Stellungnahme n-3-Fettsäuren sind präventiv wirksam! Günther Wolfram, Department für Lebensmittel und Ernährung der Technischen Universität München, Freising-Weihenstephan Nach den Beobachtungen dänischer Forscher, dass Grönland-Eskimos trotz sehr fettreicher Ernährung mit fettem Fisch ein geringeres Herzinfarktrisiko haben, sind über mehr als 30 Jahre intensive Forschungen über die Wirkungen von n-3-Fettsäuren durchgeführt worden. Inzwischen werden die n-3-Fettsäuren in Bezug auf das KHK-Risiko als die präventiv wirksamste Fettsäurengruppe angesehen. Dazu im Widerspruch steht das Ergebnis eines im vergangenen Monat an prominenter Stelle publizierten systematischen Reviews, der zwischen langkettigen n-3-Fettsäuren und dem tödlichen Herzinfarkt keinen signifikanten Zusammenhang findet [6]. Die Forschungen zur biologischen Wirksamkeit von n-3-Fettsäuren wurden auf vielen Ebenen, von der Zellkultur bis zu Studien an Patienten, intensiv vorangetrieben, und heute ist allgemein anerkannt, dass n-3-Fettsäuren antithrombotisch, triglyceridsenkend, antiatherogen, antihypertensiv, antiarrhythmisch, antientzündlich, immunmodulatorisch und antikatabol wirken. Inzwischen belegen zahlreiche klinische Studien mit überzeugender Evidenz die Wirksamkeit vor allem der langkettigen n-3Fettsäuren (Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure), zugeführt in Form von Seefisch bzw. von Supplementen, in der primären und sekundären Prävention der tödlichen KHK. Für die primäre Prävention wurde in einer systematischen Übersicht von 8 prospektiven Kohortenstudien die Schlussfolgerung abgeleitet, dass bei hohem Risiko für eine KHK die KHKMortalität durch Fischkonsum von im Mittel 40 bis 60 g pro Tag signifikant gesenkt wird, bei niedrigem Risiko dagegen nicht [8]. Eine Meta-Analyse von 11 Kohortenstudien zeigt, dass im Vergleich zu einer Ernährung ohne Fisch der Verzehr von Fisch (≥ 1mal pro Woche) das Risiko für eine tödliche KHK signifikant senkt (RR = 0,85 ) [3]. Eine weitere Meta-Analyse von 14 Kohorten- und 5 Fall-Kontroll-Studien bestätigt, dass Fischverzehr im Vergleich zu einer Ernährung mit wenig oder keinem Fisch das Risiko für eine tödliche 174 KHK (RR = 0,83), aber auch für die KHK insgesamt (RR = 0,86) signifikant senkt [11]. Für die sekundäre Prävention wurde in einer Meta-Analyse von 3 prospektiven, kontrollierten Interventionsstudien, in denen langkettige n-3-Fettsäuren in Form von Fisch, Fischöl oder als Supplement eingesetzt worden waren, eine signifikante Senkung der Gesamtmortalität (RR = 0,83; p <0,005) nachgewiesen [4]. In einer weiteren Meta-Analyse von 11 randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien mit langkettigen n-3-Fettsäuren in Form von Fisch, Supplementen oder Öl wurde festgestellt, dass der tödliche Herzinfarkt (RR = 0,7), der plötzliche Herztod (RR = 0,7) und die Gesamtmortalität (RR = 0,8) signifikant gesenkt wurden, während die Häufigkeit des nicht tödlichen Infarkts nicht signifikant verändert war [1]. Ein systematischer Review stützt sich auf 12 randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien und auf 22 prospektive Kohortenstudien zur Wirksamkeit von langkettigen n-3-Fettsäuren auf HerzKreislauf-Krankheiten [10]. Dabei wurden Studien zur primären und zur sekundären Prävention erfasst. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Evidenz insgesamt die Hypothese stützt, dass der Verzehr von langkettigen n-3-Fettsäuren mit Fisch oder mit Fischöl-Supplementen die Gesamtmortalität und das Auftreten verschiedener Herz-Kreislauf-Krankheiten reduziert. Im vergangenen Monat erschien nun der eingangs erwähnte systematische Review von 48 randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien sowie 41 prospektiven Kohortenstudien, in dem für die Interventionsstudien bei den Personen mit einer zusätzlichen Zufuhr von n-3-Fettsäuren keine signifikante Senkung des Risikos für Herz-Kreislauf-Krankheiten festgestellt werden konnte [6]. Auch die getrennte Analyse der Interventionsstudien mit langkettigen n-3-Fettsäuren oder mit α-Linolensäure ergab keine signifikanten Effekte. Nur die Ergebnisse der Kohortenstudien sprachen für eine Senkung der Mortalität. Kann dieser neue systematische Review die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung in Frage stellen? In der Diskussion ihrer Arbeit weisen die Autoren selbst darauf hin, dass sich bei Ausschluss einer einzigen großen Studie, der sog. DART-2-Studie [2], bei der speziell mit Fischölkapseln eine signifikant erhöhtes Risiko (RR = 1,54) des plötzlichen Herztods beobachtet wurde, doch eine signifikante Reduktion des Risikos einer tödlichen KHK (RR = 0,70) durch die zusätzliche Aufnahme von n-3-Fettsäuren ergibt. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem der bereits zitierten Meta-Analyse ([1], RR = 0,7), bei deren Publikation die DART-2-Studie noch nicht vorlag. Die Ergebnisse dieses neuen systematischen Reviews liegen bereits seit dem letzten Jahr in Form eines großen Berichts der Cochrane Library vor [5]. Dort findet man eine ausführliche Diskussion der möglichen Ursachen für das unerwartete Ergebnis der DART-2Studie. Neben einer möglichen Kumulation von z. B. Quecksilbersalzen aus dem Seefisch während dieser mit 3 bis 9 Jahren Dauer langen Interventionsstudie oder einem Einfluss der Dosis oder der Darreichungsform von n-3Fettsäuren (fetter Fisch oder FischölSupplement) wurden auch Wechselwirkungen mit Arzneimitteln, die Compliance bei der begleitenden Arzneimitteltherapie oder der allgemeinen Lebensführung sowie Einflüsse einer unterschiedlichen Intensität der Betreuung der Personengruppen diskutiert. Immerhin handelt es sich um keine Blindstudie. Aber diese Faktoren können nach Meinung der Autoren die unterschiedlichen Ergebnisse nicht erklären. Mit eine Ursache könnte auch die Unterbrechung der DART-2-Studie für 1 Jahr auf Grund von Finanzierungsproblemen sein. Danach erhielt ein Teil der Patienten an Stelle von fettem Fisch Fischölkapseln. Belege für die Compliance in diesem Teilkollektuv gibt es nicht. Ernährungsinformation der Teilnehmer fand nur zu Beginn der Studie und nach 6 Monaten statt, später nicht mehr. Nach der Unterbrechung erfolgte die ErnährungserheErnährungs-Umschau 53 (2006) Heft 5 Stellungnahme bung nur noch bei 10 % der Teilnehmer. Eine nachträgliche Überprüfung der Nachhaltigkeit der Diätanweisungen an die Patienten der DART-2-Studie ergab nur einen mäßig nachhaltigen Effekt in Bezug auf mehr Verzehr von Gemüse und Obst und von Fisch [9]. In früheren Interventionsstudien zur sekundären Prävention war immer ein überstandener Herzinfarkt das Aufnahmekriterium für die Teilnahme, in der DART-2-Studie galt jedoch die klinische Symptomatik einer Angina pectoris als Einschlusskriterium, so dass auch viele Patienten ohne vorherigen Herzinfarkt aufgenommen wurden. Die DART-2-Studie umfasst also Patienten mit geringer ausgeprägter Koronarsklerose; frühere Meta-Analysen weisen aber darauf hin, dass n-3Fettsäuren bei Patienten mit höherem Risiko für eine KHK besser wirksam sind [1, 8]. Ob die unterschiedlichen Aufnahmekriterien der Patienten die Ursache der abweichenden Ergebnisse ist, bleibt offen. Trotz intensiver Suche konnte somit keine konkrete, überzeugende Erklärung dafür gefunden werden, warum die DART-2-Studie, im Gegensatz zu früheren Interventionsstudien mit langkettigen n-3-Fettsäuren, bei den Patienten mit Angina pectoris zu keinem signifikant positiven Ergebnis kam. Von den diskutierten Ursachen sind zwei am wahrscheinlichsten. n-3Fettsäuren wirken wegen ihres Wirkungsmechanismus bei unterschiedlich ausgeprägter Koronarsklerose (z. B. tödlicher und nicht tödlicher Herzinfarkt) unterschiedlich gut und deshalb war bei dem speziellen, uneinheitlicherem Patientenkollektiv der DART-2-Studie kein signifikanter Effekt nachweisbar. N-3-Fettsäuren verhindern in den meisten Studien vor al- Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 5 lem den tödlichen Herzinfarkt, wahrscheinlich durch ihre antiarrhythmische Wirkung [7], während die Progression der Koronarsklerose und die Häufigkeit der nicht tödlichen Herzinfarkte nur sehr langfristig beeinflusst werden. Die Qualitätsmängel der Studie, insbesondere die Unterbrechung und die Änderung des Studiendesigns ohne Überprüfung der Compliance, können das Ergebnis der Studie entscheidend beeinflusst haben. Die Autoren des Berichts der Cochrane Library und der kürzlich erschienenen Publikation empfehlen abschließend, wegen der überzeugenden Evidenz aus den früheren Meta-Analysen und auch aufgrund der Ergebnisse der Auswertung ihres systematischen Review ohne die DART-2-Studie, bei der sekundären Prävention der KHK die n-3Fettsäuren weiter zu verwenden, gleichzeitig aber die Evidenz dieser Empfehlung weiter kritisch zu beobachten [6]. Da keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko (Gesamtmortalität, Krebs, Schlaganfall) durch den Verzehr von n-3-Fettsäuren gefunden wurden, besteht auch kein Anlass, auf der Basis der Ergebnisse einer einzelnen Studie von der Empfehlung, 1–2 Fischmahlzeiten pro Woche zu verzehren, abzuweichen. Die Einnahme von Fischölkapseln sollte nach wie vor nur in Absprache mit dem Arzt erfolgen. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. on fish consumption and coronary heart disease mortality: a meta-analysis of cohort studies. Circulation 2004; 109: 2705-2711 Hooper L, Ness A, Higgins JPT, Moore T, Ebrahim S.: Lancet 1999; 354: 1557 Hooper L, Thompson RL, Harrison RA et al.: Omega 3 fatty acids for prevention and treatment of cardiovascular disease (Cochrane Review). The Cochrane Library, Issue 2, 2005. Oxford: Update Software Hooper L, Thompson RL, Harrison RA et al.: Risks and benefits of omega 3 fats for mortality, cardiovascular disease, and cancer: systematic review. BMJ 2006; 332: 752-755 Leaf A, Kang JX, Xiao YF et al.: Clinical prevention of sudden cardiac death by n-3 polyunsaturated fatty acids and mechanism of prevention of arrhythmias by n-3 fish oils. Circulation 2003; 107: 2646-2652 Marckmann P, Gronbaek M.: Fish consumption and coronary heart disease mortality. A systematic review of prospective cohort studies. Eur J Clin Nutr 1999; 53: 585-590 Ness AR, Ashfield-Watt PAL, Whiting JM et al.: The long-term effect of dietary advice on the diet of men with angina: the diet and angina randomized trial. J Hum Nutr Dietet 2004; 17: 117-119 Wang C, Chung M, Balk E et al.: Effects of omega-3 fatty acids on cardiovascular disease. Evid RepTechnol AssessNo 94 - Agency for Healthcare Research and Quality, Publication No 04-E009-2 March 2004 Whelton SP, He J, Whelton PK, Muntner P.: Meta-analysis of observational studies on fish intake and coronary heart disease. Am J Cardiol 2004; 93: 1119-1123 Literatur: 1. Bucher HC, Hengstler P, Schindler C, Meier G: N-3 polyunsaturated fatty acids in coronary heart disease: a meta-analysis of randomized controlled trials. Am J Med 2002; 112: 298304 2. Burr ML, Ashfield-Watt PAL, Dunstan FDJ et al.: Lack of benefit of dietary advice to men with angina: results of a controlled trial. Europ J Clin Nutr 2003; 57: 193-200 3. He K, Song Y, Daviglus ML, Liu K, Van Horn L, Dyer AR, Greenland P: Accumulated evidence Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Günther Wolfram Department für Lebensmittel und Ernährung TU München Alte Akademie 16 85350 Freising-Weihenstephan 175