdala, so tritt derselbe Effekt auf, weil Propanolol die Blut-Hirn -Schranke durchdringt. Interessanterweise tritt der Effekt aber auch auf, wenn Sotalol gegeben wird, ein Betablocker, der die Schranke nicht passiert. Das bestätigt, dass der Einfluss von Adrenalin auf das Lernen durch Aktivierung peripherer β-adrenerger Rezeptoren geschehen muss. Einflüsse von Glucocorticoiden Ähnlich wie Adrenalin beeinflussen auch Glucocorticoide die Speicherung von Lerninhalten unter Einbezug der Amygdala. Bsp: Gibt man das Glucocorticoid Dexamethason in die Amygdala, so wird ebenfalls besser gelernt. Für Glucocorticoideinflüsse lässt sich zeigen, dass der basolaterale Nucleus der Amygdala am wichtigsten zu sein scheint: Erfährt dieser eine Läsion, verschwindet der Lerneffekt, lädiert man die Amygdala im centralen Nucleus, so passiert nicht viel. Der Lerneffekt ist signifikant grösser, wenn man ein Glucocorticoid in den basolateralen anstatt den centralen Nucleus des Mandelkerns gibt. Das bedeutet, dass der centrale Nucleus nicht beteiligt ist, wenn Glucocorticoide die Modulation der Speicherprozesse durch die Amygdala auslösen. Interaktionen mit anderen neuromodulatorischen Systemen Es gibt auch noch andere Substanzen, welche den lernmodulatorischen Einfluss der Amy gdala verändern können. Es handelt sich um Systeme mit Opiatrezeptoren, GABAergensowie cholinergen Rezeptoren. Opiate beeinflussen den Lernvorgang negativ; die Erinnerung fällt schlechter aus, denn Opiatagonisten hemmen die Noradrenalinausschüttung. GABAerge Agonisten bewirken dasselbe wie Opiate: sie hemmen die Noradrenalinausschüttung in der Amygdala und verschlechtern somit die Lernleistung. Cholinerge Systeme spielen ebenfalls eine Rolle – auf einer späteren Stufe. Gibt man nämlich Propanolol in die Amygdala, um das Noradrenalin unwirksam zu machen, so stellt sich trotzdem der das Lernen verbessernde Effekt ein, wenn man gleichzeitig einen cholinergen Agonisten eingibt. Ort, Stärke, Art des Einflusses der Amygdala Wo, wie und wie stark beeinflusst die Amygdala emotionales Lernen? Dass die Amygdala verschiedene neuromodulatorische Systeme integriert, die Einfluss auf das Lernen nehmen können, ist klar – Aber wo und wie passiert dieser Einfluss? Diese Fragen lassen sich derzeit nur unbefriedigend beantworten. Offensichtlich ist, dass Efferenzen, welche die Amygdala über die Stria Terminalis verlassen, eine wichtige Rolle spielen. Der Ort der Einflussnahme der Amygdala dürfte zwangsläufig aus Gehirngebieten bestehen, die von der Amygdala angesprochen werden können. Wird aber z.B. die Stria Terminalis gekappt, so verhindert dies nicht sämtliches emotionale Lernen, aber es wird verschlechtert. Untersuchungen am Menschen Treten die bei Ratten beobachteten Effekte auch beim Menschen auf? Eine Arbeit von CAHILL , PRINS, W EBER und M CGAUGH (1994) versuchte, diese Frage zu beantworten. Dazu wurde gesunden Freiwilligen 1h vor der Lerneinheit entweder der Betablocker Propanolol oder ein Placebo verabreicht. Den Versuchspersonen wurde als Lerneinheit entweder eine emotional aufregende oder eine neutrale Geschichte präsentiert. Die aufregende Geschichte war v.a. in der Mitte emotional. Eine Woche später musste die Geschichte erinnert werden, wobei die VPn, die ein Placebo erhielten und welche der emotionalen Geschichte ausgesetzt waren, die Geschichte wie erwartet signifikant besser erinnerten. Die VPn, die der neutralen Geschichte ausgesetzt waren, unterschieden sich nicht in ihrer Erinnerungsleistung, egal ob sie Propanolol oder ein Placebo geschluckt hatten. Der Betablocker hatte also den Einfluss, dass der emotionale Mittelteil der Geschichte schlechter wiedergegeben wurde, währenddem die neutrale Einleitung und der neutrale Schluss gut wiedergegeben wurden. Andere Arbeiten Interessant ist, dass in einer anderen Arbeit mit älteren Versuchspersonen, die wohl regelmässig Betablocker als Herzmedikament einnehmen mussten, genau die gleichen Effekte auf das emotionale Lernen beobachtet wurden. In einer weiteren Studie wurden PET -Scans gemacht, während oder vermutlich eher gleich nach dem Betrachten von aufregenden oder aber neutralen Filmausschnitten. Der Glucosemetabolismus war dabei hochsignifikant positiv mit der Erinnerungsrate korreliert. Kritik M C GAUGH et al. sprechen fast nur von emotionalen Lerninhalten. Man würde aber vermuten, dass nicht der Lerninhalt selber affektiv erregend sein muss, sondern dass die Erregung unspezifisch sein kann. Dann sollte jeder beliebige Lerninhalt, sei er noch so irrelevant, besser gespeichert werden. Darauf hin deuten die funktionalen Erklärungen der Autoren sowie eigene introspektive Erfahrung. Auch der von Pädagogen oft gehörte Rat, Lerninhalte mit emotionalen Momenten zu verknüpfen, weist in diese Richtung. Literatur M C GAUGH , J. L., CAHILL, L. ROOZENDAAL, B. (1996). Involvement of the amygdala in memory storage: Interaction with other brain systems. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 93, 13508-13513. CAHILL, L., PRINS, B., W EBER, M., M C GAUGH , J. L. (1994). ß-Adrenergic activation and memory for emotional events. Nature 371, 702-704.