Soziale Ungleichheit ’Soziale Ungleichheit’ liegt dann vor, wenn Menschen SOZIALE UNGLEICHHEIT aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den wertvollen und begehrten Gütern einer Gesellschaft (Wohlstand, Ansehen, Gesundheit) regelmäßig mehr als andere erhalten. (Hradil) Definition, Begriffe, Formen, Modelle, Theorien Dr. Sabina Enzelberger ungleiche Verteilung knapper und begehrter Güter! 2 1 Soziale Ungleichheit Soziale Ungleichheit Je mehr wertvolle knappe Güter ein Mitglied der Gesellschaft besitzt (Bildung, Einkommen), Für den Begriff gelten drei Definitionskriterien: 1. Er bezieht sich auf bestimmte Güter, die in der Gesellschaft als „wertvoll“ erachtet und begehrt werden und obendrein knapp sind desto angenehmer gestalten sich seine Lebensbedingungen Heute im Vgl. mit frühem M.A. : hoher Bildungsabschluss entscheidend für Berufsposition, Anerkennung, Einkommen, hohe Lebensqualität desto mehr Vorteile gegenüber denen, die keinen Zugang zu diesen Gütern Soziale Ungleichheit: gesellschaftlich-historisches Konstrukt, an jeweils geltenden Wertzuschreibungen gebunden 3 desto leichter sind gesellschaftliche Ziele zu verwirklichen, da die hierfür notwendigen Ressourcen leichter zu erlangen (Hohe sichere Berufsstellung, Wohlstand) 4 1 Soziale Ungleichheit Soziale Ungleichheit Für den Begriff gelten drei Definitionskriterien: Für den Begriff gelten drei Definitionskriterien: 2. 3. Die „wertvollen Güter“ müssen absolut ungleich verteilt sein (unabhängig davon, ob als gerecht oder ungerecht angesehen). Der Begriff bezieht sich nur auf solche „wertvollen Güter“, die auf soziale, regelmäßige und überpersönliche Weise ungleich verteilt werden. Soziale Ungleichheit meint demnach nicht: nur auf Einzelpersonen bezogene Nach- oder Vorteile, sondern nur jene, „die in gesellschaftlich strukturierter, vergleichsweise beständiger und verallgemeinerbarer Form zur Verteilung kommen (Abitur auf bestimmte Bevölkerungsgruppen Schichten) 5 6 Nicht als soziale Ungleichheiten gelten: natürliche individuelle momentane zufällige Unterschiede 7 2 Die Marxsche Klassentheorie K. Marx (1818-1883) Die Marxsche Klassentheorie Erklärung sozialer Ungleichheit mit Hilfe der Theorie des „Geschichte aller bisherigen Gesellschaft“: „eine Geschichte des Klassenkampfes“: historischen Materialismus („objektive Gesetzmäßigkeiten“ der geschichtlichen Entwicklung) In jeder bisherigen Gesellschaft und historischen Epoche standen sich zwei durch ein Ausbeutungsverhältnis gekennzeichnete Hauptklassen gegenüber. Der Klassenkonflikt bedingt den sozialen Wandel. Periodische Einteilung der Entwicklung der Gesellschaft in Antike Sklavenhaltergesellschaft (Sklaven und Sklavenhalter) Feudalismus (Bauern und Adel) Kapitalismus (Bourgeoisie/Kapitalisten und Proletariat) 9 Die Marxsche Klassentheorie Die Marxsche Klassentheorie Mit der (Weiter-)Entwicklung der Produktivkräfte bilden sich neue Produktionsverhältnisse (= gesellsch. Beziehungen der Menschen zueinander und zu Produktionsmitteln) neue Hauptklassen neue Gesellschaftsformation spezifische Formen von Klassenkämpfen 10 Feudalismus: Besitz von Land und direkte Leibeigenschaft entscheidendes Ausbeutungsmittel des Adels gegenüber Bauern Unterbau: Gesamtheit der Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte ökonomische Struktur/Basis Überbau: Sitte, Recht, Gesetz, Ideologie, Kunst, Staat basieren auf materieller Basis Sklavenhaltergesellschaft: Reichtum durch Schaffung und Akkumulation von Mehrwert durch Sklavenarbeit 11 12 3 Die Marxsche Klassentheorie Alle Menschen im gleichen Verhältnis zu den Produktionsmitteln bilden eine Klasse im objektiven Sinne („Klasse an sich“) Klasse als zentraler Begriff Die Marxsche Klassentheorie Der Besitz bzw. Nichtbesitz der Produktionsmittel begründet die Herrschaft der Besitzenden über Nichtbesitzende Kapitalistische Industriegesellschaft: Unterteilung in Produktionsmittel (Maschinen, Land) Besitzende (Bourgeoisie/ Kapitalisten) und Nichtbesitzende (Proletariat) Diese ermöglicht die Ausbeutung der Proletarier durch die Kapitalisten: Neue Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft 2 neue relevante Klassen! Diese erhalten als Lohn nur den Anteil an der Produktion, den sie zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft benötigen zu geringen Lohn 13 Die Marxsche Klassentheorie 14 Die Marxsche Klassentheorie Den Betrag nach Abzug der Lohnkosten vom Erlös der verkauften Güter (= Gewinn) behalten die Produktionsmittelbesitzer ein Die nicht besitzenden Arbeiter erarbeiten einen Mehrwert, den sich die Kapitalisten aufgrund ihrer Macht als Besitzer an PM aneignen Mit Verkauf seiner Arbeitskraft verliert der Arbeiter die Kontrolle über sein Produktivvermögen als wichtiges Element seines Daseins: Subtile Ausbeutung auf Basis marktgemäßen Tauschs gegenüber Feudalismus oder Sklavenhaltergesellschaft (physische Gewalt) Keine Selbstbestimmung bezüglich seiner Arbeit Keine Kontrolle über die geschaffenen Produkte „Entfremdung des Arbeiters von sich selbst“ 15 16 4 Die Marxsche Klassentheorie Die Marxsche Klassentheorie Bourgeoisie: Besitz an PM und Anhäufung (Akkumulation) von Kapital durch Ausbeutung Ökonomische und gesellschaftlicher Macht (Politik, Kultur, Recht, Ideologie/Religion, Bildungschancen) herrschende Klasse Antagonistische Interessenlagen der beiden Klassen aufgrund der Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse Technische Fortschritt und Wettbewerb Rationalisierung zur Erhöhung der Produktion und des Mehrwertes Lohnsenkung, Entlassungen Soziale Ungleichheit bezüglich aller Lebenschancen Objektives Interesse der privilegierten Besitzenden an Sicherung, der Nichtbesitzenden an Veränderung der Ausbeutungsverhältnisse 17 Die Marxsche Klassentheorie Die Marxsche Klassentheorie 18 Verelendung des Proletariats zur Ausbildung der subjektiv bestehenden „Klasse für sich“ : Aufgrund Krisenanfälligkeit des Kapitalismus (Überproduktion, Einbruch der Nachfrage, fehlende plangerichtete Steuerung) Konkurse kleiner Unternehmen Kapital- und Unternehmenskonzentration schrumpfende Bourgeoisie wir immer reicher Verschwinden der mittelständischen Schichten (Proletarisierung) Objektive niederdrückende Klassenlage des Proletariats führt Bildung eines gemeinsames Klassenbewusstseins und Umsetzung der erkannten gemeinsamen Klasseninteressen in politische solidarische Handlungsweisen (Klasse als Akteure) 19 Objektive Klassenlage erklärt soziales Handeln! 20 5 Die Marxsche Klassentheorie Die Marxsche Klassentheorie Offener Klassenkampf und Revolution Klassenlose Gesellschaft des Kommunismus „Expropriation der Expropriateure“ (Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln) Aufhebung der Entfremdung des Arbeiters durch Aufhebung des Privateigentums ( Selbstverwirklichung) Diktatur des siegreichen Proletariats im Sozialismus Ende der Geschichte der Klassenkonflikte 21 Würdigung der Marxschen Klassentheorie Geschlossener gesamtgesellschaftlicher Erklärungsansatz 22 Würdigung der Marxschen Klassentheorie der Entstehung sozialer Ungleichheit Schlüssige Erklärung sozialer Ungleichheiten in der frühkapitalistischen Gesellschaft (19.Jh.) auf ökonomischer Basis (Besitz an PM, Ausbeutung) Theorie sozialen Wandels („Geschichte aller bisherigen Gesellschaft als eine Geschichte des Klassenkampfes“) Erklärung der wesentlichen Strukturen des Kapitalismus Kritik an ungerechten Ungleichheitsstrukturen (Entlohnung) Erklärung ökonomischer Interessen und interessegeleiteten Adäquate Charakterisierung derselben als Klassengesell-schaft Wobei keine eindeutige Definition von „Klasse“ Die weitere gesellschaftliche Entwicklung lässt sich nicht mehr allein mit dem Marxschen Modell erklären sozialen Handelns 23 24 6 Würdigung der Marxschen Klassentheorie Bestimmte soziale Ungleichheiten in fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften lassen sich zwar noch mit Marx – auch als Klassenstrukturen - erklären, aber die modernen Gesellschaften gelten nicht mehr im Ganzen als Klassengesellschaften d.h. Würdigung der Marxschen Klassentheorie Wobei MARX selbst gelegentlich ein differenziertes Klassenmodell verwendet: 1. Mittel- und Übergangsklassen (z.T. aus vorangegangenen Perioden: im Feudalismus: Proletarier und Bourgeoisie mit Herausbildung des Strukturierungsprinzips „Eigentum“ in jungen kapitalistischen Gesellschaft: Reste feudaler Klassen im entwickelten Kapitalismus: Klassenfragmente innerhalb der dichotomen Klassen nach sozialer Lage, Interessen, Qualifikation, Besitz von Land oder Fabriken Die Unterteilung in zwei Hauptklassen ist für eine sinnvolle Analyse der Ungleichheitsstrukturen/Sozialstruktur nicht mehr ausreichend: interne Differenzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (Mittelschichten, Angestellte) Kritik an mangelnder Differenzierungsfähigkeit 25 Würdigung der Marxschen Klassentheorie 26 Würdigung der Marxschen Klassentheorie 2. Moderne soziale Ungleichheiten (Lebenslage, Machtverhältnisse) lassen sich nicht mehr allein mit ökonomischen Gründen (Eigentum an Produktionsmitteln) erklären Weitere Gründe sind z.B. Einkommen, Ansehen, Bildung in Gruppe der Nichtbesitzen-den!) Kritik am ökonomischen Determinismus Die Marxsche Klassentheorie laut R. Dahrendorf und Th. Geiger: problematische Verbindung von soziologischer Analyse, philosophischer Spekulation und politischer Zielsetzung Besitz kann nicht die Ungleichheiten in sozialistischen Ländern erklären, in denen formal das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft Fehlprognosen Keine Verelendung des Proletariats; Gründe: 27 Sozial- und Wohlfahrtsstaat Löhne nicht am Existenzminimum Möglichkeit sozialer Mobilität Institutionalisierung der Klassenkonflikte 28 7 Würdigung der Marxschen Klassentheorie Keine Homogenisierung, sondern Ausdifferenzierung der Arbeiterschaft hinsichtlich Einkommen, Qualifikation etc. (Pluralisierung der Lebensbedingungen!) Keine Polarisierung von Kapital und Arbeit Fehlendes Klassenbewusstsein Würdigung der Marxschen Klassentheorie Von neomarxistischen Ungleichheitsforschern einige zentrale Marxsche Elemente aufgenommen: Fortbestehen der Mittelschichten Keine kommunistischen Revolutionen Fortbestehen kapitalistischer Produktionsformen Erklärung sozialer Ungleichheit in kapitalistischer Gesellschaft Rolle der Ökonomie Anwendung des Klassenbegriffs auf moderne Gesellschaft Fremdbestimmung der Arbeit geistige Verelendung Schärfung des Bewusstsein für soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit in 1960er/70er Jahren 29 Das Klassenmodell von Max Weber M. Weber (1864-1920) 30 Max Webers Klassenbegriff Wie MARX noch heute einflussreich (Neo-Weberianer) „Gruppierung von Menschen, die sich aufgrund ihres Besitzes (Besitzklasse) oder/und der Verwertbarkeit ihrer Leistungen (Erwerbsklasse) für die ‚Erzielung von Kritik an MARX und Anstöße zur Weiterentwicklung dessen Klassenbegriffs Einkommen und Einkünften innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsordnung’ ... jeweils in etwa gleicher Lage innerhalb der Struktur sozialer Ungleichheit befindet. Begründer der Dreidimensionalität sozialer Ungleichheit zur adäquaten Darstellung der sozialen Ungleichheitsstruktur: Nicht Ausbeutung führt zur Bestimmung von Klassenlagen und Entstehung von sozialer Ungleichheit Gegen ökonomische Eindimensionalität und Determinismus Aufgabe der Beschränkung auf Klassen zusätzlich Stände und Parteien 31 32 8 Max Webers Klassenbegriff Max Webers Klassenbegriff 3 Arten von ökonomisch begründeten Klassen (3 Klassenbegriffe) Vielmehr sind die auf dem Güter- bzw. Arbeitsmarkt verwertbare Ressourcen die relevanten Kriterien zur Analyse der Klassenzugehörigkeit bzw. Struktur sozialer Ungleichheit: Besitz materieller Güter: Geld, Boden, Kapital (primäre Kategorie) Leistungsvermögen bzw. Qualifikationen Klassenlage = Marktlage/ Marktchance am Güter- oder Arbeitsmarkt (Verwertung eigener Qualifikation oder des Besitzes/Kapitals) 1. Besitzklassen Besitz und Besitzlosigkeit bestimmen primär die Klassenlage: „Positiv privilegierte Besitzklasse“ (Rentiers, Besitzer von Arbeitsanlagen) „Mittelstandsklassen“ „Negativ privilegierte Besitzklasse“ (Verschuldete, Arme) marktbasierter Klassenbegriff 33 Max Webers Klassenbegriff Max Webers Klassenbegriff 2. Erwerbsklassen Klassenlage wird durch die jeweiligen Erwerbschancen aufgrund Leistungsvermögen bzw. Qualifikation geprägt Bevorteilte Klassen: Unternehmer verschiedener Art Mittelklassen: selbständige Bauern und Handwerker Benachteiligte Klassen: (unqualifizierte) Arbeiter 34 Marktkonzept als Grundlage des Klassenkonzepts ermöglicht anders als bei MARX (Besitz oder Nichtbesitz an PM) eine systematische Differenzierung der Lebensbedingungen der durch Besitz oder Nichtbesitz charakterisierten Klassen: z.B. nach Qualifikation, Bildung Möglichkeit der Überschneidung von Besitz- und Erwerbsklassen: Unternehmer sowohl von Kapitalrenditen lebend als auch erwerbstätig (unternehmerisch tätig) 35 36 9 Max Webers Klassenbegriff Max Webers Klassenbegriff 3. Soziale Klassen: 3. Soziale Klassen: Mit diesem Begriff grenzt er die aufgrund der Vielfalt von Marktchancen prinzipiell mögliche „unendliche Vielfalt von „Die Arbeiterschaft als Ganzes“ „Das Kleinbürgertum“ Klassenlagen“ ein und zwar auf der Basis des Klassen bildenden Kriteriums der Mobilitätsbarrieren. „Die besitzlose Intelligenz und Fachgeschultheit“ (hoch qualifizierte Angestellte und Beamte) „Die Klassen der Besitzenden und durch Bildung Privilegierten“ „Gesamtheit derjenigen Klassenlagen … zwischen denen ein Wechsel a. persönlich b. in der Generationenfolge leicht möglich ist und typisch stattzufinden pflegt“. Zusammenfassung von Besitz- und Erwerbsklassen Klassenzugehörigkeit bestimmt durch dauerhaften Verbleib in gleicher Klassenlage 37 Stände bei Max Weber Stände bei Max Weber Ein Verständnis des Weberschen Klassenbegriffs ist ohne Bezug auf den Standesbegriff nicht möglich! „Klasse“ und Stand“ analysieren die Konflikte um knappe Ressourcen aus 2 unterschiedlichen Perspektiven bzw. in 2 unterschiedlichen Bereichen des sozialen Lebens: 38 Stände: Abgrenzung der Gruppierungen durch Gemeinsamkeit der sozialen Wertschätzung (spezifische soziale Ehre, Prestige v. a. aufgrund des Berufs) Gemeinsamkeit der Lebensführung Gemeinsame Kontakte zueinander, „standesgemäßer Umgang“ (Kommensalität) Geschlossene Heiratsbeziehungen (Konnubium) Soziale Schließung: Beschränkung des sozialen Verkehrs auf den ständischen Kreis (Ausschließung von Nichtmitgliedern) Klassen beziehen sich auf wirtschaftlichen Bereich (Produktionssphäre) Stände beziehen sich auf die soziale Ordnung (Konsumtionssphäre) 39 40 10 Stände bei Max Weber Stände bei Max Weber Durch soziale Schließung der Stände werden relevante gesellschaftliche Ressourcen wie Standesehre und materielle Güter monopolisiert Strukturierungsprinzipien Klasse und Stand überschneiden sich vielfach: Stände können Vorteile auf dem Markt und damit eine günstige Klassenposition verschaffen (Einschränkung des freien Marktprinzips) Eine günstige Klassenlage ist für viele Stände Voraussetzung für angemessene Lebensführung Zugänge zu Geburtsständen (Adel) Berufsständen (Ärzte, Offiziere) Bildungsständen politischen Ständen (Honoratioren) Verknüpfungen zwischen Klasse und Stand sind weder unmöglich noch zwangsläufig! sind institutionell vermittelt und nicht frei individuell wählbar So können Besitzende und Nichtbesitzende dem gleichen Stand angehören, ohne dabei in der gleichen Klasse zu sein. 41 Stände bei Max Weber Klassen und Stände bei Max Weber Gruppierung liegen zugrunde z.B. angemessene Erziehung/ Ausbildung standesgemäßer Beruf mehr oder weniger ehrenvolle Abstammung Besitz einer Herrschaftsposition. 42 43 Ein spezifisches Klasseninteresse resultiert nur mit gewisser Wahrscheinlichkeit aus einer bestimmten Klassenlage Relative Unabhängigkeit von sozialem Handeln und Klassenlage (vgl. MARX): Ökonomische Interessen erklären nicht allein soziales Handeln, sondern hier sind dazwischen geschaltete Weltbilder entscheidend 44 11 Klassen und Stände bei Max Weber Keine zwangsläufige Entwicklung der Überwindung des Kapitalismus durch den Kommunismus, getragen von inneren Widersprüchen der Produktionsverhältnisse Kein Primat des wirtschaftlichen Systems als Unterbau aller anderen gesellschaftlichen Systeme Parteien bei Max Weber Gruppierungen von Menschen, die darauf abzielen, Entscheidungsprozesse zu beeinflussen Primär in der Sphäre der Macht angesiedelt Neben politischen Parteien alle Interessensgruppen Auch politische Macht (Parteien) oder Stände können wirtschaftliche Machtverhältnisse prägen 45 Würdigung der Theorie von Max Weber 46 Würdigung der Theorie von Max Weber Große Bedeutung in moderner mehrdimensionaler Ungleichheitsforschung Ausdifferenzierung der Arbeitnehmerschaft in moderner Gesellschaft Differenzierte Betrachtung der Sozialstruktur: Unterscheidung in differenzierte Klassen, Stände, Parteien Wichtige Kriterien der Klassenlage neben Besitz: individuelle Qualifikation, Fähigkeiten, Leistungen, persönliche Anstrengung Nicht nur ökonomische Aspekt entscheidend, auch wenn marktbedingte Klassenlage im modernen Kapitalismus ausschlaggebend! Ausbeutung nicht ausschlaggebendes Kriterium Keine gemeinsamen ökonomischen Interessen einer Klasse Kollektives Klassenhandeln unwahrscheinlich Keine Beschränkung auf 2 relevante heterogene Klassen 47 48 12 Würdigung der Theorie von Max Weber Würdigung der Theorie von Max Weber Aus ökonomischer Klassenlage nicht zwangsläufig auf Lebensbedingungen, Lebensweise, Bewusstsein, politische Aktion zu schließen Vielmehr individualisierte Handlungsstrategien zur Verbesserung des Klassenschicksals (Investitionen in Humankapital statt kollektiver Aktionen) Dennoch Möglichkeit des Klassenhandelns durch Prozesse sozialer Schließung (ständische Elemente der Sozialstruktur) Differenzierte Beschreibung, aber mangelnde Ursachenforschung und -erklärung Gültig nur fürs Kaiserreich? Kein hinreichender Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischen, -kulturellen und -politischen Phänomenen sozialer Ungleichheit wird hergestellt 49 Das Schichtmodell von Theodor Geiger Th. Geiger (1891-1952) „Die Soziale Schichtung des deutschen Volkes“1932 Begründer des Konzeptes der sozialen Schichtung und der empirischen Schichtforschung in Deutschland Große Bedeutung bei der Analyse der Sozialstruktur, auch in jüngerer Zeit 50 Das Schichtmodell von Theodor Geiger Schicht Personen mit vergleichbarem sozialen Status Soziale Status „Lebensstandard, Chancen und Risiken, Glücksmöglichkeiten, aber auch Privilegien und Diskriminationen, Rang und öffentliche(s) Ansehen“ (= Soziale Lage, äußere Merkmale) Schichtung „Gliederung der Gesellschaft nach dem typischen Status (den Soziallagen) ihrer Mitglieder“ Entwicklung des Schichtbegriffs in Auseinandersetzung mit der MARXs Klassentheorie 51 52 13 Das Schichtmodell von Theodor Geiger Das Schichtmodell von Theodor Geiger 2 gleichberechtigte definitorische Bestandteile von „Schicht“: Objektive Schicht (objektiven äußere Merkmale der Schichtzugehörigkeit) Typische Merkmale der sozialen Lage (z.B. Gehalt) Gruppierungen ähnlicher sozialer Lage können unterschiedliche Schichten bilden, weil sie unterschiedliche Mentalitäten aufweisen: Subjektive Schicht (subjektive Seite der Schichtzugehörigkeit) Spezifisches Muster von Haltungen, Einstellungen, Meinungen, Handlungen, Lebensstilen (= Mentalität) Alter Mittelstand Neuer Mittelstand Mentalitäten können aber auch soziale Lagen übergreifen! In bestimmten sozialen Lagen sind bestimmte Mentalitäten „typischerweise“ zu finden kein deterministischer Zusammenhang 53 Das Schichtmodell von Theodor Geiger Das Schichtmodell von Theodor Geiger Einteilung der Gesellschaft in zahlreiche soziale Schichten und Gruppen (differenzierte Abbildung der Sozialstruktur) Wichtige Rolle: 54 Wirtschaftszweig Stellung im Beruf (Aus-)Bildung Einkommen 4 Hauptdimensionen Elternhaus Lebensstandard Äußeres/ Kleidung Macht Konfession ethnische Abstammung politische Einstellung und Mitgliedschaft in Vereinen/ Organisationen 3 distinktive „Soziale Lagen“ (äußere Merkmale): Kapitalisten Mittelstand Proletarier Multidimensionaler Schichtbegriff 55 56 14 Das Schichtmodell von Theodor Geiger Das Schichtmodell von Theodor Geiger 5 Hauptschichten als „typische Orte von Lebensstilen und von sozialen und politischen Mentalitäten“ (1932) Bsp.: Mittlere und kleinere Unternehmen als typischer Orte von Lebensstilen und von sozialen und politischen Mentalitäten Kapitalisten (0,9% der Berufszugehörigen) Mittlere und kleinere Unternehmer (alte Mittelstand 17.8%) Lohn- u. Gehaltsbezieher höherer Qualifikation (neuer Mittelst. 17,9%) Tagewerker auf eig. Rechnung (Proletaroide 12,7%) Lohn- und Gehaltsbezieher niederer Qualifikation (Proletariat 50,7%) Hinzu kommt: Feingliederung der Soziallagen und ihre Mentalitäten Hohe Zahl an mithelfenden Familienmitgliedern Familien- und Heimkultur bestimmt gesamten Lebensduktus (religiöse Haltung) Verteidigungszustand gegen wirtschaftliche Bedrängnis und drohenden Prestigeverlust 57 Das Schichtmodell von Theodor Geiger 58 Das Schichtmodell von Theodor Geiger Trennung von dominanter und subsidiärer Schichtung „Schichten Dynamischer Wandel des Schichtmodells je nach Dominanz der Schichtkriterien - Ständische Gesellschaft: Schichtung nach Berufsarten dominant sind nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches. Sie befinden sich in ständiger Bewegung und verändern sich im Zeitverlauf.“ (Th. Geiger) - Klassengesellschaft: Schichtung nach Stellung im Produktionsprozess dominant - Industriegesellschaft (1950er Jahre): z.B. Stellung im Beruf, Einkommenshöhe, Art und Grad der Ausbildung 59 Schicht-Begriff als Meta-Kategorie für die Analyse sozialer Ungleichheit bzw. der Sozialstruktur einer bestimmten historischen Gesellschaft 60 15 Würdigung der Theorie von Theodor Geiger Würdigung der Theorie von Theodor Geiger Abgrenzung gegenüber MARX und WEBER: V. a. deskriptives Konzept, keine Erklärungen des 5 Schichten-Modell (Begründer eines differenzierten Konzepts der multidimensionalen Schichtung) Empirische Forschung Kein Ausbeutungsverhältnis analysiert Abgrenzung hierarchischer sozialer Lagen v. a. durch relevante ökonomische Kriterien, aber auch Verknüpfung soziale Lage und typischer Mentalität im Schichtbegriff (Klassenbegriff bei MARX und WEBER ohne subjektive Komponente) sozialen Wandels Zustandekommens unterschiedlicher Einkommen Zusammenhangs von sozialer Lage und Mentalität Keine Hypothesen zu Richtung sozialen Wandels Ablehnung des Konzepts des Klassenkampfes als empirisch irrelevante Gesellschaftsmetaphysik“ und Geschichtsphilosophie Keine Aussage zur Legitimität sozialer Ungleichheit Analyse der entwickelten Industriegesellschaft der Weimarer Republik 61 H. Schelsky: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft 1950er Jahre 62 H. Schelsky: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft 1950er Jahre „Anti- Klassen-“ und „Anti-Schichttheorie“ Ablehnung der herkömmlichen vertikalen Ungleichheitsstruktur (Schichtdimensionen: Einkommen, Vermögen, Macht) aufgrund angenommener wirtschaftlicher und sozialer Nivellierung in einer verhältnismäßig einheitlichen Gesellschaftsschicht (Mittelstandsgesellschaft) durch 63 umfangreiche und vielfältige Auf-/ Abstiegsprozesse seit 1. Weltkrieg): Aufstiege von Industriearbeitern und Verwaltungsbeamten in den „neuen Mittelstand“ Abstiege des Besitz- und Bildungsbürgertums Staatliche Steuer- u. Sozialpolitik Nicht UM-, sondern ENTschichtungsvorgang Vereinheitlichung der sozialen, politischen und kulturellen Verhaltensformen 64 16 Neuere Ansätze der Schicht- und Klassentheorie Würdigung der These von SCHELKSKY Fast einhellige Ablehnung dieser These, da bestehenden Nivellierungstendenzen stark überbetont Real existierende Klassenkonflikte ausgeklammert Gefahr der Zementierung von Herrschaftsverhältnissen Welche Erkenntnisabsichten der alten Ansätze haben die neueren beibehalten? Inwiefern versuchen die neuer Ansätze die Schwächen der älteren zu beheben? 65 R. Dahrendorf: Hausmodell der Schichtung 1960er Jahre 66 R. Dahrendorf: Hausmodell der Schichtung 1960er Jahre Kein Verschwinden der sozialen Ungleichheit Ursprung der Ungleichheit der Menschen: Anlehnung an und Überarbeitung von GEIGERS Schichtmodell (1932) Ausdifferenzierung der Schichten gegenüber früher Existenz von Normen des Verhaltens, die von den Konflikt-Perspektive: Es existieren herrschende und beherrschte Klassen, die im Konflikt zueinander stehen Herrschenden in ihren Herrschaftsverbänden (Unternehmen, Parteien, Interessenverbände) fest- Zentrales Kriterium für Klassenbildung: nicht mehr Eigentum allein, sondern „der Anteil an/ der Zugang zu spezifischen Herrschaftspositionen“ innerhalb von Herrschaftsverbänden (industrielle Produktion, Staat) herrschaftssoziologisches Modell gelegt und mit Hilfe von Sanktionen durchgesetzt werden sowie die (Un-)Möglichkeit, die gesetzten Normen zu erfüllen. 67 68 17 R. Dahrendorf: Hausmodell der Schichtung 1960er Jahre Ralf Dahrendorf: Die von der Herrschaft Ausgeschlossenen erfahren Belohnung (mehr von den begehrten Gütern) für normgerechtes und Bestrafung für abweichendes Verhalten Belohnungen bedingen Verbesserung bzw. Verteidigung eigener Lebenschancen Einteilung der Bevölkerung nach Sozioökonomischen Kriterien: Stellung im Herrschaftsbzw. Wirtschaftsgefüge (v. a. berufliche Stellung) Soziokulturellen Kriterien: Mentalitäten (s. GEIGER!), welche charakteristisch für die entsprechenden Soziallagen 69 70 Ralf Dahrendorf: Hausmodell 1960 Ausdifferenzierung gegenüber Geiger: Zu den Kapitalisten kommen hinzu: Regierende ohne Kapital Manager Experten Neue Mittelstand zu heteromorph als dass er eine Mentalitätsschicht darstellt Arbeiterschaft nicht mehr als Proletariat zu bezeichnen, stark differenziert 71 http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8b/Dahrendorf_Haus.jpg 72 18 Ralf Dahrendorf: Hausmodell Es ergibt sich ein Modell von 7 sozialen Schichten Vertikale und horizontale Anordnung in Form eines Hauses: First: Spitze der Gesellschaft: Eliten (1%) – Herrschaftsverbände (heterogen, nicht nur ökonom.) Dachgeschoss: Obergeschoss Gestrichelten Linien zeigen: Schichten keineswegs sich gegenseitig ausschließende, scharf abgegrenzte Einheiten Wände sind z. T. durchlässig Jedes Zimmer kennt „Ecken und Nischen“ mit eigenen „Mentalitätszügen“ Gruppen mit gemeinsamen Mentalitäten verteilen sich auf verschiedene Schichten Dienstklasse (12%) alte Mittelstand (Selbstständigen) (20%) Arbeiterelite (5%) Hauptgeschoss/Korpus des Hauses: Ralf Dahrendorf: Hausmodell Arbeiterschicht (45%) „falsche“ Mittelstand (12%) Fundament / Keller: Kl. Unterschicht (5%) 73 74 Gründe für die Weiterentwicklung der alten Klassen- und Schichtmodelle 1970er Jahre Würdigung Ralf Dahrendorf: Berücksichtigung des sozialen Wandels seit 1970er: Ungeklärt bleibt, wie man in die mehr oder weniger privilegierten Positionen gelangt und dort verbleibt. Über die „Entstehung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse“ wird ebenfalls nichts ausgesagt. Vermehrung von qualifizierten Dienstleistungen/ Rückgang von Produktionstätigkeiten Wachsender Wohlstand Wohlfahrtsstaat Bildungsexpansion Zuwanderung von Ausländern Wertewandel in der Gesellschaft Anhaltende Massenarbeitslosigkeit Pluralisierung von Lebensweisen 75 76 19 Neuere Schichtansätze: Rainer Geißler (2000) Neuere Schichtansätze: Rainer Geißler (2000) Anlehnung an Neuerungen gegenüber DAHRENDORFS Hausmodell der 1960er Jahre: 1. GEIGER: Multidimensionale Anlage des Schichtbegriffs Berücksichtigung objektiver und subjektiver Aspekte Unterscheidung zwischen dominanten und subordinierten Schichtungen (ermöglicht sozialen Wandel nachzuvollziehen) 2. DAHRENDORF: Ausdifferenzierung des Hausmodells aufgrund quantitativer Verlagerungen und qualitativer Veränderungen innerhalb der Sozial- bzw. Berufsstruktur seit 1960er 77 Neuere Schichtansätze: Rainer Geißler (2000) Neuere Schichtansätze: Rainer Geißler (2000) 3 hauptsächliche Veränderungen der Schichtstruktur gegenüber Dahrendorfs Hausmodell: 78 Fazit: Umschichtungen, aber keine Auflösung von Schichten Teile der Bevölkerung weiterhin gezwungen, in bestimmten Wohnbereichen zu hausen Alle Schichten auf höherem Wohlstandsniveau Wände und Decken im Schichtungshaus noch durchlässiger („offenes Wohnen“) Schichten gehen ineinander über und überlappen sich zunehmend (unschärfer, flüssiger) Schichttypische Unterschiede sind lebensweltlich schwerer wahrnehmbar Verlagerung in die „Tiefenstruktur“ Dennoch schicht-„typische“ Mentalitäten, Bildungschancen, politische Aktivitäten 79 80 20