Saudi-Arabien/Deutschland: Rechtliche Erwägungen - EEN

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STREITERLEDIGUNG UND ANWENDBARES RECHT BEI VERTRÄGEN ZWISCHEN EINER SAUDIARABISCHEN UND EINER DEUTSCHEN PARTEI
Dr. Alexander Nerz
Rechtsanwalt
Maximilianstraße 24
D-80539 München
Telefon: 089+2919090
Telefax: 089+291289
E-Mail: [email protected]
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INHALTSVERZEICHNIS
STAATLICHE GERICHTSBARKEIT
TEIL A
Die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte für
Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien A.1.
Das von den deutschen staatlichen Gerichten
anwendbare materielle Recht
A.2.
Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen
deutschen Gerichts in Saudiarabien
A.3.
Die Zuständigkeit saudiarabischer staatlicher Gerichte
für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien
A.4.
Das von den saudiarabischen staatlichen Gerichten
anwendbare materielle Recht
A.5.
Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen
saudiarabischen Gerichts in Deutschland
A.6.
Die staatliche Gerichtsbarkeit in Saudi-Arabien
A.7.
Doppelte Prozessführung in der Bundesrepublik Deutschland
und Saudi-Arabien
A.8.
SCHIEDSGERICHTSBARKEIT
TEIL B
Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle
Recht,
falls die Vertragsparteien eine Rechtswahl getroffen
haben
B.1.
Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle
Recht,
falls die Vertragsparteien einer Rechtswahl nicht getroffen haben
B.2.
Anerkennungsfähigkeit von Schiedssprüchen in Deutschland
B.3.
Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Schiedsspruches
in Saudi-Arabien
B.4.
Schiedsgerichtliches Verfahren mit Schiedsort in SaudiArabien
B.5.
2
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QUELLEN SAUDIARABISCHEN RECHTS
Sharia
Saudiarabisches Verordnungsrecht
TEIL C
C.1.
C.2.
SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN
TEIL D
3
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TEIL A:
A.1.
STAATLICHE GERICHTSBARKEIT
Die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen
den Vertragsparteien
A.1.1. Bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung
ergibt sich die Zuständigkeit deutscher
staatlicher Gerichte für Klagen der saudiarabischen Vertragspartei gegen die deutsche
Vertragspartei aus §§ 12 ff ZPO („allgemeiner Gerichtsstand der deutschen Vertragspartei“).
A.1.2. Für Klagen der deutschen Vertragspartei gegen die saudiarabische Vertragspartei dürfte bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit deutscher staatlicher Gerichte nur ausnahmsweise gegeben
sein (z.B.: § 23 ZPO „Besonderer Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes“
bzw. § 29 ZPO „Besonderer Gerichtsstand des
Erfüllungsorts“).
A.1.3. Wären nach den obigen Ausführungen deutsche
staatliche Gerichte grundsätzlich international zuständig, hätten die Vertragsparteien jedoch eine Schiedsabrede getroffen,
würde das deutsche staatliche Gericht bei
rechtzeitiger Rüge eine Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand der Schiedsvereinbarung ist, gemäß § 1032 ZPO als unzulässig abweisen.
4
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A.1.4. Haben die Vertragsparteien die Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Streiterledigung vereinbart, werden deutsche staatliche
Gerichte eine solche Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 ZPO akzeptieren (Prorogation).
A.2.
Das von den deutschen staatlichen Gerichten
anwendbare materielle Recht
A.2.1. Haben die Vertragsparteien keine Rechtswahl
getroffen, wird das deutsche staatliche Gericht im sachlichen Anwendungsbereich des
UN-Übereinkommens über Verträge über den
internationalen WARENKAUF, dessen Regelungen über Artikel 1 Absatz I (b) des Übereinkommens anwenden. 1
A.2.2. Für die anderen Vertragstypen gilt folgendes.
Haben die Vertragsparteien keine Rechtswahl
getroffen, wird das deutsche staatliche Gericht das anwendbare materielle Recht gemäß
Artikel 28 EGBGB bestimmen (grundsätzlich
das Recht des Staates, mit dem der Vertrag
die engsten Verbindungen aufweist, wobei
gemäß Artikel 28 Absatz II EGBGB vermutet
wird, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die
Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren Sitz hat). Bei
Werkverträgen ist dies der Unternehmer. Hat
der Unternehmer seinen Sitz in Deutschland,
1
Palandt, 65. Auflage, EGBGB 28, RN 8
5
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führt diese Regelung bei Werkverträgen zur
Anwendung deutschen materiellen Rechts. 2
A.2.3. Haben die Vertragsparteien eine Vereinbarung über das anzuwendende materielle Recht
getroffen, wird diese Rechtswahl gemäß Artikel 27 b EGBGB von den deutschen staatlichen Gerichten anerkannt.
A.3.
Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen deutschen Gerichts in Saudiarabien
Die
Vollstreckbarerklärung
ausländischer
Urteile obliegt gemäß Artikel 8, 1. Absatz
(g) des „LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES“
(Royal Decree No. M/51/10. Mai 1982 3 ) dem
saudiarabischen Board of Grievances.
Gemäß Artikel 6 der PROCEDURAL RULES BEFORE
THE BOARD OF GRIEVANCES (Council of Ministers Resolution No 190/19. Juni 1989 4 werden ausländische Urteile dann für vollstreckbar erklärt, wenn (a) die Gegenseitigkeit verbürgt ist und (b) das Urteil
nicht gegen Bestimmungen der Sharia verstößt.
Im
Verhältnis
Bundesrepublik
Deutschland/Saudi-Arabien fehlt es schon an der
ersten Voraussetzung. 5
2
3
Palandt, 65. Auflage, EGBGB 28, RN 15
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
4
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
5
Krüger, RIW 1990, 113 ff, Vollstreckung ausländischer Urteile in Saudi-Arabien jetzt möglich?
Krüger in Festschrift Geimer 2002, Seiten 506 ff, Vermögensrechtliches Privatrecht und Rechtsverfolgung in Saudi-Arabien;
Krüger, IPRAX 2005, 387, Internationalrechtliche Probleme in Saudi-Arabien;
Zöller, 25. Auflage, Anhang IV, Seite 2848
6
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Nach Auskunft von Herrn Professor Dr. Hilmar Krüger, Institut für internationales
und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln vom 07. August 2006 sind nach
dessen Kenntnisstand bislang weder Urteile
deutscher staatlicher Gerichte in Saudiarabien, noch Urteile staatlicher saudiarabischer Gerichte in Deutschland anerkannt
worden.
A.4.
Die Zuständigkeit saudiarabischer staatlicher Gerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragsparteien
A.4.1.
THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARIA COURTS
(Royal Decree No. M/21, 20 Jumada 1421/19.
August 2001) 6 enthält im ersten Kapitel
des zweiten Teils in den Artikeln 24 bis 30
internationale
Zuständigkeitsbestimmungen
(„International Jurisdiction“).
A.4.2. Bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung
sind die Gerichte Saudi-Arabiens generell
international zuständig für Klagen gegen
saudiarabische Personen (Artikel 24) und
gegen Ausländer mit ständigem Sitz in Saudi-Arabien (Artikel 25). Gemäß Artikel 26
sind die Gerichte Saudi-Arabiens international zuständig auch für Klagen gegen Ausländer
ohne
ständigen
Sitz
in
SaudiArabien, für den Fall, dass
„[if] the lawsuit involves property
located in the Kingdom or an obligation considered to have originated or is enforceable in the
Kingdom”
6
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
7
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A.4.3. Artikel 28 bestimmt, dass die internationale Zuständigkeit saudiarabischer Gerichte
durch eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung begründet wird (Prorogation).
A.4.4. Es gibt keine Regelung die bestimmt, dass
ein nach den oben genannten gesetzlichen
Regelungen zuständiges saudiarabisches Gericht durch Vereinbarung eines (ausschließlichen) nicht-saudiarabischen Gerichtsstandes seine Zuständigkeit verliert (Derogation).
Danach würden zwar die saudiarabischen
staatlichen Gerichte die Vereinbarung eines
saudiarabischen Gerichtsstandes in einem
schuldrechtlichen Vertrag zwischen einer
deutschen und einer saudiarabischen Partei
anerkennen, jedoch würden die saudiarabischen staatlichen Gerichte die Vereinbarung
eines ausschließlichen deutschen Gerichtsstandes nicht beachten.
Somit würde die Vereinbarung eines ausschließlichen deutschen Gerichtsstandes die
deutsche Vertragspartei nicht davor schützen, von der saudiarabischen Vertragspartei
vor saudiarabischen Gerichten verklagt zu
werden. Zwar wäre ein solches Urteil in
Deutschland nicht vollstreckbar (siehe unten A.6.). Würde die deutsche Vertragspartei jedoch über Vermögen in Saudi-Arabien
(oder in einem Signatarstaat des Vollstreckungsübereinkommens der Arabischen Liga
von 1952) verfügen, wäre dies für die deutsche Vertragspartei gleichwohl zu beachten.
A.4.5. Wären nach den obigen Ausführungen saudiarabische staatliche Gerichte grundsätzlich
8
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international zuständig, hätten die Vertragsparteien jedoch eine Schiedsabrede getroffen, gilt folgendes.
Die Schiedsgerichtsbarkeit ist in SaudiArabien geregelt in der Schiedsverordnung
No. M/46 (25. April 1983) 7 und der hierzu
erlassenen Durchführungsverordnung (27. Mai
1985) 8 .
Artikel 7 der Schiedsverordnung No. M/46
(25. April 1983) bestimmt, dass die staatlichen
saudiarabischen
Gerichte
einen
Rechtsstreit zur Entscheidung in der Hauptsache nicht annehmen bzw. fortführen sollen, wenn (a) die Parteien sich vor Streitentstehung
auf
Streiterledigung
durch
Schiedsverfahren geeinigt haben oder (b)
sich die Parteien nach Streitentstehung auf
Streiterledigung durch Schiedsverfahren geeinigt haben und das eigentlich zuständige
staatliche Gericht diese Schiedsvereinbarung gemäß Artikel 5 und 6 der Schiedsverordnung No. M/46 genehmigt hat.
Zur Klarstellung könnte es nützlich sein,
in eine Schiedsklausel eine Regelung aufzunehmen, wonach die Vertragsparteien mit der
Schiedsabrede insoweit ausdrücklich auf die
Geltendmachung ihrer Ansprüche vor staatlichen (saudiarabischen) Gerichten verzichten.
7
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C.
8
Länderbericht zu Saudi-Arabien von Turck, Nancy B. in Paulsson, Jan (Mg.): „international Handbook on Commercial Arbitra-
(www.saudiembassy.net)
tion,“ Bd. 3, Loseblatt.
9
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A.5.
Das von den saudiarabischen staatlichen Gerichten anwendbare materielle Recht
A.5.1. Haben die Vertragsparteien eine Rechtswahl
nicht getroffen, gilt folgendes.
Article 48 des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993 („THE BASIC LAW OF GOVERNANCE“) bestimmt 9 :
„The Courts shall apply rules of
the Islamic Sharia in cases that
are brought before them, according
to the Holy Qur’an and the Sunna,
and according to the laws which are
decreed by the ruler in agreement
with
the
Holy
Qur’an
and
the
Sunna.”
Die gleiche Regelung ist enthalten in Artikel 1 von “THE LAW OF PROCEDURE BEFORE
SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21; 19.
August 2000) 10 .
Danach sind Bestandteil des heute in SaudiArabien anwendbaren materiellen Rechts
(i) die Sharia (beschränkt auf die Rechtsquellen Koran und Sunna) und
(ii) (königliches) Verordnungsrecht in den
Grenzen der Sharia.
A.5.2. Haben die Vertragsparteien eine Vereinbarung über das anwendbare materielle Recht
getroffen, gilt folgendes.
9
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
10
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
10
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Saudiarabische staatliche Gerichte werden
die
Vereinbarung
einer
ausländischen
Rechtsordnung in der Weise, dass damit die
Anwendung der Sharia ausgeschlossen wird,
grundsätzlich nicht anerkennen 11 . Der Koran
enthält in Sure 5, Vers 105 die Anweisung:
"Wir haben die Schrift mit der Wahrheit
(Koran) zu dir herabgesandt, damit du zwischen den Menschen entscheidest (richtest)
aufgrund dessen, was Gott dich (durch die
Offenbarung) hat sehen lassen".
Hauptquellen islamischen Rechts sind der
Koran und die in den "Hadith-Werken" gesammelte Sunna des Propheten. Koran und Hadith
gelten als die Bücher Gottes. Einer der
sechs Glaubensartikel 12 , aus denen das islamische Glaubensbekenntnis besteht, ist
der Glaube an die Bücher Gottes. Auch die
weitgehende
islamische
Vertragsfreiheit
lässt grundsätzlich nicht zu, dass aufgrund
Parteiwillen an Stelle der Bücher Gottes
irgendeine weltliche Rechtsordnung von Ungläubigen 13 . In eingeschränktem Umfang
könnte in nachfolgenden Ausnahmefällen ausländisches Recht von saudiarabischen staatlichen Gerichten berücksichtigt werden.
Bei Fällen mit Auslandsberührung und in Ermangelung einer Regelung in der Sharia kann
das Gericht einzelne Bestimmungen ausländi11
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 54;
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 235.
12
Die sechs Glaubensartikel: Der Glaube an Gott, Seine Engel, Seine Gesandten, die Wiederauferstehung nach dem Tode und
den Jüngsten Tag, sowie der Glaube an die göttliche Vorherbestimmung (Eberhard Wohlfahrt, Die Arabische Halbinsel, Berlin
1980, S. 103).
13
Saleh, Samir, Commercail arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 309.
11
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schen Rechts als Gewohnheitsrecht berücksichtigen 14 . Es können so jedoch nicht Bestimmungen irgendeines ausländischen Rechts
zur Anwendung gelangen, sondern nur das
Recht eines Landes, zu dem ein konkreter
Bezug besteht. Die angewandte Bestimmung
ausländischen Rechts muss vernünftig 15 sein
und darf nicht gegen Koran und Hadith verstoßen 16 . Es darf dadurch weder das Verbotene (Haram) noch die Unterlassung des Gebotenen (Wajib) erlaubt werden 17 .
Haben zwei Vertragsparteien die Anwendung
ausländischen Rechts vereinbart, so müsste
das saudiarabische Gericht diese Vereinbarung dann als bindend betrachten, wenn die
Vereinbarung im nichtmuslimischen Ausland
zwischen einem Moslem und einem Ungläubigen
getroffen wurde 18 . Konsequenterweise müsste
dann „theoretisch“ das saudiarabische Gericht die vereinbarte Rechtswahl berücksichtigen.
Für die Praxis ist daher davon auszugehen,
dass saudiarabische Gerichte saudiarabisches Recht anwenden, gleich welche Rechtswahlvereinbarung die Parteien getroffen haben. Selbst wenn eine der oben aufgeführten
Ausnahmen von der zwingenden Anwendung saudiarabischen Rechts theoretisch einschlägig
wäre, sollte die ausländische Partei nicht
darauf vertrauen, mit einer Berufung auf
14
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 309;
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 137.
15
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 138.
16
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 136.
17
Baradie, Adel, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 58.
18
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 89 und 309;
Ibn Quadama, Al-Mughni , Band 8, S. 458, S. 482 und 483.
12
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die Ausnahme vor einem saudiarabischen Gericht durchzudringen.
Es ist bislang kein Fall bekannt, in dem
ein saudiarabisches Gericht eine vertragliche Vereinbarung über die Wahl eines nichtsaudiarabischen Rechts anerkannt hätten 19 .
A.6.
Die Anerkennungsfähigkeit eines Urteils eines staatlichen saudiarabischen Gerichts in
Deutschland
Die Gegenseitigkeit ist im Verhältnis Saudi-Arabien / Deutschland nicht verbürgt. Es
wird verwiesen auf die Ausführungen oben
unter Ziffer A.3.. Damit ist die Anerkennung eines Urteils eines staatlichen saudiarabischen Gerichts gemäß § 328 I Nr. 5 ZPO
ausgeschlossen.
A.7.
Die staatliche
Arabien
Gerichtsbarkeit
in
Saudi-
A.7.1. Qadi-Gerichtsbarkeit
In Saudi-Arabien obliegt die allgemeine Gerichtsbarkeit
in
grundsätzlich
allen
20
Rechtssachen den Qadi-Gerichten
. Förmlich organisiert wurden sie erstmals 1927
21
. 1962 wurden zwei Berufungsgerichte errichtet 22 . 1970 übernahm das Justizminis-
19
20
Krüger, IPRAX 2005, 387, Internationalrechtliche Probleme in Saudi-Arabien
Artikel 26, THE LAW OF THE JUDICIARY, Royal Decree Nr. M/64 (1975), ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C.
(www.saudiembassy.net).
21
Lerrick,A. und Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 218.
22
Lerrick,A. and Mian, Q.J., siehe oben, S. 218.
13
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terium die gesamte Justizverwaltung 23 , seit
1975 gemäß den Judicial Regulations.
Das Amt des Qadi geht zurück auf das Kalifat der Omajjaden (661 - 750 n. Chr.) 24 .
Die ersten Kalifen übten das Richteramt
noch persönlich aus 25 . Die flächenmäßige
Ausdehnung der eroberten Gebiete erforderte
jedoch eine umfangreiche Neuordnung der Bereiche von Justiz und Verwaltung 26 . Der Qadi ersetzte den Hakam (Schiedsrichter) vorislamischer Zeit. Zu Beginn des Kalifats
der Omajjaden unterschied sich der Qadi vom
Hakam eigentlich nur dadurch, dass er nicht
von den Parteien des Rechtsstreits ernannt,
sondern vom Gouverneur, dem Stellvertreter
des Kalifen, speziell zur Schlichtung von
Streitigkeiten eingesetzt wurde 27 ; dies
entspricht einer Art institutionalisiertem
Schiedsgericht 28 . Gegen Ende des Kalifats
der
Omajjaden
verlor
die
QadiGerichtsbarkeit
ihren
eher
privaten,
schiedsgerichtsähnlichen Charakter und wurde eine Institution des islamischen Staates
29
.
Die Rechtsprechung oblag dem Kalifen, der
diese Aufgabe an seine örtlichen Gouverneure delegierte, welche ihrerseits dafür Qadi
einsetzten 30 , die ihre Tätigkeit als deren
23
Artikel 71 und 87, THE LAW OF THE JUDICIARY, Royal Decree Nr. M/64 (1975), ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA
WASHINGTON D.C.
(www.saudiembassy.net).
24
Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 28.
25
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 240.
26
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 24
27
Tyan, Emile, Histoire de l1 Organisation Judiciaire en Pays d' Islam, Leiden 1960, S. 120 ff.
28
Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 33.
29
Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 33.
30
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 240;
Shad, Abdul Rehmad, Do's and Do Not's in Islam, Lahore 1983, S. 265.
14
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Stellvertreter ausübten. Unbeschadet dessen
hatte der Kalif beziehungsweise Gouverneur
ein Selbsteintrittsrecht und konnte nach
Belieben einen Rechtsstreit an sich ziehen
und selbst entscheiden 31 .
Artikel 1 „THE LAW OF THE JUDICIARY“, ROYAL
DECREE Nr. M/64 (1975) 32 formuliert die Unabhängigkeit der Richter und deren Bindung
ausschließlich an geltendes Recht. Die die
Berufsausübung des Richters betreffenden
Vorschriften der Judicial Regulations sind
Folgen dieser Garantie. Die Ernennung zum
Richter erfolgt auf Lebenszeit durch königliches Dekret, auf Vorschlag des obersten
Gerichtshofes (The Supreme Judicial Council) und endet grundsätzlich nur bei Rücktritt, Pensionierung, unheilbarer Krankheit
des Richters 33 oder im Todesfall. Beförderungen erfolgen nach dem Senioritätsprinzip, bei gleicher Dienstzeit nach Leistung,
bei gleicher Leistung nach dem Alter 34 . Ohne ihre Zustimmung dürfen Richter nicht
versetzt werden 35 .
A.7.2. Verfahren vor Qadi-Gerichten
Der vierstufige Aufbau der saudiarabischen
Qadi- (Sharia-) Gerichte ist geregelt in
31
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford S. 25.
32
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C.
33
THE LAW OF THE JUDICIARY ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975), Artikel 2,3,51,57,85; ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA
WASHINGTON D.C.
34
(www.saudiembassy.net)
THE LAW OF THE JUDICIARY ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975), Artikel 53; ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C.
35
(www.saudiembassy.net)
(www.saudiembassy.net)
THE LAW OF THE JUDICIARY ROYAL DECREE Nr. M/64 (1975), Artikel 3; ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C.
(www.saudiembassy.net)
15
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THE LAW OF THE JUDICIARY (Royal Decree No.
M/64, 23. Juli 1975) 36 :
-
Summary Courts (Gerichte erster Instanz,
in Zivilsachen Einzelrichter, Artikel 24
und 25);
-
General Courts (Gerichte erster Instanz,
in Zivilsachen Einzelrichter, Artikel 22
und 23);
-
The Apellate Court (Berufungsgericht mit
Sitz in Riad, in Zivilsachen drei Richter, Artikel 10 bis 21);
-
The Supreme Judicial Council (Berater
des Königs; Aufsicht über die Gerichtsbarkeit; Artikel 6 bis 9).
Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit
zwischen den Summary Courts und den General
Courts ist geregelt in den Artikeln 31 bis
33, die örtliche Zuständigkeit dieser Gerichte in den Artikeln 34 bis 38 in THE LAW
OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal
Decree No. M/21, 19. August 2000).
THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS
(Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 37
stellt in Artikel 1 nochmals klar:
„Courts shall apply to cases before
them provisions of Shari’ah laws,
in accordance with the Qur’an and
Sunnah of the Prophet, and laws
promulgated by the State that do
not conflict with the Quran and
36
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C.
37
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
(www.saudiembassy.net)
16
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Sunnah, and their proceedings shall
comply with the provisions of this
Law.“
PART ONE, Artikel 1 bis 23 befasst sich mit
“GENERAL PROVISIONS” (mit ausführlichen Regelungen betreffend Zustellung).
PART THREE „JURISDICTION“ ist unterteilt in
drei Kapitel:
-
Chapter I: International
Jurisdiction
(Artikel 24 bis 30);
Chapter II: Subject-Matter Jurisdiction
(Artikel 21 bis 33);
Chapter III:
Venue (Artikel 34 bis
38).
PART THREE, Artikel 39 bis 46
„FILING AND RECORDING LAWSUITS“.
behandelt
Die weiteren Artikel befassen sich mit Formalien der mündlichen Verhandlung.
PART FOUR, Artikel 47 bis 58, „APPEARANCE
AND ABSENCE OF LITIGANTS“ (dort werden auch
geregelt die Voraussetzungen, unter denen
ein Versäumnisurteil ergehen kann und welche Rechtsbehelfe hiergegen gegeben sind);
PART FIVE, Artikel 59 bis 70, „HEARING PROCEDURE AND ORDER“;
PART SIX, Artikel 71 bis 81, “DEFENSES,
JOINDER, INTERVENTION, AND INCIDENTAL REQUESTS”;
17
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PART SEVEN, Artikel 83 bis 89, “SUSPENSION
DISCONTINUANCE AND ABANDONMENT OF LITIGATION”;
PART EIGHT, Artikel 90 bis 96, “RECUSAL AND
DISQUALIFICATION OF JUDGES”;
PART NINE, Artikel 97 bis 139, “EVIDENTIARY
PROCEDURES”.
Mündliche Verhandlungen sind grundsätzlich
öffentlich (Artikel 61, THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree
No. M/21, 19. August 2000) 38 .
Parteivortrag erfolgt grundsätzlich mündlich,
jedoch
wird
die
Bezugnahme
auf
Schriftsätze gestattet (Artikel 62, THE LAW
OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal
Decree No. M/21, 19. August 2000) 39 .
Es gelten die Grundsätze der Gleichbbehandlung der Parteien und Gewährung rechtlichen
Gehörs durch den Qadi, Artikel 63 bis 66,
THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS
(Royal Decree No. M/21, 19. August 2000) 40 .
Die Beweisaufnahme ist in THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree
No. M/21, 19. August 2000) 41 geregelt in
PART NINE, Artikel 97 bis 139:
-
Artikel 97 bis 99: „General Provisions“;
38
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
39
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
40
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
41
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
18
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-
Artikel 100 bis 106: „Questioning Litigants and Admission“;
Artikel 107 bis 111: “Oaths”;
Artikel 112 bis 116: „Inspection“ („Augenschein“);
Artikel 117 bis 123: „Testimony“;
Artikel 124 bis 137: „Expertise“ („Sachverständigen-Beweis“);
Artikel 138 bis 139: „Writing“ („Urkunden-Beweis“).
Der Kläger trägt die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen 42 .
Vom Beklagten zugestandene Tatsachen bedürfen keines Beweises 43 .
Der Beweis durch Zeugen wird nach den Bestimmungen der Sharia geführt durch das
Zeugnis 44 zweier männlicher Muslime, die
volljährig, im Vollbesitz ihrer geistigen
und körperlichen Fähigkeiten sein und über
einen untadeligen Ruf verfügen müssen (Koran, Sure 2, Vers 282) 45 . Eine über die
Zahl 2 hinausgehende Anzahl von Zeugen ist
nicht entscheidungserheblich 46 .
Es ist sowohl religiöse, als auch staatsbürgerliche Pflicht, sich als Zeuge zur
Verfügung zu stellen 47 . Dies ergibt sich
42
Tyan, Emile, Historie de l’Organisation Judiciaire en Pays d’Islam, Leiden 1960, S. 82.
43
Schacht Joseph, An Introcuction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 190
44
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 236 ff.
45
Schacht Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 193;
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232;
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 61;
Kahn, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 300;
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62;
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 242 ff.
46
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 193.
47
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62;
19
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unmittelbar aus dem Koran, Sure 2, Vers
282: "... Und die Zeugen sollen sich nicht
verweigern...".
Die Pflicht, vollständig auszusagen, nichts
wegzulassen, ergibt sich ebenfalls direkt
aus dem Koran, Sure 2, Vers 283: "Und unterschlagt keine Zeugenaussage...". Der Koran verpflichtet den Zeugen zur unparteiischen Aussage (Sure 5, Vers 8: "...Und der
Hass ... soll euch ja nicht dazu bringen,
dass ihr nicht gerecht seid"; Sure 4, Vers
135: "... Und folgt nicht der persönlichen
Neigung von euch, anstatt, dass ihr gerecht
seid". Verwandtschaftsgrad, Selbstbetroffensein, Reichtum (Macht) des die Aussage
Betreffenden dürfen keinen Einfluss auf die
Zeugenaussage haben (siehe Aufzählung im
Koran, Sure 4, Vers 135). Richtig Zeugnis
abzulegen ist Dienst an Gott (Koran, Sure
25, Vers 72: "Und die wahren Diener des
Barmherzigen sind weiter diejenigen, die
kein falsches Zeugnis ablegen...")
Eine Person, die ein persönliches Interesse
an einem für den Kläger günstigen Ausgang
des Rechtsstreits hat, wird als Zeuge nicht
zugelassen 48 .
Ein solches persönliches Interesse kann unter anderem in einer Feindschaft gegen den
Beklagten oder in Verwandtschaft, Freundschaft oder geschäftlichen Beziehungen zum
Kläger begründet sein 49 . Als Zeuge kommt
ferner nur eine integere Persönlichkeit in
48
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62;
49
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 194;
Baroody, George M., Sharia, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966.
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232.
20
n14857
Betracht 50 . Er muss über einen guten Charakter verfügen, der durch die Erfüllung
seiner religiösen Pflicht zum Ausdruck
kommt 51 .
Hat der Qadi Zweifel an der Integrität des
klägerischen Zeugen, lässt er dessen Aussage nicht zu 52 . Der Kläger kann in einem
solchen Fall den Beweis für die persönliche
Integrität des Zeugen durch entsprechende
Aussagen zweier vertrauenswürdiger Charakterzeugen führen 53 . Hat der Qadi keine
Zweifel an der Integrität der klägerischen
Zeugen und lässt folglich deren Aussagen
zu, kann der Beklagte gleichwohl versuchen,
durch die Aussagen zweier von ihm benannter
Charakterzeugen Zweifel an der Integrität
der klägerischen Zeugen bei Gericht hervorzurufen, was im Erfolgsfall zu einer Nichtbeachtung der Aussagen der klägerischen
Zeugen führt 54 . Diese Art der Führung des
Gegenbeweises überwiegt 55 .
Die Befragung der Zeugen erfolgt grundsätzlich durch den Qadi, der dies auch den Parteien gestatten kann 56 .
Ein Abweichen von dem Grundsatz, dass nur
Tatsachen aus dem Bereich eigener Wahrnehmung bezeugt werden können, ist ausnahms50
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 193;
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247, 249;
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 391 .
51
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, Oxford 1964, S. 232;
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 238.
52
Baroody, George M., Shariah, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966.
53
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 62;
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 239.
54
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232.
55
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63.
56
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 231
21
n14857
weise zulässig, wenn der unmittelbare Zeuge
verstorben ist oder geschäftsunfähig wurde
57
.
Zeugen werden nicht vereidigt
58
.
Stehen nicht zwei Männer als Zeugen zur
Verfügung, kann Beweis auch durch Aussagen
eines männlichen und zweier weiblicher Zeugen geführt werden (Koran, Sure 2, Vers
282:"...Wenn es nicht zwei Männer sein können, dann sollen es ein Mann und zwei Frauen sein, ...") 59 .
Verfügt der Kläger nicht über zwei männliche Zeugen, die seinen anspruchsbegründenden Tatsachenvortrag bestätigen, ist es in
vermögensrechtlichen Streitigkeiten ausreichend, wenn der klägerische Vortrag unter
Eid erfolgt und von einem männlichen beziehungsweise zwei weiblichen Zeugen bestätigt
wird 60 . Der Eid des Klägers tritt an die
Stelle der zweiten Zeugenaussage 61 .
Bei Beweisnot kann der Kläger vom Beklagten
verlangen, dass dieser sein anspruchsbestreitendes Vorbringen unter Eid wiederholt - weigert sich der Beklagte, wird der
Klage stattgegeben 62 . Auf Antrag des Be57
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63;
Lerrick, A. and Mian Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 232.
58
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 190;
Lerrick, A. and Mian, Q.J., siehe oben, S. 232;
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63.
59
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 302;
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 60, 63.
60
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 63;
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 63;
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247.
61
Baroody, George M., Sharia, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966.
62
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 190;
22
n14857
klagten hat dann jedoch der Kläger seinen
anspruchsbegründenden Tatsachenvortrag zu
beeiden 63 . Dem entsprechen die Regelungen in
Artikel 107 bis 111, THE LAW OF PROCEDURE BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21,
19. August 2000).
Der Eid, die Bestätigung im Namen Gottes,
garantiert die Richtigkeit des Vertrags 64 .
Dem Koran (Sure 2, Vers 282; Sure 5, Vers
106) wird das Erfordernis entnommen, dass
der Zeuge grundsätzlich islamischen Glaubens 65 sein muss. Ist ein Ungläubiger Partei, kann er gleichwohl bei Vorliegen oben
genannter Voraussetzungen, selbst Eid ablegen oder dies vom Gegner verlangen 66 .
Indizienbeweis ist grundsätzlich unzulässig
67
.
Der Qadi darf seiner Entscheidung
Kenntnis nicht zugrundelegen 68 .
eigene
Ergibt sich ein non-liquet, ist der Qadi
nicht verpflichtet, den Rechtsstreit zu
entscheiden 69 .
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 234;
Baroody, George M., Sharia, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966;
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 63;
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 64;
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247.
63
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 63; Saleh, Samir, siehe oben, S. 64.
64
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 299.
65
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 61.
66
Baroody, George M., Shariah, Law of Islam, Aramco World, Dhahran Nov/Dec 1966;
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 247.
67
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 192 - 193;
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 62.
68
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 67;
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 235.
69
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 16.
23
n14857
A.7.3. Die „Commissions“
Neben den Qadi-Gerichten gibt es von der
Verwaltung eingerichtete Streiterledigungsstellen, die sog. „Commissions“.
Zu nennen sind hier beispielsweise
-
„Board of Grievances“;
„Negotiable Instruments Offices;
„Commission for the Settlement of Banking Disputes“ und die
Commission for the Settlement of Labor
Disputes”.
Bis 1988 konnten handelsrechtliche Streitigkeiten von der “Commission for the Settlement of Commercial Disputes” entschieden
werden. 1988 wurde diese Aufgabe den „Board
of Grievances“ übertragen (Resolution of
the Council of Ministers No. 241).
Der Board of Grievances (Diwan al Mazalim,
vom arabischen Wort Zalama = ungerecht behandeln) 70 , gilt als eine relativ gut gelungene Adaption einer klassischen islamischen Institution 71 ; er hat seine Wurzeln in
der Anfangsperiode des Kalifats der Abbasiden 72 (750 n.Chr. bis 1258 n.Chr.). Basierend auf dem von den ersten AbbasidenKalifen von den Sassaniden
übernommenen
Vorrecht, sich selbst oder durch Vertreter
73
Beschwerden über die Amtsführung von Qadi
(Richter) anzuhören 74 , bildeten sich bald
70
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 436.
71
Long, David, in The Middle East Journal, Volume XXVII, 1973, S. 71 ff.
72
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 457.
73
al-Mazalim, Master of Complaints; Coulsion; Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 66.
74
Anderson, Norman, Law Reform in the Muslim World, London 1976, S. 14.
24
n14857
förmliche Beschwerdegericht (al-mazalim).
Die richterliche Gewalt von al-Mazalim leitet sich vom Herrscher ab, der nach der
Sharia das Recht hat, sich alle Klagen anzuhören und Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
The Board of Grievances soll eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit begründen
75
. Vorbild der 51 Artikel umfassenden Board
of Grievances Regulations von 1982 ist der
französische Conseil d'Etat 76 und ein ähnliches ägyptisches Gesetz aus dem Jahr
1955. Der Board of Grievances wurde im Königreich Saudi-Arabien förmlich erstmals
1954 als Unterorganisation des Ministerrats
errichtet 77 . Formlos existierte diese Einrichtung seit 1926 in Form einer Art "Kummerkasten", in den jedermann seine in
Schriftform gefassten Beschwerden einwerfen
konnte und dessen Schlüssel König Abdulaziz
bin Abdelrahman Al-Saud selbst verwahrte 78 .
1955 erhielt der Board of Grievances den
Status einer autonomen Institution 79 .
Eine der Hauptursachen für die Entwicklung
der klassischen Mazalim-Gerichtsbarkeit war
die Bindung der Qadi-Gerichte an die Beweis- und Verfahrensregeln der Sharia 80 .
Daran sollten die Mazalim-Gerichte nicht
gebunden sein 81 . Auch wenn nicht ausdrücklich in den Board of Grievances Regulations
normiert, so gilt ebenso der moderne Board
75
The Board of Grievances Regulations, Artikel 1.
76
Lerrick A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 258.
77
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 251.
78
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 251.
79
Saudi Royal Decree No 2/13/9759 vom 17.9.1374 A.H.
80
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 67.
81
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 256.
25
n14857
of Grievances als in seiner Entscheidungsfindung relativ frei 82 .
Der Board of Grievances ist für alle Angelegenheiten zuständig, die in Artikel 8, 1.
Absatz des LAW OF THE BOARD Of GRIEVANCES
(Royal Decree No. M/51/10. Mai 1982) 83 aufgeführt sind. Darüber hinaus ist der Board
of Grievances gemäß Artikel 8, 2. Absatz
des LAW OF THE BOARD OF GRIEVANCES zuständig, die ihm durch den Ministerrat zugewiesen werden.
Rechtsgrundlage sowohl für die Errichtung
der Commissions als auch für die QadiGerichtsbarkeit ist das Eintritts- und Delegationsrecht der Herrschers. In einer
Fiktion macht nun der König von seinem Eintrittsrecht Gebrauch und delegiert die zurückgewonnene Kompetenz an seine Hilfspersonen, an den Qadi bzw. über das zuständige
Ministerium an die betreffende Commission.
Bei handelsrechtlichen Streitigkeiten hat
der Kläger die Wahl zwischen „Board of
Grievances“ und Qadi.
Daraus folgt, dass grundsätzlich die Gefahr
von Überschneidungen besteht. Artikel 29
THE LAW OF THE JUDICIARY (Royal Decree No.
M/64/23. Juli 1975 84 bestimmt deshalb, dass
bei Überschneidungen ein “Jurisdictional
Conflict Committee“ entscheiden soll. Eine
Überschneidung könnte sich beispielsweise
daraus ergeben, dass der Kläger den Board
82
Klingmüller, Vertragspraxis und Streiterledigung im Wirtschaftsverkehr mit arabischen Staaten, Köln 1981, S. 14; Long, David,
in The Middle East Journal, Volume XXVII, 1973, S. 72.
83
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net).
84
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net).
26
n14857
of Grievances anruft und der Beklagte seine, dieselbe Angelegenheit betreffenden Gegenansprüche gegen den Kläger vor einem Qadi-Gericht geltend macht, oder der Kläger
sich gleichzeitig an beide Institutionen
wendet.
A.7.4. Die rechtliche Stellung der Ausländer vor
saudiarabischen staatlichen Gerichten und
Schiedsgerichten
Die Sharia unterscheidet zwischen drei
Gruppen von Ungläubigen: Dhimmis, Harbis
und Mustamin. Fraglich ist, ob alle drei
Gruppen von Ungläubigen gleichermaßen ein
Recht auf Zugang zur saudiarabischen Gerichtsbarkeit haben.
Artikel 47, Satz 1 THE BASIC LAW OF GOVERNANCE 85 lautet:
“All people, either citizens or
residents in the Kingdom, are entitled to file suit on an equal basis.”
Diese Bestimmung erfasst jedoch nur Dhimmis
(die sich ständig in dar al-Islam aufhaltenden Nicht-Muslime), nicht aber Harbis
(ungläubige Ausländer mit Sitz außerhalb
Saudi-Arabiens) und nicht Mustamin (ungläubige Ausländer, die sich nur für eine begrenzte Dauer in Saudi-Arabien aufhalten).
Die Artikel 24 bis 30 THE LAW OF PROCEDURE
BEFORE SHARI’AH COURTS (Royal Decree No.
M/21, 19. August 2000) 86 regeln zwar aus85
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
86
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
27
n14857
drücklich, wer vor saudiarabischen Gerichten verklagt werden kann, schweigen sich
jedoch darüber aus, welchen Anforderungen
diesbezüglich der Kläger zu entsprechen
hat.
Diese „Zurückhaltung“ ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Hanbali-Rechtsschule
die Durchführung eines Gerichtsverfahrens,
bei dem der Kläger „Ungläubiger“ ist, in
das Ermessen des Richters stellt 87 .
Diese Lücke schafft Rechtsunsicherheit, die
es zu berücksichtigen gilt .
A.8.
Doppelte Prozessführung in der Bundesrepublik Deutschland und Saudi-Arabien
A.8.1. Saudiarabische staatliche Gerichte werden
die Einrede der entgegenstehenden anderweitigen Rechtshängigkeit eines Prozesses in
der Bundesrepublik Deutschland über den
gleichen Streitgegenstand mangels wirksamer
Derogation ihrer Zuständigkeit (siehe oben
A.4.4.) nicht beachten.
A.8.2. Deutsche staatliche Gerichte werden die
Einrede der entgegenstehenden anderweitigen
Rechtshängigkeit eines Prozesses in Saudiarabien über den gleichen Streitgegenstand
(§ 261 III ZPO) mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO; siehe oben Ziffer 3) zurückweisen. 88
87
Saleh Samir, Commercial Arbitration in the Arab Middle East, London 1984, Seite 34.
88
Geimer, Internationales Zivilrecht, 5. Auflage, RN 2688, Seite 833
28
n14857
TEIL B: SCHIEDSGERICHTSBARKEIT
B.1.
Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle Recht, falls die Vertragsparteien
eine Rechtswahl getroffen haben
Schiedsgerichte sind keinem System staatlicher Kollisionsrechte (Internationales Privatrecht) unterworfen. Die in einer nationalen Rechtsordnung enthaltenen Kollisionsrechte sind auf die Schiedsgerichtsbarkeit
nicht anwendbar, weil „das allgemeine Kollisionsrecht seinem Wesen nach eine Anweisung an die staatlichen Gerichte ist 89 .
Die Anwendung des von den Parteien gewählten materiellen Rechts durch das internationale Schiedsgericht erfolgt nicht auf der
Grundlage
staatlicher
Kollisionsrechte,
sondern aufgrund der Freiheit der Parteien
in der Wahl des anzuwendenden materiellen
Rechts, einem weltweit anerkannten Prinzip
transnationalen Recht bzw. des transnationalen Ordre public.
Liegt der Schiedsort in Deutschland, findet
das von den Parteien gewählte Recht gemäß
§§ 1025, 1051 I ZPO Anwendung, wobei diesen
Bestimmungen im Hinblick auf die obigen
Ausführungen
lediglich
deklaratorischer
Charakter zukommt.
89
Stein/Jonas, 22. Auflage, § 1051 ZPO, RN 2;
Andreas Bucher, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, RN 226, 243 und 310;
ICC Case 1689;
ICC Case 1512.
29
n14857
B.2.
Das durch das Schiedsgericht anwendbare materielle Recht, falls die Vertragsparteien
einer Rechtswahl nicht getroffen haben
Bezüglich der Nichtanwendbarkeit staatlicher Kollisionsrechte wird verwiesen auf
die Ausführungen in Ziffer 1 oben.
Schiedsgerichte haben das auf die Streitsache anzuwendende Recht „nach einer der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit eigenen Methode zu bestimmen“ 90 .
Dieses Prinzip hat Eingang gefunden in
zahlreiche internationale Schiedsgerichtsordnungen:
EUROPEAN CONVENTION ON INTERNATIONAL COMMERCIAL ARBITRATION (1961), Article VII.1;
UNCITRAL-RULES (1976), Article 33 (1);
VIENNA-RULES (2001), Article 16 (1);
STOCKHOLM-RULES (1999), Article 24 (1) und
24 (2) und
ICC-RULES (1998), Article 17 (1):
Liegt der Schiedsort in Deutschland, bestimmt sich das anwendbare Recht gemäß §§
1025, 1051 II ZPO (das Recht des Staates,
90
Andreas Bucher, Die neuen internationale Schiedsgerichtsbarkeit in de Schweiz, RN 226, 243 und 310;
ICC Case 1689;
ICC Case 1512.
30
n14857
mit dem der Gegenstand des Verfahrens die
engsten Verbindungen aufweist).
B.3.
Anerkennungsfähigkeit
in Deutschland
von
Schiedssprüchen
B.3.1. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche richtet sich nach § 1061 ZPO, der verweist auf das New Yorker Übereinkommen von
1958 über die Anerkennung und Vollstreckung
ausländischer Schiedssprüche. Deutschland
hat den nach Artikel I Absatz 3 des Übereinkommens erklärten Gegenseitigkeitsvorbehalt zurückgenommen. Das vorgenannte Übereinkommen gilt somit für alle ausländischen
Schiedssprüche, unabhängig davon, ob sie in
dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates ergangen sind oder nicht.
B.3.2. Die Anerkennung inländischer Schiedssprüche
(§§ 1025 ZPO) richtet sich nach § 1060 ZPO.
B.4.
Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen
Schiedsspruches in Saudi-Arabien
Mit Royal Decree No. M/11 (30. Dezember
1993) hat Saudi-Arabien das “Übereinkommen
über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („The 1958 New
York Convention“) ratifiziert (in Kraft getreten am 18. Juli 1994).
Artikel 8, 1. Absatz (g) des „LAW OF THE
BOARD OF GRIEVANCES“ (Royal Decree No.
M/51/10. Mai 1982) 91 , der ausdrücklich nur
91
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
31
n14857
die
Vollstreckbarerklärung
ausländischer
Urteile nennt, ist nach herrschender Meinung auch auf ausländische Schiedssprüche
anwendbar 92 . Damit fällt die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche in
den Zuständigkeitsbereich des Board of
Grievances.
Artikel V.2.b der 1958 New York Convention
lautet:
„Die Anerkennung und Vollstreckung eines
Schiedsspruchs darf auch versagt werden,
wenn die zuständige Behörde des Landes, in
dem die Anerkennung und Vollstreckung nachgesucht wird, feststellt ...
dass die Anerkennung oder Vollstreckung des
Schiedsspruchs
der
öffentlichen
Ordnung
dieses Landes widersprechen würde.“
Aufgrund dieser Regelung versagt der Board
of Grievances regelmäßig die Vollstreckbarerklärung
ausländischer
Schiedssprüche,
wenn diese nicht in Einklang mit der Sharia
stehen.
Dadurch hat der Beitritt Saudi-Arabiens zur
New York Convention 1958 bezüglich der Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung
ausländischer
Schiedssprüche
in
SaudiArabien praktisch nichts geändert.
Nach Auskunft von Herrn Professor Dr. Hilmar Krüger, Institut für internationales
und ausländisches Privatrecht der Universi92
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982, S. 196.
32
n14857
tät zu Köln vom 07. August 2006 wurde nach
dessen Kenntnisstand bislang kein ausländischer Schiedsspruch in Saudi-Arabien anerkannt.
B.5.
Schiedsgerichtliches Verfahren mit Schiedsort in Saudi-Arabien
Die Schiedsgerichtsbarkeit ist in SaudiArabien geregelt in der Schiedsverordnung
No. M46/ (12 Rajab 1403/25. April 1983) 93
und der hierzu erlassenen Durchführungsverordnung (27. Mai 1985) 94 .
Gemäß Artikel 5 und 6 der Schiedsverordnung
M/46 ist vor Beginn des Schiedsverfahrens
bei dem staatlichen Gericht die Genehmigung
zur Durchführung eines Schiedsverfahrens zu
beantragen. Die Durchführungsverordnung zur
Schiedsverordnung M/46 sieht in Artikel 6 95
zwei Alternativen für die Antragstellung
vor. Bei der ersten Alternative legen die
Streitparteien ein Schiedsdokument vor, in
dem sie sich nach Streitentstehung einvernehmlich auf einen oder mehrere Schiedsrichter (und damit auf eine schiedsgerichtliche Streiterledigung)geeinigt haben. Bei
der zweiten Alternative genügt es, wenn eine Partei einen Vertrag vorlegt, in dem
sich die Parteien in einer Schiedsklausel
darauf geeinigt haben, Streitigkeiten aus
93
94
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
Länderbericht zur Saudi-Arabien von Turck, Nancy B. in Paulsson, Jan (Hg.): „International Handbook on Commercial Arbitration“, Bd. 3, Loseblatt
95
Artikel 6 des Entwurfs der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 lautet in deutscher Übersetzung vcn Dr. Talib
Al-Sultan, München:
"Die Parteien setzen den oder die Schiedsrichter einvernehmlich ein und halten diese Einsetzung in einem Schiedsdokument
fest, in der der Gegenstand des Streits genügend eingegrenzt wird und die Namen der Schiedsrichter aufgeführt werden (1. Alternative).
Es kann auch eine Vereinbarung über das Schiedsgericht gemäß einer Schiedsklausel in einem Vertrag betreffs der Streitigkeiten, die aus der Erfüllung dieses Vertrages entstehen, getroffen werden (2. Alternative) " .
33
n14857
diesem Vertrag durch ein Schiedsgericht
entscheiden zu lassen. Dies gilt dann auch
als Schiedsdokument. Als Anlagen zum Antrag
sind folgende Dokumente beizufügen: das
Schiedsdokument,
eine
Schilderung
des
Streitgegenstandes und die Erklärung der
Schiedsrichter, bei der Streiterledigung
mitzuwirken. Bei Erfüllung dieser Erfordernisse
hat
das
staatliche
Gericht
die
Schiedsvereinbarung zu registrieren und die
erforderliche Genehmigung zur Durchführung
des Schiedsverfahrens zu erteilen.
Inwieweit eine schiedswillige Partei einen
gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen
die schiedsunwillige Partei auf Durchführung
des
vereinbarten
Schiedsverfahrens
hat, wenn letztere sich weigert, den oben
geschilderten Antrag zu stellen, ist in der
Schiedsverordnung M/46 nicht normiert.
Artikel 18 96 der Durchführungsverordnung
zur Schiedsverordnung M/46 bringt insoweit
auch keine befriedigende Klärung, denn danach kann eine Entscheidung in Abwesenheit
einer Partei nur unter bestimmten Voraussetzungen ergehen.
96
Artikel 18 der Durchführungsverordung M/64 in deutscher Übersetzung von Dr. Talib AI-Sultan, München:
"Bleibt eine Partei der ersten Sitzung fern, wobei das Schiedsgericht feststellt, dass die Partei persönlich durch Zustellung geladen wurde, kann das Schiedsgericht eine Entscheidung über den Streit treffen, wenn die Parteien ihre Anträge, Verteidigungen, Erwiderungen und Unterlagen der Schiedsakte bereits zugeleitet haben. Der Beschluß gilt in diesem Fall als in Anwesenheit ergangen. Ist die Partei nicht persönlich geladen, hat das Schiedsgericht die Sitzung auszusetzen und die abwesende
Partei persönlich zu laden. Sind die Beklagten mehrere Parteien, wobei einige von ihnen persönlich geladen wurden und einige
nicht und bleiben einige von ihnen oder sie alle der Sitzung fern, hat das Schiedsgericht - nicht aber in eiligen Fällen - die
Sitzung auszusetzen und diejenigen, die nicht persönlich geladen wurden, persönlich zu laden. Der Beschluß gilt dann auf der
nächsten Sitzung als in Anwesenheit ergangen, auch für die, die nicht an dieser Sitzung erschienen.
Ein Beschluß gilt als in Anwesenheit ergangen, falls die entsprechende Partei oder ihr Vertreter an irgendeiner Sitzung erscheinen, ihre Verteidigung in dem Verfahren oder eine Unterlage dafür hinterlegen. Erscheint die abwesende Partei an der
jeweiligen Sitzung bevor die Sitzung geschlossen wird, gelten alle Beschlüsse, die in dieser Sitzung ergangen sind, als gegenstandslos" .
34
n14857
Dies wirft einen Schatten auf die in Artikel 1 der Schiedsverordnung M/46 und die in
Artikel 6 Absatz 2 ihrer Durchführungsverordnung erfolgte Klarstellung, dass als
Schiedsvereinbarung nicht nur nach Streitentstehung
geschlossene
Schiedsverträge,
sondern auch vertragliche Schiedsklauseln,
also Schiedsabreden vor Streitentstehung,
anerkannt werden.
Diese Klarstellung war erforderlich, da der
Sharia Schiedsklauseln unbekannt sind und
die Schiedsgerichtsbarkeit immer nur im Zusammenhang mit bereits entstandenen Streitigkeiten erwähnt wird 97 .
Gleichwohl kann in dieser Regelung keine
Durchbrechung des Grundsatzes des Vorranges
der Sharia gesehen werden, da diese zum einen an keiner Stelle ein entsprechendes
Verbot aufweist und zum anderen die in Saudi-Arabien zur Anwendung kommende HanbaliRechtsschule ein hohes Maß an Vertragsfreiheit kennt 98 .
Um sicherzustellen, dass das oben erwähnte
zuständige staatliche Gericht nach Vorliegen des Schiedsspruches diesen gemäß Artikel 20 der Schiedsverordnung M/46 für vollstreckbar erklärt, erscheint die Einholung
der Genehmigung durch das staatliche Gericht zur Durchführung des Schiedsverfahrens vor dessen Beginn unumgänglich.
Erst nach Vorliegen der Genehmigung, die
den Beginn des Schiedsverfahrens markiert,
ist die Schiedsrichterbenennung gemäß Arti97
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 48.
98
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 298.
35
n14857
kel 11 der Schiedsverordnung M/46 unwiderruflich.
Die
Unwiderruflichkeit
der
Schiedsrichterbenennung steht in Einklang
mit
islamischen
Recht
der
Hanbali99
Rechtsschule . Die nach der Schiedsverordnung M/46 erforderliche Genehmigung fixiert
den Beginn des Schiedsverfahrens und bedingt damit die Unwiderruflichkeit der
Schiedsrichterbenennung sowohl nach Artikel
11 der Schiedsverordnung M/46 als auch nach
islamischem Recht der Hanbali-Rechtsschule.
Es ist ein von allen Schulen islamischen
Rechts anerkannter Grundsatz, dass der
Schiedsrichter grundsätzlich den gleichen
Anforderungen wie ein Qadi genügen muss,
das heißt, er muss volljährig, männlichen
Geschlechts, islamischen Glaubens, im Vollbesitz körperlicher und geistiger Gesundheit und der Sharia kundig sein sowie über
Sachkunde und einem über jeden Zweifel erhabenen Leumund verfügen 100 .
Demgegenüber nennt Artikel 4 der Schiedsverordnung M/46 als erforderliche Qualifikationen nur Volljährigkeit, Sachkunde und
einen untadeligen Leumund. Nicht erwähnt
wird unter anderem das Erfordernis, dass
der Schiedsrichter dem islamischen Glauben
angehört. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Frage, ob das die Genehmigung zur Durchführung des Schiedsverfahrens
erteilende staatliche Gericht diese verweigern wird, wenn einer der vorgeschlagenen
Schiedsrichter kein Moslem ist.
99
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 24.
100
Saleh, Sarnir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 36 ff.
36
n14857
Es ist davon auszugehen, dass die in Artikel 4 der Schiedsverordnung M/46 erfolgte
Aufzählung von Qualifikationen nicht zufällig, aus der Sicht islamischen Rechts, unvollständig ist. Vielmehr ist die Frage zu
stellen, weshalb nicht alle Anforderungen
genannt wurden. Wie an anderer Stelle ausgeführt, verbietet der Vorrang der Sharia,
dass in Verordnungen aufgenommene Regelungen im Gegensatz zu ihr stehen. Deshalb
konnte schwerlich eine Regelung aufgenommen
werden, dass Schiedsrichter auch NichtMuslime sein können. An dieser Stelle soll
in Erinnerung gebracht werden, dass für die
Erteilung der Genehmigung zur Durchführung
des Schiedsverfahrens diejenigen staatlichen Gerichte zuständig sind, die ohne
Schiedsabrede zur Entscheidung berufen wären, also Qadi-Gerichte oder eine der zahlreichen Commissions. Die Verfasser der
Schiedsverordnung M/46 spekulierten wohl
darauf, dass die Qadi-Gerichte, was ohnehin
nicht vermeidbar gewesen wäre, zusätzlich
auf die nicht genannten Schiedsrichterqualifikationen bestehen würden; gleichzeitig
hofften sie wohl darauf, dass die weltlichen Commissions sich darauf beschränken
würden, am Wortlaut des Artikel 4 der
Schiedsverordnung M/46 festzuhalten. SaudiArabien hat zwar einerseits zum Schiedsgerichtswesen eher ein distanziertes Verhältnis, das sich auch in der erwähnten Begleitung des Schiedsverfahrens durch staatliche
Gerichte widerspiegelt. Andererseits hätte
jedoch ein Festhalten am Erfordernis, dass
jeder Schiedsrichter Moslem sein muss, die
unerwünschte Konsequenz, dass in SaudiArabien praktisch keine Schiedsverfahren
mehr durchgeführt werden würden, an der
37
n14857
ausländische (westliche) Vertragsparteien
beteiligt sind, denn ihnen wäre es verwehrt, Schiedsrichter ihres Kulturkreises
zu benennen.
Für diese Interpretation spricht auch der
Wortlaut des Artikel 3 Satz 1 der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46
101
.
Die genannten Personenkreise "einheimische
(saudiarabische Staats) Bürger", "ausländische Muslime " und "andere" stehen nicht
gleichwertig nebeneinander, sondern in einem abgestuften Präferenzverhältnis. Danach
hat der Verordnungstext folgende Bedeutung:
Schiedsrichter muss grundsätzlich ein saudiarabischer Staatsbürger (und damit ein
saudiarabischer Moslem) sein. Ausnahmsweise
(z.B. bei Auslandsberührung des Streitstoffes) kann es auch ein ausländischer Moslem
sein. Notfalls kann es dann auch "ein anderer" sein. Somit ist klargestellt, dass
Nicht-Muslime nicht "per se" vom Schiedsrichteramt ausgeschlossen sind.
Artikel
9
der
Schiedsverordnung
M/46
schreibt eine zeitliche Begrenzung für die
Durchführung des Schiedsverfahrens vor. Artikel 15 der Schiedsverordnung M/46 eröffnet die Möglichkeit der Fristverlängerung.
Artikel 10 der Schiedsverordnung M/46 regelt unter den dort genannten Voraussetzun-
101
Artikel 3 Satz 1 des Entwurfs der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 lautet in deutscher Übersetzung von
Dr. Talib AI-Sultan, München:
"Der Schiedsrichter muß aus den Reihen der einheimischen Bürger kommen oder ein ausländischer Moslem, der freiberuflich
tätig ist, oder ein anderer, sein".
38
n14857
gen die Mitwirkung des staatlichen Gerichts
bei der Schiedsrichterbestellung.
Artikel 12 der Schiedsverordnung M/46 regelt die Schiedsrichterablehnung.
Artikel 16 der Schiedsverordnung M/46 bestimmt, dass der Schiedsspruch mit der
Mehrheit der Stimmen der Schiedsrichter ergeht. Der letzte Satz in Artikel 3 der
Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 normiert für den Vorsitzenden eines aus mehreren Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgerichts bestimmte Qualifikationen 102 . Dies bedeutet insoweit eine Klarstellung, als das islamische Recht nach der
Hanbali-Rechtsschule
eine
Mehrheit
von
Schiedsrichtern nicht kennt, dies allerdings auch nicht verbietet 103 .
Artikel
17
der
Schiedsverordnung
M/46
schreibt den Inhalt des Schiedsspruches
vor.
Artikel 18 der Schiedsverordnung M/46 ordnet die Vorlage des Schiedsspruches zum
staatlichen Gericht an.
Gemäß Artikel 18 und 19 der Schiedsverordnung M/46 können die Parteien ferner gegen
den Schiedsspruch Berufung zum staatlichen
Gericht einlegen mit der Folge, dass das
angerufene staatliche Gericht den Schiedsspruch vollumfänglich, sowohl in tatsächli102
Artikel 3 letzter Satz des Entwurfs der Durchführungsverordnung zur Schiedsverordnung M/46 lautet in deutscher Übersetzung
von Dr. Talib Al-Sulatan, München:
"Bei mehreren Schiedsrichtern muß deren Vorsitzender die religiösen Grundlagen, die Handelsverordnungen und die Sitten und
Gebräuche, die in dem Königreich gültig sind, kennen".
103
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 53-54;
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d'Islam, Leiden 1960, S. 212.
39
n14857
cher als auch in rechtlicher Hinsicht überprüft und durch Urteil entscheidet 104 .
104
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 318-319.
40
n14857
TEIL C: QUELLEN SAUDIARABISCHEN RECHTS
Article 48 des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993 („THE BASIC LAW OF GOVERNANCE“) bestimmt 105 :
„The Courts shall apply rules of
the Islamic Sharia in cases that
are brought before them, according
to the Holy Qur’an and the Sunna,
and according to the laws which are
decreed by the ruler in agreement
with
the
Holy
Qur’an
and
the
Sunna.”
Die gleiche Regelung ist enthalten in Artikel 1 von “THE LAW OF PROCEDURE BEFORE
SHARI’AH COURTS (Royal Decree No. M/21; 19.
August 2000) 106 .
Danach sind Bestandteil des heute in SaudiArabien anwendbaren materiellen Rechts
(i) die Sharia (beschränkt auf die Rechtsquellen Koran und Sunna) und
(ii) (königliches) Verordnungsrecht in den
Grenzen der Sharia.
C.1.
Sharia
105
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
106
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
41
n14857
Grundpfeiler des heute in Saudi-Arabien anwendbaren materiellen Rechts ist somit die
(islamische) „Sharia“.
Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Sharia war "Weg zur Wasserstelle" 107 , also der
Weg, der in der Wüste das Überleben sicherte. Das Wort Sharia erlangte die Bedeutung
von "Weg, den Gott den Menschen vorschreibt" 108 .
Die Sharia ist die Gesamtheit aller Verbote
und Gebote Gottes, die sowohl das Verhältnis des Menschen zu Gott als auch die Beziehungen
der
Menschen
untereinander
betreffen. Aus den letzteren entwickelt
sich das positive Gesetz, das Gegenstand
islamischer Rechtswissenschaft (Fiqh) ist
109
.
Grundsätzlich kennt die Sharia vier Hauptquellen. Diese sind Koran, Sunna, Ijma und
Qiyas.
Demgemäß bestimmt Article 45 Satz 1 des
saudiarabischen
Grundgesetzes
von
1993
110
(„THE BASIC LAW OF GOVERNANCE“)
:
„The Holy Qur’an and the Sunna of
God’s Messenger shall be the source
for fatwas.“
C.1.1. Der Koran
107
Anderson, Norman, Law Reform in the Muslim World, London 1976, S. 3;
Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 2;
Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 17.
108
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 22.
109
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 45.
110
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net)
42
n14857
Der Koran ist die Rechtsquelle von höchster
Autorität.
Durch die Offenbarungen des Korans, empfangen vom Propheten Mohammed, übermittelt
durch den Erzengel Gabriel, spricht Gott in
seiner eigenen Sprache zu den Menschen 111 .
Mohammed, Mitglied des mächtigen Stammes
der Quraish, wurde um 570 n. Chr. geboren
und starb 632 n. Chr. Zu predigen begann
Mohammed um 613 n. Chr. Seine Flucht aus
Mekka 622 n. Chr. markiert den Beginn islamischer Zeitrechnung. 112
Die koranischen Offenbarungen erfolgten an
verschiedenen Orten auf einen Zeitraum von 20
bis 25 Jahren verteilt. 113
Der 86.430 Wörter 114 umfassende Koran (von
arab. "Qar'an" ="Lesung, Vortrag") ist eingeteilt in 114 Suren (von arab. "Sura"
="den Menschen anspringende"). Diese Suren
(Kapitel), jeweils mit einem Namen bezeichnet, sind unterteilt in Verse (Ayats). Je
nach Unterteilung schwankt die Anzahl der
Verse zwischen 6219 115 und 6236 116 .
111
112
Koran, Sure 53, Vers 4: "(Der Koran) ist nichts anderes als eine inspirierte Offenbarung".
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 70;
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 38;
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 44;
Doi, Abdar Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 22: 22 Jahre, 2 Monate, 22 Tage.
113
Koran, Sure 17, Vers 106: "(Es ist) ein Koran, den wir abgeteilt haben, damit du ihn den Menschen in aller Ruhe vortragen
kannst".
114
115
Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 21.
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 12;
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 24.
116
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 70.
43
n14857
Die Suren sind entsprechend ihrer Länge geordnet. Dieses Ordnungssystem wurde gewählt, da die Reihenfolge zum Zeitpunkt der
Aufzeichnung nicht mehr genau feststellbar
war.
Die Anordnung der Verse entspricht nicht
der zeitlichen Reihenfolge ihrer Offenbarung, sondern entspringt göttlicher Eingebung Mohammeds.
Die während des Kalifats von Abu Bakr (gestorben 634 n. Chr.) unter Leitung eines
ehemaligen Schreibers des Propheten Zaid
ibn Thabit begonnene systematische Aufzeichnung und Redaktion des Korantextes
wurde in der Regierungszeit des dritten Kalifen Osman (gestorben 656 n. Chr.) beendet
117
.
Die fünf zentralen Glaubensartikel des Islam sind im Koran niedergelegt:
1.
2.
3.
4.
5.
Die
Der
Der
Der
Der
Einheit Gottes 118
Glaube an Gottes Engel 119
Glaube an die Propheten Gottes 120
Glaube an die Bücher Gottes 121
Glaube an das Jüngste Gericht 122 .
Mohammed verstand sich nicht als Begründer
einer Religion, sondern als ihr letzter
117
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 39;
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 46-48.
118
Koran, Sure 2, Vers 22: "Darum behauptet nicht, dass Gott seinesgleichen habe,...".
119
Koran, z.B. Sure 3, Vers 80; Sure 8, Vers 12; Sure 13, Vers 13; Sure 17, Vers 95.
120
Koran, z.B. Sure 4, Vers 164; Sure 42, Vers 13.
121
Koran, für viele Stellen Sure 2, Vers 2: "Dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist,...".
122
Koran, für viele Stellen Sure 18, Vers 47: "Und am Tag des Gerichts .... und wir sie versammeln und nicht einen von ihnen
auslassen! ".
44
n14857
Prophet 123 : "Heute habe ich euch eure Religion vervollständigt. ..." (Koran, Sure 5,
Vers 4). Diese letzte Botschaft war an alle
Völker für alle Zeiten gerichtet 124 .
Mohammeds primäres Ziel war nicht die
Schaffung eines Gesetzeswerks, sondern er
wollte den Menschen zeigen, welches Verhalten Gott mit dem Paradies belohnt 125 . Von
den mehr als 6000 Versen beschäftigen sich
lediglich circa 600 mit Rechtsfragen 126 .
Die meisten rechtlichen Regelungen beziehen
sich neben Familien- und Erbrecht auf das
Strafrecht 127 .
Aufgrund der im Koran enthaltenen Gebote
und Verbote wurde das menschliche Verhalten
in fünf Kategorien 128 eingeteilt: 1. die
Pflicht (Wajib) 129 , 2. das Verbotene (Haram) 130 , 3. das Anempfohlene (Mandub) 131 , 4.
das Missbilligte (Makruh) 132 , 5. das Erlaubte (Mubah/Halal) 133 .
Dabei gilt, dass Handlungen, die nicht ausdrücklich verboten sind oder in einem Un123
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 32.
124
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 21.
125
Kay, Ernest, Legal Aspects of Business in Saudi Arabia, London 1979, S. 7.
126
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 12.
127
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 40.
128
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 64;
Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 17;
Andersen, Norman, Law Reform in the Muslim World, London, 1976, S. 3;
Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 50.
129
Koran, z.B. Sure 2, Vers 183.
130
Koran, z.B. Sure 6, Vers 151.
131
Koran, z.B. Sure 2, Vers 282.
132
Koran, z.B. Sure 62, Vers 9.
133
Koran, z.B. Sure 2, Vers 60.
45
n14857
terlassen des Gebotenen bestehen, erlaubt
sind 134 .
Der Koran ist kein Werk mit abschließender
Regelung, das keiner Interpretation zugänglich ist 135 .
An zahlreichen Stellen des Korans werden
die Menschen aufgefordert nachzudenken, zu
verstehen und ihren Verstand zu gebrauchen
136
.
C.1.2. Sunna
Gott hat sich den Menschen durch den Propheten Mohammed auf zwei verschiedene Arten
offenbart: Erste Quelle göttlicher Offenbarung ist der Koran, das Wort Gottes, das
der Prophet lediglich als Bote überbrachte,
Gottes eigene Worte. Die zweite Quelle
göttlicher Offenbarung 137 ist die Sunna des
Propheten, das als modellhaftes Vorbild 138 zu
134
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 62;
Koran, Sure 7, Vers 157:"...und der ihnen gebietet, was recht ist, verbietet, was verwerflich ist, die guten Dinge für erlaubt und
die schlechten für verboten erklärt".
135
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 27, 4 0ff;
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 62;
Khan, Rashid Ahamd, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 53;
Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 20.
136
Koran, Sure 2, Vers 44, 164, 219, 242;
Koran, Sure 3, Vers 118;
Koran, Sure 6, Vers 151;
Koran, Sure 7, Vers 169;
Koran, Sure 12, Vers 2;
Koran, Sure 21, Vers 10;
Koran, Sure 38, Vers 29.
137
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 4.
138
Schacht, Joseph, The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1959, S. 59;
Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 48.
46
n14857
verstehende Gesamtverhalten des Propheten, die
Art und Weise, wie Mohammed in der Gemeinde
lebte. Darunter fällt alles, was der Prophet
in eigener Sprache 139 (in Abgrenzung zum
Koran, der Sprache Gottes) gesagt, getan
und stillschweigend gebilligt hatte 140 .
Das Wort Sunna kann mit "Verfahrensweise"
141
übersetzt werden und bedeutet soviel wie
Gewohnheit, Überlieferung, Brauchtum 142 ,
Bindung an früher geübte Praxis 143 . In vorislamischer Zeit gab es den Begriff "Praxis
der Gemeinde" (Sunnat al-umma) 144.
Als Rechtsquelle ist die Sunna des Propheten (Sunnat al-nabi) zweitrangig nach dem
Koran und ergänzt diesen 145 .
Drei Arten von Sunna werden unterschieden:
1. diejenige, die mit dem Koran deckungsgleich ist,
2. diejenige, die den Koran erklärt und
3.
diejenige,
die
primäre
Regelungen
146
schafft
.
Ihre gesetzmäßige Gültigkeit ist durch
zahlreiche Koranstellen belegbar 147 , z.B.
139
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 71.
140
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 25;
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 43.
141
142
Ramadan, Said, siehe oben, S. 41.
Baradie, Adel El, siehe oben, S. 25;
Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 49.
143
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 17;
Schacht, Joseph, The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1959, S. 58.
144
Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 20.
145
Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 19.
146
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 26.
147
Koran, Sure 3, Vers 132;
47
n14857
Koran, Sure 3, Vers 32: "Gehorcht Gott und
dem Gesandten! . ."
Dieses Verhalten des Propheten (Sunna) ist
festgehalten in Berichten (Hadith) 148 , die
durch eine Kette vertrauenswürdiger Personen (Isnad) weitergegeben und gesammelt
wurden 149 .
Als Überlieferer kommen nur integere, vollgeschäftsfähige und mit einem anerkannt guten Gedächtnis ausgestattete Muslime in Betracht 150 .
Die Überlieferungskette Isnad, die jedem
Hadith vorausgeht 151 , muss grundsätzlich
ununterbrochen sein und zu einem Mitglied
einer der folgenden drei Personengruppen
als ursprünglichem Übermittler 152 führen 153 :
Koran, Sure 4, Vers 59;
Koran, Sure 4, Vers 64;
Koran, Sure 4, Vers 69;
Koran, Sure 4, Vers 80;
Koran, Sure 8, Vers 1;
Koran, Sure 8, Vers 20;
Koran, Sure 8, Vers 46;
Koran, Sure 24, Vers 54;
Koran, Sure 33, Vers 36;
Koran, Sure 58, Vers 13.
148
Coulson, Noel J., Islamic Jurisprudence, Chicago 1969, S. 5;
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 14;
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 26;
Fyzee, Asaf A.A., Outlines of Muhammadan Law, Delhi 1949, S. 15.
149
Ramadan, Said, Das Islamsiche Recht, Wiesbaden 1980, S. 46.
150
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 73.
151
Kay, Ernest, Legal Aspects of Business in Saudi Arabia, London 1979, S. 8;
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 14;
Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 54.
152
Anderson, Norman, Law Reform in the Mus-lim World, London 1976, S. 8;
Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 55.
48
n14857
Gefährten des Propheten, also Menschen, die
persönlich mit dem Propheten in Kontakt gekommen waren; 2. Nachfolger der Gefährten
des Propheten, das sind Menschen, die mit
den Gefährten des Propheten in Kontakt gekommen waren; 3. Menschen, die mit den
Nachfolgern der Gefährten des Propheten in
Kontakt gekommen waren 154 .
Es wird zwischen drei Klassen prophetischer
Überlieferungen unterschieden: 1. solche,
die von Hadith, die auf alle drei oben genannte Personengruppen zurückgeführt werden, übereinstimmend bestätigt werden; 2.
solche, die von Hadiths einer begrenzten
Zahl der Gefährten des Propheten, bestätigt
werden; 3. und solche die nur von einzelnen
Hadiths bestätigt werden 155 .
C.1.3. Sharia und die rechtliche Stellung der Ausländer als Vertragspartei
Die enge Verbindung zwischen Recht und Religion lässt die Frage nicht abwegig erscheinen, ob und ggf. mit welchen Diskriminierungen der ausländische (deutsche, vermutlich nicht-muslimische) Exporteur bei
der Anwendung saudiarabischen materiellen
Rechts und damit der Sharia auf den Liefervertrag rechnen muss.
153
Doi, Abdur Rahman I., Sharia: The Islamic Law, London 1984, S. 52. (z.B.: "Es berichtete mir von A von B von C, dass der
Prophet gesagt hat").
154
155
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 72.
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 73;
Einzelheiten zu Hadith:
Lerrick, A. and Mian, Q.J., Saudi Business and Labor Law, London 1982;
Schacht, Joseph, The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1950, S. 163 ff;
Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 53 ff.
49
n14857
Voraussetzung
für
die
Beurteilung
der
rechtlichen Stellung eines Ausländers ist
die Definition des Begriffs „Ausländer“
nach der Sharia.
Die Welt ist eingeteilt in die Welt des Islam, dar al-Islam und die Welt des Krieges,
dar al-Harb 156 . Dar al-Islam ist dadurch
gekennzeichnet, dass sich in diesem Territorium der islamische Glaube durchgesetzt
hat, das heißt die Geltung der Sharia unter
einem moslemischen Herrscher 157 . Dar alIslam und dar al-Harb befinden sich im
Kriegszustand und ihre Beziehungen zueinander werden durch das islamische Kriegsrecht
bestimmt 158 . Es ist kollektive Pflicht der
Gemeinschaft der Muslime, der Umma, mit dem
Mittel des Jihad dar al-Harb in dar alIslam umzuwandeln 159 . Jihad kann, muss aber
nicht Krieg oder Gewaltanwendung bedeuten.
Jihad unter Einsatz friedlicher Mittel ist
vorrangig 160 .
Die Umma, die Gemeinschaft der Muslime,
tritt an die Stelle der Nation. Der Islam
führte das Konzept der ethnischen Einheit
aller Menschen als Grundsatz des Glaubens
und des Handelns ein 161 .
Die nicht moslemischen Angehörigen von dar
al-Harb werden als Harbis bezeichnet. Die
sich ständig in dar al-Islam aufhaltenden
156
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 204.
157
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 84.
158
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 204.
159
Khan, Rashid Ahmad, Islamic Jurisprudence, Lahore 1978, S. 206.
160
Saleh, Samir, Commercial arbitration in the Arab Middle East, London 1984, S. 85.
Doi, Abdur Rahman I., Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 437.
161
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 102.
50
n14857
Nicht-Muslime werden Dhimmis genannt. Unter
diesen gehören Juden und Christen zu den
Schriftbesitzern
Ahl-al-Kitab.
Mustamin
sind Ungläubige, die sich nur für eine begrenzte Dauer in dar al-Islam aufhalten.
Mohammed wird der Ausspruch zugeschrieben:
"Und wenn die Nicht-Muslime bereit sind,
einen Dhimma-Vertrag abzuschließen, dann
erkläre ihnen eindeutig, dass alle Rechte
und Pflichten zwischen euch und ihnen
gleich und wechselseitig sind" 162 .
Mohammed selbst hat mehrere Verträge
jüdischen und christlichen Gemeinden
schlossen, so mit den Juden der Bani
nach seiner Errichtung des Stadtstaates
dina und mit den Christen von Nejran 163 .
mit
geAwf
Me-
In Sure 9, Vers 7 spielt Mohammed auf einen
solchen zwischen Ungläubigen und ihm nahe
Mekka geschlossenen Vertrag an 164 : "Sofern
diese (Ungläubigen) euch Wort halten, müsst
(auch) ihr ihnen Wort halten" 165 . Die Bindungswirkung entfällt allerdings, wenn der
Nicht-moslemische Vertragspartner wortbrüchig wird.
Der Ausspruch "al-Muslimun 'ala shurutihim"
166
"Muslime sind an ihre Verträge gebunden"
wurde geflügeltes Wort der arabischen Sprache, vergleichbar dem Grundsatz "pacta sunt
servanda".
162
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 110 mit Nachweis.
163
Ramadan, Said, Das islamische Recht, Wiesbaden 1980, S. 111-113.
164
Paret, Rudi, Der Koran, Kommentar, Stuttgart 1980, S. 196.
165
Paret, Rudi, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 1980.
166
Coulson, Noel J., Commercial Law in the Gulf States, London 1984, S. 91.
51
n14857
Der erste Satz der Sure 5 lautet in deutscher Übersetzung von Paret: "Ihr Gläubigen! Erfüllt die Verpflichtungen!" 167 . In
den englischen Übersetzungen der islamischen Rechtsgelehrten Masudul Hassan 168 und
Abdullah Yusuf All 169 liegt die Betonung
auf "alle Verpflichtungen" (Ye who believe!
Fulfil all obligations). Die vorgenannten
islamischen Rechtsgelehrten wenden unter
anderem diese Koranstelle nicht nur auf
Verpflichtungen ritueller Art, sondern auch
auf schuldrechtliche Verpflichtungen an.
Paret kommt zu einer anderen Auslegung, da
er zwischen dem ersten und zweiten Satz der
Sure 5 keine Zäsur annimmt 170 und so den
ersten Satz nur in Zusammenhang mit dem
zweiten Satz sieht, der sich lediglich auf
rituelle Schlachtungen anlässlich von Wallfahrten bezieht. Für die genannten islamischen Rechtsgelehrten gehört der zweite
Satz der Sure 5 bereits zu Vers 2 171 , während nach der Einteilung von Paret der
zweite Satz immer noch zu Vers 1 gehört 172 .
Bei Zitaten von Koranstellen ist auf die
unterschiedliche Verseinteilung von Sure 5
zu achten.
C.1.4. Vertragsstrafe und Schadensersatz bei Anwendung der Sharia
Die Gefahr, sich Ansprüchen auf Zahlung von
Vertragsstrafe oder auf Schadenersatz ausgesetzt zu sehen, gehört neben dem Risiko,
167
Paret, Rudi, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 1980.
168
Hassan, Masudul, The Digest of Holy Quran, Lahore 1983, S. 86.
169
Ali, Abdullah Yusuf, The Holy Quran, Text, Translation and Commentary, Lahore 1934, S. 238.
170
Paret, Rudi, Der Koran, Kommentar, Stuttgart 1980, S. 113.
171
Ali, Abdullah Yusuf, The Holy Quran, Text, Translation and Commentary, Lahore 1934, S. 238, Nr. 682.
172
Paret, Rudi, Der Koran, Übersetzung, Stuttgart 1980.
52
n14857
die Gegenleistung für die Lieferung (rechtzeitig und vollständig) zu erhalten, zu den
Hauptrisiken des Exporteurs. Daher ist es
für den deutschen Exporteur von Interesse,
wie es die Sharia (als Grundpfeiler saudiarabischen materiellen Rechts) mit „Vertragsstrafe“ und „Schadenersatz“ hält.
C.1.4.1. Nur der real entstandene, ausscheidbare,
bezifferbare und beweisbare Schaden ist ersatzfähig, da nur dadurch das Risiko für
den Anspruchsgegner beseitigt werden kann,
eventuell einen Schaden ersetzen zu müssen,
der nicht oder nicht in der geforderten Höhe entstanden ist 173 . Ein Anspruch, der
darauf gerichtet ist einen möglicherweise
tatsächlich nicht entstandenen Schaden zu
ersetzen, würde eine Unsicherheit bedingen,
die nach dem Grundsatz von „Gharar“, die
Durchsetzbarkeit des Anspruchs verhindern
würde 174 . Dieser Grundsatz von „Gharar“
steht somit der Geltendmachung eines abstrakt berechneten Schadens und beispielsweise der Geltendmachung von Gemeinkosten
entgegen.
Dieser Grundsatz findet aber auch Anwendung
auf „entgangenen Gewinn“ 175 .
Im „SAUDI ARABIA LAW DIGEST“ abgedruckt in
Martindale Hubbell (ein Beitrag der Anwaltskanzlei White & Case und Hassan Mahassni) ist hierzu ausgeführt:
173
Dr. M. Musleh - ud - Din, Concept of Civil Liability in Islam, Seite 54;
Herbert J. Liebesny, The Law of the Near & Middle East, Seite 221.
174
N.J. Coulson, A History of Islamic Law, Seite 45.
175
Schreiben von Professor Dr. Hilmar Krüger an den Verfasser vom 27. Januar 2003.
53
n14857
“Damages- Only proven direct damages are awarded for breach of contract. Damages for lost opportunity
or lost profits are considered
speculative
and
would
not
be
awarded.“
C.1.4.2. Ein weiterer einschlägiger islamischer
(Sharia-) Grundsatz ist das Verbot von Riba
176
. Riba wird definiert als finanzieller
Vorteil ohne entsprechende Gegenleistung
177
. Unter Riba fällt auch jede Form von
„unbilligem“ Gewinn und ungerechtfertigter
Bereicherung. Aus Riba und dem Glücksspielverbot (Maysir) hatte sich die Lehre von
Gharar (siehe oben) entwickelt 178 . Danach
sind Vertragsbestimmungen, die das Risiko
beinhalten, dass aufgrund - bei Vertragsschluss - unbekannter bzw. unvorhersehbarer
Umstände durch die Vertragserfüllung eine
Partei einen Gewinn erzielt, der aus einem
entsprechenden Verlust der anderen Vertragspartei resultiert 179 nichtig, „Batil“
180
.
Diesem Grundsatz steht entgegen die Geltendmachung eines zukünftigen Schadens, aber möglicherweise auch der Geltendmachung
einer Vertragsstrafe.
Für die Geltendmachung einer Vertragsstrafe
ist der oben aufgeführte Grundsatz umso eher einschlägig, desto höher die Vertrags176
Beate Maiwald, RIW 1984, Seite 521.
177
Joseph Schacht, An Introduction to Islamic Law, Seite 145.
178
Th. W. Juynboll, Handbuch des Islamischen Gesetzes, Seite 264.
179
Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 44;
Abdur Rahman Doi, Shariah: The Islamic Law, Seite 359.
180
Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 43: „empty hollow, of no significance“.
54
n14857
strafe ausfällt. Die Geltendmachung einer
Vertragsstrafe könnte - als verdeckte Geltendmachung von (Verzugs-) Zinsen - auch
gegen das Verbot, Zinsen zu nehmen, verstoßen. Das Verbot, Zinsen zu nehmen (Usury),
ergibt sich unmittelbar aus dem Koran 181 .
Professor Dr. Hilmar Krüger vertritt in einem
Schreiben
an
den
Verfasser
vom
27.01.2003 unter Bezugnahme auf Teil II Artikel 39 des amtlichen (saudiarabischen)
Mustervertrages über öffentliche Arbeiten,
beruhend auf dem Beschluss des saudiarabischen
Ministerrats
Nr.
136
vom
13.06.1408/01. 02.1998, veröffentlicht im
saudiarabischen Gesetzesblatt (Umm al-Qura)
Nr. 3205 vom 14.08.1408/01.04.1988 die Auffassung, dass nach dem faktisch in SaudiArabien angewandten Recht eine Vertragsstrafe zulässig und rechtens ist, wenn der
Auftragnehmer mit der Fertigstellung seiner
Arbeit und ihrer vollständigen Übergabe an
den Auftraggeber in Verzug gerät.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass
Streitigkeiten aus einem Vertrag über „öffentliche Arbeiten“ (vergeben von SaudiArabien) gemäß Artikel 8 des LAW OF THE
BOARD OF GRIEVANCES (Royal Decree No. M/51
vom 10. Mai 1982/17 Rajab 1402) stets und
zwingend vom Board of Grievances entschieden werden, dass es sich beim Borad of
Grievances gemäß Artikel 1 des LAW OF THE
BOARD OF GRIEVANCES nicht um ein QuadiGericht (hierzu im einzelnen an anderer
181
Koran, Sure 2, Vers 275-280;
Koran Sure 3, Vers 130;
Koran Sure 4, Vers 161;
Koran Sure 30, Vers 39.
55
n14857
Stelle) handelt, sondern um eine „administrative judicial commission“, dessen Präsident Ministerrang hat (Artikel 2) und damit
ausgeschlossen ist, dass jemals ein („Sharia-“) Quadi-Gericht über die Wirksamkeit/Rechtmäßigkeit des von Professor Dr.
Hilmar Krüger bei seiner Argumentation in
Bezug genommenen Teils des Mustervertrages
unter Zugrundelegung der Sharia entscheiden
wird.
Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass
(„Sharia-“) Quadi-Gerichte bzw. Schiedsgerichte
die
oben
dargelegten
„ShariaGrundsätze“ beachten werden.
Ein Vertrag, der eine nichtige („Batil“)
Regelung enthält, ist fehlerhaft „Fasid“
182
. Die Fehlerhaftigkeit eines solchen Vertrags führt jedoch nur zur Teilnichtigkeit,
das heißt, der unwirksame Teil des Vertrages beeinträchtigt nicht die Gültigkeit der
anderen Bestimmungen des Vertrages 183 . Die
rechtswidrigen Vertragsbestimmungen gelten
als nicht vorhanden 184 , der Restvertrag
ist voll wirksam 185 .
C.1.4.3. Folgeschäden bzw. mittelbare Schäden sind
nach islamischem Recht grundsätzlich nicht
ersatzfähig bzw. nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen 186 . Generell lässt sich
182
Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 42: „fasid/irregular“.
183
Joseph Schacht, An Introduction to Islamic Law, Seite 146.
184
Nicolaus von Tornauw, Das moslemische Recht, Seite 95.
185
Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seite 42.
186
Mejelle Artikel 93;
Herbert J. Liebesny, The Law of the Near & Middle East, Seite 218;
Abdur Rahim, Muhammadan Jurisprudence, Seiten 353 bis 355;
Dr. M. Musleh - ud - Din, Concept of Civil Liability in Islam, Seite 53.
56
n14857
sagen, dass islamisches (Sharia-) Recht an
das Kausalitätserfordernis zwischen schadensauslösendem Ereignis und Schadens(höhe)
hohe Anforderungen stellt. Tritt beispielsweise in Fällen alternativer Kausalität zum
„ersten Kausalverlauf“ ein „zweiter Kausalverlauf“ hinzu, wird der erste Kausalverlauf in der Regel unterbrochen 187 .
C.1.4.4. Zu beachten ist auch, dass eine vertraglich vereinbarte Verschärfung der Haftung
auf Schadensersatz zulasten einer Partei
bei gleichzeitiger Beschränkung der Haftung
auf Schadensersatz zugunsten der anderen
Partei gegen den „Grundsatz der Redlichkeit“ verstoßen könnte 188 .
C.1.4.5. Bei der Geltendmachung/Abwehr von „Schadensersatzansprüchen wegen Nichterfüllung“
ist des weiteren der islamische Grundsatz
„Circumstances dominate the promise“ 189 zu
berücksichtigen. Ändert sich nach Vertragsschluss die Geschäftsgrundlage aufgrund unvorhergesehener Umstände für eine der Parteien, so berechtigt dies diese Partei die
(weitere) Erfüllung des Vertrages zu verweigern 190 und diese Verweigerung begründet
keine Haftung auf Schadensersatz.
Im „SAUDI ARABIA
Martindale Hubbel
kanzleien White &
ist diesbezüglich
LAW DIGEST“ abgedruckt in
(ein Beitrag der AnwaltsCase und Hassan Mahassni)
ausgeführt:
187
Abdur Rahim, Muhammadan Jurisprudence, Seiten 353 bis 355.
188
Ben Abderrahmane in RIW 1987, 279 unter Berufung auf Koran Sure 3, Vers. 71; Sure 17, Vers. 37; Sure 6, Vers. 153.
189
Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seiten 81 und 85.
190
Noel J. Coulson, Commercial Law in the Gulf States, Seiten 81 und 85.
57
n14857
„Excuse for Nonperformance – Generally speaking force majeure, undue
hardship and impossibility are recognized grounds for non-performance
of contract.”
C.2.
Saudiarabisches Verordnungsrecht
Wie oben ausgeführt, ist gemäß Article 48
des saudiarabischen Grundgesetzes von 1993
(“THE BASIC LAW OF GOUVERNANCE”) 191 neben
der Sharia das (königliche) Verordnungsrecht Saudi-Arabiens, in den Grenzen der
Sharia, Bestandteil des heute in SaudiArabien anwendbaren materiellen Rechts.
Mit diesem Verordnungsrecht hat es folgendes auf sich:
Eigentlich sollen die Verordnungen nur der
Ergänzung und Durchsetzung der Sharia dienen. Tatsächlich haben die Verordnungen jedoch die Wirkung von Gesetzen.
Am 02. Juni 1931 (erstmals veröffentlicht
1940) erließ Abdulaziz bin Abdelrahman AlSaud die heute noch in wesentlichen Teilen
geltende
Handelsverordnung
(Commercial
Law), die auf osmanischem Handelsrecht basiert, wobei alle auf Zinsen bezugnehmenden
Stellen gestrichen wurden 192 Das osmanische
Handelsrecht ist seinerseits eine nahezu
wortwörtliche Kopie des französischen Handelsrechts, welches das osmanische Reich
191
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net).
192
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 87.
58
n14857
1850 übernommen hatte 193 . Die saudiarabische Handelsverordnung unterteilt sich in
vier Bücher, wobei jedes Buch wieder in Abschnitte unterteilt ist. Buch 1 (149 Artikel) behandelt den Handel zu Lande, Buch 2
(282 Artikel) behandelt den Handel zur See.
Das dritte Buch betrifft die Prozessordnung
und das vierte Buch die Gebühren. Die beiden letztgenannten Bücher finden nur eingeschränkt Anwendung. Der zweite Abschnitt
des ersten Buches wurde (1965 n. Chr.)
durch die Verordnung über das Recht der
Handelsgesellschaften (Companies Law) aufgehoben.
Auch die nachfolgenden wichtigen Rechtsbereiche werden beispielsweise durch Verordnungen geregelt: Arbeitsrecht (Labor and
Workers' Regulation), Steuer- (Income Tax
Law) und Bankrecht (Saudi Arabian Monetary
Agency Law), Wechsel-(Law of Negotiable Instruments) und Ausschreibungsrecht (Tenders
und Auctions Law).
Um den Anschein einer weltlichen Gesetzgebung zu vermeiden, werden all diese Regelungen "Nizam" (Verordnung) oder "Marsum"
(Dekret) genannt und nicht "Kanun" (weltliches Gesetz) . Auch nach der Hanbali-Lehre
gibt es neben der Sharia das Verordnungsrecht, basierend auf dem anerkannten politischen Machtanspruch des Herrschers 194 .
Der Herrscher hat das Recht, Verordnungen
auf allen Gebieten zu erlassen, die von der
Sharia nicht oder nicht abschließend geregelt wurden. Dabei hat er sich jedoch keinesfalls in den Gegensatz zur Sharia zu
193
Coulson, Noel J., A History of Islamic Law, Edinburgh 1964, S. 151.
194
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 87.
59
n14857
setzen, der auch der Herrscher unterliegt.
So ist der Herrscher nicht berechtigt, Verordnungen auf solchen Gebieten zu erlassen,
die von der Sharia abschließend geregelt
sind. Verordnungen sind von großer Bedeutung, denn die Möglichkeit, neue Gesetze zu
erlassen, ist verschlossen.
Für die orthodoxen islamischen Rechtsgelehrten war seit dem 4. islamischen Jahrhundert (912-1009 n. Chr.) eine selbständige Interpretation der Rechtsquellen des Islam - und damit gesetzgebende Tätigkeit nicht mehr zulässig, das "Tor der Interpretation (Ijtihad)" war für immer geschlossen 195 . Die Sharia hatte ihre endgültige
und unabänderliche Form erhalten 196 .
Aufgrund
der
Möglichkeit,
Rechtsgebiete
durch Verordnungen zu regeln, kann der
Staat sich trotz der Starrheit der Sharia
neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen anpassen, wenn auch nur
mit Mitwirkung der Ulema, welche die Sharia
entsprechend auslegen. Der Staat respektiert damit gleichzeitig die Religion, indem er nicht gegen ihre Lehre förmlich verstößt. Die islamischen Gelehrten unterstützen den politischen Machtanspruch des Herrschers, der dem Verordnungsrecht zugrunde
liegt und gewinnen so Einfluss auf den Inhalt dieser Verordnungen.
195
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 82 ff;
Coulson, Noel J., Commercial Law in the Gulf States, London 1984, S. 17;
Liebesny, Herbert, The Law of the Near & Middle East, Albany 1975, S. 27 ff;
Doi, Abdur Rahman I.,Shariah: The Islamic Law, London 1984, S. 80.
196
Büttner, Friedemann, Reform und Revolution in der islamischen Welt, München 1971, S. 56;
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S. 71.
60
n14857
Verordnungen werden in der Regel folgendermaßen erlassen: Der Verordnungsentwurf wird
dem Ministerrat vorgelegt. Der Ministerrat
(seit 1938 besteht ein Kabinettsystem, seit
1953 ein Ministerrat) bereitet nach Billigung des Entwurfs das königliche Dekret
vor. Nach Genehmigung der Verordnung durch
den König oder seinen Stellvertreter ordnet
dieser durch (vorbereitetes) Dekret die
Ausführung durch den Ministerrat und Fachminister an.
Nach dem "Schließen des Tors der Interpretation (Ijtihad)" im 4. islamischen Jahrhundert (912 - 1009 n. Chr.) war der Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit einer
Handlung die Sharia in der Form, die sie zu
jener Zeit erhalten hatte.
Wollte ein Herrscher eine Exekutivmaßnahme
(Verordnung,
Einzelanordnung)
auf
seine
Rechtmäßigkeit, das heißt auf seine Übereinstimmung mit der Lehre überprüfen (Taqlid) 197 lassen, konnte er sich zu diesem
Zweck an anerkannte Rechtsgelehrte, Mufti
198
, wenden mit dem Ersuchen um eine gutachterliche Stellungnahme, Fatwa 199 .
Diesem Grundsatz folgt auch das saudiarabische Grundgesetz von 1993 („THE BASIC LAW
197
Baradie, Adel El, Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden 1983, S. 82;
Rahim, Abdur, The Principles of Muhammadan Jurisprudence, Madras 1911, S. 168;
Schacht, Joseph, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964;
Juynboll, Th.W., Handbuch des Islamichen Gesetzes, Leiden 1910, S. 32 ff.
198
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d' Islam, Leiden 1960, S. 219.
199
Tyan, Emile, Histoire de l'Organisation Judiciaire en Pays d' Islam, Leiden 1960, S. 219.
61
n14857
OF GOVERNANCE“)
Satz 1 bestimmt:
200
, wenn es in Article 45,
„The Holy Qur’an and the Sunna of God’s
Messenger shall be the source for fatwas
(religious advisory rulings).”
200
ROYAL EMBASSY OF SAUDI ARABIA WASHINGTON D.C. (www.saudiembassy.net).
62
n14857
TEIL D: SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN
D.1.
Die nachfolgenden Erwägungen und Schlussfolgerungen beruhen auf der Annahme, dass
der saudiarabischen Besteller/Kunde nicht
über nennenswertes Vermögen außerhalb Saudi-Arabiens verfügt.
D.2.
Die Wahl eines ausschließlichen deutschen
Gerichtsstandes empfiehlt sich nicht, da
Urteile deutscher staatlicher Gerichte in
Saudi-Arabien nicht vollstreckbar sind.
D3.
Streiterledigung durch ein Schiedsgericht
mit Sitz außerhalb Saudi-Arabiens empfiehlt
sich ebenfalls nicht, da bislang kein einziger Fall bekannt wurde, in dem ein ausländischer Schiedsspruch in Saudi-Arabien
anerkannt und vollstreckt wurde.
D.4.
Streiterledigung durch ein Schiedsgericht
mit Schiedsort in Saudi-Arabien erscheint
aufgrund der verordneten Mitwirkung saudiarabischer staatlicher Gerichte, die mit der
erforderlichen Genehmigung zur Durchführung
des Schiedsverfahrens beginnt ebenfalls wenig attraktiv.
D.5.
Verbleibt
somit
Streiterledigung
durch
staatliche saudiarabische Gerichte. Eine
dementsprechende
Streiterledigungsklausel
könnte folgenden Wortlaut haben:
„Alle Streitigkeiten, die sich
aus bzw. im Zusammenhang mit
63
n14857
diesem Vertrag ergeben, sind den
Gerichten des Königreiches Saudi-Arabien vorzulegen und von
diesen zu entscheiden, welche im
Hinblick auf diese Streitigkeiten
ausschließlich
zuständig
sind.“
Eine solche Streiterledigungsvereinbarung
hätte für den deutschen Lieferanten zumindest den Vorteil, dass ein gegen ihn ergehendes Urteil saudiarabischer staatlicher
Gericht (z.B. aufgrund Widerklage durch den
saudiarabischen
Besteller/Kunden)
in
Deutschland mangels Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht anerkennungsfähig (§ 328
Abs. I Nr. 5 ZPO) und nicht vollstreckbar
(§ 723 Abs. II S. 2 ZPO) wäre. Der Weg zu
den deutschen Gerichten wäre dem saudiarabischen Besteller/Kunden aufgrund des vereinbarten ausschließlichen Gerichtsstandes
Saudi-Arabien versperrt.
D.6.
Vorteilhaft für den deutschen Lieferanten
wäre ist die Aufnahme einer weiteren (zusätzlichen) Bestimmung, wonach dem deutschen Lieferanten einseitig das Recht eingeräumt wird den saudiarabischem Besteller/Kunden auch im allgemeinen Gerichtsstand des Lieferanten in Deutschland zu
verklagen. Deutsche Gerichte würden eine
solche Gerichtsstandsvereinbarung anerkennen. Da eine Vollstreckung eines Urteils
deutscher staatlicher Gericht in SaudiArabien ohnehin unmöglich ist, kommt der
Frage, ob saudiarabische Gerichte eine solche Vereinbarung anerkennen würden, keine
Bedeutung zu. Selbst Rechtshängigkeit des
gleichen Streitgegenstandes sowohl vor den
64
n14857
staatlichen Gerichten Saudi-Arabiens, als
auch der Bundesrepublik Deutschland würde
einem
Prozess
in
der
Bundesrepublik
Deutschland – mangels Anerkennungsfähigkeit
eines Urteils staatlicher saudiarabischer
Gerichte – nicht entgegenstehen 201 . Der
deutsche Lieferant könnte beispielsweise
vorsorglich im deutschen Gerichtsstand eine
negative Feststellungsklage erheben. Eine
solche ergänzende Klausel könnte etwa folgenden Wortlaut haben:
„Für Klagen gegen den Besteller
vereinbaren die Parteien als
weiteren/zusätzlichen Gerichtsstand
daneben
__________________.“
D.7.
Im Hinblick darauf, dass die Wahl eines
ausländischen
(nicht-saudiarabischen)
Rechts von den staatlichen saudiarabischen
Gerichten
grundsätzlich
nicht
beachtet
wird, erscheint es angeraten auf die Wahl
eines
nicht-saudiarabischen
(etwa
deutschen) Rechts zu verzichten. Hinzukommt,
dass die Bestimmungen islamischen Rechts zu
Schadenersatz und Vertragsstrafe für den
Lieferanten eher als günstig zu bezeichnen
sind. Deutsche Gericht würden bei Fehlen
einer ausdrücklichen Rechtswahl über Artikel 28, Abs. 2 EGBGB (wohl) deutsches materielles Recht (als Recht des Sitzes jener
Vertragspartei, die die charakteristische
Leistung erbringt) anwenden.
201 Zöller, IZPR, RN 96
65
n14857
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