Faktenbox Antidepressiva Nutzen und Risiken im Überblick Was passiert bei einer Behandlung mit Antidepressiva? Es wird angenommen, dass bei Depressionen bestimmte Botenstoffe im Gehirn nicht im Gleichgewicht sind. Dieses Gleichgewicht soll durch Medikamente – Antidepressiva – wieder hergestellt werden. Gibt es Unterschiede bei Antidepressiva? Es gibt verschiedene Formen von Antidepressiva, manche beruhigen eher und verbessern den Schlaf, manche geben mehr Energie – je nach Beschwerden kann das richtige Medikament ausgewählt werden. Die geläufigsten Antidepressiva sind sogenannte Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die speziell auf den Botenstoff Serotonin wirken. Sogenannte Trizyklische Antidepressiva (TZA) wirken zusätzlich auf weitere Botenstoffe. Für wen kommt die Behandlung mit Antidepressiva in Frage? Je schwerer eine Depression ist, desto eher ist die Behandlung mit einem Antidepressivum hilfreich. Auch bei langanhaltenden Depressionen (mehr als zwei Jahre) sind Antidepressiva wirksam. Bei Patienten mit leichten Depressionen sind Antidepressiva weniger wirksam, können aber z.B. sinnvoll sein, wenn es in der Vergangenheit schwerere depressive Phasen gegeben hat oder Medikamente früher schon einmal geholfen haben. 1 Nutzen und Vorteile Bei wie vielen Betroffenen haben sich die Beschwerden nach 12 Wochen Behandlung verbessert? [1,2] Behandlung mit Antidepressiva Bei 50 bis 60 von 100 Patienten haben sich die Beschwerden nach 12 Wochen Behandlung verbessert. Behandlung mit einem Placebo Bei 20 bis 30 von 100 Patienten haben sich die Beschwerden nach 12 Wochen Behandlung verbessert. Antidepressiva wirken gut – vor allem bei mittelschweren und schweren Depressionen. Weitere Vorteile: • Antidepressiva wirken im Vergleich zu Psychotherapie relativ schnell – meist nach ca. zwei Wochen. (Bei einer Psychotherapie tritt die Wirkung nach rund acht bis zehn Wochen ein.) • Die Behandlung erfordert im Vergleich zur Psychotherapie wenig Zeitaufwand. Risiken und Nachteile Mögliche Nebenwirkungen von Antidepressiva sind (je nach Medikament) Übelkeit, Gewichtszunahme, Verstopfung oder Durchfall, Schläfrigkeit, sexuelle Probleme und Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Gründe für den Abbruch können sowohl unerwünschte Wirkungen, mangelnde Wirksamkeit und sonstige Gründe sein: Wie viele Betroffene haben die Behandlung vorzeitig abgebrochen? [3] 2 Behandlung mit Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) Behandlung mit einem Placebo 16 von 100 Patienten haben die Behandlung mit SSRI abgebrochen. 14 von 100 Patienten haben die Behandlung mit einem Placebo abgebrochen. Behandlung mit Trizyklischen Antidepressiva (TZA) Behandlung mit einem Placebo 29 von 100 Patienten haben die Behandlung mit TZA abgebrochen. 27 von 100 Patienten haben die Behandlung mit einem Placebo abgebrochen. Gründe für die höheren Abbruchraten bei der Behandlung mit Trizyklischen Antidepressiva (im Gegensatz zur Behandlung mit Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern) können die stärkeren Nebenwirkungen sein, es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass sie in bestimmten Situationen etwas stärker wirken. Weitere Nachteile: • Nebenwirkungen sind vor allem zu Beginn der Behandlung möglich. Etwa die Hälfte aller Patienten berichtet in den ersten vier bis sechs Wochen vorübergehend von geringen Nebenwirkungen [4]. • Bestehende Lebensprobleme, die evtl. mit zur Entstehung der Depression beigetragen haben (z.B. Belastungen im Beruf oder in der Partnerschaft), werden durch Antidepressiva nicht direkt verändert. Wie viele Patienten haben einen Rückfall nach Beendigung der Behandlung? [5] Die Patienten wurden sechs Monate bis zwei Jahre nach der Beendigung einer 8-20-wöchigen Behandlung befragt. Therapie mit Antidepressiva 57 von 100 Patienten hatten nach Beendigung der Therapie mit Antidepressiva einen Rückfall. Psychotherapie 27 von 100 Patienten hatten nach Beendigung der Psychotherapie einen Rückfall. Nach Ende der Behandlung mit dem Antidepressivum kann es häufiger zu einem Rückfall kommen als bei einer psychotherapeutischen Behandlung. 3 Wie wahrscheinlich ist ein Rückfall, wenn die Behandlung fortgesetzt wird? [6] Die Patienten erhielten nach der Akuttherapie mit einem Antidepressivum entweder das Antidepressivum weiter oder sie bekamen ein Placebo. Sie wurden meist über 1-2 Jahre weiterbehandelt und untersucht. Behandlung mit Antidepressiva 18 von 100 Patienten hatten einen Rückfall, wenn sie die Antidepressiva über die Akuttherapie hinaus, zur Vermeidung eines Rückfalls einnehmen. Behandlung mit einem Placebo 41 von 100 Patienten hatten einen Rückfall, wenn sie das Placebo über die Akuttherapie hinaus, zur Vermeidung eines Rückfalls einnehmen. Auch wenn es Patienten wieder besser geht, sollten die Medikamente weiter eingenommen werden. Sind die Symptome ganz verschwunden, ist es trotzdem hilfreich, das Antidepressivum zur Verhinderung eines Rückfalls mindestens vier bis neun Monate weiter zu nehmen. Durch diese sogenannte „Erhaltungstherapie“ kann das Rückfallrisiko um bis zu 70 % gesenkt werden. Antidepressiva machen nicht abhängig! Was ist bei einer Behandlung mit Antidepressiva noch zu beachten? Antidepressiva werden von einem Arzt (meist Hausarzt oder Psychiater / Nervenarzt) verschrieben. Der Arzt sollte Sie über verschiedene Medikamente, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen sowie Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten aufklären. Die Dosierung sollte nur in Absprache mit dem Arzt verändert werden. Außerdem ist es wichtig, die Medikamente regelmäßig einzunehmen. Tritt nach vier Wochen keine Besserung ein, sollte die Behandlung überprüft und geändert werden. Wenn die Behandlung dann geändert wird (z.B. Erhöhung der Dosis, Medikamentenwechsel), geht es ungefähr der Hälfte der Patienten danach besser. Eine gut eingestellte Behandlung ist bei 75 % der Patienten wirksam. Wenn die Medikamente abgesetzt werden, sollte dies schrittweise erfolgen. 4 Welche anderen Behandlungsmöglichkeiten kommen noch infrage? Bei Patienten mit leichten Depressionen kann auch das sogenannte „Beobachtende Abwarten“ gewählt werden. Dabei beginnt zunächst keine Behandlung, ein Arzt beobachtet regelmäßig, ob sich die Beschwerden verändern. Bei leichten Depressionen können zunächst auch unterstützende Gespräche, eine allgemeine Beratung, Aufklärung über die Erkrankung, angeleitete Selbsthilfe, z.B. durch Selbsthilfebücher oder Online-Programme sowie Problemlöseansätze angeboten werden, bevor eine Pharmakotherapie oder Psychotherapie begonnen wird. Bei mittelschweren Depressionen kommt auch – alternativ zu einer Behandlung mit Antidepressiva – eine alleinige Behandlung mit Psychotherapie infrage. Bei schweren Depressionen ist die Kombination aus medikamentöser Behandlung und Psychotherapie am besten geeignet. Weiterhin gibt es ergänzende Behandlungsformen wie Bewegung bzw. Sport, Lichttherapie, Wachtherapie und Unterstützung durch Selbsthilfegruppen. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse • Antidepressiva wirken gut – vor allem bei mittelschweren und schweren Depressionen. • Die Wirkung setzt schneller ein als bei Psychotherapie – meist nach ca. zwei Wochen. • Bei schweren Depressionen ist oft die Behandlung mit Antidepressiva allein nicht ausreichend, eine zusätzliche Psychotherapie ist empfehlenswert. • Bei leichten Depressionen haben sich Antidepressiva nicht als wirksamer als ein Placebo erwiesen. Sie sollten bei leichten Depressionen nur nach sorgfältiger Überlegung gegeben werden (z.B. wenn der Patient in der Vergangenheit schon einmal davon profitiert hat). • Antidepressiva müssen regelmäßig über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, beim Absetzen sollte die Dosis langsam reduziert werden. • Kontrollen beim Arzt sind notwendig. • Es können Nebenwirkungen auftreten. • Nach Ende der Behandlung mit dem Antidepressivum kann es häufiger zu einem Rückfall kommen als bei einer psychothera-peutischen Behandlung – wichtig ist es, sie nach dem Rückgang der Depression noch mindestens vier bis neun Monate weiter einzunehmen, damit Rückfälle sicherer vermieden werden. 5 Eine Entscheidungshilfe, die Sie Schritt für Schritt bei der Wahl der für Sie richtigen Behandlung unterstützt, finden Sie auf den Seiten von psychenet.de: http://entscheidungshilfen.psychenet.de Zusätzliche Informationen Diese Faktenbox wurde erstellt in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf – Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie sowie psychenet – Hamburger Netz psychische Gesundheit – gefördert vom Bundesbildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – Förderkennzeichen 01KQ1002B. Autoren Sarah Liebherz (Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin) Dr. Jörg Dirmaier (Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut) Prof. Dr. Dr. Martin Härter (Arzt, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut) Dr. Alessa von Wolff (Diplom-Psychologin) Beteiligte Experten Prof. Dr. med. Tom Bschor (Schloßpark-Klinik, Berlin) Angaben zur Aktualität und Gültigkeit Diese Faktenbox wurde im Februar 2014 erstellt und im Juni 2015 aktualisiert. Die nächste Aktualisierung ist für Juni 2017 geplant. Weiterführende Informationen www.psychenet.de www.versorgungsleitlinien.de/patienten/pdf/nvl-depression-patienten.pdf www.gesundheitsinformation.de/depression.2125.de.html 6 Verwendete Quellen Alle Informationen entsprechen dem aktuellen Stand der Forschung und wurden aus den aktuellen Versorgungsleitlinien (http://www.depression.versorgungsleitlinien.de) entnommen, die von Vertretern vieler Fachgesellschaften erarbeitet wurde [1, 2]. Ergänzend wurden weitere aktuelle wissenschaftliche Arbeiten einbezogen, die nach dem Erscheinen der Leitlinie veröffentlicht wurden. Referenzen [1] DGPPN, BÄK, KBV et al. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression - Kurzfassung. 1. Auflage 2009. Berlin, Düsseldorf: DGPPN, ÄZQ, AWMF [5] De Maat S, Dekker J, Schoevers R et al. Relative efficacy of psychotherapy and pharmacotherapy in the treatment of depression: A meta-analysis. Psychotherapy Research 2006; 16: 566-578 [2] DGPPN, BÄK, KBV et al. PatientenLeitlinie zur Nationalen VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Version 1.0 24. August 2011 [6] Geddes JR, Carney SM, Davies C et al. Relapse prevention with antidepressant drug treatment in depressive disorders: a systematic review. The Lancet 2003; 361: 653-661 [3] Arroll B, Elley CR, Fishman T et al. Antidepressants versus placebo for depression in primary care. Cochrane Database of Systematic Reviews Issue 3 Art No: CD007954 2009, DOI: 10.1002/14651858.CD007954 [4] Härter M, Bermejo I, Niebling W, Hrsg. Praxismanual Depression: Diagnostik und Therapie erfolgreich umsetzen. 1. Aufl: Deutscher Ärzte-Verlag; 2007 7 Die dargestellten Informationen wurden sorgfältig recherchiert. Ein Dokument mit einer ausführlichen Beschreibung der Referenzen finden Sie auf der Seite www.faktencheck-depression.de/faktenboxen unter der jeweiligen Faktenbox zum Herunterladen.