Prof. Dr. Bernhard Nauck Vorlesung Erklärende Soziologie 10. Vorlesung Kontrolle und Kooperation: Güter und Märkte 1 Kooperation und Interdependenz Kooperation verbessert die Reichweite der Verfügbarkeit von Gütern aber: - Es entsteht das Koordinierungs- und Verteilungsproblem, da kooperativ erwirtschaftete Güter nicht ohne weiteres der individuellen Kontrolle zuzurechnen sind. - Akteure können versuchen, sich die Kontrolle über die gemeinschaftlich beschafften Güter individuell zu sichern. Auseinanderfallen von Kontrolle und Interessen an wichtigen Gütern begründet die Interdependenz der Akteure als besondere Konstellation der Verteilung von Kontrolle und Interessen. 2 1 Eigenschaften von Gütern - Teilbarkeit vs. Unteilbarkeit (teilbar: wenn durch die Konsumtion ein Gut anderen nicht mehr zur Verfügung steht - das Stück Kuchen; unteilbar: wenn dadurch die Konsumtion durch andere nicht beeinträchtigt wird Medien, Informationen, Umwelt) - Ausschließbarkeit vs. Nicht-Ausschließbarkeit: Kontrolle über das Gut kann auf bestimmte Akteure beschränkt werden (z.B. durch Eigentumsrechte) oder nicht (z.B. öffentliche Güter) - Rivalität: der Wert eines Gutes hängt davon ab, ob und in welchem Ausmaß es auch anderen zur Verfügung steht (z.B. Mitgliedschaft in Eliteklubs, Bildungszertifikate) 3 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 4 2 Privatgüter Bei einem privaten Gut besitzen die Akteure im Moment der Nutzung die alleinige Kontrolle. Bei einer Übertragung von einem Akteur auf den anderen behält das Privatgut seine Eigenschaften und bei seiner Nutzung werden keine externen Effekte erzeugt. Privatgüter sind komplett teilbar und ausschliessbar. Musterfall: privater Konsum Privatgüter sind nicht „asozial“: sie sind häufig Gegenstand von direktem Tausch bzw. Geschenke 5 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 6 3 Positionsgüter Positionsgüter sind solche Ressourcen, die knapp und nicht vermehrbar sind, oder die ihren Wert dadurch verlieren, dass sie von anderen Akteuren ebenfalls genutzt werden: Rivalität in einer Öffentlichkeit. 1. Erwerb von „relativ besten“ Positionen (Klassenbester, Olympiasieger, Nobelpreisträger). Es kann nur einer diese Position innehaben. 2. Positionen, die nur verteilt, aber nicht vermehrt werden können: Gewinner in einem Spiel; Parteivorsitz; 3. Ressourcen, die im Zuge ihrer Nutzung durch eine größere Zahl anderer sich selbst entwerten (Bundesverdienstkreuze, Universitätsdiplome, Doktor- und Professorentitel; „romantische“ Urlaubsziele) 7 Strategische Situation bei Positionsgütern Gnadenloser Wettbewerb oder Wettlauf um die Nutzung von Positionsgütern (Kampf aller gegen alle) Wettbewerbe um Positionsgüter sind Nullsummenspiele Notwendigkeit: ausgefeilte Regeln und deren repressive Durchsetzung gegen die Interessen der Akteure für den Wettbewerb, d.h. Herrschaft Aber: Herrschaft ist selbst ein Positionsgut, es kann sie nur einer ausüben 9 4 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 10 Kommunalgüter entstehen durch das Zusammenwirken von Akteuren unmittelbar, sie sind nur durch das Zusammenwirken möglich. Ihr Nutzen wird schon durch den Akt der Kooperation selbst erzeugt; sie setzen das Eintreten in eine soziale Situation voraus. Produktion und Konsumtion hängen davon ab, dass alle mitmachen. Musterfall: Geselligkeiten, Feste, events, Spiele, Tangotanzen, Liebe Die Kooperation selbst ist schon der Ertrag, der Weg ist schon das Ziel. 11 5 Strategische Situation bei Kommunalgütern Strategische Situation bei Kommunalgütern ist das eines Koordinationsspiels mit konvergierenden Interessen. Akteure stellen sich darauf ein, indem sie sich „verstehen“. Kommunalgüter sind Mehrsummenspiele: Jeder hat etwas davon, wenn er mitmacht. Kommunalgüter sind nach innen für die Produzenten nicht teilbar und nicht ausschließbar. Die Produzenten sind immer auch die Konsumenten. Das Interesse an dem Gut fällt mit der Kontrolle zusammen. Es gibt kein Allokationsproblem. 12 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 13 6 Kollektivgüter (Gemein-, öffentliche Güter) Wenn die Unteilbarkeit und die Nicht-Ausschließbarkeit auch nach außen für diejenigen gilt, die sich an der Produktion des Gutes nicht beteiligen, dann handelt es sich um ein Kollektivgut. Solche Güter können auch von Akteuren konsumiert werden, die mit deren Produktion nichts zu tun hatten. Produktion und Konsumtion, Kontrolle und Interessen fallen nicht zusammen. Individualbeitrag und Individualkontrolle an Kollektivgütern sind stets minimal 14 Strategische Situation bei Kollektivgütern Interesse richtet sich weniger auf den Akt der Produktion, sondern vielmehr auf die Verteilung der Früchte der Kooperation. Folge: Kollektivgüter kommen häufig nicht zustande, obwohl alle vielleicht ein großes Interesse daran haben. free riding („optimal“: alle beteiligen sich an der Produktion des Kollektivguts, nur man selbst nicht) Beispiele: Staatsetat; Nationale Verteidigung; Streik; Umweltschutz; Protest gegen Studiensituation; Impfschutz; kollektive Sicherungssysteme (KV, Gewerkschaften); Durchgangs-Straßen (durch Wohngebiete, durch (Alpen-) Regionen) 15 7 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 16 Öffentliche Güter (public goods) sind nicht-ausschließbar und nicht-teilbar sie haben externe Effekte auch auf diejenigen, die sie nicht mitproduzieren Bsp. (zumindest über weite Strecken): Bibliotheken, Straßen, Umwelt Gegenteil: öffentliche Übel auch Umwelt-“Heilige“ sind von Umweltschädigungen betroffen Die Lösung des Problems der Beseitigung des öffentlichen Übels, ist (leider) selbst ein öffentliches Gut (und kommt gerade aus diesem Grund häufig nicht zustande). 17 8 Strategische Situation bei öffentlichen Gütern Nutzen des einzelnen hängt nicht davon ab, wie viele andere es mit dem Akteur konsumieren Öffentliche Güter sind umso günstiger, je größer die Anzahl der Akteure ist, die sich an ihrer Produktion beteiligen (Verteilung der Kosten auf mehrere Schultern) Es bestehen immer Bestrebungen, solche Güter zu „öffentlichen“ zu machen, an denen das eigene Interesse besonders groß ist. 18 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 19 9 Kooperationsgüter (joint goods) sind Güter, die gemeinsam produziert werden, an denen jedoch deutliche Unterschiede entweder im Beitrag zu ihrer Produktion oder in der Verteilung der Erträge entstehen können; alle sind an der Erstellung interessiert, aber alle wollen dabei auch einen möglichst günstigen Schnitt machen. Beispiel: Rudern um den (Olympia-)Sieg im Zweier vs. Doppelzweier Zweier: Nachlassen des einen führt zu sofortiger totaler Defektion (Koordinationsspiel) Doppelzweier: Koordiniertes Nachlassen des Einen führt nicht zu sofortiger Defektion (Rückversicherungsspiel: Wenn der andere mitmacht, dann tue ich es auch) Beim Zweier leicht durchschaubar; wie ist es beim Achter? Wie bei sozialen Großgruppen? Wie bei Straßenradrennen? 20 Assurance-Güter sind die Kooperationsgüter, bei denen die höchste Priorität im gemeinsamen Handeln gesehen und nur die einseitige Ausbeutung gefürchtet wird. basieren auf Rückversicherung: Wenn der andere voll mitmacht, dann tue ich das auch; wenn nicht: nicht! Beispiele: der „Doppel-Zweier“, die eheliche Partnerschaft 21 10 Chicken-Güter sind die Kooperationsgüter, bei denen die wechselseitige Defektion die schlechteste aller Situationen erzeugt Beispiel: Almende schlechteste Alternative: ungehemmte Überweidung durch alle Wie realistisch ist diese Alternative? Chicken-Güter erzeugen die unangenehme Neigung, dass - sobald der Untergang nicht mehr unmittelbar droht - die Beteiligten sofort wieder versuchen, sich gegenseitig zu übervorteilen. Droht die Katastrophe, werden alle etwas vorsichtiger. Einer wird die Nerven verlieren und auf weitere Defektion verzichten. Dann aber machen die anderen gleich weiter, weil sie ja davon profitieren und der Untergang nicht mehr sofort droht. Aber das bringt sie alle wieder dem Untergang nahe… Beispiel: Das Kyoto-Protokoll; die Überfischung der Ozeane 22 Arten von Gütern Güter Privat-Güter soziale Güter Kommunal-Güter Kollektiv-Güter Öffentliche Güter Kooperations-Güter Assurance-Güter Positions-Güter Clubgüter Chicken-Güter 23 11 Clubgüter sind Kollektivgüter, die ihren Wert mit jedem einbüßen, der zusätzlich an ihnen teilhat. Rivalität innerhalb der Produzenten und Konsumenten Bsp.: Externe Effekte hoher Nachfrage (in einem Golfklub: zunächst steigender Nutzen durch bessere Auslastung und sinkende Gemeinkosten, dann aber Überfüllung und sinkender Status) Im Vergleich zu Öffentlichen Gütern und Privatgütern bilden Clubgüter eine Zwischenposition: - bei „reinen“ Öffentlichen Gütern ist die optimale Gruppengröße unendlich - bei Privatgütern ist die optimale Gruppengröße gleich Eins - Clubgüter benötigen eine Mindestgröße, haben eine Maximalgröße sowie ein Optimum 24 Frage-Pause 24 12 System des Marktes Märkte werden konstituiert durch viele Anbieter und viele Nachfrager für ein Gut. Anbieter und Nachfrager befinden sich in einer Situation der Interessenkonvergenz: Sie möchten tauschen, weil das für sie beiderseitig nützlich ist. Sie haben aber nicht nur ein gemeinsames Interesse, sondern befinden sich auch in einem Konflikt miteinander: Der eine will seinen Nutzen, der andere seinen Gewinn maximieren. D.h.: Der Nachfrager möchte einen möglichst niedrigen Preis zahlen, der Anbieter einen möglichst hohen Preis erzielen. Märkte sind daher der Musterfall antagonistischer Kooperation 25 Der Marktmechanismus Wegen der großen Zahl der Akteure kann nicht mehr “verhandelt” (gefeilscht) werden, die Anonymität erzwingt eine einheitliche, stabile und vom einzelnen Akteur nicht anfechtbare Lösung: Es gibt im Marktgleichgewicht nur einen Preis und eine Menge, die zu diesem Preis nachgefragt und angeboten wird. 26 13 Preise • Gesucht wird der eine Preis, bei dem die nachgefragte und die angebotene Menge genau übereinstimmen. • Das Marktgleichgewicht (p*, x*) liegt genau im Schnittpunkt der beiden Funktionen: Bei diesem Preis sind die angebotene und die nachgefragte Menge genau gleich. Der Markt wird vollständig geräumt. 27 Das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage 28 14 Marktanpassung Das Cobweb-Theorem der Marktanpassung - dynamische Anpassung des Verhaltens der Anbieter und Nachfrager - zunehmendes Oszillieren um das Marktgleichgewicht - Voraussetzung: “elastisches” Marktverhalten mit “schnellen”, proportionalen Reaktionen auf Veränderungen in Angebot oder Nachfrage (typisches Beispiel: Finanzmärkte, viele Gütermärkte) 29 Das Systemverhalten des Marktes 30 15 Teilmärkte Es gibt viele Teilmärkte in einer Gesellschaft (im Prinzip: so viele wie es teilbare Güter gibt). Es werden nicht nur Güter, sondern z.B. auch Wohnungen, Bildungszertifikate, Arbeitskraft, Partnerschaften, Informationen angeboten und nachgefragt. Entsprechend gibt es Wohnungs-, Bildungs-, Arbeits-, Heirats-, Nachrichten-Teilmärkte. 31 Altersspezifische Heiratsraten in Westdeutschland 1961 und 1997 32 16 Besonderheiten von Nachrichtenmärkten Nachrichten sind beliebig diffundierbar ohne ihre Qualität zu verändern. Eine wesentliche „Erfindung“, die zum wesentlichen Mechanismus der Modernisierung wurde: die Etablierung von Lizensierungen durch institutionelle Absicherung von Rechten: Patente, Urheberrechte, Verwertungsrechte Entsprechend gilt: Auch Märkte bedürfen der institutionellen Regelungen, um zu „funktionieren“. Die Folge: Wandel von Künstlern und Wissenschaftlern vom Hofnarren zum Prestigeberuf 33 Begleitlektüre: H. Esser, Soziologie. Spezielle Grundlagen, Bd. 4: Opportunitäten und Restriktionen. Frankfurt/New York: Campus 2000, Kap. 6 und 7. 34 17