STREITERLEDIGUNG UND ANWENDBARES RECHT BEI VERTRÄGEN ZWISCHEN EINER SAUDIARABISCHEN UND EINER DEUTSCHEN PARTEI Dr. Alexander Nerz Rechtsanwalt Maximilianstraße 24 D-80539 München Telefon: 089+2919090 Telefax: 089+291289 E-Mail: [email protected] 1 n14857 INHALTSVERZEICHNIS STAATLICHE GERICHTSBARKEIT TEIL A Die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien A.1. Das von den deutschen staatlichen Gerichten anwendbare materielle Recht A.2. Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen deutschen Gerichts in Saudiarabien A.3. Die Zuständigkeit saudiarabischer staatlicher Gerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien A.4. Das von den saudiarabischen staatlichen Gerichten anwendbare materielle Recht A.5. Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen saudiarabischen Gerichts in Deutschland A.6. Die staatliche Gerichtsbarkeit in Saudi-Arabien A.7. Doppelte Prozessführung in der Bundesrepublik Deutschland und Saudi-Arabien A.8. SCHIEDSGERICHTSBARKEIT TEIL B Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle Recht, falls die Vertragsparteien eine Rechtswahl getroffen haben B.1. Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle Recht, falls die Vertragsparteien einer Rechtswahl nicht getroffen haben B.2. Anerkennungsfähigkeit von Schiedssprüchen in Deutschland B.3. Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Schiedsspruches in Saudi-Arabien B.4. Schiedsgerichtliches Verfahren mit Schiedsort in SaudiArabien B.5. 2 n14857 QUELLEN SAUDIARABISCHEN RECHTS Sharia Saudiarabisches Verordnungsrecht TEIL C C.1. C.2. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN TEIL D 3 n14857 TEIL A: A.1. STAATLICHE GERICHTSBARKEIT Die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien A.1.1. Bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung ergibt sich die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte für Klagen der saudiarabischen Vertragspartei gegen die deutsche Vertragspartei aus §§ 12 ff ZPO („allgemeiner Gerichtsstand der deutschen Vertragspartei“). A.1.2. Für Klagen der deutschen Vertragspartei gegen die saudiarabische Vertragspartei dürfte bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte nur ausnahmsweise gegeben sein (z.B.: § 23 ZPO „Besonderer Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes“ bzw. § 29 ZPO „Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts“). A.1.3. Wären nach den obigen Ausführungen deutsche staatliche Gerichte grundsätzlich international zuständig, hätten die Vertragsparteien jedoch eine Schiedsabrede getroffen, würde das deutsche staatliche Gericht bei rechtzeitiger Rüge eine Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand der Schiedsvereinbarung ist, gemäß § 1032 ZPO als unzulässig abweisen. 4 n14857 A.1.4. Haben die Vertragsparteien die Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Streiterledigung vereinbart, werden deutsche staatliche Gerichte eine solche Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 ZPO akzeptieren (Prorogation). A.2. Das von den deutschen staatlichen Gerichten anwendbare materielle Recht A.2.1. Haben die Vertragsparteien keine Rechtswahl getroffen, wird das deutsche staatliche Gericht im sachlichen Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens über Verträge über den internationalen WARENKAUF, dessen Regelungen über Artikel 1 Absatz I (b) des Übereinkommens anwenden. 1 A.2.2. Für die anderen Vertragstypen gilt folgendes. Haben die Vertragsparteien keine Rechtswahl getroffen, wird das deutsche staatliche Gericht das anwendbare materielle Recht gemäß Artikel 28 EGBGB bestimmen (grundsätzlich das Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist, wobei gemäß Artikel 28 Absatz II EGBGB vermutet wird, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren Sitz hat). Bei Werkverträgen ist dies der Unternehmer. Hat der Unternehmer seinen Sitz in Deutschland, 1 Palandt, 65. Auflage, EGBGB 28, RN 8 5 n14857 führt diese Regelung bei Werkverträgen zur Anwendung deutschen materiellen Rechts. 2 A.2.3. Haben die Vertragsparteien eine Vereinbarung über das anzuwendende materielle Recht getroffen, wird diese Rechtswahl gemäß Artikel 27 b EGBGB von den deutschen staatlichen Gerichten anerkannt. A.3. Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen deutschen Gerichts in Saudiarabien Die Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile obliegt gemäß Artikel 8, 1. Absatz (g) des „LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES“ (Royal Decree No. M/51/10. Mai 1982 3 ) dem saudiarabischen Board of Grievances. Gemäß Artikel 6 der PROCEDURAL RULES BEFORE THE BOARD OF GRIEVANCES (Council of Ministers Resolution No 190/19. Juni 1989 4 werden ausländische Urteile dann für vollstreckbar erklärt, wenn (a) die Gegenseitigkeit verbürgt ist und (b) das Urteil nicht gegen Bestimmungen der Sharia verstößt. Im Verhältnis Bundesrepublik Deutschland/Saudi-Arabien fehlt es schon an der ersten Voraussetzung. 5 2 3 Palandt, 65. Auflage, EGBGB 28, RN 15 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 4 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 5 Krüger, RIW 1990, 113 ff, Vollstreckung ausländischer Urteile in Saudi-Arabien jetzt möglich? Krüger in Festschrift Geimer 2002, Seiten 506 ff, Vermögensrechtliches Privatrecht und Rechtsverfolgung in Saudi-Arabien; Krüger, IPRAX 2005, 387, Internationalrechtliche Probleme in Saudi-Arabien; Zöller, 25. Auflage, Anhang IV, Seite 2848 6 n14857 Nach Auskunft von Herrn Professor Dr. Hilmar Krüger, Institut für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln vom 07. August 2006 sind nach dessen Kenntnisstand bislang weder Urteile deutscher staatlicher Gerichte in Saudiarabien, noch Urteile staatlicher saudiarabischer Gerichte in Deutschland anerkannt worden. A.4. Die Zuständigkeit saudiarabischer staatlicher Gerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien A.4.1. THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARIA COURTS (Royal Decree No. M/21, 20 Jumada 1421/19. August 2001) 6 enthält im ersten Kapitel des zweiten Teils in den Artikeln 24 bis 30 internationale Zuständigkeitsbestimmungen („International Jurisdiction“). A.4.2. Bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung sind die Gerichte Saudi-Arabiens generell international zuständig für Klagen gegen saudiarabische Personen (Artikel 24) und gegen Ausländer mit ständigem Sitz in Saudi-Arabien (Artikel 25). Gemäß Artikel 26 sind die Gerichte Saudi-Arabiens international zuständig auch für Klagen gegen Ausländer ohne ständigen Sitz in SaudiArabien, für den Fall, dass „[if] the lawsuit involves property located in the Kingdom or an obligation considered to have originated or is enforceable in the Kingdom” 6 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 7 n14857 A.4.3. Artikel 28 bestimmt, dass die internationale Zuständigkeit saudiarabischer Gerichte durch eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung begründet wird (Prorogation). A.4.4. Es gibt keine Regelung die bestimmt, dass ein nach den oben genannten gesetzlichen Regelungen zuständiges saudiarabisches Gericht durch Vereinbarung eines (ausschließlichen) nicht-saudiarabischen Gerichtsstandes seine Zuständigkeit verliert (Derogation). Danach würden zwar die saudiarabischen staatlichen Gerichte die Vereinbarung eines saudiarabischen Gerichtsstandes in einem schuldrechtlichen Vertrag zwischen einer deutschen und einer saudiarabischen Partei anerkennen, jedoch würden die saudiarabischen staatlichen Gerichte die Vereinbarung eines ausschließlichen deutschen Gerichtsstandes nicht beachten. Somit würde die Vereinbarung eines ausschließlichen deutschen Gerichtsstandes die deutsche Vertragspartei nicht davor schützen, von der saudiarabischen Vertragspartei vor saudiarabischen Gerichten verklagt zu werden. Zwar wäre ein solches Urteil in Deutschland nicht vollstreckbar (siehe unten A.6.). Würde die deutsche Vertragspartei jedoch über Vermögen in Saudi-Arabien (oder in einem Signatarstaat des Vollstreckungsübereinkommens der Arabischen Liga von 1952) verfügen, wäre dies für die deutsche Vertragspartei gleichwohl zu beachten. A.4.5. Wären nach den obigen Ausführungen saudiarabische staatliche Gerichte grundsätzlich 8 n14857 international zuständig, hätten die Vertragsparteien jedoch eine Schiedsabrede getroffen, gilt folgendes. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist in SaudiArabien geregelt in der Schiedsverordnung No. M/46 (25. April 1983) 7 und der hierzu erlassenen Durchführungsverordnung (27. Mai 1985) 8 . Artikel 7 der Schiedsverordnung No. M/46 (25. April 1983) bestimmt, dass die staatlichen saudiarabischen Gerichte einen Rechtsstreit zur Entscheidung in der Hauptsache nicht annehmen bzw. fortführen sollen, wenn (a) die Parteien sich vor Streitentstehung auf Streiterledigung durch Schiedsverfahren geeinigt haben oder (b) sich die Parteien nach Streitentstehung auf Streiterledigung durch Schiedsverfahren geeinigt haben und das eigentlich zuständige staatliche Gericht diese Schiedsvereinbarung gemäß Artikel 5 und 6 der Schiedsverordnung No. M/46 genehmigt hat. Zur Klarstellung könnte es nützlich sein, in eine Schiedsklausel eine Regelung aufzunehmen, wonach die Vertragsparteien mit der Schiedsabrede insoweit ausdrücklich auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche vor staatlichen (saudiarabischen) Gerichten verzichten. 7 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. 8 Länderbericht zu Saudi-Arabien von Turck, Nancy B. in Paulsson, Jan (Mg.): „international Handbook on Commercial Arbitra- (www.saudiembassy.net) tion,“ Bd. 3, Loseblatt. 9 n14857 A.5. Das von den saudiarabischen staatlichen Gerichten anwendbare materielle Recht A.5.1. Haben die Vertragsparteien eine Rechtswahl nicht getroffen, gilt folgendes. Article 48 des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993 („THE BASIC LAW OF GOVERNANCE“) bestimmt 9 : „The Courts shall apply rules of the Islamic Sharia in cases that are brought before them, according to the Holy Qur’an and the Sunna, and according to the laws which are decreed by the ruler in agreement with the Holy Qur’an and the Sunna.” Die gleiche Regelung ist enthalten in Artikel 1 von “THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21; 19. August 2000) 10 . Danach sind Bestandteil des heute in SaudiArabien anwendbaren materiellen Rechts (i) die Sharia (beschränkt auf die Rechtsquellen Koran und Sunna) und (ii) (königliches) Verordnungsrecht in den Grenzen der Sharia. A.5.2. Haben die Vertragsparteien eine Vereinbarung über das anwendbare materielle Recht getroffen, gilt folgendes. 9 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 10 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 10 n14857 Saudiarabische staatliche Gerichte werden die Vereinbarung einer ausländischen Rechtsordnung in der Weise, dass damit die Anwendung der Sharia ausgeschlossen wird, grundsätzlich nicht anerkennen 11 . Der Koran enthält in Sure 5, Vers 105 die Anweisung: "Wir haben die Schrift mit der Wahrheit (Koran) zu dir herabgesandt, damit du zwischen den Menschen entscheidest (richtest) aufgrund dessen, was Gott dich (durch die Offenbarung) hat sehen lassen". Hauptquellen islamischen Rechts sind der Koran und die in den "Hadith-Werken" gesammelte Sunna des Propheten. Koran und Hadith gelten als die Bücher Gottes. Einer der sechs Glaubensartikel 12 , aus denen das islamische Glaubensbekenntnis besteht, ist der Glaube an die Bücher Gottes. Auch die weitgehende islamische Vertragsfreiheit lässt grundsätzlich nicht zu, dass aufgrund Parteiwillen an Stelle der Bücher Gottes irgendeine weltliche Rechtsordnung von Ungläubigen 13 . In eingeschränktem Umfang könnte in nachfolgenden Ausnahmefällen ausländisches Recht von saudiarabischen staatlichen Gerichten berücksichtigt werden. Bei Fällen mit Auslandsberührung und in Ermangelung einer Regelung in der Sharia kann das Gericht einzelne Bestimmungen ausländi11 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 54; Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 235. 12 Die sechs Glaubensartikel: Der Glaube an Gott, Seine Engel, Seine Gesandten, die Wiederauferstehung nach dem Tode und den Jüngsten Tag, sowie der Glaube an die göttliche Vorherbestimmung (Eberhard Wohlfahrt, Die Arabische Halbinsel, Berlin 1980, S. 103). 13 Saleh, Samir, Commercail arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 309. 11 n14857 schen Rechts als Gewohnheitsrecht berücksichtigen 14 . Es können so jedoch nicht Bestimmungen irgendeines ausländischen Rechts zur Anwendung gelangen, sondern nur das Recht eines Landes, zu dem ein konkreter Bezug besteht. Die angewandte Bestimmung ausländischen Rechts muss vernünftig 15 sein und darf nicht gegen Koran und Hadith verstoßen 16 . Es darf dadurch weder das Verbotene (Haram) noch die Unterlassung des Gebotenen (Wajib) erlaubt werden 17 . Haben zwei Vertragsparteien die Anwendung ausländischen Rechts vereinbart, so müsste das saudiarabische Gericht diese Vereinbarung dann als bindend betrachten, wenn die Vereinbarung im nichtmuslimischen Ausland zwischen einem Moslem und einem Ungläubigen getroffen wurde 18 . Konsequenterweise müsste dann „theoretisch“ das saudiarabische Gericht die vereinbarte Rechtswahl berücksichtigen. Für die Praxis ist daher davon auszugehen, dass saudiarabische Gerichte saudiarabisches Recht anwenden, gleich welche Rechtswahlvereinbarung die Parteien getroffen haben. Selbst wenn eine der oben aufgeführten Ausnahmen von der zwingenden Anwendung saudiarabischen Rechts theoretisch einschlägig wäre, sollte die ausländische Partei nicht darauf vertrauen, mit einer Berufung auf 14 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 309; Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 137. 15 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 138. 16 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 136. 17 Baradie, Adel, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 58. 18 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 89 und 309; Ibn Quadama, Al-Mughni , Band 8, S. 458, S. 482 und 483. 12 n14857 die Ausnahme vor einem saudiarabischen Gericht durchzudringen. Es ist bislang kein Fall bekannt, in dem ein saudiarabisches Gericht eine vertragliche Vereinbarung über die Wahl eines nichtsaudiarabischen Rechts anerkannt hätten 19 . A.6. Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen saudiarabischen Gerichts in Deutschland Die Gegenseitigkeit ist im Verhältnis Saudi-Arabien / Deutschland nicht verbürgt. Es wird verwiesen auf die Ausführungen oben unter Ziffer A.3.. Damit ist die Anerkennung eines Urteils eines staatlichen saudiarabischen Gerichts gemäß § 328 I Nr. 5 ZPO ausgeschlossen. A.7. Die staatliche Arabien Gerichtsbarkeit in Saudi- A.7.1. Qadi-Gerichtsbarkeit In Saudi-Arabien obliegt die allgemeine Gerichtsbarkeit in grundsätzlich allen 20 Rechtssachen den Qadi-Gerichten . Förmlich organisiert wurden sie erstmals 1927 21 . 1962 wurden zwei Berufungsgerichte errichtet 22 . 1970 übernahm das Justizminis- 19 20 Krüger, IPRAX 2005, 387, Internationalrechtliche Probleme in Saudi-Arabien Artikel 26, THE LAW OF THE JUDICIARY, Royal Decree Nr. M/64 (1975), ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net). 21 Lerrick,A. und Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 218. 22 Lerrick,A. and Mian, Q.J., siehe oben, S. 218. 13 n14857 terium die gesamte Justizverwaltung 23 , seit 1975 gemäß den Judicial Regulations. Das Amt des Qadi geht zurück auf das Kalifat der Omajjaden (661 - 750 n. Chr.) 24 . Die ersten Kalifen übten das Richteramt noch persönlich aus 25 . Die flächenmäßige Ausdehnung der eroberten Gebiete erforderte jedoch eine umfangreiche Neuordnung der Bereiche von Justiz und Verwaltung 26 . Der Qadi ersetzte den Hakam (Schiedsrichter) vorislamischer Zeit. Zu Beginn des Kalifats der Omajjaden unterschied sich der Qadi vom Hakam eigentlich nur dadurch, dass er nicht von den Parteien des Rechtsstreits ernannt, sondern vom Gouverneur, dem Stellvertreter des Kalifen, speziell zur Schlichtung von Streitigkeiten eingesetzt wurde 27 ; dies entspricht einer Art institutionalisiertem Schiedsgericht 28 . Gegen Ende des Kalifats der Omajjaden verlor die QadiGerichtsbarkeit ihren eher privaten, schiedsgerichtsähnlichen Charakter und wurde eine Institution des islamischen Staates 29 . Die Rechtsprechung oblag dem Kalifen, der diese Aufgabe an seine örtlichen Gouverneure delegierte, welche ihrerseits dafür Qadi einsetzten 30 , die ihre Tätigkeit als deren 23 Artikel 71 und 87, THE LAW OF THE JUDICIARY, Royal Decree Nr. M/64 (1975), ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net). 24 Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 28. 25 Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 240. 26 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 24 27 Tyan, Emile, Histoire de l1 Organisation Judiciaire en Pays d' Islam, Leiden 1960, S. 120 ff. 28 Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 33. 29 Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 33. 30 Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 240; Shad, Abdul Rehmad, Do's and Do Not's in Islam, Lahore 1983, S. 265. 14 n14857 Stellvertreter ausübten. Unbeschadet dessen hatte der Kalif beziehungsweise Gouverneur ein Selbsteintrittsrecht und konnte nach Belieben einen Rechtsstreit an sich ziehen und selbst entscheiden 31 . Artikel 1 „THE LAW OF THE JUDICIARY“, ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975) 32 formuliert die Unabhängigkeit der Richter und deren Bindung ausschließlich an geltendes Recht. Die die Berufsausübung des Richters betreffenden Vorschriften der Judicial Regulations sind Folgen dieser Garantie. Die Ernennung zum Richter erfolgt auf Lebenszeit durch königliches Dekret, auf Vorschlag des obersten Gerichtshofes (The Supreme Judicial Council) und endet grundsätzlich nur bei Rücktritt, Pensionierung, unheilbarer Krankheit des Richters 33 oder im Todesfall. Beförderungen erfolgen nach dem Senioritätsprinzip, bei gleicher Dienstzeit nach Leistung, bei gleicher Leistung nach dem Alter 34 . Ohne ihre Zustimmung dürfen Richter nicht versetzt werden 35 . A.7.2. Verfahren vor Qadi-Gerichten Der vierstufige Aufbau der saudiarabischen Qadi- (Sharia-) Gerichte ist geregelt in 31 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford S. 25. 32 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. 33 THE LAW OF THE JUDICIARY ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975), Artikel 2,3,51,57,85; ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. 34 (www.saudiembassy.net) THE LAW OF THE JUDICIARY ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975), Artikel 53; ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. 35 (www.saudiembassy.net) (www.saudiembassy.net) THE LAW OF THE JUDICIARY ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975), Artikel 3; ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 15 n14857 THE LAW OF THE JUDICIARY (Royal Decree No. M/64, 23. Juli 1975) 36 : - Summary Courts (Gerichte erster Instanz, in Zivilsachen Einzelrichter, Artikel 24 und 25); - General Courts (Gerichte erster Instanz, in Zivilsachen Einzelrichter, Artikel 22 und 23); - The Apellate Court (Berufungsgericht mit Sitz in Riad, in Zivilsachen drei Richter, Artikel 10 bis 21); - The Supreme Judicial Council (Berater des Königs; Aufsicht über die Gerichtsbarkeit; Artikel 6 bis 9). Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen den Summary Courts und den General Courts ist geregelt in den Artikeln 31 bis 33, die örtliche Zuständigkeit dieser Gerichte in den Artikeln 34 bis 38 in THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000). THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 37 stellt in Artikel 1 nochmals klar: „Courts shall apply to cases before them provisions of Shari’ah laws, in accordance with the Qur’an and Sunnah of the Prophet, and laws promulgated by the State that do not conflict with the Quran and 36 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. 37 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) (www.saudiembassy.net) 16 n14857 Sunnah, and their proceedings shall comply with the provisions of this Law.“ PART ONE, Artikel 1 bis 23 befasst sich mit “GENERAL PROVISIONS” (mit ausführlichen Regelungen betreffend Zustellung). PART THREE „JURISDICTION“ ist unterteilt in drei Kapitel: - Chapter I: International Jurisdiction (Artikel 24 bis 30); Chapter II: Subject-Matter Jurisdiction (Artikel 21 bis 33); Chapter III: Venue (Artikel 34 bis 38). PART THREE, Artikel 39 bis 46 „FILING AND RECORDING LAWSUITS“. behandelt Die weiteren Artikel befassen sich mit Formalien der mündlichen Verhandlung. PART FOUR, Artikel 47 bis 58, „APPEARANCE AND ABSENCE OF LITIGANTS“ (dort werden auch geregelt die Voraussetzungen, unter denen ein Versäumnisurteil ergehen kann und welche Rechtsbehelfe hiergegen gegeben sind); PART FIVE, Artikel 59 bis 70, „HEARING PROCEDURE AND ORDER“; PART SIX, Artikel 71 bis 81, “DEFENSES, JOINDER, INTERVENTION, AND INCIDENTAL REQUESTS”; 17 n14857 PART SEVEN, Artikel 83 bis 89, “SUSPENSION DISCONTINUANCE AND ABANDONMENT OF LITIGATION”; PART EIGHT, Artikel 90 bis 96, “RECUSAL AND DISQUALIFICATION OF JUDGES”; PART NINE, Artikel 97 bis 139, “EVIDENTIARY PROCEDURES”. Mündliche Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich (Artikel 61, THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 38 . Parteivortrag erfolgt grundsätzlich mündlich, jedoch wird die Bezugnahme auf Schriftsätze gestattet (Artikel 62, THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 39 . Es gelten die Grundsätze der Gleichbbehandlung der Parteien und Gewährung rechtlichen Gehörs durch den Qadi, Artikel 63 bis 66, THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 40 . Die Beweisaufnahme ist in THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 41 geregelt in PART NINE, Artikel 97 bis 139: - Artikel 97 bis 99: „General Provisions“; 38 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 39 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 40 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 41 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 18 n14857 - Artikel 100 bis 106: „Questioning Litigants and Admission“; Artikel 107 bis 111: “Oaths”; Artikel 112 bis 116: „Inspection“ („Augenschein“); Artikel 117 bis 123: „Testimony“; Artikel 124 bis 137: „Expertise“ („Sachverständigen-Beweis“); Artikel 138 bis 139: „Writing“ („Urkunden-Beweis“). Der Kläger trägt die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen 42 . Vom Beklagten zugestandene Tatsachen bedürfen keines Beweises 43 . Der Beweis durch Zeugen wird nach den Bestimmungen der Sharia geführt durch das Zeugnis 44 zweier männlicher Muslime, die volljährig, im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten sein und über einen untadeligen Ruf verfügen müssen (Koran, Sure 2, Vers 282) 45 . Eine über die Zahl 2 hinausgehende Anzahl von Zeugen ist nicht entscheidungserheblich 46 . Es ist sowohl religiöse, als auch staatsbürgerliche Pflicht, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen 47 . Dies ergibt sich 42 Tyan, Emile, Historie de l’Organisation Judiciaire en Pays d’Islam, Leiden 1960, S. 82. 43 Schacht Joseph, An Introcuction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 190 44 Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 236 ff. 45 Schacht Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 193; Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232; Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 61; Kahn, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 300; Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62; Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 242 ff. 46 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 193. 47 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62; 19 n14857 unmittelbar aus dem Koran, Sure 2, Vers 282: "... Und die Zeugen sollen sich nicht verweigern...". Die Pflicht, vollständig auszusagen, nichts wegzulassen, ergibt sich ebenfalls direkt aus dem Koran, Sure 2, Vers 283: "Und unterschlagt keine Zeugenaussage...". Der Koran verpflichtet den Zeugen zur unparteiischen Aussage (Sure 5, Vers 8: "...Und der Hass ... soll euch ja nicht dazu bringen, dass ihr nicht gerecht seid"; Sure 4, Vers 135: "... Und folgt nicht der persönlichen Neigung von euch, anstatt, dass ihr gerecht seid". Verwandtschaftsgrad, Selbstbetroffensein, Reichtum (Macht) des die Aussage Betreffenden dürfen keinen Einfluss auf die Zeugenaussage haben (siehe Aufzählung im Koran, Sure 4, Vers 135). Richtig Zeugnis abzulegen ist Dienst an Gott (Koran, Sure 25, Vers 72: "Und die wahren Diener des Barmherzigen sind weiter diejenigen, die kein falsches Zeugnis ablegen...") Eine Person, die ein persönliches Interesse an einem für den Kläger günstigen Ausgang des Rechtsstreits hat, wird als Zeuge nicht zugelassen 48 . Ein solches persönliches Interesse kann unter anderem in einer Feindschaft gegen den Beklagten oder in Verwandtschaft, Freundschaft oder geschäftlichen Beziehungen zum Kläger begründet sein 49 . Als Zeuge kommt ferner nur eine integere Persönlichkeit in 48 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62; 49 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 194; Baroody, George M., Sharia, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966. Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232. 20 n14857 Betracht 50 . Er muss über einen guten Charakter verfügen, der durch die Erfüllung seiner religiösen Pflicht zum Ausdruck kommt 51 . Hat der Qadi Zweifel an der Integrität des klägerischen Zeugen, lässt er dessen Aussage nicht zu 52 . Der Kläger kann in einem solchen Fall den Beweis für die persönliche Integrität des Zeugen durch entsprechende Aussagen zweier vertrauenswürdiger Charakterzeugen führen 53 . Hat der Qadi keine Zweifel an der Integrität der klägerischen Zeugen und lässt folglich deren Aussagen zu, kann der Beklagte gleichwohl versuchen, durch die Aussagen zweier von ihm benannter Charakterzeugen Zweifel an der Integrität der klägerischen Zeugen bei Gericht hervorzurufen, was im Erfolgsfall zu einer Nichtbeachtung der Aussagen der klägerischen Zeugen führt 54 . Diese Art der Führung des Gegenbeweises überwiegt 55 . Die Befragung der Zeugen erfolgt grundsätzlich durch den Qadi, der dies auch den Parteien gestatten kann 56 . Ein Abweichen von dem Grundsatz, dass nur Tatsachen aus dem Bereich eigener Wahrnehmung bezeugt werden können, ist ausnahms50 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 193; Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247, 249; Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 391 . 51 Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, Oxford 1964, S. 232; Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 238. 52 Baroody, George M., Shariah, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966. 53 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62; Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 239. 54 Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232. 55 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63. 56 Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 231 21 n14857 weise zulässig, wenn der unmittelbare Zeuge verstorben ist oder geschäftsunfähig wurde 57 . Zeugen werden nicht vereidigt 58 . Stehen nicht zwei Männer als Zeugen zur Verfügung, kann Beweis auch durch Aussagen eines männlichen und zweier weiblicher Zeugen geführt werden (Koran, Sure 2, Vers 282:"...Wenn es nicht zwei Männer sein können, dann sollen es ein Mann und zwei Frauen sein, ...") 59 . Verfügt der Kläger nicht über zwei männliche Zeugen, die seinen anspruchsbegründenden Tatsachenvortrag bestätigen, ist es in vermögensrechtlichen Streitigkeiten ausreichend, wenn der klägerische Vortrag unter Eid erfolgt und von einem männlichen beziehungsweise zwei weiblichen Zeugen bestätigt wird 60 . Der Eid des Klägers tritt an die Stelle der zweiten Zeugenaussage 61 . Bei Beweisnot kann der Kläger vom Beklagten verlangen, dass dieser sein anspruchsbestreitendes Vorbringen unter Eid wiederholt - weigert sich der Beklagte, wird der Klage stattgegeben 62 . Auf Antrag des Be57 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63; Lerrick, A. and Mian Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232. 58 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 190; Lerrick, A. and Mian, Q.J., siehe oben, S. 232; Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63. 59 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 302; Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 60, 63. 60 Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 63; Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63; Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247. 61 Baroody, George M., Sharia, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966. 62 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 190; 22 n14857 klagten hat dann jedoch der Kläger seinen anspruchsbegründenden Tatsachenvortrag zu beeiden 63 . Dem entsprechen die Regelungen in Artikel 107 bis 111, THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000). Der Eid, die Bestätigung im Namen Gottes, garantiert die Richtigkeit des Vertrags 64 . Dem Koran (Sure 2, Vers 282; Sure 5, Vers 106) wird das Erfordernis entnommen, dass der Zeuge grundsätzlich islamischen Glaubens 65 sein muss. Ist ein Ungläubiger Partei, kann er gleichwohl bei Vorliegen oben genannter Voraussetzungen, selbst Eid ablegen oder dies vom Gegner verlangen 66 . Indizienbeweis ist grundsätzlich unzulässig 67 . Der Qadi darf seiner Entscheidung Kenntnis nicht zugrundelegen 68 . eigene Ergibt sich ein non-liquet, ist der Qadi nicht verpflichtet, den Rechtsstreit zu entscheiden 69 . Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 234; Baroody, George M., Sharia, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966; Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 63; Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 64; Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247. 63 Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 63; Saleh, Samir, siehe oben, S. 64. 64 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 299. 65 Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 61. 66 Baroody, George M., Shariah, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966; Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247. 67 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 192 - 193; Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 62. 68 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 67; Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 235. 69 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 16. 23 n14857 A.7.3. Die „Commissions“ Neben den Qadi-Gerichten gibt es von der Verwaltung eingerichtete Streiterledigungsstellen, die sog. „Commissions“. Zu nennen sind hier beispielsweise - „Board of Grievances“; „Negotiable Instruments Offices; „Commission for the Settlement of Banking Disputes“ und die Commission for the Settlement of Labor Disputes”. Bis 1988 konnten handelsrechtliche Streitigkeiten von der “Commission for the Settlement of Commercial Disputes” entschieden werden. 1988 wurde diese Aufgabe den „Board of Grievances“ übertragen (Resolution of the Council of Ministers No. 241). Der Board of Grievances (Diwan al Mazalim, vom arabischen Wort Zalama = ungerecht behandeln) 70 , gilt als eine relativ gut gelungene Adaption einer klassischen islamischen Institution 71 ; er hat seine Wurzeln in der Anfangsperiode des Kalifats der Abbasiden 72 (750 n.Chr. bis 1258 n.Chr.). Basierend auf dem von den ersten AbbasidenKalifen von den Sassaniden übernommenen Vorrecht, sich selbst oder durch Vertreter 73 Beschwerden über die Amtsführung von Qadi (Richter) anzuhören 74 , bildeten sich bald 70 Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 436. 71 Long, David, in The Middle East Journal, Volume XXVII, 1973, S. 71 ff. 72 Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 457. 73 al-Mazalim, Master of Complaints; Coulsion; Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 66. 74 Anderson, Norman, Law Reform in the Muslim World, London 1976, S. 14. 24 n14857 förmliche Beschwerdegericht (al-mazalim). Die richterliche Gewalt von al-Mazalim leitet sich vom Herrscher ab, der nach der Sharia das Recht hat, sich alle Klagen anzuhören und Ungerechtigkeiten zu beseitigen. The Board of Grievances soll eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit begründen 75 . Vorbild der 51 Artikel umfassenden Board of Grievances Regulations von 1982 ist der französische Conseil d'Etat 76 und ein ähnliches ägyptisches Gesetz aus dem Jahr 1955. Der Board of Grievances wurde im Königreich Saudi-Arabien förmlich erstmals 1954 als Unterorganisation des Ministerrats errichtet 77 . Formlos existierte diese Einrichtung seit 1926 in Form einer Art "Kummerkasten", in den jedermann seine in Schriftform gefassten Beschwerden einwerfen konnte und dessen Schlüssel König Abdulaziz bin Abdelrahman Al-Saud selbst verwahrte 78 . 1955 erhielt der Board of Grievances den Status einer autonomen Institution 79 . Eine der Hauptursachen für die Entwicklung der klassischen Mazalim-Gerichtsbarkeit war die Bindung der Qadi-Gerichte an die Beweis- und Verfahrensregeln der Sharia 80 . Daran sollten die Mazalim-Gerichte nicht gebunden sein 81 . Auch wenn nicht ausdrücklich in den Board of Grievances Regulations normiert, so gilt ebenso der moderne Board 75 The Board of Grievances Regulations, Artikel 1. 76 Lerrick A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 258. 77 Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 251. 78 Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 251. 79 Saudi Royal Decree No 2/13/9759 vom 17.9.1374 A.H. 80 Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 67. 81 Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 256. 25 n14857 of Grievances als in seiner Entscheidungsfindung relativ frei 82 . Der Board of Grievances ist für alle Angelegenheiten zuständig, die in Artikel 8, 1. Absatz des LAW OF THE BOARD Of GRIEVANCES (Royal Decree No. M/51/10. Mai 1982) 83 aufgeführt sind. Darüber hinaus ist der Board of Grievances gemäß Artikel 8, 2. Absatz des LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES zuständig, die ihm durch den Ministerrat zugewiesen werden. Rechtsgrundlage sowohl für die Errichtung der Commissions als auch für die QadiGerichtsbarkeit ist das Eintritts- und Delegationsrecht der Herrschers. In einer Fiktion macht nun der König von seinem Eintrittsrecht Gebrauch und delegiert die zurückgewonnene Kompetenz an seine Hilfspersonen, an den Qadi bzw. über das zuständige Ministerium an die betreffende Commission. Bei handelsrechtlichen Streitigkeiten hat der Kläger die Wahl zwischen „Board of Grievances“ und Qadi. Daraus folgt, dass grundsätzlich die Gefahr von Überschneidungen besteht. Artikel 29 THE LAW OF THE JUDICIARY (Royal Decree No. M/64/23. Juli 1975 84 bestimmt deshalb, dass bei Überschneidungen ein “Jurisdictional Conflict Committee“ entscheiden soll. Eine Überschneidung könnte sich beispielsweise daraus ergeben, dass der Kläger den Board 82 Klingmüller, Vertragspraxis und Streiterledigung im Wirtschaftsverkehr mit arabischen Staaten, Köln 1981, S. 14; Long, David, in The Middle East Journal, Volume XXVII, 1973, S. 72. 83 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net). 84 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net). 26 n14857 of Grievances anruft und der Beklagte seine, dieselbe Angelegenheit betreffenden Gegenansprüche gegen den Kläger vor einem Qadi-Gericht geltend macht, oder der Kläger sich gleichzeitig an beide Institutionen wendet. A.7.4. Die rechtliche Stellung der Ausländer vor saudiarabischen staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten Die Sharia unterscheidet zwischen drei Gruppen von Ungläubigen: Dhimmis, Harbis und Mustamin. Fraglich ist, ob alle drei Gruppen von Ungläubigen gleichermaßen ein Recht auf Zugang zur saudiarabischen Gerichtsbarkeit haben. Artikel 47, Satz 1 THE BASIC LAW OF GOVERNANCE 85 lautet: “All people, either citizens or residents in the Kingdom, are entitled to file suit on an equal basis.” Diese Bestimmung erfasst jedoch nur Dhimmis (die sich ständig in dar al-Islam aufhaltenden Nicht-Muslime), nicht aber Harbis (ungläubige Ausländer mit Sitz außerhalb Saudi-Arabiens) und nicht Mustamin (ungläubige Ausländer, die sich nur für eine begrenzte Dauer in Saudi-Arabien aufhalten). Die Artikel 24 bis 30 THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 86 regeln zwar aus85 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 86 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 27 n14857 drücklich, wer vor saudiarabischen Gerichten verklagt werden kann, schweigen sich jedoch darüber aus, welchen Anforderungen diesbezüglich der Kläger zu entsprechen hat. Diese „Zurückhaltung“ ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Hanbali-Rechtsschule die Durchführung eines Gerichtsverfahrens, bei dem der Kläger „Ungläubiger“ ist, in das Ermessen des Richters stellt 87 . Diese Lücke schafft Rechtsunsicherheit, die es zu berücksichtigen gilt . A.8. Doppelte Prozessführung in der Bundesrepublik Deutschland und Saudi-Arabien A.8.1. Saudiarabische staatliche Gerichte werden die Einrede der entgegenstehenden anderweitigen Rechtshängigkeit eines Prozesses in der Bundesrepublik Deutschland über den gleichen Streitgegenstand mangels wirksamer Derogation ihrer Zuständigkeit (siehe oben A.4.4.) nicht beachten. A.8.2. Deutsche staatliche Gerichte werden die Einrede der entgegenstehenden anderweitigen Rechtshängigkeit eines Prozesses in Saudiarabien über den gleichen Streitgegenstand (§ 261 III ZPO) mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO; siehe oben Ziffer 3) zurückweisen. 88 87 Saleh Samir, Commercial Arbitration in the Arab Middle East, London 1984, Seite 34. 88 Geimer, Internationales Zivilrecht, 5. Auflage, RN 2688, Seite 833 28 n14857 TEIL B: SCHIEDSGERICHTSBARKEIT B.1. Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle Recht, falls die Vertragsparteien eine Rechtswahl getroffen haben Schiedsgerichte sind keinem System staatlicher Kollisionsrechte (Internationales Privatrecht) unterworfen. Die in einer nationalen Rechtsordnung enthaltenen Kollisionsrechte sind auf die Schiedsgerichtsbarkeit nicht anwendbar, weil „das allgemeine Kollisionsrecht seinem Wesen nach eine Anweisung an die staatlichen Gerichte ist 89 . Die Anwendung des von den Parteien gewählten materiellen Rechts durch das internationale Schiedsgericht erfolgt nicht auf der Grundlage staatlicher Kollisionsrechte, sondern aufgrund der Freiheit der Parteien in der Wahl des anzuwendenden materiellen Rechts, einem weltweit anerkannten Prinzip transnationalen Recht bzw. des transnationalen Ordre public. Liegt der Schiedsort in Deutschland, findet das von den Parteien gewählte Recht gemäß §§ 1025, 1051 I ZPO Anwendung, wobei diesen Bestimmungen im Hinblick auf die obigen Ausführungen lediglich deklaratorischer Charakter zukommt. 89 Stein/Jonas, 22. Auflage, § 1051 ZPO, RN 2; Andreas Bucher, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, RN 226, 243 und 310; ICC Case 1689; ICC Case 1512. 29 n14857 B.2. Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle Recht, falls die Vertragsparteien einer Rechtswahl nicht getroffen haben Bezüglich der Nichtanwendbarkeit staatlicher Kollisionsrechte wird verwiesen auf die Ausführungen in Ziffer 1 oben. Schiedsgerichte haben das auf die Streitsache anzuwendende Recht „nach einer der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit eigenen Methode zu bestimmen“ 90 . Dieses Prinzip hat Eingang gefunden in zahlreiche internationale Schiedsgerichtsordnungen: EUROPEAN CONVENTION ON INTERNATIONAL COMMERCIAL ARBITRATION (1961), Article VII.1; UNCITRAL-RULES (1976), Article 33 (1); VIENNA-RULES (2001), Article 16 (1); STOCKHOLM-RULES (1999), Article 24 (1) und 24 (2) und ICC-RULES (1998), Article 17 (1): Liegt der Schiedsort in Deutschland, bestimmt sich das anwendbare Recht gemäß §§ 1025, 1051 II ZPO (das Recht des Staates, 90 Andreas Bucher, Die neuen internationale Schiedsgerichtsbarkeit in de Schweiz, RN 226, 243 und 310; ICC Case 1689; ICC Case 1512. 30 n14857 mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engsten Verbindungen aufweist). B.3. Anerkennungsfähigkeit in Deutschland von Schiedssprüchen B.3.1. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche richtet sich nach § 1061 ZPO, der verweist auf das New Yorker Übereinkommen von 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Deutschland hat den nach Artikel I Absatz 3 des Übereinkommens erklärten Gegenseitigkeitsvorbehalt zurückgenommen. Das vorgenannte Übereinkommen gilt somit für alle ausländischen Schiedssprüche, unabhängig davon, ob sie in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates ergangen sind oder nicht. B.3.2. Die Anerkennung inländischer Schiedssprüche (§§ 1025 ZPO) richtet sich nach § 1060 ZPO. B.4. Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Schiedsspruches in Saudi-Arabien Mit Royal Decree No. M/11 (30. Dezember 1993) hat Saudi-Arabien das “Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („The 1958 New York Convention“) ratifiziert (in Kraft getreten am 18. Juli 1994). Artikel 8, 1. Absatz (g) des „LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES“ (Royal Decree No. M/51/10. Mai 1982) 91 , der ausdrücklich nur 91 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 31 n14857 die Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile nennt, ist nach herrschender Meinung auch auf ausländische Schiedssprüche anwendbar 92 . Damit fällt die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche in den Zuständigkeitsbereich des Board of Grievances. Artikel V.2.b der 1958 New York Convention lautet: „Die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs darf auch versagt werden, wenn die zuständige Behörde des Landes, in dem die Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird, feststellt ... dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung dieses Landes widersprechen würde.“ Aufgrund dieser Regelung versagt der Board of Grievances regelmäßig die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche, wenn diese nicht in Einklang mit der Sharia stehen. Dadurch hat der Beitritt Saudi-Arabiens zur New York Convention 1958 bezüglich der Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche in SaudiArabien praktisch nichts geändert. Nach Auskunft von Herrn Professor Dr. Hilmar Krüger, Institut für internationales und ausländisches Privatrecht der Universi92 Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 196. 32 n14857 tät zu Köln vom 07. August 2006 wurde nach dessen Kenntnisstand bislang kein ausländischer Schiedsspruch in Saudi-Arabien anerkannt. B.5. Schiedsgerichtliches Verfahren mit Schiedsort in Saudi-Arabien Die Schiedsgerichtsbarkeit ist in SaudiArabien geregelt in der Schiedsverordnung No. M46/ (12 Rajab 1403/25. April 1983) 93 und der hierzu erlassenen Durchführungsverordnung (27. Mai 1985) 94 . Gemäß Artikel 5 und 6 der Schiedsverordnung M/46 ist vor Beginn des Schiedsverfahrens bei dem staatlichen Gericht die Genehmigung zur Durchführung eines Schiedsverfahrens zu beantragen. Die Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 sieht in Artikel 6 95 zwei Alternativen für die Antragstellung vor. Bei der ersten Alternative legen die Streitparteien ein Schiedsdokument vor, in dem sie sich nach Streitentstehung einvernehmlich auf einen oder mehrere Schiedsrichter (und damit auf eine schiedsgerichtliche Streiterledigung)geeinigt haben. Bei der zweiten Alternative genügt es, wenn eine Partei einen Vertrag vorlegt, in dem sich die Parteien in einer Schiedsklausel darauf geeinigt haben, Streitigkeiten aus 93 94 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) Länderbericht zur Saudi-Arabien von Turck, Nancy B. in Paulsson, Jan (Hg.): „International Handbook on Commercial Arbitration“, Bd. 3, Loseblatt 95 Artikel 6 des Entwurfs der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 lautet in deutscher Übersetzung vcn Dr. Talib Al-Sultan, München: "Die Parteien setzen den oder die Schiedsrichter einvernehmlich ein und halten diese Einsetzung in einem Schiedsdokument fest, in der der Gegenstand des Streits genügend eingegrenzt wird und die Namen der Schiedsrichter aufgeführt werden (1. Alternative). Es kann auch eine Vereinbarung über das Schiedsgericht gemäß einer Schiedsklausel in einem Vertrag betreffs der Streitigkeiten, die aus der Erfüllung dieses Vertrages entstehen, getroffen werden (2. Alternative) " . 33 n14857 diesem Vertrag durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Dies gilt dann auch als Schiedsdokument. Als Anlagen zum Antrag sind folgende Dokumente beizufügen: das Schiedsdokument, eine Schilderung des Streitgegenstandes und die Erklärung der Schiedsrichter, bei der Streiterledigung mitzuwirken. Bei Erfüllung dieser Erfordernisse hat das staatliche Gericht die Schiedsvereinbarung zu registrieren und die erforderliche Genehmigung zur Durchführung des Schiedsverfahrens zu erteilen. Inwieweit eine schiedswillige Partei einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen die schiedsunwillige Partei auf Durchführung des vereinbarten Schiedsverfahrens hat, wenn letztere sich weigert, den oben geschilderten Antrag zu stellen, ist in der Schiedsverordnung M/46 nicht normiert. Artikel 18 96 der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 bringt insoweit auch keine befriedigende Klärung, denn danach kann eine Entscheidung in Abwesenheit einer Partei nur unter bestimmten Voraussetzungen ergehen. 96 Artikel 18 der Durchführungsverordung M/64 in deutscher Übersetzung von Dr. Talib AI-Sultan, München: "Bleibt eine Partei der ersten Sitzung fern, wobei das Schiedsgericht feststellt, dass die Partei persönlich durch Zustellung geladen wurde, kann das Schiedsgericht eine Entscheidung über den Streit treffen, wenn die Parteien ihre Anträge, Verteidigungen, Erwiderungen und Unterlagen der Schiedsakte bereits zugeleitet haben. Der Beschluß gilt in diesem Fall als in Anwesenheit ergangen. Ist die Partei nicht persönlich geladen, hat das Schiedsgericht die Sitzung auszusetzen und die abwesende Partei persönlich zu laden. Sind die Beklagten mehrere Parteien, wobei einige von ihnen persönlich geladen wurden und einige nicht und bleiben einige von ihnen oder sie alle der Sitzung fern, hat das Schiedsgericht - nicht aber in eiligen Fällen - die Sitzung auszusetzen und diejenigen, die nicht persönlich geladen wurden, persönlich zu laden. Der Beschluß gilt dann auf der nächsten Sitzung als in Anwesenheit ergangen, auch für die, die nicht an dieser Sitzung erschienen. Ein Beschluß gilt als in Anwesenheit ergangen, falls die entsprechende Partei oder ihr Vertreter an irgendeiner Sitzung erscheinen, ihre Verteidigung in dem Verfahren oder eine Unterlage dafür hinterlegen. Erscheint die abwesende Partei an der jeweiligen Sitzung bevor die Sitzung geschlossen wird, gelten alle Beschlüsse, die in dieser Sitzung ergangen sind, als gegenstandslos" . 34 n14857 Dies wirft einen Schatten auf die in Artikel 1 der Schiedsverordnung M/46 und die in Artikel 6 Absatz 2 ihrer Durchführungsverordnung erfolgte Klarstellung, dass als Schiedsvereinbarung nicht nur nach Streitentstehung geschlossene Schiedsverträge, sondern auch vertragliche Schiedsklauseln, also Schiedsabreden vor Streitentstehung, anerkannt werden. Diese Klarstellung war erforderlich, da der Sharia Schiedsklauseln unbekannt sind und die Schiedsgerichtsbarkeit immer nur im Zusammenhang mit bereits entstandenen Streitigkeiten erwähnt wird 97 . Gleichwohl kann in dieser Regelung keine Durchbrechung des Grundsatzes des Vorranges der Sharia gesehen werden, da diese zum einen an keiner Stelle ein entsprechendes Verbot aufweist und zum anderen die in Saudi-Arabien zur Anwendung kommende HanbaliRechtsschule ein hohes Maß an Vertragsfreiheit kennt 98 . Um sicherzustellen, dass das oben erwähnte zuständige staatliche Gericht nach Vorliegen des Schiedsspruches diesen gemäß Artikel 20 der Schiedsverordnung M/46 für vollstreckbar erklärt, erscheint die Einholung der Genehmigung durch das staatliche Gericht zur Durchführung des Schiedsverfahrens vor dessen Beginn unumgänglich. Erst nach Vorliegen der Genehmigung, die den Beginn des Schiedsverfahrens markiert, ist die Schiedsrichterbenennung gemäß Arti97 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 48. 98 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 298. 35 n14857 kel 11 der Schiedsverordnung M/46 unwiderruflich. Die Unwiderruflichkeit der Schiedsrichterbenennung steht in Einklang mit islamischen Recht der Hanbali99 Rechtsschule . Die nach der Schiedsverordnung M/46 erforderliche Genehmigung fixiert den Beginn des Schiedsverfahrens und bedingt damit die Unwiderruflichkeit der Schiedsrichterbenennung sowohl nach Artikel 11 der Schiedsverordnung M/46 als auch nach islamischem Recht der Hanbali-Rechtsschule. Es ist ein von allen Schulen islamischen Rechts anerkannter Grundsatz, dass der Schiedsrichter grundsätzlich den gleichen Anforderungen wie ein Qadi genügen muss, das heißt, er muss volljährig, männlichen Geschlechts, islamischen Glaubens, im Vollbesitz körperlicher und geistiger Gesundheit und der Sharia kundig sein sowie über Sachkunde und einem über jeden Zweifel erhabenen Leumund verfügen 100 . Demgegenüber nennt Artikel 4 der Schiedsverordnung M/46 als erforderliche Qualifikationen nur Volljährigkeit, Sachkunde und einen untadeligen Leumund. Nicht erwähnt wird unter anderem das Erfordernis, dass der Schiedsrichter dem islamischen Glauben angehört. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Frage, ob das die Genehmigung zur Durchführung des Schiedsverfahrens erteilende staatliche Gericht diese verweigern wird, wenn einer der vorgeschlagenen Schiedsrichter kein Moslem ist. 99 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 24. 100 Saleh, Sarnir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 36 ff. 36 n14857 Es ist davon auszugehen, dass die in Artikel 4 der Schiedsverordnung M/46 erfolgte Aufzählung von Qualifikationen nicht zufällig, aus der Sicht islamischen Rechts, unvollständig ist. Vielmehr ist die Frage zu stellen, weshalb nicht alle Anforderungen genannt wurden. Wie an anderer Stelle ausgeführt, verbietet der Vorrang der Sharia, dass in Verordnungen aufgenommene Regelungen im Gegensatz zu ihr stehen. Deshalb konnte schwerlich eine Regelung aufgenommen werden, dass Schiedsrichter auch NichtMuslime sein können. An dieser Stelle soll in Erinnerung gebracht werden, dass für die Erteilung der Genehmigung zur Durchführung des Schiedsverfahrens diejenigen staatlichen Gerichte zuständig sind, die ohne Schiedsabrede zur Entscheidung berufen wären, also Qadi-Gerichte oder eine der zahlreichen Commissions. Die Verfasser der Schiedsverordnung M/46 spekulierten wohl darauf, dass die Qadi-Gerichte, was ohnehin nicht vermeidbar gewesen wäre, zusätzlich auf die nicht genannten Schiedsrichterqualifikationen bestehen würden; gleichzeitig hofften sie wohl darauf, dass die weltlichen Commissions sich darauf beschränken würden, am Wortlaut des Artikel 4 der Schiedsverordnung M/46 festzuhalten. SaudiArabien hat zwar einerseits zum Schiedsgerichtswesen eher ein distanziertes Verhältnis, das sich auch in der erwähnten Begleitung des Schiedsverfahrens durch staatliche Gerichte widerspiegelt. Andererseits hätte jedoch ein Festhalten am Erfordernis, dass jeder Schiedsrichter Moslem sein muss, die unerwünschte Konsequenz, dass in SaudiArabien praktisch keine Schiedsverfahren mehr durchgeführt werden würden, an der 37 n14857 ausländische (westliche) Vertragsparteien beteiligt sind, denn ihnen wäre es verwehrt, Schiedsrichter ihres Kulturkreises zu benennen. Für diese Interpretation spricht auch der Wortlaut des Artikel 3 Satz 1 der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 101 . Die genannten Personenkreise "einheimische (saudiarabische Staats) Bürger", "ausländische Muslime " und "andere" stehen nicht gleichwertig nebeneinander, sondern in einem abgestuften Präferenzverhältnis. Danach hat der Verordnungstext folgende Bedeutung: Schiedsrichter muss grundsätzlich ein saudiarabischer Staatsbürger (und damit ein saudiarabischer Moslem) sein. Ausnahmsweise (z.B. bei Auslandsberührung des Streitstoffes) kann es auch ein ausländischer Moslem sein. Notfalls kann es dann auch "ein anderer" sein. Somit ist klargestellt, dass Nicht-Muslime nicht "per se" vom Schiedsrichteramt ausgeschlossen sind. Artikel 9 der Schiedsverordnung M/46 schreibt eine zeitliche Begrenzung für die Durchführung des Schiedsverfahrens vor. Artikel 15 der Schiedsverordnung M/46 eröffnet die Möglichkeit der Fristverlängerung. Artikel 10 der Schiedsverordnung M/46 regelt unter den dort genannten Voraussetzun- 101 Artikel 3 Satz 1 des Entwurfs der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 lautet in deutscher Übersetzung von Dr. Talib AI-Sultan, München: "Der Schiedsrichter muß aus den Reihen der einheimischen Bürger kommen oder ein ausländischer Moslem, der freiberuflich tätig ist, oder ein anderer, sein". 38 n14857 gen die Mitwirkung des staatlichen Gerichts bei der Schiedsrichterbestellung. Artikel 12 der Schiedsverordnung M/46 regelt die Schiedsrichterablehnung. Artikel 16 der Schiedsverordnung M/46 bestimmt, dass der Schiedsspruch mit der Mehrheit der Stimmen der Schiedsrichter ergeht. Der letzte Satz in Artikel 3 der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 normiert für den Vorsitzenden eines aus mehreren Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgerichts bestimmte Qualifikationen 102 . Dies bedeutet insoweit eine Klarstellung, als das islamische Recht nach der Hanbali-Rechtsschule eine Mehrheit von Schiedsrichtern nicht kennt, dies allerdings auch nicht verbietet 103 . Artikel 17 der Schiedsverordnung M/46 schreibt den Inhalt des Schiedsspruches vor. Artikel 18 der Schiedsverordnung M/46 ordnet die Vorlage des Schiedsspruches zum staatlichen Gericht an. Gemäß Artikel 18 und 19 der Schiedsverordnung M/46 können die Parteien ferner gegen den Schiedsspruch Berufung zum staatlichen Gericht einlegen mit der Folge, dass das angerufene staatliche Gericht den Schiedsspruch vollumfänglich, sowohl in tatsächli102 Artikel 3 letzter Satz des Entwurfs der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 lautet in deutscher Übersetzung von Dr. Talib Al-Sulatan, München: "Bei mehreren Schiedsrichtern muß deren Vorsitzender die religiösen Grundlagen, die Handelsverordnungen und die Sitten und Gebräuche, die in dem Königreich gültig sind, kennen". 103 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 53-54; Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 212. 39 n14857 cher als auch in rechtlicher Hinsicht überprüft und durch Urteil entscheidet 104 . 104 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 318-319. 40 n14857 TEIL C: QUELLEN SAUDIARABISCHEN RECHTS Article 48 des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993 („THE BASIC LAW OF GOVERNANCE“) bestimmt 105 : „The Courts shall apply rules of the Islamic Sharia in cases that are brought before them, according to the Holy Qur’an and the Sunna, and according to the laws which are decreed by the ruler in agreement with the Holy Qur’an and the Sunna.” Die gleiche Regelung ist enthalten in Artikel 1 von “THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21; 19. August 2000) 106 . Danach sind Bestandteil des heute in SaudiArabien anwendbaren materiellen Rechts (i) die Sharia (beschränkt auf die Rechtsquellen Koran und Sunna) und (ii) (königliches) Verordnungsrecht in den Grenzen der Sharia. C.1. Sharia 105 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 106 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 41 n14857 Grundpfeiler des heute in Saudi-Arabien anwendbaren materiellen Rechts ist somit die (islamische) „Sharia“. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Sharia war "Weg zur Wasserstelle" 107 , also der Weg, der in der Wüste das Überleben sicherte. Das Wort Sharia erlangte die Bedeutung von "Weg, den Gott den Menschen vorschreibt" 108 . Die Sharia ist die Gesamtheit aller Verbote und Gebote Gottes, die sowohl das Verhältnis des Menschen zu Gott als auch die Beziehungen der Menschen untereinander betreffen. Aus den letzteren entwickelt sich das positive Gesetz, das Gegenstand islamischer Rechtswissenschaft (Fiqh) ist 109 . Grundsätzlich kennt die Sharia vier Hauptquellen. Diese sind Koran, Sunna, Ijma und Qiyas. Demgemäß bestimmt Article 45 Satz 1 des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993 110 („THE BASIC LAW OF GOVERNANCE“) : „The Holy Qur’an and the Sunna of God’s Messenger shall be the source for fatwas.“ C.1.1. Der Koran 107 Anderson, Norman, Law Reform in the Muslim World, London 1976, S. 3; Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 2; Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 17. 108 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 22. 109 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 45. 110 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net) 42 n14857 Der Koran ist die Rechtsquelle von höchster Autorität. Durch die Offenbarungen des Korans, empfangen vom Propheten Mohammed, übermittelt durch den Erzengel Gabriel, spricht Gott in seiner eigenen Sprache zu den Menschen 111 . Mohammed, Mitglied des mächtigen Stammes der Quraish, wurde um 570 n. Chr. geboren und starb 632 n. Chr. Zu predigen begann Mohammed um 613 n. Chr. Seine Flucht aus Mekka 622 n. Chr. markiert den Beginn islamischer Zeitrechnung. 112 Die koranischen Offenbarungen erfolgten an verschiedenen Orten auf einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren verteilt. 113 Der 86.430 Wörter 114 umfassende Koran (von arab. "Qar'an" ="Lesung, Vortrag") ist eingeteilt in 114 Suren (von arab. "Sura" ="den Menschen anspringende"). Diese Suren (Kapitel), jeweils mit einem Namen bezeichnet, sind unterteilt in Verse (Ayats). Je nach Unterteilung schwankt die Anzahl der Verse zwischen 6219 115 und 6236 116 . 111 112 Koran, Sure 53, Vers 4: "(Der Koran) ist nichts anderes als eine inspirierte Offenbarung". Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 70; Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 38; Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 44; Doi, Abdar Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 22: 22 Jahre, 2 Monate, 22 Tage. 113 Koran, Sure 17, Vers 106: "(Es ist) ein Koran, den wir abgeteilt haben, damit du ihn den Menschen in aller Ruhe vortragen kannst". 114 115 Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 21. Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 12; Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 24. 116 Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 70. 43 n14857 Die Suren sind entsprechend ihrer Länge geordnet. Dieses Ordnungssystem wurde gewählt, da die Reihenfolge zum Zeitpunkt der Aufzeichnung nicht mehr genau feststellbar war. Die Anordnung der Verse entspricht nicht der zeitlichen Reihenfolge ihrer Offenbarung, sondern entspringt göttlicher Eingebung Mohammeds. Die während des Kalifats von Abu Bakr (gestorben 634 n. Chr.) unter Leitung eines ehemaligen Schreibers des Propheten Zaid ibn Thabit begonnene systematische Aufzeichnung und Redaktion des Korantextes wurde in der Regierungszeit des dritten Kalifen Osman (gestorben 656 n. Chr.) beendet 117 . Die fünf zentralen Glaubensartikel des Islam sind im Koran niedergelegt: 1. 2. 3. 4. 5. Die Der Der Der Der Einheit Gottes 118 Glaube an Gottes Engel 119 Glaube an die Propheten Gottes 120 Glaube an die Bücher Gottes 121 Glaube an das Jüngste Gericht 122 . Mohammed verstand sich nicht als Begründer einer Religion, sondern als ihr letzter 117 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 39; Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 46-48. 118 Koran, Sure 2, Vers 22: "Darum behauptet nicht, dass Gott seinesgleichen habe,...". 119 Koran, z.B. Sure 3, Vers 80; Sure 8, Vers 12; Sure 13, Vers 13; Sure 17, Vers 95. 120 Koran, z.B. Sure 4, Vers 164; Sure 42, Vers 13. 121 Koran, für viele Stellen Sure 2, Vers 2: "Dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist,...". 122 Koran, für viele Stellen Sure 18, Vers 47: "Und am Tag des Gerichts .... und wir sie versammeln und nicht einen von ihnen auslassen! ". 44 n14857 Prophet 123 : "Heute habe ich euch eure Religion vervollständigt. ..." (Koran, Sure 5, Vers 4). Diese letzte Botschaft war an alle Völker für alle Zeiten gerichtet 124 . Mohammeds primäres Ziel war nicht die Schaffung eines Gesetzeswerks, sondern er wollte den Menschen zeigen, welches Verhalten Gott mit dem Paradies belohnt 125 . Von den mehr als 6000 Versen beschäftigen sich lediglich circa 600 mit Rechtsfragen 126 . Die meisten rechtlichen Regelungen beziehen sich neben Familien- und Erbrecht auf das Strafrecht 127 . Aufgrund der im Koran enthaltenen Gebote und Verbote wurde das menschliche Verhalten in fünf Kategorien 128 eingeteilt: 1. die Pflicht (Wajib) 129 , 2. das Verbotene (Haram) 130 , 3. das Anempfohlene (Mandub) 131 , 4. das Missbilligte (Makruh) 132 , 5. das Erlaubte (Mubah/Halal) 133 . Dabei gilt, dass Handlungen, die nicht ausdrücklich verboten sind oder in einem Un123 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 32. 124 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 21. 125 Kay, Ernest, Legal Aspects of Business in Saudi Arabia, London 1979, S. 7. 126 Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 12. 127 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 40. 128 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 64; Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 17; Andersen, Norman, Law Reform in the Muslim World, London, 1976, S. 3; Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 50. 129 Koran, z.B. Sure 2, Vers 183. 130 Koran, z.B. Sure 6, Vers 151. 131 Koran, z.B. Sure 2, Vers 282. 132 Koran, z.B. Sure 62, Vers 9. 133 Koran, z.B. Sure 2, Vers 60. 45 n14857 terlassen des Gebotenen bestehen, erlaubt sind 134 . Der Koran ist kein Werk mit abschließender Regelung, das keiner Interpretation zugänglich ist 135 . An zahlreichen Stellen des Korans werden die Menschen aufgefordert nachzudenken, zu verstehen und ihren Verstand zu gebrauchen 136 . C.1.2. Sunna Gott hat sich den Menschen durch den Propheten Mohammed auf zwei verschiedene Arten offenbart: Erste Quelle göttlicher Offenbarung ist der Koran, das Wort Gottes, das der Prophet lediglich als Bote überbrachte, Gottes eigene Worte. Die zweite Quelle göttlicher Offenbarung 137 ist die Sunna des Propheten, das als modellhaftes Vorbild 138 zu 134 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 62; Koran, Sure 7, Vers 157:"...und der ihnen gebietet, was recht ist, verbietet, was verwerflich ist, die guten Dinge für erlaubt und die schlechten für verboten erklärt". 135 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 27, 4 0ff; Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 62; Khan, Rashid Ahamd, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 53; Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 20. 136 Koran, Sure 2, Vers 44, 164, 219, 242; Koran, Sure 3, Vers 118; Koran, Sure 6, Vers 151; Koran, Sure 7, Vers 169; Koran, Sure 12, Vers 2; Koran, Sure 21, Vers 10; Koran, Sure 38, Vers 29. 137 Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 4. 138 Schacht, Joseph, The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1959, S. 59; Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 48. 46 n14857 verstehende Gesamtverhalten des Propheten, die Art und Weise, wie Mohammed in der Gemeinde lebte. Darunter fällt alles, was der Prophet in eigener Sprache 139 (in Abgrenzung zum Koran, der Sprache Gottes) gesagt, getan und stillschweigend gebilligt hatte 140 . Das Wort Sunna kann mit "Verfahrensweise" 141 übersetzt werden und bedeutet soviel wie Gewohnheit, Überlieferung, Brauchtum 142 , Bindung an früher geübte Praxis 143 . In vorislamischer Zeit gab es den Begriff "Praxis der Gemeinde" (Sunnat al-umma) 144. Als Rechtsquelle ist die Sunna des Propheten (Sunnat al-nabi) zweitrangig nach dem Koran und ergänzt diesen 145 . Drei Arten von Sunna werden unterschieden: 1. diejenige, die mit dem Koran deckungsgleich ist, 2. diejenige, die den Koran erklärt und 3. diejenige, die primäre Regelungen 146 schafft . Ihre gesetzmäßige Gültigkeit ist durch zahlreiche Koranstellen belegbar 147 , z.B. 139 Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 71. 140 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 25; Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 43. 141 142 Ramadan, Said, siehe oben, S. 41. Baradie, Adel El, siehe oben, S. 25; Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 49. 143 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 17; Schacht, Joseph, The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1959, S. 58. 144 Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 20. 145 Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 19. 146 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 26. 147 Koran, Sure 3, Vers 132; 47 n14857 Koran, Sure 3, Vers 32: "Gehorcht Gott und dem Gesandten! . ." Dieses Verhalten des Propheten (Sunna) ist festgehalten in Berichten (Hadith) 148 , die durch eine Kette vertrauenswürdiger Personen (Isnad) weitergegeben und gesammelt wurden 149 . Als Überlieferer kommen nur integere, vollgeschäftsfähige und mit einem anerkannt guten Gedächtnis ausgestattete Muslime in Betracht 150 . Die Überlieferungskette Isnad, die jedem Hadith vorausgeht 151 , muss grundsätzlich ununterbrochen sein und zu einem Mitglied einer der folgenden drei Personengruppen als ursprünglichem Übermittler 152 führen 153 : Koran, Sure 4, Vers 59; Koran, Sure 4, Vers 64; Koran, Sure 4, Vers 69; Koran, Sure 4, Vers 80; Koran, Sure 8, Vers 1; Koran, Sure 8, Vers 20; Koran, Sure 8, Vers 46; Koran, Sure 24, Vers 54; Koran, Sure 33, Vers 36; Koran, Sure 58, Vers 13. 148 Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 5; Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 14; Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 26; Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 15. 149 Ramadan, Said, Das Islamsiche Recht, Wiesbaden 1980, S. 46. 150 Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 73. 151 Kay, Ernest, Legal Aspects of Business in Saudi Arabia, London 1979, S. 8; Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 14; Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 54. 152 Anderson, Norman, Law Reform in the Mus-lim World, London 1976, S. 8; Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 55. 48 n14857 Gefährten des Propheten, also Menschen, die persönlich mit dem Propheten in Kontakt gekommen waren; 2. Nachfolger der Gefährten des Propheten, das sind Menschen, die mit den Gefährten des Propheten in Kontakt gekommen waren; 3. Menschen, die mit den Nachfolgern der Gefährten des Propheten in Kontakt gekommen waren 154 . Es wird zwischen drei Klassen prophetischer Überlieferungen unterschieden: 1. solche, die von Hadith, die auf alle drei oben genannte Personengruppen zurückgeführt werden, übereinstimmend bestätigt werden; 2. solche, die von Hadiths einer begrenzten Zahl der Gefährten des Propheten, bestätigt werden; 3. und solche die nur von einzelnen Hadiths bestätigt werden 155 . C.1.3. Sharia und die rechtliche Stellung der Ausländer als Vertragspartei Die enge Verbindung zwischen Recht und Religion lässt die Frage nicht abwegig erscheinen, ob und ggf. mit welchen Diskriminierungen der ausländische (deutsche, vermutlich nicht-muslimische) Exporteur bei der Anwendung saudiarabischen materiellen Rechts und damit der Sharia auf den Liefervertrag rechnen muss. 153 Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 52. (z.B.: "Es berichtete mir von A von B von C, dass der Prophet gesagt hat"). 154 155 Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 72. Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 73; Einzelheiten zu Hadith: Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982; Schacht, Joseph, The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1950, S. 163 ff; Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 53 ff. 49 n14857 Voraussetzung für die Beurteilung der rechtlichen Stellung eines Ausländers ist die Definition des Begriffs „Ausländer“ nach der Sharia. Die Welt ist eingeteilt in die Welt des Islam, dar al-Islam und die Welt des Krieges, dar al-Harb 156 . Dar al-Islam ist dadurch gekennzeichnet, dass sich in diesem Territorium der islamische Glaube durchgesetzt hat, das heißt die Geltung der Sharia unter einem moslemischen Herrscher 157 . Dar alIslam und dar al-Harb befinden sich im Kriegszustand und ihre Beziehungen zueinander werden durch das islamische Kriegsrecht bestimmt 158 . Es ist kollektive Pflicht der Gemeinschaft der Muslime, der Umma, mit dem Mittel des Jihad dar al-Harb in dar alIslam umzuwandeln 159 . Jihad kann, muss aber nicht Krieg oder Gewaltanwendung bedeuten. Jihad unter Einsatz friedlicher Mittel ist vorrangig 160 . Die Umma, die Gemeinschaft der Muslime, tritt an die Stelle der Nation. Der Islam führte das Konzept der ethnischen Einheit aller Menschen als Grundsatz des Glaubens und des Handelns ein 161 . Die nicht moslemischen Angehörigen von dar al-Harb werden als Harbis bezeichnet. Die sich ständig in dar al-Islam aufhaltenden 156 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 204. 157 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 84. 158 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 204. 159 Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 206. 160 Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 85. Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 437. 161 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 102. 50 n14857 Nicht-Muslime werden Dhimmis genannt. Unter diesen gehören Juden und Christen zu den Schriftbesitzern Ahl-al-Kitab. Mustamin sind Ungläubige, die sich nur für eine begrenzte Dauer in dar al-Islam aufhalten. Mohammed wird der Ausspruch zugeschrieben: "Und wenn die Nicht-Muslime bereit sind, einen Dhimma-Vertrag abzuschließen, dann erkläre ihnen eindeutig, dass alle Rechte und Pflichten zwischen euch und ihnen gleich und wechselseitig sind" 162 . Mohammed selbst hat mehrere Verträge jüdischen und christlichen Gemeinden schlossen, so mit den Juden der Bani nach seiner Errichtung des Stadtstaates dina und mit den Christen von Nejran 163 . mit geAwf Me- In Sure 9, Vers 7 spielt Mohammed auf einen solchen zwischen Ungläubigen und ihm nahe Mekka geschlossenen Vertrag an 164 : "Sofern diese (Ungläubigen) euch Wort halten, müsst (auch) ihr ihnen Wort halten" 165 . Die Bindungswirkung entfällt allerdings, wenn der Nicht-moslemische Vertragspartner wortbrüchig wird. Der Ausspruch "al-Muslimun 'ala shurutihim" 166 "Muslime sind an ihre Verträge gebunden" wurde geflügeltes Wort der arabischen Sprache, vergleichbar dem Grundsatz "pacta sunt servanda". 162 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 110 mit Nachweis. 163 Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 111-113. 164 Paret, Rudi, Der Koran, Kommentar, Stuttgart 1980, S. 196. 165 Paret, Rudi, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 1980. 166 Coulson, Noel J., Commercial Law in the Gulf States, London 1984, S. 91. 51 n14857 Der erste Satz der Sure 5 lautet in deutscher Übersetzung von Paret: "Ihr Gläubigen! Erfüllt die Verpflichtungen!" 167 . In den englischen Übersetzungen der islamischen Rechtsgelehrten Masudul Hassan 168 und Abdullah Yusuf All 169 liegt die Betonung auf "alle Verpflichtungen" (Ye who believe! Fulfil all obligations). Die vorgenannten islamischen Rechtsgelehrten wenden unter anderem diese Koranstelle nicht nur auf Verpflichtungen ritueller Art, sondern auch auf schuldrechtliche Verpflichtungen an. Paret kommt zu einer anderen Auslegung, da er zwischen dem ersten und zweiten Satz der Sure 5 keine Zäsur annimmt 170 und so den ersten Satz nur in Zusammenhang mit dem zweiten Satz sieht, der sich lediglich auf rituelle Schlachtungen anlässlich von Wallfahrten bezieht. Für die genannten islamischen Rechtsgelehrten gehört der zweite Satz der Sure 5 bereits zu Vers 2 171 , während nach der Einteilung von Paret der zweite Satz immer noch zu Vers 1 gehört 172 . Bei Zitaten von Koranstellen ist auf die unterschiedliche Verseinteilung von Sure 5 zu achten. C.1.4. Vertragsstrafe und Schadensersatz bei Anwendung der Sharia Die Gefahr, sich Ansprüchen auf Zahlung von Vertragsstrafe oder auf Schadenersatz ausgesetzt zu sehen, gehört neben dem Risiko, 167 Paret, Rudi, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 1980. 168 Hassan, Masudul, The Digest of Holy Quran, Lahore 1983, S. 86. 169 Ali, Abdullah Yusuf, The Holy Quran, Text, Translation and Commentary, Lahore 1934, S. 238. 170 Paret, Rudi, Der Koran, Kommentar, Stuttgart 1980, S. 113. 171 Ali, Abdullah Yusuf, The Holy Quran, Text, Translation and Commentary, Lahore 1934, S. 238, Nr. 682. 172 Paret, Rudi, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 1980. 52 n14857 die Gegenleistung für die Lieferung (rechtzeitig und vollständig) zu erhalten, zu den Hauptrisiken des Exporteurs. Daher ist es für den deutschen Exporteur von Interesse, wie es die Sharia (als Grundpfeiler saudiarabischen materiellen Rechts) mit „Vertragsstrafe“ und „Schadenersatz“ hält. C.1.4.1. Nur der real entstandene, ausscheidbare, bezifferbare und beweisbare Schaden ist ersatzfähig, da nur dadurch das Risiko für den Anspruchsgegner beseitigt werden kann, eventuell einen Schaden ersetzen zu müssen, der nicht oder nicht in der geforderten Höhe entstanden ist 173 . Ein Anspruch, der darauf gerichtet ist einen möglicherweise tatsächlich nicht entstandenen Schaden zu ersetzen, würde eine Unsicherheit bedingen, die nach dem Grundsatz von „Gharar“, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs verhindern würde 174 . Dieser Grundsatz von „Gharar“ steht somit der Geltendmachung eines abstrakt berechneten Schadens und beispielsweise der Geltendmachung von Gemeinkosten entgegen. Dieser Grundsatz findet aber auch Anwendung auf „entgangenen Gewinn“ 175 . Im „SAUDI ARABIA LAW DIGEST“ abgedruckt in Martindale Hubbell (ein Beitrag der Anwaltskanzlei White & Case und Hassan Mahassni) ist hierzu ausgeführt: 173 Dr. M. Musleh - ud - Din, Concept of Civil Liability in Islam, Seite 54; Herbert J. Liebesny, The Law of the Near & Middle East, Seite 221. 174 N.J. Coulson, A History of Islamic Law, Seite 45. 175 Schreiben von Professor Dr. Hilmar Krüger an den Verfasser vom 27. Januar 2003. 53 n14857 “Damages- Only proven direct damages are awarded for breach of contract. Damages for lost opportunity or lost profits are considered speculative and would not be awarded.“ C.1.4.2. Ein weiterer einschlägiger islamischer (Sharia-) Grundsatz ist das Verbot von Riba 176 . Riba wird definiert als finanzieller Vorteil ohne entsprechende Gegenleistung 177 . Unter Riba fällt auch jede Form von „unbilligem“ Gewinn und ungerechtfertigter Bereicherung. Aus Riba und dem Glücksspielverbot (Maysir) hatte sich die Lehre von Gharar (siehe oben) entwickelt 178 . Danach sind Vertragsbestimmungen, die das Risiko beinhalten, dass aufgrund - bei Vertragsschluss - unbekannter bzw. unvorhersehbarer Umstände durch die Vertragserfüllung eine Partei einen Gewinn erzielt, der aus einem entsprechenden Verlust der anderen Vertragspartei resultiert 179 nichtig, „Batil“ 180 . Diesem Grundsatz steht entgegen die Geltendmachung eines zukünftigen Schadens, aber möglicherweise auch der Geltendmachung einer Vertragsstrafe. Für die Geltendmachung einer Vertragsstrafe ist der oben aufgeführte Grundsatz umso eher einschlägig, desto höher die Vertrags176 Beate Maiwald, RIW 1984, Seite 521. 177 Joseph Schacht, An Introduction to Islamic Law, Seite 145. 178 Th. W. Juynboll, Handbuch des Islamischen Gesetzes, Seite 264. 179 Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 44; Abdur Rahman Doi, Shariah: The Islamic Law, Seite 359. 180 Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 43: „empty hollow, of no significance“. 54 n14857 strafe ausfällt. Die Geltendmachung einer Vertragsstrafe könnte - als verdeckte Geltendmachung von (Verzugs-) Zinsen - auch gegen das Verbot, Zinsen zu nehmen, verstoßen. Das Verbot, Zinsen zu nehmen (Usury), ergibt sich unmittelbar aus dem Koran 181 . Professor Dr. Hilmar Krüger vertritt in einem Schreiben an den Verfasser vom 27.01.2003 unter Bezugnahme auf Teil II Artikel 39 des amtlichen (saudiarabischen) Mustervertrages über öffentliche Arbeiten, beruhend auf dem Beschluss des saudiarabischen Ministerrats Nr. 136 vom 13.06.1408/01. 02.1998, veröffentlicht im saudiarabischen Gesetzesblatt (Umm al-Qura) Nr. 3205 vom 14.08.1408/01.04.1988 die Auffassung, dass nach dem faktisch in SaudiArabien angewandten Recht eine Vertragsstrafe zulässig und rechtens ist, wenn der Auftragnehmer mit der Fertigstellung seiner Arbeit und ihrer vollständigen Übergabe an den Auftraggeber in Verzug gerät. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Streitigkeiten aus einem Vertrag über „öffentliche Arbeiten“ (vergeben von SaudiArabien) gemäß Artikel 8 des LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES (Royal Decree No. M/51 vom 10. Mai 1982/17 Rajab 1402) stets und zwingend vom Board of Grievances entschieden werden, dass es sich beim Borad of Grievances gemäß Artikel 1 des LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES nicht um ein QuadiGericht (hierzu im einzelnen an anderer 181 Koran, Sure 2, Vers 275-280; Koran Sure 3, Vers 130; Koran Sure 4, Vers 161; Koran Sure 30, Vers 39. 55 n14857 Stelle) handelt, sondern um eine „administrative judicial commission“, dessen Präsident Ministerrang hat (Artikel 2) und damit ausgeschlossen ist, dass jemals ein („Sharia-“) Quadi-Gericht über die Wirksamkeit/Rechtmäßigkeit des von Professor Dr. Hilmar Krüger bei seiner Argumentation in Bezug genommenen Teils des Mustervertrages unter Zugrundelegung der Sharia entscheiden wird. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass („Sharia-“) Quadi-Gerichte bzw. Schiedsgerichte die oben dargelegten „ShariaGrundsätze“ beachten werden. Ein Vertrag, der eine nichtige („Batil“) Regelung enthält, ist fehlerhaft „Fasid“ 182 . Die Fehlerhaftigkeit eines solchen Vertrags führt jedoch nur zur Teilnichtigkeit, das heißt, der unwirksame Teil des Vertrages beeinträchtigt nicht die Gültigkeit der anderen Bestimmungen des Vertrages 183 . Die rechtswidrigen Vertragsbestimmungen gelten als nicht vorhanden 184 , der Restvertrag ist voll wirksam 185 . C.1.4.3. Folgeschäden bzw. mittelbare Schäden sind nach islamischem Recht grundsätzlich nicht ersatzfähig bzw. nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen 186 . Generell lässt sich 182 Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 42: „fasid/irregular“. 183 Joseph Schacht, An Introduction to Islamic Law, Seite 146. 184 Nicolaus von Tornauw, Das moslemische Recht, Seite 95. 185 Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 42. 186 Mejelle Artikel 93; Herbert J. Liebesny, The Law of the Near & Middle East, Seite 218; Abdur Rahim, Muhammadan Jurisprudence, Seiten 353 bis 355; Dr. M. Musleh - ud - Din, Concept of Civil Liability in Islam, Seite 53. 56 n14857 sagen, dass islamisches (Sharia-) Recht an das Kausalitätserfordernis zwischen schadensauslösendem Ereignis und Schadens(höhe) hohe Anforderungen stellt. Tritt beispielsweise in Fällen alternativer Kausalität zum „ersten Kausalverlauf“ ein „zweiter Kausalverlauf“ hinzu, wird der erste Kausalverlauf in der Regel unterbrochen 187 . C.1.4.4. Zu beachten ist auch, dass eine vertraglich vereinbarte Verschärfung der Haftung auf Schadensersatz zulasten einer Partei bei gleichzeitiger Beschränkung der Haftung auf Schadensersatz zugunsten der anderen Partei gegen den „Grundsatz der Redlichkeit“ verstoßen könnte 188 . C.1.4.5. Bei der Geltendmachung/Abwehr von „Schadensersatzansprüchen wegen Nichterfüllung“ ist des weiteren der islamische Grundsatz „Circumstances dominate the promise“ 189 zu berücksichtigen. Ändert sich nach Vertragsschluss die Geschäftsgrundlage aufgrund unvorhergesehener Umstände für eine der Parteien, so berechtigt dies diese Partei die (weitere) Erfüllung des Vertrages zu verweigern 190 und diese Verweigerung begründet keine Haftung auf Schadensersatz. Im „SAUDI ARABIA Martindale Hubbel kanzleien White & ist diesbezüglich LAW DIGEST“ abgedruckt in (ein Beitrag der AnwaltsCase und Hassan Mahassni) ausgeführt: 187 Abdur Rahim, Muhammadan Jurisprudence, Seiten 353 bis 355. 188 Ben Abderrahmane in RIW 1987, 279 unter Berufung auf Koran Sure 3, Vers. 71; Sure 17, Vers. 37; Sure 6, Vers. 153. 189 Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seiten 81 und 85. 190 Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seiten 81 und 85. 57 n14857 „Excuse for Nonperformance – Generally speaking force majeure, undue hardship and impossibility are recognized grounds for non-performance of contract.” C.2. Saudiarabisches Verordnungsrecht Wie oben ausgeführt, ist gemäß Article 48 des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993 (“THE BASIC LAW OF GOUVERNANCE”) 191 neben der Sharia das (königliche) Verordnungsrecht Saudi-Arabiens, in den Grenzen der Sharia, Bestandteil des heute in SaudiArabien anwendbaren materiellen Rechts. Mit diesem Verordnungsrecht hat es folgendes auf sich: Eigentlich sollen die Verordnungen nur der Ergänzung und Durchsetzung der Sharia dienen. Tatsächlich haben die Verordnungen jedoch die Wirkung von Gesetzen. Am 02. Juni 1931 (erstmals veröffentlicht 1940) erließ Abdulaziz bin Abdelrahman AlSaud die heute noch in wesentlichen Teilen geltende Handelsverordnung (Commercial Law), die auf osmanischem Handelsrecht basiert, wobei alle auf Zinsen bezugnehmenden Stellen gestrichen wurden 192 Das osmanische Handelsrecht ist seinerseits eine nahezu wortwörtliche Kopie des französischen Handelsrechts, welches das osmanische Reich 191 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net). 192 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 87. 58 n14857 1850 übernommen hatte 193 . Die saudiarabische Handelsverordnung unterteilt sich in vier Bücher, wobei jedes Buch wieder in Abschnitte unterteilt ist. Buch 1 (149 Artikel) behandelt den Handel zu Lande, Buch 2 (282 Artikel) behandelt den Handel zur See. Das dritte Buch betrifft die Prozessordnung und das vierte Buch die Gebühren. Die beiden letztgenannten Bücher finden nur eingeschränkt Anwendung. Der zweite Abschnitt des ersten Buches wurde (1965 n. Chr.) durch die Verordnung über das Recht der Handelsgesellschaften (Companies Law) aufgehoben. Auch die nachfolgenden wichtigen Rechtsbereiche werden beispielsweise durch Verordnungen geregelt: Arbeitsrecht (Labor and Workers' Regulation), Steuer- (Income Tax Law) und Bankrecht (Saudi Arabian Monetary Agency Law), Wechsel-(Law of Negotiable Instruments) und Ausschreibungsrecht (Tenders und Auctions Law). Um den Anschein einer weltlichen Gesetzgebung zu vermeiden, werden all diese Regelungen "Nizam" (Verordnung) oder "Marsum" (Dekret) genannt und nicht "Kanun" (weltliches Gesetz) . Auch nach der Hanbali-Lehre gibt es neben der Sharia das Verordnungsrecht, basierend auf dem anerkannten politischen Machtanspruch des Herrschers 194 . Der Herrscher hat das Recht, Verordnungen auf allen Gebieten zu erlassen, die von der Sharia nicht oder nicht abschließend geregelt wurden. Dabei hat er sich jedoch keinesfalls in den Gegensatz zur Sharia zu 193 Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 151. 194 Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 87. 59 n14857 setzen, der auch der Herrscher unterliegt. So ist der Herrscher nicht berechtigt, Verordnungen auf solchen Gebieten zu erlassen, die von der Sharia abschließend geregelt sind. Verordnungen sind von großer Bedeutung, denn die Möglichkeit, neue Gesetze zu erlassen, ist verschlossen. Für die orthodoxen islamischen Rechtsgelehrten war seit dem 4. islamischen Jahrhundert (912-1009 n. Chr.) eine selbständige Interpretation der Rechtsquellen des Islam - und damit gesetzgebende Tätigkeit nicht mehr zulässig, das "Tor der Interpretation (Ijtihad)" war für immer geschlossen 195 . Die Sharia hatte ihre endgültige und unabänderliche Form erhalten 196 . Aufgrund der Möglichkeit, Rechtsgebiete durch Verordnungen zu regeln, kann der Staat sich trotz der Starrheit der Sharia neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen anpassen, wenn auch nur mit Mitwirkung der Ulema, welche die Sharia entsprechend auslegen. Der Staat respektiert damit gleichzeitig die Religion, indem er nicht gegen ihre Lehre förmlich verstößt. Die islamischen Gelehrten unterstützen den politischen Machtanspruch des Herrschers, der dem Verordnungsrecht zugrunde liegt und gewinnen so Einfluss auf den Inhalt dieser Verordnungen. 195 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 82 ff; Coulson, Noel J., Commercial Law in the Gulf States, London 1984, S. 17; Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 27 ff; Doi, Abdur Rahman I.,Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 80. 196 Büttner, Friedemann, Reform und Revolution in der islamischen Welt, München 1971, S. 56; Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 71. 60 n14857 Verordnungen werden in der Regel folgendermaßen erlassen: Der Verordnungsentwurf wird dem Ministerrat vorgelegt. Der Ministerrat (seit 1938 besteht ein Kabinettsystem, seit 1953 ein Ministerrat) bereitet nach Billigung des Entwurfs das königliche Dekret vor. Nach Genehmigung der Verordnung durch den König oder seinen Stellvertreter ordnet dieser durch (vorbereitetes) Dekret die Ausführung durch den Ministerrat und Fachminister an. Nach dem "Schließen des Tors der Interpretation (Ijtihad)" im 4. islamischen Jahrhundert (912 - 1009 n. Chr.) war der Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit einer Handlung die Sharia in der Form, die sie zu jener Zeit erhalten hatte. Wollte ein Herrscher eine Exekutivmaßnahme (Verordnung, Einzelanordnung) auf seine Rechtmäßigkeit, das heißt auf seine Übereinstimmung mit der Lehre überprüfen (Taqlid) 197 lassen, konnte er sich zu diesem Zweck an anerkannte Rechtsgelehrte, Mufti 198 , wenden mit dem Ersuchen um eine gutachterliche Stellungnahme, Fatwa 199 . Diesem Grundsatz folgt auch das saudiarabische Grundgesetz von 1993 („THE BASIC LAW 197 Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 82; Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 168; Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964; Juynboll, Th.W., Handbuch des Islamichen Gesetzes, Leiden 1910, S. 32 ff. 198 Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d' Islam, Leiden 1960, S. 219. 199 Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d' Islam, Leiden 1960, S. 219. 61 n14857 OF GOVERNANCE“) Satz 1 bestimmt: 200 , wenn es in Article 45, „The Holy Qur’an and the Sunna of God’s Messenger shall be the source for fatwas (religious advisory rulings).” 200 ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net). 62 n14857 TEIL D: SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN D.1. Die nachfolgenden Erwägungen und Schlussfolgerungen beruhen auf der Annahme, dass der saudiarabischen Besteller/Kunde nicht über nennenswertes Vermögen außerhalb Saudi-Arabiens verfügt. D.2. Die Wahl eines ausschließlichen deutschen Gerichtsstandes empfiehlt sich nicht, da Urteile deutscher staatlicher Gerichte in Saudi-Arabien nicht vollstreckbar sind. D3. Streiterledigung durch ein Schiedsgericht mit Sitz außerhalb Saudi-Arabiens empfiehlt sich ebenfalls nicht, da bislang kein einziger Fall bekannt wurde, in dem ein ausländischer Schiedsspruch in Saudi-Arabien anerkannt und vollstreckt wurde. D.4. Streiterledigung durch ein Schiedsgericht mit Schiedsort in Saudi-Arabien erscheint aufgrund der verordneten Mitwirkung saudiarabischer staatlicher Gerichte, die mit der erforderlichen Genehmigung zur Durchführung des Schiedsverfahrens beginnt ebenfalls wenig attraktiv. D.5. Verbleibt somit Streiterledigung durch staatliche saudiarabische Gerichte. Eine dementsprechende Streiterledigungsklausel könnte folgenden Wortlaut haben: „Alle Streitigkeiten, die sich aus bzw. im Zusammenhang mit 63 n14857 diesem Vertrag ergeben, sind den Gerichten des Königreiches Saudi-Arabien vorzulegen und von diesen zu entscheiden, welche im Hinblick auf diese Streitigkeiten ausschließlich zuständig sind.“ Eine solche Streiterledigungsvereinbarung hätte für den deutschen Lieferanten zumindest den Vorteil, dass ein gegen ihn ergehendes Urteil saudiarabischer staatlicher Gericht (z.B. aufgrund Widerklage durch den saudiarabischen Besteller/Kunden) in Deutschland mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht anerkennungsfähig (§ 328 Abs. I Nr. 5 ZPO) und nicht vollstreckbar (§ 723 Abs. II S. 2 ZPO) wäre. Der Weg zu den deutschen Gerichten wäre dem saudiarabischen Besteller/Kunden aufgrund des vereinbarten ausschließlichen Gerichtsstandes Saudi-Arabien versperrt. D.6. Vorteilhaft für den deutschen Lieferanten wäre ist die Aufnahme einer weiteren (zusätzlichen) Bestimmung, wonach dem deutschen Lieferanten einseitig das Recht eingeräumt wird den saudiarabischem Besteller/Kunden auch im allgemeinen Gerichtsstand des Lieferanten in Deutschland zu verklagen. Deutsche Gerichte würden eine solche Gerichtsstandsvereinbarung anerkennen. Da eine Vollstreckung eines Urteils deutscher staatlicher Gericht in SaudiArabien ohnehin unmöglich ist, kommt der Frage, ob saudiarabische Gerichte eine solche Vereinbarung anerkennen würden, keine Bedeutung zu. Selbst Rechtshängigkeit des gleichen Streitgegenstandes sowohl vor den 64 n14857 staatlichen Gerichten Saudi-Arabiens, als auch der Bundesrepublik Deutschland würde einem Prozess in der Bundesrepublik Deutschland – mangels Anerkennungsfähigkeit eines Urteils staatlicher saudiarabischer Gerichte – nicht entgegenstehen 201 . Der deutsche Lieferant könnte beispielsweise vorsorglich im deutschen Gerichtsstand eine negative Feststellungsklage erheben. Eine solche ergänzende Klausel könnte etwa folgenden Wortlaut haben: „Für Klagen gegen den Besteller vereinbaren die Parteien als weiteren/zusätzlichen Gerichtsstand daneben __________________.“ D.7. Im Hinblick darauf, dass die Wahl eines ausländischen (nicht-saudiarabischen) Rechts von den staatlichen saudiarabischen Gerichten grundsätzlich nicht beachtet wird, erscheint es angeraten auf die Wahl eines nicht-saudiarabischen (etwa deutschen) Rechts zu verzichten. Hinzukommt, dass die Bestimmungen islamischen Rechts zu Schadenersatz und Vertragsstrafe für den Lieferanten eher als günstig zu bezeichnen sind. Deutsche Gericht würden bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtswahl über Artikel 28, Abs. 2 EGBGB (wohl) deutsches materielles Recht (als Recht des Sitzes jener Vertragspartei, die die charakteristische Leistung erbringt) anwenden. 201 Zöller, IZPR, RN 96 65 n14857