Kritik an den behavioristischen Lerntheorien • durch die kognitiven Psychologie – die 'kongitive Wende' ('cognitive turn') in den 50er und 60er Jahren des 20. Jhdts. – neues Paradigma in der Psychologie, das sich aus dem Behaviorismus sowie in Absetzung von diesem entwickelte. Kritik an den behavioristischen Lerntheorien • Kernpunkte der Kritik II: Lernvorgänge sind ohne Berücksichtigung des Informationswertes, den Reizbedingungen für den lernenden Organismus haben, nicht zu erklären. Kritik an den behavioristischen Lerntheorien • Kernpunkte der Kritik I: Lernprozesse, die sich in natürlichen komplexen Situationen ereignen, sind nicht allein über direkt beobachtbares Verhalten und direkt beobachtbare Reize zu erklären. Kritik an den behavioristischen Lerntheorien • der kognitive Informationswert, den Reize für Versuchstiere haben, ist nicht in derselben Weise beobachtbar, wie die Wirkung, die physikalisch zu beschreibende Reize auf die Aufftrittswahrscheinlichkeit von Verhaltensweisen haben. • in Pawlows Reflexologie, Watsons und Skinners Behaviorismus ist kein Platz für kognitive Begriffe wie 'Informationswert'. Die Notwendigkeit kognitiver Begriffe • kognitive Begriffe sind notwendig, um z.B. das scheinbar einfache Verhalten einer Ratte, die zur Erreichung eines Zielgegenstands Hindernisse überwinden muss, erklären zu können. Edward Chase Tolman (1886-1959) kognitive Psychologie: auch relativ einfache Lernvorgänge sind ohne Berücksichtigung des Informationswertes, den Reizbedingungen für den lernenden Organismus haben, nicht zu erklären Edward C. Tolman - Literatur • Tolman, Edward C. (1922). A new Formula for Behaviorism. Psychological Review, 29(1), 44-53 • Tolman, Edward C. (1932). Purposive behavior in animals and men. New York: The Century [Hauptwerk] • Tolman, Edward C. (1948). Cognitive Maps in Rats and Men. Psychological Review, 55(4), 189208 Wissenschaftliche Kurzbiografie • Edward Tolman studierte zuerst am berühmten Massachussets Institute of Technology (MIT) Elektrochemie • an der Universität Havard inskribierte er dann Philosophie und Psychologie • den Doktorgrad erlangte er 1915 und war an der Northwestern University drei Jahre als wissenschaftlicher Assistent tätig • wurde aufgrund seiner pazifistischen Haltung während des ersten Weltkriegs aus dem Universitätsdienst entlassen Wissenschaftliche Kurzbiografie • • • • Ab 1918 an der Universität Berkeley später ordentlichen Professur in Berkeley forschte dort bis zu seinem Lebensende Bemerkenswerte Persönlichkeit: – ein 'demokratischer Geist', dem ein gut argumentierter kritischer Einwand an seiner eigenen Position Freude zu bereiten schien – kritisch gegen jede Form des Dogmatismus in der Wissenschaft Wissenschaftliche Kurzbiografie • Aufenthalte in Deutschland und Österreich (19331934 in Wien) K gut vertraut mit den europäischen Traditionen der Psychologie • aktiver Widerstand gegen die politische Instrumentalisierung von Wissenschaft und Forschung in der McCarthy-Ära (40er und 50er Jahren) Kognitiver Behaviorismus … ein Oxymoron? Egon Brunswik (1903-1955) Tolmans Lerntheorie – Zielgerichtetes Verhalten • Unterscheidung zwischen der molekularen und der molaren Betrachtungsweise des Verhaltens: – Molekulare Betrachtungsweise: Verhalten wird als die Abfolge und Summe einfacher Muskelbewegungen aufgefasst (z. B. die Beugung der Beinmuskulatur) – Molare Betrachtungsweise: Verhalten wird als ganzheitliche sinnhafte Handlung eines Lebewesens, das auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet ist, verstanden (purposive behavoir) Tolmans Hautwerk Purposive behavior in animals and men (1932) (Zielgerichtetes Verhalten in Tieren und Menschen) molekular – molar Tolmans Lerntheorie – Zielgerichtetes Verhalten Purposive behavior in animals and men (1932) Zielgerichtetes Verhalten in Tieren und Menschen • Zielgerichtetheit ist eine Beschreibung des Verhaltens und keine Beschreibung des Bewusstseinszustandes eine Lebewesens: – – Tolmans Lerntheorie – Erfahrungen und Erwartungen • jedoch kommt Tolman bei der Beschreibung des Verhaltens doch nicht ganz ohne kognitive Begriffe aus: – bestimmte Reizbedingungen rufen in Abhängigkeit von Erfahrungen, die ein Lebewesen zuvor gemacht hat, Erwartungen (Hypothesen) hervor • Erwartungen (Hypothesen) über: – – – die vorliegenden Reizbedingungen die entsprechenden Verhaltensweisen die aus den Verhaltensweisen resultierenden neuen Reizbedingungen das zielgerichtete Verhalten (purposive behavior) ist kein mentalistischer (= nicht direkt beobachtbarer, innerlich-geistiger bzw. kognitiver) Begriff, sondern ein Begriff, der aus der Beobachtung des äußeren Verhaltens gebildet ist Tolmans Lerntheorie – Lernen als fortwährende Hypothesenbildung und -testung Lernen ist nach Tolman ein fortwährendes Hypothesenbilden (Erwartungen ausbilden) und -testen auf der Grundlage von vorangegangenen Erfahrungen Tolmans Lerntheorie – konkretes Verhalten & Verstärkung • konkretes Verhalten: – ist das Testen von bestimmten Hypothesen (Erwartungen) • Verstärkung: – ist die Bestätigung dieser Hypothesen (Erwartungen) Lernen: Hypothesenbilden und -testen auf der Grundlage von vorangegangenen Erfahrungen Experiment von Tolman Ortslernen im Labyrinth • Ratten müssen in einem Labyrinth von einem Startpunkt unter der Überwindung von Hindernissen (Sperre A & B) in ein Ziel (Futter) finden Experiment von Tolman Ortslernen im Labyrinth (a) Aufbau einer Verhaltenshierarchie (I, II, III) durch Vortraining (erfolgte nur mit Sperre A): – – – ohne Sperre A: Versuchstiere (Vt) bevorzugten Weg 1 (I) mit Sperre A: durch Verstärkung am Zielort wurde erreicht, dass jedes Vt in 90 % seiner Durchläufe Weg 2 (II), in 10 % seiner Durchläufe Weg 3 benutzte (III) Ziel der Verhaltenshierarchie: Vt sollten den jeweils kürzeren Weg bevorzugen Experiment von Tolman Ortslernen im Labyrinth (b) in der Testphase wurden abwechselnd Sperre A und B gesetzt Experiment von Tolman Ortslernen im Labyrinth: Ergebnisse • Weg 1 durch die Sperre B blockiert: K trotz der im Vortraining etablierten Verhaltenshierarchie wählte die Mehrheit der Vt, wenn sie erneut vom Start wegliefen, bereits im aller ersten Durchgang Weg 3 (C) = den einzigen zum Ziel führenden Weg K die Vt 'ersparten' sich, den Weg 2 auszuprobieren Experiment von Tolman Ortslernen im Labyrinth: Ergebnisse • kognitive Landkarte (cognitive map) K die Ratten verhielten sich so, als ob sie sich im Vortraining ein Bild (= kognitive Landkarte) des Labyrinths erworben hätten, nach der sie ihr zielorientiertes Verhalten organisiert hätten. Kognitive Landkarte als Zeichensystem • Tolman fasst diese kognitive Landkarte als ein Zeichensystem auf, das reale Sachverhalte abbildet: K die Ratten haben keine Reiz-Reaktions-Verknüpfung gelernt (vgl. klassische und operante Konditionierung) K sondern Beziehungen zwischen Zeichen K die Ratten lernten, Reizbedingungen als Zeichen zu verwerten (Bedeutungen zu verstehen), die zu bestimmten Zielgegenständen hinführen oder davon abhalten kognitive Landkarte (cognitive map) Zeichen-Gestalt (sign-gestalt) • Zeichen und Bezeichnetes bilden einen Bedeutungszusammenhang = Zeichen-Gestalt (sign-gestalt) K Situationen und Sachverhalte sind für Lebewesen prinzipiell mehrdeutig K erst aufgrund der Zeichen-Gestalt können Hypothesen (Erwartungen) gebildet werden Latentes Lernen • Latentes Lernen: – Vt lernen diese kognitive Landkarte als Zeichensystem ohne explizite Verstärkung – dieser Lernprozess ist zum Zeitpunkt seines Ablaufs im Verhalten nicht manifest, sondern latent Konkretes Verhalten hängt bei Tolman ab von: 1. Trieb (wichtig für Performanz) – bestimmt den Wert, den der Zielgegenstand für das Vt hat (die Ratte läuft zielstrebig durchs Labyrinth, weil sie Hunger hat) 2. Erwartungen über die Konsequenzen von Verhaltensweisen (Kompetenz) 3. Wert des Zielobjekts Kompetenz und Performanz • Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz: – Kompetenz: das Erlernen von kognitiven Landkarten bzw. das Strukturieren von realen Sachverhalten in Form einer Zeichen-Gestalt – Performanz: Umsetzung der Kompetenz in beobachtbares Verhalten Textübung Tolman, E. C. (1948). Cognitive Maps in Rats and Men. Psychological Review, 55, 189-208 1.) Erläutern Sie den Begriff des Lernens jener Theoretiker, die nach Tolman postulieren, dass Verhalten nichts weiter als eine einfache Reiz-Reaktions-Verbindung sei. [S. 189-190] 2.) Stellen Sie Tolmans feldtheoretische Auffassung („field theorists“) des Lernens im Detail dar. [S. 192-193] 3.) Zeichnen Sie die Experimente von Tolman, die er und/oder seine Studenten zur Untersuchung des latenten Lernens durchgeführt hatten, in den zentralen Aspekten nach und geben Sie deren wesentliche Ergebnisse wieder. [S. 194-196] „Lernen“ als Erwerb von Kompetenz (Tolman) vs. „Lernen“ als Änderung der Auftrittswahrscheinlichkeit eines Verhaltens (Skinner) Versuchstiere lernen keine ReizReaktions-Verknüpfungen, sondern Beziehungen zwischen „Zeichen“ (signs). Zeichen-Gestalt (sign-gestalt) latentes Lernen: Lernprozess, der sich zum Zeitpunkt seines Ablaufes nicht im Verhalten manifestiert Kompetenz - Performanz Versuchstiere lernen keine ReizReaktions-Verknüpfungen, sondern Beziehungen zwischen „Zeichen“ (signs). Zeichen-Gestalt (sign-gestalt) latentes Lernen: Lernprozess, der sich zum Zeitpunkt seines Ablaufes nicht im Verhalten manifestiert konkretes Verhalten hängt ab von: Kompetenz - Performanz Skinner: Entstehung neuer Verhaltensweisen durch • Shaping • Chaining • Trieb • Erwartungen über die Konsequenzen von Verhaltensweisen • Wert des Zielobjekts