Dielektrika

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Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Werkstoffwissenschaften 6 / AlN
Martensstr. 7, 91058 Erlangen
Vorlesung Grundlagen der WET II
Dr.-Ing. Matthias Bickermann Prof. Dr. A. Winnacker
B. DIELEKTRIKA
1. Grundlagen
Ein elektrisches Feld kann ein Dielektrikum durchdringen, im Halbleiter oder Metall
wird es dagegen durch freie Elektronen abgeschirmt. Aber auch in dielektrischer Materie wird das Feld abgeschwächt durch die Polarisation, d.h. Ausrichtung von Dipolen in der Materie entgegengesetzt zum elektrischen Feld.
r
r
Grundgleichung des elektrischen Feldes: D = ε 0 ε r E . E-Feld E = F/Q (Kraft pro Ladung) und Verschiebungsdichte D = Q/A (Ladung pro Fläche) zeigen immer von der
positiven zur negativ geladenen Seite. [Bild 1]
εr (Dielektrizitätszahl) ist eine Materialkonstante (Vakuum: εr = 1, Materie: εr > 1), eigentlich aber ein komplexer Tensor 2. Stufe. Zahlenwerte: [Tabelle 1]
r
r
Dipolmoment zwischen zwei Ladungen +q und -q im Abstand d: p = q ⋅ d
r
r N r
Polarisation P = ∑ pi = p (N/V ist die Dipolkonzentration). Das Feld E0 wird abV
r
r
r r
r
r
E0 r
1 r r r
geschwächt durch EP =
P : E = E0 − EP =
, P = ε 0 (ε r − 1) E , D = ε 0 E + P .
εr
ε0 εr
Für einen Plattenkondensator (Abstand der Platten s) gilt:
B r
r
Q
E⋅A
A
Kapazität C = = ε 0 ε r
= ε 0 ε r , da U = − ∫ E ⋅ ds = E ⋅ s im homogenen E-Feld.
A
U
U
s
Um eine hohe Kondensatorkapazität zu erhalten, muss die Fläche A groß, der Abstand s klein, und εr des Dielektrikums zwischen den Platten groß sein. [Bild 1]
Es gibt keine perfekten Isolatoren! Die dielektrische Relaxationszeit τ hängt vom
spezifischen Widerstand ρ des Materials ab: τ = ε 0 ε r ρ
Zahlenbeispiele: τ(Silber) = 10–18 s, τ(GaAs) = 10–5 s, τ(Glimmer) = 104 s = 3 h
r
r
Polarisierbarkeit α eines Atoms oder Moleküls: p = α ⋅ E lokal
Clausius-Mosotti-Beziehung:
N α εr − 1
=
3ε0 εr + 2
Man unterscheidet nun die Beiträge α bzw. P aus der Polarisation [Bild 2]
– zwischen Atomkern und umkreisender Elektronenwolke (alle Materialien),
– zwischen Ionen (nur Materialien mit einem Anteil an ionischer Bindung),
– Orientierungspolarisation (Moleküle mit Partialladungen und andere spontan
polarisierbare Materialien).
1
2. Orientierungspolarisation
Bei Anlegen eines elektrischen Feldes in z-Richtung richten sich (bereits bestehende) Dipole nach dem elektrischen Feld aus, aber nicht vollständig. Der Einzelne Dipol
hat pz = p cos ϑ (ϑ ist der Winkel zur z-Achse), px = py = 0 (statistisch verteilt).
−
U cosϑ
kT
Wahrscheinlichkeitsverteilung: w (cos ϑ ) = A ⋅ e
(Boltzmann-Statistik).
r
r
Potentielle Energie des Dipols: U pot = p ⋅ E = − pz E = − p cos ϑ E = U cos ϑ
Die Polarisation P =
N
N
pz = p cos ϑ (Mittelwert von cos ϑ)
V
V
1
⎛ pE ⎞
Lösung cos ϑ = L⎜
⎟ mittels Langevin'scher Funktion L (x ) = cot x − . [Bild 3]
x
⎝ kT ⎠
Sättigung für große E oder kleine T, wird aber in der Praxis nie erreicht.
Näherung für kleine x: L (x ) =
N p 2E
p2
N
1
x, P =
, und mit P = α E : α =
.
V 3 kT
3 kT
V
3
Die Orientierungspolarisation ist im Gegensatz zur ionischen und zur elektronischen
Pol. temperaturabhängig! Dadurch werden α und εr (Clausius-Mosotti-Beziehung)
ebenfalls temperaturabhängig.
Frequenzabhängigkeit:
– Ausschalten des elektrischen Feldes: [Bild 4]
P (t ) = P0 e
−
t
τ
mit P0 =
N
α E0 (Relaxationszeit τ ca. 10–10 s in wässrigen Lösungen)
V
– für kleine Frequenzen folgt die Polarisation dem elektrischen Feld:
N
P (t ) = α E (t ) mit E (t ) = E0 cos ω t
V
– für hohe Frequenzen folgen die Dipole gar nicht mehr: P(t) = 0.
– dazwischen gilt: α (ω ) =
α 0orient .
. [Bild 4]
ω 2τ 2 + 1
3. Ionische und elektronische Polarisation
Abweichung der Ionenposition um +x und -x:
P=
x (t )
N
N
α E (t ) = q x (t ) mit x(t) = x+ + x– und p = q x(t): α = q
.
E (t )
V
V
Das ist eine erzwungene harmonische Schwingung! Sie hat die Form:
m
∂2x
∂x
∂x
= −D x (t ) − Γ
+ q E = −m ωi2 x (t ) − γ m
+ q E0 cos ω t
2
∂t
∂t
∂t
Die Lösung dieser Gleichung ist α ionisch = α 0ionisch ωi2
(ω
(ω
2
i
2
i
−ω
− ω2
)
2 2
)
+ γ 2ω 2
. [Bild 5]
Für kleine Frequenzen ist αionisch = α0ionisch, für große Frequenzen ist αionisch = 0.
2
Dazwischen gibt es ein Resonanzverhalten mit Nulldurchgang bei ωi (Eingenschwingungsfrequenz des Moleküls), die Amplitude A der Dipolschwingung hat ein Maximum bei ωi: [Bild 5] [Bild 6]
A=
m
(ω
E0
2
i
− ω2
)
2
+ γ 2ω 2
Kleine Amplituden sorgen für geringe Dielektrizitätsverluste.
Elektronische Polarisation: Coulombkraft wirkt als rücktreibende Kraft, die Polarisation folgt den gleichen Gesetzmäßigkeiten, nur gibt es andere Werte für ωi und α0.
Abhängigkeit von α und εr von ω(k):
– Phononenfrequenzen: Reststrahlenband (ionische Pol.)
– Interbandübergänge: Resonanzen nahe der Bandlücke (elektronische Pol.) [Bild 7]
– Störungen des lokalen Potentials z.B. durch tiefe Störstellen usw.
– Orientierungsabhängigkeit (Tensor): Grundlage der nichtlinearen Optik.
Die Polarisationsphänomene addieren sich: α = α orient . (T ) + α ionisch + α elektron.
4. Ferroelektrika
Nichtlinearer Zusammenhang zwischen P und E: Hysterese der Orientierungspolarisation (daher der Name, analog zu den ferromagnetischen Werkstoffen). [Bild 8]
Polarisationsfeld bleibt auch ohne E-Feld erhalten (Remanenz!). Sättigungspolarisation PS kann viel höher sein als mit Dielektrika erreichbar wäre.
Ursache: Dipolfeld wirkt auf den Nachbardipol ein (Influenz) ⇒ spontane Polarisation
⇒ Domänenbildung im Festkörper (mit sehr dünnen Domänenwänden)
Temperatur wirkt als Unordnungs-Kraft: Oberhalb der Curie-Temperatur TC verschwindet die Ferroelektrizität völlig und der Stoff wird dielektrisch. Phasenübergang
ist 1. oder 2. Ordnung. [Bild 9]
Bei TC geht εr → ∞, in der Nähe gilt ε r =
C
. Herleitung durch Entwicklung der
T − TC
Clausius-Mosotti-Beziehung in eine Taylorreihe um TC. [Bild 9]
Somit sind knapp unterhalb TC Dielektrizitätszahlen von über 10.000 erreichbar (Keramikkondensatoren Klasse 2). Aber der Einsatzbereich ist stark in der Temperatur
begrenzt.
Ferroelektrische Materialien: [Tabelle 2]
Beispiel: Perowskitstruktur (BaTiO3). Zwischen 5°C und 124°C tetragonales Gitter, in
dem sich die positiven (Ba2+, Ti4+) gegen die negativen Ionen (3 O2–) verschieben. 6
mögliche Koordinationen, jeweils d = 0,17 Å aus dem Zentrum verschoben. [Bild 10]
Antiferroelektrika: Negative Kopplung der Dipole. Beispiel: PbZrO3. Dielektrisches
Verhalten mit Umschlag in ferroelektrisches Verhalten bei großem E-Feld. Analog zu
TC gibt es eine Néel-Temperatur TN mit Maximum der Dielektrizitätszahl.
Eigenschaften der Ferroelektrika wie εr(T) und TC können durch Zumischung in weiten Bereichen variiert werden. Zusätzliche Steuerung der Eigenschaften durch Gefügeveränderungen (Korngröße, Sperrschichtkondensatoren etc.).
Anwendungen: Kondensatoren, Elektretmikrophon, high-k Gate-Dielektrika
3
5. Piezoelektrika
Hat die Kristallstruktur eines Dielektrikums kein Inversionszentrum (z.B. Zinkblendeoder Wurtzitstruktur), so ist das Material piezoelektrisch (GaAs, ZnS, AlN, GaN). Gibt
es dazu eine temperaturabhängige Polarisation, so ist das Material pyroelektrisch
(z.B. Quarz). Alle Ferroelektrika sind auch piezo- und pyroelektrisch.
Piezoelektrischer Effekt: Druck führt zu einer Polarisationsänderung im Kristall, die
sich in der Bildung eines E-Feldes (bzw. einer el. Spannung) manifestiert. [Bild 11]
3
3
Pi = ∑∑ d ijk ⋅ σ jk (σjk ist der Spannungstensor, dijk ist Tensor 3. Stufe)
j =1 k =1
Longitudinaler und transversaler Piezoeffekt: [Bild 12]
Anwendung: Generation von Hochspannungspulsen (z.B. elektrisches Feuerzeug).
Inverser Piezoeffekt: Kristall verzieht sich, wenn man eine Spannung anlegt. Wechselspannung ⇒ Kristallschwingung ("Transducer", z.B. Schwingquarz, UltraschallErzeuger, Stellelemente/Aktoren im µm-Bereich, "Piezoschlangen").
Beispiel: Hochfrequenzfilter in der Elektrotechnik. An einem Ende werden durch
Spannungspulse Schallwellen erzeugt. Am anderen Ende wird nur die Frequenz f0
detektiert (d.h. selektiert), bei der die Abnehmer resonant schwingen. [Bild 13]
Volumenwellenfilter: f0 = v/h (v: Geschwindigkeit der Schallwelle, h: Schichtdicke),
Oberflächenwellenfilter: f0 = v/λ (λ: Abstand der IDTs)
Typische Filter für Fernsehempfang (MHz-Bereich): Quarz, LiNbO3, LiTaO3
Höchstfrequenzen (> 2 GHz): AlN, Diamant mit piezoelektrischer Aktuatorschicht
6. Bilder
Bild 1: Feldrichtungen und Kondensatorverhalten
Bild 2: Links: elektronische Polarisation (Verschiebungspolarisation)
Mitte: ionische Polarisation, Rechts: Orientierungspolarisation
4
Tabelle 1: Dielektrizitätszahlen εr verschiedener Kondensatormaterialien
Paraffin
PS (Polystyrol)
PC (Polycarbonat)
PES (Polyesther)
SiO2
Papier, Zellulose
2,2
2,2
2,8
3,3
3,9
4…6
12
Al2O3
Ta2O5
25
H2O
81
Klasse 1 (Oxide) 6…200
Klasse 2 (PZT u.a.) 200…14.000
Bild 3: Langevin-Funktion
Bild 4: Orientierungspolarisation: kleine Frequenzen (linke), Resonanz (rechts)
Bild 5: ionische und elektronische Polarisation: Resonanzverhalten der Polarisierbarkeit und der Schwingungsamplitude.
5
Bild 6: Resonanz der komplexen dielektrischen Funktion εr(ω) = ε1(ω) + i ε2(ω) und
wichtige Parameter der Resonanzkurve.
Bild 7: Elektronische Polarisation am Beispiel Silber
Bild 8: Hysterese der Ferroelektrika
Bild 9: Temperaturabhängigkeit des
Ferroelektrischen Effekts
Tabelle 2: Ferroelektrika
6
Rochellesalz NaK(C4H4O6)⋅4H2O
TC = 297 K, PS = 2,4 10–3 Asm–2
… chemische Verwandte, z.B. LiNH4(C4H4O6)⋅4H2O
Kaliumdihydrogenphosphat (KDP) KH2PO4
TC = 123 K, PS = 4,9 10–2 Asm–2
TC = 393 K, PS = 2,6 10–1 Asm–2
Bariumtitanat BaTiO3
… verwandte Perowskite, z.B. Blei-Zirkonat-Titanat (PZT) (Pb,Ba)(Ti,Zr)O3
Bild 10: Perowskitstruktur und spontane Polarisation der Kationen-Untergitter
Bild 11: Trennung der Ladungsschwerpunkte durch Krafteinwirkung
Bild 12: Transversaler (links) und longitudinaler (rechts) Piezoeffekt
7
h
V
in
z
a)
y
electrodes,
V
piezoelectric film
in
h
b)
d
Bild 13: Volumen- und Oberflächenwellenfilter (links),
Aufbau eines Oberflächenwellenfilters mit interdigitated transducers IDT (rechts).
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