Das kulturelle Kapital und die Pionier/ innen im

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Das kulturelle Kapital und die Pionier/
innen im Gentrifizierungsprozess
Forschungsansätze und Herausforderungen
für die Stadtsoziologie
Florian J. Huber
Einführung
Die Entstehung der postmodernen Gesellschaft, Globalisierungsprozesse,
Migrationsbewegungen und die Individualisierung der Lebensstile führten
zu umfassenden Transformationen im gesellschaftlichen, ökonomischen
und politischen Bereich. Diese manifestieren sich auf globaler Ebene in einer
wachsenden sozialen Ungleichheit und spiegeln sich im urbanen Raum in
Form von sozialräumlicher Differenzierung und Segregation wider.
Technologische Fortschritte sowie die globale Vernetzung veränderten
die Ökonomie ab den 1970er Jahren zunehmend in Richtung eines postfordistischen Wirtschaftssystems. Daraus entstanden neue Berufsfelder in den
Branchen der Dienstleistungen sowie der Kultur- und Wissensproduktion,
welche von einer ‚Neuen Mittelklasse‘1 ausgeübt werden. Diese verfügt über
ausreichend ökonomisches Kapital, distanziert sich von der suburbanen Lebensweise und bevorzugt innenstadtnahe Wohnquartiere, wodurch diese
Stadtviertel einem Aufwertungsprozess unterzogen werden, der zur Verdrängung einkommensschwächerer Bewohner/innen und Haushalte führt. Dieser
Prozess wird als Gentrifizierung bzw. Gentrification bezeichnet. Die ‚Neue Mittelklasse‘ orientiert sich dabei an distinktiven Konsummustern, Lebensstilen
und Räumen, welche zuvor von Pionier/innen, also Personen und Gruppen
mit geringem ökonomischen, aber hohem kulturellen sowie sozialen Kapital,
erschlossen wurden. Die Analyse der Dispositionen der Pionier/innen liefert
somit wichtige Erkenntnisse für die Gentrification-Forschung.
In diesem Beitrag wird deshalb die Frage erörtert, welche Rolle das kulturelle Kapital der Pionier/innen für die spezifischen Ausprägungen von Gentri1
Auch als „Neue Dienstleistungsklasse“ oder „Kreative Klasse“ bezeichnet (siehe dazu Florida
2005).
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fizierungsprozessen spielt. Dieser Frage liegt wiederum die These zugrunde,
dass diese Ressource ein zentrales Element für das Verständnis und die Analyse von Gentrification darstellt und darüber hinaus Möglichkeiten für neue
Forschungsansätze bietet. Dabei wird davon ausgegangen, dass das kulturelle Kapital der Pionier/innen zwar vergleichbar ist, sich aber aufgrund unterschiedlicher urbaner Rahmenbedingungen kontextspezifisch manifestiert,
was sich u. a. in den Strategien zur Raumaneignung und Raumproduktion sowie in den damit verbundenen Konflikten ausdrückt.
Nach einem Überblick über jene ökonomischen und sozialen Transformationen, welche die Renaissance der Innenstädte hervorgebracht und beeinflusst haben, soll dieser These sowohl anhand der theoretischen Grundlagen, anhand von Beispielen aus der Empirie sowie der Ergebnisse eigener
Forschungen in Chicago, Wien und Mexiko-Stadt nachgegangen werden.
Abschließend werden dabei einige Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungen skizziert, die ebenso bei dieser Thematik ansetzen.
1.Renaissance der Innenstadt
Städte sind Räume, die im Spannungs- bzw. Deutungsfeld von „vertraut und
fremd“ sowie „öffentlich und privat“ stehen und in denen sich soziale Beziehungen verdichten. In Städten findet gesellschaftliche Organisation einerseits
durch statische Institutionen statt, sie sind aber zugleich auch Kristallisationsorte des sozialen Wandels und somit Möglichkeitsräume bzw. Orte der Auseinandersetzung um Repräsentationen von Macht, Kultur und Geschichte (vgl.
Löw/Steets/Stoetzer 2007: 11).
Basierend auf der Konstituierung des postfordistischen Wirtschaftssystems und den damit verbundenen neuen Formen der Kultur- und Wissensproduktion, erlangten ab den 1970er Jahren die dichten urbanen Räume,
welche sich durch hohe ökonomische, soziale und kulturelle Diversität auszeichnen, wieder an Bedeutung. Insbesondere die Bereiche Forschung und
Entwicklung, Management, Marketing, Finanzdienstleistungen, Consulting
sowie Kommunikation, Kreativität und Kultur sind auf Informationen und
dichte persönliche Netzwerke angewiesen und nutzen diese zur Reduktion
von Risiken wie zum Erkennen von Chancen. Aufgrund kurzer Wegzeiten, des
umfassenden Dienstleistungsangebots sowie der zunehmenden Erosion der
Trennung von Arbeit und Freizeit werden innenstadtnahe und multifunktionale Wohnquartiere den individualisierten Lebensentwürfen und distinktiven
Konsumansprüchen eher gerecht als der suburbane Raum (vgl. Häußermann/
Läpple/Siebel 2008: 365 – 369; Siebel 2004b: 45 – 47; Huber 2010a: 162).
Das kulturelle Kapital
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Der Emanzipationscharakter der Stadt sowie ihre Integrationsfunktion
werden jedoch durch Kommodifizierung und Privatisierung des öffentlichen
Raums konterkariert. Städte stehen im globalen Wettbewerb um Investitionen,
Firmenzentralen, Messe- und Kulturtourismus, Akteure der Kreativwirtschaft,
wissenschaftliche Exzellenz, Kultureinrichtungen und mediale Aufmerksamkeit, weshalb sie zunehmend als Unternehmen agieren und versuchen, eine
urbane Aura zu erzeugen, welche als distinktive Stadtkultur inszeniert wird
(vgl. Dangschat 2001: 28; Lloyd/Clark 2000: 2). Dabei offenbart sich in der
postmodernen Stadt eine soziale Selektivität, die in der innerstädtischen Konsumkultur, Musealisierung und Festivalisierung ihre räumliche Entsprechung
findet. Die Inklusions- und Exklusionsmechanismen dieser Inszenierung von
Urbanität orientieren sich primär an ökonomischen Kriterien und werden mittels Kontroll- und Selektionsmaßnahmen umgesetzt oder durch semiotische
Gestaltung, Design und Architektur induziert, um den Zugang und das Verhalten in öffentlichen Räumen zu regulieren und Macht auszuüben (vgl. Löw/
Steets/Stoetzer 2007: 136; Dangschat 2009: 31).
2.Gentrification und Akteure
Gentrification bezeichnet die Aufwertung von innenstadtnahen Wohnquartieren, wodurch veränderte ökonomische und soziokulturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die zur Verdrängung von einkommensschwächeren Haushalten und zur Transformationen der Sozialstruktur führen. Der
Auslöser für den Verdrängungsprozess besitzt unterschiedliche Dimensionen, wobei die ökonomische Aufwertung im Sinne einer Modernisierung des
Wohnraums und einer Umwandlung von Mietwohnungen zu Eigentum sowie die kulturelle Umwertung durch neue Lebensstile, Haushaltsformen und
Anpassung der Infrastruktur eine zentrale Rolle spielen (vgl. Meinharter/Rode
2001: 21). Basierend auf dem englischen Wort „gentry“, welches den niederen
(Land-)Adel sowie wohlhabende Bürger mit Landbesitz bezeichnet, die sich
dem höheren englischen Adel in Lebensstil und Verhaltensweisen anzugleichen versuchten, wurde der Begriff in seiner heutigen Bedeutung von Ruth
Glass geprägt: Sie untersuchte bereits 1964 den Zuzug von einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten und die Verdrängung der Arbeiterschicht (vgl.
Lees/Slater/Wyly 2008: 5).
Verdrängung stellt (neben Zuzug) demnach ein konstitutives Element der
theoretischen Konzeption von Gentrifizierung dar und tritt mehrdimensional
in Erscheinung. Einerseits können Aufwertungsprozesse zu einer direkten
Verdrängung von Haushalten aus ihrem Wohnraum führen, andererseits kann
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der indirekte Verdrängungsdruck durch kulturelle Umwertung die Verdrängung von Raumnutzungen einkommensschwächerer Milieus (wie etwa Infrastruktur-, Kultur- oder Freizeitangebote) nach sich ziehen und letztendlich
Auszugsentscheidungen dieser Haushalte befördern.2 Darüber hinaus stellt
auch die ausschließende Verdrängung einen Indikator für Gentrification dar,
deren spezifische Ausprägung in Studien über „Brownfield Gentrification“,
„New-build Gentrification“ und andere Formen der Konstituierung von exklusiven Räumen analysiert wird. Diese Arten von Verdrängung können kumuliert auftreten, sind aber auch jeweils für sich genommen angesichts ihrer
Konsequenzen problematisch (vgl. Huber 2010b).
Aufgrund der unbefriedigenden Datenlage sowie der unterschiedlichen
Formen von Verdrängung, die oben skizziert wurden, können Verdrängungsprozesse häufig nur bedingt gemessen und durch statistische Daten belegt
werden (vgl. Koch 2010). Dieser Umstand bietet als Folge einen zentralen
Anknüpfungspunkt für den Diskurs der Verharmlosung, der neben einer von
ökonomischen Interessen beeinflussten Stadtpolitik teilweise auch in das Feld
der Wissenschaft Eingang gefunden hat, wie Holm kritisch resümiert:
„In einem Wissenschaftsumfeld, das sich zunehmend an der
Scheinobjektivität von Datensätzen und Kennziffern orientiert,
ist es so ein Leichtes, Verdrängungsbefunde abzustreiten“ (Holm
2010: 54).
Doch dort, wo die quantitative Messung an ihre Grenzen stößt, beginnen qualitative Methoden zu greifen, mit welchen die Verdrängung von bestimmten Milieus aus dem öffentlichen Raum sowie die Verdrängung von sozialen Räumen
bestimmter Milieus aufgrund der Herstellung neuer hegemonialer kultureller
Realitäten analytisch untersucht und belegt werden kann (vgl. Huber 2010b).
Neben den Definitionen von Verdrängung und dem Problem der Messung
setzt sich der wissenschaftliche Diskurs schon länger mit der Frage auseinander, wie Aufwertungsprozesse initiiert und beeinflusst werden. Die Erklärungsmodelle basieren dabei auf Themen wie Akteursverhalten, Machtpotenzial und Dominanz, welche als Ausdruck eines latenten sozialen Konflikts
um Status und Position gelten: Sie rücken entweder den Immobilienmarkt
(Angebot) oder den Konsum (Nachfrage) ins Zentrum ihrer Analyse (vgl. Ley
1986: 522).3
2
Zur Rolle von kulturellen Einrichtungen im Gentrifizierungsprozess siehe Dangschat 1992.
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Eine weitere Form der Wiederaufwertung von Wohnquartieren stellt „incumbent upgra-
Das kulturelle Kapital
171
Das angebotsorientierte Modell behandelt in erster Linie die Interdependenzen zwischen Kapital und Produktion von Stadtraum, wobei die Kernaspekte in der Komplexität und Geschwindigkeit von Investitionen liegen (vgl.
Smith 1996: 51). Einen alternativen Erklärungsansatz stellt das nachfrageorientierte Modell dar, welches Konsumverhalten, kulturelles Kapital sowie den
Lebensstil als Initiatoren für Gentrification definiert und andere Faktoren nur
bedingt berücksichtigt (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21; Bailey/Robertson 1997:
563). Die Konsummodelle erklären dieses Phänomen im Kontext der Konstituierung einer postindustriellen Gesellschaft,4 welche auf dem Bedeutungsgewinn von wissensbasierten Berufen beruht und sich auch anhand der Diversifizierung und Individualisierung von Lebensstilen charakterisieren lässt
(vgl. Lees/Slater/Wyly 2008: 91). Gentrification hängt dabei von der Wahl des
Wohnstandortes der ‚Neuen Mittelklasse‘ ab, welche als sog. Gentrifier/innen
ihr ökonomisches Kapital zur Verwirklichung eines distinktiven urbanen Lebensstils einsetzen (vgl. ebd.: 93).
Auf Basis empirischer Forschungen wurde zur Beschreibung des Ablaufs
von Aufwertungsprozessen ein Phasen- oder Stufenmodell entwickelt, wobei
im Zentrum dieser Annäherung die Begriffe Zuzug und Verdrängung stehen,
ebenso wie die verschiedenen Investitionsformen, durch welche die Prozesse
gesteuert werden (vgl. Walks/Maaranen 2008: 296).
Der Zuzug von risikofreudigen Bevölkerungsgruppen in ein marginalisiertes Wohnquartier, das durch schlechte Bausubstanz und fehlende Investitionen seitens der Vermieter/innen gekennzeichnet ist, stellt dabei die erste Phase dar (vgl. Friedrichs 1996: 19). Die Pionier/innen, also Studierende, Künstler/
innen, Selbständige oder Personen mit alternativen Lebensentwürfen, sind
meist eher jünger, kinderlos und außerdem überdurchschnittlich gut gebildet. Sie besitzen aufgrund ihrer ungesicherten beruflichen Position zwar nur
geringes ökonomisches Kapital, können dieses zum Teil aber durch soziale
Netzwerke und Flexibilität in der Lebensplanung kompensieren (vgl. Blasius
1993: 31). Obwohl ihre finanziellen Möglichkeiten eingeschränkt sind und die
Renovierungen der Häuser bzw. Wohnungen selbst durchgeführt werden,
unterscheidet sich ihre distinktive Ästhetik des Wohnens von jener der ursprünglichen Bewohner/innen bzw. vom Umfeld (vgl. Bridge 2006: 723; Walks/
Maaranen 2008: 296). Sie bevorzugen ethnisch gemischte bzw. authentische
Wohnquartiere und präferieren innerstädtische Standorte, welche Möglich-
4
ding“ dar, wobei dieser Prozess eher als Ausdruck autonomer Selbsthilfe der Bewohner/
innen angesehen wird, da die Initiative von diesen selbst ausgeht (vgl. Blasius 1993: 29).
Siehe dazu „Die postindustrielle Gesellschaft“ (1972; frz.: 1969) von Alain Touraine und „The
coming of postindustrial Society“ (1973) von Daniel Bell.
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keiten zur kreativen Raumaneignung bzw. -gestaltung bieten. Ebenso benötigen sie überdurchschnittlich große Wohnflächen, die sie beispielsweise für
Wohngemeinschaften oder Ateliers nutzen können, weshalb die finanziellen
Restriktionen bei der Wahl des Standorts eine zentrale Rolle spielen (vgl. Löw/
Steets/Stoetzer 2007: 41). Der Verdrängungsgrad ist in dieser ersten Phase gering, da die Pionier/innen meist leer stehenden Wohnraum übernehmen. Die
Zuzüge beschränken sich zu Beginn vor allem auf kleine Bereiche innerhalb
des Stadtviertels, die zwar außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung und des
Interesses der Immobilienwirtschaft stehen, aber mittels informeller Netzwerke stetig wachsen (vgl. Lees/Slater/Wyly 2008: 31).
In der zweiten Phase erweitert sich der Sanierungsradius auf andere
Wohnblöcke oder Straßenzüge, und die Medien sowie Besucher/innen nehmen erstmals Notiz vom ebenso neu entstandenen Waren-, Kultur- oder Gastronomieangebot. Dadurch verändern sich auch das äußere Erscheinungsbild
sowie die Identität des Viertels, und durch den vermehrten Zuzug sowie die
Ausdehnung des Gebiets kommt es zu ersten Verdrängungen (vgl. Walks/
Maaranen 2008: 296; Friedrichs 1996: 19). Nachdem das Quartier zunehmend
attraktiver geworden ist, steigt in der dritten Phase schließlich das Interesse
von statushöheren Bevölkerungsgruppen, wodurch es zu Preissteigerungen
bei Wohnungen bzw. Häusern kommt. Die Risikobereitschaft der Gentrifier/
innen ist geringer, da sie erst in das Wohnquartier ziehen, nachdem das Viertel durch den Zuzug der Pionier/innen umgestaltet wurde (vgl. Lees/Slater/
Wyly 2008: 32; Alisch/Dangschat 1996: 98). Die kulturelle und infrastrukturelle
Umwertung sowie die Preissteigerung führen zu Spannungen zwischen den
Gruppen und zur Transformation der Sozialstruktur, welche auf einem umfassenden Verdrängungsprozess in dieser dritten Phase basiert (vgl. Dangschat
2001: 30). Pionier/innen müssen in dieser Phase entweder ebenso aufgrund ihrer eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten weichen oder können in dem
Viertel verbleiben, sofern sie einen Rollenwechsel vollziehen. In der vierten
und fünften Phase ist das Wohnquartier schließlich weitgehend gentrifiziert,
die Preise steigen wegen der anhaltenden Nachfrage nach Wohn- und Geschäftsräumen bzw. Büros weiter an, und der Verdrängungsprozess trifft nicht
nur Mieter/innen, sondern zunehmend auch Eigentümer/innen (vgl. Lees/Slater/Wyly 2008: 33). In weiterer Folge kann, falls das Quartier für nächsthöhere
Statusgruppen von Interesse ist, ein neuerlicher Gentrificationprozess einsetzen, der das Gebiet zu einer Residenz der Oberschicht aufwertet.5
5
Loretta Lees (2003) prägte dafür den Begriff der „Super-Gentrification“.
Das kulturelle Kapital
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Dieses Modell beschreibt Aufwertungsprozesse mithilfe eines idealtypischen Ablaufs und ist daher lediglich als Vereinfachung bzw. Veranschaulichung zu verstehen. Dennoch lässt sich daran die Rolle der Pionier/innen verdeutlichen, da die induzierten Formen und kulturellen Prozesse von kreativer
Raumaneignung und -produktion eine Grundlage für Gentrificationprozesse
darstellen (vgl. Frey 2009: 147). Da der Begriff der „Pionier/innen“ in dieser
Form jedoch lediglich eine Behelfskategorie darstellt, werden im nächsten
Abschnitt die Kapitalsformen nach Bourdieu kurz erläutert, bevor anschließend exemplarisch darauf eingegangen wird, inwieweit innerhalb der Gentrificationforschung bereits eine Ausdifferenzierung der Rolle dieser Gruppe
anhand ihrer Verfügbarkeit von kulturellem Kapital erfolgt ist. Komplettiert
wird diese Analyse im vierten Abschnitt durch eigene Forschungsergebnisse
zu Aufwertungsprozessen in Wien, Chicago und Mexiko-Stadt.
3.Das kulturelle Kapital und die Ausdifferenzierung der
Rolle der Pionier/innen
Ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital spielen im Gentrificationprozess eine zentrale Rolle, da Gruppen, die über entsprechende Ressourcen verfügen, ihre Präferenzen im Hinblick auf Wohnraum und Wohnstandort besser
durchsetzen können. Das ökonomische Kapital entspricht dabei den finanziellen Mitteln in Form von Geld und kann über Eigentum institutionalisiert
werden. Soziales Kapital hingegen bezeichnet die aktuellen und potenziellen
Ressourcen eines Individuums, welche aus einem Netzwerk von mehr oder
weniger institutionalisierten Beziehungen, also der Zugehörigkeit zu einer
Gruppe, resultieren und auf dem materiellen oder symbolischen Tausch zwischen den Mitgliedern basieren.
Bourdieu unterteilt das kulturelle Kapital in drei Formen, indem er einerseits das inkorporierte kulturelle Kapital unterscheidet, welches sich durch
persönliche Aneignung von Bildung, Stil, Geschmack, Kunstverständnis oder
kultureller Kompetenz in dauerhaften Dispositionen manifestiert, körpergebunden bzw. verinnerlicht ist und als Distinktionsmittel eingesetzt werden
kann (vgl. Bourdieu 1986: 244f.). Das objektivierte kulturelle Kapital bezeichnet
andererseits Kulturgüter in Form von Objekten oder Medien wie etwa Bilder,
Bücher, Bauwerke oder Instrumente, welche zwar materiell übertragbar sind,
deren Symbole, Codes oder Funktionen jedoch nur durch entsprechendes inkorporiertes kulturelles Kapital erfasst werden können. Mit dem Begriff des
institutionalisierten kulturellen Kapitals werden schließlich akademische Qualifikationen beschrieben (vgl. ebd.: 246 – 248). Bourdieu sieht im kulturellen Ka-
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pital ein wesentliches Element zur Konstituierung des individuellen Habitus.
Die dadurch gewonnene und gesellschaftlich legitimierte Anerkennung stellt
eine Ressource dar, die Erwerbschancen, Einfluss oder Prestige verschafft, und
spiegelt die Statusposition in der Sozialstruktur sowie Gestaltungsoptionen
wider. Gemeinsamkeiten in den individuellen Habitusformen manifestieren
sich als Klassenhabitus, der sich u. a. in Raumaneignungen ausdrückt und die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe reproduziert. Abgesehen
davon dient diese Ressource zugleich als Alleinstellungsmerkmal, wenn etwa
Distinktionsbestrebungen unterschiedlicher Lebensstile offenbart werden,
die sich auch in Raumnutzungskonflikten ausdrücken können (vgl. Eckardt
2004: 73 – 75).
Auf Basis der Kapitalsformen wird in diesem Beitrag davon ausgegangen,
dass der Prozess der kreativen Aneignung, Produktion und Nutzung von Raum
durch die Gruppe der Pionier/innen auf Basis ihres kulturellen Kapitals eine
wesentliche Grundlage für Gentrificationprozesse darstellt. Durch die Raumaneignung und Nutzung steigt die Attraktivität eines Wohnquartiers für statushöhere Gruppen, und die Veränderung der ökonomischen, infrastrukturellen
sowie soziokulturellen Rahmenbedingungen führt letztlich zur Verdrängung
der einkommensschwächeren Haushalte, sofern diese keine Strategie für einen Verbleib entwickeln konnten oder ein Rollenwechsel nicht stattfand.
Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit sich die Ausdifferenzierung der Rolle
der Pionier/innen anhand ihres kulturellen Kapitals innerhalb der Forschung
verändert hat. Zu diesem Zweck werden zunächst drei frühe Studien aus dem
deutschsprachigen Raum drei angloamerikanischen Forschungsarbeiten jüngeren Datums gegenüber gestellt.
Bei Dangschat (1988) etwa werden Pionier/innen anhand der Merkmale
Alter, Einkommen, Haushaltstyp und Bildung sowie aufgrund ihrer Einstellungen zu Gentrification kategorisiert. Demnach sind Pionier/innen besser
ausgebildet (oder befinden sich noch in der Ausbildung), leben mit einer/m
Partner/in zusammen oder in einer Wohngemeinschaft, sind Angestellte in
leitender oder mittlerer Position, und ihre Einstellung zum Aufwertungsprozess ist durchweg negativ (vgl. Dangschat 1988: 289). Die Einschätzung der
Berufsposition widerspricht dabei der Charakterisierung der Pionier/innen als
risikofreudige Akteursgruppe, die sich neben Studierenden u. a. aus Künstler/
innen und Selbstständigen zusammensetzt, und ist eventuell auf die spezifischen Gegebenheiten des Untersuchungsfelds zurückzuführen. Zur Messung
von Bildung wird die höchste abgeschlossene Ausbildung abgefragt, weshalb
kulturelles Kapital in seiner institutionalisierten Form zwar als Merkmal in
die Kategorisierung einfließt, aber als solches nicht benannt oder näher be-
Das kulturelle Kapital
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handelt wird. Die Veränderung der Lebensstile und die Konstituierung neuer
Haushaltsformen basieren einerseits auf der Verschiebung von Präferenzen in
Richtung innenstadtnaher Wohnstandorte, andererseits liegen die kulturellen
Ursachen in transformierten Konsumhaltungen sowie im zunehmenden Bedürfnis nach Selbstverwirklichung begründet. Selbstverwirklichung wird im
Beitrag von Dangschat als Freiheit, das soziale Umfeld zu wechseln oder zu
verändern, definiert, was als Form von kreativer Raumaneignung verstanden
werden könnte, wobei dieser Interpretationsschritt nicht erfolgt (vgl. ebd.:
284).
Blasius (1993) sieht die berufliche Position der Pionier/innen hingegen noch
nicht gesichert, weshalb sie nur über geringes ökonomisches Kapital verfügen. Dieses können sie jedoch durch soziales Kapital in Form von Netzwerken
kompensieren (vgl. Blasius 1993: 31). Institutionalisiertes kulturelles Kapital
wird hier ebenso über Bildung reflektiert; darüber hinaus findet sich inkorporiertes kulturelles Kapital besonders in distinktiven Lebensstilmerkmalen wieder, zu welchen u. a. die Präferenz für alte, architektonisch interessante Gebäude zählt (vgl. ebd.: 27). Basierend auf Bourdieu wurden im Rahmen der Studie
außerdem Beobachtungen durchgeführt und Fragen nach der Einrichtung
der Wohnung sowie nach der Art von Speisen, die Gästen serviert werden,
gestellt, wobei sich zeigte, dass sich die Pionier/innen und Gentrifier/innen in
ihren Lebensstilmerkmalen deutlich von anderen Akteursgruppen abgrenzen
(vgl. ebd.: 233). Dies wiederum ist auf Unterschiede in der Verfügbarkeit von
inkorporiertem, aber auch objektiviertem kulturellen Kapital zurückzuführen,
auch wenn diese Schlussfolgerung von Blasius nicht gezogen wird.
Alisch und Dangschat (1996) plädieren in ihrem Vorschlag zur Neudefinition der Pionier/innen für eine Unterscheidung auf Individualebene, bei der
in erster Linie Alter und Bildung zentrale Merkmale darstellen, und auf Haushaltsebene, für welche das Pro-Kopf-Einkommen sowie der Haushaltstyp ausschlaggebend sind (vgl. Alisch/Dangschat 1996: 101). Im Rahmen dieser quantitativen Analyse dient daher auch der Bildungsstand zur Operationalisierung
von kulturellem Kapital, welches somit ausschließlich in seiner institutionalisierten Form gemessen wird.
Individuen eignen sich kulturelles Kapital jedoch nicht nur über Bildung an.
Diese Kapitalsform wird in der angloamerikanischen Forschung differenzierter
und nicht ausschließlich anhand formaler Bildung betrachtet. Es werden etwa
auch ästhetische Dispositionen und Formen des inkorporierten kulturellen Kapitals, die mittels Sozialisierung innerhalb der Familie, sozialer und politischer
Netzwerke bzw. durch gegen- oder subkulturelle, alternative oder künstlerische
Lebensentwürfe internalisiert werden, als Analysegegenstände einbezogen.
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Für Ley (2003) stellen die ästhetischen Dispositionen und das kulturelle Kapital der Künstler/innen, die sich in einem distinktiven Lebensstil bzw. Habitus
manifestieren, einen zentralen Faktor für die Restrukturierung des urbanen
Raums und für Gentrificationprozesse dar. Obwohl Künstler/innen nur über
ein geringes ökonomisches Kapital verfügen, ist der Anteil von Personen mit
Universitätsabschlüssen und somit auch das institutionalisierte kulturelle Kapital innerhalb dieser Gruppe vergleichsweise hoch (vgl. Ley 2003: 2533). Ley
sieht jedoch vor allem in der kreativen Aneignung von Räumen einen Auslöser für Gentrificationprozesse, wenn dem kulturellen Kapital ein symbolischer
Wert zugeordnet wird, sodass die ästhetischen Dispositionen schließlich ökonomisch verwertet werden und die Immobilienpreise ansteigen (vgl. ebd.:
2540).
Das kulturelle Kapital und die daraus resultierenden Formen von kreativer
Raumaneignung können somit als zentrale Faktoren für die Identifikation der
Attraktivität eines Wohnquartiers definiert werden:
„What the artist par excellence provides as an engine of gentrification is cultural capital which identifies and utilizes the attraction
of devalorized inner-urban residential zones“ (Cameron/Coaffee
2005: 40).
Auf der Grundlage von Bourdieu wird die Neudefinition von marginalisierten
Wohnquartieren als attraktive, zentrumsnahe Stadtviertel mit architektonisch
und historisch interessanten Gebäuden dabei als objektivierte Manifestierung
des inkorporierten kulturellen Kapitals aufgefasst, wobei die Adaptierung des
Stadtraums außerdem eine Distinktionsfunktion gegenüber anderen Gruppen erfüllt, mit denen die Pionier/innen in Konkurrenz stehen (vgl. Bridge
2006: 724).
Anhand der Beispiele kann nachvollzogen werden, wie sich die Stellung
des kulturellen Kapitals vor allem in der empirischen Forschung verändert
hat. Im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung mit Aufwertungsprozessen wurde die Rolle des kulturellen (und sozialen) Kapitals aber auch in
der deutschen Forschungstradition schon früh berücksichtigt, wie Frey (2009:
147) festgehalten hat.
Das kulturelle Kapital
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4.Raumaneignungen, Konflikte und die Verteidigung
von Räumen
Über die Bedeutung des kulturellen Kapitals und seines Einsatzes zur Aneignung von Räumen durch die Pionier/innen im Zuge von Aufwertungsprozessen herrscht in der Stadtforschung somit Konsens. Für die empirische
Forschung bedeutet dies, dass in verschiedenen Städten wesentliche Unterschiede im Hinblick darauf, wie Gentrificationprozesse beginnen und wie
sie verlaufen, identifiziert werden können. Das gelingt jedoch nur, wenn die
(stadt-)spezifischen politischen, ökonomischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Um die Gründe von Pionier/innen zu analysieren, in ein bestimmtes Viertel zu ziehen, sich also Räume anzueignen und
sie zu verteidigen, wird auf Basis der obigen Ausführungen davon ausgegangen, dass das kulturelle Kapital der Pionier/innen grundsätzlich vergleichbar
ist. Doch während in Städten, deren Immobilienmarkt einer strengen gesetzlichen Regulierung unterworfen ist, die Motivation für den Zuzug vor allem
im Verlangen nach sozialer und ethnischer Heterogenität begründet liegt, die
darüber hinaus Input für die eigene künstlerische Tätigkeit liefern soll, gibt
es in Städten mit weniger verbindlichen Mechanismen wesentlich konfliktreichere Verläufe von Raumaneignungen und -verteidigungen, wodurch die damit verbundene künstlerische Auseinandersetzung intensiver ist.
So entlud sich Mitte der 1990er Jahre der Konflikt um die Aufwertung im
Chicagoer Stadtviertel Wicker Park in öffentlichkeitswirksamen Aktionen von
Aktivistengruppen und fand auch Eingang in die Kunst, da das „Flat Iron Building“, ein Gebäude mit mehreren Ateliers, kleinen Büros und Galerien, im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Pionier/innen und Gentrifier/innen
sowie Investor/innen stand. Durch künstlerische Interventionen und Aktionen
im öffentlichen Raum sollte einerseits auf die Praktiken der Immobilienwirtschaft und auf die prekäre Situation der Kunst- und Kulturschaffenden, die mit
steigenden Kosten für das Betreiben ihrer Räumlichkeiten konfrontiert waren,
aufmerksam gemacht werden. Andererseits wurden dadurch die einsetzenden Kommerzialisierungs- und Verdrängungsprozesse problematisiert.
Anders die Situation hingegen in Wien, wo der mit der Aufwertung in Verbindung stehende Zuzug von einkommensstärkeren Schichten und die als
solche wahrgenommene soziale Homogenisierung für Pionier/innen einen
Grund darstellen, aus dem Viertel abzuwandern. Falls es Konflikte um Räume
gibt, manifestieren sich diese eher im Zuge von Räumungen einzelner besetzter Häuser, deren Standorte zudem nicht unbedingt an Aufwertungsgebiete
gekoppelt sein müssen. Natürlich spielen grundsätzlich auch in Wien ökonomische Faktoren eine Rolle; diese werden jedoch durch die Rechtslage sowie
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von den seitens der Stadt eingesetzten Gebietsbetreuungen größtenteils
abgefedert, sodass das Potenzial für konfrontative Auseinandersetzungen
im Rahmen von Aufwertungsprozessen relativ gering ist. Dementsprechend
erfolgen auch künstlerische Projekte wie etwa „SOHO“ in Ottakring, die sich
mit der sozialen Situation in und der Entwicklung von Stadtteilen auseinandersetzen, auf Basis von Kooperationen.
Im Stadtviertel La Condesa in Mexiko-Stadt nahm der Aufwertungsprozess wiederum einen anderen Verlauf, da durch das Erdbeben im Jahr 1985
und die daraus resultierende Abwanderung von statushöheren Gruppen frei
gewordene Wohneinheiten und Lokale Ende der 1980er Jahre von Künstler/
innen bezogen wurden. Das Viertel war für die Pionier/innen u. a. aufgrund
seiner Art-Deco-Architektur sowie wegen des verhältnismäßig hohen Anteils
an Grünflächen und der zentralen Lage interessant. Der Aufwertungsprozess,
durch den das Viertel schließlich zu einem Wohnquartier für die mexikanische
Elite (wie etwa Bürgermeister Marcelo Ebrard), aber auch für einkommensstärkere US-amerikanische und europäische Zuwanderer transformiert wurde,
setzte schließlich mit der Eröffnung von Restaurants und Galerien Anfang der
1990er Jahre ein, die u. a. durch den Einsatz von Pionier/innen, welche dort
arbeiteten, erfolgreich wurden. Bis etwa zur Jahrtausendwende wird für das
Viertel dennoch eine funktionierende infrastrukturelle und soziale Mischung
konstatiert, obwohl die Anzahl der Restaurants und Bars ständig wuchs. Danach heizten in erster Linie umfassende Grundstücksspekulationen und die
Immobilienwirtschaft die Produktion dieses exklusiven Quartiers und die damit einhergehenden Verdrängungsprozesse an, wobei viele alte ein- bis zweistöckige Art-Deco-Häuser, die verhältnismäßig wenig Wohnfläche aufwiesen,
abgetragen und durch fünf- oder sechsstöckige Apartmentgebäude ersetzt
wurden. Dass dies trotz Denkmalschutz und Klassifizierung als kulturelles
Erbe geschehen konnte, liegt wiederum in der sich quer durch die Verwaltung
ziehenden Korruption begründet. Dies und das mediale Desinteresse dürften
auch den künstlerischen Widerstand zur Resignation gebracht haben, sodass
sich schließlich vor allem alteingesessene, wohlhabende Personen für den Erhalt der ursprünglichen Bausubstanz einsetzen.6
Auch Frey (2009: 148) betont die wichtige Funktion von Kultur, die er als
„wesentliche Triebfeder des Wandels von Nachbarschaft“ bezeichnet. Die
Hervorhebung der Rolle des kulturellen Kapitals und von Kultur an sich darf
natürlich nicht als monokausale Erklärung dafür, wodurch Gentrificationprozesse ausgelöst werden, interpretiert werden, da es vielmehr das Wechsel6
Siehe dazu auch Lida 2008: 234 – 240.
Das kulturelle Kapital
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spiel von kulturellem und ökonomischem Kapital ist, das es zu analysieren
gilt (vgl. Ley 2003: 2542; Bridge 2006: 723; Zukin 1987). Dabei sind einerseits
Kommodifizierung und Konsum des künstlerischen bzw. alternativen Milieus
zentrale Faktoren, andererseits spielt auch der öffentliche Sektor eine wichtige Rolle, da Kunst im öffentlichen Raum, Architektur und Kulturevents als
Instrumente der Stadterneuerung und zur Imagebildung eingesetzt werden
(vgl. Cameron/Coaffee 2005: 46). Dass die Strategie sehr umstritten ist, zeigen
exemplarisch die Auseinandersetzungen in Hamburg rund um das Schanzenviertel, die Hafenstraße und das Gängeviertel.7 Diese Form der Stadtplanung,
die sich explizit auf die Arbeiten Richard Floridas bezog (Leitbild „Talentstadt
Hamburg“), stieß hier auf massiven Widerstand in Form von Hausbesetzungen bis hin zu Straßenschlachten, wobei sich paradoxerweise vor allem Floridas „Kreative Klasse“ (und hier in erster Linie Künstler/innen, die einen Teil dieser diffusen Kategorie darstellen) gegen Investitionen in diese Areale und den
Abbruch der von ihnen genutzten Gebäude wehrte. Zusätzlich dazu brachte
sich, wie auch in Mexiko-Stadt, das Bürgertum in die Widerstandsbewegungen ein, wobei die Motivation für ihr Engagement sicherlich anders als jenes
der Künstler/innen einzuschätzen ist und eher von konservativen Wertvorstellungen geprägt sein dürfte.
Der geschilderte Widerstand stellt aber demnach ein schichtübergreifendes Phänomen dar, und obwohl er auf unterschiedlichen Motiven basiert,
stehen diese in engem Zusammenhang mit dem kulturellen Kapital der Akteursgruppen. Nicht zuletzt deshalb sind neue Ansätze für die Gentrificationforschung notwendig.
5.Neue Ansätze für die Gentrificationforschung
Die Ansätze, die hier skizziert werden, verbindet die Idee bzw. das Verständnis, dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem kulturellen Kapital der
unterschiedlichen Akteure die Kontraste zwischen den Gruppen stärker betont und eine weitere Differenzierung nach Subgruppen ermöglicht. Die Ausdifferenzierung kann dabei auch positive Effekte auf die (gegenwärtig immer
wieder in Abrede gestellte) Relevanz der Gentrificationforschung haben, da
sie so an andere Felder im Bereich der Stadtforschung anknüpfen kann.
Eine Möglichkeit stellt beispielsweise die Integration der Analyse von Gentrifizierungsprozessen in Forschungen zu städtischen Eigenlogiken dar, die in
den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Dabei wird
7
Vgl. Der Spiegel, 1/2010: 94 – 99.
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Florian J. Huber
untersucht, wie sich die Struktur von Städten, also ihre Regeln und Ressourcen, in den Habitus der Bewohner/innen einschreibt und mit der Produktion
von Räumen, kulturellen Praktiken, Architektur, City Branding, Politik oder
Ökonomie verwoben ist (vgl. Löw 2008: 19, 76 – 77). Die Analyse stadtspezifischer Verläufe von Gentrifizierungsprozessen könnte dabei Rückschlüsse auf
die Logik dieser Orte liefern, indem etwa Bereiche wie Umgang mit Geschichte und historischer Bausubstanz, Integrationsfähigkeit und soziale Kohäsion,
Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raums (inkl. Inklusions- und Exklusionsmechanismen), Konsummuster, alternative oder künstlerische Lebenswelten und Milieus, Image oder Konfliktpotenzial in beiden Forschungsfeldern thematisiert werden.
Eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Gentrification und
dem kulturellem Kapital von Akteursgruppen würde sich zudem anhand der
Politischen Theorie des Konsums, wie sie Terry N. Clark vorgeschlagen hat,
anbieten. Die zentralen Analysekategorien stellen dabei kulturelle Idealtypen
dar, die sich in einem entsprechenden Konsumverhalten manifestieren und
dadurch Rückschlüsse auf (politische) Einstellungsdispositionen ermöglichen
sollen. Clark identifiziert dabei einerseits Individuen und Gruppen, deren
Konsumverhalten auf Motiven wie ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit
beruht. Dem stehen Individualisten mit prestige- oder statusorientierten Konsummustern gegenüber, ebenso wie als dritte Kategorie die Traditionalisten,
die in Lebensstil und geschmacklichen Präferenzen eher vergangenheitsbezogen sind (vgl. Clark 2003b: 19, 83). Für die Gentrificationforschung ergibt
sich daraus die Möglichkeit, auf Basis dieser Idealtypen herauszuarbeiten,
welche Werte, Intentionen und Motive hinter den Handlungsmustern und
Interaktionen der ‚klassischen‘ Akteursgruppen stehen und wie diese mittels
quantitativer oder qualitativer Methoden gemessen werden können, um in
weiterer Folge ein Instrument für akteurszentrierte Vergleiche von Gentrifizierungsprozessen in unterschiedlichen urbanen Kontexten zu formulieren.
Eine Herausforderung, aber auch eine Chance für Innovation liegt darin begründet, dass diese Idealtypen in der Realität vermutlich nicht in Reinform
vorhanden sind, sodass damit eine weitere Ausdifferenzierung der Akteure
nach Subgruppen möglich wird.
Ein weiteres Forschungsfeld, welches an der Schnittstelle zwischen sozialen und ökonomischen Themenbereichen verankert ist, liegt in der Frage
nach der Bedeutung der Pionier/innen (und hier vor allem der Künstler/innen)
für den Dienstleistungssektor. Diese sind, sofern sie sich noch nicht im Kunstbetrieb etabliert haben, häufig als Arbeitskräfte mit niedrigem Lohnniveau
und hohem Maß an Flexibilität einerseits in der projektorientierten Kreativin-
Das kulturelle Kapital
181
dustrie tätig und tragen andererseits als Kellner/innen in Lokalen oder Clubs
durch ihren Habitus zur Produktion einer distinktiven Atmosphäre bei. Somit
profitieren sowohl Kreativwirtschaft als auch Restaurants oder Bars von breitgefächerten künstlerischen Aktivitäten in einem Viertel und den kulturellen
Kompetenzen der Pionier/innen, die dabei, obwohl sie ihre Identität aus der
künstlerischen Tätigkeit generieren, in die Logik der Akkumulation von ökonomischem Kapital integriert werden, wie es Richard Lloyd am Beispiel von
Wicker Park in Chicago untersucht hat (vgl. Lloyd 2002: 522, 528). Auch hier
bietet sich vor dem Hintergrund der jeweiligen Rahmenbedingungen ein
Vergleich zwischen unterschiedlichen Städten und damit Stadtökonomien
an, wobei für diesen Forschungsansatz ebenso ein Mix aus quantitativen und
qualitativen Methoden als zielführend erachtet wird.
6.Schlussfolgerung
Das kulturelle Kapital der Pionier/innen spielt im Rahmen von Gentrifizierungsprozessen und deren Analyse eine zentrale Rolle, da es eine wesentliche
Voraussetzung für die kreative Aneignung und Nutzung von Räumen darstellt
und in weiterer Folge als Basis für den Zuzug von statushöheren Gruppen in
ein Wohnquartier zentral ist. Trotz einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit manifestiert es sich aufgrund unterschiedlicher urbaner Rahmenbedingungen
kontextspezifisch. Anhand der Fallbeispiele aus Chicago, Wien und Hamburg
wurde gezeigt, dass die Problematisierung von Gentrification seitens der
Kunst intensiver erfolgt, je weniger der Immobilienmarkt durch verbindliche
Mechanismen geregelt wird (und umgekehrt) – also je nachdem, wie konfliktreich Raumaneignung und -verteidigung verlaufen. La Condesa in Mexiko-Stadt stellt hingegen eine Ausnahme dar, da hier die künstlerische Auseinandersetzung aufgrund der aussichtslosen Umstände und des medialen
Desinteresses weitgehend in Resignation übergegangen ist.
Aus der Fokussierung auf das kulturelle Kapital der Pionier/innen und der
anderen „klassischen“ Akteursgruppen, die sich innerhalb der Forschung in
ihrer Schwerpunktsetzung verändert hat, lassen sich schließlich neue Ansatzpunkte für die Gentrificationforschung ableiten, die einerseits die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen in aktuelle Bereiche der Stadtforschung
integrieren helfen und zudem für eine differenziertere Charakterisierung der
Akteursguppen sorgen. Möglichkeiten dazu bestehen sowohl auf der Ebene
der Untersuchung städtischer Eigenlogiken als auch im Spannungsfeld zwischen Konsummustern, individuellen Dispositionen und Politik sowie im Bereich der Position von Akteuren innerhalb urbaner Wirtschaftssysteme.
182
Florian J. Huber
Im Zuge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Gentrifizierung
stellt sich unweigerlich die Frage, ob der Begriff per se, welcher in den letzten Jahren eine Konjunktur in den Medien und als politischer Kampfbegriff
erfahren hat, nach wie vor eine sinnvolle Basis für die soziologische Auseinandersetzung mit Stadt darstellen kann. Als Wissenschaft von der Gesellschaft
behandelt die Soziologie Phänomene, die für Gesellschaften relevant sind,
und ihre Fragestellungen sind direkt (oder über Umwege) in menschlichen
Lebenswelten verankert – exemplarisch soll hier etwa auf die klassische Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel aus
dem Jahr 1933 verwiesen werden.
Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse finden durch den wachsenden
Konkurrenzdruck, der auf den Städten lastet, mehr denn je und unter den
unterschiedlichsten Voraussetzungen statt. Gentrification als Auslöser gesellschaftlicher Konflikte bleibt deshalb ein aktuelles Thema. Es handelt sich trotz
der Kontextabhängigkeit um einen weitgehend globalisierten Prozess, wodurch sich neue Perspektiven und Möglichkeiten für komparative Analysen,
aber auch für Lernprozesse eröffnen. Obwohl bereits aus diesen Gründen die
Relevanz von Gentrifizierung für die (Stadt-)Soziologie ausreichend geklärt ist,
steht hinter diesem Phänomen zudem ein Basisthema der Soziologie, nämlich
die Frage nach der sozialen Ungleichheit.
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